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Read Ebook: Novellen: Die zweite Liebhaberin; Verlust und Gewinn by Meyr Melchior

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Ebook has 792 lines and 95281 words, and 16 pages

Unterdessen hatte sich Heinrich weiter in der Residenz umgesehen, neue Bekanntschaften gemacht und, da er nicht feiern konnte, sogar eine neue dramatische Arbeit begonnen -- wieder ein Trauerspiel. Dieses freilich nicht aus Trotz gegen die Rathschl?ge der Klugheit und auf seinen Genius pochend, sondern einfach, weil er nur dazu einen Entwurf besass und nicht zu einem Schauspiel oder Lustspiel. Er trat aber darin dem Schauspiel bereits etwas n?her, und sehr schmeichelte ihm nun der Gedanke, die Vorz?ge der Trag?die und des Dramas in der neuen Dichtung vereinigen und beide Parteien zufrieden stellen zu k?nnen. Das allein schien ihm auch die seiner in der That w?rdige Aufgabe, w?hrend er sich, ein Schauspiel fertigend, wie man es w?nschte, von der H?he, zu der er sich berufen halten musste, doch einigermassen herabzusteigen schien.

Doctor Willmann hatte ihm einen Gegenbesuch gemacht; er suchte ihn wieder auf, benahm sich schon freier, kameradschaftlicher gegen ihn, und der Schriftsteller nahm ihn eines Abends in eine Gesellschaft mit, die sich in einem Bierlokal zu versammeln pflegte. Es waren meist j?ngere M?nner, Beamte, Aerzte, ein paar Offiziere und mit Willmann drei Literaten. Heinrich wurde von seinem Einf?hrer als Dramatiker vorgestellt und dann besonders mit einem der Schriftsteller bekannt gemacht, der ungef?hr seine Jahre hatte. Doctor Dorn -- so hiess derselbe -- bot ihm einen Stuhl neben sich, und es zeigte sich bald, dass er, unter anderem, auch Theaterkritiker war. Als Heinrich diess vernommen, konnte er nicht umhin, seine Freude dar?ber auszusprechen und in seiner Miene eben so viel Achtung wie Vergn?gen an den Tag zu legen. Dem Kritiker gefiel diess; er erkundigte sich nach dem St?ck, und auf unsern Poeten hatte die Residenzluft schon so gut gewirkt, dass er unwillk?rlich ?ber die Aufgabe mit W?rme, ?ber die Leistung aber bescheiden sich ausdr?ckte und dem andern dadurch als ein Mensch erschien, dem man seiner Bravheit wegen unter die Arme greifen k?nne. Das Bier, das man in dem Lokal erhielt, war schmackhaft, die neuen Bekannten stiessen wiederholt an, tranken nach Durst und gingen um Mitternacht fast als gute Freunde nach Hause, indem sie unter dem dunkeln Nachthimmel mit K?pfen hinwandelten, die durch Getr?nk und Gespr?cheslust hell erleuchtet waren.

Zwei Tage darauf las man in einer Zeitung, deren Feuilleton haupts?chlich der Feder Dorns offen stand: >>An der hiesigen Hofb?hne ist eine neue Trag?die eingereicht, welche durch effektvolle Scenen und durch eine edle, schwungvolle Diktion grosse Hoffnungen erweckt. Der Dichter, Heinrich Born, dem literarischen Publikum durch geistreiche Aufs?tze und Kritiken bekannt, weilt hier und ist bereits wieder mit einem neuen St?ck besch?ftigt.<< -- Heinrich, der das Blatt in einem Speisehaus arglos zur Hand genommen hatte, f?hlte sich durch die ?ffentliche Hervorhebung so betroffen, dass er ordentlich zur?ckfuhr. Nach der ersten Ueberraschung wog aber das Vergn?gen, mit so viel Ehren genannt zu seyn, als es zun?chst irgend m?glich erschien, doch bei weitem vor; er las die Notiz wiederholt, ?berlegte den wahrscheinlichen Effekt auf Publikum und Intendanz und verliess die Restauration mit den angenehmsten Empfindungen.

Zuf?llig kam ihm auf der Strasse Willmann entgegen. Mit einem L?cheln, worin Bonhomie und gem?thliche Satire bis zur Liebensw?rdigkeit gemischt waren, rief dieser: >>Nun, ich gratulire! Sie haben doch gelesen?<< -- >>So eben,<< erwiederte Heinrich, indem er ihm die Hand reichte. >>Es freut mich, und ich muss Ihnen f?r die Bekanntschaft nochmal herzlich danken.<<

Der Doctor zuckte ablehnend die Achsel und bemerkte: >>Er muss sehr f?r Sie eingenommen seyn; sonst ist er mit Lob und Empfehlung nicht so rasch bei der Hand.<< Heiter f?r sich hinsehend schwieg er einen Moment. >>Apropos,<< setzte er dann hinzu, >>haben Sie die beiden Herrn schon besucht?<< -- >>Besucht wohl,<< erwiederte der Dramatiker, die Regisseure verstehend, >>aber nicht zu Hause getroffen.<< -- >>Ich habe vorgestern,<< sagte der Andere, >>mit ihnen gesprochen. Gehen Sie morgen fr?h zu ihnen, beide werden zu Hause seyn.<<

Sie trennten sich h?ndesch?ttelnd, und Heinrich sagte sich im Weitergehen, dass er, mit Ausnahme eines Einzigen, bis jetzt eigentlich doch lauter freundliche, liebensw?rdige Leute hier getroffen habe und alles nur immer besser sich anlasse.

Andern Tages machte er sich bald auf den Weg und besuchte zuerst den Regisseur des ernsten Dramas. Er fand einen stattlichen Mann von reifem Alter, dessen bedeutendes, mit einigen Runzeln versehenes Gesicht eben so viel W?rde als Wohlwollen ausdr?ckte. Man sah ihm an und f?hlte auch durch seine H?flichkeit hindurch, dass er seit Jahren Heldenv?ter spielte und eben so auf dem Schlachtfeld wie im Thronsaal oder auf dem Throne selbst an seinem Platze war. Nach dem ersten Willkomm gestand er dem jungen Dramatiker, dass er sein St?ck nur dem Titel und den Personen nach kenne, sich aber freuen w?rde, eine Trag?die im h?heren Styl darin zu finden, die er zur Auff?hrung bef?rworten k?nnte. Denn man m?ge sagen was man wolle, das Trauerspiel bleibe immer die Hauptsache f?r das Theater und m?sse namentlich an Hofb?hnen, wie die hiesige, gepflegt werden.

Heinrich war damit freudig einverstanden und dr?ckte die Hoffnung aus, dass seine Trag?die, f?r deren h?here Haltung er einstehen k?nne, auch als wirksames Theaterst?ck sich erproben m?chte. Nur zu lang w?rde sie wohl noch seyn!

Der Regisseur, der bis jetzt ernst dagestanden, zeigte in seinem Gesicht den Ausdruck heiterer Ueberlegenheit. >>Wenn das St?ck nur sonst gut gebaut ist,<< sagte er dann, >>den Uebelstand der L?nge wollen wir schon beseitigen.<< Der Poet nickte begreifend, mit einem L?cheln, in das die Ahnung eines m?rderischen Einbruchs in seine Verse einen leisen Zug von Schmerz und Verlegenheit brachte. Der Heldenvater, diess gewahrend, fuhr fort: >>Ich weiss wohl, dass wir den Herrn Dichtern an's Herz greifen, wenn wir ihnen Stellen herausstreichen, die sie gern f?r ihre sch?nsten zu halten pflegen. Aber es geschieht doch nur zu ihrem Besten, und ich w?rde Ihnen rathen --<<

Heinrich, nach einer heroischen Anstrengung, entgegnete: >>Herr Regisseur, ich stelle Ihnen meine Trag?die zur Verf?gung. Verfahren Sie damit ganz, wie es Ihnen gut d?nkt; denn ich weiss, ein K?nstler wie Sie, streicht nur das Ueberfl?ssige und wirklich Sch?dliche, damit das Aechte, Sch?ne und Reine um so besser wirke.<< -- >>Darauf,<< erwiederte der Regisseur, >>k?nnen Sie sich verlassen! Das Theater und der Dichter haben Ein Interesse, und wir werden nichts aufgeben, womit man auf die Zuschauer Effekt machen kann. Ein St?ck zum Lesen und ein St?ck zum Auff?hren ist zweierlei. Was beim Lesen charmant seyn kann, wird auf der B?hne, wenn es die Handlung aufh?lt, unangenehm, sehr unangenehm, und ohne die Streichfeder der Regie w?rden die meisten deutschen B?hnendichtungen an ihrer eigenen Poesie zu Grunde gehen. -- Vertrauen Sie,<< fuhr er l?chelnd fort, >>in dieser Beziehung ganz den Schauspielern. Wenn Ihr St?ck angenommen wird, so d?rfen Sie sp?ter auch den Vorschl?gen der einzelnen Darsteller unbedenklich folgen und noch mehr aufopfern; denn womit einer etwas machen kann, das l?sst er sich nicht nehmen.<<

Unser Poet, die Skrupel, die in ihm aufgestiegen waren, unterdr?ckend, gab seine Zustimmung mit Ernst und in so guter Manier, dass der K?nstler geradezu f?r ihn eingenommen wurde. Er eignete sich f?r das St?ck ein g?nstiges Vorurtheil haupts?chlich wegen der Einsicht an, die der junge Mann bewies, und sagte endlich, indem er ihm die Hand gab: >>Was ich f?r Sie thun kann -- nat?rlich in Uebereinstimmung mit den Interessen der B?hne -- das geschieht, verlassen Sie sich darauf! Es sollte mir sehr lieb seyn, wenn wir aus Ihrer Dichtung mit einander ein rechtes Theaterst?ck herausarbeiten k?nnten. Ich bin jetzt um so neugieriger darauf und hoffe, ich werde es bald vornehmen k?nnen.<<

Mit grosser Beruhigung verliess Heinrich den einflussreichen Mann. Er f?hlte, wie sich ihm der Boden unter den F?ssen zusehends consolidirte, und freute sich nun auf den Besuch bei dem zweiten Regisseur, obwohl er in Folge der ihm gewordenen Charakteristik eine gewisse Scheu vor ihm empfunden hatte. Unmittelbar verf?gte er sich zu ihm.

Eingetreten in eine Stube, die eine ziemlich malerische Unordnung verrieth, wurde er von einem l?nglichen, hageren Mann willkommen geheissen, in dessen Gesicht und Accent ein sarkastischer Ausdruck stehend geworden war, so dass nun auch die Versicherung seiner Freude, den Autor des eingegangenen Theaterst?cks kennen zu lernen, einen unverkennbar ironischen Klang hatte. Heinrich, dem sich diess aufdr?ngte, f?hlte sich etwas aus der Fassung gebracht, und es wurde ihm noch unheimlicher, als der Regisseur ihn mit einer Miene betrachtete, welche, durch alle ?ussere Freundlichkeit hindurch, zu sagen schien: >>Der sieht mir auch aus, als ob er uns Zeug br?chte, das niemand geniessen kann!<<

Seiner anderweitigen Protektionen gedenkend, fasste sich aber der Poet und empfahl seine Dichtung mit W?rde, indem er hinzuf?gte: die Urtheile, die er schon dar?ber vernommen, berechtigten ihn zu der Hoffnung, dass sie auch dem Herrn Regisseur nicht ganz missfallen werde. -- >>O,<< rief dieser mit Emphase, >>davon bin ich ?berzeugt! -- Auch die Presse,<< fuhr er nach einem Schweigen mit bedeutsamem Blick fort, >>hat auf das St?ck bereits aufmerksam gemacht --<< -- >>Aber ohne dass ich dazu Veranlassung gegeben,<< fiel Heinrich ein. >>Ich wurde selber davon ?berrascht.<<

Mit einem Gesicht, welches vergn?gten Unglauben ausdr?ckte, entgegnete der Schauspieler: >>F?llt mir nicht ein, das anzunehmen! Man kennt ja die Herrn Feuilletonisten und ihre Art voreilig zu protegiren, um hinterdrein -- Nun, ich bin auf Ihre Dichtung gespannt und zweifle nicht, dass sie vortrefflich seyn wird. Aber ich muss Ihnen doch gestehen: Trag?dien sind eigentlich nicht mein Fach, und, um Alles zu sagen -- auch nicht meine Passion. Sie sind schwierig zu lernen, kostspielig in Scene zu setzen und lohnen sich selten.<<

>>Wenn aber eine einschl?gt,<< warf Heinrich ein, >>d?rfte sie doch --<< -- >>Ein Gewinn seyn?<< erg?nzte der Andere, indem er ihn heiter fixirte, >>ja. Und wenn ich das der Ihrigen ansehe, ist Ihnen meine Empfehlung gewiss.<<

>>Trag?dien,<< fuhr der Poet nach leichtem Kopfneigen mit halbem L?cheln fort, >>k?nnen am Ende doch nicht ganz vom Repertoire ausgeschlossen werden.<< -- >>Nat?rlich nicht,<< erwiederte der Regisseur. >>Was w?rden wir da mit unsern Tragikern -- unsern Heldenspielern und Heroinen anfangen? Und sogar das Publikum will hie und da noch ein neues Trauerspiel sehen.<< -- >>Zur Abwechslung,<< setzte der Poet hinzu, der auf die Manier des Mannes einzugehen anfing. -- >>Ja wohl,<< versetzte der Andere, >>und am Ende aus alter Gewohnheit. Aber sie m?ssen selten kommen -- immer seltener --<< -- >>Bis sie endlich ganz verschwinden k?nnen!<< setzte der Poet halb fragend hinzu. -- >>Ich meinerseits,<< entgegnete der Schauspieler, >>w?rde mich zu tr?sten wissen.<<

Heinrich, der im Regisseur nun deutlich die lustige Person erkannte, lachte und jener schien das wohl aufzunehmen. Er sah den Poeten freundlicher an und fuhr dann mit einer gewissen Bonhomie fort: >>Sie d?rfen diese Aeusserungen nicht so schlimm aufnehmen, Herr Doctor. Jeder liebt am Ende, was er kann und womit er Ehre einzulegen hofft, und meine Sph?re ist die Kom?die, das Conversationsst?ck, und was so drum herum liegt. In Trag?dien kommt h?chstens einmal ein B?sewicht an mich, der mehr drolliger Schuft als erhabener Verbrecher ist, und gr?ssere Anspr?che kann ich auch nicht erheben. Abgesehen davon, dass das Erhabene nicht mein Fach ist, so besitzen wir hier f?r die grosse Gattung einen Mimen, der schon durch sein Auftreten und den Schauerblick seines rollenden Auges dem Publikum Grauen einfl?sst, und wenn dieser in Ihrem St?ck eine Rolle hat, gratulire ich Ihnen im voraus. Eine edle, tugendhafte Partie in einem Trauerspiel ist f?r mich geradezu ein saurer Apfel, in den ich nur beisse, wenn's eben nicht anders geht. So ist mir der Sinn f?r die Trag?die, den ich in meiner Jugend wohl auch gehabt habe, fast g?nzlich entschwunden, und ich f?hle leider, dass ich auch die hochpoetischen nicht ganz so sch?tzen kann, wie sie's verdienen. Indessen,<< f?gte er mit einer Miene hinzu, die es fast bis zum Ernst brachte, >>meine Pflicht verlangt, den ehrenvollen Ruf und den Vortheil der B?hne im Auge zu haben, und wenn sich diess mit Ihren W?nschen vereinigen l?sst -- z?hlen Sie auf mich!<<

Der Dramatiker, durch das launige Bekenntniss erg?tzt und die ernstliche Zusage ermuthigt, reichte dem K?nstler dankend die Hand und beide schieden mit beinahe freundlichen Empfindungen, jedenfalls unter cordialen Betheurungen.

>>Auch das,<< sagte der Poet auf der Strasse zu sich, >>ist besser gegangen, als es zuerst das Aussehen hatte. Nun, der Poesie kann am Ende niemand widerstehen, und wenn er sich dem St?ck hingibt --<< Er sah geradeaus und seine Miene erhellte sich froh: in einer jungen Dame, die auf ihn zukam, hatte er Rosa erkannt. Gr?ssend trat er zu ihr und betrachtete sie verwundert. Aus ihrem Gesicht sprach eine Freude und eine G?te, die es gl?nzend versch?nten, und zugleich ein h?herer Ernst, als er je an ihr wahrgenommen hatte.

>>Es freut mich sehr,<< antwortete sie auf den Gruss, >>dass ich Sie treffe! Ich hab' Ihre Trag?die gelesen -- anderthalb Acte --<< -- >>Nun?<< rief Heinrich, dessen Herz zu pochen anfing. -- >>Ich w?nsche Ihnen Gl?ck von ganzem Herzen! Was ich bis jetzt kenne, hat mich ausserordentlich angezogen; es ist ein f?rmlicher Zauber, und wenn das so fortgeht --<< -- >>O,<< rief Heinrich, an weitere Scenen denkend, mit inniger Ueberzeugung, >>es muss noch besser kommen!<< -- >>Nun,<< versetzte sie, >>dann kann ich wenigstens nur an einen vollst?ndigen Erfolg auf dem Theater glauben. -- >>Ah,<< rief der Autor, dem ein Strom der Wonne durch die Brust ging, >>das ist heute ein gl?cklicher Tag!<<

Er berichtete ihr in K?rze ?ber seine Besuche und liess deren Ergebniss unbewusst im besten Licht erscheinen. Rosa's Gesicht erheiterte sich und sie rief: >>Das geht ja gut ?ber Erwarten! Vor Berger brauchen Sie nicht bange zu seyn. Wenn ein Trauerspiel wirklich ergreift und fortreisst, hat auch er Respekt davor, und ?berhaupt ist er nicht so schlimm, wie er aussieht. Ich gestehe Ihnen, ich freue mich ausserordentlich, das St?ck zu Ende zu lesen und dann mit Ihnen dar?ber zu sprechen. Diese Woche bin ich freilich sehr besch?ftigt, aber in der n?chsten hoffe ich damit fertig zu werden.<< Sie gr?sste den Autor mit dem Blick einer Schwester und ging dem Theater zu, wohin sie eine Probe rief.

Heinrich sah ihr nach und wandte sich nur z?gernd um. >>Eine wahre Freundin!<< rief er weitergehend. >>Sie nimmt wirklichen Antheil an mir und meinem Schicksal. Wie sch?n, dass ich sie gefunden habe!<<

Das Gl?ck des Poeten war aber heute im Zug und die F?lle seiner Gaben noch nicht ersch?pft. Als er nach Hause kam, fand er ein Schreiben von Auguste. Er erbrach es mit hastigem Finger, las und seine Mienen sagten: das ist mehr, als ich verdiene! Die Stellen, die ihn am meisten erfreuten, lauteten:

>>Auf deinen lieben, sch?nen, poetischen Brief h?tt' ich dir schon fr?her geantwortet, wenn ich nicht mit der Mutter acht Tage auf Besuch bei Vetter Kronfeld gewesen w?re, der, wie du weisst, seine Fabrik eine halbe Tagereise von uns hat. Die Leute sind reich, gastfrei und waren gegen uns besonders freundlich. Der alte Herr, der mich l?ngere Zeit nicht sah, hat mich f?rmlich in Affektion genommen, und ich musste ihm beim Abschied versprechen, n?chstes Fr?hjahr auf l?ngere Zeit wiederzukehren, um, wie er sich ausdr?ckte, seiner Tochter zum Vorbild zu dienen. Wie viel Vergn?gen wir aber dort hatten, ich bin jetzt doch auch wieder herzlich froh, zu Hause zu seyn, und benutze die erste freie Stunde, um dir zu schreiben.

>>O Heinrich, du bist gut, und ich w?nsche ?ber Alles, dass es dir auch gut gehe und du f?r dein Streben, deinen Fleiss und deine Ausdauer nach Verdienst belohnt werdest. Gewiss, niemand in der Welt kann sich mehr ?ber dein Fortkommen und das Gelingen deiner Pl?ne freuen. Wie sch?n w?re es, wenn du unsern rechnenden Kaufleuten beweisen k?nntest, dass man sich auch durch poetische Arbeiten eine ehrenvolle Existenz zu schaffen vermag -- von dem Ruhm des Namens zu schweigen. Und warum sollte es nicht m?glich seyn? Dir trau' ich zu, dass du alle Zweifler besch?men wirst.

>>Die Schilderung der Bekanntschaften, die du gemacht hast, war von grossem Interesse f?r mich; das Benehmen des Professors hat mich aber in deinem Namen recht ge?rgert. Unser guter Rektor, dem ich's vorhielt, lachte und sagte zu seiner Entschuldigung nur: >>Ich meinte, er h?tte sich gebessert; nun scheint es aber nach den Angriffen, die sein letztes Buch erfahren hat, mit ihm noch ?rger geworden zu seyn. Es schadet nichts. Unser Dichter wird Freunde genug finden und den Zopf entbehren k?nnen.<<

Dass sich die Schauspielerin f?r dich interessirt, ist sehr gut. Mache dir nur Freunde und cultivire alle Bekanntschaften, die dir n?tzlich werden k?nnen, denn der Werth der Leistungen reicht allein noch nicht aus, man muss auch die Gunst der Menschen dazu gewinnen, und da darf uns kein Gang und keine Artigkeit reuen. Aber, aber! -- die sch?ne K?nstlerin, die >>einem andern gef?hrlich werden k?nnte,<< l?sst mich doch auch f?r dich nicht ganz ohne Sorge! Wirst du immer so >>gefeit<< seyn, wie du mir schreibst? Bist du deines poetischen Herzens so ganz sicher? Doch, es ist mir eigentlich nicht ernst mit diesen Reden. Du bist die treueste, ehrlichste Seele, ich kenne dich und ich vertraue dir. Lebe wohl! Vers?ume nichts, was deinem Unternehmen dienlich seyn kann. Dein St?ck, wenn es nur gegeben wird, muss dem Publikum gefallen. Schreibe mir bald wieder.<<

Die n?chsten Tage verflossen unserem Dichter auf's angenehmste. Es ist gar sch?n, auf ein Ziel hinzublicken, das uns, nicht allzufern, in reizendem Lichte winkt und dessen Erreichen vern?nftigerweise nicht mehr bezweifelt werden kann. Das Verlangen darnach wird ruhiger und in Ruhe lieblicher als vor erweckter Zuversicht: die Freude des Gelingens wird im sichern Herzen voraus empfunden.

Heinrich f?llte seine Stunden mit Arbeit und Genuss in wohlthuendem Verh?ltniss. Die Kunstsch?tze der Residenz hatte er bisher nur theilweise und fl?chtig gesehen; jetzt widmete er ihnen eine ernstere Betrachtung und erhielt unter Erg?tzungen aller Art eine F?lle poetischer Anregungen. Das Theater, in das ihm der Intendant freien Eintritt gew?hrt hatte, besuchte er fast regelm?ssig, und w?hrend er sich dem Vergn?gen hingab, das die Handlung in ihm erweckte, lernte er immer mehr einsehen, worauf es hier eigentlich ankam. Gew?hnlich war er ganz Empf?nglichkeit und der Kritik v?llig unf?hig beim Beginn eines St?ckes; er freute sich schon, dass es nur das gab, was ihm geboten wurde. Nach und nach trat aber das Urtheil in ihm hervor und wurde nur um so strenger und k?hner. Er sah manches, was ihm vorbildlich erschien, noch mehr aber, was ihm unrichtig und schwach d?nkte und was er besser zu machen den Beruf hatte.

Sehr anziehend war es f?r ihn, die Darsteller zu beobachten, welchen er die Hauptrollen in seinem eigenen Werke zudachte. Mit dem Heldenvater und dem Charakterspieler war er sehr zufrieden. Der letztere schien ihm zwar an die Grenze des ?sthetisch Erlaubten zu gehen; allein die d?monische Pers?nlichkeit in seinem St?ck war auch ungew?hnlich scharf gezeichnet und eine frappante Entfaltung mimischer Kr?fte vielleicht eben in seinem Interesse. -- Die heroische Liebhaberin, die ihm schon als Maria Stuart imponirt hatte, sah er auch als Jungfrau von Orleans, und nach beiden Rollen musste er sie f?r seine Heldin wie geschaffen halten, da diese mit den Schillerschen Charakteren eine gewisse Verwandtschaft hatte, obwohl sie durch eine Reinheit und Hoheit, womit sie alle Pr?fungen bestand, ?ber beide hinausragte. Bei dem Applaus, den die K?nstlerin errang, konnte er nicht umhin, kr?ftig mitzuwirken und nebenbei an denjenigen zu denken, den er bescheiden hinzunehmen hatte.

Sein neues Drama r?ckte vor. Der Entwurf war genau und erlaubte ihm stetiges Fortarbeiten. Die fertigen Auftritte schienen ihm anziehend und spannend, er freute sich von einem Tag zum andern auf die Fortsetzung, und ein Gef?hl sagte ihm: es muss werden!

Eine Mahnung des Dankes bewog ihn, Doctor Dorn zu besuchen. Er wurde freundlich empfangen und die Art, wie er seine Erkenntlichkeit ausdr?ckte, heiter vernommen. Nach einer Weile fragte ihn der Journalist, welche Bl?tter ihm dermalen offen st?nden. Als Heinrich ihm bekannte, dass er in Journale seit l?ngerer Zeit nichts geschrieben, weil er ganz und gar von seinen dramatischen Arbeiten in Anspruch genommen werde, sch?ttelte Dorn missbilligend den Kopf und sagte: >>Da haben Sie sehr unrecht gethan, mein lieber Freund! Zeitungen m?ssen einem immer zur Verf?gung stehen, damit man Freundlichkeiten nicht nur in Empfang nehmen, sondern auch erwiedern kann. Wenn Sie als Dichter bekannt werden wollen, m?ssen Sie nothwendig auch als Referent und Kritiker th?tig seyn; denn wer seine Hand nicht in einigen Bl?ttern hat, also weder n?tzen noch schaden kann, auf den wird man bald keine R?cksicht mehr nehmen.<<

Heinrich konnte die B?ndigkeit des Schlusses nicht l?ugnen -- unter gew?hnlichen Verh?ltnissen. Dass er aber sein Streben und sein Talent f?r eine Ausnahme hielt, die solche Vorsorge gar nicht n?thig haben w?rde, durfte er dem Andern doch auch nicht gestehen. Er nickte daher bedeutsam, l?chelte ein wenig und schien die gute Lehre begriffen zu haben.

Dorn betrachtete ihn mit Vergn?gen und mit einem schelmischen Zug um den Mund, wie einen, den man auf den rechten Weg zu leiten im Begriff ist. Nach etwelchen Fragen, die sich auf Heinrichs j?ngste Erfahrungen bezogen, legte er diesem ein broschirtes Buch vor und fragte ihn, ob er es schon gelesen habe. Jener verneinte es und setzte hinzu, dass ihm auch der Name des Autors noch nicht vorgekommen sey.

Dorn schmunzelte. >>Das ist nicht zu wundern,<< sagte er. >>Das Buch ist von mir. Ich wollte aber in einem satirischen Roman ganz ungenirt seyn, und so hab' ich's pseudonym herausgegeben.<< -- >>Ah,<< rief unser Poet, >>das muss pikant seyn!<< -- >>Ich meine schon,<< erwiederte der Autor mit gem?thlicher Selbstgef?lligkeit. >>Aber bis jetzt hat es doch noch nicht die Beachtung gefunden, die ich mir versprochen habe. Es ist freilich noch nicht lang heraus und muss eigentlich erst bekannt werden. -- Interessirt Sie's?<< fuhr er nach einem Moment fort, >>wollen Sie's lesen?<< -- >>W?re mir allerdings sehr lieb --<< -- >>So nehmen Sie's mit nach Hause.<<

Heinrich f?hlte wohl, dass er damit eine Verpflichtung auf sich nahm. Allein er konnte schicklicherweise nicht zur?ck, steckte das Buch ein und verliess den guten Freund mit dem Entschluss, das Opus zu lesen, und wenn es irgend anging, in einem Journal zu empfehlen.

Im Theater war ihm eine eigene Genugthuung vorbehalten. Rosa trat in einem neuen Familienst?ck auf und f?hrte die Partie eines M?dchens, die mit aller Munterkeit eines fr?hlichen Herzens auftrat, aber nach hereingebrochenem Ungl?ck unerwartete, r?hrende Festigkeit und Hingebung bewies, in so ergreifender Weise durch, dass sie in den letzten Akten den rauschendsten Beifall erntete. Die Theaterkenner schauten sich verwundert an und gestanden sich, dass sie ihr das nicht zugetraut h?tten; Heinrich, dem Thr?nen in die Augen getreten waren, f?hlte sich ?beraus gl?cklich und namentlich auch dadurch befriedigt, dass er ihr Talent so richtig begriffen, sie auf die besondere F?higkeit schon aufmerksam gemacht hatte.

Am andern Tage trieb es ihn zu ihr, um zu gratuliren und ihr sein fr?heres Wort in's Ged?chtniss zur?ckzurufen. Das letztere gerieth ihm etwas mentorartig und die K?nstlerin zuckte unwillk?rlich die Achseln. >>Nun,<< sagte sie, >>ich muss am Ende doch daran glauben, dass noch etwas mehr in mir steckt, als ich bis jetzt selber gedacht habe. Wenn das Publikum mit seinem Beifall sich irren kann, so geben mir doch Kenner und Aesthetiker, wie Sie, die vollste B?rgschaft. Eigentlich,<< fuhr sie nach kurzem Innehalten leichter und gutm?thiger fort, >>kommt es wohl nur auf die Rolle an, die man erh?lt. Der Dichter schreibt vor, wir m?ssen ausf?hren, und -- es w?chst der Mensch mit seinen gr?ssern Zwecken.<<

Heinrich erwiederte, dieser Schillersche Spruch sey allerdings richtig, aber das Wachsen setze die Kraft selber voraus, und die Freundin th?te wohl daran, von der gestern Abend gl?nzend erwiesenen Gabe der R?hrung und Erhebung ?fteren und umfassenderen Gebrauch zu machen. Die freundschaftliche Besorgtheit um ihr Talent und dessen Ausbildung zog dem Poeten einen Blick zu, den er zu deuten nicht in der Lage war, obwohl ihn ein neues Achselzucken begleitete. Seine Vermuthung ging auf eine geringere Sch?tzung eben dieser Gabe von Seiten der K?nstlerin, und er suchte nun zu beweisen, wie sehr sie durch die entsprechende Pflege derselben sich steigern, erg?nzen, und welch vollkommene Genugthuung sie dann empfinden w?rde.

Rosa h?rte stumm zu. Als er mit seiner Argumentation fertig war, sagte sie: >>In Ihrer Trag?die hab' ich noch nicht weiter lesen k?nnen; ich muss dazu ganz ruhig und gesammelt seyn.<< -- >>Ich dr?nge durchaus nicht,<< erwiederte Heinrich. -- >>Das ist mir lieb. Auch f?r die n?chsten Tage geht's noch nicht. Sie wissen, das Theater ist unberechenbar, und ich soll ?bermorgen gegen alles Erwarten eine Rolle spielen, die ich fast ganz vergessen habe.<< -- >>Das vertr?gt sich allerdings nicht mit der Lekt?re meines St?cks,<< versetzte der Poet, >>und ich w?rde selber bitten, dass Sie sich von jetzt an m?glichst im Zusammenhang erhalten m?chten.<<

Es wurde ausgemacht, dass Rosa, wenn sie fertig w?re -- in acht, h?chstens zehn Tagen glaubte sie es zu seyn --, den Dichter zu sich bitten lasse. Heinrich meinte l?chelnd: es sey vielleicht gut, wenn er sich noch etliche Zeit in s?sser T?uschung wiegen k?nne, und empfahl sich, >>des Rufes gew?rtig.<<

Acht Tage vergingen, ohne dass dieser erfolgte. Der Poet brachte den ersten Akt seines neuen St?cks zu Ende und machte sich r?stig an den zweiten. Im Eifer des Schaffens kam in ihm die Neugierde, das Urtheil der K?nstlerin zu vernehmen, so wenig empor, dass er drei fernere Tage ruhig hingehen liess. Als aber noch zwei verstrichen, ohne dass Botschaft an ihn ergangen w?re, da fing er doch an bedenklich zu werden; eine dumpfe Aufregung st?rte sein Denken und Schaffen, und er beschloss, unaufgefordert anzufragen. Im Grunde war Verschiedenes m?glich, er brauchte noch gar nichts Uebles zu f?rchten bei einer so geringen Hinausschiebung, die ein kleiner Zwischenfall beim Theater erkl?rte; aber eben darum wollte er nachsehen, um durch Kenntniss des wirklichen Motivs den Gedanken ein Ende zu machen, die ihn zu bel?stigen anfingen.

Es war ein Operntag; Heinrich begab sich in die ihm so trauliche Wohnung, die er nun doch mit Herzklopfen betrat, gegen Abend und wurde von den beiden Frauen, obschon er sie ernster als gew?hnlich traf, so herzlich, so g?tig empfangen, dass er sofort leichter zu athmen begann.

Nach einer Weile sagte Rosa: >>Sie kommen heute gelegen; ich h?tte Sie morgen zu uns eingeladen.<< -- >>Sie sind also fertig?<< entgegnete der Poet lebhaft. -- >>Seit gestern, obwohl ich manche Scenen wiederholt gelesen habe.<<

Heinrich, dankend, sah die K?nstlerin an. Aus ihrer gehaltenen Miene war ihr Urtheil nicht abzunehmen, obwohl dem Autor so viel klar wurde, dass er unbedingte Beistimmung, wie die ersten Akte sie gefunden, in Bezug auf das Ganze nicht wohl erwarten durfte. Etwas z?gernd fragte er daher: >>Und Ihre Ansicht?<<

Rosa schwieg einen Moment, dann sagte sie: >>Ich habe das ganze St?ck mit dem gr?ssten Interesse gelesen.<< Heinrich nickte, indem seine Miene unwillk?rliches Bedenken verrieth. >>Und die Poesie, die Sie in den ersten Acten fanden,<< fragte er dann, >>ist sie Ihnen auch in den folgenden erschienen?<< -- >>O, allerdings,<< erwiederte sie. >>Es sind reizende Scenen darin, ergreifende, ersch?tternde Momente!<< -- >>Nun,<< versetzte der Autor, wieder beruhigt, >>das ist schon etwas! Wie lautet aber Ihr Urtheil im Ganzen? und namentlich, was hab' ich auf der B?hne zu hoffen?<<

Das M?dchen sah ihn an und schien ?ber die Antwort nicht mit sich in's Reine zu kommen; dann, mit einer gewissen Entschlossenheit, aber doch zugleich mit bescheidener Zur?ckhaltung im Ton, versetzte sie: >>Was den B?hnenerfolg betrifft, so getrau' ich mir, offen gestanden, nicht, Ihnen etwas Bestimmtes vorherzusagen.<<

Der Poet war betroffen, ja best?rzt. >>Ah,<< rief er, >>das h?tt' ich nicht erwartet! -- Sie glauben also, dass es auf der B?hne keine Wirkung machen wird?<< -- >>Das ist nicht meine Meinung,<< entgegnete Rosa lebhaft, indem sie eine gewisse Verwirrung nicht verbergen konnte.

Die Mutter, die bisher still vor einer weiblichen Arbeit gesessen hatte, bemerkte nun: >>Rosa will nichts weiter sagen, als dass sie Ihnen einen Erfolg, wie wir ihn alle w?nschen, nur nicht verb?rgen kann. Die M?glichkeit will sie keineswegs bestreiten.<< -- >>Durchaus nicht!<< fuhr die Schauspielerin fort. >>Bei einer gewagten Handlung, und die Ihrige ist gewagt, k?mmt's auf eine Linie an. Wird das, was man den Zuschauern bietet, ihnen eben noch recht, oder wird's ihnen schon zu viel, zu stark seyn? Das ist die Frage, auf die sich namentlich bei Trag?dien vor der Auff?hrung niemand eine sichere Antwort gestatten wird.<<

Der Dichter war sehr betreten. Nach der sch?nen und reinen Anerkennung der ersten Akte hatte er eine Ausdehnung dieses Urtheils auf das Ganze um so mehr erwartet, als nach seiner Meinung das Hauptgewicht der Handlung durchaus in der zweiten H?lfte lag. Zuletzt etwas bedenklich geworden, hatte er sich doch h?chstens auf Beanstandung einer und der andern Einzelnheit gefasst gemacht. Dass das Ganze, die scenische Wirksamkeit der Trag?die ?berhaupt, eine Frage werden k?nnte, das hatte er nicht f?r m?glich gehalten; es ?berraschte ihn schmerzlich, er konnte noch nicht daran glauben.

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