Read Ebook: Schen: Studien aus einer chinesischen Weltstadt by Secker Fritz
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Ebook has 234 lines and 45131 words, and 5 pages
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Anmerkungen zur Transkription
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Fritz Secker
Schen
Studien aus einer chinesischen Weltstadt.
Erstes Tausend.
Kommissionsverlag f?r Deutschland: Max Noessler & Co. Berlin, Friedrichstr. 207.
Vorwort.
Die Studien aus der chinesischen Weltstadt sind seit Anfang vorigen Jahres in zwangsloser Reihenfolge im ,,Ostasiatischen Lloyd" erschienen. Wenn ich sie jetzt gesammelt von Neuem der Oeffentlichkeit darbiete, so geschieht das aus mancherlei Gr?nden. Ich glaube, dass ich in diesen Aufs?tzen und Skizzen fast unbewusst eine bedeutende Epoche im modernen chinesischen Kultur- und Sittenleben festgehalten habe. Jene Epoche setzte kurz nach Beendigung der Wutschanger Revolution ein und fand mit der Wahl Y?an Schi kais zum Pr?sidenten einen gewissen Abschluss.
Die fast zweij?hrige Zeitspanne stand unter dem Zeichen des jungchinesischen Reformeifers, der ein Vernichten alter chinesischer Kulturwerte und eine blinde Nachahmung alles Ausl?ndischen zum Ziele hatte. Welche neue, zweifelhafte Werte dadurch geschaffen wurden, soll das Buch Schen zeigen. Wenn auch die Ausw?chse jener ?bergangszeit zum Teil wieder verschwunden sind, so wird doch auch in Zukunft das talmigl?nzende Schanghai eine stete Gefahr f?r alle echten chinesischen Kultur- und Zivilisationswerte bilden. Dem alten China kann man im Interesse einer gesunden Weiterentwicklung nur w?nschen, dass es f?r alle Zeiten von dem verderblichen ,,Schanghaiismus" verschont bleibt.
Auf dem Westsee bei Hangtschou, im 9ten chinesischen Monat des Jahres Kui tschu.
Inhalt:
Seite
Vorwort
Republikanisches Neujahr 1
Strassenbilder 7 Durch die Foochow Road 7 Die Revolution in der Nanking Road 18
Im Tor der Hoffnung 24
Eine chinesische Premi?re 30
Bilder am Wege 41 Die Freude am Licht 41 Der Erdnussh?ndler 43 Der Heiratsvertrag 45 Der Schauspieler 47 Das Fest der Literaten 49 Zirkus in der Unterwelt 52 Vom westl?ndischen Modefieber 55 Beim chinesischen Buchh?ndler 57 Der musikalische Obsth?ndler 61 In der Foochow Road 62
Grossstadtschicksale 63 A-s?s Heirat 63 Eine verungl?ckte Zeitungsgr?ndung 68
A-tous Vater 73
Huitungs Erlebnisse und Meinungen 80
Erinnerungen eines chinesischen Revolution?rs 96
Schanghai und China 111
N?chtliche Stromfahrt 120
Republikanisches Neujahr.
Das chinesische Neujahrsfest 1912 hat infolge der politischen Ereignisse, die gerade kurz vor dem Fest zu einem vorl?ufig befriedigenden Abschluss kamen, ein besonderes Gepr?ge erhalten. Wer w?hrend der Festtage durch die Hauptstrassen der Niederlassung gewandert ist, dem fielen wohl zwei Dinge zuerst in die Augen. Einmal waren es die wenig Sch?nheitsgef?hl verratenden grellfarbigen Flaggen der Republik, mit denen die H?userfronten geschm?ckt waren, und ferner die vielen feld- und hechtgrauen Uniformen in dem wogenden Strassengetriebe. Diese beiden Aeusserlichkeiten waren gewissermassen der Grundton, der den vielen Einzelwesen, die in den Strassen auf- und abwogten oder sich an belebten Strassenecken als gaffende Zuschauer zu Massen stauten, eine besondere Farbe lieh.
Noch vor einem Jahr war es bei dem m?nnlichen Geschlecht Sitte, das Neujahrsfest in einfachen, schmucklosen Feiertagsgew?ndern zu begehen. Doch, wer dieses Jahr n?her zuschaute, der erblickte auf dem obern Gewand unscheinbaren Firlefanz, der trotzdem gross genug war, um auf einen ?ber Nacht gez?chteten Patriotismus und auf unverstanden nachge?ffte Ausl?nderei des Tr?gers schliessen zu lassen; da gab es kleine Emailleschildchen, auf denen sich die republikanische Land- und Seeflagge kreuzten, f?nffarbige in der Mitte zusammengeraffte B?ndchen, die offenbar den Inhaber eines Ehrenzeichens vort?uschen sollen, und sogar richtige Orden wurden stolz zur Schau getragen. Ihre Tr?ger waren wahrscheinlich entlassene oder Soldaten in Zivil, die den ,,Feldzug" mitgemacht haben. Orden und Ehrenzeichen scheinen in China allm?hlich in Mode zu kommen; und damit werden dem Neid und der Eitelkeit neue T?ren ge?ffnet. Hatten doch in Tschangscha neuangeworbene Soldaten, die w?hrend des Aufstands weder einen Feind gesehen, noch Pulver gerochen hatten, gemeutert, weil ihre Kameraden sich mit Verdienstmedaillen auf der Brust zeigen konnten und sie bei dem Ordensregen schn?de unbeachtet geblieben waren! Und sogar ein ,,vorl?ufig amtlich revolution?res" Finanzinstitut stellte den Zeichnern einer allgemeinen ?ffentlichen Anleihe, an der sich auch Westl?nder beteiligen konnten, Orden und Ehrenzeichen in Aussicht. Uns liegt jede Kritik fern; aber solche kleine Aeusserlichkeiten sind ein interessantes Schlaglicht auf das in der Umwandlung begriffene China.
Abgesehen von jenen halb verdeckt zur Schau getragenen neumodischen Aeusserlichkeiten, scheint das Neujahrsfest auf gewisse chinesische Kreise doch etwas ern?chternd und national sammelnd gewirkt zu haben. Denn Viele, besonders Angeh?rige der mittleren Volksschichten, die sich, in eitler Nachahmerei, dem Ausland zu einer Zeit in die Arme geworfen hatten, wo sinnbet?rende Schlagworte durch die Luft schwirrten, m?gen sich pl?tzlich auf das Erbe besonnen haben, das sie in einer freiheitlichen Regung verschleuderten, um daf?r europ?ische Hosen, Kragen, Schlipse und Manschetten einzutauschen. Das h?chste Fest des Jahres hat sie aber sich darauf besinnen lassen, dass sie keine halben Ausl?nder, sondern Chinesen sind. Und daraus erkl?rt sich offenbar auch die Tatsache, dass verh?ltnism?ssig wenig Chinesen in westl?ndischer Kleidung auf der Strasse zu sehen waren. Dem Schreiber dieses erkl?rte ein solcher ,,halber Ausl?nder", der sich noch vor den Festtagen in einem nicht sehr blendend weissen Kragen und auf etwas schief getretenen Abs?tzen gefallen hatte, auf die Frage, weshalb er heute chinesische Kleider trage: ,,Heute bin ich Chinese." Auch die chinesischen Theater, auf deren Spielplan jetzt sonst die neuen, von westl?ndischer B?hnenkunst beeinflussten St?cke wie die ,,Kameliendame" und ,,Napoleon" mit an erster Stelle stehen, hatten w?hrend der Festtage ihren Spielplan auf einen nationalchinesischen Ton gestimmt und dem klassischen Schauspiel wieder vor?bergehend zur Ehre verholfen. An dem Tage, wo die Neujahrsfeier zu Ende geht und man ?ber die zahlreichen Pflichtbesuche und Schmausereien hinweg ist, besucht man gerne das Theater, wo man noch diesen oder jenen Bekannten trifft, der nachtr?glich begl?ckw?nscht wird. Wer an diesem Neujahrsfest seit langen Monaten wieder einmal das Theater besucht und von stolzer Loge auf die hundertk?pfige Menge im Parkett geschaut hat, der erblickte unter sich ein ungewohntes Bild: hunderte, fein s?uberlich gescheitelte, fest angeklebte, gl?nzende und nach Schmalz und Haar?l duftende K?pfe nickten, sich kurz verbeugend, nach rechts und links. Wie gemessen und w?rdevoll war das Bild noch vor wenigen Monaten, als Zopf an Zopf sich reihte.
Nun, der Zopf ist weg, vielleicht deshalb, weil ein chinesisches Sprichwort sagt: ,,Wer nicht mit der Mode geht, gilt als arm". Und war das Zopfabschneiden nicht vielleicht Mode? Wenn nicht, so hat es wenigstens einer andern Mode zur Geburt verholfen, n?mlich dem Tragen westl?ndischer M?tzen auf chinesischer Kleidung. Wer vor den Festtagen noch keine solche M?tze sein eigen nannte, der kaufte sich eine. Die europ?ische Industrie wird wenig Nutzen mehr von den Massenk?ufen in M?tzen vor Chinesisch-Neujahr gehabt haben; denn sie wurden entweder von Japan eingef?hrt oder aus ,,Aikuopu" in China verfertigt. Man konnte M?tzen in allen Formen sehen; besonders beliebt waren aber anscheinend die aus Stoff gesteppten, hutf?rmigen Kopfbedeckungen, deren Rand sich nach jeder Richtung beliebig biegen l?sst und die dem Tr?ger ein etwas verwegenes und keckes Aussehen verleihen sollen. Nur ganz vereinzelt tauchte hie und da unter dem auf- und abwandernden Volk jene altchinesische, die obere Stirn scharf umrahmende, schwarz seidene, mit einem roten Bandkn?uel gekr?nte Form auf; nur verstohlen wagte es ein Chinese, sich mit diesem Erinnerungszeichen an die ,,Knechtschaft der Mandschus" sehen zu lassen. Namentlich bei der chinesischen Damenwelt Schanghais hat in den letzten Jahren das Tragen von M?tzen immer mehr Eingang gefunden. Sie bedeckt aber nur den obern Teil des Kopfes und schmiegt sich leicht an das dicke, straff ausgek?mmte Haar an. Die urspr?nglich westl?ndische M?tzenart ist stetig verchinesisiert worden. An den Festtagen, wo sich die Damen nach dem ,,dernier cri de Changha?" kleiden, hat man besonders Gelegenheit zum Studium. Die Farbe der M?tze wird nach M?glichkeit dem Kost?m angepasst, himmelblau scheint besonders bevorzugt zu sein; von der Mitte aus, wo bei den Jungenm?tzen der Knopf sitzt, gehen strahlenf?rmig einige kurze Schleifchen flatternd auseinander. Auch das Verzieren der Damenkleider mit losen B?ndern scheint beliebt geworden zu sein; auf Brusth?he werden rechts und links, unter einer Art Kokarde, einige flatternde B?nder befestigt, die oft einen halben Meter lang sind; bei manchen Damen waren die B?nder mit Spangen festgemacht, die das f?nffarbige, republikanische Abzeichen trugen. Eine solche modisch gekleidete Sch?ne erinnerte gar zu sehr an ein festlich geschm?cktes Pfingst?chslein. Auf den winzigen Schuhen, die allm?hlich vom Tuch zum Leder ?bergehen, werden jetzt gerne kleine Quasten getragen. Die Hosen nehmen eine bedenkliche Enge an; sie sind oft nicht weiter als der kleine Fuss, auf den sie herabfallen. Wenn die Mode die Hosenform noch weiter auf die Spitze treibt, dann weiss man wirklich nicht, was noch werden mag. Oder soll die Methode des alten Seydlitz eingef?hrt werden, dass k?nftighin die Hosen vor dem Anziehen in Wasser getaucht werden m?ssen, damit sie sich straff und prall an die Beine anschmiegen? Ein Teil der chinesischen Damenwelt scheint dies schon vorauszuahnen und trifft deshalb zeitig Vorsorge; darum heisst die Losung: ,,Zur?ck zum Rock". Tats?chlich war die Zahl der rocktragenden Damen beim Neujahrsfest bedeutend. Mit dem Rock, der allm?hlich westl?ndische Formen anzunehmen beginnt, wird auch wieder aller ?berfl?ssiger Firlefanz von der Kleidung verbannt. Wodurch die ,,Langr?ckigen" aber auffallen, ist die neumodische Haartracht, die nicht mit einer M?tze verdeckt wird; auf dem vordern Teil des Hauptes werden einige geflochtene Haarstr?hne mit einander verschlungen, sodass die Haartracht der Form eines Bretzels gleicht. Einen noch drastischern Vergleich m?chte ich lieber unerw?hnt erlassen.
Dass die neue Mode keineswegs den vollen Beifall des m?nnlichen Geschlechts findet, zeigen die Spottverse, die in einem chinesischen Blatt auf die Frauenmode erschienen sind. Darin heisst es:
,,Eine Dame mit blauer Brille gleicht dem Kopf eines Ochsen."
,,Das weisse Band um den Hals sieht aus wie ein Strick, an dem sie sich aufh?ngen will."
,,Die ledernen Schuhe machen Einen glauben, dass das Fr?ulein einer Missionsgesellschaft angeh?rt."
,,Die goldene Kette um den Hals erinnert an die Eisenkette eines Strafgefangenen."
,,Der Aufputz der Haartracht, von hinten gesehen, gleicht dem Kopf eines L?mmleins, das auf der Weide Gras schnuppert."
,,Der ,,Gretchenzopf" erinnert an einen zum Kampf bereiten Rauflustigen."
,,Eine Dame mit einem Spazierstock gleicht einem Affen, der spazieren geht."
Der Schreiber war offenbar derart ?ber die K?hnheit seiner bissigen Kritik erschrocken, dass er rasch noch die letzte Glosse anflickte, um alles Vorhergesagte zu mildern:
,,Im Uebrigen gleicht das Auftreten und das Gehen der Damen dem eines Kriegers, der in die Schlacht zieht."
Mit dem Vergleich des Kriegers hat er jedenfalls eine r?hrsame Seite der Schanghaier Frauenwelt getroffen, wenn man sich vor Augen h?lt, mit welcher Begeisterung w?hrend der Revolution ein Amazonenkorps gegr?ndet wurde, um gegen die Reichshauptstadt zu Felde zu ziehen.
Dieser Umstand ?ndert aber nichts an der Tatsache, dass die neue Zeit China kostspielige und putzs?chtige Frauen beschert hat. Vorl?ufig beschr?nken sich zum Gl?ck die neuen Modeausw?chse noch auf Schanghai. Wenn auch die anderen St?dte und sp?ter das flache Land von dem Modefieber ergriffen werden, so wird manche Ehe an der teuren Putzsucht der weiblichen H?lfte scheitern. Dann wird auch das Epigramm in seiner wahren Bedeutung von den chinesischen M?nnern gew?rdigt werden, das ein vor Jahrhunderten lebender chinesischer Philosoph ?ber die Ehe verfasst hat. Er sagte: ,,Die Ehe gleicht einer belagerten Stadt; die draussen sind, m?chten hinein, und die drinnen sind, m?chten heraus."
Der von der weiblichen Lebewelt am Neujahrstage entfaltete Luxus war recht bedeutend. Ein abendlicher Gang durch die ber?hmte, in m?rchenhaftem Farbenspiel der Lichter erstrahlende Foochow Road f?hrte dem beobachtenden Westl?nder die steigend kostspieligere und prunkhaftere Lebensf?hrung gewisser chinesischer Kreise ?berzeugend vor Augen. Rickschas, S?nften und selbst die mit Gummi ber?derten Glaskutschen kommen allm?hlich auf den Aussterbeetat und werden von dem Kraftwagen verdr?ngt. Trotz Gummispekulation, Krisen auf dem Finanzmarkt und trotz den schweren Geldopfern, die f?r die ,,gute Sache" der Revolution beigesteuert werden mussten, wurde der Tag der chinesischen Jahreswende mit Prunk und t?ndelndem Saitenspiel gefeiert.
Wie wohltuend wirkte da eine Flucht aus dem l?rmenden Neujahrsgetriebe in die ruhige, beh?bige Landschaft jenseits des Suchouer Krieks. Dort ist noch echtes, gem?tliches, von dem nahen Schanghai unbeeinflusstes China, und es wurde dort auch dementsprechend Neujahr gefeiert. Wenn auch die Bauern jenseits des Krieks nichts von Goethe kennen, so ist ihnen wohl der Ausspruch des dritten B?rgers im Faust aus der Seele geschrieben:
,,Herr Nachbar, ja! so lass ich's auch geschehn: Sie m?gen sich die K?pfe spalten, Mag Alles durcheinandergehn; Doch nur zu Hause bleib's beim Alten!"
Strassenbilder.
Durch die Foochow Road.
Im Schanghaier Sprachgebrauch ist das Wort ,,Fu-tschou lu" nicht sehr h?ufig. Wenn ein Einheimischer nach der Fuoochow Road geht, dann geht er nach dem ,,Vierten Pferdeweg." Die Hauptstrassen der internationalen Niederlassung haben sich n?mlich die Chinesen in Ma-lu eingeteilt. So ist zum Beispiel die Nanking Road der ,,grosse Pferdeweg", die erste Parallelstrasse der ,,erste Pferdeweg", die zweite, der ,,zweite Pferdeweg", und so fort. Von allen Pferdewegen hat aber der vierte den besten Klang: Sze-ma-lu ist ein Schlagwort, das weit mehr sagt, als die n?chternen Worte ahnen lassen. Mit dem Szemalu sind die Gestalten pfirsichfarben geschminkter und winzig befusster M?dchen, Politik, Theater, aus der Kehle gequetschter und mit der Fiedel begleiteter Gesang, die neuesten Witze, schlemmerhafte Restaurants und langverandige Teeh?user auf das Engste verkn?pft, kurz, der Szemalu ist ,,die" Strasse Schanghais, wenn nicht ganz Chinas. Daraus erhellt, dass der Szemalu die Strasse der chinesischen Lebewelt ist. Bei Tage unterscheidet sich die Foochow Road kaum von den ?brigen Pferdewegen. Sie tr?gt dann ein n?chternes, gesch?ftsm?ssiges Kleid; in der Luft liegt der Schweiss des Alltags, ausgehaucht von heissgelaufenen Rickschakulies und Lasttr?gern, vermischt mit Ger?chen, die den L?den entstr?men. Die Menschen, die sich durch die Strassen bewegen, tun es nicht zum Zeitvertreib und zum Vergn?gen. Jeder hat seine Bestimmung. Wer also bei Tage als studientreibender Ausl?nder die vielger?hmte Foochow Road durchwandert, der wird entt?uscht sein; denn ihr Bild ist ebenso allt?glich und farblos wie das jeder andern Strasse der Niederlassung. Er muss trotzdem aber einmal bei Tage durchgewandert sein, um die Folie f?r Das zu haben, was die Augen am Abend erschauen.
Sobald sich die D?mmerung ?ber Shanghai senkt, wird die Foochow Road von einem Zauberstab ber?hrt. Der Zauberer ist ein b?ses weibliches Wesen; es heisst Vergn?gungs- und Genussucht. Wenn die aus dem Herzen der chinesischen Lebewelt verbannt werden k?nnte, so g?be es eben keine Foochow Road. Der Zauber teilt sich den Menschen mit, und diese zwingen die Elektrizit?t in bunte Glaslampen zum frohen Farbenspiel. Trotz des ununterbrochenen L?rmens und Schreiens, mit dem sich die Menschenmenge durch den Strassenschlund zw?ngt, liegt darin Feierliches und W?rdevolles. Das wird vor Allem durch die einheitliche Kleidung, den beh?big schlendernden Gang und das anmutige Spiel des F?chers bedingt. Nach des Tages Last und Hitze streift der Schanghaier Lebemann seine Alltagskleidung ab und wirft sich in ein leichtes, cr?mefarbiges Gewand und presst das mit Pomade gesteifte Haar nach rechts und links zu einem Scheitel; er tr?gt in der Regel hellfarbige westl?ndische Schuhe und weisse Str?mpfe, die mit ?usserlich sichtbaren Gummib?ndern straff gehalten werden. Das ist die Schanghaier Herrenmode im Sommer. Wer aus dem Norden des Reiches kommt, kann ihr nur schwer widerstehen; denn der ,,Wind des S?dens", der auf den harten Nordmann bald von verderblichem Einfluss wird, dass er sich wie ,,fr?he Sommergarben im Winde beugt", macht sich nicht allein in dem Unterwerfen unter die Schanghaier Weltanschauung des ?usserlichen Scheins und des aussch?pfenden Geniessens geltend, sondern auch auf dem Gebiet der Mode. Nur ganz charakterfeste Nordleute verm?gen ihre v?lkische Eigenart inmitten des Schanghaier V?lkergewimmels aufrecht zu erhalten. Zur Ehre der Schantung- und Kiangpei-Leute, die ob ihrer besondern Zuverl?ssigkeit auf vorgeschobenen Posten als Schutzleute f?r die Sicherheit der Niederlassung Sorge tragen, sei es gesagt, dass sie bisher dem ,,Schanghaiismus" mannhaft Stand gehalten haben. Sie sind die Einzigen unter der chinesischen Schutzmannschaft, die ihren Zopf zur Schau tragen; dass die konservative Beharrung durchaus mit einer kernfesten, das Zersetzende der Republik erkennenden Auffassung der Dinge in Einklang steht, erf?hrt, wer sich mit ihnen in eine Unterhaltung einl?sst. Gar zu bald schleift sich aber bei weniger standhaften Nordchinesen die breite, harte und doch so wohlklingende Sprache zu Gunsten des wischwaschigen Schanghaier Dialekts ab, und auch das dunkelblaue, grobleinene Gewand, das vielleicht die Mutter dem nach S?den ziehenden Sohn liebevoll mit eignen H?nden gewebt hat, wird bald mit dem verweichlichenden Schanghaier Gewand vertauscht. Bei den Schanghaiern mehr wesensverwandten Mittel- und S?dchinesen geht der Wechsel noch rascher vor sich. Daraus erkl?rt sich das einheitliche Strassenbild in der Foochow Road, obwohl unter der Menge, die t?glich am Abend durch die Strasse wandert, Vertreter aller Provinzen des Reiches sind. Ein erlauschtes Wort und ein Blick ins Gesicht l?sst aber stets mit ziemlicher Sicherheit erkennen, welcher Heimatprovinz der also vom ,,Schanghaiismus" Besiegte angeh?rt. Da dr?ngt sich der vornehme Tschekianger, auf dessen edel geschnittenem Gesicht und in zwei weichen Augen ein Abglanz jener schwelgerischen Zeiten zu liegen scheint, als die alte Sungdynastie in Hangtschou herrschte; da f?chelt sich selbstzufrieden der Musik und Sang liebende Hunaner; da schreitet der wetterfeste, von Nordsturm und Sonne gebr?unte Schantunger; ihm folgt der melodisch gespr?chige Ost-Tschihlier und der behagliche Pekinger. Und im Gegensatz zu diesen steht der Kantoner; er steht ?ber allen diesen Gruppen. In seinem pergamentgelben Gesicht treten starke Backenknochen hervor, wodurch die Augen umso st?rker zur?ckgedr?ckt erscheinen. In den Augen liegt der ganze Charakter; dort spr?ht und flackert es von zielbewusstem Vorw?rtsstreben, aber auch von Ermattung nach einem fruchtlosen Kampf; die Schnelle der Augenbewegungen wird von einer abgehackt, nerv?s klingenden Sprache unterst?tzt; eine Gestalt voll Leben und Unruhe. Wenn ein Mittelchinese diese Zeilen zu schreiben h?tte, so w?rde er die Menge ganz anders charakterisiert haben, denn fast jeder Provinzler, St?dter und D?rfler in China hat einen ,,Spitznamen". Er w?rde zum Beispiel so gesagt haben: ,,Sehen Sie, dort geht eine Ningpoer ,,Wassersch?ssel", dort eine Tsimoer ,,S?sskartoffel", dort steht eine S?dschantunger ,,Wassermelone", in der S?nfte sitzt ein Hangtschouer ,,Eisenkopf", hier ist ein Anhuier ,,Maultier", im Rickscha f?hrt ein Schansier ,,Rauhbein", und dort dr?ben an der Ecke stehen eine Tientsiner ,,Schnauze" und ein Pekinger ,,Aal". Und wenn wieder ein Nordchinese seine Charakteristik abgeben sollte, dann w?rde er die ,,Schanghaiisten" mit dem Sammelnamen ,,Nanmandse" abfertigen; als Antwort w?rde ihm aber von dem Schanghaier entgegenschallen: ,,Du kulturloser Nordmann." Doch genug von dem Partikularismus, der sich gerade jetzt, nach der ,,Zur?ckziehung der Mandschus von den Staatsgesch?ften", so verderblich f?r eine zielbewusste Politik gezeigt hat.
Gestossen und geschoben kommen wir allm?hlich in dem Gew?hl vorw?rts. Der Weg vom deutschen Postamt bis zur Stelle, wo der Szemalu von der Kiang-nan Road gekreuzt wird, kann man noch ziemlich ungest?rt gehen. Was jenen Teil der Strasse auszeichnet, sind die chinesischen Drogerien und die Ateliers der Zahnk?nstler. Beide erfreuen sich, trotz der Abendstunden, eines lebhaften Zuspruchs; denn in ihnen liegt die Quelle des innern und ?ussern Wohlergehens f?r den Chinesen. Innerlich, weil in den Drogerien westl?ndische und japanische Allerweltsheilmittel verkauft werden, die angeblich ebenso sicher bei nerv?sem Asthma wie bei schmerzenden H?hneraugen wirken, wodurch also die Erf?llung des Lebenswunsches eines jeden Chinesen nach ,,schou" gew?hrleistet wird; ?usserlich, weil in den Zahnateliers gleissend goldene Z?hne verfertigt werden, die, den zernagten angeschmolzen, eine prahlerische Zahnreihe schaffen, die das stets ge?bte L?cheln vergolden, wodurch vor Allem zum Ausdruck kommen soll, dass der Besitzer zur Schau getragener Goldz?hne wirtschaftlich in der Lage ist, sich ein solches Vergn?gen zu leisten. Das hat den Vorteil, dass der Kredit gest?rkt wird, und mancher Gl?ubiger, auch die des weiblichen Geschlechts, die von den verf?hrerischen Zahnreihen bezaubert wurden, raufen sich oft die Haare, weil sie so dumm waren und um eines vergoldeten Zahns willen so weitherzig Kredit gegeben hatten. In der Foochow Road dem Vergn?gen nachzugehen, ist f?r den mit den Verh?ltnissen nicht vertrauten chinesischen Lebemann nicht immer leicht. Wer aus den tiefsten Quellen geniessen will, dem muss ein kreditf?higer Name, der durch die Einf?hrung eines bekannten Freundes erworben werden kann, vorausgehen. Der Provinzler, der ohne die n?tige Einf?hrung durch die Foochow Road bummelt, sch?pft nur von der Oberfl?che. Man findet ihn deshalb fast nur in den Teeh?usern mit und ohne Gesang, die auch f?r den Einheimischen billige St?tten der Unterhaltung und des Vergn?gens sind. In dem Teehaus ohne Musik trinkt man Tee, knappert Melonenkerne und versucht, m?glichst einen Platz auf den langen, nach der Strasse liegenden Veranden zu ergattern, wo man in das bunte Strassengew?hl blicken kann. Die m?nnliche jeunesse dor?e sch?tzt diese Art Teeh?user nicht besonders, weil ihre Gegenwart nicht von sangesfrohen Damen versch?nt wird. Daf?r gibt es aber St?tten, wo ebenso wie aus der Teekanne das heisse Getr?nk, M?dchengesang ohne Unterlass aus den Kehlen quillt. Betritt ein Gast den zu dem ersten Stockwerk des Teehauses f?hrenden Treppenaufgang, so st?sst ein Bedienster einen kurzen Zuruf aus, der oben, aus mehreren Kehlen klingend, seinen Widerhall findet. F?r die Aufw?rter ist der Zuruf ein Zeichen, dass sich ein Gast naht. Ist man inzwischen die Treppe emporgeklommen, so wird man von der Aufw?rterschar empfangen, die sich bem?ht, jeder f?r seine Abteilung, den Gast unterzubringen; zugleich wird aber durch den Zuruf die Aufmerksamkeit der anwesenden G?ste nach dem Treppenfirst gelenkt, die in infolgedessen Gelegenheit haben, den Ank?mmling zu mustern und, wenn es ein Freund ist, ihn zu begr?ssen. Es ist eine ger?umige Halle, die wir betreten. Die vier W?nde sind v?llig mit Wandrollen, die sinnige Inschriften tragen, geschm?ckt. Geschenke, die dem Unternehmer vor einigen Jahren oder Jahrzehnten aus Anlass der Gesch?ftser?ffnung von Freunden ?berreicht wurden. An einer Reihe viereckiger, braun gebeizter Tische, deren Fl?chen mit Marmorplatten eingelegt sind, sitzen die G?ste; andere machen es sich auf den an bessere Opiumh?hlen erinnernden B?nken, auf denen sie mit angezogenen Beinen ruhen, bequem. An der hintern Wand befindet sich die B?hne mit rot und gold bemaltem, verschn?rkelten Schnitzwerk. Auf der B?hne steht ein langer Tisch, um den f?nf S?ngerinnen sitzen. Sie l?sen sich gegenseitig im Singen ab. Eine klassische Melodie steht auf dem Programm; ein Gesang aus dem Theaterst?ck ,,Yang-gia-dsiang", das das Schicksal eines hohen verdienten Staatsbeamten aus der Sungzeit schildert, dem ein Aufstand Macht und Ansehen raubte und der, verlassen von Allen, den Hungertod stirbt. Die Seelenk?mpfe des qualvoll Endenden behandelte ein Lied, an das sich der Klagegesang eines Trauernden schloss. F?r Begleitmusik sorgte die Hauskapelle, die aus Trommel, Zimbel, Fiedel und Fl?te bestand. Derweilen der ged?mpfte Sterbegesang der Kehle einer S?ngerin entquoll, lag ein kremefarbig gekleideter, langbeiniger Flegel auf der Bank, guckte mit dem Kopf nach der Decke, und spuckte die nicht essbaren Ueberreste von Melonenkernen in weitem Bogen durch die Luft. Die S?ngerinnen wechselten h?ufig. Sie waren nicht prunkvoll gekleidet, sondern trugen schlichte Leinenkleider. Ihre t?gliche Einnahme ist ?usserst gering; f?r ein Lied erhalten sie etwa zwanzig Zent Singhonorar. Jeden Abend treten sie nach einander in vier bis f?nf Teeh?usern auf; das macht im Monat kaum dreissig Dollar. Es ist klar, dass die M?dchen auf Nebenverdienst angewiesen sind; noch klarer ist, dass dieser nicht in Stricken und H?keln besteht.
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