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Read Ebook: Die Glücklichen by Bernhard Marie

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Ebook has 776 lines and 34712 words, and 16 pages

>>Ich weiss nicht!<<

>>Adieu, mein Kind!<< sagte Fr?ulein Hesse in hoffnungslosem Ton.

>>Adieu!<< sprach die Kleine in den Sandwagen hinein.

>>Mach' einen Knicks, Erna, und sag' der Dame h?bsch artig Lebewohl!<< gebot die W?rterin.

Die Kleine gehorchte sofort. Sie richtete sich auf, wischte sich rasch entschlossen das sandige H?ndchen am Kleide ab und reichte es mit einem tiefen Knicks und einem artigen >>Gr?ss Gott!<< der Dame hinauf.

>>Wir werden noch die besten Freunde werden, nicht wahr, mein Herzchen?<<

Wieder flog ein langer, messender Blick zu Fr?ulein Rosa empor, dann sch?ttelte Erna stumm, aber nachdr?cklich den Kopf.

>>Nun, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Zum Wiedersehen, meine Liebe!<<

>>Guten Abend!<<

So endete Fr?ulein Rosa Hesses Versuch, in die untere Schicht der menschlichen Bev?lkerung einzudringen.

>>Es ist offenbar, die Leute isolieren sich absichtlich!<< ?usserte sie zwei Tage sp?ter gegen die beiden jungen Dresdenerinnen. >>Diese endlosen Promenaden -- diese grossen Bergbesteigungen! Und bei Tisch so ganz miteinander besch?ftigt, so total unzug?nglich f?r alle anderen. Es muss ein ideales Gl?ck sein, das sie so vollst?ndig hinnimmt, ein Zustand v?lligen Ineinanderaufgehens -- genau, wie es in dem Gedicht heisst: Vom ersten Kuss bis in den Tod sich nur von Liebe sagen! -- Reich, sch?n, gesund, sich gegenseitig anbetend ... beneidenswert! Die Gl?cklichen!<<

>>Ach Gott, ja!<< seufzte Fr?ulein Helene noch. >>Die Gl?cklichen.<<

Fortan trug das junge Ehepaar diese Bezeichnung. Selbst der schwerh?rige Onkel und das alte Ehepaar aus Westpreussen gew?hnten sich daran, die beiden so zu nennen.

>>Sind die Gl?cklichen schon zur?ckgekommen?<< >>Haben Sie die Gl?cklichen heute bereits gesehen?<< >>Die Gl?cklichen wollen morgen fr?h nach der Klamm gehen!<< So ging es in dem kleinen Kreise von Mund zu Mund -- nur die alte Dame aus Stettin machte eine Ausnahme. Als ihr eine der jungen M?dchen kurzweg von >>den Gl?cklichen<< sprach, sah sie sie mit ihren klugen Augen an und sagte: >>Sie meinen Doktor Schott und seine Frau? Ja, denen sind viele Bedingungen zu dem, was man im Leben Gl?ck zu nennen gew?hnt ist, gegeben!<<

Fr?ulein Charlotte Hartwig -- so hiess das ?ltliche Fr?ulein -- wohnte in einem Seitenfl?gel der Villa Klingen, nur durch einen schmalen Korridor von den Zimmern >>der Gl?cklichen<< getrennt. Man kam wenig miteinander in Ber?hrung. Eine zuf?llige Begegnung -- ein h?flicher Gruss, hier wie dort -- eine gelegentliche Bemerkung ?ber das herrliche Wetter, ?ber diesen oder jenen Ausflug, den man unternommen -- das blieben die einzigen Beziehungen der neuen Nachbarschaft. Fr?ulein Hartwig sah das Ehepaar mit Interesse an, sie fand beide sch?n und anziehend -- sich aber darum an sie heranzudr?ngen, das fiel ihr nicht ein.

Bei Tisch war der Doktor nicht so schweigsam, wie seine sch?ne Frau. Er thaute allm?hlich auf, es ergab sich, dass er weite Reisen gemacht hatte und in anschaulicher Weise dar?ber zu reden wusste. Zuweilen hielt er einen f?rmlichen Vortrag, dem die ganze Tischgesellschaft voll Andacht lauschte -- er nahm jede Unterbrechung auch sichtlich sehr ?bel auf, und hatte eine Art, Einw?rfe, die ihm hier und da gemacht wurden, zur?ckzuweisen, die, bei aller Verbindlichkeit, etwas mitleidig herablassendes hatte, als habe er Kinder vor sich, denen man ein eigenes Urteil nicht zutrauen d?rfe, die man eben reden lasse, um sie nicht zu kr?nken.

F?r seine sch?ne Frau war er voll Aufmerksamkeit. Nie vergass er, f?r sie zu sorgen, ihr das sch?nste Obst auszusuchen, ihr Weinglas zu f?llen, sorgsam Th?r oder Fenster zu schliessen, damit ihr kein Luftzug nahe k?me. Es war ein italienischer H?ndler mit h?bschen alten Schmucksachen im Renaissancestil am Ort erschienen, die Damen hatten insgesamt die reizenden Sachen bewundert -- Doktor Schott kaufte, ohne zu feilschen, den sch?nsten und teuersten Schmuck, den der Italiener besass, f?r seine Frau, und diese erschien am folgenden Tage damit. Sie trug immer weisse Kleider von klarem oder dichtem Stoff und eine schwarzseidene breite Sch?rpe um die schlanke Taille gekn?pft; es sah aus wie Halbtrauer. Sehr h?ufig fand sie neben ihrem Teller einen kleinen Strauss der sch?nsten, auserlesensten Rosen, den der z?rtliche Gatte f?r sie bestimmt hatte. Er selbst befestigte dann diese Blumen in ihrem G?rtel -- fast schien es, als sei es ihr nicht lieb, das schlichte schwarz und weiss ihrer Toilette mit Farben zu beleben.

>>Die Gl?cklichen<< machten erstaunlich zahlreiche und weite Ausfl?ge. Oft sah man sie schon beim fr?hen Morgen das Haus verlassen, den Doktor im praktischen Touristenanzug, die junge Frau in der kleidsamen s?dbayrischen Landestracht, so reizend lieblich und fremdartig darin anzusehen, dass die im Pensionat Klinger anwesenden Herren jedesmal eifrig aus Th?r und Fenstern sahen, um fr?h am Tage schon ihre Augenweide zu geniessen. H?ufig wurde es Abend, die Dunkelheit brach herein, bis die beiden zur?ckkehrten, der Mann stattlich und elastisch wie am Morgen, seine junge Frau blass und m?de, sichtlich von den Strapazen einer solchen Bergwanderung angegriffen. Das hinderte das Paar indessen nicht, schon am folgenden Tage um sechs Uhr wieder auf- und davonzugehen und oft in einer einzigen Tour einen Weg zu machen, den andere in mehrfachen Abs?tzen zur?ckzulegen pflegten. >>Ich kenne keine Erm?dung!<< erwiderte Doktor Schott eines Mittags -- es drohte stark mit Regen -- auf Fr?ulein Hesses feurige Bewunderung seiner >>ph?nomenalen Kraft<< -- und als jemand aus der Gesellschaft sich erlaubte, zu fragen: >>Und Ihre Frau Gemahlin? Kennt auch sie keine M?digkeit?<< erfolgte mit souver?nem L?cheln die Antwort: >>Das ist leider noch zuweilen der Fall, muss aber ?berwunden werden. Ein normal gesunder Mensch hat ?ber solche Schw?che Herr zu werden, und ich bin ?berzeugt, es wird hier mit der Zeit gelingen. Nicht wahr, liebe Melitta?<<

Ein eigent?mliches L?cheln glitt einen Augenblick schattenhaft ?ber das Antlitz der blonden Frau. >>Vielleicht!<< antwortete sie leise und wandte sich dann sofort ihrer Nachbarin zu, die sie bat, ihr ein wenig Wasser ins Weinglas zu giessen.

>>Das ist eine ganz heilsame Massregel f?r Ihre Patienten, Herr Doktor!<< bemerkte der alte Herr aus Westpreussen behaglich, erhielt aber ein abweisendes: >>Ich praktiziere nicht!<< als Antwort, so dass er ganz betroffen verstummte.

Es war gegen Abend desselben Tages. Ein starkes Gewitter hatte sich am fr?hen Nachmittag entladen, jetzt aber war die Luft pr?chtig gek?hlt, ein lauer Rosenduft schwamm durch die klaren L?fte, silberweiss umrissen zeichneten sich die Schneeh?upter der h?chsten Berge vom reinen Himmelsblau ab, und die schr?gen Sonnenstrahlen umspannen die stolzen Gebirgsriesen mit einer flimmernden Glorie. Wie ein leuchtendes Netz zogen sich tausende von blitzenden Regenperlen ?ber die weiten Grasfl?chen, und wenn die Sonne darauf hinspielte, zuckte es buntfunkelnd wie Diamantenpracht dr?ber weg.

>>Schau, bitte, Mutterle, schau her, wie das goldig sch?n ist!<< bat ein helles Kinderstimmchen draussen, und Fr?ulein Charlotte Hartwig ?ffnete leise das Fenster in ihrem Zimmer, bog sich hinter der Gardine hervor und sp?hte hinaus.

Das Kind, in seinem weissen kurzen R?ckchen wie ein grosser Schmetterling anzusehen, stand unten auf dem hellen Kiesweg und deutete mit den H?ndchen nach der flimmernden Pracht der tropfen?bers?eten, sonnenbeschienenen Grasfl?che. Wenige Schritte entfernt, dicht unter Fr?ulein Hartwigs Fenster, so dass diese sie deutlich sehen konnte, lehnte die junge Frau in einem weit zur?ckgehenden Sessel, die H?nde mit einer weissen Stickerei l?ssig im Schoss, das K?pfchen aufw?rts gewendet. Offenbar hatte sie es gar nicht geh?rt, dass die Kleine sie anrief. Sie hatte geweint. Noch hingen schwere Tropfen an den dichten dunkeln Wimpern, die sich so sch?n von dem Blondhaar abhoben, um die s?ssen Lippen bebte es, und schwere Atemz?ge hoben die Brust. Die dunkelumschatteten Augen sahen mit einem ergreifenden Ausdruck schmerzlicher Sehnsucht nach oben. Dort badeten die Berge ihre H?upter in flammendem Abendrot, es troff wie fliessendes Gold von den Schneekanten, dr?ber stand der Himmel wie in hellem Feuer ... ein glorreich sch?ner Sonnenuntergang, der den Tag wie triumphierend abschloss. Und dazu die sch?ne Frau mit der tiefen, tiefen Trauer im Gesicht, mit den schweren Thr?nen an den Wimpern -- diesen Thr?nen, die sich jetzt eben losl?sten und auf die ineinandergelegten H?nde herabfielen.

Fr?ulein Hartwig zog sich leise vom Fenster zur?ck. Sie nickte vor sich hin, wie jemand, der eine gehabte Ahnung best?tigt findet.

>>Schaust du denn nimmer all' die sch?nen bunten Perlen an, Mutterle, und da ganz hoch droben das viele Gold?<< fragte wieder das helle Kinderstimmchen unten.

>>Ja, Erna, ja, Mama sieht alles, und es ist wundersch?n!<< antwortete die junge Frau in gepresstem Ton, als schn?rte ihr ein Leid das Herz zusammen.

>>Und du weinst auch nicht wegen Erna -- gelt?<<

>>Nein, meine Kleine, du bist heut' gut und artig gewesen!<<

>>Zuweilen erleichtert es das Herz!<<

>>Das ist eine Phrase, mein Kind, nichts weiter, als eine althergebrachte th?richte Phrase -- du denkst dir doch entschieden selbst nichts dabei, gesteh' einmal offen! Wann wird doch die Zeit kommen, da es mir gelungen ist, dich zu einer wahren Philosophin zu erziehen, die sich unbefangen des Gegebenen freut und es aufgiebt, um Verlorenes zu trauern?<<

>>Vielleicht niemals!<<

>>Wenn du fortf?hrst, in diesem sentimentalen und weinerlichen Ton zu mir zu sprechen, m?ssen wir unser Gespr?ch abbrechen!<< Die Stimme des Mannes wurde hart und kalt. >>Ich meine, du m?sstest mir Dank wissen und einsehen lernen, dass ich dein Bestes w?nsche. Du hast normale Geistesgaben, die zu entwickeln mir ein Genuss sein w?rde, aber das Gef?hlsleben ?berwuchert alles andere bei dir in einer Weise, dass es mir faktisch oft unm?glich ist, mit vern?nftigen Begriffen dir gegen?ber zu operieren. Was ich sagen wollte ... deine Thr?nen haben mich auf einen total anderen Gedankengang gef?hrt ... ich komme dich abholen. Das ganze Haus ist wie ausgestorben, alle sind zum Spaziergang fort -- es ist pr?chtig draussen. Ich habe meinen alten Universit?tsfreund Rothe zuf?llig auf meiner Wanderung getroffen, er ist seit heute fr?h mit Frau, Bruder und Schwiegereltern hier -- der alte Kerl freute sich wie ein Spitz, mich zu sehen. Wir haben im >>schwarzen Lamm<< ein fideles Beisammensein verabredet, werden eine Bowle aufsetzen -- es wird urgem?tlich sein! Unser Abendessen hier im Pensionat habe ich schon bei der Hauswirtin abbestellt -- Friederike wird Erna allein abf?ttern. Ich habe alles vorgesorgt -- du hast einfach deinen Hut zu nehmen und mitzukommen!<<

Es trat eine Pause ein. Dann kam die weiche Stimme der jungen Frau sch?chtern wieder.

>>Es ist mir so leid, Udo, dir nicht den Willen thun zu k?nnen -- du weisst ja, ich f?ge mich immer sonst ... immer! Aber diesmal heute -- bitte, geh' allein! Ich kann heute nicht unter fremden Menschen sein -- kann auch nicht lachen und froh erscheinen; es w?re eine erb?rmliche Kom?die. Du h?ttest es bedenken k?nnen -- du weisst recht gut, dass heute der Tag ist, an dem<< -- -- -- sie konnte nicht weitersprechen.

Doktor Schott bohrte mit dem Stock so heftig in den Boden, dass der Kies umherstob.

>>Nat?rlich weiss ich es -- und glaubst du, ich h?tte nicht daran gedacht? Es fiel mir sogar ein, w?hrend Rothe mich aufforderte, zum >>schwarzen Lamm<< zu kommen. Absichtlich habe ich auch f?r dich zugesagt -- ich habe es mir fest vorgesetzt, es soll endlich einmal bei dir aufh?ren mit dieser ewigen Gef?hlsschwelgerei!<<

>>Ein seltsamer Name f?r die tiefste und naturgem?ss berechtigteste Empfindung!<<

>>Der einzig richtige Name! Naturgem?ss berechtigt, sagst du? Durchaus nicht! Unser Verh?ltnis zu Siegmund war genau dasselbe, und siehst du mich etwa, gleich dir, in diesen haltlosen Schmerz versinken? H?tte die Natur dies vorgeschrieben, ich w?rde es zugestehen -- so kann ich nur sagen: es ist ein individuelles Gef?hl, das jeder von uns hegt --<<

>>Aber Mama hat doch erlaubt, ich darf noch dableiben, bis --<<

>>Noch ein Wort des Widerspruchs, und du gehst ohne Abendessen ins Bett. Ich denke, du weisst, wem du zu gehorchen hast. K?ss' deiner Mutter die Hand und geh'!<<

Wieder eine kurze Stille, dann wurde das bek?mmerte, thr?nenschwere Stimmchen des Kindes laut, das, nach einem aus tiefster Brust hervorgeholten Seufzer: >>Gut' Nacht, Mutterle!<< sagte.

>>Gute Nacht, mein Herzenskind, schlaf' s?ss!<<

>>Kommst du auch noch an mein Bett beten, gelt?<<

>>Gewiss, Liebling -- nun lauf' schnell zu Friederike!<<

>>Also doch noch! Trotz meines Verbots! Wie oft habe ich dir gesagt: ich w?nsche nicht, dass mein Kind mit solchen Faseleien grossgezogen wird! Gebete! Das sind Dinge, die ihm das Hirn umnebeln, es unt?chtig f?rs Leben machen, jeden klaren Begriff verwirren. Mein Kind soll einen gesunden Verstand haben. -- Du aber untergr?bst ihn geflissentlich, wenn du ihn mit Vorstellungen n?hrst, die mit dem realen Leben kein Jota zu thun haben!<<

>>M?ssen wir all' diese Dinge hier im Garten verhandeln? Es k?nnte uns doch jemand h?ren --<<

>>Unn?tig, mich darum zu warnen! Ich sagte es dir schon zuvor: das ganze Haus ist wie ausgestorben, sie sind bei dem herrlichen Wetter alle noch zum Spaziergang hinaus, die Wirtin hat es mir selbst gesagt -- sie soll das Abendessen deshalb sp?ter auftragen. Morgen fr?h um f?nf gehen wir mit Rothes zur Wendel-Alp hinauf, r?ste nur dein Bergkost?m. M?chtest du dich jetzt fertig machen, und mit mir kommen?<<

>>Verzeih' mir, Udo -- -- nein! Ich muss wiederholen: ich bin es nicht imstande, heute unter fremden Menschen zu sein und ein fr?hliches Gesicht zu zeigen!<< Die Stimme Frau Melittas klang bei aller Sanftmut fest und sicher.

>>Sagte ich dir nicht, ich h?tte es Rothes versprochen, dass du mit mir k?mest?<<

>>Ja, du hast es gesagt, aber du h?ttest dies in meinem Namen nicht versprechen d?rfen. Entschuldige mich bei deinen Freunden, sage, mir sei nicht wohl! --<<

>>Das w?rde eine L?ge sein!<<

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