Read Ebook: Relativitätstheorie und Erkenntnis Apriori by Reichenbach Hans
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Ebook has 203 lines and 30322 words, and 5 pages
~Einstein~ sagt in seiner grundlegenden Schrift: ,,Es kommt mir in dieser Abhandlung nicht darauf an, die allgemeine Relativit?tstheorie als ein m?glichst einfaches logisches System mit einem Minimum von Axiomen darzustellen. Sondern es ist mein Hauptziel, diese Theorie so zu entwickeln, dass der Leser die psychologische Nat?rlichkeit des eingeschlagenen Weges empfindet und dass die zugrunde gelegten Voraussetzungen durch die Erfahrung m?glichst gesichert erscheinen."
Diese Art der Begr?ndung ist f?r den Physiker berechtigt, denn ihm kommt es nicht auf die starre Aufrechterhaltung philosophischer Prinzipien an, sondern auf eine m?glichst enge Anschmiegung seiner Gedankenbilder an die Wirklichkeit. Der Philosoph aber muss Rechenschaft fordern f?r eine Abweichung von so fundamentalen Prinzipien, wie sie die euklidische Geometrie enth?lt. Indem wir die Begr?ndung der Theorie daraufhin ordnen, werden wir finden, dass ~Einsteins~ Darstellung in Wahrheit eine viel tiefere Begr?ndung gibt, als er selbst in den begleitenden Worten beansprucht.
Wir hatten schon in den Ausf?hrungen zur speziellen Relativit?tstheorie betont, dass die allgemeine Relativit?t aller Koordinatensysteme vom Standpunkt der kritischen Philosophie nur selbstverst?ndlich ist, und brauchen daher auf diese Forderung nicht mehr einzugehen. Wir fragen aber: Warum f?hrt sie zur Aufgabe des euklidischen Raumes?
Wir denken uns ein homogenes Gravitationsfeld von grosser Ausdehnung und darin ein Inertialsystem angenommen. In diesem Koordinatensystem ist dann das Gravitationsfeld ?berall gleich Null. Wir wissen, dass dann das vierdimensionale Linienelement
sich als Summe von Quadraten der Koordinatendifferentiale ausdr?ckt. F?hren wir jetzt neue Koordinaten durch eine beliebige Substitution ein, etwa ein System, das sich gegen das Inertialsystem beschleunigt bewegt, so wird das Linienelement seine einfache Form nicht bewahren, sondern in einen gemischt quadratischen Ausdruck ?bergehen:
Wir gebrauchen hier das Wort ,,euklidisch" f?r die vierdimensionale Mannigfaltigkeit im ?blichen Sinne. Obgleich wir die folgenden Betrachtungen f?r die vierdimensionale Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit anstellen werden, gelten sie ebenso f?r den durch diese definierten dreidimensionalen Raum, denn wenn die erstere eine ~Riemann~sche Kr?mmung aufweist, ist auch der letzte notwendig gekr?mmt, und wenn die erstere euklidisch ist, l?sst sich auch der letztere immer euklidisch w?hlen. Vgl. f?r die Analogie dieser beiden Mannigfaltigkeiten ~Erwin Freundlich~, Anmerkung 3, S. 29 ff.
Es handelt sich also um eine Extrapolation. Eine solche ist aber immer auf verschiedenen Wegen m?glich; wir m?ssen fragen, welche Prinzipien gerade zu der ~Einstein~schen Extrapolation gef?hrt haben.
Betrachten wir das geschilderte Gravitationsfeld noch genauer. Dass wir durch die Forderung der allgemeinen Relativit?t auf nichteuklidische Koordinaten gef?hrt werden, diese also als gleichberechtigt neben den euklidischen zulassen m?ssen, wird durch das Beispiel hinreichend bewiesen. Aber die dabei entstandene nichteuklidische Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit hat noch eine besondere Eigent?mlichkeit: es lassen sich in ihr Koordinaten so w?hlen, dass das Linienelement an jedem Punkt euklidisch wird. Damit ist aber f?r das nichteuklidische Koordinatensystem eine weitgehende Einschr?nkung gegeben, es folgt z. B. dass das ~Riemann~sche Kr?mmungsmass dieses Systems ?berall gleich Null wird. Ein solcher Raum ist nur scheinbar nichteuklidisch, in Wahrheit hat er keine andere Struktur als der euklidische Raum. Auch der dreidimensionale euklidische Raum l?sst sich durch nichteuklidische Koordinaten ausdr?cken. Man braucht dazu nur irgendwelche krummlinige schiefwinklige Koordinaten zu w?hlen, dann wird das Linienelement zu einem gemischt quadratischen Ausdruck. Bereits die gew?hnlichen Polarkoordinaten liefern f?r das Linienelement eine von der reinen Quadratsumme abweichende Form. Sieht man von ihrer anschaulichen Bedeutung ab und betrachtet sie als eine dreiachsige Mannigfaltigkeit, ?hnlich den drei Achsen des Raumes, so stellen sie also einen nichteuklidischen Raum dar. Man kann die Darstellung des euklidischen Raumes durch Polarkoordinaten als eine Abbildung auf einen nichteuklidischen Raum auffassen. Das Kr?mmungsmass aber bleibt dabei gleich Null.
Das gew?hlte Beispiel zeigt daher nur die Gleichberechtigung pseudo-nichteuklidischer R?ume mit den euklidischen. Wenn also die ~Einstein~sche Theorie, indem sie von homogenen Gravitationsfeldern zu beliebigen inhomogenen Feldern ?bergeht, die Notwendigkeit echter nichteuklidischer Koordinaten behauptet, so geht sie damit wesentlich ?ber den Gedanken des Beispiels hinaus. Sie behauptet damit, dass es f?r den allgemeinen Fall nicht m?glich ist, den Koordinaten die euklidische Form zu geben. Wir stehen also vor einer sehr weitgehenden Extrapolation. N?her liegend erscheint eine solche Theorie, f?r die auch im allgemeinen Falle die Transformation auf euklidische Koordinaten m?glich ist, in der also auch der massenerf?llte Raum das Kr?mmungsmass Null beh?lt.
Auch das von ~Einstein~ angef?hrte Beispiel der rotierenden Kreisscheibe kann eine so weitgehende Verallgemeinerung nicht als notwendig beweisen. Es ist allerdings richtig, dass ein auf der Scheibe befindlicher mitrotierender Beobachter f?r den Quotienten aus Umfang und Durchmesser der Scheibe eine gr?ssere Zahl als ? erh?lt, dass also f?r ihn und sein mitrotierendes Koordinatensystem die euklidische Geometrie nicht gilt. Aber der Beobachter w?rde sehr bald entdecken, dass die Messresultate wesentlich einfacher w?rden, wenn er ein rotierendes System einf?hrt -- das n?mlich der Scheibe entgegen mit gleicher Geschwindigkeit rotiert, so dass es in der umgebenden Ebene ruht -- und dass er von diesem Bezugssystem aus alle Vorg?nge in euklidischer Geometrie beschreiben kann. Auch eine synchrone Zeit kann er f?r dieses System definieren . Dieses Bezugssystem w?rde f?r ihn etwa die Rolle spielen, wie das von den Astronomen gesuchte Inertialsystem des Sonnensystems, das f?r die ~Newton~schen Gleichungen fingiert wird. Die Geometrie der rotierenden Kreisscheibe ist also ebenfalls pseudo-nichteuklidisch; ihr Kr?mmungsmass ist gleich Null.
Wir fragen deshalb, ob nicht eine Gravitationstheorie mit weniger weitgehender Extrapolation m?glich ist als die ~Einstein~sche. Wir wollen folgende Forderungen an sie stellen:
a) die Theorie soll f?r homogene Felder ?bergehen in die spezielle Relativit?tstheorie;
b) die Theorie soll in jedem Fall die M?glichkeit einer euklidischen Koordinatenwahl zulassen.
In der Tat ist eine solche Theorie m?glich; die beiden Forderungen stehen also in keinem Widerspruch. Z. B. k?nnte das nach Forderung b definierte Koordinatensystem dadurch entstehen, dass man in jedem Punkt des Feldes die Feldst?rke misst, den Mittelwert aller Feldst?rken bildet und dasjenige System bestimmt, in dem dieser Mittelwert ein Minimum wird. F?r konstante Feldst?rke, also homogenes Feld, w?re dann das Mittel gleich der konstanten Feldst?rke, also ein Minimum in demjenigen System, in dem die Feldst?rke gleich Null ist; das w?re dann das Inertialsystem. So w?re der Anschluss der allgemeinen Theorie an den Spezialfall des homogenen Feldes und die spezielle Relativit?tstheorie vollzogen. Nat?rlich m?sste die angenommene Hypothese f?r das ausgezeichnete System noch mit der Erfahrung verglichen werden. Bemerkt sei ?brigens, dass diese Auszeichnung eines Systems nicht etwa der Relativit?t der Koordinaten widerspricht. Dass der Raum sich in verschiedenen Systemen verschieden ausdr?ckt, ist selbstverst?ndlich und keine physikalische Bevorzugung. Auch das homogene Gravitationsfeld kennt ja das ausgezeichnete euklidische System.
Jedoch ist die Voraussetzung a nicht die von ~Einstein~ gew?hlte. Zwar h?lt auch er an einem stetigen ?bergang seiner Theorie in die spezielle fest. Die Voraussetzung a vollzieht diesen ?bergang, indem sie bei ~festgehaltenem Raumgebiet~ die Feldst?rken in den verschiedenen Punkten einander gleich werden l?sst. Es gibt aber noch eine andere Form des ?bergangs. Die Feldst?rke muss als stetige Funktion des Raums angenommen werden; dann sind unendlich kleine Feldgebiete homogen. Wir k?nnen also den ?bergang zum homogenen Feld auch in der Weise vollziehen, dass wir ~bei festgehaltener Feldst?rke~ das Raumgebiet immer kleiner werden lassen. Diesen ?bergang k?nnen wir in jedem Punkte des Feldes vornehmen, und wir wollen deshalb die folgende ~Einstein~sche Voraussetzung f?r die Extrapolation machen:
c) die Theorie soll in jedem Punkt des Feldes f?r unendlich kleine Gebiete ?bergehen in die spezielle Relativit?tstheorie.
Wir fragen: Ist mit dieser Forderung c die Forderung b vereinbar?
Damit ist bewiesen, dass, wenn man aus der speziellen Relativit?tstheorie nach der ~Einstein~schen Forderung c durch Extrapolation zu einer allgemeinen Relativit?tstheorie ?bergeht, der euklidische Charakter des Raumes aufgegeben werden muss. Es ist danach in einem beliebigen Gravitationsfeld durch keine Koordinatenwahl m?glich, dem Linienelement in allen Punkten zugleich die euklidische Form zu geben; das Kr?mmungsmass des massenerf?llten Raumes ist von Null verschieden.
Die Forderung c beruht einerseits, wie wir bereits sagten, auf der Stetigkeit des Gravitationsfeldes. Da die Stetigkeit nicht bloss eine Eigenschaft der Gravitation ist, sondern allgemein f?r physikalische Gr?ssen vorausgesetzt wird, k?nnen wir von einem Prinzip der Stetigkeit physikalischer Gr?ssen sprechen. Andererseits beruht die Forderung c auf der Tatsache, dass der Raum f?r kleine Gebiete keine anderen Eigenschaften zeigt als f?r grosse, dass also der ~Raum homogen~ ist; denn nur unter dieser Voraussetzung d?rfen wir fordern, dass f?r beliebig kleine Raumgebiete die spezielle Relativit?tstheorie gilt, wenn nur die Feldst?rke der Gravitation nahezu konstant wird. W?rden wir die Homogenit?t des Raums nicht voraussetzen, so k?nnte der Fehler, der durch die Verkleinerung des Raumgebiets entsteht, den Einfluss der herabgesetzten Schwankung der Feldst?rke in dem Gebiet gerade kompensieren, so dass doch keine Ann?herung an die spezielle Relativit?tstheorie zustande k?me; dann d?rften wir den Grenz?bergang nur nach Forderung a vollziehen. Drittens beruht die Forderung c auf dem ~Einstein~schen ?quivalenzprinzip, denn sie besagt, dass ~jedes~ homogene Gravitationsfeld, das Schwerefeld ebenso wie das Tr?gheitsfeld, sich in ein kr?ftefreies Feld transformieren l?sst. Hier liegt eine rein empirische Grundlage der Forderung c. Denn das ?quivalenzprinzip besagt weiter nichts als die Gleichheit von schwerer und tr?ger Masse f?r ~jedes~ Gravitationsfeld, und diese Tatsache l?sst sich nur durch das Experiment feststellen. Allerdings konnte das Experiment bisher nur im Erdfeld vorgenommen werden. Aber es ist eine normale Induktion, von diesem Versuche auf die allgemeine ?quivalenz zu schliessen.
Man wird die Stetigkeit physikalischer Gr?ssen und die Homogenit?t des Raums evidente apriore Prinzipien im ~Kant~ischen Sinne nennen k?nnen. Dann d?rfen wir, den Zusammenhang umkehrend, sagen, dass diese beiden aprioren Prinzipien einen Verzicht auf die Forderung c nur dann zulassen, wenn die tr?ge und die schwere Masse im allgemeinen nicht gleich sind; das w?rde verlangen, dass man in der Deutung der bisherigen Beobachtungen auf diesem Gebiete von der normalen Induktion abweicht. Da nun die Forderung c zum Widerspruch gegen die Euklidizit?t des Raumes f?hrt, so verlangt die Euklidizit?t umgekehrt, im Verein mit den anderen Prinzipien, den Verzicht auf die normale Induktion in der ?quivalenzfrage. Nennen wir noch die Forderung, dass die allgemeine Theorie f?r den speziellen Fall in die spezielle ?bergeht, die ~Stetigkeit der Gesetze~, und verstehen wir unter dem Prinzip der speziellen Relativit?t den Gesamtinhalt der speziellen Relativit?tstheorie als einer Theorie des kr?ftefreien Feldes, so d?rfen wir jetzt behaupten, dass die allgemeine Relativit?tstheorie folgende Prinzipien als ~gemeinsam unvereinbar mit der Erfahrung~ nachgewiesen hat.
Prinzip der speziellen Relativit?t Prinzip der normalen Induktion Prinzip der allgemeinen Kovarianz Prinzip der Stetigkeit der Gesetze Prinzip der Stetigkeit physikalischer Gr?ssen Prinzip der Homogenit?t des Raumes Prinzip der Euklidizit?t des Raumes.
Denn die Gesamtheit dieser Prinzipien ist unvereinbar mit der Erfahrungstatsache, dass im Erdfeld die tr?ge und die schwere Masse gleich sind. Dabei sind alle diese Prinzipien, mit Ausnahme des ersten, apriori im ~Kant~ischen Sinne; das erste aber ist gerade dasjenige Prinzip, welches den in der entsprechenden Zusammenstellung des vorhergehenden Abschnitts dargestellten Widerspruch l?st.
Wir haben damit die grundlegenden Gedanken f?r das Verlassen der euklidischen Raumanschauung aufgedeckt. Ehe wir jedoch diese Darlegung beschliessen, m?ssen wir noch etwas ?ber den speziellen Charakter sagen, den auch der ~Einstein~sche Raum noch besitzt.
Es ist nicht richtig zu sagen, dass in der ~Einstein~schen Lehre der euklidische Raum keine Vorzugsstellung mehr inne h?tte. Eine Bevorzugung liegt immer noch darin, dass das unendlich kleine Raumgebiet als euklidisch angenommen wird. ~Riemann~ nennt diese Eigenschaft: ,,Ebenheit in den kleinsten Teilen". Sie dr?ckt sich analytisch in der gemischt quadratischen Form des Linienelements aus; aus dieser folgt, dass stets eine solche Koordinatenwahl m?glich ist, dass in einem einzigen Punkt das Linienelement sich gerade als reine Quadratsumme darstellt. Man kann also ein Koordinatensystem immer so w?hlen, dass es f?r ein beliebig vorgegebenes Punktgebiet gerade euklidisch wird. Physikalisch bedeutet dies, dass man f?r ein unendlich kleines Gebiet das Gravitationsfeld immer ,,wegtransformieren" kann, wie auch das Feld sonst beschaffen sein m?ge, dass also kein Wesensunterschied zwischen den durch Transformation erzeugten und den statischen Gravitationsfeldern besteht. Das ist der Inhalt der ~Einstein~schen ?quivalenzhypothese f?r die tr?ge und die schwere Masse. Umgekehrt ist auch diese Hypothese der Grund f?r die quadratische Form des Linienelements, und die Ebenheit in den kleinsten Teilen hat danach ihren ~physikalischen~ Grund. W?rden die physikalischen Verh?ltnisse anders liegen, so m?sste f?r das Linienelement ein anderer Differentialausdruck, etwa vom vierten Grade, gew?hlt werden, und damit w?rde auch die letzte Vorzugsstellung des euklidischen Raumes verschwinden.
Ehe wir an eine Kritik der von der Relativit?tstheorie aufgezeigten Widerspr?che gehen, m?ssen wir eine Theorie des physikalischen Erkenntnisbegriffs entwickeln und versuchen, den Sinn des Apriori zu formulieren.
Es ist das Kennzeichen der modernen ~Physik,~ dass sie alle Vorg?nge durch ~mathematische~ Gleichungen darstellt; aber diese Ber?hrung zweier Wissenschaften darf ?ber deren grunds?tzlichen Unterschied nicht hinwegt?uschen. F?r den mathematischen Satz bedeutet ~Wahrheit~ eine innere Beziehung seiner Glieder, f?r den physikalischen Satz aber heisst Wahrheit eine Beziehung auf etwas ?usseres, ein bestimmter Zusammenhang mit der Erfahrung. Man dr?ckt diese Tatsache gew?hnlich in der Form aus, dass man dem mathematischen Satz eine absolute Geltung zuschreibt, dem physikalischen aber nur eine wahrscheinliche. Ihren inneren Grund hat diese Eigent?mlichkeit in der Verschiedenheit des Objekts der beiden Wissenschaften.
Der ~mathematische Gegenstand~ ist durch die Axiome und die Definitionen der Mathematik vollst?ndig definiert. Durch die Definitionen: denn sie geben an, wie sich der Gegenstand zu den bereits vorher definierten Gegenst?nden in Beziehung setzt; indem seine Unterschiede und Gleichheiten aufgedeckt werden, erh?lt er selbst erst seinen Sinn und Inhalt als Inbegriff dieser Abgrenzungen. Und durch die Axiome: denn sie geben die Rechenregeln, nach denen die Abgrenzungen zu vollziehen sind. Auch die in den Axiomen auftretenden Grundbegriffe sind erst durch die damit aufgestellten Relationen definiert. Wenn ~Hilbert~ unter seine Axiome der Geometrie den Satz aufnimmt: ,,unter irgend drei Punkten einer Geraden gibt es stets einen und nur einen, der zwischen den beiden andern liegt", so ist dies ebensowohl eine Definition f?r die Eigenschaften der Punkte wie f?r die Natur der Geraden oder wie f?r die Relation ,,zwischen". Zwar ist dieser Satz noch keine ~ersch?pfende~ Definition. Aber die Definition wird vollst?ndig durch die Gesamtheit der Axiome. Der ~Hilbert~sche Punkt oder die Gerade ist nichts anderes, als etwas, was die in den Axiomen ausgesagten Eigenschaften besitzt. Man k?nnte genau so gut die Zeichen a, b, c... an Stelle der Wortzeichen Punkt, Gerade, zwischen usw. setzen, die Geometrie w?rde dadurch nicht ge?ndert. Am deutlichsten dr?ckt sich das in der projektiven Geometrie aus, deren S?tze f?r die Ebene richtig bleiben, wenn man die Begriffe Punkt und Gerade vertauscht. Ihre axiomatisch definierten Relationen sind f?r diese beiden Begriffe symmetrisch, und obgleich unsere Anschauung mit beiden Begriffen einen ganz verschiedenen Inhalt verbindet und entsprechend auch die Axiome inhaltlich verschieden auffasst, dr?ckt sich die begriffliche Symmetrie in der Tatsache aus, dass der durch Vertauschung entstandene Satz ebenfalls richtig ist, auch f?r unsere Anschauung, obgleich sein anschaulicher Sinn ge?ndert worden ist. Diese eigent?mliche Wechselseitigkeit der mathematischen Definition, in der immer ein Begriff den anderen definiert, ohne dass eine Beziehung auf ,,absolute Definitionen" n?tig w?re, ist von ~Schlick~ in der Lehre von den impliziten Definitionen sehr klar ausgef?hrt worden. Wir m?ssen diese moderne Art der Definition der alten scholastischen mit ihrer Angabe von Klasse und Merkmal gegen?berstellen.
Es ist unter diesen Umst?nden nicht weiter verwunderlich, dass der mathematische Satz absolute Geltung besitzt. Denn er bedeutet nichts als eine neue Art von Verflechtung der bekannten Begriffe nach den bekannten Regeln. Verwunderlich ist es h?chstens, dass der menschliche Verstand, dieses sehr unvollkommene Werkzeug, die Schlussketten vollziehen kann. Aber das ist ein anderes Problem. ~Schlick~ hat daf?r das sch?ne Beispiel von der Rechenmaschine erfunden, die auch logische Schl?sse vollzieht und selbst doch nur ein materieller Apparat mit allen empirischen Ungenauigkeiten ist.
Die Zuordnung, die im physikalischen Satz vollzogen wird, ist aber von sehr merkw?rdiger Natur. Sie unterscheidet sich durchaus von anderen Arten der Zuordnung. Sind etwa zwei Punktmengen gegeben, so ordnen wir sie einander dadurch zu, dass wir zu jedem Punkt der einen Menge einen Punkt der anderen Menge als zugeh?rig bestimmen. Dazu m?ssen aber die Elemente jeder der Mengen ~definiert~ sein; d. h. es muss f?r jedes Element noch eine andere Bestimmung geben als die, welche die Zuordnung zur anderen Menge vollzieht. Gerade diese Definiertheit fehlt auf der einen Seite der erkenntnistheoretischen Zuordnung. Zwar sind die Gleichungen, die begriffliche Seite, hinreichend definierte Gebilde. Aber f?r das ,,Wirkliche" kann man das keineswegs behaupten. Im Gegenteil erh?lt es seine Definition im einzelnen erst durch die Zuordnung zu Gleichungen.
Man k?nnte diese Zuordnung dem mathematischen Fall vergleichen, wo eine diskrete Menge einer Untermenge des Kontinuums zugeordnet wird. Betrachten wir etwa als Beispiel die Zuordnung der rationalen Br?che zu Punkten einer geraden Linie. Wir bemerken zun?chst auch hier, dass die Punkte der geraden Linie alle wohl definiert sind; wir k?nnen durchaus von jedem Punkt der Ebene angeben, ob er zu der Geraden geh?rt oder nicht. Mehr als das: die Punkte der Geraden sind ausserdem geordnet; wir k?nnen von je zwei Punkten angeben, welcher von ihnen ,,rechts", welcher ,,links" liegt. Aber es werden bei der Zuordnung nicht alle Punkte der Geraden getroffen. Eine unendliche Menge, die den irrationalen Zahlen entspricht, bleibt unber?hrt, und die Auswahl der den rationalen Br?chen entsprechenden Punkte wird erst durch die Zuordnung vollzogen. Wir k?nnen von einem Punkte der Geraden nicht ohne weiteres angeben, ob er zu der zugeordneten Untermenge geh?rt; um das festzustellen, m?ssen wir erst nach einer Methode, die durch die Konstruktion der rationalen Br?che gegeben ist, eine Untersuchung anstellen. Insofern vollzieht die Zuordnung zu der andern Menge erst die Auswahl der Untermenge des Kontinuums. Aber wir bemerken auch, dass das Problem so noch nicht hinreichend definiert ist. Denn wir k?nnen die Zuordnung noch auf unendlich viel verschiedene Weisen vollziehen. Vergr?ssern wir etwa die als Einheit gew?hlte Strecke, so findet die geforderte Zuordnung ebensogut statt, aber einem bestimmten rationalen Bruch entspricht jetzt ein anderer Punkt der Geraden. Und mehr als das: Punkte, die vorher einer Irrationalzahl entsprachen, werden jetzt vielleicht einem rationalen Bruch zugeordnet, so dass die ausgew?hlte Untermenge sich jetzt aus ganz anderen Elementen zusammensetzt. Noch ganz andere Zuordnungen ergeben sich, wenn man etwa die Gerade in Strecken einteilt, die den ganzen Zahlen entsprechen, und die Zuordnung innerhalb jedes Abschnitts von r?ckw?rts vornimmt; man k?nnte auch beliebige endliche St?cke ?berhaupt von der Zuordnung ausschalten -- derartiger M?glichkeiten gibt es unbegrenzt viel. Man erkennt: die auszuw?hlende Untermenge ist erst definiert, wenn noch gewisse Nebenbedingungen angegeben sind. So kann man fordern, dass von zwei beliebigen Br?chen der gr?ssere immer dem weiter rechts gelegenen Punkt zugeordnet wird, dass ein doppelt so grosser Bruch einem doppelt so weit rechts gelegenen Punkt zugeordnet wird usw. Man kann fragen, wann die Nebenbedingungen hinreichend sind, um die Zuordnung eindeutig zu machen. Erst wenn solche Bedingungen gefunden worden sind, ist durch die diskrete Menge und die Nebenbedingungen eine eindeutige Auswahl unter den Punkten des Kontinuums vollzogen. Ihre Durchf?hrung ist dann immer noch ein mathematisches Problem, aber ein eindeutig l?sbares: es l?sen, heisst andere Relationen zu finden, die dann ebenfalls zwischen den Punkten bestehen und in den Nebenbedingungen nicht explizit gegeben sind.
Aber auch dieses Beispiel unterscheidet sich immer noch von der Zuordnung, die im ~Erkenntnisprozess~ vollzogen wird. In dem Beispiel war f?r die ~Obermenge~ jedes Element definiert, sogar noch ein Ordnungssinn gegeben. Die Nebenbedingungen mussten von dieser Eigenschaft Gebrauch machen, nicht nur von dem Ordnungssinn, sondern auch von der Definiertheit der Einzelelemente; von letzterer z. B. in der Forderung, dass dem doppelten Bruch die doppelte Strecke auf der Geraden entsprechen soll, denn das setzt voraus, dass man f?r jeden Punkt eine Entfernung vom Nullpunkt angeben kann. F?r die Zuordnung des Erkenntnisvorgangs aber versagen alle solche Bestimmungen. Die eine Seite ist v?llig undefiniert. Sie ist nicht in Grenzen eingeschlossen, sie hat keinen Ordnungssinn, ja, es l?sst sich nicht einmal angeben, was ein Einzelelement dieser Menge ist. Was ist die L?nge eines physikalischen Stabes? Sie wird erst definiert durch eine F?lle von physikalischen Gleichungen, die aus den Ablesungen an den geod?tischen Instrumenten eine Gr?sse ,,L?nge" herausinterpretieren. Wieder vollzieht erst die Zuordnung zu den Gleichungen die Definition. Und wir stehen vor der merkw?rdigen Tatsache, dass wir in der Erkenntnis eine Zuordnung zweier Mengen vollziehen, deren eine durch die Zuordnung nicht bloss ihre Ordnung erh?lt, sondern ~in ihren Elementen erst durch die Zuordnung definiert wird~.
Auch wenn man versucht, die einzelne Wahrnehmung als definiertes Element der Wirklichkeit zu betrachten, kommt man nicht durch. Denn der Inhalt jeder Wahrnehmung ist viel zu komplex, um als zuzuordnendes Element gelten zu k?nnen. Fassen wir etwa in dem oben erw?hnten Beispiel die Wahrnehmung des Manometerzeigers als solches Element auf, so geraten wir deshalb in Schwierigkeiten, weil diese Wahrnehmung viel mehr enth?lt als die Zeigerstellung. Ist z. B. auf dem Manometer das Firmenschild des Fabrikanten befestigt, so geht dies ebenfalls in die Wahrnehmung ein. Zwei Wahrnehmungen, die sich in bezug auf das Firmenschild unterscheiden, k?nnen f?r die Zuordnung zur Boileschen Gleichung trotzdem ?quivalent sein. Ehe wir die Wahrnehmung zuordnen, m?ssen wir in ihr eine Ordnung vollziehen, ,,das Wesentliche vom Unwesentlichen scheiden"; aber das ist bereits eine Zuordnung unter Zugrundelegung der Gleichungen oder der in ihnen ausgedr?ckten Gesetze. Auch ein Ordnungssinn ist durch die Wahrnehmung nicht gegeben. Man k?nnte vermuten, dass etwa die ~zeitliche Aufeinanderfolge~ der Wahrnehmungen f?r die Wirklichkeitsseite der Zuordnung einen Ordnungssinn bedeutet. Aber das ist keinesfalls richtig. Denn die in dem Erkenntnisurteil behauptete Zeitordnung kann der der Wahrnehmung durchaus widersprechen. Liest man etwa bei zwei Koinzidenzbeobachtungen die Stoppuhren in umgekehrter Reihenfolge ab, so bildet man unabh?ngig davon ein Urteil ?ber den ,,wirklichen" Zeitverlauf. Dieses Urteil aber basiert bereits auf physikalischen Erkenntnissen, also Zuordnungen, z. B. muss die physikalische Natur der Uhren, etwa ihre Korrektion, bekannt sein. Die Zeitordnung der Wahrnehmungen ist f?r die im Erkenntnisurteil behauptete Zeitordnung irrelevant, sie liefert keinen f?r die Zuordnung brauchbaren Ordnungssinn.
Die Wahrnehmung enth?lt nicht einmal ein hinreichendes Kriterium daf?r, ob ein gegebenes Etwas zur Menge der wirklichen Dinge geh?rt oder nicht. Die Sinnest?uschungen und Halluzinationen beweisen das. Erst ein Erkenntnisurteil, d. i. aber ein Zuordnungsprozess, kann die Entscheidung f?llen, ob die Sinnesempfindung eines Baumes einem wirklichen Baum entspricht, oder nur dem Durstfieber des W?stenwanderers ihr Dasein verdankt. Allerdings liegt in jeder Wahrnehmung, auch in der halluzinierten, ein Hinweis auf etwas Wirkliches -- die Halluzination l?sst auf physiologische Ver?nderungen schliessen -- und wir werden noch anzugeben haben, was diese Eigent?mlichkeit bedeutet. Aber eine ~Definition~ des Wirklichen leistet die Wahrnehmung nicht.
Vergleichen wir diese Tatsache mit dem geschilderten Beispiel einer Zuordnung, so finden wir, da auch die Wahrnehmung keine Definition f?r die Elemente der Obermenge darstellt, dass im Erkenntnisvorgang eine v?llig undefinierte Menge auf der einen Seite vorliegt. So kommt es, dass erst das physikalische Gesetz die Einzeldinge und ihre Ordnung definiert. Die Zuordnung selbst schafft sich erst die eine Reihe der zuzuordnenden Elemente.
Man k?nnte geneigt sein, diese Schwierigkeit mit einem raschen Entschluss aus dem Wege zu r?umen: indem man erkl?rt, dass nur die geordnete der beiden Reihen ,,wirklich" sei, dass die undefinierte andere Seite fingiert, ein hypostasiertes Ding an sich sei. Vielleicht kann man so die Auffassung des ~Berkeley~schen Solipsismus und in gewissem Sinne auch des modernen Positivismus interpretieren. Aber diese Auffassung ist bestimmt falsch. Denn das Merkw?rdige bleibt, dass die definierte Seite ihre Rechtfertigung nicht in sich tr?gt, dass sie sich ihre Struktur von aussen her vorschreiben lassen muss. Trotzdem es sich um eine Zuordnung zu undefinierten Elementen handelt, ist diese Zuordnung nur in einer ganz bestimmten Weise m?glich, keineswegs beliebig; wir nennen das: Bestimmung der Erkenntnisse durch Erfahrung. Und wir konstatieren die Merkw?rdigkeit, dass die definierte Seite die Einzeldinge der undefinierten Seite erst bestimmt, und dass umgekehrt die undefinierte Seite die Ordnung der definierten Seite vorschreibt. ~In dieser Wechselseitigkeit der Zuordnung dr?ckt sich die Existenz des Wirklichen aus~. Es ist ganz gleichg?ltig, ob man dabei von einem Ding an sich spricht, oder ob man ein solches bestreitet. Dass das Wirkliche existiert, bedeutet jene Wechselseitigkeit der Zuordnung; dies ist sein f?r uns begrifflich erfassbarer Sinn, und so verm?gen wir ihn zu formulieren.
Hier erhebt sich die Frage: Worin besteht denn die Auszeichnung der ,,richtigen" Zuordnung? Wodurch unterscheidet sie sich von der ,,unrichtigen"? Nun, dadurch, dass keine Widerspr?che entstehen. Widerspr?che werden aber erst konstatiert durch die experimentelle Beobachtung. Berechnet man etwa aus der ~Einstein~schen Theorie eine Lichtablenkung von 1,7? an der Sonne, und w?rde man an Stelle dessen 10? finden, so ist das ein Widerspruch, und solche Widerspr?che sind es allemal, die ?ber die Geltung einer physikalischen Theorie entscheiden. Nun ist die Zahl 1,7? auf Grund von Gleichungen und Erfahrungen an anderem Material gewonnen; die Zahl 10? aber im Prinzip nicht anders, denn sie wird keineswegs direkt abgelesen, sondern aus Ablesungsdaten mit Hilfe ziemlich komplizierter Theorien ?ber die Messinstrumente konstruiert. Man kann also sagen, dass die eine ?berlegungs- und Erfahrungskette dem Wirklichkeitsereignis die Zahl 1,7 zuordnet, die andere die Zahl 10, und dies ist der Widerspruch. Diejenige Theorie, welche fortw?hrend zu widerspruchsfreien Zuordnungen f?hrt, nennen wir ~wahr~. ~Schlick~ hat deshalb ganz recht, wenn er ~Wahrheit als Eindeutigkeit der Zuordnung definiert~. Immer wenn alle ?berlegungsketten auf dieselbe Zahl f?r dieselbe Sache f?hren, nennen wir eine Theorie wahr. Dies ist unser einziges Kriterium der Wahrheit; es ist dasjenige, was seit der Entdeckung einer exakten Erfahrungswissenschaft durch ~Galilei~ und ~Newton~ und ihrer philosophischen Rechtfertigung durch ~Kant~ als unbedingter Richter gegolten hat. Und wir bemerken, dass hier die Stellung gezeigt ist, die der Wahrnehmung im Erkenntnisprozess zukommt. ~Die Wahrnehmung liefert das Kriterium f?r die Eindeutigkeit der Zuordnung~. Wir hatten vorher gesehen, dass sie nicht imstande ist, die Elemente der Wirklichkeit zu definieren. Aber die Entscheidung ?ber Eindeutigkeit vermag sie immer zu leisten. Darin stehen die sogenannten Sinnest?uschungen nicht hinter der normalen Wahrnehmung zur?ck. Sie sind n?mlich gar keine T?uschung der ~Sinne~, sondern der ~Interpretation~; dass auch in der Halluzination die empfundenen Eindr?cke vorliegen, ist nicht zu bezweifeln, falsch ist nur der Schluss von diesen Eindr?cken auf die ?usseren Ursachen. Wenn ich mit dem Finger auf meinen Augennerv dr?cke, so sehe ich einen Lichtblitz; das ist ein Faktum, und falsch ist nur der Schluss, dass deshalb auch im Zimmer ein Lichtblitz stattgefunden h?tte. W?rde ich die Wahrnehmung mit anderen zusammen ordnen, etwa mit der Beobachtung einer gleichzeitig im Zimmer aufgestellten photographischen Platte, so entsteht ein Widerspruch, wenn ich die Wahrnehmung auf einen Lichtvorgang zur?ckf?hren will, denn ich beobachte auf der Platte keine Schw?rzung. Ordne ich die Wahrnehmung aber in einen anderen Begriffszusammenhang, etwa in den einer physiologischen Theorie, so entsteht ~kein~ Widerspruch, die Wahrnehmung des Lichtblitzes bedeutet vielmehr eine Best?tigung f?r die Annahmen ?ber die Lage des Sehnerven. Man erkennt, dass die sogenannte Sinnest?uschung genau so gut wie jede normale Wahrnehmung ein Kriterium f?r die Eindeutigkeit der Zuordnung, also ein Wahrheitskriterium darstellt. Diese Eigenschaft kommt schlechthin jeder Wahrnehmung zu, und dies ist auch ihre einzige erkenntnistheoretische Bedeutung.
Es muss jedoch beachtet werden, dass der hier benutzte Begriff der Eindeutigkeit durchaus verschieden ist von dem, was wir in den genannten mengentheoretischen Beispielen unter Eindeutigkeit verstanden. Wir nannten dort eine Zuordnung eindeutig, wenn sie jedem Element der einen Menge unabh?ngig von der Art, wie die verlangte Zuordnung ausgef?hrt wird, immer nur ein und dasselbe identische Element der anderen Menge zuordnet. Dazu m?ssen aber die Elemente der anderen Menge ebenfalls definiert sein, es muss sich feststellen lassen, ob das getroffene Element dasselbe ist wie vorher oder nicht. F?r die Wirklichkeit ist das keineswegs m?glich. Das einzige, was wir konstatieren k?nnen, ist, ob zwei aus verschiedenen Messungen abgeleitete Zahlen gleich sind. Ob eine Zuordnung, die dies leistet, immer dieselben Elemente der Wirklichkeit trifft, dar?ber k?nnen wir nichts entscheiden. Diese Frage ist deshalb sinnlos; denn wenn nur die Gleichheit der Messungszahlen durchg?ngig erreicht wird, besitzt die Zuordnung diejenige Eigenschaft, die wir als Wahrheit oder objektive Geltung bezeichnen. Und wir definieren deshalb: ~Eindeutigkeit~ heisst f?r die Erkenntniszuordnung, dass eine physikalische Zustandsgr?sse bei ihrer Bestimmung aus ~verschiedenen Erfahrungsdaten~ durch ~dieselbe Messungszahl~ wiedergegeben wird.
Diese Definition behauptet nicht, dass die Zustandsgr?sse bei Gleichheit aller physikalischen Faktoren an jedem Raumzeitpunkt denselben Wert haben m?sste. Die Annahme, dass die vier Koordinaten in den physikalischen Gleichungen nicht explizit auftreten, ist vielmehr erst eine Behauptung der Kausalit?t. Auch wenn sie nicht erf?llt w?re, w?re immer noch Eindeutigkeit vorhanden; denn Eindeutigkeit besagt nichts ?ber die Wiederholung von Vorg?ngen, sondern fordert nur, dass bei einem einmaligen Vorgang der Wert der Konstanten durch s?mtliche Faktoren, gegebenenfalls einschliesslich der Koordinaten, v?llig bestimmt ist. Diese Bestimmtheit muss allerdings vorhanden sein, denn sonst l?sst sich der Zahlwert der Zustandsgr?sse nicht durch eine ?berlegungs- und Erfahrungskette berechnen. Aber ihren Ausdruck findet diese Bestimmtheit nicht nur in dem Vergleich zweier gleicher Ereignisse an verschiedenen Raumzeitpunkten, sondern ebensogut in der Beziehung ganz verschiedener Ereignisse aufeinander durch die verbindenden Gleichungen.
Die Kausalit?t, die so oft als ein apriores Prinzip der Naturwissenschaft genannt wird, l?sst sich bei genauerer Analyse nicht mehr als ein Prinzip, sondern nur noch als ein Komplex von Prinzipien auffassen, die einzeln bisher nicht scharf formuliert wurden. Eins von diesen scheint mir die Annahme zu sein, dass die Koordinaten in den Gleichungen nicht explizit auftreten, dass also gleiche Ursachen an einem anderen Raumzeitpunkt dieselbe Wirkung haben; ein anderes ist der oben erw?hnte Satz von der Existenz zeitlich nicht umkehrbarer physikalischer Abl?ufe. Andererseits geh?rt auch die Eindeutigkeit der physikalischen Relation in diesen Komplex hinein. Es w?re besser, den Sammelnamen Kausalit?t ?berhaupt auszuschalten und durch die Einzelprinzipien zu ersetzen.
Aber wie ist es m?glich, solche Zuordnung durchg?ngig zu erreichen? Indem man diese Frage aufwirft, stellt man sich auf den Boden der kritischen Philosophie; denn sie bedeutet nichts anderes als die ~Kant~ische Frage: Wie ist Erkenntnis der Natur m?glich? Es wird unsere Aufgabe sein, die Antwort, die ~Kant~ auf diese Frage gab, mit den Resultaten der Relativit?tstheorie zu vergleichen, und zu untersuchen, ob die ~Kant~ische Antwort sich heute noch verteidigen l?sst. Aber wir wollen hier sogleich betonen, dass die Frage auch unabh?ngig von jeder gegebenen Antwort ihren guten Sinn hat, und dass es keine Erkenntnistheorie geben kann, die an ihr vorbeigeht.
Was bedeutet das Wort ,,m?glich" in dieser Frage? Sicherlich soll es nicht bedeuten, dass der Einzelmensch eine solche Zuordnung zustande bringt. Denn das kann er gewiss nicht, und man darf den Erkenntnisbegriff nicht so definieren, dass er von der geistigen Potenz eines beliebigen Durchschnittsmenschen abh?ngt. M?glich ist hier nicht psycho-physisch gemeint, sondern logisch: es bedeutet die Frage nach den logischen Bedingungen der Zuordnung. Wir haben an unserem Beispiel gesehen, dass Bedingungen da sein m?ssen, die die Zuordnung erst bestimmen; es sind Prinzipien allgemeiner Art, etwa ?ber den Ordnungssinn, ?ber metrische Verh?ltnisse usw. Analoge Prinzipien m?ssen auch f?r die Erkenntniszuordnung existieren; sie m?ssen nur die eine Eigenschaft besitzen, dass die durch sie definierte Zuordnung eindeutig im Sinne unseres Kriteriums wird. Darum d?rfen wir der kritischen Frage diese Form geben: ~Mit welchen Prinzipien wird die Zuordnung von Gleichungen zur Wirklichkeit eindeutig?
~Ehe wir auf die Beantwortung dieser Frage eingehen, m?ssen wir die erkenntnistheoretische Stellung der Zuordnungsprinzipien charakterisieren. Denn sie bedeuten nichts anderes als die synthetischen Urteile apriori ~Kants~.
Der Begriff des Apriori hat bei ~Kant~ zwei verschiedene Bedeutungen. Einmal heisst er soviel wie ,,apodiktisch g?ltig", ,,f?r alle Zeiten g?ltig", und zweitens bedeutet er ,,den Gegenstandsbegriff konstituierend".
Wir m?ssen die zweite Bedeutung noch n?her erl?utern. Der Gegenstand der Erkenntnis, das Ding der Erscheinung, ist nach ~Kant~ nicht unmittelbar gegeben. Die Wahrnehmung gibt nicht den Gegenstand, sondern nur den Stoff, aus dem er geformt wird; diese Formung wird durch den Urteilsakt vollzogen. Das Urteil ist die Synthesis, die das Mannigfaltige der Wahrnehmung zum Objekt zusammenfasst. Dazu muss im Urteil eine Einordnung in ein bestimmtes Schema vollzogen werden; je nach der Wahl des Schemas entsteht ein Ding oder ein bestimmter Typus von Relation. Die Anschauung ist die Form, in der die Wahrnehmung den Stoff darbietet, also gleichfalls ein synthetisches Moment. Aber erst das begriffliche Schema, die Kategorie, schafft das Objekt; der Gegenstand der Wissenschaft ist also nicht ein ,,Ding an sich", sondern ein durch Kategorien konstituiertes, auf Anschauung basiertes Bezugsgebilde.
Unsere vorangegangenen ?berlegungen k?nnen den Grundgedanken dieser Theorie nur best?tigen. Wir sahen, dass die Wahrnehmung das Wirkliche nicht definiert, dass erst die Zuordnung zu mathematischen Begriffen das Element der Wirklichkeit, den wirklichen Gegenstand, bestimmt. Wir sahen auch, dass es gewisse Prinzipien der Zuordnung geben muss, weil sonst die Zuordnung nicht definiert ist. In der Tat m?ssen diese Prinzipien derart sein, dass sie bestimmen, wie die zugeordneten Begriffe sich zu Gebilden und Abl?ufen zusammenf?gen; sie definieren also erst das wirkliche Ding und das wirkliche Geschehen. Wir d?rfen sie als konstitutive Prinzipien der Erfahrung bezeichnen. ~Kant~ nennt als solche Schemata Raum, Zeit und die Kategorien; wir werden zu untersuchen haben, ob dies die geeigneten Nebenbedingungen f?r die eindeutige Zuordnung sind.
Die zweite Bedeutung des Apriori-Begriffs ist jedenfalls die wichtigere. Denn sie verleiht diesem Begriff die zentrale Stellung, die er seit ~Kant~ in der Erkenntnistheorie inne hat. Es war die grosse Entdeckung ~Kants~, dass der Gegenstand der Erkenntnis nicht schlechthin gegeben, sondern konstruiert ist, dass er begriffliche Elemente enth?lt, die in der reinen Wahrnehmung nicht enthalten sind. Zwar ist dieser konstruierte Bezugspunkt nicht eine blosse Fiktion, denn sonst k?nnte seine Struktur nicht in so enger Form von aussen, durch die wiederholte Wahrnehmung, vorgeschrieben werden; darum bezieht ~Kant~ ihn auf ein Ding an sich, das selbst nicht erkennbar doch darin zutage tritt, dass es das leere Schema der Kategorien mit positivem Inhalt f?llt.
Das ist nat?rlich alles sehr bildhaft gesprochen, und wir m?ssen, wollen wir g?ltige Resultate finden, zu exakteren Formulierungen zur?ckkehren; aber es ist nicht unzweckm?ssig, sich die ~Kant~ische Lehre in mehr anschaulicher Form zu vergegenw?rtigen, weil man damit zu einer raschen ?bersicht ihrer wesentlichen Gedanken kommt. Zum Teil liegt es auch darin begr?ndet, dass die ~Kant~ischen Begriffsbildungen einer mehr von grammatischer als von mathematischer Pr?zision durchtr?nkten Zeit angeh?ren, und daher nur der formale Aufbau dieser Begriffe, nicht ihr sachlicher Kern, sprachlich fassbar ist. Vielleicht wird einmal eine sp?tere Zeit auch unsere Begriffe bildhaft nennen.
Die zugeordneten Kategorien sind nat?rlich nicht in dem Sinne Bestandteile des Gegenstands wie seine materiellen Teile. Der wirkliche Gegenstand ist das Ding, wie es vor uns steht; es hat keinen Sinn, dieses Sein noch n?her definieren zu wollen, denn was ,,wirklich" bedeutet, kann nur erlebt werden, und alle Versuche der Schilderung bleiben Analogien oder sind Darstellungen f?r den ~begrifflichen Ausdruck~ dieses Erlebnisses. Die Wirklichkeit der Dinge ist zu trennen von der Wirklichkeit der Begriffe, die, insofern man sie real nennen will, nur psychologische Existenz haben. Aber es bleibt eine eigent?mliche Relation zwischen dem wirklichen Ding und dem Begriff, weil erst durch die Zuordnung des Begriffs definiert wird, was in dem ,,Kontinuum" der Wirklichkeit ein Einzelding ist, und weil auch erst der begriffliche Zusammenhang auf Grund von Wahrnehmungen entscheidet, ob ein gedachtes Einzelding ,,in Wirklichkeit da ist".
Wir haben gesehen, dass die Definiertheit der Elemente auf der einen Seite der Erkenntniszuordnung fehlt; und darum kann es f?r die Erkenntnis keine Zuordnungsprinzipien der ersten Art geben, sondern nur solche, die sich auf die begriffliche Seite der Zuordnung beziehen und daher mit gleichem Recht Ordnungsprinzipien heissen k?nnen. Dass es m?glich ist, allein mit der zweiten Art von Zuordnungsprinzipien auszukommen, ist eine grosse Merkw?rdigkeit, und ich w?sste gar keine andern solchen F?lle neben dem Erkenntnisph?nomen zu nennen. Aber sie ist nicht merkw?rdiger als die Tatsache des Wirklichkeitserlebnisses ?berhaupt, und h?ngt damit zusammen, dass Eindeutigkeit f?r diese Zuordnung etwas anderes bedeutet als eine Beziehung auf ,,dasselbe" Element der Wirklichkeitsseite, dass sie durch ein von der Zuordnung unabh?ngiges Kriterium, die Wahrnehmung, konstatiert wird. Gerade deshalb haben die Zuordnungsprinzipien f?r den Erkenntnisprozess eine viel tiefere Bedeutung als f?r jede andere Zuordnung. Denn indem sie die Zuordnung bestimmen, werden durch sie erst die Einzelelemente der Wirklichkeit definiert, und in diesem Sinne sind sie ~konstitutiv~ f?r den wirklichen Gegenstand; in ~Kants~ Worten: ,,weil nur vermittelst ihrer ?berhaupt irgendein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann".
Obgleich die Zuordnung der Erkenntnis nur erlebnism?ssig vollzogen und nicht durch begriffliche Relationen hinreichend charakterisiert werden kann, ist sie doch an die Anwendung jener Zuordnungsprinzipien in eigent?mlicher Weise gebunden. Wenn wir z. B. ein bestimmtes mathematisches Symbol einer physikalischen Kraft zuordnen, so m?ssen wir, um die Kraft als Gegenstand denken zu k?nnen, ihr die Eigenschaften des mathematischen Vektors zuschreiben; hier sind also die auf Vektoroperationen bez?glichen Axiome der Arithmetik konstitutive Prinzipien, Kategorien eines physikalischen Begriffs. Wenn wir von der Bahn eines Elektrons reden, so m?ssen wir das Elektron als sich selbst identisch bleibendes Ding denken, also das Genidentit?tsprinzip als konstitutive Kategorie benutzen. Dieser Zusammenhang der begrifflichen Kategorie mit dem Zuordnungserlebnis bleibt als letzter, nicht analysierbarer Rest bestehen. Aber er grenzt deutlich eine Klasse von Prinzipien dadurch ab, dass er sie, die als begriffliche Formeln nur f?r die begriffliche Seite der Zuordnung gelten k?nnen, als Formen der Erkenntnis den allgemeinsten Verkn?pfungsgesetzen noch voranstellt. Und diese Prinzipien sind deshalb von so tiefer Bedeutung, weil sie das sonst v?llig undefinierte Problem der Erkenntniszuordnung erst zu einem definierten machen.
Daran liegt es auch, dass uns die S?tze vom Parallelogramm der Kr?fte so selbstverst?ndlich vorkommen und wir ihren empirischen Charakter gar nicht sehen. Sie sind auch selbstverst?ndlich, wenn die Kraft ein Vektor ist, aber das ist gerade das Problem.
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