Read Ebook: Das Recht der Hagestolze: Eine Heiratsgeschichte aus dem Neckartal by Wolff Julius Storch K Illustrator
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Ebook has 2447 lines and 91260 words, and 49 pages
Illustrator: K. Storch
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DEUTSCHE BUCH-GEMEINSCHAFT G.M.B.H. BERLIN
Julius Wolff
S?mtliche Werke
Vierter Band
Das Recht der Hagestolze
Das Recht der Hagestolze
Eine Heiratsgeschichte aus dem Neckartal
von
Julius Wolff
Mit Bildern
von
K. Storch
Paul List Verlag Leipzig
Alle Rechte vorbehalten
~Copyright 1912 by Paul List, Leipzig
~Druck von Dr. Trenkler & Co. in Leipzig
Das Recht der Hagestolze
Erstes Kapitel.
Es war in der bereits stark vorgeschrittenen D?mmerung eines warmen Fr?hlingsabends im Jahre 1397, als ein einsam daherkommender M?nch ?ber die Neckarbr?cke zu Heidelberg auf das Stadttor zuschritt. Seine hohe Gestalt war von der braunen Kutte verh?llt und die Kapuze so tief ?ber das gebeugte Haupt gezogen, dass auch von seinem Gesichte nichts zu sehen war. Er hielt die Arme dicht an den Leib geschmiegt und die H?nde davor gefalten, und sein Gang hatte etwas Unsicheres, Schwankendes, als wenn er, dessen ungewohnt auf den Zehen schliche. Ob er auf Sandalen oder in Schuhen ging, war nicht zu erkennen, denn auch die F?sse waren vom Gewande bedeckt.
Das Tor war noch offen, aber der Torwart trat just aus der Wachtstube, um es zu schliessen, als der M?nch hindurchschritt. Der W?chter mass den Ank?mmling mit einem misstrauischen Blick und schien eben eine Frage an ihn richten zu wollen, als der M?nch die Rechte erhob und das Zeichen des Kreuzes ?ber den andern machte. Aber die Bewegung fiel etwas ungeschickt, fast ungeschlacht aus; die Hand holte in den sich schneidenden Richtungen von oben nach unten und von rechts nach links so hoch und weit aus, als wollte sie den s?ndigen Laien statt mit dem heiligen Segenszeichen mit ein paar derben Schl?gen bedenken, die gl?cklicherweise nicht dessen Scheitel und Wange trafen, sondern ohne Widerstand zu finden durch die Luft fuhren. Der W?chter unterdr?ckte seine Frage, und auch der M?nch blieb stumm und schritt eilig die Gasse entlang zur Stadt hinein. Ihm nachblickend sch?ttelte der Torwart das Haupt und brummte: >>Der ehrw?rdige Bruder scheint beim Segenerteilen eine recht kr?ftige Faust zu f?hren. Was mag er bei Nacht hier in der Stadt zu suchen haben? Denn ein Heidelberger Franziskaner war es nicht; h?tte ihn doch fragen sollen!<< Damit hatte der Mann die schweren Torfl?gel geschlossen und schob nun die eisernen Riegel vor. Dann warf er noch einen Blick zum Himmel empor auf die grauen, schnellziehenden Wolken und begab sich wieder in das Wachth?uschen.
In der engen, schon ziemlich dunklen Gasse war die Haltung und Bewegung des M?nches eine ganz andere als vorher beim Durchschreiten des Tores. Seine Gestalt reckte sich, er trug das Haupt hoch und gerade, bewegte die Arme frei an der Seite, und seine Schritte waren fest und weit. Nur wenige Menschen begegneten ihm, vor denen er es, zumal bei dem sp?rlichen Lichte, vielleicht nicht der M?he wert hielt, kl?sterliche Demut zur Schau zu tragen.
Jetzt kam ihm mit lautem Scherzen und Lachen ein Trupp Studenten entgegen, die paarweise in kleinen Abst?nden voneinander gingen. Als der M?nch an dem ersten Paar vor?ber kam, blieb einer der beiden Studenten stehen, wandte sich um und sagte zu dem andern: >>Hast du's geh?rt, Mutz? der Glatzkopf hatte einen Schritt, als tr?ge er Sporen an den Sandalen.<<
>>Dummes Zeug! Sporen!<< erwiderte sein Genosse, >>wird wohl der Teufel gewesen sein, und du hast seinen Pferdehuf trappen h?ren.<<
Lachend gingen sie weiter. Von den zuletzt kommenden Studenten, die zu vieren in einer Reihe schritten, stiess einer, ein grosser, st?mmiger Gesell, hart gegen den Franziskaner und lachte: >>Holla, ~mi frater~! hast du Schultern aus Eichenholz?<<
Ein anderer aber fuhr den M?nch heftig an: >>Aus dem Wege, Fledermaus! sonst klatsche ich dich an die Wand, dass du kleben bleibst!<<
Mit fester, rauher Stimme, fast drohend entgegnete der Gestellte: >>~Pax vobiscum!~<< und setzte Raum gebend und weiterschreitend halblaut hinzu: >>Oder ein Kreuzhageldonnerschlag soll euch in die Kniekehlen fahren!<<
>>Was will das Murmeltier?<< riefen die Studenten; >>kommt, lasst uns ihm die Kutte ausklopfen!<<
Einen Augenblick schien es, als wollte der M?nch stehen bleiben und sich zu den Angreifern umwenden; doch er besann sich und machte sich eilends davon. Auch die Studenten gingen auf die bes?nftigende Aufforderung eines der Ihrigen lachend und spottend ihres Weges.
>>H?tt' ich euch Gr?nschn?bel nur gleich draussen vor dem Tore!<< knirschte der Verh?llte und ballte die Faust. An dem Kreuzungspunkt zweier Strassen blieb er unschl?ssig stehen, bis eine Frau daher kam, die er mit seinem mildesten Tone frug: >>K?nnt Ihr mir nicht sagen, liebe Frau, wo der ehrsame, hochgelahrte Magister Doktor Christoph Wiederhold wohnt?<<
>>Recht gern, ehrw?rdiger Vater!<< erwiderte die Frau, >>Ihr m?sst hier fremd sein, denn den Doktor Wiederhold kennt jedes Kind in Heidelberg. Geht nur hier rechts die Gasse hinauf, da ist's das f?nfte, sechste, nein, das siebente Haus. Der eiserne T?rklopfer ist ein Hund mit drei K?pfen; Ihr k?nnt's mit der Hand f?hlen, wenn Ihr's nicht mehr sehen k?nnt.<<
>>Dank Euch, liebe Frau!<< sprach der Kuttentr?ger und schritt in die Gasse hinein, w?hrend die Frau noch eine Weile stehen blieb und ihm verwundert nachschaute, bis er im Dunkel verschwand. Das Zeichen des Kreuzes ?ber der Dienstwilligen zu machen, hatte der ehrw?rdige Bruder Franziskaner diesmal vergessen.
Bald fand er das gesuchte Haus und setzte den ihm bezeichneten T?rklopfer in laut schallende Bewegung. Eine Magd ?ffnete und f?hrte den friedlichen Gottesmann ohne Z?gern und Bedenken die Treppe hinauf zu dem Hausherrn.
Der Herr Magister ~Doctor juris~ Christoph Wiederhold sass in seiner Studierstube an einem Tische, auf dem eine ?llampe brannte, ?ber Schriften und Pergamente gebeugt und blickte ob des seltsamen Besuches in so sp?ter Stunde verwundert auf. Da mitten in dem niedrigen Gemache stand, beim matten D?mmerschein der Lampe fast gespenstisch anzuschauen, eine hohe, ganz vermummte Gestalt, die ohne ein Wort zu sprechen, zwei funkelnde Augen unter der Kapuze hervor fest auf ihn gerichtet hielt. Dem kleinen, schm?chtigen Manne ward unheimlich zumut, und zaghaft klang seine Frage: >>Womit kann ich Euch dienen, ehrw?rdiger Bruder?<<
>>Wer Rat und Vertrauen heischt, soll auch Vertrauen entgegenbringen. Ich bin kein M?nch, wenn ich auch Grund und Ursach zu dem Wunsche habe, in den Strassen dieser Stadt f?r nichts anderes, als einen M?nch gehalten zu werden.<< So sprach der Fremde mit tieft?nender Stimme, schlug die Kapuze zur?ck und enth?llte dem nun noch mehr erstaunten Gelehrten ein ernstes, stolzblickendes Antlitz und ein hochgetragenes, bart- und haarumwalltes Haupt, das mit einer blinkenden Stahlhaube bedeckt war. >>Ich komme, hochachtbarer Herr Magister,<< fuhr er dann fort, >>Euch um Euren gelehrten Rat in einer wichtigen Familienangelegenheit zu ersuchen.<<
>>Nehmt Platz, edler Herr!<< erwiderte der Doktor und deutete auf einen zweiten Stuhl, der seinem eigenen Sitze gegen?ber stand.
>>Meinen Namen m?cht' ich Euch verschweigen, denn er tut nichts zur Sache, und es ist fast nur eine Frage, die ich Euch vorzulegen habe, und um die sich alles dreht, was mir zu wissen not tut,<< sagte der Unbekannte.
Der Doktor nickte und schaute, bequem in seinem hohen Stuhle sitzend, den Ellenbogen auf der Armlehne und das Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, mit gespannter Aufmerksamkeit dem Sprechenden ins Antlitz, der sogleich fortfuhr: >>Meine Frage ist diese: Gibt es ein Recht, ein Gesetz, wonach der Landesf?rst einen Anspruch auf das Erbe, auf die Hinterlassenschaft an Hab und Gut eines losledigen, unverheirateten Mannes hat?<<
>>Ihr meint das ~jus misogamorum~, das Recht der Hagestolze, das man eigentlich das Recht des F?rsten auf das Erbe der Hagestolze nennen sollte,<< erwiderte ohne langes Besinnen der Gelehrte. >>Allerdings, Herr, solch ein Recht gibt es, und ich kann Euch dar?ber alle Auskunft erteilen, die Ihr w?nschen m?get.<< Darauf erhob er sich, kramte in einem Schranke unter seinen Schriften und fand bald ein Heft heraus, das er vor sich auf den Tisch legte, darin bl?tternd und suchend. >>Hier steht es,<< sagte er dann, mit dem Finger auf das Blatt zeigend: >>~misogamus amittit jus et potestatem testandi~, ein Hagestolz verliert sein Erblassungsrecht und muss sein Gut der Obrigkeit des Ortes, wo er sein ~domicilium~ hat, ?berlassen, vermag also nicht durch ein ~testamentum~ oder anderen letzten Willen seine G?ter weder an seine Blutsfreunde noch an andere Leute zu verordnen und zu vermachen.<<
>>Hm! hm!<< stiess der Fremde hervor; >>l?sst sich daran nichts drehen und wenden?<<
Der Doktor sch?ttelte den Kopf und sprach bald frei aus dem Ged?chtnis, bald ablesend: >>Was der ~defunctus~ verl?sst, nimmt der ~fiscus~ hin, auch wenn ersterer sein Hab und Gut ganz oder teilweise bei Lebzeiten verkauft und das Geld an sich genommen hat. Denn so man erfahren kann, dass der bald sterbende Hagestolz ~in fraudem fisci~ von seinen G?tern oder Barschaften anderswohin verschafft, muss solches hinwiederum ~ad locum domicilii~ und wo er gehauset und verstorben, angeschafft werden. Indessen hat solche ~confiscatio~ gemeiniglich nicht statt in allen G?tern des Hagestolzen, sondern nur in seinen wohlgewonnenen G?tern, die er selber in seinem Stande, Nahrung, Getrieb und Arbeit erworben, ersparet und er?brigt hat, nicht aber in seinen Erb- oder Stammg?tern, wie auch nicht in seinen Lehng?tern.<<
>>Aha! das klingt schon besser!<< sagte der Gast.
>>Ja, so steht es geschrieben,<< erwiderte der Doktor, >>aber, edler Herr, das Recht wird verschieden ausgelegt und gehandhabt, und es ist hierzulande schon vorgekommen, dass auch das Erbgut eines verstorbenen Hagestolzen eingezogen worden ist. Sollte es Euch nebenbei ganz unbekannt sein, dass unser gn?digster Kurf?rst, Pfalzgraf Ruprecht der Zweite, ein sehr starkes Begehren nach Landbesitz hat und deshalb ~per fas et nefas~ --<<
>>Das weiss ich vielleicht besser, als Ihr, achtbarer Herr Doktor!<< unterbrach ihn der andere mit einem eigent?mlichen L?cheln. >>Was ist aber nun Euer Rat, um solche schm?hliche ~confiscatio~ zu verhindern?<<
>>Wenn Euer Freund -- oder seid Ihr es selbst?<<
>>Nein, mein Bruder ist es.<<
>>Wenn also Euer Bruder das Zeitliche segnet, will sagen, mit Tode abgeht, so beerbt ihn der ~fiscus~; daran ist nichts zu ?ndern, edler Herr. Ist er schwer krank?<<
>>O bewahre! er steht, Gott sei Dank! auf zwei sehr gesunden F?ssen.<<
>>Wie alt ist er denn schon?<<
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