Read Ebook: Herrn Dames Aufzeichnungen: oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil by Reventlow Franziska Gr Fin Zu
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Ebook has 884 lines and 40294 words, and 18 pages
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Herrn Dames Aufzeichnungen
F. Gr?fin zu Reventlow
Herrn Dames Aufzeichnungen
oder
Begebenheiten aus einem merkw?rdigen Stadtteil
Albert Langen, M?nchen
~Copyright 1913 by Albert Langen, Munich
Verehrter Freund und G?nner!
Sie wissen ja -- Sie wissen genug dar?ber, wer >>Wir<< sind -- womit wir uns unterhalten, und mit welchem Inhalt wir die uns zugemessenen Erdentage zu erf?llen suchen. Sie wissen auch, wie wir das Dasein je nachdem als ernste und schwerwiegende Sache -- als heiteren Zeitvertreib, als absoluten Stumpfsinn oder auch als recht schlechten Scherz hinzunehmen, aufzufassen und zu gestalten pflegen.
Die Sendung, die wir heute unserem Briefe beif?gen, oder, richtiger, der Inhalt eben dieser Sendung, ist wieder ein neuer Beweis daf?r.
Denn dies alles, teurer Freund, den wir insgesamt gleich sch?tzen und verehren, gilt nur als Vorrede einer Vorrede, die jetzt beginnen und Ihnen zur Erl?uterung beifolgender Dokumente dienen soll, -- das heisst zur Erl?uterung des Umstandes, dass wir eben diese Dokumente in Ihre H?nde legen und von Ihnen die L?sung manches R?tsels erhoffen.
Mit den Papieren hat es nun folgende Bewandtnis:
Es mag etwa dreiviertel Jahr her sein, dass wir gelegentlich einer Seereise einen jungen Menschen kennen lernten. Wir fanden ihn sehr liebensw?rdig und unterhielten uns gerne mit ihm. Es dauerte allerdings einige Zeit, bis es so weit kam, denn er war zu Anfang ungemein zur?ckhaltend und schien schwere seelische Ersch?tterungen durchgemacht zu haben -- aber davon sp?ter.
Der junge Mann hiess mit dem Nachnamen: Dame -- also Herr Dame -- dieser Umstand mochte wohl einiges zu seiner reservierten Haltung beitragen und geh?rte zu den vielen Hemmungen, ?ber die er sich beklagte. Wenn er sich vorstellte oder vorstellen liess, wurde er stets etwas unsicher und f?gte jedesmal hinzu: -- >>Dame, ja -- ich heisse n?mlich Dame<<.
Wir fragten ihn einmal, weshalb er das t?te -- der Name sei doch nicht auffallender als viele andere, und er mache auf diese Weise eigentlich die Leute selbst erst aufmerksam, dass sich eine Seltsamkeit, sozusagen eine Art Naturspiel daraus konstruieren lasse.
Er entgegnete tr?be: Ja, das wisse er wohl, aber er k?nne nicht anders, und es geh?re nun einmal zu seiner Biographie. Herr Dame war seinem ?usseren und seinem Wesen nach durchaus der Typus: junger Mann aus guter Familie und von sorgf?ltiger Erziehung, mit einer Beimischung von mattem Lebemannstum -- sehr matt und sehr ?usserlich. Er w?re nie ohne einwandfreie B?gelfalte auf die Strasse gegangen, auch wenn ihm das Herz noch so weh tat -- und das Herz muss ihm wohl oft sehr weh getan haben. Die Grundnote seines Wesens war ?berhaupt eine gewisse betr?bte Nachdenklichkeit oder nachdenkliche Tr?bsal, aber daneben liebte er Parf?ms und sch?ne Taschent?cher.
Als wir ihn kennen lernten, war er schweigsam und verst?rt; allm?hlich, besonders, wenn wir in den warmen N?chten an Deck sassen, ging ihm immer das Herz auf, und er erz?hlte von sich selbst und von seiner Biographie -- wie er l?ngere Zeit unter eigent?mlichen Menschen gelebt und eigent?mliche Dinge mitangesehen und auch miterlebt habe. Schon von Haus aus habe er einen dunklen Trieb in sich gef?hlt, das Leben zu begreifen, und da habe man ihn an jene Menschen gewiesen. Leider vergeblich, denn er konnte es nun erst recht nicht begreifen, sondern sei v?llig verwirrt geworden und eben jetzt auf dem Wege, in fernen L?ndern Heilung und Genesen zu suchen.
Den Ort, wo sich das alles begeben hat, wollte er nicht gerne n?her bezeichnen -- er sagte nur, es sei nicht eigentlich eine Stadt, sondern vielmehr ein Stadtteil gewesen -- der auch in seinen Papieren oft und viel genannt wird. Wir konnten uns das nicht recht vorstellen.
Er erz?hlte uns denn auch, dass er damals allerhand niedergeschrieben habe, in der Absicht, vielleicht sp?ter einen Roman oder ein Memoirenwerk daraus zu gestalten, und wir interessierten uns lebhaft daf?r.
So kam die Zeit heran, wo wir uns trennen mussten, denn die Reise ging zu Ende. An einem der letzten Tage stieg Herr Dame m?den Schrittes in seine Kabine hinab und kam mit einem ansehnlichen Paket beschriebener Hefte wieder, dann sagte er: wenn es uns Freude mache, sei er gerne bereit, uns seine Aufzeichnungen zu ?berlassen. Er wolle sie auch nicht wieder haben, denn das alles sei f?r ihn abgetan und l?ge hinter ihm, und er habe wenig Platz in seinen Koffern. Was damit geschehe, sei ihm ganz gleichg?ltig, wir m?chten es je nachdem weitergeben, verschenken, vernichten oder ver?ffentlichen. Er selbst w?rde schwerlich wieder nach Europa oder gar in jenen Stadtteil zur?ckkehren. Dann nahmen wir recht bewegt Abschied und w?nschten ihm alles Gute. Es sollte leider nicht in Erf?llung gehen, denn der Zug, mit dem er weiterfuhr, fiel einer Katastrophe zum Opfer, und in der Liste der Geretteten war sein Name nicht genannt, -- so ist wohl leider anzunehmen, dass er mitverungl?ckte. Wir haben denn auch nichts mehr von ihm geh?rt.
Die Aufzeichnungen haben wir gelesen -- es war das erste, was wir damit taten; aber, wie schon anfangs erw?hnt, vieles darin ist uns ziemlich dunkel geblieben. Nach unserer Ansicht handelt es sich, wie ja auch Herr Dame selbst meinte, um recht eigent?mliche Menschen, Begebnisse und Anschauungen. -- Unter anderem interessiert es uns lebhaft, wo jener Stadtteil zu finden ist, in dem sich das alles begeben. Wir leben, wie Sie wissen, schon so lange in der Fremde, dass es viel zu anstrengend w?re, die Kulturstr?mungen einzelner Stadtteile genauer zu verfolgen.
Vor allem w?nschen wir Ihre Ansicht dar?ber zu erfahren, ob die vorliegenden Dokumente wohl die Bedeutung eines >>~document humain~<< haben und sich zur Ver?ffentlichung eignen w?rden. Meinen Sie nicht auch, dass es dann vielleicht ein sch?ner Akt der Piet?t w?re, dem anscheinend Fr?hverblichenen auf diese Weise einen Grabstein zu setzen?
Wenn Sie es f?r geboten erachten, w?rden wir Sie bitten, einen Kommentar dazu zu schreiben -- uns fehlt leider die n?tige Sachkenntnis, und so haben wir uns auf einige bescheidene und mehr sachliche Anmerkungen beschr?nkt -- aber vielleicht ist es auch ?berfl?ssig.
Kurzum -- ja, wirklich kurzum, denn wir lieben die K?rze auch dann noch, wenn wir ausf?hrlich sein m?ssen -- lieben sie um so mehr, wenn wir gerade ausf?hrlich gewesen sind --, wir legen diese Papiere und alles Weitere vertrauensvoll in Ihre H?nde ...
Dezember
Langweilig -- diese Wintertage -- -- --
Ich habe nach Hause geschrieben und ein paar offizielle Besuche gemacht. Man nahm mich ?berall liebensw?rdig auf und stellte die obligaten Fragen, -- wo ich wohne, wie ich mir mein Leben einzurichten gedenke und was ich studiere. Der alte Hofrat schien es etwas bedenklich zu finden, dass ich kein bestimmtes Studium ergreifen will und so wenig fixierte Interessen habe, -- ich solle mich vorsehen, nicht in schlechte Gesellschaft zu geraten. -- Das war sicher sehr wohlgemeint, aber es f?llt mir auf die Nerven, wenn die Leute glauben, ich sei nur hier, um mir >>die H?rner abzulaufen<< und mich nebenbei auf irgendeinen Beruf vorzubereiten.
Es war eine Erholung, nachher ~Dr.~ Gerhard im Caf? zu treffen. Ich erz?hlte ihm von meinen Familienbesuchen, er r?usperte sich ein paarmal und sah mich pr?fend an. Dann meinte er, das mit dem H?rnerablaufen sei wohl eine veraltete studentische Schablone, aber es g?be neuerdings eine ganze Anzahl junger Leute, die sich >>g?renshalber<< hier aufhielten, und zu diesen w?rde wohl auch ich zu rechnen sein.
Eine sonderbare Definition -- >>g?renshalber<< -- aber der Doktor dr?ckt sich gerne etwas gewunden aus -- das scheint ?berhaupt hier ?blich zu sein.
Wenn man dar?ber nachdenkt, hat er eigentlich nicht ganz unrecht. Vielleicht ist etwas Wahres daran -- es kommt mir ganz plausibel vor, dass mein Stiefvater mich g?renshalber hergeschickt hat. Nur passt es wohl gerade auf mich nicht recht. Ich habe keine Tendenzen zum G?ren und auch gar kein Verlangen danach -- ?berhaupt nicht viel eigne Initiative -- ich werde einfach zu irgend etwas verurteilt, und das geschieht dann mit mir. Mein Stiefvater meint es sehr gut und hat viel Verst?ndnis f?r meine Veranlagung; so pflege ich im grossen und ganzen auch immer zu tun, was er ?ber mich verh?ngt.
Verh?ngt -- ja, das ist wohl das richtige Wort. Schon allein die ?usseren Umst?nde bringen es mit sich, dass immer alles eine Art Verh?ngnis f?r mich wird. Zum Beispiel in erster Linie mein Name und meine V?ter. Meinen richtigen Vater habe ich kaum gekannt -- er soll sehr unsympathisch gewesen sein -- und nur den Namen von ihm bekommen. Mein Stiefvater hat einen normalen, unauff?lligen Namen und war eigentlich die erste Liebe meiner Mutter. Sie h?tte ihn ebensogut gleich heiraten k?nnen, und alles w?re vermieden worden. Es wurde aber nicht vermieden, denn es war ?ber mich verh?ngt, diesen Namen zu bekommen und mein Leben lang mit ihm herumzulaufen.
Dame -- Herr Dame -- wie kann man Herr Dame heissen? so fragen die anderen, und so habe ich selbst gefragt, bis ich die Antwort fand: Ich bin eben dazu verurteilt, und der Name verurteilt mich weiter zu allem m?glichen -- zum Beispiel zu einer ganz bestimmten Art von Lebensf?hrung -- einem matten, neutralen Auftreten, das mich irgendwie motiviert. Dissonanzen kann ich nun einmal nicht vertragen, und das Matte, Neutrale liegt wohl auch in meiner Natur. Ich habe es nur allm?hlich noch mehr herausgearbeitet und richtig betonen gelernt.
?ber das alles habe ich mit ~Dr.~ Gerhard ausf?hrlich gesprochen, er schien es auch zu verstehen, und es interessierte ihn. Der >>Verurteilte<< sei wohl ein Typus, meinte er, mit derselben Berechtigung wie >>der Verschwender<<, >>der Don Juan<<, >>der Abenteurer<< und so weiter als feststehende Typen betrachtet w?rden. Dann hat er gesagt, jeder Mensch habe nun einmal seine Biographie, der er nachleben m?sse. Es k?me nur darauf an, das richtig zu verstehen -- man m?sse selbst f?hlen, was in die Biographie hineingeh?rt und sich ihr anpasst -- alles andere solle man ja beiseite lassen oder vermeiden.
Dar?ber habe ich dieser Tage viel nachgedacht. Heute h?tte ich gerne wieder ~Dr.~ Gerhard getroffen und das neuliche Gespr?ch mit ihm fortgesetzt. Aber es sass diesmal eine ganze Gesellschaft mit am Tisch. Unangenehm, dass man beim Vorstellen nie die Namen versteht -- das heisst, meinen haben sie nat?rlich alle verstanden -- mein Verh?ngnis -- er ist so deutlich und bleibt haften, weil man sich ?ber ihn wundert. Ich habe diese junge Frau beneidet, die neben Gerhard sass, weil man sie nur Susanna oder gn?dige Frau anredete.
Du lieber Gott, ich werde ja nicht einmal heiraten k?nnen, wenn ich gerne wollte. Wie k?nnte man einem M?dchen zumuten, Frau Dame zu heissen -- --? Und dann daneben zu sitzen, das mitanzuh?ren und selbst -- nein, diese Reihe von Unm?glichkeiten ist nicht auszudenken.
Ich weiss nicht, wie es kam, dass ich dieser Susanna oder gn?digen Frau -- wie ich sie nat?rlich anreden musste, meine qu?lenden Vorstellungen anvertraute. Sie hat nicht einmal gelacht -- doch -- sie hat schon etwas gelacht, aber sie begriff auch die elende Tragik.
Es kam sp?ter noch ein Herr an den Tisch, den man mir als Doktor Sendt vorstellte. Er ist Philosoph und macht einen ?usserst intelligenten Eindruck. Mir schien auch, dass er eine gewisse Sympathie f?r mich f?hlte.
Man hat sich dann sehr lebhaft unterhalten -- ich konnte manchmal nicht recht folgen -- Doktor Sendt merkte es jedesmal, zog dann die Augenbrauen in die H?he, sah mich mit seinen scharfen hellblauen Augen an und erkl?rte mir in klarer, pointierter Ausdrucksweise, um was es sich handle.
Ich m?chte gerne mehr mit ihm verkehren; mir ist, als k?nnte ich viel von ihm lernen. Und eben das scheint mir hier eine zwingende Notwendigkeit.
Zuletzt sprachen sie viel von einem literarischen Kreise, um den es etwas ganz Besonderes sein muss. Dabei entspannen sich starke Meinungsverschiedenheiten. Bei diesem Gespr?ch h?rte ich nur zu, ich mochte nicht immer wieder Fragen stellen, um so mehr, weil allerhand Pers?nliches ber?hrt wurde und ich nicht gerne indiskret erscheinen wollte.
?brigens genierte ich mich auch etwas, weil der Dichter, der den Mittelpunkt jenes Kreises bilden soll, mir ziemlich unbekannt war. Seinen Namen kannte ich wohl, aber von seinen Werken so gut wie nichts.
Da war ein junger Mensch mit etwas zu langen Haaren, auffallend hohem Kragen und violetter Krawatte, die auf ungew?hnliche, aber immerhin ganz geschmackvolle Art geschlungen war. Dieser junge Mensch also bezeichnete ihn ausschliesslich als den Meister. Ich hatte bisher nur geh?rt, dass man in Bayreuth so redet, und es befremdete mich ein wenig. ?berhaupt redete er mit einem Pathos, das mir im Kaffeehaus nicht ganz angebracht schien und sicher auch jenen >>Meister<< unangenehm ber?hren w?rde, wenn er es zuf?llig h?rte -- und war sichtlich verstimmt ?ber einige Bemerkungen der anderen Herren, besonders des Philosophen, der sich etwas ironisch ?ber Heldenverehrung und Personenkultus ?usserte.
Merkw?rdige Dinge kamen da zur Sprache -- eine ?ltere Dame erz?hlte: man w?re bei einer Art Wahrsager -- einem sogenannten Psychometer -- gewesen, und es sei unbegreiflich, wie dieser Mann durch blosses Bef?hlen von Gegenst?nden den Charakter und das Schicksal ihrer Besitzer zu erkennen wisse -- ja, bei Verstorbenen sogar die Todesart.
>>Es ist ganz ausgeschlossen,<< so sagte sie, >>dass er ?ber irgend etwas Pers?nliches im voraus orientiert sein konnte und -- --<< >>Aber Sie m?ssen doch zugeben, dass er manchmal versagt,<< fiel der Dichter mit der violetten Krawatte ihr ins Wort -- -- >>in bezug auf den Meister hat er sich schwer geirrt. Und gerade das ist sehr interessant und bedeutungsvoll, denn es zeigte deutlich, dass er die Substanz des Meisters wohl f?hlte, nicht aber beurteilen konnte -- --<<
>>Wieso?<< fragte einer von den Herrn, der nicht dabei gewesen war. Der Dichter mass ihn mit einem ?berlegenen Blick und wandte sich wieder an die Dame, die zuerst gesprochen hatte:
Die Dame hatte beide Ellbogen auf den Tisch gest?tzt und h?rte mit leuchtendem Blick zu:
>>Ja, ja, so ist's, wir f?hlten es ja auch alle -- aber wie klar und sch?n Sie es jetzt ausgelegt haben.<<
>>Es ist so klar, dass es kaum noch einer Auslegung bedurfte -- zudem hatte der Meister den bewussten Ring erst seit einem Jahr getragen, und seine Substanz war zweifellos noch mit fremden fr?heren Substanzen gemischt -- das musste die Beurteilung bedeutend erschweren.<<
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