Read Ebook: Deutschland und Armenien 1914-1918: Sammlung diplomatischer Aktenstücke by Lepsius Johannes Editor
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Ebook has 5344 lines and 249822 words, and 107 pages
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Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der 1919 erschienenen Buchausgabe so weit wie m?glich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die in diesem Buch wiedergegebenen Dokumente wurden von einer Vielzahl verschiedener Autoren verfasst; dementsprechend weicht die Schreibweise einzelner Begriffe, vornehmlich Personen- und Ortsnamen, teilweise stark voneinander ab. Die Schreibweisen wurden innerhalb eines Dokuments nach M?glichkeit harmonisiert, ansonsten aber so belassen wie im Original. Fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert, sofern die Verst?ndlichkeit des Texts nicht beeintr?chtigt wird. Ungew?hnliche Wortformen, insbesondere bei ,eingedeutschten' W?rtern, wurden beibehalten.
Ein ?bertrag in der Tabelle auf S. 297 beruht auf einer Unterbrechung, die dem zweispaltigem Layout im Original zugrunde liegt. In der vorliegende Ausgabe f?llt diese Unterbrechung aber weg, so dass die Zeile, die urspr?nglich den ?bertrag enthielt, nun als ?berfl?ssig entfernt wurde. In den Registern der Personen- und Ortsnamen wurde in der gedruckten Fassung nicht zwischen den Namen mit den Anfangsbuchstaben ,I' und ,J' unterschieden. Aus Gr?nden der ?bersichtlichkeit wurden diese Namen in der vorliegenden elektronischen Fassung getrennt aufgef?hrt.
Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:
Das Caret-Zeichen steht f?r einen nachfolgenden hochgestellten Buchstaben.
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Deutschland und Armenien
DEUTSCHLAND UND ARMENIEN 1914-1918
SAMMLUNG DIPLOMATISCHER AKTENST?CKE
HERAUSGEGEBEN UND EINGELEITET
VON
~Dr. JOHANNES LEPSIUS
DER TEMPELVERLAG IN POTSDAM
Alle Rechte, insbesondere das der ?bersetzung, vorbehalten.
Copyright by Tempelverlag zu Potsdam 1919.
Vorwort.
Als ich Ende November vorigen Jahres nach zweieinhalbj?hrigem Aufenthalt in Holland aus dem Haag nach Berlin zur?ckkehrte, suchte ich am 1. Dezember den Staatssekret?r Herrn Dr. Solf im Ausw?rtigen Amt auf. Ich bat ihn, mir Einblick zu geben in die Akten des Ausw?rtigen Amtes, die ?ber die Armenische Frage und ihre Behandlung seitens der deutschen Regierung w?hrend der Kriegsjahre Aufschluss geben.
Der Anlass meiner Bitte war der folgende. Auf Grund von Quellen, die mir im Sommer 1915 auf einer Reise nach Konstantinopel durch pers?nliche Beziehungen zug?nglich geworden waren, hatte ich im Jahre 1916 einen ,,Bericht ?ber die Lage des armenischen Volkes in der T?rkei" herausgegeben. Eine Verbreitung durch den Buchhandel oder auch nur eine Verwertung der Tatsachen, die er enth?llte, in der Presse war damals nicht m?glich. Die Zensur h?tte das Buch beschlagnahmt; der Presse war durch offizielle Instruktionen Schweigepflicht ?ber die Armeniergreuel auferlegt. Ich konnte daher meinen ,,Bericht" nur vertraulich versenden. Die Zensur ist erst auf ihn aufmerksam geworden, nachdem 20000 Exemplare in Deutschland verbreitet worden waren. Die weitere Drucklegung und Verbreitung wurde verboten. Seit der Revolution stand dem Neudruck und dem Vertrieb durch den Buchhandel nichts mehr im Wege. F?r die Neuausgabe lag mir zweierlei am Herzen, erstens mein damaliges Quellenmaterial an den mir bis dahin unzug?nglichen deutschen Botschafts- und Konsularberichten nachzupr?fen und zweitens mir ein Urteil zu bilden ?ber die Stellungnahme der deutschen Diplomatie gegen?ber den Vorg?ngen in der T?rkei.
Herr Dr. Solf erkl?rte sich sogleich bereit, mir den gew?nschten Einblick in die Akten zu gew?hren und erteilte mir die Erlaubnis, davon f?r meine Publikation Gebrauch zu machen. Er erw?hnte dabei, dass das Amt selbst die Absicht habe, ein Weissbuch ?ber die Armenische Frage herauszugeben.
Am n?chsten Tage unterzog ich die Akten einer fl?chtigen Durchsicht und ?berzeugte mich, dass eine Verwertung einzelner Aktenst?cke nicht ausreichen w?rde, um die Haltung Deutschlands gegen?ber den Vorg?ngen in der T?rkei klarzustellen, sondern dass es dazu einer umfangreichen Publikation bed?rfe. Noch am gleichen Tage liess mir Herr Dr. Solf sagen, dass er von der Ver?ffentlichung eines Weissbuches absehen w?rde, wenn ich selbst die Aufgabe ?bernehmen w?rde, die Haltung Deutschlands in der Armenischen Frage auf Grund des Aktenmaterials klarzustellen. Ich nahm das Anerbieten an unter der Bedingung, 1. dass mir das Aktenmaterial des Ausw?rtigen Amtes und der Botschaft vollst?ndig zug?nglich gemacht w?rde, 2. dass die Auswahl der Aktenst?cke f?r die Ver?ffentlichung ausschliesslich meinem Ermessen ?berlassen bliebe und 3. dass die Publikation nicht im Auftrage des Amtes erfolge, sondern von mir pers?nlich im Buchhandel herausgegeben w?rde.
Ich lege Wert darauf, festzustellen, dass diese Bedingungen eingehalten wurden. ~F?r die hier ver?ffentlichte Auswahl von Aktenst?cken und f?r die Zuverl?ssigkeit des Bildes, das sie von der Haltung der deutschen Regierung in der Behandlung der armenischen Frage geben, ruht die Verantwortung allein auf mir.~ Um jedem Verdacht die Grundlage zu entziehen, als ob Aktenst?cke, die die deutsche Regierung, die Botschafter und die Konsuln, oder deutsche Offiziere, Beamte und Privatpersonen in irgend einer Hinsicht belasten, von mir unterdr?ckt sein k?nnten, habe ich eine so vollst?ndige Auswahl aus der diplomatischen Korrespondenz -- die nat?rlich noch zahllose, f?r die Sache selbst g?nzlich belanglose bureaukratische Materien umfasst -- getroffen, dass die innere Kontinuit?t des Schriftwechsels f?r ihre sachliche Vollst?ndigkeit b?rgt. Eine Anzahl von detaillierten Berichten ?ber Vorg?nge bei den Deportationen und Zust?nde in den Konzentrationslagern, die der Botschaft von verschiedenen Seiten zugingen und zum Teil schon in meinem ,,Bericht" ben?tzt waren, habe ich, um die ohnehin schon umfangreiche Publikation nicht zu sehr zu belasten, vorl?ufig ausgeschieden, um sie sp?ter zu publizieren. Ich habe aber darauf gesehen, dass alle wesentlichen Vorf?lle, die zur amtlichen Kenntnis gelangt sind, zur Sprache kommen, so dass auch das Bild der Tatsachen, soweit es im Sichtbereich der Konsuln lag, auf Vollst?ndigkeit Anspruch macht.
Die Berichte der deutschen Konsulate in Anatolien, Syrien und Mesopotamien -- Trapezunt, Erzerum, Samsun, Adana, Alexandrette, Aleppo, Damaskus, Mossul -- legen Zeugnis davon ab, dass die Konsuln alle wichtigen kontrollierbaren Vorg?nge ihres Amtsbezirks fortlaufend, eingehend und gewissenhaft, mit Sachkenntnis und gesundem, politischem und sittlichem Urteil an die deutsche Botschaft bzw. den Reichskanzler berichtet haben. Die Berichterstattung versagt nur f?r diejenigen Distrikte, die ausserhalb ihrer Sehweite lagen oder durch die russische Okkupation ihrem Blick entzogen waren. Es fehlen daher n?here Berichte ?ber die Vorg?nge in Suedije, Bitlis-Musch und Wan, die ich aus anderen Quellen im Anhang beigef?gt habe, um ein zutreffendes Urteil ?ber die der Deportation vorhergehenden Ereignisse zu erm?glichen. Ohne Kenntnis dieser Vorg?nge kann die Grundfrage, ob die Deportation des gesamten armenischen Volkes durch milit?rische Notwendigkeiten begr?ndet war, nicht beantwortet werden. Der vierte Bericht des Anhangs soll eine Vorstellung von den Konzentrationslagern am Rand der W?ste geben. Der letzte ist der erste zensurfreie Bericht ?ber das deutsche Hilfswerk.
Ich habe es nicht f?r meine Aufgabe gehalten, nach irgend einer Seite hin die Rolle des Ankl?gers, Verteidigers oder Richters zu ?bernehmen. Ich glaubte der Wahrheit am besten zu dienen, wenn ich mich darauf beschr?nkte, das Aktenmaterial selbst sprechen zu lassen, aus dem sich jedermann ein Urteil ?ber die Tatsachen und die Schuldfrage bilden kann. Auch die Einleitung, die ich vorausschicke, soll nichts mehr sein als ein Leitfaden durch die Aktenst?cke, der in die wichtigsten Themata des weitschichtigen Materials einf?hrt.
Potsdam, Ostern 1919.
Dr. ~Johannes Lepsius~.
Inhalt.
Vorwort S. V
Aktenst?cke 1913 S. 3 ,, 1914 S. 9 ,, 1915 S. 27 ,, 1916 S. 221 ,, 1917 S. 311 ,, 1918 S. 365 Anhang S. 455 Der ausw?rtige Dienst 1914-1918 S. 503 Aktenregister S. 511 Namenregister S. 520 Ortsregister S. 530 Sachregister S. 536
Einleitung.
Die Geschichte der Deportation des armenischen Volkes in der T?rkei durchl?uft die folgenden Perioden:
~Die cilicischen Ereignisse nahmen ihren Ausgang von ~Zeitun~, einem Bergnest in den Hocht?lern des Taurus, das in der Luftlinie 120 Kilometer von der K?ste entfernt liegt. Die Armenier von Zeitun und den umliegenden D?rfern erfreuten sich noch bis in die 70er Jahre einer Unabh?ngigkeit gleich der der tributpflichtigen sesshaften Kurden. Zur Zeit der Abdul Hamidschen Armeniermassakers 1895/96, denen 80-100000 Armenier zum Opfer fielen, hatte sich Zeitun in Verteidigungszustand gesetzt und durch die Intervention der M?chte Amnestie erlangt. Wer fremde Intervention anrief, galt als Reichsfeind. Die erste Gelegenheit, die sich nach Ausbruch des Krieges bot, wurde ben?tzt, um gegen das missliebige Zeitun vorzugehen. Schon vor dem Kriege, im Jahre 1913, hatte sich in der Nachbarschaft von Zeitun auf dem Bergkegel Ala Kaia eine R?uberbande eingenistet, die sich nach der allgemeinen Aushebung durch christliche und muhammedanische einem harten Dienst entflohene Deserteure verst?rkte. Die B?rgerschaft von Zeitun war unschuldig an ihrem Treiben und w?nschte nichts mehr, als dass sie eingefangen w?rden, weil ihre Widersetzlichkeit den Beh?rden einen Vorwand zum Einschreiten gegen die Stadt geben konnte. Ein Zusammenstoss von Gendarmen mit Deserteuren gab das Signal zu dem gef?rchteten Vorgehen. Eine ansehnliche Truppenmacht von 4000 Mann r?ckte vor Zeitun, angeblich um dem R?uberwesen ein Ende zu machen. Die 150 Deserteure verschanzten sich in einem Kloster abseits von der Stadt. Das Kloster wird beschossen. Bei dem Angriff hatten die T?rken 7 bis 8, die Deserteure 26 bis 30 Tote. Die ?brigen liess man in der Nacht entkommen, um die Stadt haftbar machen zu k?nnen. Dies geschah am 25. M?rz 1915 im f?nften Monat des Krieges. Am n?chsten Tage begann man nach Verhaftung von 30 Notabeln mit dem Abtransport s?mtlicher armenischer Bewohner von Zeitun und Umgegend, M?nnern, Frauen und Kindern, 10 bis 20000 Seelen. Ein Teil wurde in die Sumpfdistrikte des Wilajets Konia, ein Teil in die arabische W?ste nach Der es Zor am Euphrat verschickt. Ohne Verh?r und Urteilsspruch. Es war eine Massnahme der inneren Politik, die mit Kriegsnotwendigkeiten nichts zu tun hatte.
Ein zweiter, der Regierung missliebiger Platz war das Dorf ~D?rtjol~ an der cilicischen K?ste, unweit dem alten Issus. Die Einwohner von D?rtjol hatten sich w?hrend des cilicischen Massakers von 1909, dem 20000 Armenier zum Opfer fielen, mit Erfolg verteidigt. Auch den Bewohnern des weiter s?dlich gelegenen Dorfes ~Suedije~ am Djebel Musa war es damals gelungen, dem Massaker zu entrinnen. Unaufgekl?rte, unbedeutende Spionageaff?ren gaben den Anlass, gegen D?rtjol vorzugehen. Die M?nner von D?rtjol wurden nach Aleppo abtransportiert und zum Strassenbau gepresst. Suedije und seine Nachbard?rfer sollten am 30. Juli in die arabische W?ste deportiert werden. Seine Bewohner fl?chteten auf den Djebel Musa. Nach mehrw?chentlicher Belagerung durch t?rkische Truppen gelang es ihnen, von den steil ins Meer abfallenden Bergabh?ngen sich mit einem franz?sischen Kreuzer in Verbindung zu setzen, der mit dem herbeigerufenen Flaggschiff ,,Jeanne d'Arc" und anderen Kriegsschiffen die Fl?chtlinge, M?nner, Frauen und Kinder in Zahl von 4058 Seelen, nach Alexandrien verschiffte .
Andere Vorf?lle, die Grund zu einer allgemeinen Deportation der armenischen Bev?lkerung von Cilicien h?tten geben k?nnen, haben sich im K?stengebiet nicht ereignet.
Die Vorg?nge von Zeitun, D?rtjol und Suedije wurden der Botschaft von den Konsulaten zu ihrer Zeit gemeldet. Die Pforte hatte sich wegen ihres Vorgehens in Cilicien mit der Botschaft nicht in Verbindung gesetzt. Als die Botschaft aus Anlass der immer weiter greifenden Verschickung ganzer Distrikte mehrfach intervenierte, machte die Pforte geltend, dass es sich um milit?rische Interessen und innere Angelegenheiten der T?rkei handle, die die Botschaft nichts angingen. Massaker waren auf cilicischem Boden nicht vorgekommen, nur Aussiedelungen. Als die Armenier der Stadt Marasch , durch die Zeituner Vorg?nge und die Erregung der Muhammedaner beunruhigt, ein Massaker bef?rchteten, begab sich Konsul R?ssler aus Aleppo dorthin. Der Schutz deutscher Anstalten in Marasch berechtigte ihn dazu. Sein Besuch wirkte beruhigend. Auch die amerikanische Mission, die in Marasch ein Kollege hatte, war daf?r dankbar. Die gegen Konsul R?ssler ausgestreuten Verleumdungen der englischen Presse, Konsul R?ssler habe bei seinem Besuch pers?nlich Massaker dirigiert und zu Greueltaten aufgemuntert -- Verleumdungen, die auch im englischen Oberhaus zur Sprache kamen --, sind durch die Zeugnisse amerikanischer Missionare widerlegt. Die zahlreichen Konsularberichte von Herrn R?ssler erbringen den Beweis, mit welch unerm?dlicher Hingabe und Z?higkeit er w?hrend der ganzen Kriegszeit f?r die Armenier seines Konsularbezirks und die durchflutenden Massen der Deportierten eingetreten ist. Solange Djelal Bey in Aleppo war, erfreute sich Konsul R?ssler der Zustimmung dieses gerechten und menschenfreundlichen Walis, der in seinem Wilajet weder Deportationen noch Massaker duldete. Doch schon am 21. Juni 1915 wurde Djelal Bey seines Amtes enthoben, weil er sich den Befehlen von Konstantinopel nicht f?gen wollte. Auch der Oberkommandierende der 4. Armee, Djemal Pascha, zu dessen Befehlsbereich Cilicien und Aleppo geh?rten, missbilligte die armenische Politik der Regierung. Durch wiederholte Erlasse hat er wenigstens erreicht, dass in seinem Befehlsbereich Massaker nicht vorgekommen sind. Den von der Zentralregierung befohlenen Deportationen und der Islamisierung der Reste des armenischen Volkes hat auch er sich nicht widersetzt.
~Aus dem Wilajet Erzerum waren der Botschaft schon seit Kriegsbeginn Klagen ?ber H?rte der Requisitionen und Gewalttaten von t?rkischer Gendarmerie und Tschett?s gegen die armenische Landbev?lkerung zugegangen. Urheber dieser Ausschreitungen waren die jungt?rkischen Klubs in den Provinzialst?dten. Am 10. Februar war der zweite Direktor der Ottomanbank in Erzerum, der Armenier Pasdirmadjian, das Opfer eines Meuchelmords geworden. Obwohl sich General Posseldt Pascha, Mitglied der deutschen Milit?rmission, der damals noch Festungskommandant von Erzerum war, darum bem?hte, wurden die bekannten M?rder nicht verhaftet. In den Landdistrikten der Erzerum- und der Passinebene, ?stlich von Erzerum, wurden nach und nach alle armenischen D?rfer -- haupts?chlich Frauen und Kinder, da die M?nner zum Heeresdienst eingezogen waren --, angeblich aus milit?rischen Gr?nden, ausger?umt. Der Befehl kam von dem Oberstkommandierenden der 3. Armee, Kamil Pascha. Der Wali von Erzerum, Tahsin Bey, der die Massregel missbilligte, war machtlos dagegen. Am 18. Mai 1915 drahtete der deutsche Vizekonsul v. Scheubner-Richter an den Botschafter Freiherrn v. Wangenheim:
,,Das Elend unter den vertriebenen Armeniern ist f?rchterlich. Frauen und Kinder lagern zu Tausenden ohne Nahrung um die Stadt herum. Die zwecklose Vertreibung ruft die gr?sste Erbitterung hervor. Darf ich deswegen bei dem Oberstkommandierenden Schritte unternehmen?"
Der Botschafter Freiherr von Wangenheim erm?chtigte am gleichen Tage den Konsul, Vorstellungen zu erheben und auf humane Behandlung der Ausgewiesenen hinzuwirken. Der Konsul begibt sich ins Hauptquartier Tortum und berichtet unter dem 2. Juni, dass seine ,,R?cksprache mit dem Oberstkommandierenden zu keinem positiven Resultat f?hrte".
Lag im Wilajet Erzerum die Gefahr einer armenischen Erhebung vor?
General Posseldt erkl?rt am 26. April, ,,die Auff?hrung der Armenier sei tadellos gewesen."
Der Konsul best?tigt es: ,,Da ein Aufstand der hiesigen Armenier nicht zu erwarten ist, ist diese Massnahme grausamer Ausschliessung unbegr?ndet und ruft Erbitterung hervor." Talaat Bey, der Minister des Innern, bei dem die Botschaft anregt, die Aussiedelungsmassregel zu mildern, ,,zeigt sich abgeneigt", da man gerade in Erzerum belastende Korrespondenzen, Waffen und Bomben gefunden habe . Auf Anfrage drahtet der Konsul v. Scheubner-Richter aus Erzerum: ,,In Erzerum und Umgebung wurden Bomben und dergleichen ~nicht~ gefunden, was auch vom Wali best?tigt werden kann."
In Cilicien und im Wilajet Erzerum waren die Dinge ihren eigenen Weg gegangen. Ein Zusammenhang bestand nicht, allgemeine Massregeln gegen die armenische Bev?lkerung des Reiches schienen nicht beabsichtigt zu sein. Auch im Wilajet Erzerum sind bis Ende Mai keine Massakers vorgekommen, nur Aussiedelungen, die durch das Oberkommando angeordnet und mit milit?rischen Notwendigkeiten begr?ndet wurden.
Inzwischen waren aus den Wilajets Bitlis und Wan Meldungen eingegangen, die ernsterer Natur waren. Sie schienen die Anschauung der Pforte zu rechtfertigen, dass die milit?rischen Operationen durch revolution?re Bewegungen im armenischen Volkselement bedroht und die Sicherheit des Reiches gef?hrdet sei. ?ber indirekt gemeldete Aufst?nde in Bitlis und Musch, Gebiete, die f?r die Konsulate nicht erreichbar waren, lagen n?here Berichte nicht vor. Es hat sich sp?ter herausgestellt, dass dort bereits im Fr?hjahr ein Anschlag t?rkischer Gendarmen auf das Dorf Goms zu Unruhen gef?hrt hatte, die durch Vermittlung der Beh?rden und des armenischen Abgeordneten Papasian auf Anordnung Talaat Beys g?tlich beigelegt wurden. Davon war aber der Botschaft nichts mitgeteilt worden. .
~Am 22. April wurde der Botschaft aus Erzerum gemeldet: ,,In Wan und Umgebung Armenierunruhen ausgebrochen. Strassenkampf, Telegraphenlinien zerst?rt, Verbindung mit Persien unterbrochen."
Die alarmierende Nachricht wurde von der Pforte best?tigt.
Eine Aufkl?rung ?ber die Ursachen und den Verlauf der Vorg?nge in Wan hat die Botschaft von der Pforte niemals erhalten. Erst Monate sp?ter sind dar?ber von amerikanischen und deutschen Missionaren, die die Dinge miterlebt haben, authentische Mitteilungen nach Europa gelangt .
Was war in Wan geschehen? -- Mitte Februar war Djevdet Bey, der Wali von Wan, ein Schwager Enver Paschas, aus dem Gebiet von Salmas und Urmia zur?ckgekehrt, wo er sich an dem nordpersischen Feldzuge t?rkischer und kurdischer Truppenteile beteiligt hatte. In einer Versammlung von t?rkischen Notabeln ?usserte er sich: ,,Wir haben mit den Armeniern und Syrern von Aserbeidschan reinen Tisch gemacht, wir m?ssen mit den Armeniern von Wan das gleiche tun." Die Kaimakams seiner Provinz wies er an, beim geringsten Anlass gegen die Armenier vorzugehen. Mit den Armeniern von Wan stellte er sich zun?chst freundlich. Es wurden Kommissionen gebildet und auf die D?rfer geschickt, um den Pl?nderungen der Kurden und den Gewalttaten der Gendarmen Einhalt zu tun. Inzwischen zog Djevdet Bey Verst?rkungen aus Erzerum heran. Als in Schatakh, einem ?berwiegend armenischen Dorf, Streitigkeiten mit Gendarmen ausbrachen bat er die drei F?hrer der Armenier, Wramian, Ischchan und Aram, mit dem M?dir der Polizei von Wan nach Schatakh zu gehen, um den Streit zu schlichten. Ischchan ging und nahm drei andere Armenier mit sich. Der M?dir der Polizei begleitete sie mit tscherkessischen Saptiehs. Halbwegs ?bernachtete man in Hirtsch. Als die Armenier schliefen, liess sie der M?dir der Polizei durch die Tscherkessen ermorden. In der Fr?he des n?chsten Tages, ehe man noch in Wan etwas von dem Meuchelmorde wusste, liess der Wali Djevdet Bey die beiden zur?ckgebliebenen armenischen F?hrer Wramian und Aram zu sich bitten. Aram war zuf?llig abwesend. Wramian geht arglos zum Wali und wird, sobald er den Konak betreten hat, verhaftet. Der Wali schickt ihn gefesselt ?ber Bitlis nach Diarbekr. Unterwegs wird er ermordet. Noch am selben Morgen bereitet Djevdet Bey den Angriff auf die Armenierviertel der Stadt vor. Gleichzeitig setzen die Massaker in Ardjesch und den D?rfern von Hayozdzor ein. Um Weib und Kind vor dem drohenden Massaker zu sch?tzen, verschanzen sich die Armenier der Stadt in ihren Vierteln. Sie hatten keinerlei Verbindung mit Russland. Vier Wochen verteidigten sie sich gegen die t?rkischen Truppen, die sie belagerten und beschossen. Ihre Vorr?te waren ersch?pft. Am 15. Mai fand ein letztes Bombardement statt. In der Nacht darauf verliess Djevdet Bey mit den Belagerungstruppen zum gr?ssten Erstaunen der Armenier die Stadt. Sie wussten noch nichts davon, dass die russische Armee auf der ganzen kaukasischen Front im Vormarsch war. Am 19. Mai, 30 Tage nach dem Beginn der Belagerung, zogen die Russen in Wan ein. F?r den Vormarsch der Russen war die Entsetzung von Wan eine unbedeutende Episode. Ihre Hauptmacht stiess n?rdlich vom Wansee in der Richtung auf Musch und Bitlis vor. Auch f?r die Armenier von Wan bedeutete die Entsetzung der Stadt nur, dass sie sich selbst und ihre Familien durch ihr tapferes Ausharren errettet hatten; denn schon am 31. Juli r?umten die Russen Wan und n?tigten die ganze armenische Bev?lkerung in den Kaukasus ?berzusiedeln.
Die Pforte musste ?ber den Charakter des Aufstandes von Wan, der ein Akt der Selbstverteidigung war, unterrichtet sein. Sie wusste, dass dieser ,,Aufstand" von dem Wali Djevdet Bey provoziert war und mit den russisch-t?rkischen Operationen in keinem Zusammenhang stand. Der Bericht ?ber Wan liest sich, ebenso wie der von Suedije , wie ein Kapitel aus einem Cooperschen Indianerroman, nicht wie eine Episode des Weltkrieges.
Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Art, wie der ,,Aufstand" von Wan -- mit der Bitte um Geheimhaltung -- der Botschaft von der Pforte dargestellt wurde.
Die Berichte lauteten:
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