Read Ebook: Das Heim und die Welt by Tagore Rabindranath Meyer Franck Helene Translator
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Ebook has 1600 lines and 70095 words, and 32 pages
>>Wenn sie so lange ohne mich fertig geworden ist, kann sie es auch noch etwas l?nger. Sie wird schon nicht aus Sehnsucht nach mir zugrunde gehen.<<
>>Ach, meinetwegen mag sie zugrunde gehen. Darum mache ich mir keine Sorge. Ich denke an mich selbst.<<
>>O, wirklich! Was ist es denn mit dir?<<
Mein Gatte l?chelte schweigend.
Ich kannte seine Art und wehrte mich sogleich dagegen:
>>Nein, nein, so entkommst du mir nicht. Ich muss wissen, was es ist.<<
>>L?sst sich denn alles mit Worten sagen?<<
>>Bitte, h?re auf in R?tseln zu sprechen! Sag' mir...<<
>>Was ich m?chte, ist, dass wir draussen auch in der Welt unser Leben ganz miteinander teilten. Hier bleiben wir uns beide noch etwas schuldig.<<
>>Fehlt denn irgend etwas in der Liebe, die wir hier zu Hause einander geben?<<
>>Hier gehst du ganz in mir auf. Du weisst weder, was du hast, noch, was dir fehlt.<<
>>Ich mag nicht h?ren, wenn du so redest.<<
>>Ich m?chte, dass du mitten in das Leben und Treiben hinausk?mest und die Wirklichkeit kennenlerntest. Du bist nicht dazu geschaffen, nur Tag f?r Tag deine h?uslichen Pflichten zu erf?llen und dein ganzes Leben in der Plackerei des Haushalts zwischen den engen Mauern zuzubringen, die die Traditionen um die Frau aufgerichtet haben. Erst wenn wir draussen in der Welt der Wirklichkeit uns sehen und erkennen, wird unsere Liebe vollkommen und wahr sein.<<
>>Wenn uns hier irgend etwas daran hindert, uns ganz zu erkennen, kann ich nichts sagen. Aber ich meinesteils f?hle nicht, dass irgend etwas fehlt.<<
>>Gut, aber wenn auch das Hindernis nur auf meiner Seite ist, solltest du da nicht helfen, es zu beseitigen?<<
Solche Gespr?che wiederholten sich ?fters. Eines Tages sagte er: >>Der Mensch, der Verlangen hat nach seinem geschmorten Fisch, hat in seiner Gier keine Gewissensbisse, wenn er den Fisch nach seinem Bed?rfnis zerschneidet. Aber der, der den Fisch liebt, m?chte sich im Wasser an ihm freuen, und wenn das unm?glich ist, wartet er am Ufer, und selbst wenn er nach Hause kommt, ohne ihn erblickt zu haben, so hat er den Trost, zu wissen, dass der Fisch gut aufgehoben ist. Jemanden in seiner Vollkommenheit besitzen d?rfen, ist der h?chste Gewinn, aber wenn dies unm?glich ist, so ist der zweith?chste, auf den Besitz zugunsten der Vollkommenheit des andern zu verzichten.<<
Ich h?rte meinen Gatten nicht gern so ?ber diesen Gegenstand sprechen, aber nicht das war der Grund, weshalb ich mich weigerte, die Frauengem?cher zu verlassen. Seine Grossmutter war noch am Leben. Mein Gatte hatte mehr als neunundneunzig Prozent des Hauses mit dem zwanzigsten Jahrhundert angef?llt, sehr gegen ihren Geschmack, aber doch hatte sie es, ohne zu klagen, geduldet. Sie w?rde es ebenso geduldet haben, wenn die Gemahlin des Radscha ihre Zur?ckgezogenheit aufgegeben h?tte. Sie war sogar darauf gefasst, dass dies geschehen k?nnte. Aber mir schien die Sache nicht wichtig genug, um ihr diesen Schmerz anzutun. Ich habe in B?chern gelesen, dass man uns als >>V?gel im K?fig<< bezeichnet. Ich weiss nicht, wie es mit andern ist, aber f?r mich umschloss dieser K?fig so viel, dass es in der ganzen Welt nicht Platz gehabt h?tte, -- so empfand ich es wenigstens damals.
Die Grossmutter, die schon sehr alt war, hielt sehr viel von mir. Ihrer Liebe lag wohl der Gedanke zugrunde, dass ich mit Hilfe der mir g?nstigen Sterne es vermocht hatte, die Liebe meines Gatten zu gewinnen. Hatten nicht die M?nner von Natur den Hang, in Laster zu versinken? Keine von den andern war mit all ihrer Sch?nheit imstande gewesen, ihren Gatten davon zur?ckzuhalten, dass er Hals ?ber Kopf dem h?llischen Abgrund zust?rzte, der ihn verschlang und vernichtete. Sie glaubte, dass ich das Mittel gewesen sei, jene Leidenschaften auszul?schen, die den M?nnern ihrer Familie so verderblich geworden waren. Daher h?tete sie mich wie ihren gr?ssten Schatz und zitterte, sobald mir nur das Geringste fehlte.
Die Grossmutter mochte die Kleider und Schmucksachen nicht leiden, die mein Gatte in europ?ischen L?den kaufte, um sie mir umzuh?ngen. Aber sie ?berlegte: Die M?nner m?ssen nun einmal irgendein n?rrisches Steckenpferd haben, das allemal viel Geld kostet. Es hat keinen Zweck, zu versuchen, sie daran zu hindern; man kann nur froh sein, wenn sie sich nicht ganz dabei zugrunde richten. Wenn mein Nikhil nicht immer damit besch?ftigt w?re, seine Frau mit sch?nen Kleidern zu umh?ngen, wer weiss, an wen er sonst sein Geld verschwenden w?rde. Daher liess sie, immer wenn ein neues Kleid f?r mich ankam, meinen Gatten rufen und freute sich mit ihm dar?ber.
Und so kam es, dass sie es war, die ihren Geschmack ?nderte. Ja, sie wurde so sehr von dem modernen Geist beeinflusst, dass kein Abend hingehen durfte, ohne dass ich ihr Geschichten aus englischen B?chern erz?hlte.
Nach dem Tode seiner Grossmutter wollte mein Gatte gern, dass ich mit ihm nach Kalkutta ?bersiedelte. Aber ich konnte mich nicht dazu entschliessen. War dies nicht unser Haus, das sie in allen Leiden und K?mmernissen unter ihrer sorgenden Hut gehabt hatte? W?rde nicht ein Fluch mich treffen, wenn ich es verliesse und fortz?ge in die Stadt? Dies war der Gedanke, der mich zur?ckhielt, als ihr leerer Platz mich vorwurfsvoll ansah. Diese edle Frau war mit acht Jahren in dies Haus gekommen, und als sie starb, war sie achtundsiebzig. Sie hatte kein gl?ckliches Leben gehabt. Das Schicksal hatte Pfeil auf Pfeil gegen ihre Brust geschleudert und hatte doch nur immer mehr die unzerst?rbare Kraft ihrer Seele hervorstr?men lassen. Dies grosse Haus war durch ihre Tr?nen geweiht. Was sollte ich fern von ihm, im Staub von Kalkutta?
Mein Gatte hatte die Vorstellung, dass wir auf diese Weise meiner Schw?gerin den Trost verschaffen k?nnten, Herrin im Hause zu sein, und zugleich unserm Leben mehr Raum verschaffen w?rden, sich auszudehnen. Aber gerade hierin konnte ich ihm nicht zustimmen. Sie hatte mir das Leben zur Plage gemacht, sie missg?nnte meinem Gatten sein Gl?ck, und daf?r sollte sie jetzt belohnt werden! Und wenn wir nun eines Tages hierher zur?ckkehren wollten? W?rde ich da den ersten Platz wiederbekommen?
>>Was willst du mit dem ersten Platz?<< pflegte mein Gatte zu sagen. >>Gibt es denn nichts Wertvolleres im Leben?<<
Die M?nner verstehen solche Dinge nie. Sie haben ihre Nester draussen, sie kennen nicht die ganze Bedeutung des h?uslichen Lebens. In diesen Dingen sollten sie der weiblichen F?hrung folgen. -- So dachte ich damals.
F?r mich war der Hauptpunkt der, dass man sein Recht vertreten m?sse. Fortgehen und alles in den H?nden des Feindes lassen, das w?re so gut wie das Eingest?ndnis einer Niederlage gewesen.
Aber warum zwang mein Gatte mich nicht, mit ihm nach Kalkutta zu gehen? Ich weiss den Grund. Er machte keinen Gebrauch von seiner Gewalt, gerade weil er sie hatte.
Wenn jemand nach und nach die Kluft zwischen Tag und Nacht ausf?llen wollte, so w?rde er eine Ewigkeit dazu brauchen. Aber die Sonne geht auf, und die Dunkelheit ist verscheucht -- ein Augenblick gen?gt, einen unendlichen Abstand zu ?berwinden.
Eines Tages begann in Bengalen die neue Zeit der Swadeschi-Bewegung; aber wie es dazu kam, davon hatten wir keine klare Vorstellung. Es war kein allm?hlicher ?bergang von der Vergangenheit zur Gegenwart. Das ist, glaube ich, der Grund, warum die neue Epoche wie eine Flut ?ber unser Land kam, die Deiche durchbrechend und all unsre Klugheit und Furcht mit sich fortreissend. Wir hatten nicht einmal Zeit, dar?ber nachzudenken oder zu begreifen, was geschehen war oder was geschehen sollte.
Mein Herz und meine Sinne, meine Hoffnungen und meine W?nsche flammten auf in der Leidenschaft dieser neuen Zeit. Wenn auch bis jetzt die Mauern des Heims, das meinem Geiste doch letzten Endes die Welt bedeutet hatte, noch nicht zerbrochen waren, so blickte ich doch ?ber sie hinaus in die Weite und h?rte vom fernen Horizonte her eine Stimme, deren Worte ich zwar nicht deutlich verstand, aber deren Ruf mir unmittelbar zum Herzen ging.
Seit der Zeit, wo mein Gatte auf der Universit?t studierte, hatte er versucht, dahin zu wirken, dass unser Volk die Dinge, die es brauchte, im eigenen Lande erzeugte. Es gibt in unserer Gegend sehr viele Dattelpalmen. Er versuchte, einen Apparat zu erfinden, womit der Saft aus den Fr?chten ausgepresst und dann zu Zucker und Sirup verkocht w?rde. Man sagte mir, der Apparat funktioniere sehr gut, aber er presste doch noch mehr Geld aus dem Unternehmer heraus als Saft aus den Datteln. Bald kam mein Gatte zu dem Schluss, dass unsre Versuche, unsre Industrie wieder zu beleben, keinen Erfolg haben konnten, solange wir keine eigene Bank hatten. Er versuchte damals, mich in die Volkswirtschaft einzuf?hren. Dies allein h?tte nun zwar nicht viel geschadet, aber er hatte es sich in den Kopf gesetzt, auch seinen Landsleuten seine Ideen beizubringen und so den Weg f?r eine Bank zu bahnen; und dann er?ffnete er auch tats?chlich ein kleines Bankgesch?ft. Die hohen Zinsen jedoch, die bewirkten, dass die Dorfleute begeistert herbeistr?mten, um ihr Geld hineinzutun, richteten bald die Bank g?nzlich zugrunde.
Die alten Gutsverwalter waren bek?mmert und ?ngstlich. Die Feinde triumphierten. Von der ganzen Familie blieb nur meines Gatten Grossmutter gelassen und ruhig. Sie schalt mich, indem sie sagte: >>Warum qu?lt ihr ihn alle so? K?mmert ihr euch sonst um das Schicksal des Gutes? Wie oft habe ich schon erlebt, dass dies Gut dem Steuereinnehmer verpf?ndet wurde! Sind die M?nner denn wie die Frauen? Die M?nner sind geborene Verschwender und k?nnen nur Geld durchbringen. Sieh einmal, mein Kind, du solltest dich gl?cklich sch?tzen, dass dein Gatte nicht auch noch seine Gesundheit durchbringt!<<
Die Liste derer, die von meinem Gatten unterst?tzt wurden, war sehr lang. Wer nur einen neuen Webstuhl oder eine neue Reisenth?lsungsmaschine erfinden wollte, dem stand er bei bis zum g?nzlichen Ruin. Aber was mich am meisten ?rgerte, war die Art, wie Sandip Babu ihn ausbeutete, indem er seine Arbeit f?r die Swadeschi-Bewegung als Vorwand gebrauchte. Was es auch war, sei es nun, dass er eine Zeitung gr?nden oder eine Vortragsreise f?r die Sache unternehmen wollte, oder dass er nach Ansicht seines Arztes Luftver?nderung brauchte, mein Gatte gab immer hin, ohne zu fragen. Und dies gew?hrte er Sandip Babu noch ausser der festgesetzten Summe, die dieser regelm?ssig f?r seinen Unterhalt von ihm erhielt. Das Merkw?rdigste dabei war, dass mein Gatte und Sandip Babu in ihren Ansichten gar nicht ?bereinstimmten.
Sobald der Sturm der Swadeschi-Bewegung auch mir ins Blut gefahren war, sagte ich zu meinem Gatten: >>Ich muss alle meine ausl?ndischen Kleider verbrennen.<<
>>Warum willst du sie verbrennen?<< sagte er. >>Du brauchst sie ja nicht zu tragen, solange du nicht willst.<<
>>Solange ich nicht will! Mein ganzes Leben lang...<<
>>Gut, trage sie denn nicht mehr! Aber wozu gleich feierlich einen Scheiterhaufen errichten?<<
>>Wolltest du mich in meinem Entschluss hindern?<<
>>Was ich dir sagen m?chte, ist dies: Warum wollt ihr nicht lieber versuchen aufzubauen? Ihr solltet auch nicht einmal den zehnten Teil eurer Kraft in diesem zerst?renden Hass vergeuden.<<
>>Dieser Hass wird uns die Kraft geben, aufzubauen.<<
>>Das ist, als ob ihr sagtet, ihr k?nntet das Haus nicht erleuchten, ohne es anzuz?nden.<<
Bald kam ein neuer Verdruss. Als Miss Gilby zuerst in unser Haus gekommen war, hatte es grosse Aufregung gegeben, die sich dann allm?hlich beruhigte, als man sich an sie gew?hnte. Jetzt wurde die ganze Sache von neuem aufger?hrt. Ich hatte mich vorher nicht darum gek?mmert, ob Miss Gilby Europ?erin oder Indierin sei, aber jetzt war es mir nicht mehr einerlei. Ich sagte zu meinem Gatten: >>Wir m?ssen Miss Gilby aus dem Hause schaffen.<<
Er schwieg.
Ich wurde heftig, und er ging traurig fort.
Nachdem ich mich ausgeweint hatte, war ich des Abends, als wir uns wiedersahen, etwas ruhiger gestimmt. >>Ich kann Miss Gilby nicht durch einen Nebel von abstrakten Theorien ansehen,<< sagte mein Gatte, >>nur weil sie Engl?nderin ist. Kannst du nach einer so langen Bekanntschaft nicht ?ber die Schranke eines blossen Namens wegkommen? Kannst du nicht daran denken, dass sie dich liebt?<<
Ich war ein wenig besch?mt und antwortete etwas gereizt: >>Meinethalben lass sie bleiben. Ich bin nicht darauf erpicht, sie fortzuschicken.<<
Und Miss Gilby blieb.
Aber eines Tages h?rte ich, dass ein junger Bursche sie auf dem Wege zur Kirche beschimpft hatte. Es war ein Junge, den wir unterst?tzten. Mein Gatte wies ihn aus dem Hause. Es gab an jenem Tage niemand, der meinem Gatten diese Tat verzeihen konnte, -- selbst ich nicht. Diesmal ging Miss Gilby von selbst. Sie weinte, als sie kam, um uns Lebewohl zu sagen, aber mein Zorn schmolz nicht. Den armen Jungen so zu verklatschen, -- und dabei war er ein so pr?chtiger Junge, der ?ber seiner Begeisterung f?r die nationale Sache Essen und Trinken vergass.
Mein Gatte brachte Miss Gilby in seinem eigenen Wagen zur Bahn. Ich fand, dass er viel zu weit ging. Und als ?bertriebene Ger?chte von diesem Vorfall Anlass zu einem ?ffentlichen Skandal gaben, ?ber den die Zeitungen herfielen, fand ich, dass ihm ganz recht geschehen sei.
Ich war durch meines Gatten Tun oft in Unruhe versetzt, aber nie vorher hatte ich mich seiner gesch?mt; doch jetzt musste ich f?r ihn err?ten. Ich wusste nicht genau, und es war mir auch gleichg?ltig, welches Unrecht der arme Noren Miss Gilby getan hatte oder getan haben sollte; aber wie konnte man in solcher Zeit ?ber so etwas zu Gericht sitzen! Ich h?tte die Gesinnung, die den kleinen Noren antrieb, der Engl?nderin seine Verachtung zu zeigen, nicht unterdr?cken m?gen. Ich konnte nicht anders als ein Zeichen von Schw?che darin sehen, dass mein Gatte eine so einfache Sache nicht begriff. Und daher err?tete ich f?r ihn.
Und doch lag es nicht so, dass mein Gatte sich weigerte, die Swadeschi-Bewegung zu unterst?tzen oder dass er irgendwie der nationalen Sache entgegenarbeitete. Er war nur nicht imstande, sich mit ganzem Herzen dem Geist des >>Bande Mataram<< hinzugeben.
>>Ich will gern meinem Lande dienen,<< sagte er, >>aber die Gerechtigkeit steht mir h?her als das Vaterland. Wer G?tzendienst mit seinem Vaterlande treibt, ruft einen Fluch darauf herab.<<
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