Read Ebook: Erinnerungen einer Überflüssigen by Christ Lena
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Ebook has 1186 lines and 72051 words, and 24 pages
Jetzt wurde ich wild, stiess den Grossvater mit F?ssen, schopfte ihn bei den Haaren und schrie: >>Jatz werd's ma z' dumm! Jatz lass d' mei Grossmuatta steh, sunst steh i auf und laaf furt und geh zu der M?nkara Muatta; da is scheena, da werd net g'strittn und g'greint!<<
Darauf musste sich die Grossmutter in die Mitte legen und ich legte mich hinaus. Der Grossvater aber lachte: >>Geh, schlaf, du Nachtei!<<
Am andern Tag in der Fr?h fragte ich gleich die Grossmutter: >>Is er dir wieda guat, der Vata?<<
>>Ja,<< erwiderte sie, >>mir san scho guat.<<
Aber beim Beten weinte sie wieder wie den Tag zuvor, und so ging es noch drei oder vier Tage fort.
Die Kuh aber hat der Grossvater an den Huberwirt verkauft und daf?r vom Schneider zu Balkham eine wundersch?ne, tr?chtige heimgebracht.
Damit war der Streit geschlichtet und ich brauchte nicht mehr zu der M?nkara Muatta, das heisst zu meiner Mutter in M?nchen, zu gehen, die ich ?brigens noch nie gesehen hatte und von der ich nur hatte reden h?ren. Zu dieser Zeit aber kam ein Brief an meine Grossmutter, darin die Mutter schrieb, dass sie bald kommen w?rde, uns zu besuchen.
Da sagte mein Grossvater zu mir: >>Dirnei, jatz muasst brav sei, d' M?nkara Muatta kimmt; d? bringt dir ebbas Scheens mit. Bal' s' kimmt, na derfst es von der Bahn abholn.<<
Ich glaubte nat?rlich, meine M?nkara Muatta k?me schon am selben Tag, an dem der Brief gekommen war; schlich mich also barfuss und ohne Hut oder T?chl gegen die Sonnenhitze, es war im Sp?tsommer, fort und lief, so schnell ich konnte, ?ber die Br?cke den Berg hinauf durch Felder und Wiesen ?ber Schloss Zinneberg und Westerndorf nach der Waldstrasse, die gen Grafing f?hrt. Dies war am Nachmittag nach der Vesperzeit. Ich lief durch den Wald, der anfangs ganz licht ist, bald aber dicht, finster und unheimlich wird, bis an eine Stelle, wo ein Feldkreuz mit einem Bild des Fegfeuers und daneben ein Marterl steht als Wahrzeichen, dass hier ein Bauer erschlagen aufgefunden wurde. Da f?rchtete ich mich so sehr, dass ich kaum mehr zu atmen, noch mich vom Fleck zu r?hren vermochte.
Derweilen kamen zwei Radfahrer, die mich nach dem k?rzesten Weg nach Grafing fragten. Da l?ste sich meine Angst und indem ich rief: >>Oes derfts grad dera Strassn nachfahrn!<< st?rmte ich schon an den Herren, die von ihren R?dern abgestiegen waren, vorbei und lief, so rasch mich meine F?sse trugen, bis nach Moosach, dem n?chsten gr?sseren Dorfe. Dort bat ich eine B?uerin um einen Trunk Wasser. Freundlich gab sie mir einen Weidling voll Milch und eine Schmalznudel dazu und fragte mich: >>Wo kimmst denn her, Dirndei, und wo gehst denn hin?<<
>>I geh auf Grafing und geh meiner M?nkara Muatta z'gegn.<<
Sie mahnte noch: >>Gel, tua di fei net volaafa, Kind!<< und begleitete mich bis unter die Haust?r. Mit einem lauten: >>Gelt's Gott!<< und >>Pf?at Gott, B?uerin!<< lief ich wieder weiter, die Strasse ?ber Waldbach, Baumhau, den grossen Untersumpf entlang nach Grafing.
Schweisstriefend und keuchend kam ich ungef?hr um sieben Uhr abends dort am Bahnhof an und fragte einen Bediensteten: >>Bitt sch?n, wisst's ?s net, wenn dass der Zug vo' M?nka kimmt?<<
Der aber meinte, vor acht Uhr k?me keiner mehr; denn der letzte sei um f?nf Uhr schon gekommen.
Ich glaubte es ihm nicht und fragte einen andern: >>Habt's ?s mei M?nkara Muatta net kemma sehgn?<<
Da fing der Mann an zu schelten und ich stand traurig da und wusste nicht, was anfangen. In diesem Augenblick kam ein Zug. Ich st?rmte ?ber den Bahnsteig und lief sofort auf eine vornehm gekleidete Frau zu, die grad ausgestiegen war und fragte sie: >>Bist du mei M?nkara Muatta?<<
Sie aber gab mir keine Antwort. Inzwischen h?rte ich rufen: >>Personenzug ?ber Kirchseeon, Haar, Trudering nach M?nchen!<< Da wurde es mir klar, dass es der Zug von Rosenheim war. Ich setzte mich also auf eine Bank und wartete, bis der Achtuhrzug aus M?nchen kam. Da stiegen aber nur einige M?nner aus und ich musste mich wieder auf den Heimweg machen, da es schon ziemlich dunkel geworden war.
Ich fing nun wieder an zu laufen, zur?ck durch den Wald und den Sumpf.
Inzwischen war es fast Nacht geworden und ich sah pl?tzlich, dass ich mich verirrt hatte.
Nach einem langen Umweg kam ich ?ber Bruck nach Wildenholzen. Es ist das ein kleines, wundernettes ?rtlein am Fuss eines sch?nen, bewaldeten Bergabhanges.
Ganz ersch?pft bat ich in dem Wirtshaus, das am Berge stand, ob ich nicht rasten d?rfe und wie weit ich wohl noch h?tte bis zu meinem Grossvater.
>>Ja mei, Dirndei, da kimmst heunt nimma hin! Da is gescheita, wennst bei ins da bleibst; morgen fruah fahrst na mit an Bauern hoam. Aba jatz kimm eina, na kriagst was z'essn.<<
Ich konnte vor M?digkeit und Seitenstechen kaum etwas essen und auch nur schlecht schlafen. Schreckliche Tr?ume verfolgten mich und ich meinte in den Sumpf geraten zu sein und versinken zu m?ssen.
Am Morgen gab die Frau Wirtin mir noch einen Kaffee und dann setzte mich der Bauer, der nach unserm Dorf fuhr, auf den Wagen.
In Westerndorf stieg ich ab, bedankte mich und ging zu meiner Nanni. Dies war die Schwester meiner Mutter, eine wohlhabende B?uerin, die auch einen grossen Obstgarten hatte. Man nannte sie die Maurerin von Westerndorf, weil der Schwiegervater ein Maurer gewesen war und die Hausnamen fast immer vom Handwerk des Besitzers hergeleitet werden.
Die Nanni f?hrte mich dann auf meine Bitten hin zu meinen Grosseltern. Diese hatten mich die ganze Nacht in ?ngsten gesucht und beweinten mich schon als tot. Aber kein Wort des Vorwurfs kam aus ihrem Munde.
>>Weilst nur grad da bist, Lenei, arms Nachtei, dumms!<<
Ohne einen Laut fiel ich dem Grossvater in die Arme. Da sah man erst, dass ich ganz heiss und voll Fieber war. Ich bekam Lungenentz?ndung, von der ich noch nicht genesen war, als etliche Wochen sp?ter meine Mutter wirklich kam.
Da trat eine grosse Frau in die niedere Stube in einem schwarz und weiss karierten Kleide ?ber einem ungeheuern Cul de Paris. Auf dem Kopf trug sie einen weissen Strohhut mit schwarzen Schleifen und einem hohen Strauss von Margeriten. Sie stand da, sah mich kaum an, gab mir auch keine Hand und sagte nur: >>Bist auch da!<<
Als sie am n?chsten Tag wieder fortgefahren war, fragte mich der Grossvater: >>No, Dirnei, magst nachha eini zu der M?nkara Muatta in d' Stadt?<<
Da umhalste ich ihn, sch?ttelte den Kopf und sagte schnell: >>Naa, naa!<<
So durfte ich denn noch beim Grossvater bleiben und wie zuvor mit ihm gehen, wenn er irgendwo zu arbeiten hatte.
In diesem Herbst war es nun, dass wir einmal zum Ausweissen gingen. Und als der Grossvater bei der Arbeit war, schickte er mich wieder heim. Mein Weg f?hrte mich am Obstgarten des Herrn Pfarrers vorbei, darinnen ich schon auf dem Hinweg einen grossen Apfel hatte liegen sehen. Als ich jetzt wieder vor?berkam, suchte ich nach einer Zaunl?cke, schlupfte hindurch und kroch auf allen Vieren durchs Gras und holte mir den Apfel. Da ich noch einen zweiten liegen sah, ass ich diesen sogleich und nahm den sch?neren mit heim, um meiner Grossmutter eine Freude zu machen.
>>Grossmuatterl, da schaug her,<< rief ich, >>i hab dir was mitbracht; an sch?n'n Apfel vom Herrn Pfarrer!<<
Da hatte die Grossmutter eine rechte Freude; denn sie meinte, der Herr Pfarrer habe ihn mir geschenkt.
>>Bist halt mei bravs Lenei; vergunnst deiner Grossmuatta aa ebbas.<<
Unter diesen Worten sch?lte sie den Apfel und schabte ihn; denn sie hatte fast keinen Zahn mehr im Munde.
>>Ah, der is aba guat! H?ttst'n net liaba selba gessn, Dirnei?<<
>>A naa, Grossmuatta, i hab ja scho oan g'habt.<<
Ein paar Stunden sp?ter sah ich den Herrn Pfarrer daherkommen. Da r?hrte sich mein schlechtes Gewissen, und ich hab mich hinter die Stiege verschloffen. Inzwischen war meine Grossmutter in den Hausgang oder Fl?z hinausgegangen, und jetzt seh ich, wie der Herr Pfarrer richtig zu ihr hereingeht und sagt: >>Liebe Handschusterin, leider hab ich sehen m?ssen, dass Ihr Enkelkind, das Lenei, ein paar ?pfel in meinem Garten aufhob und damit davonlief. H?rt, Handschusterin: es ist mir nicht um die paar ?pfel; aber die Begierde h?tte das Kind bez?hmen sollen. H?tte das Lenei mich gebeten, ich h?tt' ihr mit Freuden etliche geschenkt.<<
Nach diesen Worten trat der Herr Pfarrer ins Zimmer und unterhielt sich noch l?ngere Zeit mit der Grossmutter. Ich aber lief, was ich laufen konnte, nach Westerndorf zu meiner Nanni. Ich wollte auch zur Nacht nicht mehr heim, weil ich Strafe f?rchtete; doch hat mich die Nanni schliesslich ?berredet und heimgebracht. Ich h?tte aber nicht so viel Angst zu haben brauchen; denn der Grossvater hat mich verstanden. Und als die Grossmutter anfangen wollte zu schimpfen, fiel er ihr ins Wort: >>Stad bist ma! Nix sagst ma ?bers Kind; hat's dir 'n vielleicht net bracht? I sags allweil, 's Lenei hat a guats Herz!<<
Da musste die Mutter still sein. Sp?ter einmal traf mich der Herr Pfarrer und sagte: >>Liebes Kind, ich h?tte dir ganz gerne einen Apfel geschenkt, wenn du mich darum gebeten h?ttest. Aber selbst aufheben durftest du dir keinen; denn das nennt man Stehlen.<<
Neben der Arbeit im Haus, Garten und Stall hat die Grossmutter Mieder gen?ht und war weit und breit wegen ihrer Geschicklichkeit darin ber?hmt und gesucht.
Nun kam da zwei- oder dreimal im Jahr ein Mann aus Schwaben, der zog von Dorf zu Dorf mit seiner Kirm auf dem R?cken und gab f?r Haderlumpen den Leuten N?hnadeln, Steckklufen, Fingerh?te, Massbandln und den Kindern Fingerringe. Meiner Grossmutter aber gab er f?r die alten Flicken und die Abf?lle von den Miedern neue Miederhaken und Schlingen, die er Moidala und Schloipfala nannte. Einmal waren ihm nun die Miederhaken ausgegangen, und als ihn die Grossmutter fragte: >>Hast heunt gar koani Miadein?<< sprach er: >>Noi, gar koine Moidala geits mehr; lauta Schloipfala kannscht mehr haba.<< Damit wollte er zugleich sagen, dass es jetzt gar keine braven M?deln mehr in den D?rfern gebe und die meisten sogenannte Schloapfen, das will sagen leichtfertige Wesen seien, die auf jedem Tanzboden herumschleifen und die jeder leicht haben kann.
Zu all dieser Arbeit zog die Grossmutter, wie ich schon sagte, Kostkinder auf, welche die Gemeinde ihr wegen ihrer Gewissenhaftigkeit und Sauberkeit ?bergab. Es waren dies Kinder von Bauerndirnen, von ledigen Gemeindeangeh?rigen, die wer weiss wo weilten und ihre Kinder der Gemeinde aufb?rdeten; aber auch Kinder von Gauklern, die diese einfach den Leuten vor die T?r legten.
So war es auch einmal um die Weihnachtszeit. Draussen lag tiefer Schnee, und wir sassen in der Wohnstube beisammen und jedes hatte seine Besch?ftigung: der Grossvater band einen Besen, die Grossmutter spann und der Hausl baute mir ein Haus aus grossen Holzscheiten. Da klopft es mit einem Male ans Fenster. Erschreckt schreit die Grossmutter auf; der Grossvater aber geht hinaus, zu sehen, wer so sp?t noch Einlass begehrt. Er sperrt auf und tritt vor die T?r; im gleichen Augenblick aber h?ren wir ihn rufen: >>Heiliges Kreuz! a Kind!<<, und herein bringt er ein kleines B?ndel und legt's auf den Tisch. Die Grossmutter springt auf und wickelt es aus. Da liegen zwei kleinwinzige Wesen vor ihr, und wie sie das eine nehmen will, kann sie es nicht heben, weil das andere auch mit in die H?he geht. Als sie dann die Windeln aufmachte, sahen wir erst, dass die Kinder zusammengewachsen waren. Aussen am B?ndel war ein Papier befestigt; darin lagen die Taufscheine der Zwillinge und ein Brief des Inhalts, dass eine Seilt?nzerin die Kinder geboren und bei der Geburt gestorben sei. Man habe von der Handschusterin geh?rt und bitte nun um Gottes willen um Aufnahme f?r die Kinder; die Gemeinde w?rde schon zahlen. Da sagte die Grossmutter: >>Um Gottes willen is aa was; auf die Mautschein geht's aa nimmer z'samm!<<
Und so behielt sie die armen Waislein. Als sie aber gr?sser wurden und sitzen lernen sollten, fand man, dass die gew?hnlichen St?hlchen zu klein, eine Bank aber nicht f?r sie geeignet war; denn das Ges?ss, mit dem sie seitlich zusammengewachsen waren, war nicht breiter als das eines Kindes; von den H?ften aufw?rts aber nahmen sie den Raum von zweien ein. Also verfertigte ihnen der Grossvater ein eigenes St?hlchen, sowie ein B?nklein mit einer runden Lehne, in das er zwei L?cher schnitt, das B?nklein polsterte und die L?cher mit Deckeln versah. Darunter stellte dann die Grossmutter bei Bedarf zwei Nachth?flein. Auch alle Kleidungs- und W?schest?cke musste sie eigens machen und das S?pplein gab sie ihnen nicht aus der gebr?uchlichen Saugflasche, sondern nahm ein grosses Glas und liess einen zinnernen Deckel mit zwei L?chlein machen, durch die sie zwei lange Gummischl?uchlein zog. Daran befestigte sie dann die Sauger.
Als die M?dchen zwei Jahr alt waren, erkrankte eines von ihnen an Diphtherie, w?hrend das andere seltsamerweise ganz gesund blieb.
Sieben Jahre hatten meine Grosseltern diese Zwillinge bei sich, bis sie von der Gemeinde an den Besitzer einer Schaubude abgegeben wurden, der sie auf vielen Jahrm?rkten herumzeigte.
Doch nicht immer waren es Kinder solch armer oder heimatloser Leute; mitunter wurde auch eins von besserem Stand uns vor die T?r gelegt.
So war eine reiche Dame in Rosenheim, die lange Zeit gl?cklich mit ihrem Manne, einem Doktor, gelebt hatte. Da ward sein Geist umnachtet und er vertat in kurzer Zeit all sein Gut. Zuletzt sperrte man ihn in ein Irrenhaus und wies die ungl?ckliche Frau, die ihrer schweren Stunde entgegensah, von Haus und Hof. Dies brachte die ?rmste gleichfalls um den Verstand, und sie lief eines Nachts von Rosenheim fort und kam bis nach Ebersberg. Dort brachte sie in einem Schuppen das Kind, ein M?dchen, zur Welt. Sie hatte nichts, worein sie es wickeln konnte, und so zog sie ihren Rock aus, bettete das W?rmlein hinein und band es mit ihren Str?mpfen zusammen. In der Nacht machte sie sich wieder auf den Weg und lief, nun barfuss und nur halb bekleidet, bei bitterer K?lte, denn es war im Januar, fort bis in unser Dorf. Vor dem Haus des B?rgermeisters brach sie tot zusammen, und man brachte das Kindlein meiner Grossmutter, die das erstarrte, halbtote Wesen wieder zum Leben brachte und aufzog.
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