Read Ebook: Aristipp in Hamburg und Altona: Ein Sitten-Gemälde neuester Zeit by Hammerstein Eugen Von
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Ebook has 834 lines and 53648 words, and 17 pages
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Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der 1840 erschienenen Buchausgabe so weit wie m?glich originalgetreu wiedergegeben. Ungew?hnliche und altert?mliche Schreibweisen sowie Zeichensetzung, welche nicht mehr dem heutigen Standard entspricht, wurden nicht korrigiert, insbesondere wenn diese im Text mehrmals verwendet wurden. Regionale Ausdr?cke bleiben gegen?ber dem Original unver?ndert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert, sofern das Verst?ndnis des Texts dadurch nicht beeintr?chtigt wird.
Umlaute in Grossbuchstaben wurden im Original durch deren Umschreibungen dargestellt; dies wurde im vorliegenden Text so beibehalten.
Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter eingef?gt.
Die von der Normalschrift abweichenden Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den nachfolgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:
~ Das Caret-Symbol kennzeichnet einen hochgestellten Einzelbuchstaben.
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Aristipp
Hamburg und Altona.
Ein Sitten-Gem?lde neuester Zeit.
Vom
Freiherrn Eugen v. Hammerstein,
Verfasser des ,,Eduard," der ,,Memoiren," ,,Frankreich und seine Revolution" u. s. w.
Motto:
+Faust.+ ,,Wohin soll es nun gehn?"
+Mephist.+ ,,Wohin es dir gef?llt." ,,Wir sehn die kleine, dann die grosse Welt, ,,Mit welcher Freude, welchem Nutzen, ,,Wirst du den Cursum durchschmarutzen."
Goethe.
Celle. Verlag von E. H. C. Schulze. 1840.
Erste lustige Fahrt.
Aristipp und Hippias. Das H?tel der Madame Gr?nbein in Ottensen. Altona. Die K?nigsstrasse. Hammerich und Lesser. Fr. Clemens. Die kleine Catharinenstrasse. Der Keller des Herrn Ahl. Gespr?che zwischen Aristipp und Hippias ?ber Journale, Zeitungen, Literatur und Literaten. Die Buchhandlung des Herrn Georg Blatt. Unterredung zwischen Hippias, Aristipp und Herrn Georg Blatt. Der Keller des Herrn Kerkhoven. Unterredung zwischen Aristipp und Herrn Moses Samson ?ber die Israeliten. Der Baron und Gipsy. Altonaer Klatscherei. Der Baron, Aristipp und Hippias. Geschichte des Barons und des Herrn von Pichmeier. Die Erfrischungshalle. Die Schenkmamsellen. Fr?ulein Brettomani und Demoiselle Henriette. Gedichte des Barons, Hippias und Aristipps. Das H?tel Petit und Herr Herrmann Bleicamb. Gespr?che ?ber Clemens Gercke. Das Holl?ndische Caf?ehaus. ~Mynheer Ianssen.~ Mlle Jeanneton, Thereson und Linon. Der wunderbare Mann. Der Baron und der Holl?ndische Doctor-Capit?n. Die englischen Schiffscapit?ne. Promenade. Lieschen. ~London-Tavern~ bei Heitmann. Geschichte des armen Lieschen und Hippias. Raisonnements.
Eines Morgens befand ich mich in meinem Zimmer in Altona, als ich die Bothschaft erhielt, sogleich nach Ottensen zu Madame Gr?nbein zu kommen, weil mein Freund Hippias dort angelangt sei. Ich eilte hin und trat mit folgenden Worten, lachend, in seine Stube:
,,Aber sage mir, wie kommst du dazu in diesem Nonnenkloster abzusteigen?"
,,Aus dem einfachen Grunde, weil mir dieses Gasthaus durch eine Holsteinsche Klosterdame empfohlen worden. Uebrigens bereue ich es nicht hier abgestiegen zu sein, denn es schl?ft sich hier vortrefflich; Alles ist ruhig, der Garten hinter dem Hause sch?n und die Wirthinnen unterrichtet, zuvorkommend und h?bsch. Genug hiervon. Und nun, Freund Aristipp, ist es deine Sache die wenigen Tage, welche ich in Altona bleiben werde, mich auf eine angenehme Weise hinbringen zu lassen. Ich bin gekommen um mich hier zu am?siren."
,,Dich in Altona zu am?siren? Nun, bei Gott, der Gedanke ist nicht ?bel! Glaubst du denn, dass irgend ein Menschenkind von Stande sich je in Altona am?sirt h?tte? Unter uns Hippias, du bist zu vornehm um dich am?siren zu d?rfen, du hast hier Verwandte und Bekannte die es dir nie vergeben w?rden, +wenn+ du dich hier am?sirtest. Dein Name wird schon in der Fremden-Liste stehen, und so kannst du gewiss sein, dass jeder deiner Schritte hier bemerkt, bekrittelt und beklatscht werden wird."
,,Gut. Wie beginnst du es denn aber um deine Zeit hier angenehm hinzubringen, da du in gleichen Verh?ltnissen mit mir stehst?"
,,Ich setze mich ?ber alle Nachreden hinweg; frequentire nicht die gute Gesellschaft; mache keine Visiten; lebe auf meine eigene Hand und suche meinen Trost in meiner Freiheit, bei meinen B?chern und meine Erholung in Bachus und in der Freude Armen. Ich bin ein Mann des Volkes. Ich besuche alle ?ffentliche Oerter, die H?tte des Armen. Ich spreche mit Jedermann; geniesse das Leben und studiere bei meinen Orgien und Bachanalien den menschlichen Verstand; das menschliche Herz; Lebensweisheit. Jeder Mensch ist f?r mich ein Blatt aus dem ungeheuren Lehrbuche der Sch?pfung; daher mir interessant, wichtig. Desshalb mische ich mich unter das +Volk+ und beobachte die Handlungen, den Gem?thszustand, die Ansichten und die Stufe der Bildung des gemeinen Mannes. Es l?sst sich nicht l?ugnen, dass ein kluger Minister viel Verstand und Kenntnisse besitzen muss; dass ein Justizrath, ein Regierungsrath, ein Advocat, ein Professor, ein Polizeiminister Kenntnisse, Einsichten und Verstand besitzen muss. H?ufig trifft es sich aber, dass der gemeine Mann, oder das +Volk+ in seiner einfachen Art Gegenst?nde aufzufassen, eine sch?rfere Urtheilskraft beweist als alle jene Gelehrte und Studierte. Aus diesem Grunde bin ich ein Mann des +Volkes+ geworden. Nicht aber, weil ich ein Republikaner, oder ein junger Deutscher bin, wie man es glauben k?nnte. Das war ich nie und werde es nie! Die vornehme Sippschaft, obgleich ich zu ihr geh?re, hasse ich, weil sie nie und nimmer veraltete Vorurtheile ablegen wird, und nimmer dem Menschen oder dem gemeinen Manne oder dem Volke gleiche Rechte mit den privilegirten St?nden zugestehen wird." -- --
,,Verzeihe es mir, Aristipp, wenn ich dich unterbreche. Deine Suade ist mir zu bekannt, als, dass ich nicht bef?rchten m?sste, liesse ich dich zu reden fortfahren, wir w?rden den ganzen Tag hier in Ottensen versitzen. Das ist nicht meine Meinung. -- Du kennst mich ?berhaupt gut genug um davon ?berzeugt zu sein, dass deine Gesellschaft mir lieber ist, als jede andere. Dich zu sehen; mit dir zu sein bin ich hieher gekommen. Wo du mich hinf?hrest, da gehe ich hin. Du weisst, dass wir Jugendbekannte, Verwandte, Universit?tsfreunde, Milit?rs und Schriftsteller waren und sind; was dem Einen gef?llt, gef?llt folglich dem Andern. Und nun entwirf den Plan unseres Taglaufes." --
,,Wenn du so willst, so ist er schon fertig. Ich werde dich ?berall hinf?hren wo guter Wein, gutes Essen zu haben ist, und dir manche h?bsche M?dchen und Frauen zeigen. Wir werden Gelegenheit haben einige gleichgesinnte Bekannte zu treffen, und wollen uns bem?hen jeder Sache oder jedem Gegenstande, die oder der uns auf unserer Fahrt aufstossen sollte, die +wahre+ Seite abzugewinnen. Hier in Ottensen w?sste ich dir nichts zu zeigen. Klopstocks Grab wollen wir betrachten, wenn wir zur?ck kommen und ernster gestimmt sind. Rainvilles Garten kennst du. Das Geb?ude, die Anlagen und die Aussicht sind dort wundersch?n; aber da ist kein Leben, kein Treiben! Wir wollen den Menschen studieren. Gehen wir."
Nach diesen Worten ergriffen Hippias und ich Hut und Stock; traten aus dem Gr?nbeinschen H?tel; schritten quer ?ber den grossen Platz die Allee nach Altona hinunter und befanden uns bald in der K?nigsstrasse der friedlichen Stadt zweiten Ranges des K?nigreiches D?nemark, oder, um mich besser auszudr?cken, in der +ersten+ Stadt des +Herzogthums Holstein+. Ich erlaube mir dieses hervorzuheben, weil es ein anmassender Gedanke des D?nen ist, Holstein als eine d?nische Provinz zu betrachten, da Holstein mit D?nemark in +keiner andern Beziehung und Gemeinschaft steht+, als dass der Herzog von Holstein, K?nig von D?nemark ist. Die Holsteiner als D?nen zu betrachten, w?rde ebenso falsch und l?cherlich sein, als wenn man unter der Regierung Wilhelms des Vierten die Hannoveraner Engl?nder genannt, und Hannover als ein von England abh?ngiges K?nigreich h?tte betrachten wollen. --
Hippias und ich gingen bei der Buchhandlung von Karl Aue, der Buchdruckerei und Verlagshandlung von Hammerich und Lesser, der Leihbibliothek von Lesser vor?ber.
,,Hier wohnt Karl Aue und Hammerich und Lesser," bemerkte ich. ,,Schriftsteller, wie wir, empfinden immer ein gewisses Hochachtungs-Gef?hl, wenn wir vor einer grossen Buchhandlung vorbeigehen. Es m?sste ganz angenehm sein dort verlegt zu werden, nicht wahr? Die Hammerichsche Verlagshandlung hat einen bedeutenden Ruf in Europa. Hammerich ist ein th?tiger Mann und weiss die Verlags-Artickel richtig zu beurtheilen. Auch der Freihafen erscheint dort."
,,Eine Empfehlung f?r beide. Der Name des Verlegers thut oft soviel, als der Name des Schriftstellers. Ein Werk, das bei Hammerich und Lesser, oder bei Hoffmann und Campe verlegt worden, bedarf keiner weitern Empfehlung."
,,Du machst den Herrn ein grosses Compliment; jedoch pflichte ich dir bei. Die Lessersche Leihbibliothek ist ausserdem im ganzen Lande ber?hmt, und hat den Vorzug, dass man in ihr fast t?glich Fr. Clemens antrifft, welcher dort die neuesten Werke liest."
,,Wer ist das?"
,,Fr. Clemens! Clemens Gerke! da fragst du noch? Hast du denn nicht seinen ,,Spatziergang durch Hamburg;" sein ,,Bei Nacht und Nebel;" seinen ,,Jacob Stainer" gelesen!? Du bist weit zur?ck. Ich rathe dir, auf alle F?lle, diese B?cher zu lesen. Du wirst in ihnen eine starke, m?nnliche, wilde Phantasie finden, richtige Ansichten des Lebens und ein hochherziges Gem?th."
,,Ich werde deine Empfehlungen gewiss beachten, du scheinst sehr von diesem Manne eingenommen zu sein?"
,,Du wirst es auch sein, wenn du seine Schriften gelesen, noch mehr aber, wenn du ihn selbst pers?nlich kennst und seine Ansichten und Grunds?tze von ihm selber aussprechen h?rst. Sie sind zeitgem?ss, richtig und edel. Ueberhaupt, lieber Freund, obgleich ich ein ~aimable rou?~ bin; so hat sich doch bei mir nie das Gef?hl, die Empf?nglichkeit f?r das Grosse, das Sch?ne, das Heilige, die Tugend und das +Achtbare+ verloren. Wie hoch muss ich daher einen Mann sch?tzen, der von dem Grundsatze ausgeht: +jeder Schriftsteller muss sich als Lehrer des Volkes betrachten, und wie sein Wort, das er an das Volk richtet, rein und edel sein muss; so muss auch sein b?rgerlicher Lebenswandel rein und makellos sein+."
,,Dein Clemens hat Recht, Aristipp. Das k?stlichste Getr?nk aus einem schmutzigen, unreinen Gef?sse angeboten, widert an. Du erregst meine ganze Neugierde diesen Mann kennen zu lernen, weil es so selten ist, in dem genialen Schriftsteller auch den sittlichen, moralischen Menschen achten und lieben zu k?nnen! Wir werden den Clemens wohl in den geselligen Cirkeln antreffen k?nnen."
,,Clemens Gerke! Du hast gut sprechen! Er ist nicht hochgeboren; nicht reich; kein graduirter Doctor! Er ist nur ein simpler Musikant, der noch dazu in einem ?ffentlichen Locale in St. Pauli spielt! Wie k?nnten die +anerkannten Solidit?ten+, aus denen die hiesige, h?here Gesellschaft besteht, einen Mann in ihren Kreisen sehen, dessen Amati zum Tanze der M?dchen und lustiger Matrosen spielt!!! Guter Freund! Auf die +Schaale+ kommt es hier an, nicht auf den +Kern+! Der Mann, seine Talente, gelten nicht, nur sein Titel; seine Firma oder sein Reichthum!"
,,Was verstehst du unter dem Ausdrucke: +anerkannte Solidit?ten+?"
,,Das sind erstens alle Leute, welche Geld genug haben um ,,insgeheim" ihre menschlichen Schw?chen zu befriedigen; ihre Fehler und L?ste mit silbernem oder goldenen Mantel zu bedecken, und daher vor der Welt als moralische, sittliche M?nner auftreten.
Zweitens Alle jene Leute, welche den Schein beobachten; die durch fleissiges Kirchengehen, Armen- und Krankenh?user Besuchen; dadurch, dass sie Gott, Christum, Tugend, Th?tigkeit und Grunds?tze stets im Munde f?hren, ihren Ruf als heilige und christliche Menschen begr?ndet haben.
Drittens die ganze Masse von ?ltlichen Frauenzimmern, heirathet oder nicht, die, weil sie nicht mehr s?ndigen k?nnen, weil Niemand sie zu verf?hren strebt, nichts anders thun, als ihre +wohlfeile+ Ehrbarkeit und Tugend hervorzustreichen und ?ber ihre Mitmenschen herzufallen. Zu dieser Classe geh?ren noch ausgemergelte Junggesellen, und diejenigen Ehem?nner, welche in ihrer Jugend die leichtsinnigsten und ausschweifendsten waren, und es den jungen M?nnern nicht verzeihen, dass sie Fehler begehen, welche sie selbst begingen. Ein ander Mal mehr hiervon."
,,Wir sind grade vor einer Colonial-Waaren-Handlung, wo es gute Cigarren giebt. Lass uns hineingehen."
Wir traten in das Haus des Kaufmanns, wo ein reinlich gekleidetes, rothbackiges Ladenm?dchen uns ein Dutzend Cigarren und f?r einen Doppelschilling Schnupftaback verabreichte. W?hrend ich bezahlte betrachtete Hippias ein P?ckchen Taback, welches auf dem Ladentische lag und zeigte es mir. Das P?ckchen war in ein Papier geh?llt, auf welchem vier rauchende M?nner abgebildet waren, die um einen Tisch herum sassen und folgende sinnreiche Bemerkungen machten, die ?ber ihren K?pfen zu lesen waren:
Der Eine sagte mit zufriedener Miene: ,,De Taback" -- Der Andere: ,,is got von Schmack" -- Der Dritte fragt neugierig: ,,wo k?pt ji de?" -- worauf der Vierte erwiederte: ,,bi Sauk?."
Wir kauften der Merkw?rdigkeit wegen dieses P?ckchen; verliessen das Haus, nachdem wir einige Blicke auf die sch?ne Besitzerin desselben geworfen hatten, welche in einem Nebenzimmer, in dessen Th?re ein Glasfenster angebracht war, mit weiblicher Arbeit besch?ftigt sass.
,,Eine wundersch?ne Frau," bemerkte Hippias weggehend.
,,Was noch mehr zu bewundern ist" antwortete ich, ,,ist, dass sie ebenso tugendhaft, als sch?n ist. Sie hat zwei Schwestern von denen man dasselbe sagen kann. Das sch?ne Geschlecht in Altona ist ?berhaupt solide."
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