Read Ebook: Die Glücklichen by Bernhard Marie
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Ebook has 776 lines and 34712 words, and 16 pages
Anmerkungen zur Transkription
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Die Gl?cklichen.
Novelle
von
Marie Bernhard.
Leipzig
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
Nachdruck verboten.
Das Pensionat Klinger war bereits etwas zusammengeschmolzen, als das junge Ehepaar daselbst eintrat. Es war ein unfreundlicher, regnerischer Sommer gewesen. Klagen ?berall ... aus der Schweiz -- vom Salzkammergut her, wo der ber?chtigte >>Schn?rlregen<< tagaus tagein herabgoss -- Klagen vom Ostseestrande und aus dem Engadin ... Klagen endlich auch aus dem lieblichen Gebirgsnest in S?d-Bayern, in welchem man durch sch?nes Wetter sonst arg verw?hnt war.
Das Klingersche Pensionat lag auf einer m?ssigen H?he, wie von einer willf?hrigen Hand gerade dort hingeschoben, um den sch?rfsten Blick, die weiteste Umschau halten zu k?nnen ... ein solid gebautes Haus, mit Reben umklettert, mit h?bschen Altanen, da und dort und mit einem Garten, der in Terrassen zu den hinter dem Hause gelegenen Bergen aufstieg. Das Haus genoss eines guten Rufes seit Jahren schon, man war vortrefflich dort aufgehoben, man erhielt f?r gutes Geld gute Speisen und wurde sehr aufmerksam bedient. Heuer war der Besuch m?ssig gewesen, der andauernde Regen hatte die Leute zur?ckgehalten.
Jetzt aber, gegen das Ende des August, da die Abende schon l?nger wurden und der Sommer sich dem Ende zuneigte, schien die Natur sich zu sch?men ob all' der Unbill, die sie der armen Menschheit angethan. Nun wurde es lau und wohlig, nicht mehr schnob der Wind mit h?hnischem Pfeifen von den H?hen herab -- die Gebirgsh?upter zogen langsam die Schleier nieder und sahen leuchtend ins Thal, goldfunkelnd str?mte der Sonnenschein ?ber das gesegnete St?ckchen Erde, und es gab ein Aufatmen ?berall: Gottlob, wir haben den Sommer geschenkt bekommen!
In das Pensionat flogen Briefe von nah und fern, gleich weissen Friedenstauben -- die sp?ten Sommerg?ste meldeten sich. Viele hatten das Vertrauen verloren und wagten sich nicht mehr aus den St?dten heraus, aber wer den Mut gehabt hatte, bereute es sicher nicht, denn die k?stliche Bergnatur lachte vom hellen Morgen bis zum Abend in ungetr?bter Herrlichkeit!
Fr?ulein Rosa Hesse war sich anf?nglich etwas verwaist vorgekommen. Ja, ja, das alte Ehepaar aus Westpreussen war gem?tlich und gut, die zwei jungen M?dchen aus Dresden mit ihrem schwerh?rigen Onkel schienen gut erzogen und legten ihr nichts in den Weg -- aber war denn das ein Publikum f?r sie, den Sch?ngeist, oder liess sich irgend etwas Romantisches, Anziehendes ?ber diese Leute denken, die so ganz harmlos in den Tag hineinlebten, ihre Ausfl?ge besprachen, assen, tranken und von h?heren Interessen nicht den Schimmer besassen?
Da war noch eine ?ltliche Dame aus Stettin in Pommern, die hatte ein feines, stilles Gesicht und kluge Augen ... vielleicht hatte sie allerlei erlebt -- aber sie liess schwer an sich kommen. Sie schien leidend zu sein, suchte die Einsamkeit, gr?sste sehr h?flich, sprach mit sympathischer Stimme dann und wann ein paar Worte, die auch nichts besonderes sagten, und zog sich nach den Mahlzeiten sehr bald in ihr Zimmer zur?ck. Ein junger Handelsbeflissener, der mit den beiden ?lteren Herren zuweilen Skat spielte, und ein j?discher Kaufmann aus Tarnopol vervollst?ndigten die Gesellschaft -- Fr?ulein Hesse liess oft ihre Blicke mit stillem Seufzen ?ber diese Tafelrunde gleiten und hielt sich mit Resignation an die ausgezeichnete Kost des Pensionates, obgleich materielle Dinge f?r ihre h?her veranlagte Natur sonst wenig in Betracht kamen!
Da erschien wie eine Erl?sung das junge Ehepaar.
Doktor Schott und Frau aus Augsburg, sagte das Fremdenbuch ... aber Fr?ulein Rosas Inneres sagte viel mehr, ihre schlummernde Phantasie wurde wach und hob die Fl?gel -- endlich, endlich Menschen, bei deren Anblick sich etwas denken liess!
In der That, man brauchte kein Sch?ngeist und kein Enthusiast zu sein, um an diesen beiden ausgesuchten Exemplaren sein Wohlgefallen zu haben.
Die Frau, eine vornehme, zarte Erscheinung, lichtblond, wundervoll gebaut, mit k?stlichen grauen, schwarzbewimperten Augen und einer Haut, wie weisser matter Samt -- der Mann eine imposante Gestalt, gerade und stolz gewachsen, gleich einer Gebirgstanne, der dunkle Kopf mit dem schmal auslaufenden schwarzen Bart an einen Spanier mahnend.
Dass Fr?ulein Hesse den gl?henden Wunsch im Busen trug, den Objekten ihrer Bewunderung n?her zu treten, wird ihr niemand verargen. Sie stellte sich bei Tisch in aller Form vor und legte in Blick und Ton eine gewisse Ehrfurcht, wie sie, ihrer Meinung nach, zwei von der Natur so offenbar bevorzugten Wesen zukam ... aber Herr und Frau Doktor Schott erwiesen sich als ziemlich zur?ckhaltend; sie gaben h?flich Rede und Antwort, indes in knapper Form, sie schienen nicht gesonnen, sofort Bekanntschaften anzukn?pfen.
>>Ich wette, die junge Frau stammt aus adligem Geschlecht!<< bemerkte Fr?ulein Hesse zu den jungen Dresdenerinnen, mit denen sie sich nachmittags im Garten erging. >>Solch' eine Art, den Kopf hoch zu tragen und vornehm von oben herab zu gr?ssen, hat nur der feudale alte Adel. Glauben Sie es mir, ich habe den Blick daf?r!<<
>>Hast du das Medaillon gesehen, Helene, das sie um den Hals tr?gt?<< fragte das ?ltere Fr?ulein die Schwester. >>Brillanten mit T?rkisen -- himmlisch!<<
>>Gott, und dies ganz schlichte weisse Wollkleid, wie ihr das steht, und was f?r Spitzen das hatte!<<
>>Reich m?ssen sie sein -- und dazu bloss so schlichtweg Doktor Schott!<<
>>Was f?r ein Doktor, m?chte ich wissen!<<
>>Das kleine M?dchen heisst Erna!<<
>>S?sser Name und neuerdings sehr in Aufnahme gekommen! Oberst von Stahls T?chterchen heisst auch Erna!<<
>>Wenn wir etwas N?heres wissen wollen, m?ssen wir das Kinderm?dchen ausfragen. Diskret nat?rlich und so recht zutraulich, das ist f?r solche Leute das richtige!<<
>>Ach, Fr?ulein Hesse, wenn Sie das th?ten!<<
Mit dieser wohlklingenden Sentenz verabschiedete sich Fr?ulein Hesse von ihren Begleiterinnen. Sie w?re wenig erbaut gewesen, h?tte sie geh?rt, wie die j?ngere Schwester zur ?lteren lachend sagte: >>Ist doch 'ne verdrehte Schraube! Na, mir soll's recht sein, wenn sie etwas herausbekommt!<< -- Leider bekam sie nichts heraus.
Das Kinderm?dchen, eine ?ltere Person von stillem ernsten Aussehen, sass gegen Abend, w?hrend das junge Ehepaar einen weiteren Spaziergang unternahm, mit einem Strickzeug im Garten, die kleine Erna lud gesch?ftig Sand und Steinchen in einen buntgemalten Puppenwagen und blickte kaum auf, als Fr?ulein Hesse sie anredete: >>Mein s?sses kleines M?dchen, wie heisst du denn?<<
>>Erna Schott!<<
Das dunkle Lockenk?pfchen des Kindes wich unter der Ber?hrung der fremden Hand, die schmeichelnd dar?ber hinstrich, zur?ck, die grossen Augen blickten nicht ermutigend. Erna war sehr h?bsch, eher dem Vater, als der Mutter ?hnlich, und h?chst zierlich und elegant gekleidet.
>>Und kannst du mir auch sagen, wie alt du bist?<<
>>Drei Jahr und acht Monate!<<
>>Sieh, sieh, was du alles weisst! Und Doktor ist dein Papa?<<
>>Ja!<<
>>Ihr Herr ist wohl Arzt?<< fragte Fr?ulein Hesse jetzt die Dienerin.
>>Mein Papa kann alles!<< warf die Kleine selbstbewusst ein.
Fr?ulein Rosa l?chelte wohlwollend.
>>Du hast den Papa also sehr lieb?<<
Erna warf mit einem Ruck den Kopf in die H?he und sah die hartn?ckige Fragestellerin mit einem merkw?rdig erstaunten Blick an.
>>Nun, meine Kleine?<<
Das Kind blieb die Antwort schuldig und neigte sich wieder tief ?ber den Puppenwagen, in den es mit beiden H?ndchen losen Sand f?llte.
>>Ist das kleine M?dchen immer so scheu?<< wandte sich die Erforscherin der menschlichen Natur neuerdings an die Dienerin.
>>Erna ist wenig an den Verkehr mit Fremden gew?hnt -- Herr Doktor w?nscht das auch nicht f?r sie!<<
Das war deutlich! Fr?ulein Hesse war nah daran, sich zu entr?sten -- schliesslich -- es war eben eine ungebildete Person, was konnte sie da verlangen!
>>Ihre Herrschaft bleibt l?ngere Zeit hier?<<
>>Ich weiss nicht!<<
>>Die gn?dige Frau will vielleicht die Soolb?der hier gebrauchen.<<
>>Ich weiss nicht!<<
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