Read Ebook: Der Wille zur Macht: Eine Auslegung alles Geschehens by Nietzsche Friedrich Wilhelm Brahn Max Editor
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Ebook has 434 lines and 100416 words, and 9 pages
Editor: Max Brahn
Anmerkungen zur Transkription:
Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt. Im ?brigen wurden Inkonsistenzen in der Interpunktion und Schreibweise einzelner W?rter belassen. Eine Liste mit sonstigen Korrekturen finden Sie am Ende des Buchs.
Der Wille zur Macht
Eine Auslegung alles Geschehens
von
Friedrich Nietzsche
Neu ausgew?hlt und geordnet von
Max Brahn
Grosse Dinge verlangen, dass man von ihnen schweigt oder gross redet: gross, das heisst zynisch und mit Unschuld.
Alfred Kr?ner Verlag in Leipzig
Altenburg Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co.
Der Wille zur Macht
Versuch einer Umwertung aller Werte
Erstes Buch
Der europ?ische Nihilismus
Zweites Buch
Kritik der bisherigen h?chsten Werte
Drittes Buch
Prinzip einer neuen Wertsetzung
Viertes Buch
Zucht und Z?chtung
entworfen den 17. M?rz 1887 Nizza
Vorwort.
Nietzsche hatte die Absicht, in einem zusammenh?ngenden Werke den Gesamtertrag seiner Lehre darzustellen. Die Titel des beabsichtigten Werkes und die Gesichtspunkte seiner Ordnung wechselten, aber die einheitliche Idee, seine Philosophie ?bersichtlich darzustellen, blieb bestehen. Es sollten keine neuen Grundideen in dem Werke stehen, keine wichtige Grundlehre ver?ndert werden; das Werk h?tte vielmehr beweisen sollen, dass sein Gedankenkreis vom ersten bis zum letzten Werk der gleiche geblieben ist. Alle so verschieden erscheinenden Lehren der einzelnen Entwicklungsperioden sind nur Variationen des gleichen Themas; eine Grundmelodie t?nt dem aufmerksam Hinh?renden stets durch. Sie herauszuh?ren, ist nicht leicht. Denn seine Neigung, die gerade im Vordergrunde stehenden Gedanken, den augenblicklich herrschenden Affekt fast gewaltsam zu betonen, ihm die ganze Kraft seiner eindrucksvollen, ?berw?ltigenden Sprache zu leihen, l?sst oft die Nebent?ne deutlicher vernehmen als den Grundton. Daher wenige Denker so bed?chtig gelesen werden m?ssen, wie der anscheinend so leicht eingehende Nietzsche.
Volle, leichte Klarheit h?tte daher nur ein solches, die Hauptgedanken allein hervorhebendes Werk bringen k?nnen. Darum ist es ein so trauriger Gedanke, dass seine Erkrankung die Vollendung gerade dieses Werkes verhinderte, an dem er vom Jahre 1882 an stets gearbeitet, zu dem er sich ununterbrochen Einzelaufzeichnungen gemacht und Dispositionen entworfen hat. Aus diesem Gedankenkreise entnahm er wesentliche Teile und vereinigte sie zu seinen letzten Werken, besonders zum Antichrist, der in den letzten Monaten vor seiner Erkrankung entstanden ist und in einem erregten Ton geschrieben ist, der sich von der Stilart der Niederschriften v?llig unterscheidet.
Was dann vom Gesamtwerke ?brigblieb, das war eine unendliche F?lle von einzelnen Notizen, die sich in einer grossen Anzahl von Heften finden. Die bisherigen Ausgaben stellten sich die Aufgabe, von diesem Gedankenreichtum nichts verloren gehen zu lassen, und ordneten alles Vorhandene unter die von Nietzsche selbst angegebenen Gesichtspunkte. Durch zahlreiche Stichproben durfte ich mich davon ?berzeugen, mit wie grosser Sorgfalt und treuer Gewissenhaftigkeit Elisabeth F?rster-Nietzsche und Peter Gast die m?hevolle Aufgabe gel?st haben, die schwer lesbaren Manuskripte zu entziffern und die Aphorismen unter die gegebenen Gesichtspunkte zu bringen. In den Heften fand sich vielerlei, was dem Denker bei Gelegenheit der Niederschrift oder zuf?llig zu gleicher Zeit einfiel, ohne dass es unmittelbar f?r das neue Ganze n?tig war. Es ist nicht leicht, diese oft so lockenden Gedanken wegzulassen; es war auch f?r eine erste Ausgabe das Rechte, sie dem Leser nicht vorzuenthalten. Doch erschweren sie oft das Sichzurechtfinden in den leitenden Ideen und geben auch durch ihre grosse Zahl dem Werke einen ?berm?ssigen Umfang.
Da schien es angebracht, den Versuch zu machen, aus den Manuskripten wenigstens dem Sinne nach das zu machen, was Nietzsche selbst vorschwebte: eine Darstellung seiner Grundlehre; zugleich aber dem neugeordneten Werke eine Form zu geben, die eine leichte ?bersicht gestattet und so durch die ?nderung der ?usseren Form das Eindringen in die Hauptlinien des Inhaltes erleichtert. So konnte ich in ?bereinstimmung mit Elisabeth F?rster-Nietzsche das herausheben, was den Grundgedanken, des ,,Willen zur Macht", erkl?rt. Dann kam es darauf an, das Vorhandene so zu verteilen, dass ein F?hrer durch Nietzsches Grundlehren entstand. Da fehlen freilich Begriffe als wesentlich, die sonst oft im Vordergrund zu stehen scheinen, wie der ,,?bermensch"; andere, wie die ,,ewige Wiederkehr", treten nur gelegentlich auf. Nicht ein Wechsel der Lehre liegt aber in diesen F?llen vor; der systematische Aufbau l?sst vielmehr das an fr?heren Stellen laut Betonte hier nur als einen Unterteil eines gr?sseren Ganzen erscheinen. So geht der ?bermensch unter in der Gesamtauffassung des neuen, grossen Menschen ?berhaupt, und die ewige Wiederkehr aller Dinge, von der es einst scheinen konnte, sie z?hle zu den Hauptlehren, wird eines unter den verschiedenen Mitteln zur Zucht des grossen Menschen, wenn auch eines der entscheidenden. Gerade in dieser Ausgeglichenheit der Werte liegt die grosse Bedeutung, die das Werk selbst als unvollendetes hat. In Zarathustra hatte Nietzsche prophetenhaft zur Nachfolge seiner Lehre aufgerufen; kein Wunder, dass ein so geartetes Werk, dem Eindruck bestimmt, ihn auch im weitesten Kreise machte. Der Prophet will wirken, beeinflussen -- dazu geh?rt Affekt, der mitreisst, geh?rt starke Betonung dessen, was der Prophet in den Vordergrund stellen will. Der ,,Wille zur Macht" will lehren, klarlegen, aus Geschichte und Natur erl?utern, wohl gar beweisen. Hier ist der ordnende Intellekt an der Arbeit, der systematisch aufbaut, nicht um zur Tat aufzurufen, den heiligen Krieg f?r eine neue Lehre zu verk?nden, sondern um zu zeigen, aus welchen Wurzeln die eigene Lehre erwachsen ist, und wie sie die Gesamtheit der Welt dem willig Folgenden zu erkl?ren vermag.
Wie aber konnte ein solches letztes Ziel verloren gehen, woher musste die Auflehnung gegen das Christentum entstehen? Nach Nietzsche ist die Ablehnung des Christentums Abweisung der ~d?cadence~, das heisst der Lehre der Ersch?pften, der Schwachen, der Gegner des Lebens, derer, die nicht das Wachstum, die Gr?sse, die Sch?nheit der Dinge der Welt w?nschen. Unsre bisherige Moral ist im Grunde christliche; sie ist aber gleichzeitig die Moral der schwachen Menge, die sich gegen die gef?hrlichen Starken auflehnt, die aber durch ihre Zahl, ihre gr?ssere Klugheit, feinere Geistigkeit den Sieg ?ber die Starken davontr?gt. In dieser Erkenntnis sieht er wohl die kritische Grundlehre seines Systems, auf die sich alles Positive aufzubauen hat.
Die Moral, die hier gelehrt wird, ist die der Starken, die den Mut zu diesem strengen, harten, nur sich selbst verantwortlichen Leben haben. Wer diese lehrt, wird notwendig manches angreifende, kriegerische Wort f?r die entgegengesetzte Art, die Schwachen, haben. Aber ,,m?chten wir eigentlich eine Welt, in der die Nachwirkung der Schwachen, ihre Feinheit, R?cksicht, Geistigkeit, Biegsamkeit fehlte?" Die Moral der Schwachen wird von Nietzsche nicht etwa nur geduldet -- ein ihm furchtbares Wort --, sie wird gew?nscht, weil f?r n?tig befunden. Aber sie soll nicht die herrschende sein, sie soll nicht sich alle ,,Moral" zuschreiben; sie muss einsehen, dass sie genau so moralisch und unmoralisch, weil genau so nur aus einer bestimmten Perspektive der Welt hervorgehend ist wie die der Starken. Sie will Erhaltung, oft Stillstand: sie lasse der Moral des Schaffens freie Bahn, die das Alte oft zerbrechen muss, um neue Massst?be aufzustellen. Nietzsche sah voraus, dass es ,,dem n?chsten Jahrhundert hier und da gr?ndlich im Leibe rumoren wird", dass neue Werte in jeder Hinsicht kommen werden -- hat unser Geschlecht, das des gr?ssten Krieges der Weltgeschichte, wirklich das Gef?hl in sich, dass es den alten Werten gehorcht? Neues, Starkes kommt, weil es kommen muss, weil es sich mit unseren Lebensbedingungen ber?hrt, die nicht mehr die gleichen sein werden. Ob nicht gar der Prophet dieser neuen Zeit schon gelebt hat?
Soviel Macht einer in sich birgt, so viel ist er dieser Beurteilungsweise wert. So entsteht eine Rangordnung der Menschen nach ihren Machtgr?ssen. Ist es wirklich n?tig, darauf hinzuweisen, dass es sich hier nicht um jene ?ussere Macht handelt, die mit Kanonen sich durchsetzt? Dass es sich dabei um eine innere Haltung der Seele handelt, die stark ist und nichts will, als ihre Kraft, ihre Macht erweitern, die sich nicht genug tun kann, ihren Mut zu erweisen, die so stark str?mt, dass sie wissentlich ihre Kr?fte verschwendet, die im Herrschen ?ber sich und andere ihre Pflicht findet. Solche Aristokratie ist angeboren, ist ,,Gebl?tsadel". ,,Ich rede hier nicht vom W?rtchen ,von' und vom Gothaischen Kalender: Einschaltung f?r Esel." So darf man auch denen zurufen, die das Wort Macht bei Nietzsche vergr?bern, um dagegen zu k?mpfen.
Diese Menschen voll Willen, Kraft, Macht sind die Erschaffer des Neuen; sie geben allem neue Werte, sie rechtfertigen die Welt einfach dadurch, dass sie da sind. Nicht ihre Leistung, ihr Sein ist das Wesentliche. Es geht hier mit dieser von Nietzsches Lehren wie mit anderen: in seiner grandiosen, ?bersteigenden Sprache klingen sie oft so weltfremd, so erfunden, so lebensunbrauchbar. Und doch dr?cken sie nur Wahrheiten aus, die sich in der Menschheit stets wieder als ganz nat?rliche Erlebnisse erweisen. Hat nicht die Erregung der Kriegszeit gezeigt, wie sehr die Menschen dazu neigen, sich Heroen zu schaffen, f?hrende, herrschende Naturen, denen alle anderen gern, als ob es nicht anders sein k?nnte, sich unterwerfen! Willig folgen sie dem, der neue Werte aufstellt und beweist, dass er einen starken, langen Willen hat, der imstande ist, sich gegen eine Welt von Hindernissen durchzusetzen. Auf seinen Wink tun sie alles, leiden sie alles, opfern sie sich hin bis zum Aufgeben des Lebens. Eine ganze Nation erlebt dann pl?tzlich die Wahrheit der Lehre, dass es auf diese geborenen F?hrernaturen ankommt, dass sie herangezogen werden m?ssen, wenn die anderen nicht untergehen sollen. Dann sieht man auch deutlich, dass nicht Lust und Unlust, wenigstens nicht die Formen, von denen Optimismus und Pessimismus zu sprechen pflegen, grosses Handeln des Menschen bestimmen. Das Gl?ck dieser Grossen liegt allein ,,in dem herrschend gewordenen Bewusstsein der Macht und des Sieges." Darf man von ihnen die Moral des Mitleids, R?cksichtnahme, Milde verlangen -- oder w?nscht nicht die Menge sie hart, unbeugsam, stark, Macht durch und durch? Gross sollen sie sein und vornehm -- die beiden Haupteigenschaften, die Nietzsche von ,,seinen" Menschen verlangt.
Max Brahn.
Inhalt.
Seite
Erstes Buch: Der europ?ische Nihilismus 1-45
Zweites Buch: Kritik der h?chsten bisherigen Werte 46-120
Drittes Buch: Prinzip einer neuen Wertsetzung 156-307
a. Allgemeines 177
b. Logik und Wissenschaft 185
c. Ursache und Wirkung 195
d. Ich und Aussenwelt 204
Die ,,wahre" Welt 206
Viertes Buch: Zucht und Z?chtung 308-376
Erstes Buch.
Der europ?ische Nihilismus.
Die Verd?sterung, die pessimistische F?rbung kommt notwendig im Gefolge der Aufkl?rung. Gegen 1770 bemerkte man bereits die Abnahme der Heiterkeit; Frauen dachten mit jenem weiblichen Instinkt, der immer zugunsten der Tugend Partei nimmt, dass die Immoralit?t daran schuld sei. Galiani traf ins Schwarze: er zitiert Voltaires Vers:
~Un monstre gai vaut mieux Qu'un sentimental ennuyeux.
Die drei Jahrhunderte.
Voltaire noch die ~umanit?~ im Sinne der Renaissance begreifend, insgleichen die ~virt?~ , er k?mpft f?r die Sache der ,,~honn?tes gens~" und ,,~de la bonne compagnie~", die Sache des Geschmacks, der Wissenschaft, der K?nste, die Sache des Fortschritts selbst und der Zivilisation.
~Pour ,,la canaille" un dieu r?mun?rateur et vengeur~ -- Voltaire.
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