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Read Ebook: Deutschland und Armenien 1914-1918: Sammlung diplomatischer Aktenstücke by Lepsius Johannes Editor

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Ebook has 5344 lines and 249822 words, and 107 pages

Die Berichte lauteten:

Sprungweise gehen die Verluste, von 20 auf 400, auf 600, auf 4000 in die H?he. In Wahrheit sind bei den Armeniern w?hrend der vierw?chentlichen Belagerung vom 20. April bis zum 17. Mai 18 Tote und bei den T?rken schwerlich viel mehr gefallen. Falstaff ist nichts gegen Djevdet Bey.

Warum diese grotesken ?bertreibungen? Enver Pascha war doch sicherlich von seinem Schwager Djevdet gut unterrichtet. Man wollte der Botschaft beweisen, dass alles auf dem Spiel stehe, dass der Bestand des Reiches durch eine ganz gef?hrliche Erhebung der Armenier bedroht sei. Der Zweck wurde erreicht. Die Botschaft glaubte es.

~Bei seiner R?ckkehr von der kaukasischen Front im Februar des Jahres hatte Enver Pascha als Kriegsminister und Generalissimus der t?rkischen Armee auf eine Adresse des Bischofs von Konia erwidert: ,,Ich sage Ihnen meinen Dank daf?r und ben?tze die Gelegenheit, um Ihnen auszusprechen, dass die armenischen Soldaten der ottomanischen Armee ihre Pflichten auf dem Kriegstheater gewissenhaft erf?llen, was ich aus eigener Anschauung bezeugen kann. Ich bitte der armenischen Nation, die bekannt ist f?r ihre vollkommene Ergebenheit gegen?ber der Kaiserlich Ottomanischen Regierung, den Ausdruck meiner Genugtuung und Dankbarkeit zu ?bermitteln". . Auch dem armenischen Patriarchen gegen?ber hatte Enver Pascha ,,seine besondere Zufriedenheit ausgesprochen ?ber die Haltung und Tapferkeit der armenischen Soldaten, die sich in ausgezeichneter Weise geschlagen h?tten", hatte aber schon damals bezeichnenderweise hinzugef?gt, ,,dass er beim geringsten Vorkommnis in den ?stlichen Armenierzentren ~mit drakonischen Massnahmen~ einschreiten w?rde". Wie kam es, dass mit dem 20. April das Urteil ?ber die Ergebenheit der armenischen Nation so pl?tzlich umschlug? Der ,,Aufstand" von Wan war das tragische Moment in der armenischen Schicksalstrag?die. Das Stichwort f?r die ,,drakonischen Massnahmen" Enver Paschas war gegeben.

Mit der Fixierung dieses Momentes soll nicht gesagt werden, dass nicht der Vernichtungswille der treibenden Kr?fte, die hinter dem Kriegsminister standen, schon vor den Ereignissen in Wan bestanden h?tte. Schon auf dem Kongress des jungt?rkischen ,,Komitees f?r Einheit und Fortschritt" in Saloniki Oktober 1911, war der nationalistisch-panislamische Gedanke -- die Alleinherrschaft der t?rkischen Rasse und der Aufbau des Reiches auf rein islamischer Grundlage -- als Regierungsprogramm angenommen worden:

,,Fr?her oder sp?ter m?sste die vollkommene Ottomanisierung aller t?rkischen Untertanen durchgef?hrt werden, aber es sei klar, dass dies niemals durch ?berredung erreicht werden k?nne, sondern man m?sse zur Waffengewalt Zuflucht nehmen. Der Charakter des Reiches habe muhammedanisch zu sein und muhammedanischen Einrichtungen und ?berlieferungen m?sse Respekt verschafft werden. Anderen Nationalit?ten m?sse das Recht der Organisation vorenthalten werden, denn Dezentralisation und Selbstverwaltung seien Verrat am t?rkischen Reich. Die Nationalit?ten seien eine quantit? n?gligeable. Sie k?nnten ihre Religion behalten, aber nicht ihre Sprache. Die Ausbreitung der t?rkischen Sprache sei eines der Hauptmittel, um die muhammedanische Vorherrschaft zu sichern und die ?brigen Elemente zu assimilieren".

Dies Programm stand seit Ausbruch des Krieges hinter allen Massregeln, die die ,,Raja" der christlichen Nationen als eine ,,Herde" von H?rigen behandelten: die allgemeine Entwaffnung der christlichen Bev?lkerung, die Degradierung der armenischen Soldaten, die mit der Waffe eingezogen worden waren, zu Lasttr?gern und Strassenarbeitern, die Entlassung der armenischen Beamten und ?rzte aus dem Verwaltungsdienst und den Kriegslazaretten usw. Dies pant?rkische Programm stand schon vor den Tagen von Wan hinter den Verschickungen und Massenverhaftungen in Cilicien und im Wilajet Erzerum und diktierte den Vernichtungsfeldzug, den t?rkische und kurdische Truppen im Winter 1914/15 in Nordpersien gegen die friedliche syrische und armenische Bev?lkerung von Urmia und Salmas f?hrten. Dies Programm rief die allgemeine Christenverfolgung in den Wilajets Diarbekr und Mossul hervor, der unterschiedslos Jakobiten, Chald?er, Nestorianer und Armenier zum Opfer fielen.

Auch ohne den ,,Aufstand von Wan" w?re dies Programm durchgef?hrt worden. Denn schon dieser ,,Aufstand" war ein Akt des Selbstschutzes gegen das drohende Massaker, das an mehreren Orten gleichzeitig einsetzte, als Djevdet Bey durch den Meuchelmord an den armenischen F?hrern das Signal dazu gab, in denselben Tagen, in denen auch in Cilicien die Verschickung auf grosse Distrikte ausgedehnt wurde, die ausserhalb des Kriegsgebietes lagen.

Der ,,Aufstand von Wan" gab nur einen weithin sichtbaren Vorwand her, um den l?ngst gefassten Plan der T?rkisierung und Islamisierung des Reiches der Aussenwelt gegen?ber unter den Schein milit?rischer Notwendigkeiten zu verh?llen und im Schoss des Komitees selbst jeden Widerstand gegen die radikalste Form seiner Durchf?hrung, die Vernichtung zun?chst des armenischen Volkes, zu unterdr?cken.

Von welcher Seite in Konstantinopel die entscheidende Wendung in der armenischen Politik der Regierung herbeigef?hrt wurde, durch Enver Pascha oder Talaat Bey oder durch einen Beschluss des jungt?rkischen Komitees, dar?ber wird man erst Aufschluss erlangen, wenn die Interna der jungt?rkischen Regierung an den Tag gekommen sein werden. Es scheint, dass im Komitee selbst Gegens?tze zwischen einer radikalen und einer gem?ssigteren Gruppe bestanden, die in der Zeit vom 24. April bis zum 27. Mai zum Austrag gebracht wurden und mit dem Sieg der radikalen Gruppe endeten.

Das Ergebnis dieser K?mpfe war der Beschluss, der das Schicksal des armenischen Volkes besiegelte: Die allgemeine Deportation.

~Am 22. April best?tigte der Minister des Innern die Mitteilungen, die die Botschaft ?ber den Ausbruch der Unruhen in Wan erhalten hatte, -- mit der Bitte um vorl?ufige Geheimhaltung. An dem darauffolgenden Sonntag, dem 25. April, erfuhr das ?berraschte Konstantinopel, dass in der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag die politischen und geistigen Spitzen der armenischen Gesellschaft in der Hauptstadt verhaftet worden seien. In der Nacht vom Sonntag auf den Montag wurde die Razzia erneuert. Gegen 600 armenische Intellektuelle, die f?hrenden M?nner der Nation, Deputierte, Parteif?hrer, Schriftsteller, Journalisten, Geistliche, ?rzte wurden in den Tagen darauf ohne Verh?r und Urteil aus den Gef?ngnissen in das Innere von Kleinasien nach Ajasch und Tschangri abtransportiert. Ger?chte von geplanten Attentaten zirkulierten in der Stadt, die aber von der Regierung selbst dementiert wurden. Von den Vorg?ngen in Wan war noch nichts bekannt. Am 29. April wurde die Bev?lkerung von Konstantinopel aufgefordert, alle Waffen abzuliefern, was ohne Zwischenfall geschah.

Offiziell teilte Talaat Bey, der Minister des Innern, der Botschaft durch ihren ersten Dragoman mit, ,,die Regierung sei jetzt entschlossen, dem bisherigen Zustand ein Ende zu bereiten, wonach jede Religionsgemeinschaft ihre besondere ,Politik' mache und hierzu besondere politische Vereinigungen gr?nden und unterhalten k?nne. In der T?rkei solle k?nftig nur ,osmanische' Politik gemacht werden. Unter den hiesigen Armeniern bef?nden sich eine Reihe von politisch nicht ganz sicheren Pers?nlichkeiten; sie seien nat?rlich gerade unter den t?tigen Mitgliedern der Klubs und Redaktionen zu suchen. Die Besorgnis sei nicht von der Hand zu weisen, dass im Falle einer ung?nstigen Wendung des Krieges diese Elemente die Gelegenheit zur Unruhestiftung ergreifen k?nnten. Der Augenblick schien g?nstig, alle diese Verd?chtigen aus der Hauptstadt zu entfernen. Unter den Verschickten g?be es sicher viele, die in keiner Weise schuldig seien. Dies leugne die Regierung nicht, und er -- Talaat -- werde aus eigenem Antrieb und ohne dass es hierzu einer Intervention bed?rfe, diesen die Erlaubnis zur R?ckkehr erteilen."

So wurde im voraus einer Intervention von deutscher Seite vorgebeugt. Beschuldigungen gegen die allgemein als loyal bekannten und geachteten Intellektuellen, zum Teil pers?nliche Freunde der jungt?rkischen F?hrer -- Zohrab hatte Halil Bey in den Tagen der Gegenrevolution das Leben gerettet --, wurden nicht erhoben. Die Verhaftung wurde als Vorbeugungsmassregel charakterisiert und eine richterliche Untersuchung in Aussicht gestellt, um etwa Verd?chtige zu ermitteln.

Ein Zusammenhang der Verhaftungen mit den Vorg?ngen in Wan wurde nicht konstruiert. Der Plan der Vernichtung der armenischen Nation, der man in ihren geistigen F?hrern das Haupt abschlug, ehe man den Leib der Todesfolter unterwarf, musste im Dunkel bleiben, bis die Vorbereitungen f?r die Gesamtdeportation getroffen waren. Der Einmarsch der russischen Truppen in Wan scheint den letzten Widerstand im Komitee gebrochen zu haben. Die radikalen Elemente des Komitees triumphierten. Der Beschluss der Deportation wurde auf die ganze armenische Bev?lkerung der T?rkei ausgedehnt.

Am 27. Mai erschien das ,,Provisorische Gesetz ?ber die Verschickung verd?chtiger Personen". Artikel 2 lautet:

,,Die Kommandanten der Armeen, Armeekorps und Divisionen k?nnen, wenn milit?rische Bed?rfnisse es fordern, die Bev?lkerung von St?dten und D?rfern, die sie der Schuld des Verrats oder der Spionage f?r verd?chtig halten, dislozieren und in anderen Orten ansiedeln."

Schuldbeweise sind f?r die Strafe der Verschickung nicht erforderlich. Verdacht gen?gt. So wurde es in Konstantinopel, so im ganzen Reich gehalten.

~Es ging nicht wohl an, einen Beschluss von so grosser Tragweite wie den der Deportation der Deutschen Botschaft ganz zu verschweigen. Durch die grotesken ?bertreibungen und Entstellungen der Vorg?nge in Wan, durch gleichzeitige unkontrollierbare Mitteilungen ?ber Aufst?nde in Bitlis und Musch, ?ber geplante Verschw?rungen in Erzerum, Bombenfunde und Spionageakte an verschiedenen Pl?tzen des Reiches, war auf der Botschaft eine Atmosph?re geschaffen, die einschneidende Massregeln als gerechtfertigt erscheinen liess. Allerdings h?tte ein Telegramm aus Mossul vom 18. Mai, das gleichzeitig mit dem Fall von Wan durch Konsul Holstein der Botschaft zuging, stutzig machen k?nnen. Denn es meldete, dass nach gleichlautenden Mitteilungen des nestorianischen Patriarchen in Kodschanes und des chald?ischen Patriarchen in Mossul, ,,die Muselmanen im Bezirk Amadia ein allgemeines Christenmassaker planten und schon damit begonnen h?tten; Wali gebe Tatsache zu und scheine die Bewegung, wenn nicht gerade zu sch?ren, so doch nicht energisch genug zu hemmen". Doch hier handelte es sich um nestorianische, jakobitische und chald?ische Syrer, nicht um Armenier.

Am 31. Mai drahtete der deutsche Botschafter an das Ausw?rtige Amt: ,,Zur Eind?mmung der armenischen Spionage und um neuen armenischen Massenerhebungen vorzubeugen, beabsichtigt Enver Pascha unter Benutzung des Kriegs- Zustandes eine grosse Zahl armenischer Schulen zu schliessen, armenische Postkorrespondenz zu untersagen, armenische Zeitungen zu unterdr?cken und aus den jetzt insurgierten armenischen Zentren alle nicht ganz einwandfreien Familien in Mesopotamien anzusiedeln. Er bittet dringend, dass wir ihm hierbei nicht in den Arm fallen."

Bezeichnend f?r die Mitteilung Enver Paschas an den Botschafter ist die Voranstellung von Schulen, Postkorrespondenzen und armenischen Zeitungen vor die Hauptsache, die Ank?ndigung der Verschickungen. Um Einw?nden im voraus zu begegnen, wird die Massregel auf ,,nicht ganz einwandfreie Familien" und die ,,jetzt insurgierten armenischen Zentren" beschr?nkt.

Welche Zentren waren damals insurgiert?

Die Deserteuraff?re in Zeitun und die Spionageakte in D?rtjol waren durch Abtransport der Bewohner von Zeitun und D?rtjol erledigt. Die Unruhen in Bitlis und Musch waren, was die Botschaft nicht wusste, durch die Beh?rden mit Hilfe des Abgeordneten Papasian beglichen. Vereinzelte verb?rgte oder unverb?rgte Bombenfunde ,,geh?rten zu dem schon bekannten Inventar der t?rkischen Beh?rden an solchen Vorw?nden". In Erzerum ,,glaubte" der Wali Beweise f?r eine armenische Verschw?rung in H?nden zu haben, obwohl nach dem Zeugnis General Posseldts ,,die Auff?hrung der Armenier tadellos" und nach dem Urteil des Konsuls von Scheubner-Richter ,,ein Aufstand nicht zu erwarten war". Als ,,Massenerhebung" und ernste Gefahr f?r die milit?rischen Operationen musste dagegen die ,,Insurrektion" von Wan erscheinen.

Die Massregel partieller Verschickungen von ,,nicht einwandfreien Familien" konnte sich nach den vorliegenden Berichten nur auf die ?stlichen Wilajets an der kaukasischen Front beziehen, wo es nach t?rkischen Meldungen in Wan, Schatakh, Bitlis und Musch ,,insurgierte Zentren" zu geben schien. Da schon im Sommer 1914 Russlands Anteil an Kurdenaufst?nden in Bitlis und Musch gemeldet war, hatte auch die von der Pforte behauptete ,,von Russland gen?hrte W?hlarbeit" einige Wahrscheinlichkeit f?r sich. Vom milit?rischen Gesichtspunkt konnten bei der unvollkommenen Information ?ber die tats?chlichen Vorg?nge Vorbeugungsmassregeln ,,in den insurgierten Zentren" als berechtigt erscheinen. So sah der Botschafter keinen Grund, sich den angek?ndigten Massregeln Enver Paschas zu widersetzen und hielt sie in den von Enver selbst gezogenen Grenzen f?r berechtigt. Er glaubte sich darauf beschr?nken zu m?ssen, auf Milderung in der Form hinzuwirken, und informierte die Konsulate von Trapezunt, Erzerum, Adana, Aleppo, Mossul, Bagdad -- von denen die n?rdlichen als Ausgangspunkt, die s?dlichen als Verschickungsziele in Betracht kamen, -- um eine geordnete Ausf?hrung der Massnahmen ?berwachen zu k?nnen. Die Erfahrungen, die mit tscherkessischen und bulgarischen Muhadschirs gemacht worden waren, h?tten den Botschafter belehren k?nnen, was bei solchen ,,Ansiedelungen" herauszukommen pflegte. Aber er machte sich wohl keine deutliche Vorstellung davon. In Pera kennt man nur das europ?ische, aber nicht das asiatische Gesicht der T?rkei. Bisher waren in Cilicien und Ostanatolien keine Massaker vorgekommen. Noch am 15. Mai hatte der deutsche Konsul aus Erzerum berichtet: ,,Der Ausbruch eines Massakers ist hier kaum anzunehmen, es sei denn, dass Misserfolge an der Front die t?rkischen Truppen zu einem R?ckzuge nach Erzerum n?tigen werden." Vorstellungen, die die Botschaft wegen der Deportationsmassregeln von Frauen und Kindern im Wilajet Erzerum erhob, wurden von Talaat Bey damit beruhigt, dass ,,die Armenier durch die Deportation vor Schlimmerem, n?mlich Massakers, bewahrt werden sollen; die Regierung werde den Ausgewiesenen neue Wohnsitze anweisen und sie auch unterst?tzen". Dergleichen Zusagen nahm man damals noch ernst.

~Es stellte sich nur zu bald heraus, dass die Konsuln die Folgen der Deportation zutreffender beurteilten, als die Botschaft.

Am 3. Juni prophezeite der Vicekonsul von Scheubner-Richter in Erzerum die zu erwartenden Wirkungen der Deportationsmassregel:

,,Die armenischen Bewohner aller Ebenen, wahrscheinlich auch Erzerums, sollen bis Der es Zor geschickt werden. Diese Aussiedelung grossen Massstabes ist gleichbedeutend mit Massakers, da mangels jeglicher Transportmittel kaum die H?lfte ihren Bestimmungsort lebend erreichen wird, und d?rfte nicht nur den Ruin der Armenier, sondern den des ganzen Landes nach sich ziehen."

Eine Woche sp?ter trafen b?se Nachrichten aus Diarbekr ein. Konsul Holstein drahtet am 10. Juni:

,,614 aus Diarbekr hierher verbannte armenische M?nner, Frauen und Kinder sind auf der Flossreise s?mtlich abgeschlachtet worden; die Kelleks sind gestern hier leer angekommen; seit einigen Tagen treiben Leichen und menschliche Glieder im Fluss vorbei. Weitere Transporte armenischer ,Ansiedler' sind hierher unterwegs, ihnen d?rfte dasselbe Los bevorstehen. Ich habe der hiesigen Regierung meinen tiefsten Abscheu ?ber diese Verbrechen zum Ausdruck gebracht; der Wali sprach sein Bedauern dar?ber aus mit dem Bemerken, dass allein der Wali von Diarbekr daf?r verantwortlich sei."

Am 12. Juni berichtet Konsul R?ssler aus Aleppo:

,,Von dem hier weilenden Katholikos von Sis wird die Seelenzahl der bisher verbannten Armenier auf ?ber 30000 angegeben. Zeitun und Umgegend, ferner Alabasch, Albistan, D?rtjol, Hassan-Beyli sind vollst?ndig ger?umt. Es sind nicht nur die Familien, die ,,nicht ganz einwandfrei" schienen, verbannt worden, sondern die ganze Bev?lkerung, sogar die Familien der im Heeresdienst stehenden Soldaten... Damit geht die Regierung weit ?ber den Zweck notwendiger Vorbeugungsmassregeln hinaus."

Am 18. Juni meldet von Scheubner-Richter aus Erzerum das erste Massaker:

,,Vernichtung der ausgewiesenen Armenier auf dem Wege ?ber Ersindjan nach Kharput." Es handelte sich, wie erst sp?ter bekannt wurde, um die von Kurden und Regierungstruppen der 86. Kavalleriebrigade unter F?hrung ihrer Offiziere vom 10. bis 14. Juni ver?bte Abschlachtung von 20 bis 25000 Deportierten, fast nur Frauen und Kinder, in der Kemachschlucht, 12 Stunden von der Garnisonstadt Ersindjan, dem Sitz des Kommandos des 3. Armeekorps.

Der Botschafter drahtet an den Konsul :

,,Ich bitte dem Wali eindringlich vorzustellen, dass solche schmachvollen Vorf?lle das Ansehen der Regierung im neutralen Auslande und bei den Freunden der T?rkei sch?digen und die Autorit?t der Beh?rden im Inland untergraben... Pflicht der Ortsbeh?rden ist es, solche Vorkommnisse mit allen Mitteln zu verhindern, wenn sie nicht eine schwere Verantwortung auf sich laden wollen."

In gleichem Sinne erhebt der Botschafter Vorstellungen bei der Pforte. Auch die Massenausweisungen in Cilicien hatte der Botschafter bei dem Minister des Innern zur Sprache gebracht. Die ungewollte Folge dieses Schrittes war die Enthebung des Walis Djelal Bey von Aleppo, des einzigen Walis, der in seinem Wilajet sich den Massregeln der Regierung mit Erfolg widersetzt hatte. Auch die Vorstellungen der Konsuln blieben wirkungslos oder hatten das entgegengesetzte Resultat.

Bis gegen Ende Juni konnte es immer noch den Anschein haben, als ob die Massregel sich auf die strategisch bedrohten Grenzgebiete beschr?nken w?rde. Ende Juni l?sst die Regierung den Schleier fallen. A tempo setzen in allen ostanatolischen Wilajets, auch in den mittleren Provinzen , Massendeportationen ein, die ausnahmslos mit Konfiskation aller Habe, Abschlachtungen der m?nnlichen Bev?lkerung und Raub von jungen Frauen und T?chtern verbunden sind. Jetzt bestand kein Zweifel mehr, dass es sich nicht um milit?rische Massnahmen zur Sicherung des Reiches, sondern um eine planm?ssige Vernichtung des armenischen Volkes handelte. Es folgen Schlag auf Schlag:

Ich f?hre hier nur die Hauptpl?tze an mit den Daten, an denen sie von den Konsuln gemeldet wurden. Die Verschickung betraf aber nicht nur diese Pl?tze, sondern die gesamte armenische Stadt- und Landbev?lkerung in Ost- und Westanatolien, Cilicien und Mesopotamien , im ganzen 1400000 Armenier, M?nner, Frauen und Kinder.

Die Ausweisung wurde in der Regel nur wenige Tage oder Stunden vorher angek?ndigt. Die Ausgewiesenen mussten alle ihre Habe, H?user, ?cker, Vieh, Hausger?t, Werkzeuge, zur?cklassen. Die Deportation war zugleich eine Gesamtkonfiskation des armenischen Volksverm?gens. Wo erlaubt wurde, Wagen oder Transporttiere mitzunehmen, wurden sie den Emigranten von den begleitenden Gendarmen auf dem Wege wieder abgenommen. Ebenso Geld, Schmucksachen und was sich sonst noch in ihren H?nden befand. Die M?nner wurden von Frauen und Kindern getrennt, abseits gef?hrt und get?tet. Die j?ngeren Frauen und M?dchen, auch Kinder, in t?rkische Harems und kurdische D?rfer verkauft oder verschleppt. Was nach monatelangen Wanderungen am Verschickungsziel, den R?ndern der arabischen W?ste, ankam, waren Haufen von zerlumpten, ausgehungerten, bettelarmen Menschen, meist nur Greise, ?ltere Frauen und Kinder.

Am 31. August erkl?rt Talaat Pascha dem stellvertretenden deutschen Botschafter ~F?rst Hohenlohe-Langenburg~ -- wenn auch in anderem Sinne -- ,,La question armenienne n'existe plus."

~Was haben die deutschen Botschafter zur Abwehr des Unheils und zur Eind?mmung seiner verh?ngnisvollen Folgen getan?

Durch die Ank?ndigung von Verschickungen ,,nicht ganz einwandfreier Familien" aus den ,,insurgierten Zentren" war die Deutsche Botschaft ?ber den Charakter und die Tragweite des Komiteebeschlusses get?uscht worden. Es handelte sich nicht um ,,Familien", sondern um das ganze armenische Volk; nicht um ,,insurgierte Zentren", sondern um ganz Anatolien und Mesopotamien. Bis in die innersten Provinzen hinein wurde jede Stadt und jedes Dorf, in dem Armenier wohnten, f?r ,,insurgiert" erkl?rt, obwohl es im ganzen Deportationsgebiet, seit Wan in russischen H?nden war, ?berhaupt keine ,,Insurrection" gab. Aber, nach dem provisorischen Gesetz vom 27. Mai gen?gte ja ,,Verdacht" als Grund, um der Verschickung zu verfallen.

Aus den Konsularberichten ergab sich, dass die Verbannung der Armenier keineswegs nur durch milit?rische Notwendigkeiten motiviert war. Der armenische Patriarch ?usserte sich auf der Botschaft dahin, ,,dass die Massregeln der Pforte nicht nur die zeitweilige Unsch?dlichmachung der armenischen Bev?lkerung, sondern ihre Ausrottung bezwecke". Ja, dem Minister des Innern Talaat Bey entfiel einem Botschaftsmitgliede gegen?ber die ?usserung, ,,dass die Pforte den Weltkrieg dazu benutzen wolle, um mit ihren inneren Feinden" -- den einheimischen Christen -- ,,gr?ndlich aufzur?umen, ohne dabei durch die diplomatische Intervention des Auslandes gest?rt zu werden".

Die weit verbreitete Meinung, dass die deutsche Regierung auf die innere Politik der T?rkei einen nennenswerten Einfluss hatte, wurde von Talaat Bey nicht geteilt. Er wusste sehr wohl, dass Deutschland bis zum Eintritt Bulgariens in den Krieg keinerlei Machtmittel in der T?rkei besass, um seinen W?nschen Nachdruck zu verleihen. Bis es soweit kam, hoffte die Pforte die ,,Armenische Frage" erledigt zu haben. Die Zahl der deutschen Offiziere und Mannschaften, die sich im Monat April in der T?rkei befanden, war eine ?usserst geringe, von Milit?rhandwerkern abgesehen, 75 Offiziere und 150 Mann. Solange die Verbindung zwischen den Mittelm?chten und der T?rkei durch die Neutralit?t von Bulgarien gesperrt war, konnte von einer Verst?rkung der deutschen Truppen in der T?rkei und einem Schutz der christlichen Glaubensgenossen ?berhaupt nicht die Rede sein. Erst seit Oktober 1915 sind gr?ssere deutsche Mannschaftsbest?nde und auch dann haupts?chlich zum Schutz der Dardanellen in die T?rkei gekommen. Im Innern von Anatolien gab es, von einzelnen Offizieren abgesehen, die den t?rkischen Oberkommandos zugeteilt waren, ?berhaupt keine deutschen Truppen. Bis zum Eintritt Bulgariens in den Krieg war der Einfluss Deutschlands auf die t?rkische Regierung auch noch aus einem anderen Grunde sehr prek?rer Natur. Die Pforte sah sich in ihren Erwartungen deutschen Beistandes get?uscht und musste monatelang den Albdruck der Dardanellenst?rme allein aushalten, ohne dass auch nur in kritischen Situationen in gen?gendem Masse Munition herbeigeschafft werden konnte. So f?hlte sich die Pforte Deutschland keineswegs verpflichtet und liess bei jeder Gelegenheit die Zentralm?chte f?hlen, dass sie die gr?ssten Opfer f?r die Bundesgenossen bringe, ohne Gegenleistungen zu empfangen, und dass sie es sich daher verbitten m?sse, wenn man in ihre inneren Angelegenheiten hineinreden wolle.

Im Juni hatte sich der deutsche Botschafter ~Freiherr von Wangenheim~ darauf beschr?nkt, der Pforte die Meldungen aus dem Innern zur Kenntnis zu bringen und die deutschen Konsulate zu beauftragen, dass sie bei den Provinzialregierungen und Oberkommandos eindringliche Vorstellungen erheben sollten, um schmachvolle Dinge abzustellen. Als sich Ende Juni und Anfang Juli die Meldungen ?ber Massendeportationen aus den Wilajets h?uften, und es ersichtlich geworden war, dass es sich keineswegs um lokal begrenzte Aussiedelungen aus milit?rischen Gr?nden, sondern um Vernichtungsmassregeln handelte, ?berreichte der Botschafter dem Grosswesir Said Halim Pascha

~das Memorandum vom 4. Juli.

~Abschriften gingen den Ministern des ?ussern und des Innern zu. Ein Bericht vom 7. Juli an den Reichskanzler begr?ndete den Schritt.

Im Memorandum erneuert der Botschafter seine Zustimmung zu Massnahmen in den ostanatolischen Provinzen, ,,die durch milit?rische Gr?nde diktiert sind und ein Mittel legitimer Verteidigung bilden", und f?hrt dann fort:

,,Andererseits kann die deutsche Regierung die Gefahr nicht verhehlen, die durch diese rigorosen Massregeln und besonders durch Massenverschickungen, die unterschiedslos Schuldige und Unschuldige treffen, geschaffen werden, noch dazu, wenn diese Massnahmen von Gewaltakten, wie Massakres und Pl?nderungen, begleitet sind. Ungl?cklicherweise sind die Lokalbeh?rden nach den der Botschaft zugegangenen Informationen nicht imstande gewesen, Vorg?nge dieser Art zu verhindern, die in jeder Beziehung bedauernswert sind. Die feindlichen M?chte werden davon Nutzen ziehen, um die Agitation unter den Armeniern zu n?hren, und die Nachrichten, die man im Ausland verbreiten wird, werden nicht ermangeln, eine lebhafte Erregung in den neutralen L?ndern hervorzurufen, vor allem in den Vereinigten Staaten, deren Vertreter seit einiger Zeit begonnen haben, sich f?r das Schicksal der Armenier in der T?rkei zu interessieren."

Sodann wird die Pforte auf die Folgen aufmerksam gemacht, die sich aus ihrem Verhalten zu ihrem eigenen Schaden ergeben m?ssen:

,,Es ist vorauszusehen, dass mit dem Friedensschluss die Armenische Frage von neuem den fremden M?chten zum Vorwand dienen wird, um sich in die inneren Angelegenheiten der T?rkei zu mischen. Die Botschaft h?lt es f?r dringlich, den Provinzialbeh?rden peremptorische Befehle zugehen zu lassen, dass sie wirksame Massnahmen treffen, um Leben und Eigentum der verschickten Armenier sicher zu stellen, sowohl auf dem Transport als auch in den neuen Wohnsitzen."

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