Read Ebook: Der letzte Sommer: Eine Erzählung in Briefen by Huch Ricarda
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Ebook has 322 lines and 36938 words, and 7 pages
Merkw?rdig ist es an ihm, dass er sich offenbar f?r uns alle lebhaft interessiert, dass er f?r unsre Vorz?ge empf?nglich scheint, dass er das Vertrauen, das wir ihm entgegenbringen, als etwas Selbstverst?ndliches hinnimmt und doch von sich selbst eigentlich nichts hergibt. Nicht dass er nicht offen w?re, er beantwortet jede Frage, die man zuf?llig einmal an ihn richtet, freim?tig und ausgiebig; man kann vielleicht nicht einmal sagen, dass er verschlossen ist, wenigstens spricht er ziemlich viel und stets von Dingen, die ihm wirklich wichtig sind. Trotzdem hat man nicht das Gef?hl, dass man sein Inneres kennt. Ich habe schon gedacht, dass es Geheimnisse in seinem Leben geben k?nnte, die ihm Zur?ckhaltung auferlegen; aber es beunruhigt mich nicht, weil ich sicher bin, dass es nichts Gemeines ist.
Neulich war von L?gen die Rede. Da sagte Lju, L?gen w?re unter Umst?nden eine Waffe im Kampfe des Lebens, nicht schlechter als eine andre, nur sich selbst bel?gen w?re ver?chtlich. Welja sagte: >>Sich selbst bel?gen? Wie macht man das ?berhaupt? Ich w?rde mir doch niemals glauben.<< Lju lachte ganz beseligt, ich musste auch lachen, hielt mich aber doch verpflichtet, Welja zu sagen, es w?re ein schlechter Witz gewesen. >>Bessere k?nnen wir doch hier nicht machen,<< sagte der Junge, >>sonst versteht Katja sie nicht.<< Ja, eigentlich wollte ich Dir nur sagen, die Ueberzeugung habe ich wirklich, dass Lju sich niemals selbst bel?gen w?rde, und das ist mir das Wesentliche. Der Grundsatz mag gef?hrlich sein, aber einem bedeutenden Menschen ist er angemessen.
Liebe Schwester meines geliebten Mannes, wenn ich nicht die grossen Kinder um mich h?tte, k?nnte ich mir jetzt einbilden, wir w?ren auf der Hochzeitsreise. Brauchten wir nur niemals in die Stadt zur?ck! Jegor hat sein Klavierspiel wieder aufgenommen, da er nun einmal nicht unbesch?ftigt sein kann, und ich, die es sehr wohl kann, h?re zu und tr?ume. Erinnerst Du Dich noch an die Zeit, wo ich ihn meinen Unsterblichen nannte? Manchmal jetzt, wenn ich ihn ansehe, ?berl?uft mich das Gef?hl, dass etwas anders geworden ist; es sind nicht die weissen Haare, deren schon mehr als schwarze sind, nicht die tiefen Schatten, die oft unter seinen Augen liegen, nicht die strengen Linien, die sein Gesicht verdunkeln, es ist etwas Unnennbares, das sein ganzes Wesen umgibt. Einmal musste ich pl?tzlich aufspringen und fortlaufen, weil mir die Tr?nen aus den Augen sprangen, und im Schlafzimmer habe ich ins Kissen geschrien: >>Mein Unsterblicher! ach, mein Unsterblicher!<< Siehst Du, das ist nicht merkw?rdig, dass es Wahnsinnige gibt, aber dass auch die Allervern?nftigsten einmal einen Wahnsinnsanfall haben k?nnen, das ist beklagenswert.
Deine Lusinja.
Lju an Konstantin
Kremskoje, 15. Mai.
Lieber Konstantin! Ich h?tte mir das denken k?nnen; aber ich m?chte, dass ich mich t?usche, wenn ich es k?nftig denke. Es macht den Eindruck, dass ich mich zum Zweck psychologischer Studien hier befinde; Du findest, dass ich sehr viel Sinn f?r das Familienleben entwickle; Du meinst, ich h?tte ebensogut meine Grosstante in Odessa besuchen k?nnen, und sonst noch mehreres. Was willst Du? Hattest Du erwartet, ich w?rde mich wie ein hungriger Kannibale oder hasserf?llter Nebenbuhler oder betrogener Ehemann auf sein Opfer st?rzen? Wir waren uns dar?ber einig, dass wir es nicht machen wollten wie die fanatischen B?ffel, denen es bei ihren Attentaten mehr darauf anzukommen scheint, dass sie ihr eignes Leben wegwerfen, als das des Gegners. Wir wollten unser Ziel erreichen, ohne unser Leben, unsre Freiheit, wom?glich sogar unsern Ruf aufs Spiel zu setzen; denn wir haben noch mehr zu erreichen, und wir wissen, dass wir nicht leicht zu ersetzen sind. Wenn es eilte, w?rde ich anders gehandelt haben; aber der Studentenprozess beginnt erst Anfang August, bis dahin dauert der Urlaub des Gouverneurs, und ich habe demnach noch drei Monate Zeit, von denen erst ein halber verflossen ist. Ich sehe mich hier um, ich lerne die Menschen, die Umgebung kennen und warte auf eine Gelegenheit. Nat?rlich h?tte ich den Gouverneur l?ngst ermorden k?nnen, wenn es mir nur darauf ank?me; ich bin oft mit ihm allein gewesen, sowohl im Hause wie im Garten und im Walde. Aber dann h?tte ich unrichtig gehandelt. Jetzt, wo ich zwar gesch?tzt und fast geliebt werde, aber immerhin noch ein Fremder bin, k?nnte sich ein Argwohn gegen mich erheben; in ein paar Wochen werde ich wie ein Glied der Familie und wird das nicht mehr m?glich sein. Ich schrieb Dir neulich, glaube ich, dass ich einige Minuten neben ihm gesessen habe, w?hrend er schlief. Ich betrachtete den Teil seines Gesichtes, der mir zugewendet war; die breiten schwarzen Brauen -- ein Zeichen starker Vitalit?t --, die strenggebogene Nase, in jeder Linie liegt Feuer und Noblesse; durch vornehmes Empfinden gem?ssigte Leidenschaft scheint mir auch ein Grundzug seines Charakters zu sein. Ein wundervolles Gesch?pf! Indem ich ihn betrachtete, dachte ich, wieviel lieber ich diesen Kopf meinen Gedanken, meinen Absichten zug?nglicher machen als ihn mit einer Kugel zerst?ren m?chte. Auch dies musst Du bedenken, dass ich den Mord umgehen k?nnte, wenn es mir gl?ckte, ihn zu beherrschen, zu beeinflussen. Ich will aber gleich hinzusetzen, dass ich die M?glichkeit f?r gering halte: in kleinen Dingen ist er wie Wachs, in wichtigen wie Eisen. Wenn er etwas bestimmt will, k?nnen weder Furcht noch Liebe ihn umstimmen; so scheint es mir bis jetzt.
Der Kleine ist anders; er ist so indolent, dass er einem dankbar ist, wenn man f?r ihn will, man muss es nur mit Verstand tun. Seine Vorurteilslosigkeit setzt in Erstaunen. Er scheint gar nicht durch Tradition beherrscht; er hat etwas, als ob er mit keinem Bande an Vergangenheit, Familie, Vaterland angekn?pft w?re. Ich muss an ein altes M?rchen denken, in dem ein elternloses Kind als Kind der Sonne auftritt; daran erinnert auch seine goldbraune Haut. Im Gespr?ch mit ihm spreche ich fast so, wie ich denke; er ist so unbefangen, dass es ihm nicht einmal auff?llt, wie ich mit meinen Ideen eine Stellung bei seinem Vater habe annehmen k?nnen. Er findet es offenbar selbstverst?ndlich, dass ein Mensch von Verstand so denkt, wie ich denke, und nebenbei jede Rolle spielt, die nach seinem Geschmack und zu seinem Fortkommen n?tzlich ist. Ich habe ihn lieb, und es freut mich, dass ich ihm nichts zuleide zu tun brauche. Katja denkt wie ihr Bruder, zum Teil vielleicht aus Liebe zu ihm. Sie ist f?r ein M?dchen sehr klug und einsichtsvoll; aber sie kann so verst?ndig reden, wie sie will, sie ist immer wie ein kleiner, niedlicher Vogel, der auf einem Zweige sitzt und zwitschert, das ist das Reizende an ihr.
Konstantin, mache mir nicht wieder Vorw?rfe. Wenn mir solche zu machen w?ren, w?rde ich es selbst tun; deshalb hat kein andrer das Recht dazu.
Lju.
Jessika an Tatjana
Kremskoje, 15. Mai.
Tante, Du hast mich eingeladen, huldvolle Tante! Ich k?sse dankbar Deine sch?ne Hand. Vielleicht komme ich auch einmal, wenn Du gerade gar nicht daran denkst. Aber Liebste, weisst Du denn gar nicht, dass ich Pflichten habe? Ich kann doch nicht so ohne weiteres fort. Wir haben doch einen Haushalt, und Du weisst, dass auch die besten Dienstleute von einem h?heren Wesen inspiriert werden m?ssen. Ich bedaure die K?chin, die bei unsrer f?nffachen Wunderlichkeit gar keinen R?ckhalt h?tte. Papa schw?rmt f?r gef?llte Tomaten, aber nicht f?r Tomaten an der Sauce, was Mama besonders liebt, w?hrend Welja eine Leidenschaft f?r Tomaten in Salat hat, Katja isst sie nur roh. Katja isst keinen s?ss zubereiteten Reis, Papa keinen gepfefferten, ich keinen Milchreis. Niemand von uns isst Kohl, wir wollen aber t?glich gr?nes Gem?se; so k?nnte ich noch seitenlang fortfahren. Keine K?chin beh?lt das alles, und lesen kann unsre nicht. Wenn ich fort w?re, m?sste Mama an das alles denken -- denn Katja fiele das nicht ein --, und das t?te mir so leid. Sie geht den ganzen Tag herum und ist gl?cklich, ihren Mann einmal f?r sich und in Sicherheit zu haben; man mag ihr keine dummen Allt?glichkeiten aufb?rden gerade jetzt.
Ihr denkt, ich w?re nur eine unbedeutende kleine Person! Aber sie w?rden es schon bemerken, wenn nicht vor jedem die Tasse Tee oder Kaffee mit gerade so viel Zucker und Milch oder Zitrone st?nde, wie er es haben mag, oder wenn ihm die Orangenschnitten nicht so fein gesch?lt und entkernt auf den Teller fl?gen, wie er es gewohnt ist, oder wenn die Bleistifte und Scheren und Schirme, die er verliert oder verlegt, nicht gerade im richtigen Augenblick von mir wiedergefunden w?rden! Ja, so bin ich! Komm Du nur einmal hierher und ?berzeuge Dich, wie unentbehrlich ich bin.
Wenn Du nun findest, dass ich belohnt und entsch?digt werden muss, Tante Tatjana, so schicke mir doch lila Batist zu einer Bluse und dazu passenden Zwischensatz und Spitzen. Ich habe nichts, was leicht genug w?re bei der Hitze. Niemand hat so viel Geschmack wie Du, darum besorge es, bitte, selbst, Holdseligste.
Deine dankbare Jessika.
Welja an Peter
Kremskoje, 17. Mai.
Lieber Peter! Ich habe mich nicht get?uscht, Lju ist im Grunde ein Revolution?r, nur dass noch etwas dabei ist, was seine Ansichten himmelhoch ?ber die durchschnittlichen erhebt. Wie soll ich Dir das begreiflich machen, s?sses Megatherium? Er denkt und steht zugleich ?ber dem, was er denkt. Er h?lt das, was er denkt und w?nscht, nicht f?r das Letzte, Absolute. Darum steht er auch abseits von den Parteien, weil er ?ber sie hinaussieht. Er sagt, der alten Generation gegen?ber haben die Neuen recht, obwohl sie an sich betrachtet fast noch weniger recht haben als die Alten. Nat?rlich verstehst Du das nicht, weil Dir die Selbstironie fehlt, sowohl der Begriff wie die Qualit?t. Ihr habt keine Idee, wie komisch es ist, wenn ihr euch ?ber die Verkommenheit der alten Kultur erhitzt und nicht von ferne ahnt, was Kultur eigentlich bedeutet. Macht nichts, br?lle nicht, alter Saurier, ich bin ganz euer. Mein Vater ist k?stlich; er findet, dass Lju ein sehr angenehmer, kluger und unterhaltender Mensch ist, weiter dringt sein Scharfblick nicht. Er kommt nicht auf die Idee, dass ein Mensch in honetten Kleidern, der h?flich mit ihm umgeht und ihm nicht widerspricht, sich ausserhalb seines Systems bewegen k?nnte. Mama ist viel weniger, wie soll ich es nennen, auf ihr Selbst beschr?nkt. Sie sieht wenigstens deutlich ein, dass sie l?ngst nicht Ljus ganzes Wesen erfasst hat; sie f?hlt etwas Fremdes, wenn sie dessen auch nicht habhaft werden kann. Neulich sagte sie zu ihm, seinen Talenten und Kenntnissen und seiner Leistungsf?higkeit sei eigentlich das Amt, das er in unserm Hause bekleide, nicht angemessen, ebensowenig das Entgelt, er h?tte es gar nicht annehmen d?rfen. Lju sagte, er h?tte gehofft, als Privatsekret?r freie Zeit ?brig zu haben, die er gebrauche, um ein philosophisches Werk zu vollenden, das sei sein n?chstes Arbeitsziel. Dar?ber wurde Mama ordentlich rot und meinte, er sei nun gewiss entt?uscht, da ja seine ganze Person bei uns dauernd in Anspruch genommen werde. Ich glaube, Lju hatte schon ganz vergessen, dass er hier ist, um M?rder und Bomben abzufangen, w?hrend Mama denkt, er riebe sich bei dieser schwer zu definierenden T?tigkeit auf. Sie fordert ihn seitdem ?fters auf, sich in sein Zimmer zur?ckzuziehen und zu arbeiten, und ist geneigt, es sehr anspruchsvoll von Papa zu finden, wenn er ihm mal ausser der Zeit einen Brief diktieren will; er k?nnte sich eigentlich eine Schreibmaschine anschaffen, meinte sie. Man kann nicht behaupten, dass Mama die Leute ausbeutet.
Wir sind augenblicklich damit besch?ftigt, Papa ein Automobil kaufen zu lassen; er ist auch schon nahe daran. Wir sprechen bei Tisch immer von den letzten Automobilrennen und er?rtern, ob es mit Benzin oder Elektrizit?t billiger ist. Lju meinte, ob wir nicht lieber warten und dann gleich ein lenkbares Luftfahrzeug anschaffen wollten. Von dem Gedanken war Papa ordentlich hingerissen, und wie er die Kosten davon berechnete, kam ihm das Auto hernach schon ganz allt?glich und kleinb?rgerlich vor.
Lju ist gar nicht musikalisch. Er sagt, Musik w?re eine primitive Kunst, wenigstens die man bis jetzt kennte. Es k?nnte vielleicht auch anders sein, wovon Richard Wagner gewisse Andeutungen g?be. Das Musikalische in unsrer Familie w?re primitiv. Ich glaube, dass das ganz richtig ist, besonders bei Papa. Er spielt sch?n in dem Sinne, wie der Wald rauscht oder der Wind saust, es ist etwas D?monisches. Aber das Besessensein ist kein Kulturfaktor. Lju hat aber viel ?brig f?r das Primitive. Er findet, Jessikas Stimme kl?nge so, wie wenn in der fahlen D?mmerung tief im Osten die Morgenr?te aufginge. Jessikas Stimme finde ich auch fein, auf mich wirkt sie wie ein Harfenton; sonst habe ich mir nie viel aus Gesang gemacht, bei der Sinfonie f?ngt doch die Musik eigentlich erst an. Bilde Du Dir aber ja nicht ein, Du w?rest ein Uebermensch, weil Du unmusikalisch bist. Bei Dir ist es ein Vakuum.
Welja.
Katja an Tatjana
Kremskoje, 17. Mai.
Liebe Tante! Jessika hat vergessen, Dich zu bitten, dass Du uns die Partitur von >>Tristan und Isolde<< besorgst oder besorgen l?sst. Papa ist dagegen, er meint, man k?nnte Noten auch leihen! Gibt es das ?berhaupt? Ach, erkundige Dich nur gar nicht, B?cher aus Leihbibliotheken beziehen ist unfein, und Noten sind auch B?cher, also. Im Grunde ?rgert sich Papa nur, dass wir uns mit Wagner besch?ftigen wollen, er ist nun einmal einseitig. Nicht mal kennen lernen will er ihn, sondern ist von vornherein entschlossen, ihn gr?sslich zu finden. Ja, h?tte Wagner vor ein paar hundert Jahren gelebt und Kirchenmusik gemacht wie Palestrina -- ach so, das klingt dumm, aber ich habe es nun einmal geschrieben, und Du verstehst mich auch schon. Nat?rlich sind Beethovens Lieder an seine ferne Geliebte sch?n, die Papa immer singt, aber unsre Zeit und unser Leben dr?ckt das doch nicht aus. Jedenfalls, Tante Tatjana, Du schickst uns >>Tristan und Isolde<<, nicht wahr? Bitte recht bald, Peter kann es ja besorgen.
Deine Katja.
Lju an Konstantin
Kremskoje, 20. Mai.
Lieber Konstantin! Dein Brief hat mich zu einer Unvorsichtigkeit veranlasst; aber der w?re ein schlechter Feldherr, der nicht einen falschen Zug wieder einbringen oder sogar verwerten k?nnte. Das Ger?cht, dass der Studentenprozess sofort vorgenommen w?rde und der Gouverneur infolgedessen sofort nach Petersburg zur?ckginge, muss unbegr?ndet sein; denn er selbst w?rde es doch am ersten wissen und gleichzeitig auch ich. Trotzdem erwog ich gestern die M?glichkeit und bereitete mich darauf vor, schnell oder pl?tzlich handeln zu m?ssen. Ich sagte mir, bei Tage w?rde ich nicht leicht eine Gelegenheit finden, besonders keine f?r mich g?nstige. Nachts k?nnte ich ihn und seine Frau, denn sie schlafen zusammen, mit Aether bet?uben, ihn durch einen Stich ins Herz t?ten und mich ungesehen wieder zu Bett legen. Kein besonderes Verdachtsmoment w?rde auf mich hinweisen; bei Tage hingegen k?nnte sich kaum jemand an den Gouverneur herandr?ngen, ohne dass irgendwer, namentlich ohne dass ich es bemerkte. Am Tage k?nnen unz?hlige unvorhergesehene St?rungen dazwischenkommen; nachts liegen bestimmte, ?bersichtliche Umst?nde vor. Die Ausf?hrbarkeit des Planes h?ngt wesentlich von dem mehr oder weniger leisen Schlafe des Gouverneurs und seiner Frau ab; ich beschloss, mir sofort Gewissheit ?ber die Frage zu verschaffen. Ich warf einen Mantel ?ber und schlich mich nach ihrem Schlafzimmer, das durch ein Ankleidezimmer mit angrenzendem Bade- und Garderoberaum von meinem getrennt ist. Kaum hatte ich den Fuss ?ber die Schwelle gesetzt, als ich Frau von Rasimkara auf mich zust?rzen sah. Ich will Dir gestehen, dass ich in diesem Augenblick fast die Besinnung verloren h?tte: die Frau so merkw?rdig, so sch?n, so anders als am Tage vor mir zu sehen, es raubte mir den Atem. In ihrem Gesicht stand zugleich der Ausdruck des Entsetzens und der unbedenklichsten Entschlossenheit, der sofort, da sie mich erkannte, dem Gef?hl der Erl?sung, dem Erstaunen und ich m?chte sagen dem Gef?hl f?r das Komische der Lage Platz machte. Ja, f?r die Dauer eines Augenblicks dachte und empfand ich nichts, als wie hinreissend sie war, sie zog mich rasch in das Ankleidezimmer zur?ck und sagte fl?sternd, ich h?tte sie sehr erschreckt, sie h?tte mich f?r einen M?rder gehalten, was geschehen w?re? Ob mir etwas fehlte, ob ich nachtwandelte? Ich sagte, sie m?chte ganz ruhig sein, geschehen w?re nichts, ich w?re aufgewacht, h?tte geglaubt, ein Ger?usch zu h?ren, und h?tte mich ?berzeugen wollen, ob bei ihnen alles ruhig und in Ordnung w?re; ich h?tte das schon ?fters getan, weil ich es als zu der von mir ?bernommenen Pflicht geh?rig betrachtete, bisher h?tte sie es aber nicht bemerkt. Ich setzte noch hinzu, sie w?rde vielleicht gut tun, ihrem Manne nichts von dem Vorfall zu sagen. Nat?rlich nicht, sagte sie, sie w?re froh, dass er nicht erwacht w?re; dann dr?ckte sie mir die Hand, nickte mir zu und l?chelte und ging in ihr Schlafzimmer zur?ck.
Dies war ein sehr gef?hrlicher Augenblick, und ich habe erst gegen Morgen wieder einschlafen k?nnen. Als sie vor mir stand und mich anl?chelte, dachte ich, dass sie hinreissend sei und gleichzeitig, dass ich sie w?rde t?ten m?ssen. Ich dachte es mit solcher Lebhaftigkeit, dass mir war, es schreie aus meinen Augen heraus: ich bin dein M?rder, weil ich sein M?rder bin. Du wirst immer an seiner Seite sein, dein Leib wird sich vor seinen werfen, wenn die Stunde da ist, darum musst du mit ihm fallen. Das eigent?mliche L?cheln, mit dem sie mich ansah, schien zu sagen: ich verstehe dich, es ist mein Schicksal, ich nehme es auf mich.
In gewisser Weise habe ich bei meinem ungl?cklichen Versuch etwas gewonnen. Ich weiss nun, dass der Gouverneur tief und fest schl?ft. Ihr habe ich die Meinung eingefl?sst, dass ich zum Schutze ihres Mannes zuweilen ihr Schlafzimmer betrete. S?he sie mich eintreten, mich ?ber sie beugen, sie w?rde bis zum letzten Augenblick keinen Verdacht sch?pfen, mich nur mit grossen Augen erwartungsvoll ansehen. Anderseits habe ich erfahren, dass mir diese Art der Ausf?hrung widerstrebt. Ich w?rde nur im ?ussersten Notfall dazu schreiten. Ein andrer Weg wird sich finden lassen, der mir mehr zusagt. Sei Du jedenfalls ohne Sorge: es mag sein, dass ich un?berlegt gehandelt habe, aber ich habe auch die etwaigen schlimmen Folgen im Keim erstickt.
Lju.
Welja an Peter
Kremskoje, 20. Mai.
Lieber Peter! Heute habe ich das Gef?hl, in einem Irrenhaus zu sein. Mama hat diese Nacht irgend etwas geh?rt, was nachher gar nichts war, aber trotzdem sich alles als Einbildung entpuppt hat, sieht sie verweint aus und f?hrt bei jedem Ger?usch zusammen. Papa hat Furoranf?lle, die wir als Nervosit?t respektieren sollen. Vorhin klingelt er Mariuschka her, weil sie in der Garderobe das elektrische Licht habe brennen lassen. Er machte solchen Krakeel, dass ich es im Garten h?rte, und stellte sich ungef?hr so an, als ob dies elektrische Fl?mmchen das Verderben auf unsre ganze Familie herunterziehen m?sste. Nachher stellte sich heraus, dass er selbst es angez?ndet und auszumachen vergessen hatte. Katja erhob nun ihrerseits ein Geschrei, es w?re emp?rend von Papa, das ganze Haus schw?mme in Tr?nen seinetwegen, die Dienstleute k?nnten unm?glich Respekt vor ihm haben, wenn er sich so ben?hme, und dazwischen rief sie mich an, ob ich es nicht auch f?nde. Ich sagte: >>Vater, wie du willst.<< Da wendete sich pl?tzlich ihre Entr?stung gegen mich, wor?ber wir dann gl?cklich alle ins Lachen kamen. Papa sagte, nun m?sste er sich wohl bei Mariuschka entschuldigen, weil er ihr unrecht getan h?tte, und begab sich zu diesem Zweck ins Leutezimmer. Wir wollten gern mitgehen, um der Szene beizuwohnen, aber Mama verbot es als unschicklich. Ich fand die Geschichte von vornherein nur komisch und verstehe nicht, wie Katja sich ?rgern kann.
Katja an Peter
Nat?rlich ?rgere ich mich, Welja kann eben nichts ernst nehmen, weil er zu faul ist. Es ist doch emp?rend, dass ein Mann wie Papa, der sich selbst gar nicht beherrschen kann, die Universit?t schliesst, weil die Studenten ihre Rechte verteidigen. Es ist emp?rend, dass ein Mann solche Macht hat, die Tatsache allein verdammt unsre Zust?nde. Sieh doch zu, ob sich nicht Lehrer finden, uns und allen, die teilnehmen wollen, Privatkurse zu halten. Es k?nnte ja bei Dir zu Hause sein, das kann man doch nicht verbieten. Ich finde, dass man sich so etwas nicht gefallen lassen soll. Mir ist es ganz gleichg?ltig, ob ich ein paar Jahre fr?her oder sp?ter fertig werde, aber es soll doch wenigstens von mir abh?ngen. Und wenn das nicht geht, m?chte ich fort, ins Ausland. Es ist mir unleidlich, in Russland leben zu m?ssen. Von Welja habe ich gar nichts, er ist zu dusselig, was ich auch sage und vorschlage, ihm ist alles gleich. Nat?rlich, wenn man muss, muss man, aber erst versucht man doch, ob es nicht anders geht.
Katja.
Lusinja an Tatjana
Du Liebe! Die Kinder haben Dir geschrieben, dass wir wieder sehr nerv?s sind? Wenn Du mich nicht verraten willst, will ich Dir sagen, wovon es bei mir gekommen ist. Du weisst, ich bin ?ngstlich und schreckhaft, und Du weisst auch, dass ich leider sehr ernsten Anlass dazu habe. Ich gebe zu, dass ich es auch ohne das w?re, das ?ndert aber nichts daran, dass der Anlass da ist. Nun also, neulich nachts wache ich auf und sehe einen Mann auf der Schwelle unsers Schlafzimmers stehen. Nat?rlich denke ich, dass er Jegor t?ten will, und st?rze blindlings auf ihn zu, um Jegor zu sch?tzen -- wie, dar?ber nachzudenken hatte ich keine Zeit. Es war nur ein Augenblick, dann erkannte ich Lju. Ja, es war Lju. Das pl?tzliche Aufh?ren der Angst und des Schreckens wirkte so befreiend auf mich, dass ich beinahe lachen musste; ich h?tte ihn umarmen k?nnen. Aber nachher, als ich wieder im Bett lag, machten sich die Folgen der heftigen Nervenerregung geltend, ich musste nun weinen und konnte gar nicht mehr aufh?ren. Es kam ein Unbehagen ?ber mich, das viel peinlicher war als die Furcht, die ich vorher gehabt hatte; es war mir n?mlich so unheimlich, dass Lju nachtwandelt. Anders kann ich mir das Vorgefallene doch nicht erkl?ren, als dass er somnambul ist. Er selbst hat mir eine andre Erkl?rung gegeben; er betrachte es als zu seiner Pflicht geh?rig, sich zuweilen zu ?berzeugen, ob bei uns alles in Ordnung sei, und er sei schon ?fters in unserm Schlafzimmer gewesen, besonders wenn er ein Ger?usch zu h?ren geglaubt h?tte. Das klingt ganz plausibel, und Du wirst vielleicht sagen, es m?sste etwas Beruhigendes f?r mich haben, zu wissen, dass er so treu ?ber uns wacht. Vorher w?rde ich das auch gedacht haben; aber ich sehe nun, dass die Vorstellung von einer Tatsache ganz etwas andres ist als die Tatsache selbst. Es ist mir nichts Beruhigendes, sondern etwas im h?chsten Grade Unheimliches, dass ein Mensch pl?tzlich nachts in unserm Zimmer stehen kann, sei es nun, weil er nachtwandelt oder aus andern Gr?nden. Ich kann nicht mehr schlafen, weil ich immer denke, pl?tzlich steht er da und sieht mich aus diesen seltsamen grauen Augen an, die alle K?rper zu durchdringen scheinen. Wenn ich eben eingeschlafen bin, schrecke ich entsetzt wieder auf. Der Einfall ist mir gekommen, er k?nnte durch das offene Fenster hereinsteigen; Du weisst doch, dass Nachtwandler ?berall, selbst auf der Kante des Daches, gehen k?nnen. Und das zu denken, ist mir unheimlich, ich kann nicht dagegen an. Ich m?chte gern das Fenster schliessen, aber Jegor will es nicht; er sagt, es w?re Unsinn, und ich m?sste solche krankhafte Einbildungen unterdr?cken. Schlangen k?nnten wohl an einer glatten Hausmauer hinaufkriechen, Nachtwandler nicht. Was meinst Du? Ich habe einmal gelesen, f?r Nachtwandler w?re das Gesetz der Schwere aufgehoben; Gott weiss es.
Ungl?cklicherweise habe ich Jegor, der nicht aufgewacht war und nichts geh?rt hatte, alles erz?hlt. Er ist gut, aber meine Furchtsamkeit macht ihn ein wenig ungeduldig, weil er sie aus sich selbst nicht nachempfinden kann. Und dann allerdings machen ihn auch die Verh?ltnisse nerv?s, die eine gewisse Vorsicht vern?nftigerweise doch n?tig machen, die er seinem Temperament nach so ungern beobachten m?chte.
Die Kinder wissen von dem Vorfall nichts, denn ich m?chte nicht, dass dar?ber bei Tisch gesprochen wird. Es scheint mir auch r?cksichtsvoller gegen Lju zu sein, dem wir so viel verdanken; wenn sich das Ger?cht verbreitete, er w?re Nachtwandler, w?rde es ihm bei den Leuten schaden. Und dass er nachts in unser Zimmer kommt, um uns zu bewachen, soll auch nicht bekannt werden.
Katja, mein Goldkind, ist ein unverbesserlicher kleiner Teufel. Sie schilt bei jeder Gelegenheit ?ber die Schliessung der Universit?t, obwohl sie weiss, dass jetzt die politischen und gesch?ftlichen Dinge nicht ber?hrt werden sollen, weil es Jegor aufregt. Mich wundert, ob Dein Peter einmal mit ihr fertig wird, es spricht f?r seinen Charakter, dass er es sich zutraut. Von Dir, Liebste, hat er nichts; er schl?gt ganz Deinem Manne nach, und der hat ja sogar Dir zu imponieren verstanden, nicht wahr? Ach, meine Kleine ist noch zu kindisch, als dass ihr irgend etwas auf der Welt imponieren k?nnte. Ich wollte, es gel?nge ihm, ihr Herz zu gewinnen, w?re es nur, damit sie Dich zur Schwiegermutter bek?me. Aber auch Dein Sohn w?rde ihr gut tun mit seiner St?mmigkeit und Wurzelfestigkeit. Jessika bl?ht, die Landluft tut ihr gut, sie ist unsre Hebe mit den Rosenwangen. Mich wird das kleine n?chtliche Intermezzo auch nicht lange st?ren, hoffe ich. Sei gegr?sst und gek?sst von Deiner
Lusinja.
Jessika an Tatjana
Kremskoje, 25. Mai.
Liebste Tante! Es ist sehr gut, dass ich hiergeblieben bin. Mama hat jetzt gerade eine Zeit, wo sie sich um nichts bek?mmert als um ihren Jegor, unsern Vater. Und ein Geist muss doch ?ber dem Haushalt schweben. In ein paar Tagen kommt unser Automobil, denke dir, Tante. Mama schlug im letzten Augenblick vor, wir wollten lieber doch keins haben, weil es gef?hrlich w?re, und das gab der Sache gerade den letzten kleinen Stoss, den es noch brauchte, um Papa zum Entschluss zu bringen. Denn nun sagte er, auf Mamas Aengstlichkeit d?rfe keine R?cksicht genommen werden; sie m?sste endlich einmal erzogen werden, sonst w?rde sie schliesslich zu alt dazu. Einen Chauffeur will Papa nicht haben, das verteuerte die Geschichte, und er m?chte keine fremden Leute ins Haus nehmen; unser Iwan soll sich dazu ausbilden. Welja sagte: >>V?terchen f?hrt ja schon mit der Kutsche in den Graben, wohin wird er erst mit dem Automobil fallen!<< Papa sagte, Welja sollte nicht ?bertreiben, Iwan w?re auch oft ganz n?chtern. Mama sagte mit einem Seufzer, hoffentlich w?re er es gerade dann, wenn wir ausfahren wollten. Ich schlug vor, wir wollten nur selten fahren, dann tr?fen wir gewiss gerade mit den oftmaligen N?chternheiten Iwans zusammen. Das leuchtete Mama sehr ein, aber Katja schmetterte los, dazu h?tte man kein Automobil, sie wolle alle Tage fahren und so weiter. Zum Gl?ck sprang Lju ein und sagte, er w?re Dilettant im Automobilfahren und wollte sich noch mehr ausbilden, dann k?nnte er Iwan zuweilen ersetzen. Welja sagte nachher, als Papa nicht dabei war: >>Papa wird doch lieber mit Iwan fahren, weil er denkt, dass die Betrunkenen in Gottes Hand sind.<< Das ist doch ein Sprichwort, weisst du.
Von unserm Iwan muss ich dir noch etwas erz?hlen. Welja sagte gestern mittag, er h?tte ihn gefragt, was er von Lju hielte, eigens weil er gemerkt h?tte, dass er ihn nicht leiden m?chte. Iwan h?tte Ausfl?chte gemacht und nicht mit der Sprache heraus wollen. Welja h?tte gesagt, Lju w?re doch freundlich, gerecht, hilfsbereit, gescheit, geschickt, was Iwan alles zugegeben h?tte. Endlich h?tte Iwan dann gesagt: >>Er ist mir zu gebildet.<< Darauf h?tte Welja gesagt, Papa w?re doch auch gebildet; da h?tte Iwan ganz listige Augen gemacht und den Kopf gesch?ttelt und gesagt: >>Das stellt sich ?usserlich wohl so vor, aber im Grunde ist er nur ein guter Kerl wie unsereiner.<< Wir haben alle sehr gelacht, Lju am meisten, er war geradezu begeistert ?ber die Bemerkung und sah allen erdenklichen Tiefsinn darin. Ob jemand ihn leiden mag oder nicht, danach fragt Lju gar nicht, das finde ich gross an ihm.
Liebe Tante, ich singe Tristan, Isolde, Brang?ne, K?nig Marke und noch ein paar Heldenkr?fte. Kannst Du Dir mich vorstellen? Papa hat nur einen unwilligen Seitenblick auf die Partitur geworfen, und ich singe nat?rlich nur, wenn er ausser H?rweite ist.
Deine Jessika.
Lju an Konstantin
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