Read Ebook: Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten. Band 1 Hinterlassene Papiere eines französisch-deutschen Offiziers by Friederich Johann Konrad Rauscher Ulrich Editor
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Ebook has 600 lines and 140884 words, and 12 pages
Frau Schulter suchte noch einige andere Personen zu bewegen, sich mit ihr zu entfernen, aber zu ihrem grossen Verdruss spielten alle die Gef?hllosen und die Tauben, namentlich auch die Frau Rat Goethe, welche endlich zu ihrer Schwester sagte:
>>Sch?me dich doch, die Tante meines Wolfgangs, und so abergl?ubisch; du machst der ganzen Familie Schande.<<
Die Oberstin nahm endlich mit einem s?sssauern Gesicht ihren Platz wieder ein.
>>Dein Wolfgang, geh mir nur mit dem, das ist mir auch der Rechte, der glaubt an keinen Gott und an keinen Teufel mehr, an dem werden wir noch sch?ne Dinge erleben.<<
>>Frau Schwester, das verbitte ich mir, sein Werther hat die ganze Welt entz?ckt und ger?hrt und mehr Tr?nen vergiessen machen, als ... als ...<<
>>Als Wein in allen Kellern Frankfurts ist,<< fiel der Oberst ein.
>>Das wollte ich gerade nicht sagen,<< fuhr die Frau Rat fort, >>aber Werther, G?tz von Berlichingen und Clavigo haben ihm in ganz Deutschland einen Namen gemacht, wenn man in Frankfurt auch diese Werke nicht nach Verdienst zu sch?tzen weiss. Kein Prophet gilt in seinem Vaterland, und am wenigsten in unserer freien Reichsstadt, da kennt man keinen andern Klang als Batzengeklimper und h?chstens den der Posth?rner, wenn sie Passagiere verk?nden. Aber die Nachwelt, die Nachwelt wird noch erkennen, was ich ihr f?r ein Geschenk mit meinem Wolfgang gemacht, und wenn wir lange nicht mehr sind, wird Frankfurt stolz auf meinen Sohn sein!<<
>>Mag sein,<< sagte der Antiquar, >>w?nsche Gl?ck dazu, aber was n?tzt es mir, dass der Schornstein vom Bratendampf raucht, wenn ich nicht mehr geniessen kann.<<
>>Eigne Schuld, Herr Fahrtrapp, hatte Ihnen mein Sohn den Werther nicht zu Verlag angeboten?<<
>>Ich befasse mich nicht mit so sentimentalen Produkten.<<
>>Aufrichtig, lieber Herr Fahrtrapp, wenn Sie gewusst h?tten, was diese Sentimentalit?t einbringt, Sie w?rden ihr gewiss die Ehre Ihres Verlags erwiesen haben.<<
>>Um Vergebung, nein, aber w?re es sein G?tz gewesen, den mir Ihr Herr Sohn angeboten, dann w?rde ich sogleich mit beiden H?nden zugegriffen haben.<<
>>Bei seiner letzten Anwesenheit las mir der Wolfgang einige Stellen aus einem Manuskript, Faust betitelt, vor,<< sagte die Frau Rat, >>da h?tten Sie h?ren sollen, welcher Gedankenflug des menschlichen Geistes, welche sublimen Ideen ... und diesen Geist habe ich geboren.<<
>>Halt's Maul, Schwester, mit Respekt vor der ehrbaren Gesellschaft, da hast du einen saubern Geist geboren! Er hat seinem Oheim, meinem Mann, auch ein St?ck von diesem Faust vorgelesen, das ist ein s?ndhaftes, gottloses Werk, das mich aus der Stube getrieben hat; wenn er das drucken l?sst, dann soll er nicht mehr sagen, dass ich seine Tante bin, ich m?sste mich zu Tode sch?men; unsern lieben Herrgott l?sst er darin eine Unterredung mit dem Teufel haben, gerade wie wenn er wie unsereins w?re; ist das nicht himmelschreiend? Ich w?rde mich zu Tode gr?men, wenn ich so einen gottlosen Sohn h?tte. Unsern Herrgott mit allerlei Lumpengesindel, Kom?dianten, Hexen, Dichtern und andern Hanswursten in einer Kom?die auftreten zu lassen! bewahre mich unser Heiland. Aber das ist die Folge eurer freigeisterischen Erziehung. Schon als Kind hat der Wolfgang immer mit Puppenspielen und dem gottlosen Kom?dienwesen zu tun gehabt, da haben sie den Jungen in der Messe in die Marionetten gehen lassen, und da hat er den Faust und all das Unwesen gelernt und abgeguckt; wie oft habe ich dir nicht gesagt, dass du dies nicht dulden solltest, es w?rde nimmer etwas Gutes daraus entstehen, und nun haben wir die Bescherung.<<
>>Nimm mir's nicht ?bel, liebe Schwester, aber allen Respekt vor der Gesellschaft, du bist eine alberne Gans. Was kann man auch anders von Leuten erwarten, die sich f?rchten, zu dreizehn an einem Tische zu sitzen. ?brigens begreife ich gar nicht, wie sich so fromme und gl?ubige Seelen wie du vor dem Tod f?rchten k?nnen, da ihnen doch das Himmelreich mit all seinen Freuden gewiss ist; sie sollten sich im Gegenteil freuen, dieses irdische Qualtal je eher je lieber zu verlassen, um baldm?glichst der himmlischen Gl?ckseligkeit teilhaftig zu werden; ihre Todesfurcht und ihr Glaube sind schwer zu erkl?rende Widerspr?che, der letztere muss eben nicht sehr kapitelfest sein.<<
>>Ja, wenn die geheimen S?nden nicht w?ren,<< versetzte mit einem boshaften Seitenblick Herr Fahrtrapp. >>Doch lassen wir das, die Frau Oberstin muss sich nun schon drein geben, zu dreizehn zu bleiben, wenn sie nicht zuerst sterben will, und wenn es ans Weggehen k?mmt, will ich ihr auch den Gefallen tun, zuerst zur T?re hinauszugehen, sollte ich auch zuerst abfahren m?ssen. Einstweilen wollen wir aber noch wacker auf die Gesundheit des neuen Christen trinken.<<
>>Sehr verbunden, lieber Oheim,<< erwiderte Herr Fr?hlich.
>>Und du wirst uns mit einigen Schnurren unterhalten, damit wir die fatalen dreizehn vergessen,<< sprach Sch?ffe Weller zu seinem Schwager.
>>Mit Vergn?gen,<< versetzte der Antiquarius.
Unterdessen war die Wartfrau Greifenstein wieder in das Zimmer getreten, und Frau Schulter hatte sie gepackt und liess sie nicht mehr weg, indem sie sagte, sie wolle selbst von Zeit zu Zeit nach der W?chnerin und ihrem Kind sehen und diese versorgen. Der guten Frau war ein grosser Stein vom Herzen gefallen, denn sie waren ja nun zu vierzehn.
Nachdem Herr Fahrtrapp nochmals den grossen silbernen Taufpokal mit Hochheimer gef?llt, auf das Wohl des Hausherrn und seines Erstgebornen getrunken, ihn dann in der Reihe hatte herumgehen lassen, sprach er mit erhobener Stimme: >>Damals, als Herr Fran?ois Arouet von Voltaire in unsern Mauern ...<<
>>Nichts von Voltaire, Herr Fahrtrapp, nichts von Voltaire,<< riefen mehrere Stimmen zugleich, >>diese Geschichte haben wir schon zur Gen?ge geh?rt.<<
>>Tut nichts, Sie k?nnen sie immer noch einmal h?ren,<< erwiderte der Antiquarius etwas unwillig.
>>Und ich kenne sie noch gar nicht,<< sagte Herr Scholze, der Bremer Million?r, >>was hat es denn f?r eine Bewandtnis damit?<<
>>Ach, es ist eben nicht viel daran,<< murmelte Herr Weller.
>>Was, nicht viel daran? Ei, dich soll ja ... ja, w?rest du nicht mein lieber Schwager, so ... Voltaire, und nicht viel daran! Weisst du, dass alles, was Voltaire ber?hrt, gross ist?<<
>>Dann musst du freilich auch ein grosser Mann sein,<< erwiderte Herr Weller, >>da auch du in Ber?hrung mit ihm gekommen bist.<<
>>Keinen unzeitigen Spass, Herr Sch?ffe, ich weiss recht gut, dass euern hochobrigkeitlichen Ohren die Geschichte nicht allzu wohl klingt, und zwar aus sehr handgreiflichen Ursachen; aber da kehre ich mich nicht daran, darum h?ren Sie, Herr Scholze, ich will Ihnen mit zwei Worten sagen, was an der Sache ist. Als Herr von Voltaire auf Befehl des grossen Friedrich gezwungen ward, wohlbewacht in unserer kaiserlichen freien Reichsstadt unfrei zu verweilen, hatte ich Gelegenheit, diesem damals verfolgten grossen Genie einige kleine Dienste zu erweisen. Die hiesigen Beh?rden hatten sich, mit Gunst, Herr Schwager Sch?ffe, eben nicht zum ehrenvollsten bei dieser Gelegenheit benommen. Es war im Monat Juni des Jahres 1753, als der selige Buchh?ndler Van D?ren vom Herrn von Voltaire, der wegen einem Manuskript Friedrichs des Grossen auf dessen Verlangen in Frankfurt festgehalten und von zw?lf Soldaten unserer achtbaren Miliz bewacht wurde, hundert Dukaten in Gold f?r ein anderes Manuskript von diesem K?nig, das den Titel >Antimacchiavell< f?hrte und er auf Voltaires Veranlassung gedruckt hatte, forderte. Der in jenem Jahr wohlregierende B?rgermeister Fichard liess mich rufen, um mein Gutachten in dieser verdriesslichen Sache zu h?ren. Nachdem ich mich genau von allen Umst?nden unterrichtet hatte, fiel dasselbe dahin aus, dass Van D?ren h?chstens zwanzig Dukaten in Anspruch nehmen k?nne, und Herr von Voltaire hatte es mir zu verdanken, wenn er mit dieser geringen Summe und einigen Plackereien, denen die Fremden h?ufig bei uns ausgesetzt sind, davon kam. Bei dieser Gelegenheit hatte ich ?fters Unterredungen mit diesem grossen Manne und wurde dadurch instand gesetzt, ihn geh?rig zu w?rdigen, auch entsinne ich mich noch jedes Wortes, das zwischen uns gewechselt wurde, und besonders, was er ?ber unsere Regierung ?usserte, was ich mich aber wohl h?ten werde zu wiederholen, um die etwas empfindlichen Ohren unserer hohen Obrigkeit nicht zu beleidigen.<<
Bei diesen Worten warf der Sprecher einen Blick auf den Sch?ffen und fuhr fort:
>>Was mich anbetrifft, so zeigte sich der grosse Mann ungemein erkenntlich f?r die geringen Dienste, die ich ihm geleistet hatte, und bei der letzten Unterredung, die ich mit ihm gehabt, sagte er, mich vertraulich auf die Schultern klopfend:
>Mein werter Freund, Sie haben grosses Unrecht, in einer Stadt zu bleiben, wo man Ihre Verdienste so wenig zu w?rdigen versteht; an Ihrer Stelle w?rde ich dieses Land verlassen und mich in der Hauptstadt der zivilisierten Welt, zu Paris, niederlassen, dort ist das Feld f?r M?nner Ihres Schlages, und wenn ich Ihnen daselbst n?tzlich sein kann, so d?rfen Sie nur ?ber mich gebieten, mit Vergn?gen w?rde ich f?r Sie tun, was in meiner Macht steht.<
Ich bemerkte jedoch dem grossen Geist, dass meine Gesch?fte eine solche Ortsver?nderung nicht zuliessen, dankte f?r das g?tige Anerbieten und sagte ihm, dass, wenn f?r den kleinen Dienst, den ich so gl?cklich war ihm erweisen zu k?nnen, er mir eine andere Gunst erzeigen wolle, mich dies ?beraus gl?cklich machen w?rde.
>Und was w?nschen Sie, lieber Fahrtrapp, sprechen Sie, wenn es in meinen Kr?ften steht, mit Vergn?gen ... Was ist's?<
>Nun, so reden Sie.<
>Ich mag es kaum.<
>Wagen Sie immerhin.<
>Sehen Sie, Herr von Voltaire, ich w?nschte ein kleines Andenken von Ihnen zu besitzen, das mich zeitlebens daran erinnerte, das Gl?ck gehabt zu haben, Ihre Bekanntschaft zu machen.<
>Sehr gerne, Herr Fahrtrapp, ist Ihnen vielleicht mit einer meiner Dosen, einer Uhr, einem Ring gedient, Sie d?rfen nur sprechen ...<
>Nichts von allen dem, ich bin viel bescheidener, unbescheidener wollte ich sagen.<
>Nun, endlich heraus damit, was w?nschen Sie?<
>Eine -- eine Ihrer Per?cken, eine von denen, die Sie schon oft getragen.<
>Seltsame Grille! Doch es sei Ihnen gew?hrt,< antwortete das Genie mit einem etwas faunartigen L?cheln.
>Tausend Dank, wertester Herr von Voltaire, ich werde das kostbare Geschenk h?chst in Ehren zu halten wissen und mein Haupt nur bei den allerh?chsten Feiertagen, wie bei einer kaiserlichen Kr?nung oder dem Begr?bnis eines wohlregierenden B?rgermeisters oder dem Leichenschmaus eines b?rgerlichen F?hnrichs damit schm?cken. Ausserdem wird das teure Andenken in meinem wohlverwahrten Schrank von Ebenholz auf demselben Per?ckenstock ruhen, den schon eine kaiserliche Per?cke ziert, die ich ebenfalls das Gl?ck habe zu besitzen.<
>Wie, Sie sind im Besitz einer kaiserlichen Per?cke?<
>Freilich, der Monarch verehrte sie mir noch an dem Tage vor seiner Abreise.<
Herr Fahrtrapp nahm nun die Per?cke von seinem Kopfe und liess sie der Reihe nach von den Anwesenden bewundern. Als sie alle geh?rig und nach allen Seiten betrachtet hatten, nahm sie der Besitzer wieder zu sich und setzte sie sich selbst auf das platt geschorene Haupt, indem er sprach: >>Aber bei Blanchards Luftfahrt w?re ich beinahe um diese kostbare Reliquie gekommen.<<
>>Wieso, Herr Fahrtrapp?<< fragte Herr Scholze.
>>Bei diesem noch nie gesehenen Schauspiel, das aber an dem dazu bestimmten Tage aus besonderen Ursachen, die Sie sogleich h?ren werden, nicht stattfinden konnte ...<<
>>H?re, Bruder,<< fiel ihm Weller in die Rede, >>mache keine so lange Br?he um diese ebenfalls schon hundertmal erz?hlte Geschichte, oder erlaube mir, dass ich sie den Herren in wenig Worten mitteile.<<
>>Nach Belieben, mein hochweiser, grossg?nstiger, auch wohlf?rsichtiger et cetera Herr Sch?ffe.<<
>>Gut, also h?ren Sie,<< begann nun Weller. >>Den siebenundzwanzigsten September siebzehnhundertf?nfundachtzig, an dem Blanchard Deutschland mit dem noch nie gesehenen Schauspiel einer Luftschiffahrt erfreuen wollte, hatte sich eine unz?hlige Menge Menschen aus allen Winkeln und Enden des deutschen Reiches nebst vielen Standespersonen in und um Frankfurt eingefunden, so dass in der ganzen Stadt in keinem Gasthof und in keinem Privathaus ein Unterkommen mehr zu finden war. Nur mit M?he hatten wir uns, mein Schwager und ich nebst unsern Frauen, Pl?tze im ersten Rang des mit Brettern vernagelten Rondels zu einer Karolin in Gold den Platz verschaffen k?nnen, der zweite Rang wurde mit einem Dukaten und der dritte mit einem halben Dukaten bezahlt. Trotz dieser hohen Preise waren alle Pl?tze schon mehrere Stunden vor der zum Aufsteigen bestimmten Zeit besetzt, und ausserhalb dieses Raumes harrten wohl ?ber zweihunderttausend Zuschauer des nie gesehenen Schauspiels.
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