Read Ebook: Drei Erzählungen für junge Mädchen by Helm Clementine
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Ebook has 699 lines and 58758 words, and 14 pages
Esther sch?ttelte den Kopf und sagte scheu: >>Ich kann nicht glauben, dass es Susanne Ernst mit diesem kindlichen Briefe gewesen ist. Wenn du sie liebst, wird sie sich bald anders besinnen.<<
>>Aber ich liebe sie ja nicht, Esther!<< rief Bertel, das junge M?dchen wieder bei beiden H?nden ergreifend. >>Ich liebe ja niemanden, als dich, Esther, du mein Gl?ck, mein Stolz, der gute Engel meines ganzen, ganzen Lebens! O, jetzt erst weiss ich es ja, dass ich dich geliebt habe, seit wir als kleine Kinder zusammen in Wald und Wiese spielten, und ich danke Gott auf meinen Knieen daf?r, dass es endlich klar in mir geworden ist!<< Und nun erz?hlte Bertel alles, was er seit der Ankunft von Esthers letztem Briefe durchlebt und durchk?mpft hatte, und wie er jetzt nur noch einen Wunsch auf der Welt habe, -- Esthers Liebe.
>>Darf ich Undankbarer, Verblendeter denn noch hoffen, dass du mich lieben kannst, Esther?<< fragte er endlich weich, und seine Stimme zitterte. Esther aber schlang ihre Arme um seinen Hals, und das Gesicht an seine Wange schmiegend, schluchzte sie: >>Mein Bertel, mein lieber, ewig geliebter Bertel!<<
Im Zimmer war es sehr still geworden, und man h?rte nichts, als ein merkw?rdig lebhaftes Rumoren und Umhergehen in der anstossenden Kammer. Frau Booland musste eine ?usserst umfangreiche Toilette machen, denn es dauerte erstaunlich lange, ehe sie damit zu Ende war und wieder in dem Zimmer bei Esther und Hubert erschien. Diesen aber war die Zeit indessen so wenig lang geworden, dass sie die alte, treue Freundin v?llig vergessen hatten. Als Frau Booland endlich zu ihnen hereintrat, f?hrte Bertel seine Esther zu ihr und sagte: >>Hier unserer treuen Tante Booland danken wir die gl?ckliche L?sung. Ohne sie w?re ich nicht hier und wir Beiden nicht das gl?cklichste Brautpaar unter Gottes Sonne.<<
>>Na, Gott sei Dank, dass wir endlich am Ziele sind!<< jubelte die Alte, ihre beiden Kinder an die breite Brust ziehend, wo sie alle Beide reichlich Platz hatten. >>Nun aber macht, dass wir von hier fort kommen; der Boden brennt mir unter den F?ssen.<<
Ehe man jedoch an die Abreise denken konnte, musste die Geldangelegenheit mit Herrn Richard in Ordnung gebracht werden. Hubert ?bernahm jetzt diese Sache und war erfreut, in dem neuen Vetter einen unendlich liebensw?rdigen Mann zu finden. Die Geldsumme, welche sein Onkel von Huberts Vater geliehen, hatte gute Zinsen getragen; denn jenes Unternehmen, wozu es gegeben worden, gl?ckte ?ber Erwarten. Aus den 15 Tausend Thalern waren im Laufe der Jahre zwanzig geworden, und Herr Richard, welcher ein ungew?hnlich grosses Verm?gen erworben hatte, war hoch erfreut, durch R?ckerstattung jenes Kapitals zum Gl?cke so lieber Anverwandter beitragen zu k?nnen. Das fr?hliche L?cheln, mit dem Esther jetzt den Vetter ihres geliebten Bertel empfing, als dieser kam, sie als die Braut seines Anverwandten zu begr?ssen, sagte demselben besser, als Worte es thun konnten, dass Esther die peinliche Scene, welche zwischen ihnen vorgefallen, vergessen habe. >>Aber zu unserer Hochzeit m?ssen Sie kommen, lieber Vetter!<< rief Bertel in fr?hlichem Uebermuthe beim Abschiede, >>nur dann verzeiht Ihnen Esther ganz.<<
Mit wie frohem Herzen sagte jetzt Esther dem Lande Lebewohl, in dem sie so viel schwere Stunden durchlebt hatte! In N?mes sprach sie noch bei dem braven, alten Ehepaar Martin vor, um ihnen alles Erlebte mitzutheilen und sie mit Hubert und Tante Booland bekannt zu machen. Nach le Vigan jedoch f?hrte sie ihre Lieben nicht, so sehr sie auch gew?nscht h?tte, den guten Doktorsleutchen m?ndlich von ihrem Gl?cke zu erz?hlen. Aber Tante Booland h?tte nie wieder Ruhe im Herzen gefunden, h?tten ihre eigenen Augen jene Zust?nde in der Pension gesehen, in denen ihr Herzbl?ttchen so lange Zeit leben musste. Aber alle jene herrlichen Gegenden, jene sch?nen St?dte mit all' den Sehensw?rdigkeiten, woran das Land so reich war, sah und genoss Esther jetzt, wie sie es auf der Herreise so sehnlich gew?nscht hatte; denn langsam und in kleinen Stationen traten sie die R?ckkehr in die Heimath an, um die alte Frau Booland nicht zu erm?den. Die Behaglichkeit dieser Art zu reisen, sowie das Gl?ck ihrer Kinder, das sie umgab, vers?hnte Frau Booland jetzt auch mit allem, was Reisen hiess, und vergn?gt liess sie sich ?berall herumf?hren und alles Sehenswerthe zeigen, so dass sie nun eine etwas bessere Meinung von dem Lande erhielt, in dem Esther so lange gelebt hatte.
Eine unaussprechlich tiefe, stille Gl?ckseligkeit ruhte auf Esthers Antlitz, als sie in ihr liebes Dorf einfuhr, und Hand in Hand sassen die beiden gl?cklichen Jugendgespielen nebeneinander, ohne ein Wort zu sprechen.
Aber als sie jetzt in die N?he der Kirche und der ehemaligen Wohnung Esthers kamen, da ert?nte pl?tzlich Glockenschall und froher Gesang. Blumenkr?nze in den H?nden und bunte Fahnen in der Luft schwingend, eilten die Kinder des Dorfes dem Brautpaare entgegen, und jubelnder Zuruf begr?sste die Ankommenden, welche unter einem festlich prangenden Triumphbogen umringt und angehalten wurden. Pfarrer Krause schritt mit seiner Familie an der Spitze des Zuges, und als derselbe den Wagen erreichte, hielt der Geistliche im Namen seiner Gemeinde eine kurze, freudige Ansprache an Hubert und Esther, in welcher er die Gl?ckw?nsche aller derer darbrachte, in deren Mitte die Beiden aufgewachsen waren und welche bisher alles Leid und alle Freude mit ihnen getheilt hatten. Ein lautes Hurrah folgte dieser Ansprache; die Glocken t?nten, die Fahnen flatterten, und bedeckt von Blumen und Kr?nzen fuhr das junge Paar durch das Dorf, von dessen Einwohnern bis zu dem Waldhause geleitet. Auch dies H?uschen war festlich geschm?ckt; als aber jetzt Esther und Bertel an die Brust der Mutter sanken, welche sie in der Th?r empfing, da blieb kein Auge trocken, und in stiller R?hrung umstanden die Dorfbewohner das H?uschen.
In ihr Wohnzimmer eingetreten, erblickte Esther eine Menge Blumen und Geschenke, welche ihr hier von den Freunden zur Begr?ssung dargebracht wurden. Zwischen diesen Geschenken stand eine grosse, geschlossene Kiste, welche Tags zuvor erst angekommen war. Sie kam aus Frankreich und war an Esther adressirt. Verwundert ?ffnete das junge M?dchen dieselbe und fand eine F?lle der sch?nsten Stoffe darinnen in Seide, Leinen und Battist, wie sie eine junge Hausfrau nur je zur Ausstattung ihrer neuen Haushaltung w?nschen konnte. Ein kleines K?stchen lag obenauf, mit der Inschrift >>Esther,<< und in demselben ruhte ein kostbarer Schmuck nebst einem kleinen Briefe von der Hand des Herrn Richard. In den verbindlichsten Worten bat er seine neue Cousine, diese Sendung von ihm anzunehmen, als einen Beweis seiner unbegrenzten Verehrung f?r das edelste, tapferste, weibliche Herz, das ihm je begegnet sei.
W?hrend Esther mit diesem Briefchen noch ganz best?rzt vor der prachtvollen Gabe stand, und Frau Booland in hellem Entz?cken bald die Steine des Schmuckes im Lichte funkeln liess, bald wieder die k?stlichen Stoffe aus einander faltete, wurde auch Bertel ein Briefchen ?bergeben. Es kam von Herrn von Sassen und lautete folgendermaassen:
>>Mein lieber Hubert!
Wo alles Dich und Deine liebe Braut mit Jubel empf?ngt, da will auch ich nicht zur?ckbleiben. Bald hoffe ich Euch pers?nlich begr?ssen zu k?nnen; f?r's Erste nur die Nachricht, dass unser verehrter Kronprinz soeben die Anfrage an Dich ergehen l?sst, ob Du f?r seine Reise nach Italien, Griechenland und dem Orient, welche er in einigen Monaten antreten wird, sein Begleiter sein willst. Die Anerbietungen, welche ausserdem hinzugef?gt sind, versprechen so viel Genuss und Vortheile, dass ich gewiss bin, Dein Herz jubelt ihnen zu, wenn Dir auch eine neue Trennung von Deiner Braut f?r's Erste wenig lockend sein mag. Eine Professur f?r Arch?ologie soll im Laufe der n?chsten Zeit an der Universit?t B. besetzt werden, und ich m?sste mich sehr irren, wenn unser gn?diger Kronprinz nicht im Sinne h?tte, seinen Reisebegleiter f?r diese Stelle vorzuschlagen, wenn er diesen als einen t?chtigen Gelehrten erkannt hat. Dass dem so sein wird, daf?r ist mir nicht bange, falls Du dieser Reisegef?hrte bist. Ich freue mich sehr, dass meine Dienste, welche ich in fr?heren Jahren dem Hofe geleistet habe, jetzt noch so gute Fr?chte tragen. Deiner verehrten Braut meinen besten Gruss und die Bitte, mir nicht zu z?rnen, dass ich ihr den Geliebten wieder entf?hren will, nachdem sie kaum die Schwelle ihres Hauses betreten. Meine kleine Susanne sendet Esther aus der Ferne ihre Gr?sse und freut sich, bei ihrer Heimkehr aus B., wohin sie f?r einige Monate durch meinen Bruder entf?hrt worden, eine liebe Freundin in ihr begr?ssen zu d?rfen. Bald umarmt Dich in v?terlicher Liebe
Das waren denn wundervolle Neuigkeiten! Der h?chste Wunsch Bertels, eine Reise nach jenen L?ndern unternehmen zu k?nnen, auf deren klassischen Boden so reiche Sch?tze f?r seine Wissenschaft ruhten, sollten sich ihm erf?llen, und unter welch' verlockenden Bedingungen! Esther war es zuerst, welche aufjubelte und keinem Z?gern Raum gab, obwohl sie sich von Neuem von dem Geliebten trennen sollte. >>Geh?ren wir uns denn jetzt nicht f?r ewig, mein lieber Bertel?<< rief sie freudestrahlend, als Hubert sie etwas tr?bselig anschaute in dem Gedanken abermaliger Trennung.
>>Reise in Gottes Namen, mein Geliebter, und wenn du dann heimkehrst, lass dir zum Schluss die sch?ne Professur von deinem Kronprinzen schenken; dann wissen wir gleich, wo wir eines Tages, so Gott will, unsere H?tte bauen werden.<<
Und so geschah es denn auch. Hubert erwarb vor allem den Titel eines Doktors der Philosophie, und als solcher begleitete er dann mit noch einigen andern strebsamen, jungen Gelehrten den Kronprinzen nach jenen sch?nen L?ndern, reiche Sch?tze sammelnd an Kenntnissen und Erfahrungen. Ein ganzes Jahr verging, ehe die kleine Expedition heimkehrte, und diese Zeit verlebte Esther in ihrem Waldhause in stillem, gl?cklichen Seelenfrieden. Tante Booland war unerm?dlich, an der Ausstattung des jungen, k?nftigen Haushaltes zu arbeiten; Frau von Ihlefeld aber f?hlte t?glich von Neuem, welchen Schatz sie an Esther gewonnen. Keine andere Tochter h?tte ihr je mit gr?sserer Liebe und Verehrung anh?ngen, keine ihr je die Tage mehr versch?nern k?nnen, als dieses M?dchen, das so brav und klug, so selbstvergessend und treu stets f?r die Ihren lebte und dachte.
Als dann endlich das Trennungsjahr vor?ber und Bertel heimgekehrt war von seiner Reise, da schaute die Morgensonne eines Tages mit ganz besonderem Glanze in die freundliche, reich geschm?ckte Dorfkirche von Rahmstedt. Hier stand Pastor Krause am Altare, und seine tief bewegten Worte erklangen feierlich in dem kleinen Gotteshause, das die Menge der And?chtigen kaum fassen konnte. Zu den F?ssen des Geistlichen aber kniete ein junges Paar, deren Ehebund seine Hand einsegnete; es war Hubert und Esther. An dem Schicksale dieser braven Kinder des Dorfes Rahmstedt nahm Alt und Jung den innigsten Antheil, und es war ein langer, fr?hlicher Zug, welcher das junge Paar nach dem reich bekr?nzten Waldhause geleitete, in dem Tante Booland ein festliches Hochzeitmahl hergerichtet hatte. Am selben Tage f?hrte Bertel dann seine Esther als stattliche Frau Professorin nach B., der neuen Heimath des gl?cklichen Paares, denn hier hatte der talentvolle, junge Mann in der That jene Stelle an der Universit?t erhalten, von der Herr von Sassen gesprochen.
Verwaist.
Erstes Kapitel.
Der Abschied.
>>Dacht' ich's doch! Da sitzt sie wieder bei ihren B?chern und lernt, als sollte sie morgen gleich noch ein Examen bestehen! O du Nimmersatt, hast du denn immer noch nicht genug Weisheit?<< so rief Fanny, ein junges M?dchen von 16 Jahren, indem sie in ein grosses Zimmer trat, dessen ganze Einrichtung den Charakter einer Schulstube trug. Mitten an einem der kahlen Arbeitstische, die mit B?chern und Schreibmaterialien bedeckt waren, neigte sich ein anderes junges M?dchen ?ber ihre B?cher und liess sich durch den Eintritt Fanny's in ihrer Arbeit wenig st?ren. Diese aber trat hinter den Stuhl der Freundin, schlug ihr neckend das Buch zu, und indem sie die Arme um den Hals derselben schlang, fuhr sie scheltend fort: >>Nein, Agathe, ich lasse dir keine Ruhe, bis du mit mir hinaus in den Garten kommst, wo wir Alle beisammen sind. Hier in der abscheulichen Schulstube ist es so dumpf und enge, und du bist wieder so bleich, dass ich es nicht l?nger leide, dich hier sitzen zu sehen. Du liebe Gelehrsamkeit, ich d?chte, heute k?nntest du dir wahrlich Ruhe g?nnen! Du hast uns ja beim Examen Alle durch deine Antworten ?berfl?gelt, und es ist nur eine Stimme dar?ber, dass du die beste Sch?lerin der Anstalt bist.<<
Die Angeredete blickte still vor sich hin und sch?ttelte den Kopf.
>>Du glaubst es nicht, Agathe?<< rief Fanny lebhaft. >>So geh' und frage alle Lehrer, besonders Herrn Lobner; da wirst du erfahren, ob ich Recht habe! Aber statt dass du dich dar?ber freuen solltest, machst du so grosse, traurige Augen, dass mir wahrhaftig selbst ganz bange dabei wird. Du bist doch gar zu ernst f?r deine 16 Jahre, M?dchen!<<
Heisse Thr?nen st?rzten bei diesen Worten aus Agathes Augen, und Fanny zog die schluchzende Freundin liebevoll an ihr Herz und strich ihr sanft ?ber das dunkle Haar. >>Du sollst ja in dem Hause deines Onkels eine zweite Heimath finden, liebe Agathe!<< sprach sie tr?stend. >>Sei doch guten Muthes; deine Zukunft wird sich gewiss besser gestalten, als du jetzt f?rchtest!<<
>>O, bei meinem Onkel, Fanny,<< schluchzte Agathe; >>das ist es ja eben, wovor ich mich f?rchte! Ich kenne weder ihn, noch die Tante, und obwohl meine Mutter immer sehr gut von ihrem Bruder sprach, so ist er mir doch ein Fremder, und das Herz schl?gt mir so unaussprechlich bange bei der Aussicht, in jenem Hause zu leben! Gott mag es mir verzeihen; denn gewiss sind solche Gedanken eine grosse S?nde, und ich sollte lieber dankbar daf?r sein, dass sie die arme Waise bei sich aufnehmen.<<
>>Du bist noch zu ungl?cklich ?ber den Tod deiner guten Mutter und siehst alle Dinge deshalb so tr?be und schwer an, liebes Herz,<< tr?stete Fanny; Agathe aber sch?ttelte wehm?thig den Kopf und weinte still noch eine Weile am Herzen der Freundin. Endlich aber richtete sie sich auf, und getrost die Blicke zum Himmel aufschlagend, sprach sie ruhig: >>Wie der liebe Gott es will, so mag es geschehen! Diese Thr?nen haben mein Herz erleichtert; nun ist mir wohl. Habe Dank, meine liebe Fanny, du treue Seele, dass ich mich gegen dich aussprechen durfte. Aber auch von dir soll ich ja scheiden, o von allem, was mir lieb und theuer ist!<<
>>Wir wollen uns recht oft schreiben, Agathe, das wird ein neuer Genuss sein, den uns die Freundschaft giebt,<< rief Fanny heiter. >>Aber nun komm' in den Garten; die Luft wird dir gut thun. Von dem vielen Lernen wirst du nur noch schwerm?thiger.<<
>>D?rfte ich nur noch hier in der Pension bleiben, bis ich so weit ausgebildet w?re, um als Erzieherin mich n?tzlich zu machen!<< seufzte Agathe, der Freundin folgend. >>Mein gr?sster Kummer w?re es, k?nnte ich beim Onkel meine Studien nicht fortsetzen, was ich fast f?rchte.<<
>>Warte es doch nur erst ruhig ab, du kleinm?thiges Kind! Warum machst du dir nur im Voraus solche Skrupel?<< scherzte Fanny und nach und nach gelang es ihr wirklich, die traurige Freundin zu erheitern und ihr die Zukunft in weniger d?stern Farben erscheinen zu lassen. Traulich plaudernd gingen die beiden jungen M?dchen in dem Garten auf und nieder, bis die Hausglocke sie zum Abendbrod rief, und sie im Verein mit den ?brigen Sch?lerinnen der Anstalt dem Hause zueilten.
>>Kommst du mit mir, Agathe, Herrn Lobner Lebewohl zu sagen?<< fragte am andern Morgen Fanny, indem sie schnell bei ihrer Freundin eintrat. >>Sieh, diesen sch?nen Blumenstrauss und die reizende Tasse hat mir Mama f?r ihn geschickt; ich hoffe, er wird sich freuen. Hast du auch etwas f?r ihn, Agathe?<<
>>Ich? Nein, Fanny. Was k?nnte ich armes M?dchen bringen; ich habe ja nichts!<< sagte Agathe traurig.
>>O dann gieb du ihm die Blumen, bestes Herz!<< dr?ngte Fanny, Agathen den Strauss in die Hand dr?ckend; diese aber gab ihn der Freundin sanft zur?ck und sagte leise: >>Nein, Fanny, ich danke dir f?r deine Liebe. Aber ich denke, dass unser liebster Lehrer mir auch ohne dies sein freundliches Andenken bewahren wird, wenn ich ihm lieb geworden bin, und w?re dies nicht der Fall, so wird ihm mein Geschenk auch keine Freude machen.<<
>>So schenke ich ihm auch nichts!<< rief Fanny ?rgerlich.
>>Das w?re sehr unrecht, da deine Mutter ihm dies Geschenk bestimmt,<< sagte Agathe. >>Komm, komm, es wird ihm gewiss Freude machen.<<
Bald traten die beiden jungen M?dchen in das Zimmer des ersten Lehrers der Anstalt, Herrn Lobner, einem zwar noch jungen Manne, der sich aber durch seinen vortrefflichen Unterricht, wie durch die milde und doch ernste Weise, in welcher er den Sch?lerinnen gegen?ber trat, die Liebe und Verehrung aller dieser jungen Herzen erworben hatte.
Mit Freude und R?hrung empfing er den Dank der beiden jungen M?dchen, welche ihm jetzt schon Lebewohl sagten, obwohl sie noch einige Tage in der Pension blieben; aber seinen Unterricht sollten sie jetzt nicht mehr geniessen. Der Tag ihrer Einsegnung lag vor ihnen und mit diesem die Trennung von dem Hause, das besonders Agathen unbeschreiblich lieb geworden war.
Milde ermahnende Worte gab Herr Lobner den jungen M?dchen mit auf den Weg: die lebhafte, etwas leichtsinnige Fanny ermahnte er zu Ernst und gr?sserer Besonnenheit; der stillen Agathe sprach er Muth und heitere Zuversicht in die Seele. Mit unbeschreiblicher Wehmuth ruhte sein Auge auf der einsamen Waise, und wie segnend legte er seine Hand auf das Haupt des armen Kindes. Fanny's Geschenk nahm er freundlich dankend an, dann ergriff er Agathes Hand, und sein kleines Heft von dem Tische nehmend, sagte er bewegt: >>Willst du mir wohl diese Arbeit als Andenken zur?cklassen, Agathe? Es ist dein letzter Aufsatz; ich m?chte mir ihn zur Erinnerung an meine fleissigste Sch?lerin aufbewahren.<<
Agathe err?thete tief und vermochte nicht zu antworten; aber mit beiden H?nden des theuren Lehrers Hand ergreifend, dr?ckte sie dieselben inbr?nstig an ihre Brust; dann eilte sie schnell zum Zimmer hinaus, denn Freude und Wehmuth best?rmten ihr Herz so m?chtig, dass sie ihre Thr?nen nicht l?nger zur?ck halten konnte.
Palmsonntag war gekommen, und feierlich zitterten die Glockent?ne durch die sonnige Fr?hlingsluft. Drinnen im Gotteshause stand and?chtig eine Schaar junger M?dchen und Knaben an den Stufen des festlich geschm?ckten Altares und empfing die Weihe als Christen. Mit ihren eigenen Lippen sprachen sie jetzt das Gel?bde aus, das sie in den Bund der Gemeinde Christi einf?hrte, und tief bewegt erklang der Segen des Geistlichen am Schluss der Feier.
Auch Agathe war unter der Zahl jener festlich gekleideten M?dchen, welche jetzt vom Altar hinweg gingen, und die Augen mit dem Tuche verh?llend, sah sie nicht, wie sie einsam auf ihrem Stuhle zur?ck blieb, als Freunde und Verwandte herbei kamen, die Confirmanden aus der Kirche zu f?hren. -- >>Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf!<< das waren die Worte, die der Geistliche ihr als Zuspruch mit in die Welt gegeben, und tief ersch?ttert f?hlte sie die ganze Gewalt derselben. Sie hatte niemanden, als Gott im Himmel, den Vater der Waisen, an dem sie halten konnte; aber war Er nicht der festeste Stab, der treuste Helfer in Noth und in Kummer?
Still und getrost wollte das einsame Kind eben die Kirche verlassen, den Gef?hrtinnen folgend, da f?hlte sie eine Hand auf ihrer Schulter, und eine sanfte Stimme sprach: >>Gott segne dich, mein theures Kind!<< Agathe wandte sich ?berrascht um und blickte in das treue Auge ihres Lehrers, welcher ihr innig die Hand dr?ckte und dann tief bewegt an ihrer Seite blieb. Erst am Ausgange der Kirche trennte er sich von dem jungen M?dchen; denn hier wartete dieser ein zweites Herz, das treu und liebevoll f?r sie schlug. Es war die alte Anne Sommer, die Dienerin ihrer Mutter, welche Agathe seit ihrer fr?hesten Jugend gekannt, und dem einzigen Kinde ihrer theuren Herrin stets die w?rmste Liebe bewahrt hatte. Frau Sommer war die Wittwe eines Corporals und eine gar wunderliche Alte; gross und kr?ftig von Gestalt, und doch so grau und runzlich wie ein alter verwitterter Ulmenbaum. Aber ihre Gutm?thigkeit und ihre frische Laune machten sie zum Liebling aller ihrer Bekannten, und trotz ihrer etwas auffallenden Manieren konnte niemand der alten Soldatenfrau b?se sein. Agathe hing mit unendlicher Z?rtlichkeit an dieser treuen Seele und liess sich willig von ihr auf offner Strasse herzen und k?ssen.
>>Mein Herzchen, mein V?gelchen, meine arme, kleine Blume!<< rief die Alte ganz hingerissen von Z?rtlichkeit und streichelte Agathes bleiche Wangen mit ihren grossen, rauhen H?nden; dann schlang sie wieder ihre Arme um des M?dchens feine Gestalt, so dass diese ganz in den Kleidern der lebhaften Alten verschwand.
>>Ach Anne, k?nntest du wenigstens mit mir ziehen, wenn ich hier fort gehe, dann f?rchtete ich mich nicht so sehr,<< seufzte Agathe. >>Aber so allein in die fremde Stadt, zu diesen fremden Verwandten; ach Anne, es dr?ckt mir fast das Herz ab!<<
>>Nur Courage, mein Goldk?ferchen, nur immer stramm dem Feinde in's Auge gesehen, und Car?e formirt, dass er dir nichts anhaben kann!<< sagte die Alte fest und machte eine Bewegung, als schultre sie das Gewehr. >>Wir Soldatenkinder f?rchten uns vor keinem Popanz, und k?me er selbst in Gestalt deiner Frau Tante! >>Nur nicht ?ngstlich!<< das war meines guten Corporals Spr?chwort, und das hat ihm zuletzt denn auch den Soldatentod gebracht, der alten braven Seele, Gott segne ihn!<< >>Wer weiss, wer weiss, mein V?gelchen, wie die Sachen kommen!<< fuhr sie dann nach einer Pause geheimnissvoll fort, und in ihrem Kopfe zog Plan auf Plan vor?ber, wie sie es wohl bewerkstelligen k?nnte, ihrem lieben Kinde nach Leipzig zu folgen, wohin dieses in wenig Tagen abreiste.
Noch einmal betete Agathe an den Gr?bern ihrer theuren Eltern, von denen sie mit traurigem Herzen Abschied nahm; noch einmal umarmte sie ihre Schulfreundinnen, und vor allem die treue Fanny, und noch einmal blickte sie in die treuen Augen ihres geliebten Lehrers, -- dann f?hrte der fortrollende Wagen die junge Waise hinaus aus den lieben, bekannten Umgebungen, hinaus in die weite, fremde Welt. -- Agathe hatte sich weinend in die Ecke des Wagens gedr?ckt, um sich den Blicken der Mitreisenden zu entziehen; da h?rte sie ?ngstlich ihren Namen rufen und erkannte in der Morgend?mmerung die grosse Gestalt ihrer treuen Anne, welche mit m?chtigen Schritten neben dem Wagen herlief, der gem?chlich ?ber das Steinpflaster polterte.
>>Hier, hier, mein Liebling, mein Goldkind!<< rief Frau Sommer athemlos und warf Agathen ein P?ckchen in den Wagen. >>Hier nimm das hinein in dein Nestchen, mein armer, kleiner Vogel; es sind Pfefferkuchen, die du so gern knupperst; die alte Anne hat sie dir gebacken, dass du eine kleine Gesellschaft unterwegs hast. Der liebe Gott gehe mit dir, mein Herzblatt, mein s?sses, armes Kindchen! Sei nicht gar zu traurig, sollst sehen, ich bin bald wieder bei dir. Adieu, adieu, mein Herzchen; beh?t dich Gott, beh?t dich Gott!<<
Die letzten S?tze rief die treue Seele unter heftigen Schluchzen in den Wagen hinein, an dessen Fenster sie sich fest angeklammert hatte, und trotz des schnelleren Fahrens trabte sie athemlos noch eine Weile nebenher, bis endlich der Kutscher ?ber das alte Weibergewinsel schimpfte und die Pferde zu schnellem Trabe anfeuerte. Da nickte die Alte ihrem Lieblinge noch einmal zu; die Finger l?sten sich vom Kutschenschlage, und mit gefalteten H?nden blickte Anne Sommer dem Wagen nach, ein Gebet f?r das Wohl der armen Waise auf den Lippen.
Zweites Kapitel.
Die neue Heimath.
Es war schon v?llig dunkel geworden, als Agathe in Leipzig ankam, dem Orte ihrer Bestimmung, und die Fahrt w?hrend des ganzen Tages in dem engen Wagen war ihr zuletzt so l?stig geworden, dass sie sich freute, endlich am Ziele zu sein, so bange ihr auch das Herz vor Erwartung klopfte. -- Vor einem alten d?stern Eckhause in der Hainstrasse hielt der Wagen, und schl?frig kam der Hausknecht mit der Laterne herbei, dem Kutscher zu leuchten, der hier einige Passagiere seines Lohnfuhrwerkes abzusetzen hatte. Die engen, finstern Strassen mit den hohen H?usern, deren Giebel und Erker weit vorsprangen und dem Himmel noch weniger Einblick gew?hrten, bedr?ckten Agathes Herz unbeschreiblich. Sie schaute in der v?llig fremden Umgebung ?ngstlich um sich; da h?rte sie pl?tzlich, wie eine grobe Stimme fragte: >>Is Freiln Wiggers mit gekommen?<<
>>Ja ja, hier ist sie!<< rief Agathe schnell und h?tte den schmutzigen Lasttr?ger vor Entz?cken um den Hals fallen m?gen, dass er unter all' den fremden Menschen sich ihrer annehmen wollte. Schnell sprang sie aus dem Wagen, und der Kutscher reichte den kleinen Koffer des jungen M?dchens herab, welchen der grosse Packtr?ger wie einen leichten Ball auffing.
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