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Read Ebook: Relativitätstheorie und Erkenntnis Apriori by Reichenbach Hans

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Ebook has 203 lines and 30322 words, and 5 pages

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Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der 1920 erschienenen Buchausgabe so weit wie m?glich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

Im Original wurde der auch f?r das Satzende verwendete Punkt als Multiplikationszeichen eingesetzt. Die vorliegende Version verwendet dagegen den ,Mittelpunkt' , um etwaige Verwechslungen auszuschliessen.

Gesperrt gedruckte Passagen wurden durch +Pluszeichen+ gekennzeichnet. Caret-Symbole werden f?r hochgestellte Zeichen, wie etwa Exponenten, verwendet; mehrere hochgestellte Zeichen werden dabei mit geschweiften Klammern gruppiert. Unterstriche, gefolgt von geschweiften Klammern , stehen f?r tiefgestellte Zeichen, z.B. Indizes.

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RELATIVIT?TSTHEORIE UND ERKENNTNIS APRIORI

VON

HANS REICHENBACH

BERLIN

VERLAG VON JULIUS SPRINGER

Alle Rechte, insbesondere das der ?bersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.

Copyright 1920 by Julius Springer in Berlin.

ALBERT EINSTEIN

GEWIDMET

Inhalts?bersicht.

Seite

Literarische Anmerkungen 104

Die ~Einsteinsche~ Relativit?tstheorie hat die philosophischen Grundlagen der Erkenntnis in schwere Ersch?tterung versetzt. Es hat gar keinen Zweck, das zu leugnen, so zu tun, als ob diese physikalische Theorie nur physikalische Auffassungen ?ndern konnte, und als ob die philosophischen Wahrheiten von ihr unber?hrt in alter H?he thronten. Zwar stellt die Relativit?tstheorie nur Behauptungen ?ber ~physikalische~ Messbarkeitsverh?ltnisse und physikalische ~Gr?ssenbeziehungen~ auf, aber es muss durchaus zugegeben werden, dass diese speziellen Behauptungen den allgemeinen ~philosophischen~ Grundbegriffen widerstreiten. Die philosophischen Axiome waren von jeher, und auch in ihrer kritischen Form, so gefasst, dass sie zwar speziellen Ausdeutungen gegen?ber invariant blieben, aber immer eine bestimmte Gruppe von physikalischen Aussagen definitiv ausschlossen; und gerade solche ausgeschlossenen M?glichkeiten hat die Relativit?tstheorie hervorgesucht und zum Leitfaden ihrer physikalischen Annahmen gemacht.

Schon die spezielle Relativit?tstheorie stellte schwere Anforderungen an die Toleranz eines kritischen Philosophen. Sie nahm der Zeit den Charakter eines nicht umkehrbaren Ablaufs und behauptete, dass es Geschehnisse g?be, deren zeitliche Aufeinanderfolge mit gleichem Recht umgekehrt angenommen werden d?rfte. Das ist zweifellos ein Widerspruch zu der vorher geltenden Anschauung, auch zu dem Zeitbegriff ~Kants~. Man hat diese Schwierigkeit gelegentlich beseitigen wollen, indem man die ,,physikalische Zeit" von der ,,ph?nomenologischen Zeit" unterschied und sich darauf bezog, dass die ~Zeit als subjektives Erlebnis~ immer die irreversible Folge blieb. Aber in ~Kants~ Sinne ist diese Trennung sicherlich nicht. Denn f?r ~Kant~ ist es gerade das Wesentliche einer aprioren Erkenntnisform, dass sie eine ~Bedingung der Naturerkenntnis~ bildet, und nicht bloss eine subjektive Qualit?t unserer Empfindungen. Wenn er auch gelegentlich von der Art, wie die Dinge unsere Wahrnehmung ,,affizieren", spricht, so meint er doch immer, dass diese subjektive Form gleichzeitig eine objektive Form f?r die Erkenntnis ist, weil die subjektive Komponente notwendig im Objektsbegriff enthalten ist; und er w?rde nicht zugegeben haben, dass man f?r das physikalische Geschehen mit einer anderen Zeitordnung arbeiten d?rfte, als eben dieser in der Natur des erkennenden Subjekts angelegten Form. Darum war es nur folgerichtig, wenn bereits gegen die spezielle Relativit?tstheorie Einw?nde aus philosophischen Kreisen erhoben wurden, sofern sie aus dem Begriffskreis der Kantischen Philosophie herr?hrten.

Durch die allgemeine Relativit?tstheorie hat sich diese Lage aber noch vielfach versch?rft. Denn in ihr wurde nichts Geringeres behauptet, als ~dass die euklidische Geometrie f?r die Physik nicht verwandt werden d?rfte~. Man mache sich den weitgehenden Inhalt dieser Behauptung einmal ganz klar. Zwar waren schon seit fast einem Jahrhundert Zweifel an der aprioren Stellung der euklidischen Geometrie aufgetaucht. Die Aufstellung nichteuklidischer Geometrieen hatte die M?glichkeit begrifflicher Konstruktionen gezeigt, die den bekannten anschaulich evidenten Axiomen ~Euklids~ widersprechen. ~Riemann~ hatte eine allgemeine Mannigfaltigkeitslehre in analytischer Form begr?ndet, in der der ,,ebene" Raum als Spezialfall erscheint. Man konnte, nachdem die begriffliche Notwendigkeit der euklidischen Geometrie gefallen war, ihre Sonderstellung nur dadurch begr?nden, dass man sie als ~anschaulich evident~ von den anderen Mannigfaltigkeiten unterschied, und basierte auf diesen Vorzug allein -- ?brigens ganz im Sinne ~Kants~ -- die Forderung, dass gerade diese Geometrie zur Beschreibung der Wirklichkeit, also f?r die Physik, verwandt werden m?sste. So war der Widerspruch gegen die euklidische Geometrie auf einen Einwand gegen ihre rein ~begriffliche~ Begr?ndung zur?ckgef?hrt. Gleichzeitig tauchte von der Seite der Empiristen erneuter Zweifel auf; man wollte aus der M?glichkeit anderer Geometrieen folgern, dass die S?tze der euklidischen Geometrie nur durch Erfahrung und Gew?hnung ihren f?r unsere Anschauung zwingenden Charakter erhalten h?tten. Und drittens wurde von mathematischer Seite geltend gemacht, dass es sich in der Geometrie nur um konventionelle Festsetzungen, um ein leeres Schema handelte, das selbst keine Aussagen ?ber die Wirklichkeit enthielte, sondern nur als ihre Form gew?hlt sei, und das mit gleichem Recht durch ein nichteuklidisches Schema ersetzt werden k?nnte. Gegen?ber diesen Einw?nden stellt aber der Einspruch der allgemeinen Relativit?tstheorie einen ganz neuen Gedanken dar. Diese Theorie stellt n?mlich die ebenso einfache wie klare Behauptung auf, dass die S?tze der euklidischen Geometrie f?r die Wirklichkeit ?berhaupt ~falsch~ w?ren. Das ist in der Tat etwas wesentlich anderes als die genannten drei Standpunkte, denen allen gemeinsam ist, dass sie an der Geltung der euklidischen Axiome nicht zweifeln, und die nur in der Begr?ndung dieser Geltung und ihrer erkenntnistheoretischen Deutung differieren. Man erkennt, dass damit auch die kritische Philosophie vor eine ganz neue Frage gestellt ist. Es ist gar kein Zweifel, dass ~Kants~ transzendentale ?sthetik von der unbedingten Geltung der euklidischen Axiome ausgeht; und wenn man auch dar?ber streiten kann, ob er in ihrer anschaulichen Evidenz den Beweisgrund seiner Theorie des aprioren Raums, oder umgekehrt in der Apriorit?t des Raumes den Beweisgrund ihrer Evidenz sieht, so bleibt es doch ganz sicher, dass mit der ~Ung?ltigkeit~ dieser Axiome seine Theorie unvereinbar ist.

Darum gibt es nur zwei M?glichkeiten: entweder ist die Relativit?tstheorie falsch, oder die ~Kant~ische Philosophie bedarf in ihren ~Einstein~ widersprechenden Teilen einer ?nderung. Der Untersuchung dieser Frage ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Die erste M?glichkeit erscheint nach den gl?nzenden Erfolgen der Relativit?tstheorie, ihrer wiederholten Best?tigung durch die Erfahrung und ihrer Fruchtbarkeit f?r die theoretische Begriffsbildung von vornherein unwahrscheinlich. Aber es soll hier nicht eine physikalische Theorie bedingungslos ?bernommen werden, zumal, da die erkenntnistheoretische Deutung ihrer Aussagen noch so umstritten ist. Wir w?hlen deshalb folgendes Arbeitsverfahren. Es muss zun?chst festgestellt werden, welches die Widerspr?che sind, die zwischen der Relativit?tstheorie und der kritischen Philosophie bestehen, und welches die Voraussetzungen und Erfahrungsresultate sind, die die Relativit?tstheorie f?r ihre Behauptungen anf?hrt. Danach untersuchen wir, von einer Analyse des Erkenntnisbegriffs ausgehend, welche Voraussetzungen die Erkenntnistheorie ~Kants~ einschliesst, und indem wir diese den Resultaten unserer Analyse der Relativit?tstheorie gegen?berstellen, entscheiden wir, in welchem Sinne die Theorie ~Kants~ durch die Erfahrung widerlegt worden ist. Wir werden sodann eine solche ?nderung des Begriffs ,,apriori" durchf?hren, dass dieser Begriff mit der Relativit?tstheorie nicht mehr in Widerspruch tritt, dass vielmehr die Relativit?tstheorie durch die Gestaltung ihres Erkenntnisbegriffs als eine Best?tigung seiner Bedeutung angesehen werden muss. Die Methode dieser Untersuchung nennen wir die wissenschaftsanalytische Methode.

Wir werden in diesem und dem folgenden Abschnitt das Wort apriori im Sinne ~Kants~ gebrauchen, also dasjenige apriori nennen, was die Formen der Anschauung oder der Begriff der Erkenntnis als evident fordern. Wir tun dies nur in der Absicht, gerade auf diejenigen Widerspr?che gef?hrt zu werden, die zu aprioren Prinzipien eintreten, denn es treten nat?rlich auch Widerspr?che der Relativit?tstheorie zu vielen anderen Prinzipien der Physik auf. Irgendein Beweisgrund f?r die ~Geltung~ der Prinzipien soll aber mit der Kennzeichnung als apriori nicht vorweggenommen sein.

In der speziellen Relativit?tstheorie -- wir d?rfen diese Theorie auch heute noch als f?r ~homogene~ Gravitationsfelder g?ltig ansehen -- behauptet ~Einstein~, dass das ~Newton-Galilei~sche Relativit?tsprinzip der Mechanik mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit unvereinbar sei, wenn nicht neben der Transformation der r?umlichen Koordinaten auch eine Zeittransformation vorgenommen wird, die dann zur Relativierung der Gleichzeitigkeit und zur teilweisen Umkehrbarkeit der Zeit f?hrt. Dieser Widerspruch ist sicherlich richtig. Wir fragen: Auf welche Voraussetzungen st?tzen sich ~Einsteins~ Prinzipien?

Das ~Galilei~sche Tr?gheitsprinzip ist gewiss ein Erfahrungssatz. Es ist gar nicht einzusehen, warum ein K?rper, auf den keine Kraft wirkt, sich st?ndig bewegen soll; w?rden wir uns nicht so an diesen Gedanken gew?hnt haben, so w?rden wir wahrscheinlich zun?chst das Gegenteil behaupten. Allerdings l?sst Galilei auch den Ruhezustand als kr?ftefrei zu. Aber darin liegt seine weitgehende Behauptung, dass die gleichf?rmige Bewegung der Ruhe mechanisch v?llig ?quivalent sei. Durch physikalische Relationen ist definiert, was eine Kraft ist. Aber dass die Kraft nur bei Geschwindigkeits~?nderungen~ auftritt, dass also die Ph?nomene, die wir als Kraftwirkung kennen, an das Auftreten einer ~Beschleunigung~ gekn?pft sind, ist gewiss nicht evident im Sinne einer aprioren Einsicht. In dieser Auffassung ist also das ~Galilei~sche Tr?gheitsprinzip zweifellos ein Erfahrungssatz.

Jedoch l?sst sich diesem Prinzip eine andere Form geben. Es besagt dann, dass eine gewisse Gruppe von Koordinatensystemen, n?mlich alle gegeneinander gleichf?rmig bewegten, f?r die Beschreibung des mechanischen Vorgangs ?quivalent seien. Die Gesetze der Mechanik ?ndern ihre Form nicht, wenn man von einem dieser Systeme auf ein anderes transformiert. In dieser Form ist die Aussage aber viel allgemeiner als in der ersten Form. Das mechanische Gesetz kann seine Form auch dann behalten, wenn sich die Gr?ssen der Kr?fte ?ndern; f?r die Erhaltung der Form wird nur verlangt, dass sich die Kr?fte im neuen System ebenso aus den Koordinaten ableiten, wie im alten, dass also der ~Funktionalzusammenhang~ unge?ndert bleibt. Diese Aussage ist aber viel prinzipieller als die ~Galilei~sche. Das Tr?gheitsprinzip, die Gleichberechtigung gleichf?rmig bewegter Systeme, erscheint hier nur als besonderer Fall, es gibt n?mlich diejenigen Koordinatentransformationen an, bei welchen die Erhaltung des Funktionalzusammenhangs speziell durch die Erhaltung der Kraft~gr?ssen~ herbeigef?hrt wird. Dass es solche Transformationen gibt, und welche dies sind, kann allerdings nur die Erfahrung lehren. Aber dass das physikalische ~Gesetz~, und nicht nur die ~Kraft~, invariant gegen Koordinatentransformationen sein soll, liegt viel tiefer begr?ndet. Dieses Prinzip verlangt n?mlich, in anderen Worten ausgedr?ckt, dass der Raum keine physikalischen Eigenschaften haben soll, dass das Gesetz bestimmt ist durch die Verteilung und die Natur der ~Dinge~, und die Wahl des Bezugssystems keinen Einfluss auf den Vorgang haben kann. F?r den ~Kant~ischen Standpunkt, auf dem Raum und Zeit nur Formen der Einordnung sind, und nicht Glieder der Wirklichkeit wie die Materie und die Kr?fte, ist das eigentlich selbstverst?ndlich. Es muss befremden, dass gegen die ~Galilei-Newton~schen Gesetze und auch gegen die spezielle Relativit?tstheorie nicht von philosophischer Seite schon lange der Einwand erhoben wurde, dass die postulierte Invarianz noch keineswegs ausreicht. Denn gerade die gleichf?rmige Translation auszuzeichnen, liegt f?r den Philosophen kein Grund vor; wenn einmal der Raum als Ordnungsschema und nichts physikalisch Gegenst?ndliches erkannt war, mussten auch alle beliebig bewegten Koordinatensysteme f?r die Beschreibung der Geschehnisse ?quivalent sein. ~Mach~ scheint der einzige gewesen zu sein, der diesen Gedanken in aller Sch?rfe aussprach; aber er vermochte nicht, ihn in eine physikalische Theorie umzusetzen. Und niemand hat ~Einstein~ bei seiner Aufstellung der speziellen Relativit?tstheorie entgegengehalten, dass sie noch nicht radikal genug sei. Erst ~Einstein~ selbst hat seiner Theorie diesen Einwand gemacht, und hat dann den Weg gezeigt, eine wirklich allgemeine Kovarianz durchzuf?hren. Die ~Kant~ische Philosophie musste ihren Grundbegriffen entsprechend schon immer die Relativit?t der Koordinaten fordern; dass sie es nicht getan hat und die Konsequenzen nicht ahnte, die in dieser Forderung implizit enthalten waren, liegt darin begr?ndet, dass erst die experimentelle Physik zur Aufdeckung einer zweiten grunds?tzlichen Forderung f?hren musste, die der spekulativen Betrachtung zu fern lag, um von ihr erkannt werden zu k?nnen.

Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist die physikalische Form dieser zweiten Forderung. Durch empirische Beobachtung hatten die Physiker sie entdeckt; aber als ~Einstein~ sie in seiner ber?hmten ersten Abhandlung zur Grundlage seiner speziellen Relativit?tstheorie machte, konnte er ihre Bedeutung schon in viel tieferem Zusammenhange zeigen.

~Einstein~ ging davon aus, dass man, um in einem gew?hlten Koordinatensystem an jedem Punkt die synchrone Zeit zu definieren, einen mit bestimmter Geschwindigkeit sich ausbreitenden physikalischen Vorgang braucht, der Uhren an verschiedenen Punkten zu vergleichen gestattet. ?ber den Bewegungszustand dieses Vorgangs gegen das Koordinatensystem muss man dann eine Hypothese machen; von dieser Hypothese h?ngt die Zeit des Koordinatensystems und die Gleichzeitigkeit an getrennten Punkten ab. Darum ist es unm?glich, diesen Bewegungszustand zu bestimmen; denn f?r die Bestimmung m?sste eine Zeitdefinition vorausgesetzt sein. Alle Experimente dar?ber w?rden nur lehren, welche Zeitdefinition man angewandt hat, oder sie w?rden zu Widerspr?chen mit den Konsequenzen der Hypothese f?hren, also eine negative Auswahl treffen. In jeder ,,Koordinatenzeit" ist daher eine gewisse Willk?r enthalten. Man reduziert diese Willk?r auf ein Minimum, wenn man die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Vorgangs als konstant, von der Richtung unabh?ngig und gleich f?r alle Koordinatensysteme ansetzt.

Es ist keineswegs gesagt, dass diese ~einfachste~ Annahme auch ~physikalisch zul?ssig~ ist. Sie f?hrt z. B., wenn man an der zeitlichen Nichtumkehrbarkeit der kausalen Abl?ufe festh?lt , in ihren Konsequenzen dazu, dass es keine gr?ssere Geschwindigkeit als die ausgew?hlte gibt; und mindestens muss man deshalb unter allen bekannten Geschwindigkeiten die gr?sste ausw?hlen, wenn sie zur Zeitdefinition geeignet sein soll. Darum war die Lichtgeschwindigkeit geeignet, die Rolle dieser ausgezeichneten Geschwindigkeit zu ?bernehmen. Es musste dann noch festgestellt werden, ob die durch diese Geschwindigkeit definierte Zeit zusammenf?llt mit der bisher durch die mechanischen Gesetze der Himmelsk?rper definierten Zeit, d. h. ob nicht die in ihrer Einfachheit sicherlich tiefe Gesetze darstellenden Formeln der Mechanik auf die Existenz einer noch gr?sseren unbekannten Geschwindigkeit hindeuteten. Als Entscheidung dar?ber konnte der ~Michelson~sche Versuch betrachtet werden, der die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit f?r alle Systeme bewiesen hatte. Trotzdem blieb es noch offen, ob nicht eines Tages Erfahrungen auftauchen w?rden, die eine so einfache Annahme als Grundlage der Zeitdefinition wie die Konstanz einer Geschwindigkeit unm?glich machten. Diese Erfahrungen sind in der Tat aufgetaucht, allerdings erst nachdem die theoretische ?berlegung bereits die spezielle Relativit?tstheorie wieder aufgegeben hatte: die bei der letzten Sonnenfinsternis beobachtete Lichtablenkung durch das Gravitationsfeld der Sonne ist ein Beweis daf?r, dass die genannte einfachste Zeitdefinition allgemein nicht durchf?hrbar ist. Die spezielle Relativit?tstheorie wurde damit auf den Spezialfall eines homogenen Gravitationsfeldes zur?ckgef?hrt.

Man erkennt an diesen ?berlegungen, was in der Zeitauffassung der speziellen Relativit?tstheorie die empirische Grundlage ist. Aber ?ber der Grundlage des Erfahrungsmaterials erhebt sich der tiefe Gedanke ~Einsteins: dass eine Zeitdefinition ohne eine physikalische Hypothese ?ber bestimmte Ausbreitungsgeschwindigkeiten unm?glich ist~. Auch die alte Definition einer absoluten Zeit erscheint nur als Spezialfall dieser Auffassung: sie enth?lt die Hypothese, dass es eine mit unendlich grosser Geschwindigkeit sich ausbreitende Wirkung gibt.

Man beachte gerade diesen Zusammenhang. Es ist ~Einstein~ eingewandt worden, dass seine ?berlegungen nur zeigen, wie der Physiker mit seinen beschr?nkten Hilfsmitteln niemals zu einer genauen ,,absoluten" Zeit kommen kann; an der Idee einer solchen Zeit und ihrer fortschreitend approximativen Messung m?sste festgehalten werden. Dieser Einwand ist falsch. Die ,,absolute" Zeit fordert einen Vorgang, der sich mit unendlicher Geschwindigkeit ausbreitet; ein solcher Vorgang w?rde aber unseren Vorstellungen ?ber die kausale Wirkungs?bertragung durchaus widersprechen. Es ist eine schon von vielen Philosophen erhobene Forderung, dass Fernkr?fte nicht angenommen werden d?rfen; aber diese bedeuten nichts anderes als die unendlich rasche Wirkung zwischen zwei entfernten Punkten. Schreibt man der Kraft?bertragung eine mit der Entfernung wachsende endliche Dauer zu, so kann man sie sich immer als von Punkt zu Punkt wandernd, also als Nahewirkung, vorstellen; ob man dabei von einem ?thermedium spricht, ist dann mehr eine Sache des sprachlichen Ausdrucks. Man kann das Prinzip der Nahewirkung genau so gut ein apriores Prinzip nennen, wie etwa ~Kant~ die Unzerst?rbarkeit der Substanz apriorisch genannt hat. Die genaue Bestimmung der absoluten Zeit wird also durch ein apriores Prinzip auf jeden Fall ausgeschlossen. Es h?tte h?chstens Sinn, eine stetige Ann?herung an die absolute Zeit als m?glich festzuhalten. Dann darf es aber f?r die physikalisch m?glichen Geschwindigkeiten eine obere Grenze nicht geben. Dar?ber l?sst sich nun apriori nichts aussagen, sondern das ist eine rein physikalische Frage. Wenn etwa -- und gerade das haben alle experimentellen Untersuchungen zur Relativit?tstheorie gelehrt -- schon f?r die Erzeugung einer bestimmten endlichen Geschwindigkeit die Energie unendlich werden sollte, so ist die Herstellung beliebiger Geschwindigkeiten sicherlich physikalisch unm?glich. Zwar geht das aus den alten Formeln nicht hervor, aber diese Formeln sind empirisch gewonnen, und mit vollem Recht konnte die Relativit?tstheorie sie durch andere ersetzen, in denen z. B. die kinetische Energie eines Massenpunktes mit Ann?herung an die Lichtgeschwindigkeit unendlich wird. Ebensogut, wie es etwa physikalisch unm?glich ist, die Energie eines abgeschlossenen Systems zu vermehren, oder durch fortschreitende Abk?hlung eine gewisse untere Grenze der Temperatur zu unterschreiten, kann auch die beliebige Steigerung der Geschwindigkeit physikalisch unm?glich sein. Denkbar ist nat?rlich das eine wie das andere, aber es handelt sich hier gerade um das ~physikalisch Erreichbare~. Wenn ein physikalisches Gesetz existiert, das den Geschwindigkeiten eine obere Grenze vorschreibt, dann ist auch eine Ann?herung an die ,,absolute" Zeit unm?glich, nicht bloss die Erreichung des Idealzustands. Dann hat es aber keinen Sinn mehr, von einer ,,idealen Zeit" auszugehen, denn nur solche Idealmassst?be d?rfen wir aufstellen, die wenigstens durch fortschreitende Approximation erreichbar sind und dadurch ihren Sinn f?r die Wirklichkeit erhalten.

Man wende nicht ein, dass eine untere Grenze f?r die Temperatur anschaulich notwendig sei, weil die Bewegung der Molek?le einmal aufh?ren m?sste. Woher weiss ich denn, dass dieser Nullpunkt der kinetischen Energie bereits bei einer endlichen negativen Temperatur erreicht wird, und nicht erst bei negativ unendlicher Temperatur? Allein aus der Erfahrung. Ebenso ist die Erfahrung m?glich, dass die unendlich grosse kinetische Energie bereits bei einer endlichen Geschwindigkeit erreicht wird.

Wir fassen unsere ?berlegungen zusammen. Das Prinzip der Relativit?t aller Koordinatensysteme, auch nur angewandt auf eine bestimmte Klasse von Koordinaten , und das Prinzip der Nahewirkung lassen die absolute Zeit nur dann zu, wenn eine obere Grenze f?r die physikalisch erreichbaren Geschwindigkeiten nicht existiert. Beide Prinzipien d?rfen wir, in dem bisherigen Sinne des Wortes, mit gutem Recht als apriori bezeichnen. Die Frage der oberen Grenze f?r die physikalisch erreichbaren Geschwindigkeiten ist aber eine empirische Angelegenheit der Physik. Darum wird auch die Zeitdefinition von empirischen Gr?nden mitbestimmt, sofern man an dem Prinzip festh?lt, dass nur der durch Empirie approximierbare Massstab als Norm aufgestellt werden darf . Den verbindenden Gedanken vollzieht dabei ~Einsteins~ Entdeckung, dass die Zeit eines Koordinatensystems nur unter Zugrundelegung eines physikalischen Ausbreitungsvorgangs definiert werden kann.

Nennt man die Forderung der absoluten Zeit ebenfalls ein apriores Prinzip, so wird hiermit der Widerstreit mehrerer apriorer Prinzipien behauptet, genauer die Unvereinbarkeit ihrer gemeinsamen Geltung mit der Erfahrung. Denn die Annahme einer absoluten Zeit impliziert immer, in welcher Form sie auch definiert wird, die M?glichkeit beliebig grosser, physikalisch herstellbarer Geschwindigkeiten. Allerdings wird sich der experimentelle Beweis f?r die Un?berschreitbarkeit der Lichtgeschwindigkeit niemals exakt f?hren lassen. Aus gewissen Beobachtungen an kleineren Geschwindigkeiten m?ssen wir schliessen, dass die Lichtgeschwindigkeit die obere Grenze ist, z. B. beobachten wir an Elektronen, dass mit Ann?herung an die Lichtgeschwindigkeit die kinetische Energie ins Unendliche w?chst. F?r die Lichtgeschwindigkeit selbst k?nnen wir die Beobachtung nicht ausf?hren; es handelt sich also stets um eine Extrapolation. Auch der ~Michelson~sche Versuch ist ein Beweis nur, wenn man besonders ausgekl?gelte Theorien zur Rettung des alten Additionstheorems der Geschwindigkeiten zur?ckweist. Die Extrapolation hat deshalb immer nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit f?r sich. Wir wollen den Grundsatz, dass man f?r ein Erfahrungsmaterial die wahrscheinlichste Extrapolation verwendet, das ~Prinzip der normalen Induktion~ nennen. Allerdings verbirgt sich hinter dem Begriff ,,~wahrscheinlichste Extrapolation~" noch eine Unbestimmtheit. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass solche Extrapolationen, die zum Widerspruch gegen gewisse allgemeine Voraussetzungen f?hren, unm?glich sind, also bei der Auswahl der wahrscheinlichsten ?berhaupt ausgeschieden werden m?ssen. Es gibt aber Grenzf?lle, in denen ein solches Verfahren der Forderung der Evidenz widerspricht. Denken wir uns z. B. die Werte der kinetischen Energie des Elektrons f?r Geschwindigkeiten von 0-99% der Lichtgeschwindigkeit experimentell bestimmt und graphisch aufgetragen, so dass sie eine Kurve ergeben, die sich bei 100% offensichtlich einer Asymptote anschmiegt. Dann wird wohl niemand behaupten, dass die Kurve zwischen 99% und 100% noch einen Knick macht, so dass sie erst f?r unendlich grosse Geschwindigkeiten ins Unendliche geht. In der Tat basiert die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nach den bisherigen Erfahrungsdaten, den ~Michelson~schen Versuch eingerechnet, nicht auf einer geringeren Wahrscheinlichkeit als der des geschilderten Beispiels. Wir begn?gen uns hier mit einer blossen Veranschaulichung des Prinzips der normalen Induktion, um seinen aprioren Charakter im Sinne des Evidenzkriteriums aufzuzeigen; und wir werden erst im Abschnitt VI auf die erkenntnistheoretische Stellung dieses Prinzips n?her eingehen.

Wir behaupten also, nach der speziellen Relativit?tstheorie, dass die Prinzipien:

Prinzip der Relativit?t gleichf?rmig bewegter Koordinaten

Prinzip der irreversiblen Kausalit?t

Prinzip der Nahewirkung

Prinzip des approximierbaren Ideals

Prinzip der normalen Induktion

Prinzip der absoluten Zeit

mit den experimentellen Beobachtungen gemeinsam unvereinbar sind. Man kann alle diese Prinzipien mit gleichem Recht ~apriore~ Prinzipien nennen. Zwar sind sie nicht alle von ~Kant~ selbst als apriori genannt. Aber sie besitzen alle das Kriterium der Evidenz in hohem Masse, und sie stellen grunds?tzliche Voraussetzungen dar, die von der Physik bisher immer gemacht wurden. Wir erw?hnen diese ihre Eigenschaft nur deshalb, weil damit der behauptete Widerspruch von einem physikalischen zu einem philosophischen Problem wird. Sollte aber unsere Auffassung Widerspruch finden und die Evidenz f?r einige dieser Prinzipien, z. B. das der Nahewirkung, bestritten werden, so wird das den Beweisgang unserer Untersuchungen nicht st?ren. Man mag diese einzelnen Prinzipien dann als Erfahrungss?tze betrachten; dann ist das Prinzip der normalen Induktion, das wir in der Zusammenstellung besonders auff?hrten, in ihnen nochmals implizit enthalten.

Bemerkt sei noch, dass in den Annahmen der speziellen Relativit?tstheorie ein Widerspruch zum ~Kausalprinzip~ nicht enthalten ist. Im Gegenteil gewinnt hier die Kausalit?t eine Auszeichnung: solche Zeitfolgen, die als kausale Folgen anzusehen sind, sind nicht umkehrbar. Man kann sagen, dass die Kausalit?t objektive Folgen in das Zeitschema hineintr?gt, w?hrend dieses selbst keinen absoluten Charakter hat.

invariant sein soll, dass also die Transformationen diesen einfachen Ausdruck f?r das Linienelement nicht zerst?ren sollen. In dieser Behauptung ist dann sowohl das Prinzip der Relativit?t aller gleichf?rmig bewegten Systeme als auch das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit enthalten. Man kann daher beide Forderungen zusammenfassen in die eine der ~Relativit?t aller orthogonalen Transformationen in der Minkowski-Welt~. Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit kommt dann gleichsam von selbst hinein. Diese Geschwindigkeit ist der Masseinheitsfaktor, mit dem man die in Sekunden gemessene Zeit multiplizieren muss, damit sie den in Zentimetern gemessenen r?umlichen Achsen ?quivalent wird und mit ihnen zu einem symmetrischen Vierfachsystem zusammengefasst werden kann. Es w?rde der vierdimensionalen Relativit?t widersprechen, wenn dieser Faktor f?r die einzelnen Systeme verschieden w?re.

Man muss jedoch beachten, dass das ~Minkowski~sche Prinzip nichts anderes ist als eine elegante und fruchtbare Formulierung der ~Einstein~schen Gedanken. An deren physikalisch-philosophischem Inhalt ?ndert sie nichts. Sie fordert nicht etwa eine Ab?nderung unserer Raumanschauung, denn die Einf?hrung der vierten Koordinate ist lediglich eine formale Angelegenheit. Und sie behauptet auch nicht, wie es gelegentlich hingestellt wird, eine Vertauschbarkeit von Raum und Zeit. Im Gegenteil sind raumartige und zeitartige Vektoren in der ~Minkowski~-Welt grunds?tzlich unterschieden und lassen sich durch keine physikalisch m?gliche Transformation ineinander ?berf?hren.

Es muss noch untersucht werden, wieweit die allgemeine Relativit?tstheorie die Annahmen der speziellen ge?ndert hat, und ob sich unsere bisherigen Formulierungen auch noch aufrecht halten lassen, wenn man die Entdeckungen der allgemeinen Theorie als bekannt voraussetzt. Denn gerade das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das in unseren ?berlegungen eine so wichtige Rolle spielte, ist von der neuen Theorie aufgegeben worden.

Trotzdem l?sst sich noch ein Einwand machen. Wesentlich f?r unsere ?berlegungen war, dass man auch nicht von einer ~allm?hlichen Ann?herung~ an eine absolute Zeit sprechen kann, dass man diesen Begriff auch nicht im Sinne eines zwar unerf?llten, aber doch stetig approximierbaren Ideals gelten lassen kann. Ist es nun, vom Standpunkt der allgemeinen Theorie, nicht wenigstens m?glich, dem Volumelement eine beliebig grosse Zahl c > 3?10^ zuzuordnen, so dass die Ann?herung an die absolute Zeit beliebig genau wird?

Wir bemerken den Unterschied dieser Zusammenh?nge gegen?ber anderen physikalischen Betrachtungen. Wenn man in irgend einer physikalischen Anordnung die Genauigkeit steigert, so ist dies immer m?glich, ohne die Anordnung selbst prinzipiell zu ?ndern, indem nur einzelne Teile eine ?nderung erfahren. Benutzt man etwa eine fliegende Flintenkugel zur Signal?bertragung, so l?sst sich zum Zweck der Genauigkeitserh?hung ihre Geschwindigkeit steigern, indem man die Pulverladung vergr?ssert; diese ?nderung hat keinen Einfluss auf den Zustand des Raumes. Die Gr?sse c ist aber nicht eine Funktion bestimmter Einzelvorg?nge, sondern der Ausdruck eines ~universalen Zustands~, und alle Messmethoden sind nur innerhalb dieses Zustands vergleichbar. Die Eigent?mlichkeit, dass innerhalb jedes Universalzustands eine obere Grenze c f?r jedes Volumelement existiert, bleibt aber erhalten, und darum gilt der oben behauptete Widerspruch der Prinzipien unver?ndert weiter, auch wenn man die spezielle Relativit?tstheorie als Spezialfall in die allgemeine einordnet.

Wir geben diese zus?tzlichen Er?rterungen nur, um zu zeigen, dass die allgemeine Theorie den erkenntnislogischen Grundsatz der speziellen nicht aufgegeben hat. Die ~Geltung~ der allgemeinen Theorie aber ist ein besonderes Problem und soll im folgenden Abschnitt analysiert werden.

Wir gehen jetzt zur allgemeinen Relativit?tstheorie ?ber. Sie behauptet, dass ein euklidischer Raum f?r die physikalische Wirklichkeit nicht angenommen werden darf. Wir fragen: welches sind die Prinzipien und Erfahrungen, auf die sich die Theorie zur Begr?ndung beruft? Warum nennt sie die Annahme eines euklidischen Raumes falsch?

~Einstein~ sagt in seiner grundlegenden Schrift: ,,Es kommt mir in dieser Abhandlung nicht darauf an, die allgemeine Relativit?tstheorie als ein m?glichst einfaches logisches System mit einem Minimum von Axiomen darzustellen. Sondern es ist mein Hauptziel, diese Theorie so zu entwickeln, dass der Leser die psychologische Nat?rlichkeit des eingeschlagenen Weges empfindet und dass die zugrunde gelegten Voraussetzungen durch die Erfahrung m?glichst gesichert erscheinen."

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