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Read Ebook: Führende Denker: Geschichtliche Einleitung in die Philosophie by Cohn Jonas

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Ebook has 315 lines and 47064 words, and 7 pages

Dem Historiker freilich hat gerade Platons Gr?sse seine Aufgabe erschwert; Platon war kein blosser Spiegel des empfangenen Gutes, in seinem Geiste bildete sich jeder Gedanke eigenartig um, und er nahm in treuer Verehrung des Meisters die Gewohnheit an, auch eigene ?berlegungen und Einsichten dem Sokrates in den Mund zu legen, sie so gleichsam seinem Lehrer zuzueignen. Doch gilt dies von den sp?teren platonischen Dialogen mehr als von den fr?hen, die bald nach Sokrates' Tode entstanden sind. Aus ihnen lassen sich die Grund?berzeugungen des Sokrates recht wohl feststellen.

Sokrates wollte die, mit denen er umging, zum rechten Leben f?hren, das zugleich nach seiner ?berzeugung und Erfahrung das gl?ckliche Leben ist; er war also sittlicher Reformator und wirkte durch sein Vorbild, seine Person mindestens so sehr wie durch seine Lehre. F?r die Philosophie aber erlangt dieser Reformator dadurch entscheidende Bedeutung, dass er sittliche Einsicht als Bedingung der sittlichen Umkehr fordert. Das f?hrt zur strengeren Untersuchung.

Zwei Fragen dr?ngen sich uns hier sogleich auf: Wie lehrte Sokrates die Wahrheit finden, und auf Wahrheit welcher Art kam es ihm an? Die Art, zu einer Einsicht zu gelangen, nennt man Methode. Viele von Ihnen haben gewiss schon von einer sokratischen Methode reden h?ren, manche wissen wohl auch, dass diese Methode durch geeignete Fragen aus dem Sch?ler selbst die richtige Antwort herauszuentwickeln sucht.

Nicht zuf?llig w?hlte Sokrates diesen Weg, der f?r ihn kein blosses Mittel der Belehrung, sondern wirklich der geeignetste Pfad zur Wahrheit war; die Methode entsprang vielmehr seiner ?berzeugung, dass im Geiste des Menschen die rechte Einsicht verborgen sei. Es handelt sich also nicht darum, die Weisheit gleichsam von aussen heranzubringen, sondern nur sie ans Licht zu bef?rdern und von anhaftendem Irrtum zu befreien. Auch diese Geburt ist, wie die eines Kindes, m?hsam und schmerzhaft, auch sie erfordert kunstgerechte Hilfe. Darum sagt Sokrates ?fters scherzend, seine Kunst sei die einer Hebamme und er habe sie von der Mutter ererbt.

Auch sich selbst schreibt Sokrates nur das Wissen des Nichtwissens zu. Er f?hlt sich den Sch?lern ?berlegen, sofern er die Notwendigkeit der Untersuchung eingesehen hat; in der Untersuchung aber stellt er sich mit ihnen auf eine Stufe. Da Meister und J?nger zusammen vom Irrtum zu h?herer Einsicht fortschreiten, werden die Sch?ler zu Genossen im Suchen nach Wahrheit. Diese Haltung unterscheidet Sokrates von den Sophisten. Der Sophist will im Gespr?ch den Gegner einsch?chtern, ?berlisten, lieber noch in zusammenh?ngender Rede gl?nzen -- es kommt ihm darauf an, Eindruck zu machen, sich zur Geltung zu bringen. Sokrates will Liebe zur wissenschaftlichen Untersuchung wecken, damit zugleich Liebe zur Sache, zur ernsten Hingabe an eine ?berpers?nliche Wahrheit. Er hat den erzieherischen Wert der Wissenschaft entdeckt. Wenn wir Knaben und J?nglinge, auch sofern sie nicht f?r die Wissenschaft bestimmt sind, durch Wissenschaft bilden, ?berzeugt, dass der Geist reinen Wahrheitstrebens ganz allgemein die innere Selbst?ndigkeit und die Hingabe an die Sache um der Sache willen erzeugt, so wirken wir im Sinne des Sokrates. Sophistisch dagegen wird die Erziehung, sobald sie in den rasch mitgeteilten >>Ergebnissen<< fremden Forschens nur Mittel ?berliefert, zu gl?nzen und sich durchzusetzen.

Sokrates steckte sich also das Ziel, zu einer genauen Begriffsbestimmung zu gelangen, und benutzte als Mittel dazu Gespr?che, die von der gew?hnlichen unklaren Vorstellungsweise des ungebildeten Durchschnittsatheners oder von dem auf Verbl?ffung abzielenden Geschw?tz des neumodischen, halbgebildeten Sophistensch?lers ausgingen. Da jeder Schritt auf diesem Wege nur mit Zustimmung des Mitunterredners gemacht wird, hat sich dieser am Schluss keine fremde Weisheit angeeignet, sondern aus sich selbst heraus eine Einsicht errungen.

Aus diesem Denken entspringt nach Sokrates auch die Sittlichkeit. Sittlich handeln bedeutet, den Ausspr?chen des Denkens, der Vernunft folgen. Nunmehr k?nnen wir die Erkl?rung der Tapferkeit verstehen. Tapferkeit ist die richtige Einsicht in das, was man f?rchten und was man nicht f?rchten soll. Der wahrhaft Tapfere weiss, dass es Dinge gibt, die mehr zu f?rchten sind als der Tod: Unrecht tun, seine Pflicht verletzen, in Widerstreit mit sich selbst geraten. Hat er nur die Wahl zwischen Unrecht und Lebensgefahr, so nimmt er in voller Erkenntnis das Wagnis auf sich. Denn Tapferkeit, d. h. eine Tugend, darf nicht mit Tollk?hnheit verwechselt werden, die sich blind und grundlos in Gefahr begibt und keineswegs Lob verdient. Der Tapfere weiss auch, dass man unter Umst?nden die Pflicht hat, sein Leben zu erhalten. Wenn etwa ein Heerf?hrer, an dessen Feldherrnbegabung der Sieg h?ngt, sich den Kugeln aussetzt, handelt er nicht tapfer; er muss sich schonen, muss sogar tapfer genug sein, den Verdacht der Feigheit zu ertragen, wenn er weiss, dass sein Tod f?r die von ihm vertretene Sache am meisten zu f?rchten w?re. Soweit werden Sie die Begriffsbestimmung leicht zugeben. Aber dass Tapferkeit Einsicht sein soll, wird Ihnen nicht recht einleuchten. Sie alle kennen gewiss Menschen, die weit vom Schuss sehr gut wissen, was sie f?rchten und nicht f?rchten sollen, aber doch, wie man zu sagen pflegt, kein Pulver riechen k?nnen. Sokrates hat in der Tat ?bersehen, dass die blosse Einsicht den Menschen noch nicht die Kraft des richtigen Handelns gibt. Was hier als eine L?cke seiner Erkenntnis zugestanden werden muss, geht aber aus der Gr?sse seines Charakters hervor. In ihm war die Vernunft zur lebenbestimmenden Kraft geworden; dem Erkannten zu widerstreben war ihm unm?glich, daher verstand er unter Einsicht oder Wissen etwas, was den ganzen Menschen durchdringt. Wer nicht nach seiner Erkenntnis handelt, beweist eben damit, dass er im Sinne des Sokrates keine Erkenntnis besitzt.

Sokrates hat nie eine zusammenfassende Darstellung seiner Lehre gegeben, im Gegenteil h?tte er sicher jede derartige Bem?hung als seiner Absicht widerstrebend abgelehnt. Trotzdem will ich jetzt, nachdem wir Art und Ziel seiner Lebensarbeit kennen gelernt haben, versuchen, ihr gedankliches Ergebnis in einige S?tze zusammenzufassen. Was die Menschen gew?hnlich f?r Wissen halten, ist kein Wissen, nur ein unsicheres Meinen. Wer etwas weiss, der muss begriffliche Rechenschaft ?ber das Gewusste ablegen k?nnen. Eine Vorstufe des Wissens ist, zu wissen, dass man nichts weiss; denn damit hat man ja bereits erkannt, dass die gew?hnliche unklare Meinung, der man bisher folgte, auf einem Scheinwissen beruht, und beginnt nun einzusehen, wodurch wahres Wissen sich von Scheinwissen unterscheidet. Erkennt man zum Beispiel, dass es falsch ist, auf die Frage nach dem Wesen eines allgemeinen Begriffes mit einem einzelnen Falle, der unter diesen Begriff geh?rt, zu antworten, so besitzt man die wichtige Unterscheidung des Begriffes von seinen Beispielen und Anwendungen und kennt zugleich in der Allgemeinheit eine wesentliche Anforderung an jede wissenschaftliche Definition. Es ist unm?glich, einen Irrtum als Irrtum zu durchschauen, ohne damit zugleich eine Wahrheit zu erkennen.

Hieraus k?nnen wir folgern, wie Sokrates zu der ?berlieferten Sitte und Religion stehen muss. Da nur ein von der Einsicht geleitetes Handeln mit Sicherheit das Rechte ergreift, so kann er in dem blinden Befolgen ?berlieferter Lebensweisen nicht die wahre Tugend erblicken. Sieht man doch oft, dass sonst treffliche Menschen in schwierigen F?llen ratlos dastehen, dass M?nner, die selbst aus einem gewissen Naturinstinkt heraus ihre eigenen und ihres Staates Angelegenheiten aufs beste besorgen, unf?hig sind, ihre Kinder zu gleicher T?chtigkeit zu erziehen. Dabei erkennt Sokrates durchaus an, dass inhaltlich in der V?tersitte, wie in der Muttersprache, viel Wahres ?berliefert ist; nur sollen wir diese Wahrheit einsehen, nicht blind der ?berlieferung folgen. Bei aller Freiheit des Denkens bleibt Sokrates ein piet?tvoller Athener. Vor allem aber fordert er Gehorsam gegen bestehende Gesetze, solange sie bestehen, selbst wenn man aus guten Gr?nden ihre ?nderung w?nscht. Denn Gesetzlosigkeit ist unter allen Umst?nden ein ?bel. Den heimischen G?ttern ist er ergeben, wenn er auch, wie viele Zeitgenossen, die ?berlieferten G?ttergeschichten im Sinne seiner reineren Sittlichkeit umdeutet. So befindet sich Sokrates, bei vielen ?bereinstimmungen im einzelnen, doch im Grunde im entschiedensten Gegensatze gegen die Verteidiger des Alten. Jene fordern Gehorsam gegen die alte Sitte, weil die Sieger in den Perserkriegen ihr gefolgt sind. Sokrates pr?ft k?hl und n?chtern auch die Grunds?tze der Vorfahren und folgt ihnen nur, soweit sie vor seiner Vernunft standhalten. Politisch richtet sich sein Verlangen eines Handelns aus Einsicht in einem wichtigen Punkte gegen die demokratische Verfassung Athens. Hier waren alle ?mter allgemein zug?nglich und wurden durch Volkswahl oder Auslosung besetzt. Sokrates dagegen forderte, dass in jeder Sache der Sachverst?ndige allein entscheide.

Diese Gegens?tze muss man kennen, um das Schicksal des Sokrates zu verstehen. Im Peloponnesischen Kriege war Athen besiegt worden, und das siegreiche Sparta hatte eine kleine Gruppe ihm ergebener Aristokraten zu Herrschern eingesetzt; diese schalteten aber so willk?rlich, dass sie bald durch zur?ckkehrende verbannte Demokraten gest?rzt wurden. Naturgem?ss trat nun eine Reaktion ein, die sich nicht nur gegen die von den Feinden aufgedrungene Verfassung, sondern, da mehrere der Gewalthaber Sophistensch?ler oder Freunde des Sokrates gewesen waren, zugleich gegen die moderne Bildung richtete. Sokrates galt vielen als Sophist, er verkehrte in aristokratischen Kreisen und war daher, obwohl er sich ungerechten Anforderungen der gest?rzten Regierung mannhaft widersetzt hatte, verd?chtig. Pers?nliches ?belwollen gegen ihn, das diesen Verdacht ausn?tzte, konnte nicht fehlen. Wenn man sein Leben lang den Leuten zeigt, dass sie nichts wissen, und angemasste Weisheit ihres Prunkes entbl?sst, so schafft man sich Feinde. Pers?nliche Feindschaft und sachlicher Gegensatz d?rften bei denen zusammengewirkt haben, die den siebzigj?hrigen Mann im Jahre 399 v. Chr. anklagten, dass er die v?terlichen G?tter nicht anerkenne, neue d?monische Wesen einf?hren wolle und die Jugend verf?hre.

Die Richter wurden in Athen aus allen B?rgern ausgelost und waren sehr zahlreich; ?ber Sokrates sassen wahrscheinlich 501 zu Gericht. Vor einer solchen Menge, zumal von leicht erregbaren S?dl?ndern, wirkt die Beredsamkeit. Sokrates' Sache stand zun?chst nicht schlecht: sein Leben war ?ffentlich und durchsichtig; mochte man sich oft genug ?ber ihn ge?rgert haben, man wusste, dass er unstr?flich gehandelt, die B?rgerpflichten erf?llt und den Kultus der G?tter geehrt hatte. Aber die Richter waren gewohnt, dass der Angeklagte durch Redek?nste Eindruck auf sie machte und dem?tig ihr Mitleid anflehte. Sokrates verschm?hte das; denn er war ?berzeugt, dass es viel schlimmer sei, etwas zu tun, was man f?r Unrecht hielt, als zu sterben. Darum redete er schlicht und stolz. Er habe die G?tter immer geehrt und die J?nglinge zur Selbstpr?fung und Einsicht erziehen wollen. Die Anklage beruhe auf dem Hass, den seine Gespr?che, sein von dem delphischen Gott ihm ?bertragener Beruf ihm zugezogen habe. Diese ungewohnte Art sich zu verteidigen f?hrte zu einer Verurteilung mit geringer Mehrheit. Nach Entscheidung der Schuldfrage musste die Strafe bestimmt werden, wobei die Richter nach athenischem Rechte nur die Wahl zwischen den Antr?gen der Ankl?ger und des Angeklagten hatten. Da die Anklage auf Tod lautete, h?tte der Angeklagte in seinem Interesse eine nicht zu milde Strafe, etwa Verbannung, beantragen m?ssen. Statt dessen erkl?rte Sokrates, er sei nicht schuldig und k?nne sich daher keine Strafe zuerkennen. Im Gegenteil sei er, da er sein ganzes Leben der Besserung seiner Mitb?rger gewidmet habe, der h?chsten Ehre, der Speisung im Rathause, w?rdig. Verbannung, an die die Richter etwa denken k?nnten, sei f?r ihn schlimmer als Tod, da sie ihn hindern w?rde, seinen Beruf auszu?ben. Um doch dem Gesetze Gen?ge zu tun, beantrage er eine Geldstrafe, die er zwar nicht aus eigenen Mitteln aufbringen, aber doch von Freunden erhalten k?nnte. Diesen Antrag m?ssen die Richter als Verh?hnung empfunden haben; denn die Verurteilung zum Tode erfolgte mit gr?sserer Mehrheit als der erste Spruch.

>>Nach diesen Worten begab sich Sokrates in ein Gemach, um zu baden, und Kriton folgte ihm; uns aber hiess er warten. Wir warteten also, redeten miteinander ?ber das Gesagte und ?berdachten es; dann aber versenkten wir uns wieder in das Ungl?ck, das uns getroffen hatte, wir f?hlten nicht anders, als dass wir, des Vaters beraubt, unser k?nftiges Leben als Waisen hinbringen m?ssten. Nach dem Bade wurden seine Kinder zu ihm gebracht -- denn er hatte zwei kleine S?hne und einen grossen --, und die ihm verwandten Frauen kamen. Er unterhielt sich mit ihnen in Gegenwart des Kriton, trug ihnen seinen Willen auf, hiess dann Weiber und Kinder gehen und kam selbst zu uns. Es nahte schon die Stunde des Sonnenuntergangs, denn er hatte lange Zeit drinnen verbracht. Nach seiner R?ckkehr vom Bade setzte er sich und hatte noch nicht viel geredet, da kam der Diener der Elf, trat zu ihm und sagte: >Sokrates, an dir werde ich nicht dasselbe erleben, wie an andern, die mir z?rnen und mich verfluchen, wenn ich sie auf Befehl der Beh?rden auffordere, das Gift zu trinken. In dir habe ich w?hrend dieser ganzen Zeit den edelsten, freundlichsten und besten Mann von allen, die je hierher gekommen sind, kennengelernt; auch jetzt weiss ich wohl, wirst du nicht mir z?rnen, sondern den Schuldigen, die du ja kennst. Du weisst, was ich dir anzuk?ndigen habe, also lebe wohl und versuche, das Notwendige m?glichst leicht zu tragen.< Tr?nen in den Augen wandte er sich ab und ging. Und Sokrates sah ihm nach und sagte: >Auch du lebe wohl, ich werde es so machen.< Und zugleich sagte er zu uns: >Wie fein ist der Mensch! Die ganze Zeit ?ber kam er zu mir und unterhielt sich zuweilen mit mir und war gut gegen mich, und jetzt beweint er mich so aufrichtig. Aber wir, Kriton, wollen ihm nun folgen, und es mag einer das Gift bringen, wenn es bereitet ist, sonst aber es bereiten.< Und Kriton sagte: >Ich meine doch, Sokrates, dass die Sonne noch auf den Bergen liegt und nicht untergegangen ist; auch weiss ich, dass andere erst lange, nachdem es ihnen befohlen war, getrunken haben. Vorher assen und tranken sie gut und hatten zuweilen noch die Sch?nen bei sich, die sie gern hatten. ?bereile dich nicht, es ist noch Zeit.< Und Sokrates sagte: >Lieber Kriton, die M?nner, von denen du redest, haben ganz recht getan, denn sie glaubten etwas damit zu gewinnen; ebenso aber habe ich recht, wenn ich anders handle. Denn ich glaube nichts zu gewinnen, wenn ich etwas sp?ter trinke, sondern nur vor mir selbst l?cherlich zu werden, indem ich am Leben klebe und mit Augenblicken geize, die nicht mehr mein sind. Geh also, folge mir, lasse alles andere.< Als dies Kriton h?rte, winkte er einem Sklaven, der in der N?he stand. Der Sklave ging hinaus und nach einiger Zeit kam er wieder mit dem Manne, der den Trank reichen wollte und ihn fertig in einem Becher brachte. Als Sokrates den Mann sah, sagte er: >Nun, Bester, du weisst damit Bescheid. Was soll ich tun?< >Nichts weiter,< sagte der, >als nach dem Trinken umhergehen, bis dir die Beine schwer werden, dann dich hinlegen. So wird es wirken.< Damit reichte er Sokrates den Becher. Der nahm ihn und sagte ganz heiter, ohne zu zittern, ohne Farbe oder Gesichtsz?ge zu ver?ndern, nach seiner Gewohnheit das Auge fest auf den Mann gerichtet: >Was meinst du? Darf man von diesem Tranke den G?ttern opfern oder nicht?< >Wir bereiten<, antwortete jener, >nur gerade das gen?gende Mass zum Trinken, Sokrates!< >Ich verstehe,< sagte dieser, >aber beten zu den G?ttern darf und soll man, dass die Wanderung von hier nach dort gl?cklich verlaufe. Darum bitte ich, und so m?ge es geschehen.< W?hrend er das sagte, setzte er den Becher an und trank ganz leicht und heiter aus. Die meisten von uns waren bis dahin imstande gewesen, die Tr?nen zur?ckzuhalten; als wir aber sehen mussten, wie er trank und ausgetrunken hatte, nicht mehr; mir selbst st?rzten mit Gewalt die Tr?nen in Str?men aus den Augen, so dass ich mir das Gesicht verh?llte und mich ausweinte -- nicht um seinetwillen, sondern meines Geschickes wegen, dass ich solch eines Freundes beraubt sein sollte. Kriton aber war noch vor mir, da er die Tr?nen nicht zur?ckhalten konnte, aufgestanden. Apollodor hatte schon lange unaufh?rlich geweint, jetzt schluchzte er auf, schrie und klagte, so dass keiner von den Anwesenden ohne Tr?nen blieb ausser Sokrates selbst. Der sprach: >Ihr seltsamen Menschen, was macht ihr? Ich habe doch haupts?chlich deswegen die Frauen weggeschickt, damit sie nicht solche St?rung verursachen, denn ich habe geh?rt, es m?sse Friede um einen Sterbenden sein. Seid stille und fasst euch!< Als wir das h?rten, sch?mten wir uns und h?rten zu weinen auf. Er aber ging umher, bis, wie er sagte, die Beine ihm schwer wurden, dann legte er sich lang auf den R?cken hin, wie der Mann ihm geheissen hatte. Und sogleich bef?hlte ihn der, der das Gift gereicht hatte, und betrachtete von Zeit zu Zeit die F?sse und Schenkel; sp?ter dr?ckte er ihn stark am Fuss und fragte, ob er es sp?re; Sokrates sagte, nein. Dann machte er es ebenso mit den Unterschenkeln, und so, weiter hinaufgehend, zeigte er uns, wie er kalt und starr wurde. Und er ber?hrte ihn wieder und sagte, wenn es zum Herzen k?me, w?rde es aus mit ihm sein. Als Sokrates nun am Unterleib schon ziemlich kalt war, schlug er das Gewand vom Antlitz zur?ck und sagte -- es waren seine letzten Worte --: >Kriton, wir schulden dem Asklepios einen Hahn! Opfert ihn und vers?umt es nicht!< >Das wird geschehen,< sagte Kriton, >aber sieh, ob du noch etwas zu sagen hast.< Darauf antwortete er nicht mehr, sondern zuckte nur nach einiger Zeit noch; dann deckte ihn der Diener auf, da waren seine Augen gebrochen. Als Kriton das sah, dr?ckte er ihm Mund und Augen zu.

Das war das Ende unseres Freundes, nach unserem Urteil des besten Mannes unter allen Zeitgenossen, des einsichtsvollsten und gerechtesten.<<

Zweiter Vortrag.

Platon.

Nach dem Tode des Sokrates waren seine Sch?ler auf sich selbst angewiesen. Sie f?hlten sich verwaist, nun der Mann nicht mehr lebte, in dem die Philosophie gleichsam sich verk?rpert hatte. Sein Leben und sein Tod waren in jedem Zuge durch seine Lehre bestimmt, aber sie bildeten auch die einzigen Darstellungen, die es von dieser Lehre gab. Denn Schriften hinterliess Sokrates nicht, der vom lebendigen Wort eine so hohe, vom toten Buch eine sehr geringe Meinung hatte. Da nun der Meister selbst dahin war, blieb den J?ngern nichts ?brig, als die Erinnerung an ihn und seine Gespr?che durch schriftliche Wiedergabe festzuhalten.

Gerade weil sie in Sokrates die Philosophie selbst erblickten, gingen sie an diese Aufgabe nicht als Geschichtschreiber, die genau bestimmen m?chten, was Sokrates bei der oder jener Gelegenheit gesagt oder getan hat, sondern als Philosophensch?ler, die den Geist des Meisters, wie er in ihnen lebte, festhalten und anderen mitteilen wollten. Nicht die Einzelheiten seines Lebens waren f?r sie von Bedeutung, sondern dass Sokrates sein ganzes Leben dem Denken gewidmet und durch das Denken bestimmt und dass er sie, die Sch?ler, zu Philosophen erweckt hatte. Sie f?hlten Sokrates in sich lebendig und stellten ihn daher im Gespr?che dar. Es konnte nicht ausbleiben, dass sie dabei auch eigene Gedanken dem Meister in den Mund legten. Da er sich verschiedenen Sch?lern verschieden gezeigt hatte, da sich im Kreis der Sch?ler entgegengesetzte Naturen fanden, erhielten diese Gespr?che je nach ihrem Verfasser ein mannigfaltiges Gepr?ge. Wir besitzen die wichtigste Gruppe dieser Gespr?che, die von Platon verfassten, vollst?ndig. Gerade weil Platon selbst ein genialer Denker und K?nstler war, bildete er des Sokrates Lehren fruchtbar weiter. Oft ist es f?r uns schwer festzustellen, wo in diesen Gespr?chen Sokrates aufh?rt und Platon anf?ngt.

Wir m?ssen uns klar machen, dass die Philosophie hier einen Schritt vom unmittelbaren Leben abr?ckt. Darin liegt ein wichtiger Gewinn. In Gespr?chen auf dem Markte kann man den richtigen Weg des Forschens weisen; will man aber eine zusammenh?ngende Reihe von Wahrheiten entwickeln, so braucht man die Stille langen Gr?belns und einsamer ?berlegung. Indessen, mit diesem notwendigen Fortschritt ist ein Verlust innig verbunden. Das Denken gewinnt an Umfang und Tiefe, aber es verliert viel von seiner unmittelbaren Wirkung. Es gibt keinen Fortschritt der Entwicklung ohne Verlust. Der Knabe, der zum J?ngling heranw?chst, gewinnt an Einsicht und Willenskraft, aber die Zutraulichkeit des Kindes, der gl?ckliche unmittelbare Genuss der Gegenwart, der Zauber unber?hrter Reinheit muss schwinden. Der Mann ist dem J?ngling durch Reife des Urteils, durch Umsicht und Folgerichtigkeit ?berlegen. Doch das Feuer in Liebe und Hass ist verk?hlt, die edle Leidenschaftlichkeit und Geradheit des echten J?nglings hat sich anpassen gelernt. Wer ein rechter Mann ist, will nicht wieder J?ngling oder Kind werden, aber er weiss, was er verloren hat, und sucht deshalb den Umgang mit J?ngeren. Aus demselben Grunde muss die Menschheit Geschichte treiben. Auch sie hat im Weiterschreiten viel Wertvolles unwiederbringlich verloren, so auch jene urspr?ngliche Einheit von Leben und Denken. Als Ersatz f?r diesen Verlust soll uns die Versenkung in das Altertum dienen, nicht etwa dazu, uns an dem zu weiden, was die Alten nicht konnten, und uns zu br?sten, wie wir es so herrlich weit gebracht.

Platon war Dichter und Lehrer; das wahre Leben des Dichters liegt in seinen Werken, das des Lehrers in seinem Unterricht -- die Bedeutung der ?usseren Lebensverh?ltnisse tritt zur?ck. Ich will Ihnen davon nur mitteilen, was f?r das Verst?ndnis seiner Lehre wichtig ist. Platon wurde als Sohn einer Aristokratenfamilie Athens -- wir wissen nicht genau, ob 428 oder 427 -- geboren. Seine Kindheit f?llt also in die Zeit des Peloponnesischen Krieges; die eigentliche Bl?tezeit Athens kannte er nur durch Erz?hlungen und ?berlieferungen. Der Kampf gegen Sparta, der Hader der Parteien im Innern, das waren seine Jugendeindr?cke. Die n?chsten Verwandten Platons waren Gegner der bestehenden Demokratie, zum Teil der Verbindung mit dem Landesfeinde verd?chtig. Auch Kritias, der F?hrer der nach dem Frieden von Sparta eingesetzten Regierung, geh?rte zu seiner Familie. Seiner Herkunft gem?ss strebte der hochbegabte J?ngling nach politischer Wirksamkeit. Aber die bedenklichen Mittel, deren die Parteien sich bedienten, stiessen ihn ab. Die aristokratische Gesinnung seiner Verwandten teilte er, die Ungerechtigkeit jedoch, mit der Kritias seine Gegner verfolgte, widerstrebte ihm aufs tiefste. Seine dichterische Begabung trieb ihn dazu, Trag?dien zu schreiben; aber er vernichtete diese Versuche, als er zwanzigj?hrig von Sokrates gewonnen wurde. Dies Ereignis entschied ?ber sein Leben. Sehr oft ist f?r einen Menschen etwas wesentlich, was von aussen ganz unscheinbar aussieht; ein Buch, ein Gespr?ch k?nnen unserm Leben eine neue Wendung geben. So bedeutete es z. B. f?r Platons Entwicklung weniger, dass die Stadt den Feinden zum Opfer fiel und dass nahe Verwandte von ihm wegen einer Verschw?rung hingerichtet wurden -- seinen Beruf fand er, als er den wunderlichen Menschen, der sich auf den Gassen herumtrieb, kennenlernte, als Sokrates ihn unter die Zahl seiner Freunde aufnahm. Er lebte mit ihm acht Jahre lang, bis zu Sokrates' Tode.

Durch den gewaltigen Eindruck dieses Ereignisses wurde Platon von der Teilnahme am politischen Leben Athens vollends abgeschreckt. Was sollte er noch von einer Stadt hoffen, die ihren edelsten B?rger zum Tode verurteilte? Der Verteidigung und dem Ruhm des Sokrates widmete er seine ersten Schriften. Dann begab er sich auf eine grosse Reise nach ?gypten, Cyrene, Sizilien, Unteritalien. Dort in den bl?henden St?dten Grossgriechenlands lernte er die mathematische Wissenschaft genauer kennen, die in der Philosophenschule der Pythagoreer eifrig gepflegt wurde.

Nach seiner R?ckkehr begann er seine Lehrt?tigkeit, aber nicht mehr wie Sokrates auf dem Markte, sondern anfangs im Gymnasium des Akademos, sp?ter in einem nahe dabei gelegenen Garten, den er kaufte. Ein Gymnasium war eine Anstalt, in der Knaben und J?nglinge nackt turnten und rangen; es diente aber vielfach zugleich als Versammlungsort f?r andere Zwecke, auch die Sophisten und Sokrates hatten oft in Gymnasien gelehrt. Platons Schule in seinem Garten beim Gymnasium des Akademos ist f?r uns das Urbild einer Vereinigung zu wissenschaftlichen Zwecken. Daher ist der Name Akademie zur allgemeinen Bezeichnung geworden, ?hnlich wie der Name C?sar im Kaisertitel fortlebt.

Bei Sokrates darf man eigentlich nicht von einer Lehre reden, wenn man unter diesem Worte einen bestimmten Zusammenhang von Wahrheiten versteht. Vielmehr handelt es sich bei ihm um eine Grund?berzeugung, die in seinem Leben und in seinen Gespr?chen Ausdruck findet. Auch Platons Schriften sind keine Lehrb?cher, wohl aber Untersuchungen in Gespr?chsform; sie streben danach, ein zusammenh?ngendes Ganzes der Erkenntnis aufzubauen. Dieses Verh?ltnis muss man ber?cksichtigen, wenn man Platons Fortbildung sokratischer Gedanken verstehen will.

Ich habe soeben versucht, Sie auf einem Wege, der f?r jeden gangbar ist, zu einem gewissen Verst?ndnis der Ideenlehre zu f?hren. Indessen, dieser Weg er?ffnet uns zwar einige Aussicht auf diese Lehre, f?hrt aber nicht eigentlich in ihr Inneres hinein. Platon selbst hat die Mathematik, insbesondere die Geometrie f?r die wahre Vorschule der Philosophie erkl?rt. >>Kein der Geometrie Unkundiger trete ein<<, soll ?ber dem Tor der Akademie gestanden haben. Ich muss f?r die unter meinen H?rern, welche wenigstens die Grundlagen der Mathematik kennen, die vorige Betrachtung im folgenden durch eine andere erg?nzen.

Ist die oberste Idee die des Guten, so f?llt f?r Platon auch die Gottheit mit dieser obersten Idee zusammen. Denn die Ideen sind es ja, die g?ttergleich dauern und in ewigem Sein unsere wechselnde Welt bestimmen. Die Einheit von Macht und G?te, die reine Idee der Gottheit ist so errungen. Aus diesem Gedanken folgt, dass auch in der Welt der K?rper alles gem?ss der Idee des Guten, d. h. dem Zwecke des Guten entsprechend geordnet ist. Platon begr?ndet eine Art der Naturerkl?rung, die aus einer zweckm?ssigen Ordnung alles einzelne abzuleiten sucht. Die Sterne z. B. bewegen sich in kreisf?rmigen Bahnen, weil die gleichartige und in sich zur?cklaufende Kreisbewegung die vollkommenste Art der Bewegung ist. Wie Sie wissen, geht die moderne Wissenschaft ganz anders vor. Sie hat gefunden, dass die Sterne sich nicht in Kreisen, sondern in Ellipsen bewegen, und sie sucht nun nicht etwa zu beweisen, dass die Ellipse vollkommener ist als der Kreis, sondern sie weiss gar nichts von >>vollkommener<< Bewegung, sie fragt nur, welches die Ursachen dieser Bewegung sind, und findet diese Ursachen in der gegenseitigen Anziehung und in der Lage der Sterne zueinander. Diesen Gegensatz einer Erkl?rung aus Ursachen und einer Erkl?rung aus Zwecken hat Platon sich durchaus deutlich gemacht. In dem Gespr?che Ph?don, das wir schon kennen, l?sst er den Sokrates etwa folgendes ausf?hren: Wenn man meint, durch Angabe der Ursachen die Natur erkl?rt zu haben, so komme ihm das vor, als wenn man sage, Sokrates sei im Gef?ngnis, weil seine Muskeln und Sehnen sich soundso bewegt h?tten und weil sie jetzt so gestellt seien, dass er nicht weggehe. Und doch haben ihn nicht die Muskeln und Sehnen verhindert zu fliehen, als die M?glichkeit dazu gegeben war. Er ist vielmehr geblieben, um, wie er es f?r recht hielt, den Gesetzen der Vaterstadt zu gehorchen.

F?r die Naturerkl?rung ist Platons Weg ungangbar, weil wir als beschr?nkte Menschen die Zwecke des Weltganzen sicherlich nicht erkennen k?nnen. Wir werden im n?chsten Vortrage sehen, dass hier nur die entgegengesetzte Methode zur Erkenntnis f?hrt. Aber gerade das Beispiel, das ich eben aus dem Ph?don anf?hrte, wird Ihnen gezeigt haben, dass unser Handeln nur recht gew?rdigt und geleitet werden kann, wenn wir es von seinen Zielen aus beurteilen. Klug handelt, wer die Mittel zu seinen Zwecken richtig w?hlt, weise, wer sich die wahrhaft richtigen Zwecke stellt. Um Ihnen nun zu zeigen, wie Platon seine Lehre auf unser Leben anwandte, kann ich an zwei Verbindungen ankn?pfen, in denen Sie Platons Namen wahrscheinlich oft geh?rt und gebraucht haben, an die platonische Liebe und den platonischen Staat. Freilich sind die landl?ufigen Vorstellungen von diesen beiden bekanntesten platonischen Lehren gr?ndlich verkehrt.

Diesen drei Teilen der Seele entsprechen die Teile des >>Menschen im grossen<<, d. h. die St?nde des Staates. Regieren soll auch hier der vern?nftige Teil; so rechtfertigt sich Platons bekannter und zuweilen belachter Ausspruch, nicht eher werde es im Staate besser werden, als bis die K?nige philosophieren oder die Philosophen K?nige sind. Unter einem Philosophen versteht Platon hier n?mlich nicht einen einsamen, in sein Studierzimmer eingeschlossenen Gr?bler, sondern einen Mann, der ausser der Erziehung durch das praktische Leben auch noch die h?chste wissenschaftliche Ausbildung empfangen hat und darum bef?higt ist, die Wissenschaft ebensowohl zu f?rdern wie auf den Staat anzuwenden. Der zweite Stand, der dem Mute entspricht, ist der Kriegerstand, der im Innern die von den Herrschern befohlene Ordnung aufrecht erh?lt und gegen ?ussere Feinde den Staat beschirmt. Auch die herrschenden Weisen haben zum Kriegerstand geh?rt, ehe sie in ihre h?here Stellung aufr?ckten. Damit die beiden herrschenden St?nde sich ganz ihren Aufgaben widmen k?nnen, ist von ihnen jede Sorge um den t?glichen Unterhalt, jede Begierde nach Reichtum fernzuhalten. Sie werden daher aus Staatsmitteln ern?hrt und d?rfen weder Privateigentum noch Familie haben. Der dritte Stand ist der erwerbende, er entspricht der Begierde und hat im rechten Staate zu gehorchen. Bei der Behandlung des N?hrstandes zeigt sich in Platons Ausf?hrungen eine Schw?che, die er mit allen Griechen teilt. Dem sklavenhaltenden Griechen war die Erwerbsarbeit etwas, das im Grunde eines freien Mannes nicht w?rdig schien. Wir sind hier l?ngst ?ber das Griechentum hinausgeschritten und sehen in jeder recht getanen Arbeit eine Verwirklichung des Besten im Menschen. Diese Schw?che macht sich auch sonst in Platons Staatsideal geltend. Man hat wegen der von ihm geforderten Eigentumslosigkeit der h?heren St?nde in Platon oft einen der Urv?ter des Sozialismus gesehen -- kaum mit Recht. Denn Platon hat wenigstens in seinem >>Staat<< an das Privateigentum der Erwerbsst?nde nicht ger?hrt. In f?r uns auffallender Weise werden alle wirtschaftlichen Fragen vernachl?ssigt. Nicht im Interesse gerechter G?terverteilung, sondern nur, damit sie ganz ihrem Amte leben k?nnen, wird den Kriegern und Weisen das zu ihrem einfachen abgeh?rteten gemeinsamen Leben N?tige aus ?ffentlichen Mitteln zugeteilt. Das Herrschen ist nach Platon kein Genuss, kein Mittel, den Herrschern Vorteile zu verschaffen, sondern ein im Dienste des Ganzen ge?btes Amt, dem sich die dazu T?chtigen sowenig entziehen d?rfen, wie etwa die Vernunft des einzelnen Menschen es unterlassen darf, sein t?gliches Leben nach ihren Einsichten zu regeln. Aus denselben Gr?nden wie das Privateigentum ist f?r die h?heren St?nde auch die Familie abzuschaffen; in ihnen gibt es nur einzelne gleichberechtigte M?nner und Frauen, deren Verbindungen von den Herrschern im Interesse eines t?chtigen Nachwuchses geregelt werden. W?hrend Platon in der Untersch?tzung der Erwerbsarbeit griechischen Vorurteilen folgte, trat er in der Bewertung der Frau der in seinem Volke herrschenden Meinung entgegen. Er forderte v?llige Gleichstellung beider Geschlechter. Zu Kriegern und Herrschern werden Frauen wie M?nner gemacht. Die Kinder dieser h?heren St?nde erhalten gemeinsame Erziehung und kennen ihre Eltern nicht. Nur die unter diesen Kindern, die ihrer Abkunft Ehre machen, bleiben im Stande der Eltern, die ?brigen werden in den dritten Stand herabgesetzt. Ebenso werden unter den Kindern der Gewerbsleute die tauglichen in die h?heren St?nde emporgehoben.

Vieles einzelne in Platons Staatsideal ist ?berwunden, anderes, wie die Forderung wissenschaftlicher Bildung f?r die Regierenden, ist wenigstens teilweise Wirklichkeit geworden; manches, wie die Zug?nglichkeit der h?chsten Stellen f?r alle T?chtigen und die Auswahl der Regierenden allein nach der T?chtigkeit, ist auch heute noch Ziel unseres Strebens. Aber weit wichtiger als alle diese Einzelheiten ist der Geist, der in Platons Staatslehre waltet. Alle Einrichtungen beherrscht die Vernunft, jeder Mensch dient den grossen Zielen des Ganzen. Auf diese Ziele ist der Sinn gerichtet und von ihnen aus werden die Mittel gew?rdigt. In unserer Zeit haben sich die Mittel des Lebens unendlich vervollkommnet. Bewundernswertes ist f?r die Bequemlichkeit und Gesundheit des ?usseren Lebens geschehen, und diese Fortschritte werden wachsenden Teilen des Volkes zug?nglich. Wir sollen diese technischen Errungenschaften nicht untersch?tzen. Aber auch wenn wir mit immer gr?sserer Schnelligkeit reisen, und wenn unsere Worte durch Telephon und drahtlose Telegraphie den Raum ?berwinden, die Hauptsache bleibt stets, zu welchen Zwecken wir reisen und was wir reden. Gerade die grossen Fortschritte der Technik lassen viele vergessen, dass alle diese Erleichterungen der Ern?hrung und des Verkehrs nur Mittel sind, und dass es auf die Zwecke ankommt, zu denen wir diese Mittel gebrauchen. Das Nachdenken ?ber diese Zwecke heisst Philosophie. Den Wert dieses Nachdenkens hat niemand mit gr?sserer Kraft hervorgehoben als Platon. In der Mahnung, ?ber die Ziele des Lebens nachzudenken, gipfele Ihre Erinnerung an ihn.

Dritter Vortrag.

Descartes.

Ren? Descartes wurde 1596 als j?ngerer Sohn eines franz?sischen Edelmannes geboren. Er wurde, sobald seine zarte Gesundheit es erlaubte, sorgf?ltig und vielseitig unterrichtet. Den wichtigsten Teil seiner geistigen Ausbildung erhielt er in der damals neu gegr?ndeten Jesuitenschule von La Fl?che; er war ein Mustersch?ler dieser Musteranstalt. Descartes selbst hat sp?ter den Eindruck des dort erhaltenen Unterrichtes auf ihn geschildert. Wir werden seine Darstellung verstehen, wenn wir uns die Eigent?mlichkeiten jenes Zeitalters rasch vor Augen f?hren.

Von diesen Neuerungen drang vieles auch in den Unterricht der Jesuitenschule ein. Denn die Jesuiten wollten nicht weltfremde M?nche, sondern treue Diener der Kirche in der Welt heranbilden. Sie mussten ihren Z?glingen daher von der neuen Weisheit so viel mitteilen, wie man in der Welt brauchte. So stand in ihrem Unterrichte die gr?ndliche Kenntnis der alten Sprachen und Schriftsteller und, wenigstens in La Fl?che, auch der Mathematik neben der Kirchenlehre und der ihr entsprechenden Philosophie. Den meisten Z?glingen war dieses Nebeneinander unvertr?glicher Gegenst?nde ganz recht, wie ja immer in den Seelen der Mehrzahl Widersprechendes sich sehr gut vertr?gt. Aber es ist ein Kennzeichen philosophischer Geister, dass sie ein Nebeneinander unverbundener, ja widerstrebender Teile nicht ertragen k?nnen. Darum befriedigte Descartes der Unterricht nicht. Von Anfang an suchte er einheitliches und sicheres Wissen und begann fr?h alle Zweige des Unterrichts daraufhin zu pr?fen, ob sie beweisbare Wahrheiten enthielten. Er musste also an dem, was man ihn lehrte, Kritik ?ben, verfuhr aber dabei nicht etwa als junger Umst?rzler, der, weil seine Erwartungen nicht befriedigt wurden, sich gegen alle Vorteile des empfangenen Unterrichtes verstockte. Vielmehr wusste er ganz wohl, dass er viel N?tzliches gelernt hatte, dass die alten Sprachen seinen Stil gebildet, die griechischen und r?mischen Schriftsteller seinen Geist bereichert hatten. Auch f?r die religi?se Unterweisung war er empf?nglich, f?hlte sich sein Leben lang als Christ und suchte stets mit der katholischen Kirche im Einvernehmen zu bleiben. Aber der Preis der geistig Armen, der auch in den bildungsstolzen Schulen nicht ganz verstummen durfte, liess den Nutzen gelehrter Theologie zweifelhaft erscheinen, zumal der Streit um die rechte Auslegung der Lehre endlos fortging. Nirgends zeigte sich die Sicherheit der Ergebnisse, die Descartes leidenschaftlich begehrte. Nur in der Mathematik fand er dieses Streben befriedigt. Aber hier handelte es sich um Gegenst?nde, die ihn im Grunde kalt liessen; f?r Zahlen und Figuren als solche interessierte sich der junge Descartes wenig, so sehr ihn auch die strenge Form der mathematischen Methode anzog.

Unbefriedigt von der Schulweisheit, dabei als Sohn eines wohlhabenden Edelmannes unabh?ngig, beschloss Descartes, statt der B?cher die Welt zu studieren. Da er sich einen Beruf w?hlen sollte, entschied er sich, einem Wunsche seines Vaters folgend, daf?r, Soldat zu werden. Beim Verlassen der Schule 1612 war er indessen noch zu jung und zu schw?chlich, um Kriegsdienste zu nehmen. Er st?hlte daher zun?chst seinen K?rper durch geeignete ?bungen und begab sich dann zur gesellschaftlichen Ausbildung nach Paris.

Aber schon hier zeigte es sich, dass dem jungen Manne die Versenkung in sich selbst und das stille Studium im Grunde angemessener war als das rauschende Treiben der Welt. Verkehr mit Mathematikern gab ihm neue Anregung, ihre Wissenschaft fesselte ihn jetzt so sehr, dass er zwei Jahre hindurch zur?ckgezogen mathematischen Studien lebte.

Im Jahre 1617 war er kr?ftig genug zum Kriegsdienste; er blieb nun 5 Jahre lang bis 1622 Soldat. Aber dieser junge franz?sische Edelmann trat nicht, wie man vermuten m?chte, ins franz?sische Heer ein, sondern ging zu dem protestantischen Moritz von Oranien, der damals allerdings mit Frankreich verb?ndet war. Als sp?ter in Deutschland der grosse Krieg begann, schloss er sich dem Heere Tillys, des Feldherrn der katholischen Liga, an. Man sieht, dass weder religi?se noch politische Interessen ihn bei der Wahl der Fahne leiteten, der er folgte. Auch milit?rischer Ehrgeiz lag ihm fern. Er blieb stets Volont?r und benutzte die Kriegsz?ge lediglich als Mittel, die Welt zu sehen.

Zwischen der kriegerischen Laufbahn eines Sokrates und der eines Descartes besteht also der entschiedenste Gegensatz. Sokrates erf?llte als Krieger seine B?rgerpflicht und ging v?llig im Dienste seiner Vaterstadt auf. Descartes machte die K?mpfe, die das Geschick der europ?ischen Menschheit bestimmten, nur deshalb eine Weile mit, weil sie ihm Gelegenheit zur Ausbildung seiner Pers?nlichkeit gaben. Nicht nur zwei M?nner, zwei Zeiten und zwei Lebensauffassungen stehen hier einander gegen?ber. Descartes selbst spricht von seinen Kriegsz?gen wie von Reisen; durch Reisen, so sagt er, lernt man die Sitten verschiedener V?lker kennen und befreit sich von dem Vorurteil, dass man nur nach der in der Heimat gewohnten Weise leben k?nne.

Aber das Lesen im eigenen Innern war f?r Descartes auch in dieser Zeit wichtiger noch als das Lesen im Buche der Welt. Mehr als von Kampf und Sieg, mehr auch als von der Durchquerung Mitteleuropas bis nach Ungarn hin, spricht er von den inneren Erlebnissen in der Stille der Winterquartiere. Hier nahm er im innigsten Zusammenhang mit seinen philosophischen ?berlegungen auch das Studium der Mathematik wieder auf. An Kennern dieser Wissenschaft fehlte es in den Heeren jener Zeit nicht, da man mathematischer Berechnungen besonders bei Belagerungen bedurfte.

Wir m?ssen uns klar zu machen suchen, warum Descartes von der Mathematik f?r die Philosophie so viel erhoffte. Sie war f?r ihn zun?chst, ?hnlich wie f?r Platon, ein Vorbild sicher begr?ndeter Erkenntnis. Die M?glichkeit, durch strenge ?berlegungen ohne die unsichere Hilfe der Erfahrung neue fruchtbare Wahrheiten zu finden, hoffte er auf die Philosophie ?bertragen zu k?nnen; aber zu dieser formalen Bedeutung der Mathematik trat die F?lle ihrer neuen naturwissenschaftlichen Anwendungen, die eben damals die Denkenden fesselten.

Man muss die Philosophie des Descartes durchaus im Zusammenhange mit dieser grossen geistigen Bewegung, zu deren ersten F?rderern er geh?rte, betrachten, um sie zu verstehen. In der Einsamkeit jener Winterquartiere legte sich der junge, zur Selbst?ndigkeit gereifte Denker die Frage vor: wie kann ich ein mathematisch sicheres Wissen von der Wirklichkeit, vor allem aber von den letzten Ursachen alles Daseins und von mir selbst erlangen? Lange rang er mit sich, um den Weg zur Wahrheit zu finden; endlich im schw?bischen Winterquartier zu Neustadt 1619 erkannte er, dass es darauf ankommt, auch hier so sichere Obers?tze und Voraussetzungen zu gewinnen, wie die Mathematik sie besitzt. Das aber ist nur m?glich, wenn wir alle Meinungen, die wir ohne Beweis f?r richtig zu halten pflegen, vorl?ufig bezweifeln und nur das festhalten, was dem entschiedensten Zweifel gegen?ber standhielt. Auf diesem Wege gelangte Descartes zu einer festen ?berzeugung und zu einer sicheren Methode, die ihm auch mathematische und naturwissenschaftliche Entdeckungen erm?glichte.

Als er dann 1622 den Kriegsdienst aufgab und nach einer Reise durch Italien wieder in Paris Aufenthalt nahm, machte sich im Kreise der Gelehrten seine ?berlegenheit geltend. Dadurch erwarb sich Descartes Ruhm und Ansehen, noch ehe er irgendeine Schrift ver?ffentlicht hatte. Man dr?ngte ihn dazu, mit seinen Gedanken hervorzutreten, aber er konnte die zur Ausarbeitung n?tige Ruhe in Paris nicht finden und begab sich daher 1629 nach Holland. Hier lebte er zwanzig Jahre hindurch ganz der Ausbildung seiner Gedanken. Um nicht durch Verkehr gest?rt zu werden, wechselte er vierundzwanzigmal seinen Aufenthalt. Nur zwei Freunde in Paris kannten seine Adresse und vermittelten seine Geldangelegenheiten und seinen wissenschaftlichen Briefwechsel. Er schildert gelegentlich in einem Briefe, wie er inmitten der volkreichen Stadt Amsterdam, ohne die Bequemlichkeiten der Zivilisation zu entbehren, ganz als Einsiedler lebte. Er war dort, wie er sagt, vielleicht der einzige Mensch, der sich weder um Handelsgesch?fte noch um Politik bek?mmerte. Lange Zeit scheute er davor zur?ck, seine Ruhe durch Ver?ffentlichungen zu gef?hrden. Seine Sorge erwies sich als berechtigt. Denn als er nun, um den Ruf seines Geistes zu rechtfertigen, endlich mit Schriften hervortrat, fehlte es weder an verfolgungss?chtigen Gegnern, noch an Missdeutungen seiner Lehren durch unverst?ndige Freunde. Seine Philosophie begann sich die Universit?ten zu erobern und erregte bei den Anh?ngern der mittelalterlichen Lehren einen Hass, der sich sogar in Verboten und pers?nlichen Verfolgungen entlud. Dadurch wurden ihm die Niederlande verleidet, und er folgte bald einer Einladung der schwedischen K?nigin nach Stockholm. Dort regierte n?mlich damals Christine, Gustav Adolfs jugendliche Tochter, deren lebhafter und beweglicher Geist durch die Vermittelung des franz?sischen Gesandten an ihrem Hofe, eines Freundes des Philosophen, Interesse f?r die Philosophie des Descartes gewonnen hatte. Aber der Bruch mit liebgewordenen Gewohnheiten, der Zwang im Winter, in fr?hester Morgenstunde der K?nigin Vortrag zu halten, sch?digte seine Gesundheit. Wohl infolge des Klimas erkrankte er und starb am 11. Februar 1650 in der Hauptstadt Schwedens. Er wurde dort beigesetzt; die Franzosen holten sp?ter die irdischen Reste ihres gr?ssten Philosophen nach Paris.

Bei Descartes dient nicht mehr das Denken dem Leben selbst wie bei Sokrates. Der Denker will auch nicht wie Platon eine Umbildung des Lebens bewirken; vielmehr ist umgekehrt das ?ussere Leben hier nur Mittel f?r das Denken. Descartes ist ein Mensch der Einsamkeit, eine Einzelperson, die sich m?glichst von allen Beziehungen zu anderen losl?st. Alles ?ussere benutzte er in seiner Jugend zur Erweiterung seines Wissens, sp?ter als Mittel, ruhig seinen Studien zu leben. So k?hn er im Denken war, so weit entfernt war er von allen revolution?ren oder auch nur reformatorischen Bestrebungen in der Wirklichkeit. >>Ruhe, die mir ?ber alles geht<<, >>vollkommene Geistesruhe, die ich suche<<: das sind Worte, die Lebensart und Lebensziel des Descartes vollst?ndig bezeichnen.

Nach diesem Grundsatz halte ich zun?chst alle Meinungen, die mir ?berliefert sind, f?r zweifelhaft. Aber ich muss noch weiter gehen. Ich pflege f?r wirklich zu halten, was ich sehe, h?re oder sonst mit meinen Sinnesorganen wahrnehme. Aber meine Sinne haben mich schon oft get?uscht. Ich habe zuweilen ein Spiegelbild f?r Wirklichkeit, einen Nebelstreif f?r einen Baum gehalten. Ich muss daher an der Wirklichkeit der wahrgenommenen Dinge zweifeln. Aber vielleicht darf ich wenigstens das f?r sicher halten, was mit dem Gef?hl meiner eigenen gegenw?rtigen Lage zusammenh?ngt. Ich finde mich selbst etwa im Wintermantel am Kamin sitzend und schreibend. Daran kann ich doch nicht zweifeln. Aber habe ich nicht schon oft getr?umt und im Traume geglaubt, dass ich spazieren gehe, w?hrend ich in meinem Bette lag? So gut wie ich damals irrte, ist es auch m?glich, dass das, was ich jetzt wachend zu erleben glaube, eine Art Traum ist. Aber auch, wenn ich annehme, dass alle meine scheinbar wachen Erlebnisse nur Tr?ume sind, m?ssen doch die Bilder im Traume irgendwelche Vorbilder in der Wirklichkeit haben. Sogar der Maler, der Fabelwesen bildet, setzt diese aus St?cken der Wirklichkeit zusammen, verbindet etwa einen Pferdek?rper mit dem Oberleib eines Menschen zu einem Zentauren. M?ssen also nicht mindestens die einfachen Bestandteile aller unserer Erlebnisse wie L?ngenausdehnung oder Farbe einer Wirklichkeit entsprechen? Es widerstrebt dem nat?rlichen Gef?hl, auch daran zu zweifeln. Aber unm?glich ist der Zweifel auch gegen?ber der Wirklichkeit der einfachen Erfahrungsbestandteile nicht, und wir m?ssen ihn daher nach dem Grundsatz, den wir zur Richtschnur nahmen, auch hierauf ausdehnen. Es w?re doch denkbar, dass ein b?ser D?mon mir diese einfachsten Bestandteile meiner Traumbilder vorspiegelte, um mich zu t?uschen. Ich kann also zweifeln, dass ich in Farbe, Ton, Gestalt, in Tastempfindungen, Ger?chen und Geschm?cken irgend etwas Wirkliches wahrnehme. Ich kann bezweifeln, dass ?berhaupt eine K?rperwelt existiert und dass ich selbst einen K?rper habe.

Was aber ist nun dieses >>Ich<<, dessen ich mir im Denken bewusst bin? Gew?hnlich meint man, wenn man >>ich<< sagt, damit den eigenen Geist und K?rper. Wir haben gesehen, dass die Wirklichkeit unseres K?rpers nicht ?ber jeden Zweifel erhaben ist. Auch unsre Leidenschaften, unser Hass und unsre Freude sind so innig mit den Vorstellungen von K?rpern und den Sinnesempfindungen verbunden, dass sie mit diesen zugleich ein Raub des Zweifels werden. Nur meines Denkens bleibe ich mir in allem Zweifel gewiss. Selbst wenn alle diese meine Vorstellungen Tr?ume sind, so stelle ich sie mir doch eben tr?umend vor, und Vorstellen ist eine Art des Denkens. Ja, wenn ein b?ser D?mon mir alles, was ich zu wissen meine, vort?uscht, so muss ich ein denkendes Wesen sein, damit seine T?uschung irgendeine Wirkung auf mich aus?ben kann. Mein Denken bleibt also gefeit gegen allen Zweifel. Es hiesse Descartes schlecht verstehen, wollte man ihm mit einem seiner zeitgen?ssischen Kritiker einwerfen: ebensogut wie ich folgere, ich denke, also bin ich, k?nnte ich statt des Denkens irgendeine andere T?tigkeit w?hlen und z. B. schliessen, ich gehe spazieren, also bin ich. Ich kann ja auch tr?umen, dass ich spazieren gehe; und das einzige, was auch in diesem Falle gewiss bleibt, ist, dass ich mir mein Spazierengehen vorstelle, also denke. Wenn ich aber von Gedanken tr?ume, so ist doch im Traume das Denken als solches wirklich da.

Wie aber kommt man nun von hier aus zu weiteren sicheren Erkenntnissen? Indem ich zweifele, f?hle ich nicht nur mein Denken, sondern auch meine Unvollkommenheit. Denn zweifeln kann ich nur, weil ich nach einem Zustand der Gewissheit strebe, der vollkommener ist als mein Zweifel. Dieses Bewusstsein eines Mangels bei mir selbst setzt voraus, dass ich die Vorstellung eines vollkommeneren Wesens, als ich selbst bin, in mir vorfinde. Denn als unvollkommen kann ich mich doch nur im Vergleich mit einer Vollkommenheit f?hlen. In der Tat habe ich in mir die Vorstellung eines Wesens, das in jeder Weise vollkommen ist, einer absoluten Vollkommenheit, Gottes. Diese Vorstellung kann ich nicht selbst hervorgebracht haben; denn eine Wirkung kann nie gr?sser sein als ihre Ursache. Da ich unvollkommen bin, kann ich also nicht Ursache einer mir ?berlegenen Vorstellung von Vollkommenheit sein. Aus demselben Grunde kann diese Vorstellung auch nicht von einem andern unvollkommenen Wesen in mich hineingelegt sein, sie kann also nur von dem allervollkommensten Wesen selbst, von Gott, stammen.

Habe ich so die Sicherheit von Gottes Existenz gewonnen, so ist damit der am weitesten reichende Grund des Zweifels gehoben. Gott ist absolut vollkommen, also ist er gut; t?uschen aber ist b?se; Gott kann mich daher weder selbst t?uschen noch zulassen, dass ein b?ser D?mon mich t?usche. Dann aber ist alles wahr, was ich ebenso klar und deutlich wie mein eigenes Dasein als denkendes Wesen erkenne. Ganz im Sinne der neueren Naturwissenschaft rechnet Descartes die Sinnesempfindungen nicht zu dem klar Erkennbaren; denn den Unterschied von blau, rot und gelb kann ich mit meinem Denken nicht weiter durchdringen. Dagegen was der Zahl und dem Masse zug?nglich ist, r?umliche Bewegungen, wie sie die moderne Naturwissenschaft als die den Sinnesempfindungen zugrunde liegende Wirklichkeit ansieht, das ist klar erkennbar, also auch wirklich wahr.

?berblicken wir den Gedankengang, durch den Descartes zu den ersten S?tzen seiner Philosophie gelangt, so finden wir, dass der Gr?sse und Sicherheit des Anfangs der Fortgang nicht entspricht. Das Ausgehen vom Allergewissesten, vom Unbezweifelbaren, die Auffindung dieser letzten Gewissheit in unsrem Denken selbst -- das ist dauernder Gewinn. An den Folgerungen aber, die er aus diesen S?tzen zieht, l?sst sich berechtigte Kritik ?ben. Vor allem folgt aus der Selbstgewissheit meines Denkens nicht, dass ich eine Substanz, ein unver?nderliches Etwas bin, dessen blosse ?usserung das Denken ist. Nur des Denkens bin ich mir im Zweifel gewiss, nicht eines denkenden Etwas, einer Denksubstanz. Ebenso kann die Tatsache, dass wir in uns die Vorstellung eines allervollkommensten Wesens finden, bezweifelt werden. Man k?nnte dagegen etwa einwenden: ich bilde mir nur ein, diese Vorstellung zu besitzen, in Wahrheit kann ich mir nur eine endliche mir zug?ngliche Einsicht, Macht und G?te vorstellen und damit den Nebengedanken verbinden, dass diese Eigenschaften in unendlich h?herem Grade vorhanden sein sollen. Ist dies der Fall, so kann eine solche Steigerung sich aus der ?ber jede Grenze hinausstrebenden Natur meines Denkens ebensoleicht erkl?ren, wie sich die M?glichkeit erkl?rt, die Zahlenreihe beliebig auszudehnen und in Gedanken Billionen auf Billionen zu h?ufen. Ein berechtigter Kern steckt bei alledem auch im Gottesbeweis des Descartes. Richtig bleibt, dass ich mir im Denken und Zweifeln zugleich meines Denkens, seiner Aufgabe und seiner Unvollkommenheit bewusst bin. Denken heisst nach wahren Urteilen, genauer nach einem ?berall begr?ndeten Zusammenhang wahrer Urteile streben. Unser Denken ist also eine T?tigkeit, der ein Ziel vorschwebt. Dieses Ziel l?sst sich nur Schritt f?r Schritt erreichen. Jeder wahre Satz, den wir finden, stellt neue Aufgaben. Notwendig entsteht aus dieser Lage unsres Denkens das Gegenbild eines Geistes, der ohne die M?hen des Weges das Ziel der Wahrheit besitzt. So viel also d?rfen wir auch bei strengster Pr?fung Descartes zugeben, dass mit dem Bewusstsein unsres Denkens und seiner Unvollkommenheit sich als Erg?nzung die Vorstellung eines vollkommenen, oder wie man auch sagen kann, g?ttlichen Geistes verbindet. Ob wir mit logischer Gewissheit aus dieser Vorstellung auf das wirkliche Sein der Gottheit schliessen d?rfen, erscheint fraglicher. Bedenken werden wir jedenfalls dagegen haben, irgend etwas Weiteres ?ber die Gottheit auszusagen; denn da ihr Begriff im Grunde nur als erg?nzender Gegensatz unsrer Unvollkommenheit gebildet ist, k?nnen wir uns nicht berechtigt f?hlen, diese uns unzug?ngliche Vollkommenheit zu durchdringen. Solchen ?berlegungen zufolge ist jedenfalls die Art unzul?ssig, in der Descartes nun weiter schliesst, dass Gott in seiner G?te uns nicht t?uschen k?nne. Gott k?nnte uns aus guten Gr?nden einen Teil der Wahrheit verschleiern oder eine Scheinwelt vort?uschen, so gut wie Eltern ihren Kindern manche Wahrheit vorenthalten und ihnen M?rchen erz?hlen.

Descartes' Gr?sse liegt also einerseits darin, dass er den notwendigen Anfangspunkt alles philosophischen Forschens, die Selbstgewissheit des Denkens, entdeckte, anderseits darin, dass er die Begriffe von Gott, von der Seele und vom K?rper im Zusammenhang mit der entstehenden Wissenschaft der Neuzeit klar entwickelte.

Vierter Vortrag.

Spinoza.

Schon einmal hatten wir das Verh?ltnis von Lehrer und Sch?ler zu betrachten. Platon war Sch?ler des Sokrates, das bedeutet: Sokrates hat ihn durch seine Pers?nlichkeit f?r die Philosophie gewonnen, die Freundschaft des Sokrates war das entscheidende Ereignis in Platons Leben; darum ist Sokrates die Hauptfigur in Platons dichterischen Werken. Spinoza war Sch?ler des Descartes; doch m?ssen wir hinzuf?gen: er hat ihn niemals gesehen, noch weniger einen pers?nlichen Einfluss von ihm erfahren, nur seine B?cher hat er studiert und aus ihnen gelernt. Die Verschiedenheit zweier Zeitalter tritt hier zutage: nicht mehr auf dem Markt, nicht einmal mehr notwendig im unmittelbaren Verkehr durch Rede und Antwort, nein, im stillen Zimmer beim Lesen des gedruckten Buches wird jetzt der Fortschritt gewonnen.

Spinoza f?hlte sich den Schriften des Descartes stets zu Dank verpflichtet, aber w?hrend Platon seine selbst?ndigen Gedanken dem Sokrates in den Mund legte, betonte Spinoza die Eigenart seiner Lehre auch seinem wichtigsten Lehrer gegen?ber. Wir m?ssen daher fragen, an welche Seite jener Philosophie seine Umbildung ankn?pft. Wir haben nun bereits erkannt, dass in der Philosophie des Descartes zwei Gruppen von Gedanken liegen, deren Verbindung miteinander nicht so ?berzeugend durchgef?hrt ist, wie der Philosoph selbst meinte. An jeden dieser beiden Bestandteile konnte man ankn?pfen.

Auch hier lagen Schwierigkeiten genug vor; denn Descartes hatte jene drei Arten von Substanzen einfach nebeneinander gestellt, dabei aber doch zugegeben, dass Gott in anderem Sinne Substanz ist als die von ihm geschaffenen Seelen und K?rper. Einerseits steht der Philosoph durchaus auf dem gew?hnlichen Standpunkt schroffer Entgegensetzung von Gott und Welt, anderseits scheint seine Lehre zu einer Einheit beider zu f?hren, wenn man sie zu Ende denkt. Gott ist ja der Inbegriff aller Vollkommenheit, >>Sein<< aber ist auch eine Vollkommenheit, und alles Seiende ist vollkommen, soweit es existiert. Man darf daher diese beschr?nkten Vollkommenheiten nicht von der Gottheit abtrennen, sonst w?rden sie ihr fehlen, und Gott w?re nicht das allervollkommenste Wesen. Daraus aber folgt, dass alle Dinge zur Gottheit geh?ren, dass Gott kein Wesen ist, welches ausserhalb der Welt sein gesondertes Leben f?hrt, sondern eben die Einheit der Welt selbst.

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