Read Ebook: Hôtel Buchholz. Ausstellungs-Erlebnisse der Frau Wilhelmine Buchholz by Stinde Julius
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Ebook has 1944 lines and 61999 words, and 39 pages
Bei jedem neuen Briefe mit dem Wunsche des Wiedersehens und der jetzt erst m?glichen Annahme der ?beraus liebensw?rdigen Einladung vom so und sovielten, Anno so und so, sagen wir >>Sehr sch?tzbar, aber wo unterbringen< Denn das Fremdenzimmer habe ich urspr?nglich f?r Ottilie bestimmt, die mit mir die Ausstellung studiren wird und ihr ungeheures Wissen hineintr?ufelt, wo ich eine Zuthat nothwendig erachte.
Sie ist die Tochter einer Halbcousine von mir und gepr?fte Lehrerin, womit sie sich ziemlich sorgenfrei ern?hrt, soweit das Leibliche in Betracht kommt. Mit dem Geistigen und den Nerven aber hat sie ihre Molesten. Wer versteht sie in dem Nest? Vielleicht Einige, aber mit denen geht sie ungl?cklicher Weise nicht um. Seit Jahren hat sie unb?ndige Gelehrtheit in sich aufgespeichert, von der sie nicht erleichtert wird, da sie nur in den Anfangsgr?nden unterrichtet, weshalb die Nerven unter fortw?hrendem, wissenschaftlichem Druck leiden. Sie schrieb mir, Berlin w?re der einzige Ort, mit seinen Kapazit?ten ihren Nerven aufzuhelfen, sie ginge zu Grunde in der geistigen Einsamkeit und so kam ich auf den Gedanken, sie als Ausstellungsvertraute heranzuziehen.
Mein Karl sagte: >>Es ist mir lieb, Dich draussen nicht allein zu wissen, denn ich kann Dich nicht so oft begleiten, als Du wegen Deiner Berichte Dich abstrappeziren musst. -- Aber wenn Ottilie das Fremdenzimmer bezieht, wo bleiben wir mit den anderen G?sten?<<
>>Karl,<< sagte ich, >>Ottilie schl?ft bei mir.<<
>>Und ich?<< unterbrach er mich.
>>Du wirst in der Fabrik eingerichtet.<<
>>Danke!<< -- --
>>Danke nicht eher, als bis Du siehst, wie gem?chlich Du es dort haben wirst. Fabrik und Haus sind durch den Zwischengang ein und dasselbe. Wollen wir die Kundschaft vor den Kopf stossen? Herr Ungermann hat sich angemeldet, einer Deiner besten Abnehmer -- er widmete die grosse silberne Fruchtschale -- durch und durch echt -- und seine Frau kommt mit. Und alle die Anderen! Wir m?ssen noch die gute Stube als Logirzimmer hergeben. Wenn das M?dchen auf dem Boden bivuakirt, l?sst sich ein einzelnes Wesen in ihrer Kammer beherbergen, wie zum Beispiel Tante Lina. Kleinst?dter sind anspruchslos.<<
>>Das kann ja reizend werden.<<
>>Karl, es muss sein.<<
>>Aber bedenke die Menge!<<
>>Es gehen viele Sardinen in eine Dose, wenn das Oel nur gut ist, ich meine n?mlich die Behandlung. Die H?tels sind bis unter das Dach ?berv?lkert, also muss die Privatmildth?tigkeit eingreifen. Freilich die Krausen vermiethet f?r Geld, ich glaube, sie n?chtigt mit ihrem Mann in seinem Schreibsecretair oder sonst, wo es unpassend ist, blos um Beute zu machen. Kein Laster d?nkt mich emp?render, als diese Art von Wucher, wo er doch die J?nglingsjahre ihr geopfert hat und in seinen alten Tagen Bequemlichkeit beanspruchen darf.<<
>>Mit mir wird auch nicht viel anders umgegangen.<<
>>Nicht, dass ich w?sste.<<
>>Kommandirst Du mich nicht aus meiner gewohnten Behaglichkeit in die Fabrik?<<
Ich l?chelte. >>Karl, wie kannst Du Dich mit Krause in eine Kompanie reihen? Der Versuch allein schon ist verwerflich. Was wir thun, geschieht aus Humanit?t f?r unsere Kunden, und nicht aus Mammonsgier. Und das werden sie bei den Herbstbestellungen beherzigen und nicht dr?cken, bis kaum noch das Maschinenfett verdient wird. Du sollst sehen, wie die Ausstellung die Industrie hebt.<<
Mein Karl legte ein Fremdenbesuchs-Conto an, worin jeder Angemeldete seinen Termin bekam, um Platzzwistigkeiten vorzubeugen. Dies war vom theoretischen Standpunkte so gl?nzend einfach, dass wir hoffnungsfreudig in die Zukunft blickten, aber vom praktischen wollten sie so ziemlich s?mmtlich Ende Mai eintreffen. F?r die folgenden Monate hatten sie Badeaufenthalt oder sonstige hygienische Abstecher vor.
Nun ging es an ein Umlegen und Aendern und Hin- und Herschreiben, wobei Einige sogar mit Bemerkungen antworteten, als f?hlten sie sich in die Ecke gesetzt. Einer schrieb, er h?tte geplant, das Gesch?ftliche mit dem Ausstellungsaufenthalt zu verbinden, schwerlich sei ihm dies im August m?glich. Er liess mit vieler Noth bis Mitte Juli herunter, aber dadurch klemmte es sich mit meines Mannes Verwandten, dem Amtsrichter. Und Gerichtspersonen sind leicht verletzt.
Mein Karl sah dies ein, aber er hatte die H?nde mit seinem Aufbau in der Ausstellung voll -- geradezu ?berw?ltigend mit einem Reichsadler aus schwarzen Socken nach dem Grundriss eines akademisch vorgebildeten K?nstlers -- und schob mir den Besuchsschlachtenplan zu. Ich sass und bebr?tete ihn mit stundenlangem Nachdenken, ohne dass jedoch eine rettende Idee ausschl?pfte; immer uns stets war der Amtsrichter im Wege.
Da wurde mir ganz unerwartet Hilfe in der Noth, obgleich sie nicht so aussah, denn wenn die Bergfeldten, oder jetzt nach ihrer Wiederverm?hlung Frau Butsch, auf der Bildfl?che erscheint, taucht irgend etwas Erbauliches im Hintergrunde auf, woran sie weniger Schuld hat, als das ihr im Kalender des Lebens angestrichene Pech. Sie ging zweckm?ssig gekleidet, wie es einer Weissbierwirthin vom Kietz geziemt, wo Schleppen wegen der ?bergeschwappten Bodenfeuchtigkeit nicht lokalgem?ss sind. Sie arbeitet t?chtig in K?che und Haushalt und da sie merken, dass sie etwas vor sich bringen, fassen sie Beide unverdrossen an. Er zieht das Bier alleine ab mit inclusive Flaschensp?len, wobei er manchmal zwei Zentimeter ?ussere Rundung verliert. Weil das gesund ist, freuen sie sich Beide so dar?ber, dass sie ihm ein deutsches Belohnungs-Beefsteak von Suppentellerumfang br?t und er sich eine Selbstanerkennungs-Weisse g?nnt oder auch mehrere -- genau weiss sie es nicht -- worauf die alte Dickdit?t ?berhaupt nicht weg gewesen zu sein scheint.
>>Butschen,<< sagte ich, als sie mir dies erz?hlte, >>m?sten Sie Ihren Mann nur nicht auf den Schragen.<< -- >>Es schmeckt ihm immer so sch?n, da kann ich doch nicht davor? Mein Seliger gab zuletzt das Essen auf und da war's alle. Nee, Buchholzen, Hungerkuren sind ja hochmodern, aber sie endigen ebenso t?dtlich wie andere Millezin.<<
Dies verdross mich. Es ist anmassend f?r beschr?nktere Intelligenz, in Familien mit einem Sanit?tsraths-Schwiegersohn, herabsetzend ?ber arzeneiliche Sachen zu sprechen. >>Liebe Butschen,<< entgegnete ich daher klarstellend, >>wenn jemand an einer Behandlung stirbt, so liegt es stets an dem Patienten. Oder haben Sie vielleicht bei Virchow gehabt, dass Sie es besser wissen?<<
>>Nee,<< erwiderte sie verlegen. >>Hab' ich mich vielleicht mit 'ner Ansicht vergallopirt? Wissen Sie, nehmen Sie's man nicht ?bel, ich krieg die Zeitungen immer erst zwei Tage sp?ter nach der K?che zu lesen, da bleib ich denn wohl ein Bisken in der Bildung zur?ck. Und eben deshalb komm ich zu Ihnen, Frau Buchholz, weil Butsch auch keine Zeit f?r die Anzeigen hat, -- wir haben n?mlich ein Ausstellungszimmer zu vermiethen --, vielleicht, dass Sie mal was erfahren und uns rekommandiren?..<<
>>Butschen,<< rief ich, >>alleweil sind Sie auf Ihrem Terrain; Medicin ist dagegen f?r Sie eine verrannte Sackgasse. Zimmer? Zu Mitte Juli ganz sicher. Wie sind die Preise?<< -- >>Zwei Mark mit Fr?hst?ck<< -- >>Ist das nicht etwas zu lindenhaft f?r die Schulzendorferstrasse?<< -- >>Wir haben Alles machen lassen, ich sage Ihnen, einzig. Die St?hle sind im empirischen Stil, der jetzt m?chtig aufkommt, wie der M?belfritze sagt.<<
>>Sind die M?bel bezahlt?<<
Die Butschen jetzt; ?ber das ganze Gesicht griente sie. >>Ja,<< sagte sie. >>Wir haben's sauer verdient,... groschenweis.<< -- Sie seufzte tief auf. War es ein Freudenseufzer oder mehr ein Aufstossen alter Zeiten, wo sie doch, wenn sie irgendwo hintraten, ausschliesslich in Dalles und Rechnungen nicht anders kannten als schmerzhafte Papiere in unquittirtem Zustande. Um mich zu ?berf?hren, fragte ich: >>Und Ihnen bekommt die Arbeit? Appetit gut? Schlaf gut? Augen gut? Ged?chtniss gut?<< -- >>Nee,<< sagte sie und seufzte noch einmal, >>das Ged?chtniss ist schlecht, es erinnert mich immer an so Vieles, was ich am besten vergessen m?chte. Aber ich will nicht klagen. Sie wissen ja selber, wie ich mehr Schatten vom Leben gehabt habe, als Sonne.<<
Ihr darzulegen, dass bei dieser Art Beleuchtung sehr viel davon abh?ngt, welche Seite man der Menschheit zuwendet, w?re nicht angebracht gewesen, denn einmal hatte sie sich mit dem Zimmer von einer wohlthuenden Seite gezeigt und hat zweitens im Laufe der Jahre viel Blossstellendes abgelegt. Die Krausen hingegen bleibt konstant unver?ndert, obgleich in der Zoologie sich selbst Schlangen h?uten.
Der bekannte Stein, der schon so vielen vom Herzen gefallen ist, obgleich ihn noch niemand gesehen hat, war herunter. Was sich auch ereignete, wenn auch Zwei zusammenstiessen: bei Butsch war f?r den Einen Unterkommen. Ich klingelte der Dorette, um ihr dies mitzutheilen.
Ein wahres Gl?ck, sagte ich zur Butschen, dass ich ein so zuverl?ssiges M?dchen habe. Freilich, gleich nach der Ausstellung macht sie Hochzeit. Ihr Br?utigam setzt sich als selbstst?ndiger Tapezier, und die Trinkgelder, die es inzwischen giebt, bringt sie mit in die Ehe.
>>Baar Geld kann man nie genug haben, zumal wenn es Einem fehlt,<< bemerkte die Butschen.
Ich wollte ihr sagen, dass sie soeben ziemlichen Kaff geredet h?tte, wenigstens in der feineren Gedankenf?gung, als die Dorette endlich antrat, aber nicht wie gew?hnt rasch und adrett, sondern langsam in Trauergefolgeschritt mit rothgeweinten Augen und zusammengewrungenem Thr?nentuch in der Hand.
>>Dorette?<< rief ich. >>Was giebt's denn? Was ist los?<<
Keine Antwort.
>>Ist Ihnen was Nahes gestorben?<<
>>Uh!<<
>>Wer denn, Dorette?<<
Sie sch?ttelte verneinend mit dem Kopfe.
>>Was ist Ihnen denn?<<
>>So reden Sie doch.<<
>>Det -- kann ick -- Ihn'n -- man blos -- janz alleene sagen,<< schluchzte Dorette und dr?ckte das Taschentuch ins Gesicht.
Mit einem Takt, den sie fr?her nie hatte, stand die Butschen auf und verabschiedete sich. >>Sie k?nnen das Zimmer jederzeit haben, wenn wir's nur vorher wissen. Uebrigens hat Butsch seine Telephonnummer.<<
Ich zur?ck zur Dorette. Was hat sie? Was soll ich ohne sie anfangen mit dem Haus voller G?ste und ich selber halb auf der Ausstellung und halb am Schreibtisch, nie voll und ganz f?r den Hausstand? Eine neue Philippine anb?ndigen, Berichte schreiben und dabei tadellose Wirthin spielen -- das ?bersteigt meine F?higkeit. Mehr als seine gewisse Anzahl Pferdekr?fte hat der Mensch nicht.
Ich also mir schleunig die Philippine vorgebunden und reinen Wein verlangt. Sie aber immer gedruckst und mit Wortnoth behaftet, dass ich schon dicht daran war, fuchtig zu werden, als mein Karl kam, der im Gegensatz zu ihrer Zur?ckhaltung sich in einer Lebhaftigkeit erging, die mich erschreckte.
So hatte ich ihn noch nie schimpfen geh?rt.
Als ich nach und nach erfuhr, worum es sich handelte, glaub' ich, hab' ich auch einige unsanfte Aeusserungen dazu geliefert. War es denn erh?rt? Jetzt, wo die Ausstellung er?ffnet werden sollte, jeder Tag ausgenutzt werden musste, jetzt warfen die Tapeziere die Arbeit nieder, gerade jetzt, wo sie die letzte Hand anzulegen hatten, damit alles die Vollendungsfalten und Fransen kriegte und den rothen Callicot um die Tische und was sonst zu bekleben, zu benageln und zu betroddeln war.
Die Philippine weinte bei dieser Auseinandersetzung ganz schrecklich.
>>Ja, pl?rren Sie nur,<< schnauzte mein Karl sie an. >>Ihr Br?utigam, der mir sein Wort gab, meinen Stand rechtzeitig fertig zu stellen, ist auch mit ausger?ckt. Ist das der Dank, dass ich ihm versprach, ihm bei seiner Etablirung behilflich zu sein? Jetzt l?sst er mich sitzen.<<
>>Mir ooch,<< jammerte Dorette. >>Er sagte, hier k?nnte er sich von wejen Undank nich wieder blicken lassen.<<
>>Kann er auch nicht,<< gab ich drauf.
>>Und mit Heirathen is et nischt. Er setzt Alles bei den Strike zu, ooch wat ick ihm erspart habe.<<
>>Warum begeht er denn solche Gemeinheit und verloddert sein Gl?ck, Ihr Gl?ck?<<
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