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Read Ebook: Die schöpferische Pause by Klatt Fritz

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Ebook has 368 lines and 46754 words, and 8 pages

Ein richtiges Gleichgewichtsgef?hl wird den Abstand zwischen Abendmahlzeit und Schlafengehen richtig bemessen. Unmittelbar nach der Mahlzeit ist noch ein St?ck grober Verdauungsarbeit zu tun. Jeder Mensch muss f?hlen lernen, wieviel Zeit er dazu braucht. Es ist schlecht m?glich, diese Arbeit im Schlaf zu tun. Und so wird das Essen unmittelbar vor dem Schlafengehen eine Unm?glichkeit.

Diese Zeit zwischen Abend und Nacht ist Ruhezeit, ganz und gar dem Aufbau des Selbst gewidmet, es ist die eigentliche Erbauungszeit im alten schweren Sinne des Wortes. In breiten Str?men k?nnen hier die gewaltigen Werte der ganzen grossen Menschengemeinschaft auf den Einzelnen einwirken, wenn er sich nur ganz locker und offen zu machen versteht. Ein v?llig hingegebenes Lesen in B?chern, die das Menschliche vermitteln, ist zu dieser Zeit m?glich. Der Abend ist die Zeit, mit den grossen Menschen fr?herer oder gegenw?rtiger Zeit in Verkehr zu treten. Der Abend ist ?berhaupt die Zeit der Gemeinsamkeit. Alles dies braucht nur angedeutet zu werden. Es ist ja l?ngst bekannt, und es gilt nur, dieses Bekannte nicht zu unterdr?cken, sondern im Verlauf eines jeden Tages immer voll und ganz ausschwingen zu lassen.

Der Abend ist vielgestaltig in seiner Schwere. Aus der kraftbergenden Ruhezeit des menschlichen Selbst kann sogar noch einmal etwas wie ein neuer Morgen mitten in die beginnende Nacht hinein aufbrechen. Es gibt Abende, an denen der Mensch ?ber viele Stunden hinweg noch einmal wieder sch?pferisch zu werden vermag, im festlichen Kreis nahestehender Menschen oder auch in einsamer Arbeit. Aber nur selten einmal wird diese Nachbl?te des Tages sich wirklich von Natur aus voll entfalten. Und der Mensch kann diese Gewalt, seinen eigenen K?rpertag in die Erdnacht hinein zu verl?ngern, leicht missbrauchen lernen. Viele der heutigen Menschen zwingen sich selbst fast t?glich zu solcher zweiten Tag-Geburt in die Nacht hinein und ersch?pfen damit ihre Kraft. Der F?hrer zum Leben wird seinen Anvertrauten sicher erst nach der Zeit der Reife, und auch dann nur selten, diese geheimnisvolle und so leicht abnutzbare Kraft brauchen lehren.

Denn das Gesetz des Sonnentages fordert die dunkle Ruhe der n?chtlichen Pause, die v?llige Entspannung des Tages in die Nacht. Der Schlafzustand ist dementsprechend die grosse Pause des K?rpertages. Aber wie die heutigen Menschen gewohnt sind, ihre Tage zu +verleben+, so sind sie auch gewohnt, ihre N?chte zu +ver+schlafen. Sie schlafen hinweg ?ber ihren eigenen Schlaf. Sie k?nnen sich nicht mehr in die grosse Nachtruhe des Sonnentages fallen lassen. Das Seil ihres Schlafes ist gewissermassen zu straff gespannt und vermag gar nicht mehr in einer grossbogigen Schwingung den sch?pferischen Tiefpunkt zu erreichen. In kleinteiligen, vieltr?umigen Rhythmen flattert ihr Schlaf dar?ber hinweg vom Abend zum Morgen. Nur ganz selten geschieht es einmal, dass einer beim Erwachen sp?rt, er habe die Tiefe erreicht, er steige aus dem Abgrund, ganz neu gest?rkt, ja neu geboren.

An irgendeiner Stelle des Schlafes liegt sein sch?pferischer Kern, die Pause des Tiefschlafes, zu der die Rhythmen in absteigender Folge hinf?hren m?ssen, um dann von dort im grossen Bogen wieder anzusteigen zum Erwachen. Auf die Erreichung dieser Tiefe kommt es an, viel mehr als auf die L?nge des Schlafes. Auch kurzer Schlaf, wenn er nur steil hinabf?hrt, vermag Entspannung zwischen Tag und neuem Tag zu sein. In diese Tiefe des Schlafes hinein kann der F?hrer seine Anvertrauten ein St?ck geleiten. Er muss sie lehren, sich nicht anzuklammern an den Tag, der ging, vielmehr nach jedem vollendeten Tage ihr Leben in die Nacht hineinfallen zu lassen, damit sie wirklich alle in die sch?pferische Tiefe +ihres+ Schlafes hinabgelangen. Er ?ffnet alle diese Tag und Nacht umschliessenden Zeitr?ume, er gibt sie jedem seiner Anvertrauten zu eigen, so dass ein jeder ganz davon durchdrungen wird: diese Tage k?nnen von mir gef?llt werden bis zum ?berquellen mit Leben und Leiden, sie k?nnen von mir leicht und leer wie Seifenblasen fortgeblasen werden. Beides kann ich mir geschehen lassen, mit der wissenden Inbrunst des lebendigen Menschen, der dem Gesetz in keinem Falle widerstrebt, sondern sein ganzes Wesen mit dem grossen Rhythmus der Tageswiederkehr mitschwingen l?sst.

So werden die Menschen nicht mehr an der Ungepr?gtheit ihrer Tage zu leiden haben. Jeder Tag wird f?r sie sein eigenes Gesicht bekommen und ihnen wohlvertraut im Ged?chtnis bleiben. Das Tagebuch hat hier seinen neuen Sinn, zum mindesten f?r alle Menschen, deren Sehnsucht immer wieder nach Gesichtgebung, nach Gestaltung, nach Kl?rung dr?ngt. Wer Buch f?hrt ?ber seine Tage, wird seine Gedanken allm?hlich sammeln lernen auf das Wesentliche, das Gesicht dieses einen nie wiederkehrenden Tages. Die fertige Tageskugel wird an jedem Abend noch einmal freudig in beide H?nde genommen und gegen das sinkende Licht gehalten, mit der Frage: was war dies, was da mit diesem nun gewesenen Heute reigenhaft durch mich hindurchging?

Monats- und Jahresschwingungen

Wer so die Einheit Tag und Nacht einzeln gestalthaft erlebt, als w?re jeder Tag der erste und jede Nacht die letzte, der wird dann auch langsam f?hig werden zu begreifen, was die Mehrzahl +Tage+ bedeutet: dass es nicht zu Ende ist mit dem +einen+ Tag, dass es seinen Fortgang nimmt, dass die Einzelkugeln sich zur Kette reihen. Der F?hrer zum Leben muss es seinen Anvertrauten begreiflich machen: morgen ist +auch+ ein Tag. Denn das Kind lebt einzig in den Tag hinein, so, als w?re der Tag das ganze Leben. Es mag gar nicht zu Bett gehen, weil es noch viel mehr hineinleben m?chte in den einen Tag. Ganz sacht und allm?hlich wird nun der F?hrer die kindlichen Zeitr?ume aufweiten, bis diese ungeheure Tatsache des Morgen, diese +?berh?hung+ der Gegenwart durch Zukunft ihm zu erlebter Wirklichkeit wird; und das Kind dieses Geschenk zu gebrauchen lernt nach seinem eigenen Willen. In den heutigen Schulen wird gewissermassen vorausgesetzt, dass das Kind schon seine Tage zusammenh?ngend verleben k?nnte. Es erh?lt einfach seine Aufgabe f?r morgen, oder gar f?r ?ber acht Tage, ohne doch zu wissen, was es damit vermag, wenn es eine Aufgabe f?r +morgen vorbereitet+. Es ahnt nicht, dass dieses eine Erweiterung seines eigenen Tageslebens, eine Eroberung seiner Zeit bedeutet, vor allem es lernt sich nicht freuen ?ber dieses Anwachsen seiner Macht.

Von vornherein muss der werdende Mensch lernen, dass er mit dem Auf- und Abbau der vielen Einzeltage zugleich an bestimmten +gr?sseren+ Rhythmengef?gen arbeitet. Die Einheit Tag wird durch die Sonne bestimmt. Die n?chst h?here Zeiteinheit bildet sich durch den Umlauf des Mondes. Die 28 Tage des Mondumlaufes bilden sicherlich eine sehr wesentliche Periode, durch die sich das k?rperliche Selbst eines jeden Menschen hindurchschwingen muss. Die monatliche Periode ist, wie der Tagesrhythmus im Leben des Menschen, fast g?nzlich versch?ttet. Wer fragt danach, ob Vollmond ist oder Neumond? Wenige fragen ?berhaupt nach dem Dasein von Sonne und Mond und nehmen dieses rhythmische Anschwellen und Abschwellen von Neumond zu Vollmond und wieder zum Neumond genau so gedankenlos hin, wie sie das Anschwellen und Abschwellen des Tages von Morgen ?ber Mittag zum Abend hinnehmen. Die Bedeutung des Mondwechsels lebt h?chstens als Erinnerung an m?rchenhafte Geschehnisse in den dunkelsten Winkeln des Ged?chtnisses fort: dass die Hexe zu Neumond oder Vollmond ihre Kr?utertr?nke braut, dass M?dchen ihre Haare zu Vollmond beschneiden, damit sie besser wachsen; dann erinnert man sich, dass auch die Springfluten mit dem Mondwechsel zu tun haben, und schliesslich etwas tiefer ins t?gliche Leben eingreifend ist die Erfahrung, dass das Wetter bei Vollmond und Neumond umzuschlagen pflegt. Im ?brigen denkt man eben nicht an die Mondgezeiten, zumal da auch der Kalender nicht mehr nach Mondmonaten rechnet. Und doch gewinnt diese Periode der 28 Tage bei der Frau eine ihr ganzes k?rperliches Dasein beeinflussende Bedeutung. Durch zu gestraffte Lebensf?hrung kann diese Periode sich verk?rzen, auch kann sie durch eine zu erschlaffte Lebensf?hrung sich verl?ngern, ja ganz unkenntlich werden. Der Sinn dieser >>monatlichen Reinigung<< ist die sch?pferische Pause, in den zwei bis drei Tagen der Schw?che liegt beschlossen die Sammlung der Kraft. Frauen, die diesen Sinn missachten und diese sch?pferische Pause ihrem Selbst nicht g?nnen, also dem allgemeinen Gesetz zuwider handeln, werden allm?hlich starr oder schlaff. Sinn und Wesen dieses monatlichen Rhythmus ist f?r den Mann noch bedeutungsloser geworden, weil er nicht wie die Frau ein so merkbares Zeichen in seiner Monatswelle hat.

Die n?chst h?here Periode, das Jahr, ist wie der Tag vom Lauf der Sonne abh?ngig, teilt sich in an- und abschwellende Jahreszeiten. Dieser Periodik entsprechen j?hrliche Sammlungszeiten des Menschen, die in der Hauptsache dem Aufbau des Selbst gewidmet sind und j?hrliche Gebezeiten, die durch Abbau des Selbst Leistung schaffen. Die Art, wie die Erde sich durch den sonnenbedingten Rhythmus hindurchschwingt, die ganze Summe der j?hrlichen Taten und Leiden der Erde, wird dem heutigen Menschen nur noch bruchst?ckhaft f?hlbar. Er sp?rt zwar die Witterungstatsachen hier und da, aber die grossen Zusammenh?nge innerhalb eines Jahres sind ihm verloren gegangen. Alle die Erscheinungen der Lufth?lle und der Erdoberfl?che, wie Luftdruck und -feuchtigkeit, Wolkenbildung und Windst?rke, W?rme und Lichtaufnahme, Erdstr?mung und dergleichen f?gen sich an ganz bestimmter Stelle dem Rhythmus des Sonnenjahres ein. Zwischen den einzelnen Jahreszeiten liegen jedesmal Ruhepausen der Erde, sch?pferische Pausen, in denen etwas geschieht, ohne dass etwas getan wird. Wo der Mensch in und mit der Natur lebt, wird er bald merken, wie ersch?tternd tief diese Jahrespausen in sein Selbst einzugreifen verm?gen: die Zeit der Wintersonnenwende, die Zeit der ersten Fr?hjahrswinde, die hohe Zeit des Fr?hjahrs, die Sommersonnenwende, die Zeit der ersten Reife, die hohe Zeit des Herbstes, die Zeit der beginnenden Winterst?rme und abermals die Wintersonnenwende. Das Jahr hat viel mehr Zeiten im Wechsel des steigenden und fallenden Rhythmus, als der Kalender verzeichnet. Und immer wo der fallende Rhythmus abklingt, liegt die bedeutungsschwere Pause. Sie ist da und k?ndigt sich dem Menschen, der darauf horcht, mit unfehlbarer Sicherheit an. ?berh?rt er dieses rhythmische Schweigen zwischen den Jahreszeiten hartn?ckig immer wieder, st?rmt er immer wieder ?ber die Pausen hinweg, so verwirrt sich sein eigener Jahresrhythmus immer mehr, dass er mit Gewalt noch Leistungen aus sich heraus hetzt, wo er schon lange wieder einsammeln sollte und dass er sich vollstopft und in sich aufspeichert, wo er l?ngst schon geben k?nnte.

Wie diese durch Sonne und Mond bedingten Zeitperioden, die das ganze Erdleben schwingen lassen, im einzelnen auf die einzelnen Menschen wirken, wird zun?chst noch l?ckenhaft erkennbar bleiben. Doch werden Menschen, die diesem allgemein erkannten Gesetz nicht mehr widerstreben, allm?hlich einen rhythmischen Zusammenhang ihres eigenen Lebens mit den astronomischen Perioden zu sp?ren beginnen. In diese streng gesetzm?ssige Periodik des Sonnenjahres muss sich das Menschenjahr in irgendeiner Form einf?gen. Und das Heil kann immer nur da sein, wo das >>Jahr der Seele<< zusammenklingt mit dem Sonnenjahr.

Die Menschen haben nach dem Gesetz ihres langsameren oder schnelleren Lebenslaufes weniger oder mehr Feiertage n?tig. Die vier Sonntage des Monats sind f?r die meisten sicherlich die vollkommen richtig abgemessene Feierzeit. Auf sechs Tage Arbeit muss notwendig ein Ruhetag folgen, Entspannung, Umstellung ist der Sinn des Sonntages. Wo Menschen schwer arbeiten, halten sie ganz von selbst den Sonntag heilig. Wer am Sonntag aufs Land geht, kann dort in jeder Bewegung eines ihm begegnenden Menschen merken, dass Feiertag ist.

Feiertag ist Freudentag: die Menschen freuen sich an sich selbst, an ihrer Ruhe. Und wenn die Freudenwelle hoch genug steigt, flutet sie auf den anderen Menschen ?ber. So kann der Feiertag zum Festtag werden. Gemeinsam ?berflutende Freude an sich selbst bringt die Menschen zur festlichen Gemeinschaft. Nur aus der gl?hroten Freude des eigenen Blutes kann die wahrhaft festliche Erwartung in den Menschen geboren werden, die sch?pferische Erwartung, dass unter allen zusammen etwas geschehen wird ohne Absicht, ohne gewollte Anspannung der Kr?fte. Dieses innere Wissen von der in allen gleichm?ssig stark anschwellenden Freude des Feiertages ist von solcher Wucht, dass es nach Gewand, Leib, Gestalt begehrt, um seine F?lle zu bergen, zu fassen und sichtbar zu machen. Fest ist urspr?nglich religi?se Handlung. Die Sonntage und kirchlichen Feiertage lassen das noch ganz abgeblasst erkennen. Fast nur die ?ussere H?lle ist geblieben, die innere Bereitschaft, die entscheidende Wucht der gemeinsamen Freude ist zersprungen in tausend Nichtigkeiten. Die Feste der grossen St?dte sind zu Gespenstern ihres eigentlichen Sinnes geworden, grauenvolle Umkehrung der Wahrheit. Sie bringen nicht Entspannung, sondern zwingen die Einzelnen gerade zu gespannter, ja gekrampfter Lust. Sie bringen die Unrast, mit der schon die Arbeit gew?hnlich getan wird, auch noch in den Feiertag mit. Rastlose Lust jagt die Menschen durcheinander. Der Ballsaal einer Grossstadt am Sonntag hat genau dieselbe ?bersteigerte Atmosph?re wie der grosse Maschinenraum am Werktag. Die Menschen bewegen sich da wie hier mit derselben Anstrengung, sie schwitzen und keuchen, und leiden an ihrer Unrast. Kein ?berfluten der Freude in den anderen Menschen, sondern ein lustbegehrendes Zerren aneinander kennzeichnet die Gemeinsamkeit solches Festes. Nur ganz selten, nur in den kleinen Gemeinschaften, die sich in diesen Zeiten ?berall im Lande gebildet haben, gibt es schon wieder Feste, die in ihrer strahlenden Sch?nheit ?ber viele Jahre des Lebens hinaus leuchten f?r alle, die dabei waren. Da ist das Fest wieder das Werk der feiernden Gemeinsamkeit geworden, unwiederholbar, sch?n wie Musik, wie Tanz; aber nicht von einem geschaffen, sondern von allen zusammen. Feste k?nnen nur dann zu gemeinsamen Werken der Weihe werden, wenn sie wahrhaft in die Ruhezeiten des schwingenden Jahres eingebettet sind. Die alten kirchlichen Feste, soweit sie noch einige Gewalt ?ber die Menschen behalten haben, das Weihnachtsfest, Ostern, Pfingsten sind ganz vom Sonnenjahr abh?ngig. Etwa: der erste Sonntag nach dem ersten Fr?hlingsvollmond, das gibt den rechten Zeitpunkt f?r ein Fest beweglich nach der Schwingung des Jahres. Nicht kalenderm?ssig festgelegt muss der Zeitpunkt der Feste sein. Die innere Ruhe des einzelnen Menschen, ihre Versenkung in sich selbst ist ja gesetzm?ssig gebunden an die Wartezeit des Sonnenjahres. Diese Zwischenjahreszeiten sind die nat?rlichen R?ume f?r die menschlichen Feste. Weil zu solchen Zeiten alle in der gleichen Lage der Ruhe und Erwartung sind, k?nnen sich hier wahrhaft religi?se Feste erheben, die wieder alle Menschen in Eins zu verbinden verm?gen.

Lebensalter

Wo der Mensch sich des zeitlichen Ablaufes bewusst wird, meint er damit meistens die astronomisch bedingte Zeitfolge. Vergangenheit ist ihm nach Tagen und Jahren messbar. Vor seiner Geburt sieht er eine endlose Reihe von Jahren; nach seinem Tode sieht er wieder eine unendliche Reihe von Jahren. Und das Gef?hl der Verg?nglichkeit ?berf?llt ihn wie ein Schwindel, wenn er sich so in dem unabsehbaren Netz der Sternenzeit h?ngen sieht. In dem Grade, wie einer sich seiner eigenen Entwicklung, also seines Selbst bewusst wird, wird er unabh?ngiger von den astronomischen Zeiteinheiten. Er f?hlt sich dann nicht mehr h?ngend in einem un?bersehbar weiten Zeitgef?ge. Viel eher f?hlt er sich als Sch?pfer seiner eigenen Lebenszeit. Und wenn er gegen Ende des Lebens seine Zeit ?berblickt, mag ihm zumute sein wie einem K?nstler vor dem endlichen Abschluss +seines+ Werkes.

So kann der Mensch also sein Verh?ltnis zur Zeitlichkeit gewissermassen von zwei Seiten her betrachten. Nach aussen hin sieht er sich eingespannt in die stets wiederkehrende Folge der durch Sonne- und Mondumlauf bedingten Gezeiten. Durch Tage, Monate und Jahre muss sein Leben hindurchschwingen, um schliesslich darin zu verschwinden. Nur ganz selten vergisst der Mensch die schneidende Gewalt der Sternenzeit und wird gewahr, dass er ja auch ebenso gewiss aus seinem eigenen Selbst heraus stetig sein eigenes Zeitnetz spinnt. Als Einheit der selbsteigenen Zeit des Menschen k?nnte man von seiner Atemsekunde sprechen, von der Zeit, die ein jeder zu +seiner eigenen+ Aus- und Einatmung braucht. Es w?re vorstellbar, dass das atmende Selbst auch in einem gleichm?ssigen dunklen Raum ohne Bewegung verharrend, gewissermassen wie die Tiere im Winterschlaf, mit seinen eigenen Atemsekunden eine eigene Zeit aufbauen k?nnte. Mit seinem eigenen Atem schwingt er sich durch die Tage und Jahre. Aber nicht jeder schreitet nun gleichm?ssig fort. Die Allermeisten erreichen nicht die h?heren Altersstufen ihres Selbst. Nach dem ersten Anlauf des Lebens bleiben sie in sich selber stecken.

Bei dem Aufbau der eigenen Lebensalter ist die Bedeutung der sch?pferischen Pause gross, Gl?ck und F?lle und Sch?nheit des Einzellebens h?ngt davon ab, ob die kraftspendenden Pausen zwischen den Lebensaltern wirklich innegehalten wurden.

In der Jugend folgen die Lebenswellen schneller aufeinander. Die Pausen sind dichter aneinander ger?ckt. Im Alter greifen die Wellen breiter aus, und weitere Zeitr?ume umspannend folgen die Pausen.

Das Leben wird gleichsam aus der Urpause im Mutterleib mit einer gewaltigen Wucht ausgestossen und bildet im fr?hesten Kindesalter sicherlich ein Auf und Ab von ganz dicht beieinanderliegenden Lebenswellen. Nur die M?tter wissen von diesen ersten so schnell aufeinanderfolgenden Perioden im Leben ihres Kindes und sind recht imstande, die trennenden Pausen dazwischen einzuhalten. Von diesen fr?hesten Perioden kann hier nicht gesprochen werden. Etwa vom sechsten oder siebenten Jahre an, wo das Kind allm?hlich der alleinigen Pflege seiner Mutter entw?chst, beginnt dann deutlich ein neuer Lebensteil sich abzuheben. Auch in den sehr verwirrten Zust?nden des heutigen Europa wird dieser neue Lebensanstieg des >>zur Schule kommenden<< Kindes deutlich sichtbar. Diese Welle l?uft bis zum elften und zw?lften Jahr. Hier beginnt dann eine zweite Welle, und auch dieser neue Anstieg ist bei allen jungen Menschen noch voll erkennbar. Es ist die Zeit, die durch die Firmelung der Kinder nach aussen hin von der Kirche sichtbar gemacht wurde. Von hier an l?uft aber das Leben des europ?ischen Menschen gew?hnlich schon pausenlos weiter fort. Bei den wenigen Menschen, die ihrer Bildung von da an noch einige Zeit widmen d?rfen, tritt manchmal noch eine neue, deutlich erkennbare Pause nach dem Verlassen der h?heren Schule ein, ehe der junge Mensch sich f?r ein Studium oder eine berufliche Sonderausbildung entscheidet. Und schliesslich als Abschluss des Jugendalters wird dann vor der eigentlichen Aufnahme eines Lebensberufes in seltenen F?llen nochmal eine Pause sichtbar. Die Perioden der sp?teren Lebensalter sind noch unkenntlicher als die des Jugendalters geworden, die sch?pferischen Pausen werden immer mehr verwischt und bleiben bei den meisten Menschen ganz aus. Nur bei denen, die gar nicht anders k?nnen als ihr eigenes Gesetz befolgen, treten auch diese sp?teren Besinnungspausen noch zutage. Das Leben dieser wenigen zur Selbst?ndigkeit gekommenen Menschen setzt in deutlichen Wellen Lebensalter an Lebensalter bis zum Tode als der abebbenden Welle des h?chsten Alters.

+Goethes Leben+ ist solch ein bis zu seiner +letzten+ M?glichkeit an- und abschwellendes Leben gewesen.

Diese menschlichen Werdezeiten k?nnen sich nat?rlich verschieben je nach dem Eigengesetz eines Lebens. Aber sie m?ssen da sein. Wo sie durch eine zu gestraffte Lebensf?hrung ?berrannt oder infolge einer zu schlaffen Lebensf?hrung gar nicht erreicht werden, ?berjagt der Mensch sein Leben, oder er lebt es nur bis zu einer gewissen Periode. Tats?chlich sind die meisten Menschen entweder ?berlebt, fr?h gealtert, scheinbar gejagt von unsichtbaren M?chten, oder sie sind stehen geblieben an irgendeiner Stelle ihres Lebens, und von da an wiederholen sie mechanisch immer wieder die Schwingungen ihrer schon durchlebten Jahre. Nur wo das Leben in seinen grossen B?gen von einer Ruhelage zur anderen ungehemmt ausschwingen darf, wo jede neue Lebensperiode wirklich aus der Tiefe steigt, geboren wird aus der Besinnung auf das eigene Gesetz, nur da vermag der Mensch sein eigenes Leben bis zu Ende zu leben >>nach dem Gesetz, wonach er angetreten<<.

Der F?hrende muss nun bei jedem seiner Anvertrauten dieses rhythmische Eigengesetz der jugendlichen Lebensteile in seinem grossen Wellenschlag vollauf zur Schwingung kommen lassen. Nur wer im eigenen Leben, auch im f?hrenden Alter noch, die Pausen innegehalten hat, ist f?hig, den rhythmischen Lebensgang seiner Anvertrauten zu beh?ten, von Welle zu Welle, von Pause zu Pause. Den St?rmischen wird er die Ruhelage zu zeigen verm?gen , den Zaudernden wird er liebend zum Anstieg locken .

Die Machtgeb?rde des bildenden F?hrers in seiner Bildungsarbeit reicht auch hier nie weiter, als es durch die Worte: lauschen, warten, zeigen und locken angedeutet wird.

Kinder von etwa sieben Jahren, die gerade den vielteiligen Anstieg ihres Lebens unter der m?tterlichen F?hrung beendet haben, sind also inmitten ihrer ersten grossen sch?pferischen Lebenspause, wenn der F?hrer auf ihr Leben Einfluss gewinnt. Hier ist das Problem: wie soll ?berhaupt die neue, die zweite grosse Wachstumsperiode begonnen werden? ?ber diesen Anfang wird durch die gew?hnliche Schulform ohne weiteres hinweggewischt, indem eben einfach eines Tages ?ber das Kind das Verh?ngnis hereinbricht und es drei Stunden lang in einer Stube mit anderen Kindern zusammengetan wird, um dort von nun an Dinge zu h?ren, nach denen es nicht verlangt und noch lange nicht von selbst verlangen w?rde. Mit einer Pause beginnt dieses neue Leben des Kindes, einer Pause, die sich vielleicht bei einzelnen Kindern ?ber Monate oder gar Jahre erstreckt. Hier wird der Kern gepflanzt f?r viele kommende Jahre. Es soll etwas werden und zum Ausdruck kommen, das in dem Wesen des Kindes noch verborgen ist. Alles kommt hier darauf an, dass der F?hrer den Sinn dieser Pause begreift. Wie sinnlos ist es, mit einem bestimmten, vorher ?berlegten, und in seiner Methodik sorgsam eingelernten Fragenb?ndel in das dunkel geschlossene Sein des Kindes hineinzustechen und sein ruhendes Denken aufzuscheuchen, damit es dieses Denken in irgendeiner Zukunft einmal gebrauchen lernt!

Was muss nun der F?hrer tun, in diesen schweren Anfangszeiten, zwischen Schweigen und Reden? Er muss sich niederknieen, dass er so klein wird wie das Kind. Er muss seine Sinne zusammenschliessen, dass er so gespannt wird wie das Kind, so lauschend auf jede Regung. Und spielend muss er, erst selten und dann immer ?fter, Br?cken schlagen von ihm selbst zu dem Kind hin?ber, an dieser und jener Stelle, ob es vielleicht schon einen ersten Ausgang aus sich tun will. Tag und Nacht wird er bereit sein m?ssen auf diesen ersten Ausgang seines Sch?tzlings. Und inzwischen muss er warten, muss immer wieder nur ganz zarte Versuche der Ann?herung machen, muss immer wieder sein eigenes Leben in gleichen Takt setzen wie das Leben des Kindes.

Das Anfangsverhalten des F?hrers ist entscheidend. Kann er nicht warten, greift er ein in das Leben des Kindes, bevor es seine Pause, den herrlichen ersten Tiefschlaf des jungen Lebens beendet hat, so hat er verspielt und muss bei +diesem+ Z?gling vielleicht jahrelang warten, ob er ihm in der n?chsten grossen Lebenspause den entscheidenden Dienst leisten kann.

Es ist klar, dass ja bei diesem Anfang schon die meisten Lehrenden und die meisten V?ter scheitern +m?ssen+. Denn ihr +eigenes+ Dasein wurde ja in fr?her Jugend durch irgendeinen eingreifenden Willen irgendeines Erwachsenen verbogen. Sie wurden fr?hzeitig gezwungen, irgendeinen fremden Takt zu gehen und fanden sich darein und glaubten von da an, dass es eben so sein m?sste. Sie lernten ihren eigenen Takt vielleicht erst sehr viel sp?ter, vielleicht ?berhaupt nicht kennen, und da sie nun selbst in ihrem eigenen Lebenstakt so unsicher sind, wie wollten sie da verm?gend sein, auf einen fremden Rhythmus hin sich liebend einzustellen?

Also der F?hrer muss selbst Ruhe genug haben, um dem Kind Ruhe zu lassen, solange es noch gesetzm?ssig in dem Zustand seiner Unentfaltetheit verharrt. Bis es eines Tages von sich aus nach irgendwelchem Ausweg aus sich selbst begehrt! Der Tag wird kommen, und der F?hrer darf diesen Tag nicht verpassen und zu dieser Zeit nicht in irgendwelcher M?digkeit vergraben sein. Gemeinsam mit dem nun von selbst erwachenden Kinde muss er den ersten Ausgang machen. Er braucht nun nicht zu ziehen und zu zerren und zu fragen und zu mahnen. Weit eher wird ihm das Kind mit geweiteten Augen voranlaufen und wird nur hier und da stehen bleiben und von sich aus fragen. Und er wird Antwort zu geben haben. Durchaus nicht immer in dem gleichm?ssig belehrenden Tonfall des erwachsenen Besserwissenden, sondern je nach dem Inhalt der Frage fr?hlich und schnell, oder ernst und behutsam, oder stammelnd und leidvoll.

So wird allm?hlich das Leben des Kindes sich ?berall nach aussen zu entfalten beginnen. Und in der nun anbrechenden Wachstumsperiode wird je nach der besonderen Schnelligkeit und Dichtigkeit des kindlichen Geistes K?nnen und Wissen langsam oder schnell, tiefgehend oder an der Oberfl?che zunehmen, bis sich die zweite grosse Pause im Leben des jugendlichen Menschen ank?ndigt.

Diese Zeit um das zw?lfte Jahr herum, die Zeit der beginnenden Geschlechtsreife, wird in dem mit Zwang und ?berwindung arbeitenden Erziehungssystem noch viel weniger beachtet. Hier liegt wieder der sch?pferische Kern f?r die Geschehnisse des weiteren Lebens. Der jetzt bestehende Zustand ist ein unbegreiflicher. Der Erzieher in der Schule geht ?ber diese grosse Pause, die vielleicht bei einzelnen eine jahrelange Schonung, bei allen aber eine gewisse Zeit v?lliger Umstellung zum Leben erforderte, einfach hinweg. Kein Blick, kein Wort des Lehrers besch?ftigt sich mit dem, was in diesen Zeiten allein K?rper und Seele des werdenden Menschen erf?llt. Wenig wird hier gebessert werden, wenn nun in reformierten Schulanstalten zu dieser Zeit eine gemeinsame Belehrung ?ber geschlechtliche Dinge einsetzt. Im Gegenteil, f?r die allermeisten wird solche Belehrung grossen Schaden bewirken. Deswegen, weil das Mittel der Belehrung ?berhaupt unzweckm?ssig ist, wenn ein Mensch sich im Zustand des Chaos befindet. Solche Belehrung verk?rzt den chaotischen Zustand und nur wo diese Besinnungszeit des reifenden Jugendlebens ohnehin schon ihrem eigenen Ende nahe ist, mag Belehrung das Gegebene sein. Wo aber ein junger Mensch erst am Anfang seiner Umwandlung steht oder infolge seiner langsamen Entwicklung viel Zeit dazu gebraucht, kann das aufhellende Licht die noch schlummernde Sch?pfung seines Selbst h?chstens zu einer vorzeitigen Reife bringen, und diese ist genau so t?dlich f?r das Selbst des Menschen wie die Unreife, die durch das +?bergehen+ dieser grossen Lebenspause, durch das lieblose und gedankenlose +Schweigen+ des Lehrers verschuldet wird.

Der F?hrende muss hier wie stets lauschen und warten, mit seinem ganzen Leben nach seinem Anvertrauten hin gerichtet sein. Schon lange ehe dieser selbst irgend etwas weiss, wird sich dem F?hrer seine Lebenspause ank?ndigen. All die kleinen Schw?chen und Unarten, die der heutige z?nftige Erzieher mit dem Begriff >>Flegeljahre<< geringsch?tzig oder gar scherzhaft an sich abgleiten l?sst, wird der wahre F?hrer liebevoll wissend auf ihren chaotischen Ursprung deuten und ertragen, d. h. mit-leiden. Sein ganzes eigenes Wesen wird sich erh?hen bei dem Gedanken an die sch?pferische Zeit, die nun dem jungen Menschenkind bevorsteht. Bei diesem +Wissen+ m?ssen aber seine eigenen Herzschl?ge wechselweis st?rmisch und stockend werden, wie bei dem Kind, das er beh?tet. In seiner nachempfindenden Glut selbst err?tend, muss er jedes Err?ten des Kindes verstehend und zugleich ?bersehend in sich nehmen. So wird er merken, wann das hilflose Werden des Knaben nach Einsamkeit ruft. Er wird ihn an solchem Tage von den Gespielen und von sich selbst wegschicken, ?ber alle Mauern und Z?une weg in den Wald, an den See, mitten in die Wildnis werdender Natur. Sein Mund aber wird verschlossen bleiben wie der Mund seines lieben Kindes. Allein seine Augen werden wachsam bleiben. Er wird darauf achten, dass es langen k?hlen Schlaf hat, dass seine Nahrung nun besonders ausgew?hlt ist, dass keine unreinen Stoffe ihn belasten, dass Wind und Sonne t?glich an ihn kommen und der Mond ihn nicht ber?hrt. Er wird das Versteckenspielen des Kindes, das vorher doch so offen und zutraulich war, nicht Unwahrheit schelten, weil er durch sich selbst weiss, dass Werdendes dunkel ist und sich ungern offenbart, ehe die Zeit da ist. Freuen wird er sich, wenn der vorher so Regsame faul wird und sich in die Sonne legt und tagelang nichts tut als so vor sich hind?mmern. Selbst wenn T?cke und Grausamkeit in diesen Tagen bei irgendeiner Gelegenheit ausbricht, wird er sich freuen, dass solche Restbest?nde ererbter Dunkelheiten fr?h zum Ausdruck kommen und sich nicht im Inneren festsetzen und so unterdr?ckt f?r sp?ter sehr viel Schlimmeres vorbereiten. Vor allem aber wird er die wie auch immer aufquellende jugendliche Tatenlust nicht t?richt hemmen, auch dann nicht, wenn sie den gewohnten Gang des Lebens und des Unterrichts durchbricht. Im Gegenteil, er wird den Knaben reizen und herausfordern, sich voll auszutoben in Spiel und Geschrei, im Laufen und Rennen und Wandern und Schwimmen und allerlei k?rperlichen Kunstst?cken.

Und ?ber alledem darf er ihn niemals aus dem Auge lassen, denn eines Tages wird es so weit sein, dass eine scheue fragende Geb?rde im K?rper seines Schutzbefohlenen ihm sagt: das Werdende in mir ist jetzt sehr stark geworden, es dr?ngt schon nach dem +eigenen+, nicht mehr nach +irgend+ einem Ausdruck. Kein fragendes Wort, kein fragender Blick wird es sein. Viel fr?her ist die Frage im K?rper, vielleicht in einer pl?tzlichen eckigen Wendung oder in einem unerkl?rlichen lauschend atmenden Stillstehen des K?rpers mitten im wildesten Lauf. Wenn der F?hrer sonst wohl meistens mit der ganzen Schar in den Wald gegangen ist, wird er nun an einem wohl ausgesuchten Tage ganz einfach mit dem +einen+ ausgehen. Es braucht nicht auff?llig zu sein, zu einem notwendigen Gang nimmt er ihn mit, weil doch eben ?berhaupt einer mitkommen muss. Hierbei braucht sich auch gar nichts zu ereignen, als h?chstens ein paar freundliche Blicke oder dass sie gemeinsam einen Abhang herunterlaufen oder am Waldrand ein paar Augenblicke ?ber die Felder atmen. Nur der F?hrer +weiss+, was wird und dient dem Werdenden mit seinem ganzen Wesen. Wenn er dann vielleicht zum zweiten oder dritten oder zehnten Male mit jenem allein geht, +wird+ auch etwas geschehen, etwas Geheimnisvolles, das sich nicht n?her bestimmen l?sst. Denn dass der Junge vielleicht auf einmal mit einem neuen ihm ganz +eigenen+ Ausdruck irgendeinen Gedanken formt, oder dass er halb zitternd, halb ungest?m die Hand des ?lteren ergreift und lange nicht los l?sst, oder was es auch sein wird, -- das ist ja nur das aussen Geschehende. Mit dem +inneren+ Auge aber sieht nun der F?hrende nichts als lauter aufsteigende Str?me von Kraft, die alle in seine H?nde m?nden, an denen er liebend und formend entlang gleiten darf, die gar nicht enden wollen in ihrer Unersch?pflichkeit, die kreisend immer neu aufsteigen aus der unendlichen Werdef?lle des reifenden Knaben.

Und noch viel sp?ter wird dann erst die Frage zu der Oberfl?che der Worte aufsteigen: was ist mit mir, warum geschieht mir das, was vorher doch nicht gewesen ist? Und auf die vertrauende Frage wird die sehr langsame Antwort kommen und sp?ter dann ganz zuletzt zusammenh?ngende Belehrung ?ber Zweck und Ziel der k?rperlichen Wandlung und regelm?ssige ?bung. Also erst zu einer sehr sp?ten Zeit, wenn Wort und Begriff schon zu einem sicheren Hilfsmittel der Verst?ndigung zwischen den Vertrauten geworden sind, ist es m?glich, durch Worte zu geschlechtlichem Wissen zu f?hren. Dies Wissen wird sich aber f?r jeden Einzelnen anders gestalten. Dinge, die doch >>jeder wissen muss<<, gibt es hier noch weniger als wo anders. Einer wird viel Beweisbares h?ren m?ssen und mancher vielleicht nur ein halb betontes Wort zur rechten Zeit. Die alles gleichmachende Gesinnung unserer Zeit darf hier nicht Einlass gewinnen. Ein K?rper, der sich nach der Norm entwickelt, wird niemals lebendig werden. Nur das schon wieder erstarrte oder das noch gehemmte K?rperleben f?gt sich dem System.

Das wartende Dasein des F?hrenden kann dem jungen Menschen allein dazu verhelfen, ?ber diese entscheidende Pause seines Jugendalters nicht hinweg zu leben, sondern wirklich ganz hinab zu gelangen zu den ruhenden Kr?ften seines Selbst, und darin zu verharren, solange bis er von sich selbst ganz ges?ttigt ist. Mit seiner gesamten mitschwingenden Lebenskraft muss der F?hrer in seinem Vertrauten bewirken, dass er sich fallen l?sst in seine Tiefe, nicht davor zur?ckschreckt und nicht durch irgendwelche gesetzten Ziele und Arbeiten sich etwa daran hindern l?sst. Und dann auch, dass er nicht darin verharrt, dass er nicht erschlafft in dem unt?tigen Staunen ?ber sich selbst. Es ist ja das Schicksal unz?hliger Menschen, gewissermassen in der Zeit ihrer Pubert?t stecken zu bleiben. So dass eigentlich alle weiteren Erlebnisse Wiederholungen dieser ihrer ersten geschlechtsreifen Ersch?tterungen bleiben.

An dieser Stelle, wo das jugendliche Leben aus der Tiefe der Pause nun zur Reife seines Geschlechtes aufbricht, ist dem F?hrenden alle Macht gegeben. Die ganze aufsteigende Kraft kann er nun lenken, dass sie in die selbst geschaffene Tat des jungen Menschen str?mt. Diese Kraft kann auch fr?h schon als leidenschaftlich dargebrachtes Opfer der Liebe aufflammen. Vor allem wird der F?hrende an dieser Stelle die Last der eigentlichen Wissenschaft bereit halten, die dem jungen Leben von da an Schwere und Richtung geben kann. Von alle dem wird sp?ter ausf?hrlich die Rede sein.

Die dritte sch?pferische Pause der Jugend liegt um das zwanzigste Jahr herum. Auch an dieser entscheidenden Stelle versagt die Jugenderziehung heutiger Zeit v?llig. Denn gerade hier ist der junge Mensch gew?hnlich schon f?hrerlos. Die Schule hat ihn entlassen, ohne ihn auf die kommende Zeit der Besinnung gen?gend vorzubereiten. Entweder ist er schon in einen Beruf eingespannt, der sein noch wachsendes Selbst in irgendwelche herk?mmlichen Formen lenkt, oder er geht auf eine Hochschule, um zu studieren. Die Wende seines Lebens sp?rt er h?chstens als einen angstvollen Zustand der Leere. Grundlose Traurigkeit, Weltschmerz, Ekel an den Dingen ?berkommt ihn. Alles wird ihm fragw?rdig. Und je ?fter er aus seinem Trotz heraus nein sagen kann, desto wohler ist ihm. Eine Sehnsucht nach Zerst?rung wird in ihm gross. Darum hat Krieg, Revolution, ?berhaupt Emp?rung gegen das Bestehende f?r jugendliche Menschen so hohen Erl?sungswert. Diese gewaltsamen Ereignisse werden immer wieder von den Vielen bejaht werden und immer wieder geschehen m?ssen, ja eigentlich herbeigef?hrt werden, solange Jugend von der Tiefe ihrer grossen sch?pferischen Lebenspause nichts weiss, sich davor f?rchtet und darum in zerst?rerischer Sehnsucht jede Gelegenheit benutzt, um auszubrechen in einen Zustand, der ihrem eigenen chaotischen Inneren gleicht. Auch viele andere Ventile werden ge?ffnet aus Angst vor dieser Leere. Besinnungslos wirft sich der junge Mensch an Dinge und Menschen weg. Angst vor dem eigenen chaotischen Zustand treibt ihn dazu, seine Liebe an Frauen zu geben, die ihm nicht geh?ren und die ihm so fremd sind wie irgendein Vogel oder Baum am Wege. Aus dem chaotischen Grund seiner verzweifelten Einsamkeit heraus erweckt er Liebe, vielleicht in vielen Menschen, wird verzehrende Flamme f?r viele, die ihm nahe kommen. Und alle diese Geschehnisse, die f?r ihn selbst nur Rettung vor der Leere seiner jugendlichen Wende sind, werden um ihn herum Schicksal, ohne dass er es zun?chst merkt und weiss und will. Und erst sp?ter, wenn alles das sich ausgewachsen und l?ngst von ihm getrennt hat, tritt es ihm als +fremdes+ Schicksal wieder in den Weg und mahnt nun und fordert und zwingt ihn zu unfreiem Handeln.

Auch alles, was die Menschen in diesem Alter +tun+ und +arbeiten+, bekommt etwas von diesem Geschmack der Verzweiflung. Junge K?nstler arbeiten selbstqu?lerisch Tag und Nacht an niemals vollendbaren Kunstwerken; Fragmente von steiler, sp?ter nicht mehr erreichter, vielleicht gar nicht wieder erreichbarer Sch?nheit entstehen aus ihrer Verzweiflung. Andere wiederum ergeben sich einem Studium, einem Beruf, wahllos und einzig getrieben von ihrem Wunsche, den chaotischen Raum in ihrem Selbst zu f?llen, +irgend etwas+ zu gestalten. Der Trieb zu gestalten erw?chst also aus der gleichen Furcht vor den Abgr?nden des Selbst wie die Sehnsucht zu zerst?ren und zu verneinen. Und auch diese Gestalten bildende Flucht vor sich selbst w?chst allm?hlich zum unentrinnbaren Schicksal. Der Mensch, der an irgendeinem entscheidungsvollen Abend seines jungen Lebens den Plan gefasst hat, K?nstler zu werden oder Geschichte zu studieren oder Politiker zu werden, weiss zun?chst gar nicht, was er damit auf sich nimmt. Aus der Mitte seiner lebendigen Kraft t?rmt er aus Furcht vor dem Chaos wahllos Sach-Gebirge auf, die dann nachher seinem Lebensstrom unab?nderlich leidvolle Richtung geben k?nnen.

Was k?nnte der F?hrer zum Leben, all diese Unab?nderlichkeiten ?berschauend, hier wohl tun? Wahrlich nur sehr wenig, weniger als bei irgendeiner anderen entscheidungsvollen Aus?bung seines F?hreramtes. Wo die F?hrung f?r dieses Lebensalter versagt, liegt es jedenfalls meist daran, dass +zuviel+ vom F?hrer getan und gewollt wurde.

Das Kind und der reifende Knabe ist noch so +weich+, dass ein zu +harter+ Eingriff des F?hrers das werdende Selbst meist nur dazu zwingen kann, +auszuweichen+. Aber aus der sch?pferischen Pause der J?nglingschaft soll ja gerade die Unabirrbarkeit des Selbst geboren werden. Einwirkung in einer das Selbst verbiegenden Richtung ist hier verh?ngnisvoller als vorher. Wie stets zuvor ist die Geb?rde des bildenden F?hrers ein Horchen und liebendes Warten, nicht aber Bestimmen und Raten und Handeln. Sein Dasein allein ist die St?rke und der Wert seiner F?hrerschaft. Stehen bleiben muss er selbst, wenn der J?ngere von dem chaotischen Zustand seines Inneren gepeinigt vorw?rts st?rmt und alles zerbricht, was er selbst, der F?hrer, die ganzen Jahre hindurch hat bauen helfen. Er weiss ja, dass sich der Zerst?rungswille nicht gegen ihn selbst richtet, sondern gegen das Bestehende ?berhaupt. Aus Eigenliebe darf er also hier nicht etwa hindern oder auch nur vorzeitig Ordnung schaffen wollen. Es wird eine schwere Probe seiner F?hrerschaft sein, wenn er vielleicht f?r sich selbst gerade in h?chst fruchtbarer und aufbauender Arbeit ist, den zerst?rerischen Zustand seines Freundes zu ertragen. Wenn er selbst an irgendeinem sachlichen Aufbau arbeitet, wird er nicht ?ber jene grossen leeren R?ume verf?gen, deren sein Anvertrauter bedarf, um darein all sein zerst?rerisches Wesen zu ergiessen. Doch schon bei dem geringsten Widerwillen, oder wenn der F?hrende auch nur mit einem leisen Gedanken der Wehmut bei seinem eigenen unterbrochenen Werk verharrt, nicht augenblicklich alles Werkzeug von sich tut und sich selbst weit macht in seiner wartenden Liebe zu seinem Getreuen, ist er seinem F?hreramt untreu geworden. Er hat sich dann entschieden, Meister zu werden an irgendeinem selbstgeschaffenen Werk. Das mag auch gut sein, ist aber etwas anderes und ist in Augenblicken der Entscheidung jedenfalls +nicht+ mit dem F?hreramt zu vereinen. Leicht und mit tiefer Lust muss das Werk aufgegeben werden in solcher Zeit der wartenden Liebe, so leicht wie man ein Spiel aufgibt, wenn einer der Gef?hrten schwach wird und umzusinken droht. Auffangen muss der F?hrer dann die ganze Tr?mmerlast des jungen Menschen. Er muss ihm Raum geben. Was jener zu solchen Stunden grosser Werdenot in ihn gelegt hat, muss er still in sich bewahren. Es muss Geheimnis bleiben zwischen ihnen. Denn dies hingebende Vertrauen in die bergende Liebe fordert von dem ?lteren schweigende Ehrfurcht. Selbst wenn dieser Bund nur f?r Augenblicke seinen Ausdruck fand und sp?ter vielleicht niemals mehr in Erscheinung treten wird, so deutet diese Stunde doch auf das Letzte, das zwischen Menschen hin und wieder schwingt. Nur wenn der F?hrer ganz und gar mit hinabsteigt in die Tiefe der Zerst?rung und Verzweiflung und auch durch gutes Zureden und tr?stliches Schwatzen vom aufbauenden Leben sich selbst und seinem Gef?hrten den Weg +nicht+ ungeb?hrlich verk?rzt hat, dann, aber auch nur dann wird er nun die Macht haben, ihn zu einem wirklich aufbauenden Leben zu locken. Nicht zu einem Leben, das er selbst in irgendwelcher guten Absicht f?r den Freund sich ausdenkt, sondern zu einem Leben, das sich ganz ohne sein +Zutun+ stolz und gerade auf den Tr?mmern des vergangenen Lebensteils erhebt, als wahrer und ureigener Ausdruck des nunmehr unbeirrbar werdenden Selbst des J?nglings.

Bei dem nun neu anhebenden Lebensanstieg des J?nglings wird der F?hrer nur noch lose nebenher gehen. Die f?hrende Wirkung seines Lebens wird nicht mehr nach aussen hin erkennbar sein wie fr?her. Der J?ngere wird nicht mehr Tag f?r Tag an ihn denken. Das Dasein des F?hrers wird f?r ihn allm?hlich etwas Entferntes werden. Auch r?umliche Trennung, vielleicht zeitweise, vielleicht f?r immer wird einen Keil zwischen die Menschen treiben. In Wahrheit geh?rt aber diese Entw?hnung voneinander noch in den Bereich der bildenden Aufgaben des F?hrers. Es ist seine letzte und schwerste Arbeit, sich selbst dem Anvertrauten entbehrlich zu machen, ihn zu entlassen, Abschied zu nehmen. Nur in den seltensten F?llen wird dieser rechte Abschied gelingen, nur dann, wenn der F?hrer Einsamkeit-erfahren ganz in sich beruht. Nur dann, wenn der J?ngere selbst?ndig und aufrecht seinen eigenen Gang zu gehen gelernt hat. Dann wird Abschied ohne Schmerz sein und Trennung so leicht und so gesetzhaft wie das Fallen der Frucht vom Baum.

Um das achtundzwanzigste Jahr herum liegt abermals eine Pause, die das J?nglingsalter von dem beginnenden Mannesalter scheidet. Das heutige europ?ische Leben l?sst allerdings die Innehaltung +dieser+ Pause ?berhaupt kaum zu, weil der Mensch von achtundzwanzig Jahren schon lange fertig sein muss. Er muss seinen Beruf und wom?glich seine Familie schon +haben+. Die Notwendigkeiten des materiellen Lebens, aber auch des geistigen Lebens erfordern nun gleichm?ssiges und rastloses Fortschreiten und zwingen ihn ?ber die wichtigste Bedenkzeit seines Lebens hinweg. Er hat sich l?ngst entschieden und ist gebunden und tut seine Pflicht. Wenn einer in diesen entscheidenden Jahren von seiner Pflicht redet, sieht man es seinen zusammenkrampfenden Lippen an, wie sein ganzes Selbst eine einzige grosse unterdr?ckte Trauer ist ?ber dieses forttrottende Leben, das ihn hinwegzerrt ?ber irgend etwas, was unter ihm verborgen liegt, und das er nur noch hier und da sp?rt als ein leises Beben des Grundes, etwas, das er selbst sich l?chelnd oder seufzend -- und sehr richtig -- erkl?rt als ein -- wie er meint - t?richtes Erinnern an l?ngst ?berwundene Werdezeiten seiner Jugend. Alles was sich an dieser Stelle des Lebens zum letzten Mal als >>Sentimentalit?t<<, als >>Hamlet-Stimmung<< an die Oberfl?che wagt, wird entschiedener und r?cksichtsloser als in den fr?heren Besinnungszeiten zur?ckgestossen. Der Mann st?rzt sich in seinen Beruf; grosse Pl?ne bringt er nun zur Verwirklichung. Es beginnt, ihm auf Vollendung, auf Vollst?ndigkeit anzukommen. Was sich ihm an Widerst?nden entgegenstellt, wird r?cksichtslos zur?ckgeworfen. Zur Zeit der J?nglingspause um das zwanzigste Jahr treibt die Furcht vor der Tiefe des eigenen Selbst zur Zerst?rungstat oder zur gewaltt?tigen Arbeit, in hundert steilen Anf?ngen. In dieser Hamlet-Zeit aber steht gerade die Sehnsucht nach Fertigwerden, nach Vollenden ?berall auf, um ?ber die Zeit der Besinnung hinwegzulocken. Furcht vor dem nochmals aufgebrochenen Abgrund des Selbst treibt den Mann in die b?rgerliche Ruhe der Ehe. Unter dem unbewussten Bann dieser Furcht entschliesst sich der geistige Mensch zu einer wirkenden Tat. In Kunst und Wissenschaft bringt er es allm?hlich durch seine fertig erscheinenden Werke, durch seinen nunmehr unverkennbar gewordenen Stil zu Ruhm und Ansehen. Schlau und ?ngstlich beginnt sich der Mensch zu h?ten vor allem, was ihn etwa zu der Erkenntnis eines doch vielleicht notwendigen Neuanfangs f?hren k?nnte. Er sucht dann nach Ausfl?chten, nach Rechtfertigung vor sich selbst. Er bringt sein Leben in System, l?sst alles fallen, was kreuz und quer darin liegt, was sich nicht f?gt. Sein Wille verdr?ngt alles, was sich in ihm selbst auflehnt gegen diese Systematik. Er will und muss die Herrschaft ?ber sich und seine Aufgaben behalten. Ist er doch in den Kampf des Lebens getreten und muss nun glauben, dass er >>Rechte<< und >>Ehre<< und >>Ziele<< habe.

Aber aus all dieser mannigfaltig gespreizten K?mpferstellung des werdenden Mannes spricht deutlich die Angst, von der letzten Besinnungszeit seiner Jugend zu Fall gebracht zu werden. Das ist Todesangst im tiefsten Sinne dieses Wortes, zum ersten Male wahre Furcht vor dem Tode. Und doch k?nnte aus dieser Angst allein das Hinabsteigen in seine Tiefe, das Ersterben in sich selbst Erl?sung bringen.

Von F?hrung und Gefolgschaft kann bei dieser Besinnungszeit des werdenden Mannes nicht mehr gesprochen werden. Hier ist der Mensch zum ersten Mal allein. Das klare Bewusstsein von seiner ersten wirklichen Einsamkeit darf ihn nicht schrecken. Er muss wissen, dass er nun ins Leben entlassen ist, und bestimmt, dem Tode zuzuwandern. Gerade die Hingebung an diese Einsamkeit macht ihn mit seinem eigenen Tode vertraut, dass er nun von Farbe und Geschmack des Todes ganz durchdrungen wird.

Nur durch diese Todesweihe der ersten Einsamkeit geht der Weg zur Liebe des Mannes und zum Beruf des Mannes. Erst dann hat er volle Freiheit und Ruhe, sich umzusehen und die anderen Menschen, alle jene einsamen Menschen, ringsum in ihrer inselhaft abgeschlossenen Wirklichkeit zu gewahren. Es wird notwendig werden, dass er etwas +tut+. Sein +Wissen+ und sein +K?nnen ist ausgebildet+. Durch eins von beiden kommt er zur Tat. Wissend wird er zum F?hrer, k?nnend wird er zum Meister. Beides in Beziehung zu jenen anderen Menschen, die er nun +gesehen+ hat: die j?nger sind als er, noch in Werdenot befangen, oder gleichen Alters und frei geworden wie er selbst, oder ?lter als er, schon von Todesnot befangen. Sein wissendes Leben wird ihn stark machen, die J?ngeren zu f?hren, mit den Gleichaltrigen einen Bund zu schliessen, V?ter und M?tter zu st?tzen in ihrer wachsenden Bedr?ngnis. Unter diesen vielfachen Verbindungen wissender Mannesliebe wird immer deutlicher eine Spur zu der Frau hinf?hren, welche die Erg?nzung seines Mannestums darstellt, die ihn zum Vater machen wird. Aber keine der anderen Verbindungen wird dadurch nun etwa gelockert, keine darf willk?rlich abgeschnitten werden. Nun muss alles getragen und zur Vollendung gebracht werden. Das ganze Tauwerk dieser Verbindungen muss der Mann bewusst durchs Leben +fortf?hren+.

Wissend wird er zum F?hrer, k?nnend zum Meister. Aber auch das nur in bezug auf die anderen Menschen ringsum. Allerdings sieht der Werkt?tige nicht so liebesbewusst auf die einzelnen Menschen wie der F?hrende. Er tut seine erw?hlte Arbeit, seinen Beruf aus der zwingenden Notwendigkeit seiner eigenen Kraft und fragt nicht viel nach den Menschen, denen er mit diesem Werke ohne zu wollen eben doch liebe-dient.

Werkt?tig oder f?hrend, immer nur das eine +oder+ das andere, beginnt der Mann seinen Lebensanstieg. Ein jeder kann beides tun. Doch muss er bei jeder Gelegenheit immer wieder zwischen dem einen oder dem andern w?hlen, das eine vor dem anderen zur?ckstellen. F?hrendes +oder+ werkt?tiges Vorzeichen werden auch die noch folgenden Perioden des +sp?teren+ Mannesalters tragen. Dar?ber kann hier nicht mehr gesprochen werden.

Rhythmischer Wechsel von Schw?che und Kraft

Bei all den Perioden draussen wie drinnen im Menschen ist immer wieder dasselbe: das Auf- und Abschwingen eines Rhythmus um einen Ruhekern herum. Die schwachen und f?r sich allein sogar schlecht klingenden Zeiten tragen die sch?pferische Bedeutung der Pause in sich. Und diese Bedeutung muss zum Ausdruck kommen.

Es ist aber heute keineswegs so, dass der Mensch diese seine dunklen Tage anerkennt oder gar liebt und pflegt. Die meisten w?ten vielmehr gegen ihr eigenes Gesetz. Wer eine kraftvolle Natur hat, zwingt sich an diesen Schw?chetagen genau so zu leben als sonst, also genau so viel Nahrung aufzunehmen und genau so viel Arbeit zu leisten als sonst. Das heutige Leben, das ganz nach Minutenzeiger und Zentimeterstab ausgerichtet ist, zwingt ja ohnehin jeden Einzelnen von Jugend auf zu maschinenhaften Gewohnheiten und l?sst jedes Auflehnen der eigenen Natur dagegen -- auch wenn es einmal aus der Tiefe der Besinnung kommt -- ungepr?ft unterdr?cken. So lebt der mit viel Energie ausgestattete Mensch ?ber seine Schw?chetage hinweg auf Kosten seiner zun?chst unersch?pflich scheinenden Lebenskraft, solange bis dieser Vorrat eben doch ersch?pft ist und es in irgendeiner Gestalt zum Zusammenbruch kommt. Von Zeit zu Zeit kommt es bei solchen starken Naturen zu irgendwelchen Katastrophen, etwa zu schweren Krankheiten, oder zu Perioden gesteigerter Gen?sslichkeit alkoholischer oder sexueller Art oder zu irgendwelchen ?bertriebenen Sportgel?sten, vor allem aber zu Perioden unzug?nglicher und reizbarer Gesinnung gegen nahestehende Menschen. Und das ist der beste Fall. In den schlimmeren F?llen f?hrt dies achtlose Hinwegleben ?ber die Schw?chezeiten irgendwann sogar zu einem endg?ltigen Zusammenbruch des Lebens. Die Menschen k?nnen dann wohl h?ufig nach aussen hin ruhig weiterleben, aber sie haben f?r den, der n?her zusieht, einen Riss , den sie gew?hnlich vor sich und anderen zu verbergen suchen, der aber da ist und je ?lter sie werden desto klaffender wird.

Die Menschen von geringer Lebensenergie dagegen geben sich ihren Schw?chetagen g?nzlich hilflos hin, als w?ren sie niemals wieder gefolgt von Tagen des Aufschwungs. Sie schaffen sich so allm?hlich ein immer mehr verdunkeltes Leben. Zun?chst wechseln noch Aufschw?nge und Abst?rze j?h miteinander. Schliesslich aber bekommen sie irgendwann einmal ein Grausen vor den dunklen M?chten in ihrem Innern. Sie k?nnen sich nicht mehr aufschwingen, weil sie zu sicher schon den Absturz vorher wissen. So verzweifeln die Schwachen am Leben, wie die Starken daran zerbrechen, beide, weil sie das Gesetz der Schw?chewiederkehr nicht zu beachten gelernt haben, oder immer wieder diesem Gesetz wissentlich widerstreben. Die rhythmischen Auf- und Abschw?nge sind bei jedem Menschen nach einem ihm ganz allein eigenen Urklang gebildet. Es ist der Sinn der Pause, diesen Urklang des Selbst aus der Ruhelage neu entstehen zu lassen. Dieses Hinabschwingen und Hinaufschwingen aus der Ruhelage ist immer wiederkehrende Geburt und Wiedergeburt aus dem Chaos. Die Ruhe der Pause ist gewissermassen der Grund, bis zu dem alle Schwingungen des Lebens, die kleinsten wie die gr?ssten, immer wieder hinabreichen m?ssen, wenn das Leben wirklich seinen vollen Eigenklang bekommen soll. In den Ruhe+kernen+ liegt die Entfaltung des Lebens beschlossen.

An diesen Stellen, wo das Leben sich stets erneuert, liegt naturgem?ss auch die Gefahr f?r das Leben. Alles was wir Krankheit, Schw?che, Fehler, S?nde und Schuld nennen und als lebensfeindlich empfinden, greift immer an den Kern, ja entwickelt sich im Kern, der den Pausen zugrunde liegt. Deswegen ist alles dieses unausrottbar. All dies bedeutet: hier ist Leben, +weil+ eben Feindschaft dagegen da ist.

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