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Read Ebook: Eine langweilige Geschichte: Aus den Aufzeichnungen eines alten Mannes by Chekhov Anton Pavlovich R Hl Hermann Translator

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Ebook has 441 lines and 27403 words, and 9 pages

>>Wor?ber hat er denn gelesen?<<

Und wenn dicht vor seinen Ohren die Patti zu singen anfinge, wenn Chinesenhorden ?ber Russland herfielen, wenn ein Erdbeben stattf?nde, so w?rde er vermutlich kein Glied r?hren und seelenruhig mit zusammengekniffenem Auge in sein Mikroskop hineinsehen. Mit einem Worte: was k?mmert ihn Hekuba? Ich w?rde viel darum geben, einmal zu sehen, wie dieser trockene Stock bei seiner Frau schl?ft.

Ein zweiter Charakterzug eines solchen Menschen ist: ein fanatischer Glaube an die Unfehlbarkeit der Wissenschaft und namentlich alles dessen, was die Deutschen schreiben. Er hat ein festes Vertrauen zu sich selbst und zu seinen Pr?paraten, kennt nach seiner ?berzeugung den Zweck des Menschenlebens und weiss absolut nichts von jenen Zweifeln und Entt?uschungen, von denen talentvolle M?nner graue Haare bekommen. Er hegt einen sklavischen Respekt vor Autorit?ten; das Bed?rfnis, selbst?ndig zu denken, kennt er nicht. Ihn zu einer andern Ansicht zu bringen ist schwer, mit ihm zu disputieren unm?glich. Man disputiere einmal mit einem Menschen, der fest ?berzeugt ist, die beste Wissenschaft sei die Medizin, die besten Menschen die ?rzte, die besten Traditionen die medizinischen. In Wirklichkeit hat sich von der recht ?blen Vergangenheit der Medizin nur ein einziger traditioneller Brauch erhalten: die weisse Krawatte, die die Doktoren jetzt tragen, und f?r einen Gelehrten und ?berhaupt f?r einen Gebildeten gibt es nur allgemein akademische Traditionen, ohne jede Scheidung in medizinische, juristische usw.; aber Peter Ignatjewitsch kann sich nicht entschliessen, das zuzugeben, und ist bereit, mit einem anders Gesinnten dar?ber bis zum J?ngsten Tage zu debattieren.

Seine Zukunft kann ich mir klar vorstellen. Er wird im Laufe seines ganzen Lebens mehrere hundert ausserordentlich saubere Pr?parate anfertigen, viele trockene, sehr korrekte Referate schreiben, etwa ein Dutzend gewissenhafte ?bersetzungen herstellen; aber das Pulver wird er nicht erfinden. Zum Pulvererfinden geh?ren Phantasie, Erfindungsgabe, Kombinationssinn, und von solchen Dingen besitzt Peter Ignatjewitsch nichts. Kurz, er ist in der Wissenschaft nicht ein Hausherr, sondern ein Arbeitsmann.

Wir drei, ich, Peter Ignatjewitsch und Nikolai, sprechen halblaut miteinander. Es ist uns nicht recht behaglich zumute. Es ist doch ein besonderes Gef?hl, wenn man auf der anderen Seite der T?r die Zuh?rerschar wie ein Meer l?rmen h?rt. In diesen ganzen dreissig Jahren habe ich mich an dieses Gef?hl nicht gew?hnt und empfinde es jeden Morgen mit Missbehagen. Nerv?s kn?pfe ich mir den Rock zu, richte an Nikolai ?berfl?ssige Fragen und ?rgere mich ?ber mich selbst. Es sieht ganz so aus, als ob ich feige w?re; aber es ist nicht Feigheit, sondern etwas anderes, was ich weder zu benennen noch zu beschreiben imstande bin.

Ohne dass es n?tig w?re, sehe ich nach der Uhr und sage:

>>Nun, wie ist's? Wir m?ssen gehen.<<

Und wir schreiten in folgender Ordnung einher: voran geht Nikolai mit den Pr?paraten oder den grossen Abbildungen, hinter ihm ich, und hinter mir wandelt, den Kopf bescheiden gebeugt, das Lastpferd; oder aber es wird, wenn es n?tig ist, vor uns her auf einer Bahre ein Leichnam getragen, hinter dem Leichnam geht Nikolai usw. Bei meinem Erscheinen stehen die Studenten auf; dann setzen sie sich wieder, und das Get?se des Meeres verstummt pl?tzlich. Es tritt Windstille ein.

Ich weiss, wor?ber ich zu sprechen habe; aber ich weiss nicht, wie ich sprechen und womit ich anfangen und aufh?ren werde. In meinem Kopfe ist kein einziger fertiger Satz vorhanden. Aber ich brauche nur meinen H?rsaal anzusehen und die herk?mmlichen Worte: >>In der vorigen Vorlesung sind wir bei ... stehen geblieben<<, zu sprechen, so kommen die S?tze in langer Reihe aus meinem Innern herausgestr?mt, und nun bin ich im Zuge! Ich rede mit unaufhaltsamer Schnelligkeit und grosser W?rme, und man m?chte glauben, dass es keine Gewalt gebe, die den Lauf meiner Rede unterbrechen k?nnte. Um gut vorzutragen, d. h. so, dass das Interesse der Zuh?rer geweckt wird und sie Nutzen davon haben, muss man ausser dem Talente auch noch eine gewisse Kunstfertigkeit und Erfahrung besitzen; man muss eine klare Vorstellung von der eigenen Kraft, von der Pers?nlichkeit der Zuh?rer und von dem Gegenstande des Vortrages haben. Ausserdem muss man ein energischer Mensch sein, muss scharf beobachten und darf keinen Teil des Gesichtsfeldes auch nur f?r eine Sekunde aus den Augen verlieren.

Ein guter Kapellmeister verrichtet, wenn er den Gedanken eines Komponisten zu Geh?r bringt, zwanzig verschiedene Dinge zu gleicher Zeit: er liest die Partitur, schwingt den Taktstock, beobachtet den S?nger, macht eine Bewegung zur Seite hin bald nach der Trommel, bald nach dem Waldhorn usw. Ebenso mache auch ich es, wenn ich vortrage. Vor mir habe ich hundertf?nfzig Gesichter, von denen keines dem anderen ?hnlich ist, und dreihundert Augen, die mir gerade ins Gesicht schauen. Mein Ziel ist, diese vielk?pfige Hydra zu besiegen. Wenn ich w?hrend meines Vortrages in jedem Augenblicke eine klare Vorstellung von dem Grade der Aufmerksamkeit und des Verst?ndnisses meiner Zuh?rer habe, dann sind diese in meiner Gewalt. Ein anderer Gegner steckt in mir selbst. Dies ist die endlose Mannigfaltigkeit der Formen, Erscheinungen und Gesetze und die dadurch bedingte F?lle eigener und fremder Gedanken. In jedem Augenblick muss ich die Geschicklichkeit besitzen, aus diesem gewaltigen Material das Wichtigste und Notwendigste herauszugreifen und ebenso schnell, wie meine Rede dahinfliesst, meine Gedanken in eine solche Form zu kleiden, dass sie dem Verst?ndnis der vielk?pfigen Zuh?rerschaft angemessen ist und deren Interesse erwecken kann, wobei genau darauf zu achten ist, dass die Gedanken nicht so, wie sie sich angeh?uft haben, sondern in einer gewissen Ordnung ?bermittelt werden, die zu einer regelrechten Komposition des Gem?ldes, das ich entwerfen will, unerl?sslich ist. Ferner gebe ich mir M?he, daf?r zu sorgen, dass mein Vortrag sprachlich korrekt, die Definitionen kurz und bestimmt, der Satzbau m?glichst einfach und sch?n sei. Jeden Augenblick muss ich mich selbst z?geln und mir ins Ged?chtnis zur?ckrufen, dass ich nur eine Stunde und vierzig Minuten zur Verf?gung habe. Kurz, es ist genug zu tun. Ich muss mich gleichzeitig als Gelehrter, als P?dagog und als Redner bet?tigen, und es w?re ein schlimmes Ding, wenn der Redner in mir ?ber den P?dagogen und Gelehrten den Sieg davontr?ge, oder umgekehrt.

Man tr?gt eine Viertelstunde, eine halbe Stunde vor, und da bemerkt man, dass die Studenten nach der Zimmerdecke und nach Peter Ignatjewitsch zu blicken anfangen, und dass einer sein Taschentuch hervorholt, ein anderer sich bequemer hinsetzt, ein dritter ?ber seine eigenen Gedanken l?chelt. Das sind Anzeichen daf?r, dass die Aufmerksamkeit m?de und stumpf wird. Dagegen m?ssen Massregeln ergriffen werden. Ich benutze die erste geeignete Gelegenheit, um irgendein Sp?sschen anzubringen. Alle hundertf?nfzig Gesichter verziehen sich zu einem breiten L?cheln, die Augen leuchten vergn?gt auf, das Brausen des Meeres l?sst sich f?r kurze Zeit wieder vernehmen. Ich lache ebenfalls. Die Aufmerksamkeit ist wieder angefrischt, und ich kann fortfahren.

Kein Sport, keine Zerstreuungen und Spiele haben mir jemals einen solchen Genuss gew?hrt wie das Halten von Vorlesungen. Nur bei den Vorlesungen konnte ich mich ganz meinem Affekte ?berlassen und verstand, dass die Eingebung nicht eine Erfindung der Dichter ist, sondern tats?chlich existiert. Und ich glaube, Herkules hat nach der grossartigsten seiner Heldentaten nicht eine so wonnige Ermattung empfunden, wie ich sie jedesmal nach einer Vorlesung durchmachte.

So war das fr?her. Jetzt dagegen empfinde ich bei den Vorlesungen nur Qual. Es vergeht keine halbe Stunde, so beginne ich in den Beinen und Schultern eine un?berwindliche Schw?che zu f?hlen; ich setze mich auf den Stuhl; aber im Sitzen vorzutragen ist mir ungewohnt; eine Minute darauf stehe ich wieder auf und fahre stehend fort; dann setze ich mich von neuem hin. Die Mundh?hle wird mir trocken, die Stimme heiser, der Kopf schwindlig. Um den Zuh?rern meinen Zustand zu verbergen, trinke ich ?fters Wasser, huste, schneuze mich oft, als ob mir ein Schnupfen l?stig w?re, mache an unpassenden Stellen Sp?sse und schliesse zuletzt die Vorlesung fr?her, als es in der Ordnung ist. Aber haupts?chlich sch?me ich mich.

Gewissen und Verstand sagen mir, dass das Beste, was ich jetzt tun k?nnte, w?re: den Studenten eine Abschiedsvorlesung zu halten, ihnen Lebewohl zu sagen, ihnen alles Gute f?r ihren weiteren Lebensweg zu w?nschen und meinen Platz jemandem abzutreten, der j?nger und kr?ftiger ist als ich. Aber Gott m?ge mich richten: es fehlt mir der Mut, so zu handeln, wie mich mein Gewissen handeln heisst. Ungl?cklicherweise bin ich weder ein Philosoph noch ein Theologe. Ich weiss ganz genau, dass ich nicht mehr l?nger als ein halbes Jahr leben werde; man sollte nun meinen, jetzt m?ssten mich vor allem die Fragen nach den Visionen, die meinen Schlaf im Grabe vielleicht heimsuchen werden, und nach dem dunklen Dasein im Jenseits besch?ftigen. Aber merkw?rdigerweise will meine Seele von diesen Fragen nichts wissen, obwohl der Verstand die hohe Wichtigkeit derselben anerkennt. Wie vor zwanzig bis dreissig Jahren, so interessiert mich auch jetzt vor dem Tode ausschliesslich die Wissenschaft. Wenn ich meinen letzten Seufzer ausstosse, so werde ich doch noch an dem Glauben festhalten, dass die Wissenschaft das Wichtigste, Sch?nste und Notwendigste im Leben ist, dass sie immer die h?chste Offenbarung der Liebe gewesen ist und sein wird, und dass nur durch sie der Mensch die Natur und sich selbst besiegen kann. Dieser Glaube ist vielleicht naiv und mangelhaft begr?ndet; aber ich kann nichts daf?r, dass ich diesen Glauben habe und keinen andern; und diesen Glauben in mir zu zerst?ren, dazu bin ich ausserstande.

Aber darum handelt es sich nicht. Ich bitte nur, man wolle meine Schw?che nachsichtig beurteilen und es sich klar machen, dass, wenn man einen Menschen, den die Ver?nderungen des Knochenmarkes mehr interessieren als das Endziel des Weltgeb?udes, von seinem Katheder und von seinen Sch?lern wegreisst, dies dasselbe bedeutet, wie wenn man, ohne zu warten, bis er gestorben ist, ihn in einen Sarg legen und diesen zunageln wollte.

Infolge der Schlaflosigkeit und des anstrengenden Kampfes mit der zunehmenden Schw?che begegnet mir etwas ganz Seltsames. Mitten in der Vorlesung steigen mir pl?tzlich die Tr?nen in die Kehle, die Augen fangen mir an zu jucken, und ich empfinde den leidenschaftlichen, hysterischen Wunsch, die Arme nach vorn zu strecken und laut zu klagen. Ich m?chte es laut hinausschreien, dass das Schicksal mich, den ber?hmten Mann, zum Tode verurteilt hat, dass nach ungef?hr einem halben Jahre hier in diesem Auditorium schon ein anderer walten wird. Ich m?chte es hinausschreien, dass ich vergiftet bin; neue Gedanken, die ich fr?her nicht gekannt habe, haben meine letzten Lebenstage vergiftet und stechen fortdauernd mein Gehirn wie Moskitos. Und meine Lage erscheint mir bei solchen Anf?llen so furchtbar, dass ich w?nsche, alle meine H?rer m?chten einen entsetzlichen Schreck bekommen, von ihren Pl?tzen aufspringen und in panischer Angst mit verzweifeltem Geschrei zum Ausgang hinst?rzen.

Es ist nicht leicht, solche Augenblicke zu durchleben.

Nach der Vorlesung sitze ich bei mir zu Hause und arbeite. Ich lese Zeitschriften und Dissertationen oder bereite mich auf die folgende Vorlesung vor; manchmal schreibe ich auch etwas. Ich arbeite mit Unterbrechungen, da ich dabei Besucher empfangen muss.

Die Klingel ert?nt. Ein Kollege ist gekommen, um mit mir etwas Gesch?ftliches zu besprechen. Er tritt mit Hut und Stock in mein Zimmer, streckt mir in jeder Hand einen dieser Gegenst?nde entgegen und sagt:

>>Ich komme nur auf einen Augenblick, nur auf einen Augenblick! Bleiben Sie sitzen, Kollege! Nur zwei Worte!<<

Zun?chst suchen wir einander zu zeigen, dass wir beide ausserordentlich h?fliche Menschen und beide sehr erfreut sind, einander zu sehen. Ich n?tige ihn in einen Lehnsessel, und er sucht mich zum Sitzen zu veranlassen; dabei streicheln wir uns wechselseitig behutsam an der Rocktaille und ber?hren die Kn?pfe des andern; es sieht so aus, als ob wir einander betasteten, uns aber hierbei zu verbrennen f?rchteten. Wir lachen beide, obwohl wir nichts L?cherliches sagen. Nachdem wir zum Sitzen gekommen sind, beugen wir uns mit den K?pfen zueinander und beginnen halblaut zu reden. M?gen wir einander auch noch so freundlich gesinnt sein, es ist dennoch unumg?nglich n?tig, dass wir unsere Reden mit allerlei chinesischen Phrasen vergolden, als da sind: >>Sie beliebten sehr richtig zu bemerken<<, oder: >>Wie ich schon die Ehre hatte Ihnen zu sagen<<, und es ist unumg?nglich n?tig, dass wir lachen, wenn einer von uns einen Witz macht, mag er auch noch so geringwertig sein. Nach Beendigung des gesch?ftlichen Gespr?ches steht der Kollege mit einer hastigen Bewegung auf, weist mit seinem Hute nach meiner Arbeit hin und beginnt sich zu empfehlen. Wieder betasten wir uns gegenseitig und lachen dabei. Ich begleite ihn bis ins Vorzimmer; hier bin ich meinem Kollegen beim Anziehen des Pelzes behilflich; aber er wehrt sich in jeder Weise gegen diese hohe Ehre. Wenn dann Jegor die T?r ?ffnet, versichert mir der Kollege, ich w?rde mich erk?lten; ich aber tue, als h?tte ich vor, sogar bis auf die Strasse hinter ihm her zu gehen. Und wenn ich dann endlich in mein Arbeitszimmer zur?ckkehre, so f?hrt mein Gesicht, wohl infolge des Beharrungsverm?gens, immer noch fort zu l?cheln.

Nach einem Weilchen klingelt es wieder. Es tritt jemand ins Vorzimmer, zieht sich lange aus und hustet. Jegor meldet, es sei ein Student da. Ich sage: >>Ich lasse bitten.<< Einen Augenblick darauf tritt ein junger Mensch von angenehmem ?ussern in mein Zimmer. Schon seit einem Jahre stehen wir beide miteinander auf gespanntem Fusse: er gibt bei mir im Examen abscheulich schlechte Antworten, und ich erteile ihm das Pr?dikat Nicht gen?gend. Solcher jungen Leute, die ich, um studentisch zu reden, durchplumpsen oder durchrasseln lasse, sammeln sich bei mir im Laufe eines Jahres ungef?hr sieben St?ck an. Diejenigen unter ihnen, die das Examen wegen Unf?higkeit oder wegen Krankheit nicht bestehen, tragen ihr Kreuz gew?hnlich mit Geduld und machen nicht den Versuch, mich umzustimmen; dagegen neigen die Sanguiniker dazu, zu mir ins Haus zu kommen und mit mir zu feilschen und zu handeln; das sind leichtlebige Naturen, denen die N?tigung, das Examen noch einmal abzulegen, den Appetit verdirbt und an regelm?ssigem Besuche der Oper hinderlich ist. Den ersteren gegen?ber ?be ich gern Nachsicht; aber die zweite Sorte lasse ich ein ganzes Jahr lang durchfallen.

>>Nehmen Sie Platz,<< sage ich zu dem Besucher. >>Was bringen Sie?<<

>>Entschuldigen Sie die St?rung, Herr Professor,<< beginnt er stotternd und ohne mir ins Gesicht zu sehen. >>Ich h?tte nicht gewagt, Sie zu bel?stigen, wenn ich nicht ... Ich habe bei Ihnen schon f?nfmal das Examen gemacht und ... und bin durchgefallen. Ich bitte Sie inst?ndig, haben Sie die G?te und geben Sie mir Gen?gend; denn ...<<

Die Begr?ndung, die alle Faulpelze zu ihren Gunsten vorbringen, ist immer ein und dieselbe: sie h?tten das Examen in allen F?chern sehr gut bestanden, nur in meinem seien sie durchgefallen, und dies sei um so erstaunlicher, da sie gerade in meinem Fache immer sehr fleissig studiert h?tten und gut darin Bescheid w?ssten; sie seien nur infolge irgendeines unbegreiflichen Missverst?ndnisses durchgefallen.

>>Entschuldigen Sie, lieber Freund,<< sage ich zu dem Besucher, >>gen?gend kann ich Ihnen nicht geben. Repetieren Sie noch ein bisschen, und kommen Sie dann wieder! Dann wollen wir sehen.<<

Es tritt in dem Gespr?che eine Pause ein. Es reizt mich, den Studenten ein bisschen zu qu?len, zur Strafe daf?r, dass er das Bier und die Oper mehr liebt als die Wissenschaft, und ich sage mit einem Seufzer:

>>Meiner Ansicht nach ist das Beste, was Sie jetzt tun k?nnen, ganz aus der medizinischen Fakult?t auszutreten. Wenn es Ihnen bei Ihren Anlagen schlechterdings nicht gelingen will, das Examen zu bestehen, so haben Sie offenbar weder die Neigung noch den Beruf dazu, Arzt zu werden.<<

Das Gesicht des Sanguinikers zieht sich in die L?nge.

>>Verzeihen Sie, Herr Professor,<< erwidert er l?chelnd, >>aber das w?rde doch von meiner Seite wenigstens sehr sonderbar sein. F?nf Jahre zu studieren und dann auf einmal abzuspringen!<<

>>Nun ja, gewiss! Aber es ist doch besser, f?nf Jahre zu verlieren, als nachher das ganze Leben lang eine T?tigkeit auszu?ben, die man nicht liebt.<<

Aber sogleich f?ngt er mir auch an leid zu tun, und ich beeile mich hinzuzuf?gen:

>>Handeln Sie ?brigens, wie es Ihnen gut scheint! Also arbeiten Sie noch ein bisschen, und kommen Sie dann wieder!<<

>>Wann?<< fragt der Faulpelz in dumpfem Tone.

>>Wann Sie wollen. Meinetwegen morgen.<<

Und in seinen gutm?tigen Augen lese ich den Gedanken: >>Kommen k?nnte ich schon; aber du Racker w?rdest mich ja doch wieder durchfallen lassen!<<

>>Gewiss,<< sage ich, >>Sie werden nicht gelehrter dadurch werden, wenn Sie sich noch f?nfzehnmal von mir examinieren lassen; aber es wird zu Ihrer Charakterbildung beitragen. Und das ist doch auch ein sch?ner Gewinn.<<

Es folgt wieder eine Pause. Ich erhebe mich und warte, dass der Besucher fortgeht; aber er bleibt stehen, blickt nach dem Fenster hin, zupft an seinem B?rtchen und ?berlegt. Die Sache beginnt langweilig zu werden.

Die Stimme des Sanguinikers ist angenehm und vollt?nend, seine Augen verst?ndig und etwas sp?ttisch, das Gesicht seelengut, vom vielen Biertrinken und dem langen Herumliegen auf dem Sofa ein wenig aufgedunsen; anscheinend k?nnte er mir viel Interessantes ?ber die Oper, ?ber seine Liebesabenteuer und ?ber die Kommilitonen, die er gern hat, erz?hlen; aber leider ist es nicht ?blich, von dergleichen zu sprechen. Ich w?rde es ganz gern h?ren.

>>Herr Professor, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort: wenn Sie mir Gen?gend geben, so werde ich ...<<

Sowie das Gespr?ch beim Ehrenworte angelangt ist, winke ich abwehrend mit den H?nden und setze mich an den Tisch. Der Student denkt noch eine Minute lang nach und sagt dann niedergeschlagen:

>>Dann also adieu ... Entschuldigen Sie!<<

>>Adieu, lieber Freund. M?ge es Ihnen gut gehen!<<

Er geht unentschlossen in das Vorzimmer und zieht sich dort langsam an; nachdem er auf die Strasse hinausgetreten ist, denkt er wahrscheinlich nochmals lange nach. Aber da ihm nichts weiter einf?llt als mit Bezug auf mich >>Alter Satan!<< vor sich hinzumurmeln, geht er in ein schlechtes Restaurant, um Bier zu trinken und Mittagbrot zu essen, und dann nach Hause, um zu schlafen. Friede deiner Asche, du ehrlicher Freund der Arbeit!

Es klingelt zum dritten Male. In mein Zimmer tritt ein junger Arzt in einem neuen, schwarzen Anzuge, mit einer goldenen Brille und selbstverst?ndlich mit einer weissen Krawatte. Er stellt sich vor. Ich bitte ihn, Platz zu nehmen, und frage, was zu seinen Diensten steht. Nicht ohne eine gewisse Erregung beginnt der junge Priester der Wissenschaft mir zu erz?hlen, er habe in diesem Jahre sein Doktorexamen bestanden und m?sse jetzt nur noch eine Dissertation schreiben. Er m?chte gern bei mir, unter meiner Leitung, arbeiten, und ich w?rde ihn zu grossem Dank verpflichten, wenn ich ihm ein Thema f?r seine Dissertation angeben wollte.

>>Ich freue mich sehr, Ihnen n?tzlich sein zu k?nnen, Herr Kollege,<< sage ich. >>Aber lassen Sie uns zun?chst dar?ber einig werden, was denn eigentlich eine Dissertation ist. Unter diesem Worte pflegt man doch eine Abhandlung zu verstehen, die ein Produkt selbst?ndigen Schaffens darstellt. Nicht wahr? Eine Abhandlung aber, die ?ber ein fremdes Thema und unter fremder Leitung geschrieben ist, die nennt man anders ...<<

Der Doktorand schweigt. Ich werde hitzig und springe von meinem Stuhle auf.

>>Ich begreife nicht, warum die Herren alle zu mir kommen!<< rufe ich ?rgerlich. >>Bin ich denn ein H?ndler? Ich habe keine Themata feil! Zum tausendundersten Male bitte ich Sie alle, mich in Ruhe zu lassen! Entschuldigen Sie meine Taktlosigkeit; aber die Sache ist mir wahrhaftig schliesslich zum Ekel geworden!<<

Der Doktorand schweigt, und nur in der Gegend der Backenknochen erscheint auf seinem Gesicht eine leichte R?te. Seine Miene dr?ckt eine hohe Achtung vor meinem ber?hmten Namen und vor meiner Gelehrsamkeit aus; aber an seinen Augen sehe ich, dass er mich wegen meines erregten Tones und wegen meiner kl?glichen Gestalt und wegen meiner nerv?sen Bewegungen geringsch?tzt. Ich erscheine ihm in meinem Zorne als ein wunderlicher Geselle.

>>Ich bin kein H?ndler!<< wiederhole ich ?rgerlich. >>Es ist doch auch wunderlich: warum wollen Sie denn nicht selbst?ndig sein? Warum ist Ihnen denn die Freiheit so zuwider?<<

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