Read Ebook: Rund um Süd-Amerika: Reisebriefe by Riesemann Oskar Von
Font size:
Background color:
Text color:
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page
Ebook has 528 lines and 50132 words, and 11 pages
Der Nachahmungstrieb, wenn er nicht auf innerem Verst?ndnis und wirklichem Bed?rfnis beruht, sondern auf Eitelkeit und Parven?-Ehrgeiz, ist eine gef?hrliche, ja verh?ngnisvolle Eigenschaft. Er f?hrt zu geistigen F?lschungen, zieht in der Regel Zwang und Unfreiheit nach sich und bedingt das betr?bliche Schauspiel, wie Sinn in Unsinn verkehrt wird.
Einen Beleg f?r diese Behauptung bietet das Leben der chilenischen beau monde, wie es sich dem europ?ischen Beobachter darstellt.
Sobald der S?damerikaner -- hier ist speziell vom eingeborenen Chilenen die Rede -- zu Gelde kommt, packt ihn die Eitelkeit, es in allen Dingen den hochm?tigen Europ?ern nicht nur gleich-, sondern wom?glich zuvorzutun. Da ihm die eigenen Ideen fehlen -- wo sollte er sie auch herhaben -- muss er sich aufs Nachahmen verlegen. Und da entsteht jenes erg?tzliche Bild, das die Kritik herausfordert, auch wenn man kein Mephistopheles ist: >>wie er sich r?uspert, wie er spuckt ...<<
Am?santer noch als dies ist, dass sich dieselben Gesichtspunkte hier auf das gesellschaftliche Leben ?bertragen, auch wenn die Chilenen unter sich sind. Weiss man doch von seinem gesellschaftlichen Partner nicht ganz genau, was f?r >>europ?ische<< Begriffe er sich angeeignet hat. Von Leuten, die in den hiesigen Verh?ltnissen gut versiert sind, h?rt man einstimmig behaupten, dass in der chilenischen Gesellschaft eine arge Korruption herrscht. Es f?llt schwer, das zu glauben, denn nach aussen hin ist nicht das allergeringste davon zu merken. Im Gegenteil, ein sittenstrengeres Gebaren, als es die Chilenen allenthalben zur Schau tragen, l?sst sich kaum denken. Hier herrscht zwischen Innen und Aussen augenscheinlich dasselbe Verh?ltnis, wie etwa in der Kleidung der bolivianischen Indianerfrauen. Nach aussen hin sehen sie sauber und appetitlich aus, und nur der Eingeweihte weiss, dass unter dem sch?nen neuen Kleiderrock unz?hlige alte, schmierige und zerfetzte stecken.
Je strenger ein Dogma eingehalten wird, desto mangelhafter ist es meistens um sein Verst?ndnis bestellt. Das hat hier nicht nur auf die Dogmen der katholischen Kirche Anwendung, die mit einer unerbittlichen Strenge und peinlichster Genauigkeit befolgt werden, sondern auch auf die von Anno dazumal ?bernommenen Dogmen des europ?ischen gesellschaftlichen Lebens. Wichtig ist hier wie dort nur, wie die Sache nach aussen hin aussieht, doch darf man ihr beileibe nicht einen Millimeter breit auf den Grund gehen.
Der europ?ische Begriff der Geselligkeit scheint hier ?berhaupt in seinen gew?hnlichsten Formen unbekannt zu sein. Man vergleiche z. B. das muntere ungezwungene Leben, das in einem beliebigen europ?ischen Badeorte herrscht, mit dem, was man in dem fashionablen chilenischen Seebade Vina del Mar sieht. Dieser Badeort zeichnet sich schon dadurch vor allen ?brigen aus, dass kein Mensch dort badet. Ausser einigen Kindern, meistens Strassenjungen, geht niemand ins Wasser. Das Meer wird h?chstens als Schauspiel genossen, und auch das mit Mass. In Vina del Mar wohnt w?hrend der Sommermonate die gesamte vornehme Welt Chiles und jeder, der gern dazu geh?ren m?chte. Das Badeleben beschr?nkt sich darauf, dass man zweimal t?glich in seiner blankgeputzten Equipage spazierenf?hrt, das heisst was man so spazierenfahren nennt. In langen Reihen bewegen sich die eleganten Wagen die staubigen Strassen des St?dtchens entlang. Oft bleiben sie stehen, doch nicht um den Insassen Gelegenheit zu einem Spaziergange zu geben. Das w?re der kostbaren Toiletten und fabelhaften H?te wegen schon nicht zu empfehlen. Die Herrschaften bleiben in den Wagenpolstern ruhen, und die Equipage h?lt nur, damit die Insassen bequemer lorgnettieren und sich lorgnettieren lassen k?nnen. Und der wundervolle Strand mit seinem schneeweissen D?nensande, der endlos sich dehnenden gl?nzenden Fl?che des stillen Ozeans und den verf?hrerisch sch?umenden Flutwellen bleibt um jede Tageszeit gleich leer -- ein Tummelplatz f?r die lustige Strassenjugend, die es nicht n?tig hat, auf alle F?lle >>fein<< zu sein. Dieses Feinseinwollen ? tout prix ist das Ungl?ck der Chilenen, es unterbindet jedes Vergn?gen und ist auch der alleinige Grund ihres absurden, t?dlich langweiligen Badelebens. Niemand wagt es, an den Strand zu gehen, denn man muss t?glich und wom?glich st?ndlich zeigen, dass man eine Equipage besitzt und sich einen Kutscher in Livree mit weissen Lackstiefeln leisten kann. Da der Strand von niemandem besucht wird, braucht man ihn nat?rlich auch nicht zu pflegen. Badeeinrichtungen sind nur in so primitiver Form vorhanden, dass in dieser Hinsicht das letzte Fischerdorf der Ostsee ein Ausbund von Luxus dagegen ist. Vor f?nf Monaten ist am Strande von Vina del Mar ein grosser chilenischer Passagierdampfer gescheitert. Die Tr?mmer liegen noch ?berall herum. Als ich eines Tages daran vor?berwanderte, erfolgte pl?tzlich ein f?rchterlicher Knall, und das Wrack spie einen Regen von Holz- und Eisensplittern aus, die mir um die Ohren flogen. Der Schiffsrumpf wurde mit Dynamit auseinandergesprengt, wie sich herausstellte. Da jedoch nie ein Mensch sich am Strande zeigt, hielt man es nicht einmal f?r n?tig, irgend welche Vorsichtsmassregeln, etwa in Gestalt von Warnungstafeln, anzubringen. F?nfhundert Schritte weiter hat man die st?dtischen Abfallgruben, die einen bestialischen Gestank verbreiten. R?udige Hunde suchen dort ihre sp?rliche Nahrung unter halbverfaulten Maisstr?nken und Melonenschalen, alte zerlumpte Bettelweiber sammeln zerbeulte Sardinenb?chsen auf, die von der Flut angesp?lt werden.
Und dies alles geht an einer Stelle vor sich, die wie geschaffen dazu w?re, damit sich dort das herrlichste ungebundenste Strandleben mit all seinen Reizen und Freuden entwickeln k?nnte! O ob der Kurzsichtigkeit des Nachahmungstriebes!
Fehlt Vina del Mar somit der eigentliche Sinn des Badelebens, so ist der Unsinn, in seinen >>chicken<< Formen nat?rlich reichlich vertreten. Dazu rechne ich, ausser dem erw?hnten Toilettenluxus, das krampfhaft gesteigerte Interesse f?r Rennsport mit all seinen Ausgeburten. Der Turf frisst hier nicht weniger Existenzen auf als anderswo. Sportlich stehen die Rennen, mit geringen Ausnahmen, auf keiner sehr hohen Stufe, um so gl?nzender bl?ht dagegen das Totalisator-Gesch?ft. Betritt man den Paddok und schaut sich die chilenische Rennwelt an, so erlebt man manche ?berraschung. Vor allem die, dass die Jockeys in ihren bunten Jacken meist Knaben von 12-18 Jahren sind. Zu einem Rennen sah ich einen Knirps von h?chstens 10 Jahren hinausreiten, seine winzigen H?ndchen umspannten kaum die Z?gel. Vom >>Sport<< kann unter solchen Umst?nden wohl kaum die Rede sein. Die jugendliche Jockey-Gesellschaft muss die Pferde von vornherein durchgehen lassen, und jeder sorgt nur daf?r, dass er im Sattel bleibt, sonst wird weiter keine Reitkunst angewandt. Nur zu den hochdotierten Rennen erscheinen etwas ernsthaftere Leute am Start, und man sieht sportlich hervorragendere Leistungen. Gerade das erw?hnte Rennen wurde vorz?glich geritten, oder vielleicht schien es nur so nach der naiven Karriere-Wurstelei der Jockey-S?uglinge. Am?sant ist es, wenn ein edles Vollblut auf eigenes Risiko vor dem Startzeichen das Rennen beginnt und die Bahn durchrast, ohne dass der Reiter die M?glichkeit hat, es vor Ende der Strecke zum Stehen zu bringen. Die ?brigen Pferde warten, bis der Durchg?nger zum zweiten Mal -- meist unter frenetischem Applaus des Publikums -- die Startlinie passiert und nehmen dann das Rennen auf. Wie lustig dabei die Kombinationen am Totalisator sind, l?sst sich denken, beinahe so lustig, wie das Bild des Rennens. -- Freilich nicht f?r Jedermann.
VON VALPARAISO NACH ANTOFOGASTA. -- DIE CHILENISCHE SALPETER-INDUSTRIE.
Auf der s?dlichen Halbkugel muss man sich an die verkehrte klimatische Rechnung gew?hnen, dass es um so heisser wird, je h?her man nordw?rts kommt. Aus dem Herbst in S?d-Chile war ich in den Sommer von Valparaiso geraten, nun ging es in den Norden den Tropen zu. Der Dampfer >>Thuringia<< der deutschen Kosmos-Gesellschaft nahm uns auf, um uns bis Antofogasta zu bringen. Er war dabei so menschenfreundlich, nie weiter, als 4-5 Kilometer vom Ufer zu fahren, so dass man w?hrend zweieinhalb Tagen stets das sch?nste Gebirgspanorama vor Augen hatte. Die Kordillere zieht sich hier in ziemlicher H?he bis dicht ans Gestade des Ozeans heran. Die Landschaft ist einf?rmig, aber dennoch immer reizvoll. Es ist kaum glaublich, welch eine Unmenge von verschiedenen, immer zarten und weichen Farbent?nen diese mit grauem Sand und r?tlich-braunem Gestein bedeckte Gebirgskette annehmen kann. An sich ist sie das ?deste, was es ?berhaupt gibt. Stein und Sand, Sand und Stein, nicht die leiseste Spur von vegetativem oder organischen Leben. Aber aus der Ferne im wechselnden Licht der Sonne, oder gar bei Mondschein, nimmt sich das alles aus wie ein Zauberland. In weich opalisierendem Glanz heben sich die sch?nen und ausdrucksvollen Konturen des Gebirgszuges vom leuchtenden blauen Himmel ab. In den T?lern und Kl?ften lagern dunkle violette Schatten. Das ganze Bild hat etwas Unirdisches -- ein Eindruck, der sich noch verst?rkt, wenn bei aufgehendem Mond die Farben ins Bl?ulich-Silbergraue zu spielen beginnen.
Wenn man dieses lockend und verf?hrerisch scheinende Land betritt, gibt es freilich eine arge Entt?uschung. Antofogasta ist ein grauenhaftes kleines Nest, wichtig nur als ausserordentlich gut gesch?tzter Handelshafen und als Zentrum des chilenischen Salpeterexportes. Sonst bietet es nichts, ausser einem l?rmenden Anlegeplatz mit Dampfkr?hnen, die nach allen Richtungen in die sonnendurchgl?hte Luft starren, prustenden Lokomotiven, schreienden >>lancheros<<, die heftig gestikulierend ihre Boote anpreisen, staubigen ungepflasterten Strassen, k?mmerlichen h?sslichen Bauten und einem steinigen Strand, der hier, wie ?berall in Chile, in eine ?belriechende Kloake verwandelt ist.
Aber der Salpeter, der Salpeter -- der ist wichtig genug, um Antofogasta unter allen St?dten der Republik einen h?chst bemerkenswerten Platz einzur?umen. Der Salpeter ist der eigentliche Lebensnerv der chilenischen Wirtschaftspolitik. In der Geschichte des Landes hat er eine hervorragende Rolle gespielt. Er war es, der den casus belli im letzten >>Kriege<< zwischen Chile und Bolivien abgab. Die Geschichte dieses Krieges ist ?beraus charakteristisch f?r die s?damerikanischen Verh?ltnisse und wohl wert, erz?hlt zu werden.
Die ergiebigsten und umfangreichsten Salpeterfelder liegen in der Hochebene der Kordillere, die Chile von Bolivien trennt. Antofogasta war ein bolivianischer Hafen, Chile hat seine Rechte darauf dem Nachbarstaate abgetreten unter der Bedingung, dass Bolivien nie eine Ausfuhrsteuer auf Salpeter erheben w?rde. Ein Weilchen ging alles h?chst vorz?glich. Bolivien hatte seinen Hafen, und Chile exploitierte ungeschoren seine Salpeterfelder. Aber nicht lange vermochte Bolivien, dem mit fabelhafter Leichtigkeit gewonnenen Wohlstande des Nachbars zuzuschauen. Es brach den Vertrag und belegte ein Quintal Salpeter mit der allerdings sehr bescheidenen Steuer von 10 Centavos. Da hatte es aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn der Wirt der Companie de Selitres de Antofogasta war niemand anderes als die chilenische Regierung, da sich die Hauptaktien dieser Gold- d. h. Salpeterfelder nat?rlich in H?nden chilenischer Minister befanden. Als Antwort auf sein sch?nes Steuerprojekt erhielt Bolivien von Chile ein milit?risches Ultimatum. Die bolivianische Regierung darauf, auch nicht faul, erliess den Befehl, die Salpeterwerke zu versteigern, um auf diese Weise zu der Steuer zu gelangen. Nun setzte Chile 500 Soldaten auf ein Kriegsschiff und schickte diese gewaltige Heeresmacht nach Antofogasta. Darauf war Bolivien nicht vorbereitet. So wurde denn Antofogasta mit viel Kriegsgeschrei, aber ohne Blutverlust >>erobert<<. Das war nicht schwer, denn die Einwohnerschaft der Stadt bestand zu zwei Dritteln aus Chilenen, zu einem Drittel aus Ausl?ndern, und der einzige Bolivianer -- der Pr?fekt -- hielt es f?r ratsam, keinen Widerstand zu leisten. Damit war der Krieg zu Ende. Jetzt hat Chile seine Salpeterfelder und den Hafen Antofogasta, Bolivien dagegen nichts, als das -- Nachsehen.
Es bedarf von Antofogasta aus einer sechsst?ndigen Eisenbahnfahrt, um die chilenischen Salpeterfelder zu erreichen. Selbst wenn man sich f?r Salpeter nicht besonders interessiert, wird man diese Strapaze nicht bereuen. Denn eine Strapaze ist es. Unter den sengenden Strahlen der Tropensonne schleicht der Zug bergaufw?rts. Die chilenischen Waggons erster Klasse ?hneln in der Konstruktion den Trambahnwagen mit quer gestellten B?nken. Wirklich bequem kann man sich auf keine Weise hinsetzen, besonders wenn man lange Beine hat.
Ringsum -- eine W?ste, eine regelrechte W?ste. ?ber dem grau-gelben Sande vibriert die gl?hende Luft im Sonnenglast. Hin und wieder unterbricht ein erb?rmliches Stationsgeb?ude aus Zinkblech die einf?rmige ?de. Zu essen gibt es nichts ausser einem scheusslichen chilenischen Nationalgericht, den sogenannten >>empanadas<<, einer Art Pastetchen, deren undefinierbare Farce haupts?chlich aus s?ssen Zwiebeln, Safran, Weintrauben, irgend etwas Fleisch?hnlichem und unmenschlich viel Pfeffer besteht. -- Allm?hlich beginnt der W?stensand weisslich zu schimmern. Der Salpeter naht! Auf einer der n?chsten Stationen hiess es >>aussteigen!<< Die Officina >>Annibal Pinto<< war erreicht.
Ich hatte schon vielfach die chilenische Gastfreundschaft r?hmen h?ren, bis dahin jedoch keine Gelegenheit gehabt, sie selbst zu erproben. Hinter der Wirklichkeit blieben alle hochgespannten Erwartungen weit, weit zur?ck. Auf der Station empfingen uns -- wir waren telephonisch angemeldet -- drei Mitglieder der Betriebsleitung. Einer bem?chtigte sich meines Reisekameraden, ein anderer meiner, der dritte unseres Koffers, und von dem Augenblicke an waren wir der Gegenstand so ausgesuchter bezaubernder Liebensw?rdigkeit, wie wir sie bis dahin nicht erlebt hatten, obgleich man in dieser Beziehung als Tourist in S?damerika, besonders seitens der Deutschen, nicht wenig verw?hnt wird. Als Nachtquartier wurde uns die ganz luxuri?s eingerichtete Wohnung des Generaldirektors, der gerade Europaurlaub hat, angewiesen; die exquisiten Diners und Dejeuners, herrliches eisgek?hltes Bier, kostbare chilenische und franz?sische Weine, die fabelhaftesten >>drinks<< und >>cocktails<< in allen Farben spielend, von goldbraun bis rosarot, wie die Berge der Kordillere, -- alles das erweckte den Anschein, das man sich zum mindesten im Plaza-Hotel von Buenos Aires bef?nde. Die ans M?rchenhafte grenzenden Revenuen der Salpeterwerke erlauben es, hier oben in der W?ste einen Luxus zu treiben, wie er sonst auf tausend Meilen im Umkreise, weder in Chile noch in Bolivien, zu finden ist.
Einige von den mir bereitwilligst zur Verf?gung gestellten Zahlen m?gen das Gesagte erl?utern. Das Aktienkapital, mit dem die f?nf >>Officinas<<, d. h. Betriebe der Gesellschaft gegr?ndet wurden, bel?uft sich auf 16 Millionen. Schon im ersten Betriebsjahre wurde dieses Anlagekapital getilgt, da der Reingewinn 18 Millionen betrug. Und auch jetzt noch, obgleich der Betrieb stetig vergr?ssert wird, tragen die Aktien eine Dividende von 100-120 Prozent. Nat?rlich sind nicht alle Salpetergesellschaften so gl?nzend gestellt, wie die, deren G?ste wir waren, doch ist der Salpeter unter allen Umst?nden das lukrativste Gesch?ft in Chile. Auch f?r den Staat, der jetzt den Salpeterbetrieb selbst besteuert hat und daran ca. 180 Millionen Pesos gewinnt. Wie wichtig dem Staate die Salpeterindustrie ist, erhellt aus dem Umstande, dass der chilenische Senat einen Preis von zehn Millionen Pesos ausgesetzt hat f?r rationelle Verwertung der Salpeter?berbleibsel. Die >>Compania de Selitres<< verdankt ihre kolossale Rentabilit?t der wahrhaft ingeni?sen Betriebsanlage ihres Hauptingenieurs Senor Louis B., der w?hrend der Besichtigung unseren liebensw?rdigen F?hrer abgab. Trotz der enormen Salpeterproduktion , besch?ftigt der Betrieb nur 1200 Arbeiter, die nebenbei gesagt, auch ihre 8-13 Pesos t?glich verdienen.
Wie wird der Salpeter gewonnen? Nichts einfacher als das: man hat ihn nur zu nehmen, er liegt ja ?berall herum, der ganze Boden kilometerweit im Umkreise ist weiss davon. Das erste Stadium der Salpetergewinnung scheint trotzdem das schwierigste zu sein, denn nur dort sieht man arbeiten, alles weitere vollzieht sich ganz von selbst. Ein halbst?ndiger Ritt f?hrte uns in die >>Pampa<< hinaus, wo wir die >>calicha<<, d. h. salpeterhaltige Erde im Urzustande sahen. Links und rechts um uns stiegen von Zeit zu Zeit m?chtige Rauchs?ulen in die Luft, ein dumpfer Knall verriet sie, auch wenn man ihnen den R?cken zukehrte -- die calicha wird mit Dynamit auseinandergesprengt, um leichter geschaufelt werden zu k?nnen. Riesige von Maultier-Troikas gezogene Wagen bringen die Erde zum Schienenstrange, auf kleinen >>carretos<< wird sie zu Zerkeinerungsm?hlen gebracht, von dort geht es weiter zu den Kesseln, in denen die Erde mit jodhaltigem Wasser gekocht wird. Die Erde bleibt in den Kesseln zur?ck, von wo sie von fast ganz nackten Arbeitern bei einer Temperatur von 50-75? herausgeschaufelt wird, die salpeterhaltige L?sung fliesst in ein ganzes Arsenal volumin?ser Reservoirs ab, wo sich der Salpeter an der freien Luft kristallisiert. Dann wird das gelbliche Wasser wieder abgeleitet, und in den Reservoirs liegt meterhoch schneeweisser reiner Salpeter. An Ort und Stelle wird er in S?cke verpackt, auf Plattformen verladen, an die Station, von dort nach Antofogasta gefahren und am Anlegeplatz der Compania in die m?chtigen B?uche der Europadampfer verstaut. Und an seiner Stelle str?mt das Gold in die Kasse der Compania zur?ck. Der Prozess ist, wie man sieht, h?chst einfach.
Einen wundervollen, mystisch geheimnisvollen Anblick gew?hren die >>Officinas<< bei Nacht im Lichte der unz?hligen elektrischen Lampen . Der ganze Horizont dieser bei Tage unendlich ?den W?ste belebt sich. Eine Kette roter leuchtender Sterne scheint ihn einzus?umen. Im Mondlicht zeichnen sich die gespenstischen, phantastischen Konturen der Fabrikgeb?ude ab, die wie riesige Gerippe in den Nachthimmel ragen. Dieses Bildes konnte man nicht m?de werden, obgleich unsere liebensw?rdigen F?hrer zum letzten >>drink<<, auf den noch ein allerletzter folgte, dr?ngten. Als ich um Mitternacht endlich im Himmelbette des Generaldirektors lag, kam es mir erst zum Bewusstsein, dass ich zehn Stunden lang ununterbrochen Spanisch geredet hatte, wenigstens musste ich es geredet haben, denn ausser diesem Idiom war auf der Officina kein anderes bekannt. Sonderbar. Bis jetzt glaubte ich kein Spanisch zu verstehen. Man erf?hrt auf Reisen die merkw?rdigsten Dinge. Jedenfalls kommt mir noch heute die Geschichte von meinem Spanisch h?chst -- spanisch vor.
BOLIVIEN. -- ORURO. -- LA PAZ.
Wenn man auf die Karte von S?damerika blickt, scheint Bolivien das Stiefkind unter den s?damerikanischen Republiken zu sein. Ohne Zugang zum Meere liegt es eingeschlossen zwischen den unwegsamen Ein?den der K?stenkordillere und den Schreckensgebieten des Gran Chaco, die auf den besten Karten noch weiss, weil >>unexplored<<, sind, wo wilde Indianer hausen, die, wie man hier mit Sicherheit behauptet, zum Teil noch Menschenfresser sein sollen, und ?ber die ?berhaupt die abenteuerlichsten Ger?chte zirkulieren von vergifteten Pfeilen und ?hnlichen f?r reisende Europ?er wenig erheiternden Scherzartikeln.
Auf den Reisenden, der von der K?ste des Stillen Ozeans her ins Land hereinf?hrt, macht Bolivien anfangs einen trostlosen Eindruck. Man kann nichts ahnen von den Reicht?mern und Herrlichkeiten, die das Land birgt und die seinen Einwohnern unter allen Umst?nden eine h?chst angenehme Existenz sichern, obgleich sie von aller Welt abgeschnitten zu sein scheinen.
Vierzig Stunden lang klettert der Eisenbahnzug von Antofogasta aus in die bolivianische Hochebene hinauf. Der Laie bemerkt an der W?ste von Gestein und Ger?ll, die ihn umgibt, nichts Aussergew?hnliches, ausser der bunten F?rbung der Berge, ihren zum Teil pittoresken Formen. Sie sehen so aus, als h?tte der liebe Gott sie anmalen wollen und aus Versehen seinen Farbenkasten umgeworfen. Rote, blaue, gelbe, gr?ne, violette Klexe ?berall. Noch sieht man stellenweise den schlanken Kegel irgend eines Vulkans rauchen, von ferne her gr?ssen die Schneekoppen der Hauptkordillere.
F?r den Geologen dagegen ist das ganze Gebiet, das man durchf?hrt, eine Quelle ununterbrochenen Entz?ckens. Zuerst geht es durch die Salpeterfelder mit ihrer weisslich schimmernden >>caliche<<; dann durchquert die Bahn das Becken pr?historischer Gebirgsseen, die aussehen, als seien sie mit Zucker bestreut. Es ist reiner Borax, der einer englischen Kompanie, die diese Felder ausbeutet, h?bsche S?mmchen j?hrlich abwirft. Sieht man den Schnee gelb schimmern, so weiss man, dass dahinter reiche Schwefelgruben stecken, und von den Zinn- und Silberminen, die ihren Besitzern fabelhafte Reicht?mer einbringen, von den merkw?rdigen Schichten, in denen das kostbare Wolfram-Metall gefunden wird, l?sst man sich von gespr?chigen Mitreisenden Wunderdinge berichten. Staunend h?rt man die Erz?hlungen ?ber Silberminen, die durch unrationellen Betrieb dahingebracht werden, dass das Grundwasser sie rettungslos zerst?rt. Die Arbeiter h?mmern, bis an die Brust im Wasser stehend, das kostbare Erz los, bis das steigende Wasser sie oder die Mine ers?uft. Hier herrscht ja ?berall fast noch reiner Handbetrieb. Grosse Maschinen lassen sich in die fabelhaften H?hen, in denen das Erz lagert, nicht hinauf bringen. Versucht man es, so kann es einem gehen, wie einer englischen Gesellschaft im tropischen Goldgebiete Boliviens. Sie machte eine Maschinen-Anlage f?r Goldw?schereien am Benifluss, die Millionen und Abermillionen kostete und nicht betrieben werden kann, weil alle wirtschaftlichen Vorbedingungen dazu fehlen. Und die englischen Ingenieure mit dem verpulverten Kapital m?ssen dasitzen und zusehen, wie irgend ein alter Inl?nder gegen?ber am Fluss sozusagen mit einem Tellerchen seine 500 Pesos Gold monatlich aus dem Beni herausw?scht, w?hrend ihre kostbare Patentbaggermaschine hoffnungslos versandet.
Sitzt man im Eisenbahnzuge Antofogasta--Oruro, so merkt man von Stunde zu Stunde mehr, dass H?hengrade erreicht werden, f?r die unsere europ?ischen Lungen ganz und gar nicht eingerichtet sind. Ohrensausen, Kopfschmerzen, die ersten Anzeichen der Bergkrankheit stellen sich mit t?dlicher Sicherheit ein. Ein Gang aus dem Pullman-Car in den Speisewagen raubt einem nicht nur den letzten Rest von Atem, sondern leider auch den Appetit. Oruro liegt 4000 Meter hoch. Das schreibt sich leichter hin, als es sich ertragen l?sst. Nur langsam gew?hnt man sich daran und an die damit verkn?pften verr?ckten klimatischen Verh?ltnisse, tags?ber brennt einem die Tropensonne senkrecht auf den Kopf, abends wird es schneidend kalt, und kein ?berzieher ist dick genug gegen die d?nne Luft. Dann greifen alle Einwohner der Stadt zu einem auch anderw?rts bekannten Remedium gegen K?lte -- dem Alkohol. Wenn die Sonne untergeht, findet man in den Bars an der Plaza kein Pl?tzchen mehr. Die gesamte m?nnliche Einwohnerschaft Oruros versammelt sich dort, um dem K?rper vermittelst unz?hlbarer Cocktails die n?tige W?rmemenge zuzuf?hren. Und die ganze Plaza wiederhallt vom Klappern der W?rfel, mit denen an allen Tischen diese Cocktails ausgespielt werden. So ohne weiteres bezahlt n?mlich in Bolivien niemand sein Getr?nk. Jedermann w?rfelt mit 5-10 Gesinnungsgenossen die >>Runden<< aus. Und wenn man Pech hat, kann man vor dem Essen seine 15-20 Pesos in Cocktails anlegen.
?usserlich bietet Oruro gleich den meisten anderen bolivianischen St?dten ein merkw?rdiges Bild. Anzeichen altspanischer Kultur vermengen sich mit moderner Physiognomielosigkeit, ein gewisser beh?biger Wohlstand mit primitiver Armut. Neben w?rdevollen Ziegelbauten in maurischem Stil stehen elende strohgedeckte Lehmh?tten. An den Haust?ren sind ?berall noch die guten alten T?rklopfer zu sehen, davor strahlen abends elektrische Bogenlampen. ?ber die zum gr?ssten Teil ungepflasterten Strassen poltern vorsintflutliche Riesendroschken mit Maultieren bespannt und halten vor den Portalen hellerleuchteter Kinematographen-Theater. Die Bev?lkerung besteht haupts?chlich aus Indianern und Angeh?rigen der Mischrasse, die wenigen Europ?er sind Angestellte der ausl?ndischen Banken und gr?sseren Handelsh?user.
Die bolivianischen Indianer sind als Menschenschlag nicht h?sslich. Jedenfalls sind sie Sch?nheiten im Vergleich zu den chilenischen Mapuches, an deren schlitz?ugig-mongolischem Aussehen, wie man sagt, ein in unvordenklichen Zeiten gestrandetes Schiff mit chinesischer Bemannung Schuld sein soll. Dieser mongolische Typus fehlt unter den bolivianischen Indianern vollst?ndig, sie haben runde Gesichter mit weichen Z?gen. Zu der kupferbraunen Haut und den kohlschwarzen Haaren sehen die grellbunten Ponchos, die allen ausnahmslos ?ber die Schultern h?ngen, famos aus. Dank der farbenfrohen Kleidung der Indianer ist das Strassenbild in den bolivianischen St?dten ausserordentlich belebt. M?nner und Weiber wetteifern in der Auswahl der leuchtendsten Farben f?r ihre Ponchos respektive Kleiderr?cke. Sieht man sich dieses Giftgr?n, Knallgelb, Feuerrot in der N?he an, so tun einem die Augen weh. Eine der sch?nsten und beliebtesten Farben ist ein sattes, ziemlich helles Violett. Der ?brige Anzug besteht bei den M?nnern aus ebenso bunten gestrickten Zipfelm?tzen, auf denen ausserdem ein weisser Filzhut aus dem Stoff der Bajazzom?tzen sitzt, und Hosen, die unten bis zur halben Wade geschlitzt sind und in zwei Bahnen am Fuss herabh?ngen. Diese merkw?rdige Fasson erkl?rt sich durch die Notwendigkeit, die Hosen jeden Augenblick aufkrempeln zu m?ssen, n?mlich bei den ?berg?ngen ?ber die Fl?sse und reissenden B?che, von denen Weg und Steg im Gebirge durchkreuzt sind, und von denen auch ich bald ein Lied singen lernen sollte. Die Frauen sehen von den H?ften abw?rts alle wie verkappte Ballerinen aus. Sie tragen eine Unzahl R?cke, ziehen immer einen ?ber den anderen und nie einen aus, wird der oberste schlecht, so wird er durch einen neuen nur verdeckt, nicht ersetzt. Das ist weder appetitlich noch hygienisch, daf?r aber bei dem hiesigen Klima zweckm?ssig, weil w?rmend. Auf dem Kopfe sitzt den Weibern ein hellgelber, kesself?rmiger Strohhut, darunter h?ngen immer zwei wundervolle, festgeflochtene schwarze Z?pfe hervor. Das ganze Ensemble sieht aberwitzig aus, besonders bei den Cholofrauen, d. h. Mischlingen, die als Rasseabzeichen hohe Schn?rstiefel mit spitzigen hohen Hacken unter den halblangen R?cken tragen. Vollblut-Indianer und Indianerinnen gehen immer barfuss.
>>Sehensw?rdigkeiten<< im europ?ischen Sinne bietet keine der bolivianischen St?dte. Sie sind selbst in ihrer Eigenart sehensw?rdig genug. La Paz, die Hauptstadt des Landes, Sitz der Regierung und des Pr?sidenten, hat genau denselben Charakter wie Oruro. Das Klima ist besser, denn La Paz liegt >>nur<< 3600 Meter hoch. ?brigens ist die Lage der Stadt vom malerischen Standpunkt aus wundervoll. Tiefeingeschlossen in einem Talkessel, umrahmt von pittoresken Felsbl?cken liegen die H?user da, geordnet in winkelige Strassen, die mitunter unglaublich steil bergauf und bergab f?hren. Sogar f?r die >>Plaza<< hat man keine wagerechte Ebene finden k?nnen. So sieht dieser schr?g abfallende Platz aus, als sei er eben durch ein Erdbeben aus dem Gleichgewicht gebracht. Keines der Geb?ude, das ihn umgibt, hat eine gerade Fassade. Auch schimmert in La Paz hin und wieder das Gr?n sch?ner Platanen zwischen den H?usern, w?hrend Oruro kahl wie ein Greisensch?del ist. Das Sch?nste in La Paz aber ist der >>Illimani<<, der Riese der bolivianischen Kordillere, dessen leuchtend weisses Haupt sich 7500 Meter hoch in den azurblauen Tropenhimmel erhebt.
Der Zugang zur Stadt ist erst seit einigen Jahren erleichtert worden durch eine elektrische Bahn , die 400 Meter herab vom sogenannten >>Alto<< zur Stadt hinunter f?hrt. Als ich die schwindelnden Kurven dieser Bahn hinabfuhr, fiel mir eine erg?tzliche Geschichte ein, die mir ein bolivianischer Parlamentarier auf dem Dampfer zwischen Valparaiso und Antofogasta erz?hlt hatte. Vor nicht allzulanger Zeit machte sich der englische Ministerresident in La Paz h?chst unbeliebt. Als sein Treiben den Bolivianern zu bunt wurde, entledigten sie sich seiner auf eine sehr drastische Weise. Sie setzten ihn r?ckw?rts auf einen Esel, gaben ihm den Schwanz in die Hand und f?hrten ihn so zur Stadt hinaus zum Alto hinauf. England schnaubte Rache, doch was sollte man mit dem kleinen vorwitzigen Bolivien machen, dem zu einer Flottendemonstration, die England so liebt, die Meere fehlen! Da nahm man in London die Karte S?damerikas zur Hand, strich Bolivien einfach aus und schrieb an seine Stelle das einzige aber vielsagende Wort >>savage<< hin. So die ?berlieferung.
Ja, was soll man mit Bolivien machen, wenn es sich Dreistigkeiten herausnimmt, die anderswo nicht ungerochen bleiben w?rden. Strategisch ist das Land von allen Seiten her absolut unzug?nglich. Darauf bauend hat die Regierung sich bis zur letzten Zeit auch wenig um milit?rischen Schutz gek?mmert. Erst die traurige Geschichte vom Verluste Antofogastas, die ich im vorigen Briefe erz?hlte, hat diese Frage mehr in den Vordergrund des Interesses ger?ckt. Man g?nnt Chile den Hafen nicht, und will ihn auf alle F?lle zur?ckerobern. Dazu braucht man aber Soldaten, die man bis vor kurzem in Bolivien nicht hatte. Da hat man endlich mit der Erziehung einer Armee begonnen. Zuerst wurde diese schwierige Aufgabe -- gilt es doch haupts?chlich Indianer zu drillen, die ausnahmslos Analphabeten sind und ausser ihren zungenbrechenden Idiomen >>Aimara<< und >>Quechoa<< keine Silbe verstehen -- franz?sischen Instruktoren anvertraut. Erst als damit gar nichts erreicht wurde, berief man nach dem Beispiel Chiles deutsche Offiziere. Diese haben in der bolivianischen Armee wahre Wunder zustande gebracht. Davon durfte ich mich selbst ?berzeugen. Auf die freundliche Einladung des Generalissimus der bolivianischen Armee, des preussischen Majors K., wohnten mein Reisekamerad und ich einer Man?ver?bung in Oruro bei. Die ?bung war gleichzeitig Schlusspr?fung f?r sogenannte Dreimonate-Rekruten, die nicht l?nger von ihrer Feldarbeit ferngegehalten werden sollen. Was diese Burschen auf allen Gebieten milit?rischen Drills leisteten, war tats?chlich erstaunlich. Die Exaktheit, mit der nicht nur Gewehrgriffe, sondern auch komplizierte Bewegungsman?ver ausgef?hrt wurden, h?tten einem beliebigen europ?ischen Regiment zur Ehre gereicht. Famose Sch?tzen sind die Indianer mit ihren sprichw?rtlichen Adleraugen nat?rlich allesamt. Eine Aufmerksamkeit, die uns der liebensw?rdige Oberkommandierende bei dieser Gelegenheit erwies, m?chte ich noch erw?hnen. Beim Flaggensignalisieren zwischen zwei Truppenteilen ?berreichte uns der leitende Offizier die erste signalisierte Parole. Sie lautete: >>Boshe Zarja chrani<<. Diese Worte -- der Anfang der russischen Nationalhymne -- m?gen in der bolivianischen Hochebene inmitten roth?utiger Indianersoldaten zum ersten Male geh?rt worden sein.
In La Paz hatten wir sp?ter Gelegenheit, die bolivianische Kadettenschule zu besichtigen. Sie untersteht ebenfalls der Leitung eines deutschen Offiziers, des Hauptmanns M. Es ist eine Freude zu sehen, mit welcher Lust diese kr?ftigen braunen Jungen turnen, mit welch einem geradezu akrobatischen Geschick sie die schwierigsten Evolutionen an Reck und Barren ausf?hren. Diese Vorf?hrungen fanden zu Ehren einiger chilenischer Minister statt, die in diplomatischer Mission in La Paz weilten. Als die Gesellschaft nachher bei einem Glase Champagner zusammensass oder vielmehr stand -- der erste Toast galt ?brigens wieder dem russischen Zaren -- passierte mir ein peinliches Missverst?ndnis, an das ich noch jetzt ungern zur?ckdenke. Ich unterhielt mich mit einem Herrn, der mir als S. Exzellenz der Herr Kriegsminister genannt worden war. In der sichern Annahme, es sei der chilenische, erging ich mich in Lobeshymnen ?ber das chilenische Milit?r, das ich in Santiago und Valparaiso gesehen hatte. Das Gesicht meines Partners wurde dabei zu meinem Erstaunen immer l?nger, seine Miene immer saurer. Endlich unterbrach er meinen Redeschwall: >>Sie m?gen recht haben, aber warum sagen Sie gerade mir das?<< Sprachs und drehte mir den R?cken. Es war der bolivianische Minister. Man muss das ?bert?nchte Freundschaftsverh?ltnis beider Republiken kennen, um die Tragik dieser Anekdote zu verstehen.
La Paz, im Herzen Boliviens liegend, wird f?r uns der Ausgangspunkt einer sechsw?chigen Tour in die Tropenebene das Landes. Man h?lt hier solch einen Ausflug f?r ein gewagtes Unternehmen. Wir wollen sehen, ob unsre Erlebnisse die Bef?rchtungen unsrer bolivianischen Freunde rechtfertigen werden.
~Tafel 5
~Tafel 6
IM TROPISCHEN BOLIVIEN.
Vom Anfang unserer Reise an war es beschlossene Sache einen Ausflug ins tropische Bolivien zu machen. Die einzige Frage, die uns Sorge machte, war die, von welcher Seite dieses Wunderland am besten zu erreichen sei. Der urspr?ngliche Plan, von Argentinien aus durch den sogenannten >>Gran Chaco<< in die Urw?lder Boliviens einzudringen, musste aufgegeben werden, weil er in der Zeit, die uns zur Verf?gung stand, nicht ausf?hrbar war. Bei den hiesigen Verkehrsverh?ltnissen muss man sich daran gew?hnen, dass Wochen, ja Monate als >>quantit?s n?gligeables<< behandelt werden. Reisen werden durch die Jahreszeiten bestimmt, wenn ?berhaupt. Es heisst etwa: >>wenn Sie jetzt losgehen, k?nnen Sie noch im Winter da und da anlangen<<, ob das aber im Juni, Juli oder August sein wird, dar?ber wagt man keine Vermutungen. Anfangs h?lt man diese sehr unsicheren Zeitangaben f?r eine Folgeerscheinung von Denkfaulheit, Indolenz und jenes tr?gen >>laisser aller, laisser passer<<, an dem die S?damerikaner der lateinischen Rasse allerdings leiden. Hat man jedoch die Wege und Verkehrsverh?ltnisse im Innern des Kontinents aus eigener Anschauung kennen gelernt, so ist man geneigt, selbst diese primitiven Zeitbestimmungen f?r unbegreiflichen Leichtsinn zu halten.
Schneller als durch die argentinische Ebene ist das tropische Bolivien von der K?ste aus zu erreichen, obgleich es hierbei gilt, den gewaltigen H?henzug der Hauptkordillere zu ?bersteigen. Diesen Weg entschlossen auch wir uns zu nehmen. So wurde La Paz zum Ausgangspunkt unserer >>Expedition<<. Dieser Ausdruck klingt etwas laut und anmassend, man sieht gleich ganze Herden bepackter Kamele und Lamas, Regimenter eingeborener Sklaven vor sich, denkt an blutige K?mpfe mit wilden St?mmen nackter Indianer, Tigerjagden und Riesenschlangen. Dieses Bild bot unsere Reise freilich nicht, obgleich sie f?r europ?ische Verh?ltnisse immerhin noch interessant genug verlief.
Als einzige ernste Gefahr, abgesehen von den Strapazen der Reise, wurde uns in La Paz warnend das ?berall im tropischen Bolivien herrschende Fieber vorgehalten. Davor glaubten wir jedoch durch eine rationelle Chinin-Prophylaxe ausreichend gesch?tzt zu sein. Leider war dies nicht der Fall, denn bei unserer R?ckkehr nach La Paz erkrankten doch zwei Mitglieder unserer Reisegesellschaft, gl?cklicherweise nur leicht, an einer Form des Tropenfiebers, der sogenannten Tertiana.
Neben der Beschwerlichkeit, ?berhaupt in jene Gegenden vorzudringen, ist das Fieber wohl der Hauptgrund, weshalb der mit allen Reicht?mern der Natur gesegnete Landstrich des tropischen Boliviens verh?ltnism?ssig so wenig Anziehungskraft auf den Unternehmungsgeist der Bev?lkerung aus?bt. Wer nicht unbedingt muss, steigt nicht in die Tropen hinunter, zumal er vorher beinah in den Himmel, n?mlich auf den R?cken der Hauptkordillere hinaufsteigen muss. Von regelm?ssigen Verkehrsverh?ltnissen zwischen dem in der Hochebene gelegenen und dem tropischen Teile Boliviens ist unter solchen Bedingungen nat?rlich keine Rede. Daher der hocht?nende Name >>Expedition<< f?r jede Reise, die ins Innere des Landes f?hrt.
Auf eigene Faust eine solche Expedition zu wagen, ist f?r einen mit den Landesverh?ltnissen nicht vertrauten Europ?er nicht nur schwer, sondern einfach unm?glich. Auch uns w?re sie nicht gelungen, h?tten nicht wieder einige Herren von der Deutschen ?berseeischen Bank, der deutsche Konsul und Vizekonsul in La Paz, uns wenigstens im ideellen Sinne die Wege geebnet.
Die Reisegesellschaft bestand aus vier Personen. Von unserem Unternehmungsgeist angesteckt, schlossen sich zwei deutsche Herren dem Ausfl?ge an, der preussische Bergassessor W. und der allzeit liebensw?rdige und lebenslustige Prokurist der Deutschen Bank in Valparaiso, Sch.
Am 5. April, 7 Uhr morgens, ging die Reise los. Ein kurzes Streckchen noch durften wir die Errungenschaften der Kultur geniessen. Wenn man das geniessen nennen kann. In einer >>Elektrischen<<, bei der der Fussboden aus den Stiefeln anderer Leute zu bestehen schien, und alles ?brige aus Ellbogen und Knieen, ging es eine halbe Stunde hinauf durch die brauenden Morgennebel nach dem sogenannten >>Alto<< von La Paz. Es ist der Endpunkt der Eisenbahn, die nach La Paz f?hrt, 400 Meter ?ber der eigentlichen Stadt. Dort fanden wir unsere weiteren Fahrgelegenheiten vor. Unsere beiden Reisegef?hrten stiegen in eine >>Diligence<<, die einmal w?chentlich den Verkehr zwischen La Paz und dem zehn bis zw?lf Stunden entfernt liegenden St?dtchen Achecachi besorgt. Ich hatte es mir nicht gedacht, dass ich solch einen herrlichen alten Postwagen wirklich noch einmal leibhaftig vor mir sehen w?rde. Zw?lf Menschen nahmen in ihm Platz, S?uglinge an der Mutter Brust, oder hier auch, nach der indianischen Sitte, auf der Mutter R?cken, ungerechnet. Auf hohem Bock thront ein Kutscher, in beiden F?usten den Wirrwarr von Leinen, mit denen er seine sechs langgespannten Pferde lenkt. Der sch?ne Wagen ist einst rot gewesen, jetzt schon etwas verwittert und nicht ganz bestimmbar mehr in der Farbe: sein Aussehen leidet auch ein wenig durch das Chaos undefinierbarer Gep?ckst?cke, das sich auf dem Dache emport?rmt. F?r uns stand eine vorsichtigerweise bestellte Extrakutsche bereit. Die ist zwar zehn Mal teurer, daf?r aber auch zwanzig Mal bequemer. Allerdings hat sie nur vier Pferde. Doch unseren Kutscher beseelte ein l?blicher Ehrgeiz, der ihm dazu verhalf, das Wettrennen bis Achecachi richtig mit einer Wagenl?nge zu gewinnen. Dass wir dabei einen Federbruch erlitten und die >>Diligence<< ein Rad verlor, beeintr?chtigte den Spass nur wenig.
Herrlich ist solch eine Wagenfahrt durch die bolivianische Hochebene! Die ganze >>Puna<< -- so lautet der spanische Ausdruck f?r dieses Gebirgsflachland -- ist von warmem Sonnenschein ?berflutet. Man geniesst ihn in der ruhigen Zuversicht, dass es nie dr?ckend heiss werden kann, denn das l?sst die H?he von 4200 Metern selbst in der tropischen Zone nicht zu. Solange die Wege gut und eben sind, werden die Pferde nicht geschont, meist geht es im Galopp, Troika-Stil. Bei den Fluss?berg?ngen -- und ihrer sind zahllose -- haben sie Zeit sich auszuruhen. Dann rumpelt der Wagen ?ber das Ger?ll der breiten jetzt zu Anfang des Winters ausgetrockneten Flussbetten. Hin und wieder freilich gilt es, die Beine hochzuziehen, denn das Wasser ?berflutet doch zuweilen das Fussbrett des Wagens.
Die Landschaft bleibt sich den ganzen Tag ?ber gleich und dennoch wird man nicht m?de, sie anzusehen. Nach drei Seiten hin dehnt sich un?bersehbar weit die Puna aus. Nur im Osten hat man die ganze Zeit den stolzen Zug der >>K?nigskordillere<< zur Seite. Mit Recht tr?gt dieser Teil des s?damerikanischen Gebirges seinen Namen. Es sind wirklich zwei K?nige der Gebirgswelt, der 7600 Meter hohe Llampu und der 7500 Meter hohe Illimani, die diesen H?henzug im S?den und im Norden begrenzen. Zwischen ihnen recken in geschlossener Kette ihre zahllosen weissh?uptigen Trabanten, die zum gr?ssten Teil namenlos sind, ihre blitzenden Schneekronen in den tiefblauen Himmel hinein.
Viel Leben und Abwechslung freilich sucht man auf der >>Puna<< vergebens. Von Zeit zu Zeit begegnet man einem Trupp Indianern, die ihre mit nickenden Mais- und Weizenb?scheln beladenen Esel nach La Paz treiben. Lustig sieht es aus, dass auf jedem Esel ein Huhn, resp. ein Hahn als stolzer Reiter sitzt. Die Indianer nehmen auf diese Weise stets ihre ganze H?hnerzucht mit sich, um die frischen Eier f?r horrende Preise in der Stadt zu verkaufen.
In noch gr?sseren Abst?nden passiert man eine und die andere indianische Ansiedlung. Elende aus Lehm zusammengeknetete H?tten. Auf vielen steckt als Zeichen der siegreichen katholischen Kirche, meistens schief, ein mit Bindfaden zusammengebundenes Kreuz aus zwei Holzst?bchen. Und dennoch verr?t sich in diesen ?rmlichen Behausungen und in den Lehmmauern, von denen sie umgeben sind, eine Art Stil. Es ist ein einheitlicher Zug in der kunstlosen Architektur, in den Mustern der groben Friese, mit denen die Mauern und die Simse der fensterlosen H?tten geschm?ckt sind. Eine dieser Mauern sahen wir ?brigens im Vor?berfahren pl?tzlich lebendig werden. Es war eine Million riesengrosser Erdratten, die daran hinauf, herunter, hinein und herauskrabbelten. F?r zarte Gem?ter kein sehr erfreulicher Anblick. In seinem pr?chtigen Buche ?ber die Chaco-Indianer behauptet Nordenskj?ld, dass die Erdratte dort an einem St?bchen sch?n gebacken als besondere Delikatesse bei Festessen gilt. Hier scheint das nicht der Fall zu sein, sonst k?nnten sich diese gr?sslichen Tiere nicht in so erschreckender Weise vermehren.
Gegen Mittag wurde in einem dieser Indianerd?rfer umgespannt. Die vier flinken Pferde machten ebenso vielen zwar weniger schnellen, daf?r aber ausdauernden Maultieren Platz. Die Reisenden konnten sich unterdessen mit heissem Tee aus Thermosflaschen und einem kalten H?hnerbein st?rken. Nach ?berwindung einiger nicht bedeutender Steigungen, bekamen wir beim ?rtchen Posadas zum ersten Mal den Titicaca-See zu Gesicht, und zwar gleich in n?chster N?he. Von der Ebene aus gesehen, hat er noch nicht die wundervolle intensiv indigoblaue Farbe, in der sein Wasserspiegel nachher ins Hochgebirge hin aufleuchtet. Doch gibt sein hier unten gr?nlich schimmerndes Wasser mit dem rosenroten Gestein der umgebenden H?gel, dem blauen Himmel und dem violetten Dunst, der das ganze Bild verschleiert, immer noch eine ganz unwahrscheinlich sch?ne Farbensymphonie ab.
Ausser seiner Sch?nheit ist der Titicacasee durch seinen Wildreichtum ber?hmt. F?r jedermann, der etwas J?gerblut in den Adern hat, ist das der Ort zum toll und rasend werden. Das sollte ich am eigenen Leibe erfahren. Mein Gewehr ruhte wohlverpackt in seinem Futteral, die dazu geh?rigen Patronen steckten in den tiefen Gr?nden irgend eines Koffers. Trotzdem und trotz der Proteste des ehrgeizigen Kutschers, der sich durchaus nicht vom Postwagen ?berholen lassen wollte, wurde das ganze Schiesszeug auf offener Strasse in Bereitschaft gesetzt. Ich liess Wagen Wagen sein und Kutscher Kutscher, zumal wir der >>Diligence<< um mindestens 5-6 Meilen voraus waren und stieg zum Uferschilf hinab, in und ?ber dem ich es schw?rzlich wimmeln sah. Das Resultat rechtfertigte diese Eskapade. In weniger als einer halben Stunde hatte ich eine Beute von 15 Wasserv?geln von acht verschiedenen Sorten beisammen, darunter 5 Enten, einen pr?chtigen Reiher und das Staatsst?ck -- einen schwarzen Adler. Allerdings muss ich meinen J?gerruhm durch die Bemerkung schm?lern, dass die V?gel des Titicacasees augenscheinlich keine Ahnung davon haben, was eine Flinte und ein J?ger sind, denn ich habe keinen Schuss weiter als auf 20 Schritte abgegeben. Und von den Enten -- herrliche fette Tiere mit schwarzem Gefieder und roten Schn?beln, ?ber deren Essbarkeit die Gelehrten allerdings noch streiten -- h?tte ich ebenso leicht 50 statt 5 haben k?nnen, denn nach jedem Schuss setzten sie sich wieder friedlich im Kreise rings um mich herum. Nur dem Reiher musste ich nachstellen, und zwar gelang mir das mit Hilfe eines Indianers, der nach dem ersten Schuss eiligst in seiner schwanken schmalen, aus Bast geflochtenen >>Balza<< durchs Uferschilf herangestakt kam. In wildem Jagdeifer vertraute ich mich ohne weiteres diesem seelenverk?uferischen Fahrzeuge an, kniete darauf nieder und liess mich, kunstvoll balancierend, in den See hinaus rudern, was der Indianer hinter mir stehend, mit zwei H?nden ein Ruder handhabend, ausserordentlich geschickt besorgte. Fast h?tte ich bei dieser Fahrt das Schiessen vergessen. Unter mir das tiefe klare Wasser, dem man bis auf den Grund sehen konnte, von dem aus sich wunderbar geformte gr?nlich-blaue Wasserpflanzen emporrankten, zu beiden Seiten das hohe Schilf, das ?ber unseren K?pfen zusammenschlug und darinnen ein Geschwirr von bunten Libellen, winzigen V?geln, K?fern und allerhand zirpendem Getier. Eine liebliche Sommermittagstimmung! So recht geschaffen, um sich in dem schmalen Kahne auszustrecken und alles ringsumher zu vergessen ...
Der Kutscher empfing mich trotz der vielen sch?nen V?gel, die ich mitbrachte, mit Gebrumm. Einen Aufenthalt hatten wir wegen des erw?hnten Federbruches schon gehabt und in der Ferne zeigte sich schon die >>Diligence<<. Die armen Maultiere mussten daran glauben. Mit Hott und H?h ging es ?ber Stock und Stein. Wenigstens kam man auf diese Weise schnell vorw?rts. Fast gleichzeitig hielten beide Wagen vor dem Hotel in Achecachi. Nicht alles was so heisst, ist ein Hotel. Dieses war z. B. keines. Nicht einmal eine Herberge. ?ber einen dunklen Hof arbeiteten wir uns durch ein Gewirr von Maultierschnauzen zu einer bauf?lligen Treppe durch, die zum einzigen Fremdenzimmer dieses >>Hotels<< f?hrte. Zerschlagen von der langen Wagenfahrt liessen wir die m?den Glieder auf ein Kanapee fallen. Diese Unvorsichtigkeit war mit einigen blauen Flecken zu b?ssen. Trost brachte ein aus rotem Landwein artistisch gebrauter Grog. Es ist, wie ich erkl?rend beif?gen muss, in dieser H?he abends hundekalt.
Eine in einen Rahmen gespannte Tapete, eine Art Theaterdekoration, teilte das Fremdenzimmer des Hotels in Salon und Schlafgemach. Ein am?santer Zufall wollte es, dass die Wand ?ber meines Gef?hrten Bett ein Portr?t des russischen Zaren schm?ckte. Ich ruhte unter dem sanften Blick Abdul-Hamids ebenso gut.
~Tafel 7
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page