Read Ebook: Südliche Reise by Benrath Henry
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Ebook has 623 lines and 51423 words, and 13 pages
ALBERT H. RAUSCH
S?DLICHE REISE
EGON FLEISCHEL & CO. / BERLIN
ALLE RECHTE, BESONDERS DAS DER ?BERSETZUNG, VORBEHALTEN
AMERIKANISCHES COPYRIGHT 1914 BY EGON FLEISCHEL & CO. / BERLIN
DRITTE AUFLAGE
VON DIESEM WERK WURDEN 15 EXEMPLARE AUF B?TTEN GEDRUCKT UND VOM VERFASSER GEZEICHNET
INHALT
WIDMUNG SEITE 3
RAVENNA >> 9
FLORENZ >> 37
ROM >> 65
NEAPEL / ?BERFAHRT NACH SIZILIEN >> 105
PALERMO >> 121
TUNIS / W?STE >> 151
HELLAS >> 191
WIDMUNG: AN MARIA-VICTORIA
Es ist Nacht. Das Fenster steht offen, die feuchte Luft weht auf den Tisch und bewegt den Strauss von Pflaumenbl?ten neben deinem Bilde. Du blickst mir ins Antlitz, und ich erwidere ruhig deinen Blick.
Die Frucht ist reif. Du kannst fordern, was dir geh?rt. Auch dieses Buch ist eine Heimkehr zu dir. In die gr?sste Entfernung der Seele dringt dein Ruf. Selbst in die sch?pferische Abgeschiedenheit weht der Hauch deines stummen Lebens. Du forderst nie und rechtest nie um einen Inhalt, der dir geh?rt. Du bist nur da, eindringlich und nat?rlich, ohne Anfang, ohne Ende.
Haben wir es nicht an uns selbst versp?rt, dass Abgr?nde Seele von Seele scheiden? Ist dieses Wissen nicht unsere Geschichte geworden? Hat es uns nicht von dem fruchtlosesten aller K?mpfe befreit und uns eine Klarheit des gemeinsamen Lebenszustandes gegeben, die uns vor Enge und Irrtum bewahrt? Welche wirkenden Kr?fte unsrer Seele m?ssen wir eind?mmen oder ersticken, um einander die Treue zu wahren? Ist irgendein Leben in uns, das wir einander nicht eingestehen d?rfen? Haben wir nicht in den Jahren unsres Wachsens die grenzenlose Verehrung f?r alles Lebendige gelernt? Das schlichteste Leben eines Dinges hat uns das erh?hte Leben der vereinten Dinge gezeigt, im scheinbar Gew?hnlichsten hat sich das Aussergew?hnliche offenbart. Nichts blieb gesondert, alles war in einen unergr?ndlichen Zusammenhang von Beseelung ger?ckt, der uns die Sch?nheit der Welt offenbarte.
Ziele und Zwecke? Wie fern ist unser Schicksal von einem Ziel, wie fern unser Leben von einem Zweck, da wir l?ngst wissen, dass alles Lebendige ununterbrochen in sich selbst kreist, dass jede Ruhe ein Schein ist, und dass wir weiter m?ssen, unaufh?rlich weiter.
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Es sind Erh?hungen meines einfachen Lebens, die ich f?r dich aufgeschrieben habe. Es ist eine grosse Leidenschaft des Erlebens, die ich zu dir trage. Es ist meine Seele, in tausend fremden Bildern und Wellen gespiegelt, ?bergossen von Licht, geweitet in einer Ferne, die dich vielleicht beklemmen k?nnte, wenn sie dir nicht selbst so sehr aus den vielen Stunden vertraut w?re, wo du Zeitr?ume durchmassest, welche die unge?bte Seele nicht ertr?gt.
Wie du die Zeit in dir verwandelt hast! Wie unbegreiflich frei du bist von den Zeitmassen einer Frau! Was hat es ge?ndert in den Zeitl?uften deiner Seele, Gattin und Mutter zu sein? Wie ein Morgenwind ?ber die unergr?ndliche See hinf?hrt und vielleicht die Welle zu einem fl?chtigen L?cheln kr?uselt, haben dich die ?usseren Wandlungen deines Lebens getroffen, hat das Stundenhafte dieser Dinge das Unbegrenzbare deines inneren Daseins anger?hrt: es hat sich nichts gel?st in dir und nichts gebunden: der Erscheinungen kleine Zahl hat sich um ein kleines vermehrt.
Die grosse Kraft deines Lebens aber blieb unber?hrt und keusch wie zuvor.
In dieser grossen Kraft ruht unsere Gemeinschaft. ?ber ferne Meere ziehst du die Seele deines Freundes zur?ck, der ein Abenteurer ist und bleiben muss, solange ihn die G?tter lieben.
Tausend verschiedene Leben sind in mir und wollen erf?llt sein, tausend Gesichter trage ich vor mir her und kann von jedem sagen: es ist mein Gesicht und aus mir selbst entsprungen.
Aber alle sind nur auf den einen, stillen Spiegel deines Lebens gerichtet, der ihre Vielheit in dem Abgrund seiner Ruhe aufnimmt, so dass mir nur die eigne Einheit aus der Tiefe entgegenstrahlt.
RAVENNA
So war die Anfahrt an Ravenna:
Gr?n dehnte sich rings in der schweren Luft: Korn- und Weizenfelder, von vielen fr?hen Gewitterregen aufgetrieben. Feuchter Dunst lag ?ber der reglosen Fl?che. Mitten in die Acker waren ?lb?ume gepflanzt. Das d?nne Silber der Zweige warf eine bezaubernde Leichtigkeit in die Schw?le. Von Stamm zu Stamm rankte Weinlaub in niedrigen B?gen, die fast die Spitzen der ?hren ber?hrten. Die Sinne erm?deten an dem ununterbrochen gleichen Bild, die Augenlider schlossen sich leicht und zuckten nur ein wenig weiter auf, wenn unverhofft ein zerbr?ckelndes Bauernhaus, ein Garten voll weisser Lilien oder eine Oase hochroten Mohnes auftauchte.
Das Licht wurde leiser, unwahrscheinlicher, aber im Steigen der Sonne ein wenig goldner. Ganz fern, wo der Himmel an die Erde r?hrte, zogen lange Regenstreifen den Viertelkreis ihres feinen Staubes. Kurze Pappelalleen tauchten in gelben Wiesengr?nden auf und verschwanden, selten nur stand am Rand eines Feldes ein Lorbeerstrauch, noch seltener hob sich aus abgeschlossenen Parken eine Zypresse. In dem blaugrauen Schleier des Himmels formten sich kleine, runde Wolken, die Luft wurde heiss, der Goldstrom der Regenstreifen begann zu ermatten. Pl?tzlich schimmerte die Ahnung eines Turmes in dem ruhigen Niederfluss des Lichtes, unk?rperlich, mit schwachen Umrissen. Das Bild eines zweiten Turmes schob sich daneben, nicht minder undeutlich, dann die Giebel schmuckloser, unendlich einf?rmiger H?user. Ebene und Stadt waren eines, ohne Grenze ineinandergeschoben und aufgel?st in der Traurigkeit des teilnahmlosen Himmels, der dieses Land nicht liebte.
Nun schimmerten Kan?le auf, einige breit und fortlaufend, andere willk?rlich hier und dort zwischen die Felder gezogen. Das Wasser leuchtete braun ?ber dem Untergrund irgend einer F?ulnis, manchmal auch weiss und leblos wie ?ber bleiernen B?den. In der Ferne, wo das Meer liegen musste, hatten sich die Wolken vollkommen geschlossen, die Stadt lag br?tend und gleichg?ltig in unaufhaltsamem Siechtum: eine stumme, ersch?tternde Anklage.
Ich stand wie gel?hmt auf dem kleinen, verstaubten Platz, ehe ich mich entschliessen konnte, einen Wagen zu nehmen, und sah im Kreise umher, ob nicht irgend ein freundliches Bild, ja nur der Ausschnitt eines Bildes, den Fremdling willkommen heissen wolle: Aber da war nichts als grauer und gelber Staub ?ber einem ausgetretenen Pflaster, graue und gelbe H?userw?nde mit blinden, leblosen Fenstern und hoffnungslos erstorbenen Blendb?gen, graue und gelbe Ziegeld?cher, von vielen schmutzigen Regeng?ssen gedunkelt, und ein paar verwahrloste Menschen mit grauen und gelben Gesichtern, in denen qu?lerisch das Wort geschrieben stand, das der Fluch dieser ganzen Stadt ist und jeden Menschen so rasch aus ihren Mauern forttreibt: Fieber .. Langsames Fieber, das sich im Blute einnistet und immer wieder aufsteht, wenn es die feuchte Hitze des Sommers und der Morastatem des Herbstes aus dem tr?gerischen Schlaf zum Leben ruft. Wie bl?d waren die Blicke, die an mir haften blieben, wie verst?ndnislos und misstrauisch gegen den Fremden, der nur hierher kommt, um das heimliche Leben in seinen Winkeln aufzusuchen, das diese hoffnungslosen Gassen ?berbl?ht. Alles ist verwahrlost, was der Blick streift, es gibt keine Mauer mehr, an der nicht der Kalk oder das Gestein losbr?ckelte, keine Flucht von Fenstern, deren Glas nicht gesprungen w?re, kein Tor, das nicht klaffte oder sich in unverrosteten Angeln drehte. Was will es bedeuten, dass zuweilen das Auge in stillen Blumenh?fen und Binneng?rten versinkt, wo blasse Rosenstr?ucher in grauen Tonschalen wuchern und ihre Bl?ten ?ber schmale Treppen fallen lassen .. wo reglose Stachelpalmen die matte, taube Luft durchstechen und uralter Efeu sein schwarzes Laub ?ber verfallende Mauern wirft? Vielleicht auch leuchtet pl?tzlich ein Geranienbeet an dem leeren Beh?lter des versiegten Springbrunnens auf und wirft dir den Frevel seines leidenschaftlichen Bl?hens in das Gesicht. O Kranksein dieser zerr?tteten Stadt! Immer wieder fiel es mich an, w?hrend mein Wagen auf dem abgescheuerten Pflaster dahinfuhr. Zuweilen trat eine Frau aus dem angelehnten Tor und goss einen Eimer voll Sp?lwasser in die kaum noch erkennbare Rinne: dann schrak das Pferd ein wenig auf und ging schneller, die R?der aber liessen lange noch die feuchten Spuren hinter sich, zwei braune Geleise, die matter und matter wurden, bis der Staub sie aufgesogen hatte. Schon fingen die Augen an zu brennen von dem blendenden Licht, das immer noch durch den grauweissen Filter des Wolkendunstes rann, sich manchmal etwas verdichtete und fast den Schatten eines Hauses zeichnete: da hielt der Wagen vor dem Eingang von San Vitale.
O Name voll Duft und Keuschheit, dessen Musik das Ohr entz?ckt.
Blasse Rosen an den schmalen S?ulen der Eingangshalle streuten in ihrem weichen Geruch die Ahnung kommender S?ssigkeit, dann ?ffnete sich eine T?re, ein paar Stufen f?hrten abw?rts .. Unwillk?rlich hob sich der Blick, von der geheimen Gewalt schwebender Bogenw?lbungen nach oben gelenkt; und siehe: aus der stillen Tiefe einer seitlichen Halbkuppel wehte ihm ein ?berirdisches Gr?n entgegen, durchsichtig wie der sommerliche Abendhimmel, wenn die ersten scheuen Sterne spr?hen. Jede Schwere war in diesem Leuchten gel?scht. Es nahm den Pfeilern die M?he des Tragens und den Kuppelw?nden das Bewusstsein des Getragenwerdens. Dienst und Gegendienst aller Teile hob es in die fliessende Zartheit seines Duftes empor, die mit der Verheissung der Gottn?he alles Aufstreben kr?nte. Nun erst wagte das Auge die Schau in den Umkreis. Von allen Seiten des oberen und unteren Umganges floss die Helle zusammen, der Sinn einer jeden W?lbung war, das Licht zu fangen und der beherrschenden Mitte des heiligen Kreises zu geben, ?ber dem sich, fast schwebend und wie von unsichtbaren, goldnen Seiten emporgehalten, die allerl?sende, allstillende Kuppel hoch und sieghaft aufhob. Aber dieses Licht war nicht weiss, nicht grau, nicht gelb wie der fiebernde ?ther: es war millionenmal gebrochen und verinnerlicht in allen Farben, die aus dem Mosaik der W?nde aufbl?hten, es war gemildert und gereinigt in den Schatten, welche die B?gen und seitlichen Halbkreise der sieben Nischen ihm abrangen. Auch der Marmor der Trags?ulen, das Geflecht und die Blumen der Kapit?le gaben ihm neue, gel?uterte Strahlung, und selbst vom Fussboden hob es sich wieder in sanfter T?nung auf. Es hatte Stimme bekommen, es war Gesang geworden und rieselte in die Stille, die ganz ges?ttigt war von Traum und Leben. Die grosse, erlauchte Mitte aber gab dieses Licht an den halbge?ffneten Altarplatz weiter, der sich nach Sonnenaufgang zu aus dem Bann der Kreise hinausschob und in die Feierlichkeit einer strahlenden Apsis m?ndete. Wie diese Helle lockte, wie heiter sie zu sich hin?berlud. Sie spielte den Jubel ihres Lichtes gegen die dunkle Sch?nheit der Mitte aus und wusste dennoch, dass sie nur eine Dienerin war in dem Traum unl?slicher Einheit. Ich trat langsam n?her: jeder Schritt auf diesem Boden zwischen den roten und grauen T?felungen der Pfeiler, zwischen dem warm- und stilleuchtenden Marmor der S?ulen, war scheu, fast furchtsam: denn jedes Weitergehen war das Verlassen einer Sch?nheit, in der sich gerade die Sinne gefangen hatten, und brachte eine neue, die der fr?heren feindlich war. Und als die Augen eben schon das wallende Licht ?ber dem Altare, die W?nde und Kuppeln mit allem ?bermass der schillernden Mosaikbilder, mit allen Aus- und Ineinanderstr?men undeutbarer Farben in einer Schau zu nehmen versuchten: musste der Blick noch einmal anhalten vor dem bl?henden Steinfiligran der Altar-Schranken, in dem das reine Gold der Morgenluft flimmerte. War die Sonne aus den Wolken gebrochen? ?ber meine F?sse fiel der Schatten einer S?ule: so musste draussen die Sonne scheinen. Als ich die Augen wieder aufhob von den Blumen der Steinranken, von den Clematissternen, den offnen Lilien und Diclytraherzen, bebten die Lider vor der weissgoldnen Welle, die aus den Fenstern wallte und sich in die Mitte ergoss, vorbei an dem Glanz der Bilder, die alle W?nde und Deckengew?lbe dieses Raumes schm?ckten und durch vierzehn Jahrhunderte die ungebrochene Kraft ihrer Sch?nheit bewahrt hatten. Welche Glut des Glaubens hat die Erfinder dieser Gem?lde beseelt, wenn sie den Ruhm Gottes und das Wunder der Ents?hnung in einer solchen Saat von Farben ausgiessen konnten: wenn sie die Gabe hatten, aus all diesen Sternen, diesen kleinen B?gen und Punkten, diesen Zacken und Vierecken, diesen Kreisen und Kreuzen, aus dem Gew?hl dieser Blumen und Girlanden einen solchen Jubel von Anbetung zu schaffen, dass kaum noch die Frage aufsteigt, wer die menschlichen Gestalten sind, deren Legenden in der flammenden Buntheit der Ornamente ihre Sprache verloren haben. Was sind sie anders, als selbst ein Ornament, eine kaum erbebende Melodie in der unteilbaren Gewalt der Toneinkl?nge? Was bedeutet es, dass wir wissen: hier throne Christus in der Kuppel der Apsis und dort, ?ber der linken Seitenwand, opfere Abraham seinen Sohn Isaak? Nur zwei Mosaikbilder sind in die Wand eingef?gt, die fremd im Jubel dieses Gotteshauses bleiben und grausam unvermittelt den wehen Hintergrund erschliessen, auf dem die mittelalterliche Geschichte Ravennas seit dem Untergang der Goten ruht: Es sind die Gem?lde des kaiserlichen Hofstaates, auf der einen Seite Justinian mit seinem Gefolge, auf der anderen Theodora mit ihren Frauen. Wie ausgebrannt ist das langgezogene, regungslose Antlitz der kaiserlichen Hure, die sich in ihrer Jugend den Soldaten preisgab und als Geliebte des slawischen Abenteurers den Thron erklomm .. wie liegen ihre kranken Sinne offen um diesen blutenden Mund und die ?bergrossen, uners?ttlichen Augen. Sie schreitet der Kirche zu, ihre H?nde tragen ein goldnes Weihgef?ss. Je tiefer der Blick sich in das Scheinbar-Tote dieser Mosaiksteine einsieht, desto erschreckender wird das Leben in den halbverw?steten Gesichtern deutlich und das Fieber, das in diesen strengverh?llten K?rpern auf- und niederfliegt. Die Kleider sinken, l?stern und schamlos, der Heiligenschein um den Kopf der Kaiserin taucht in den schwachen Dunst von hellem Blute, nackte, hagere H?ften zeigen ihre heisse Bl?sse, fallende Schultern und ersch?pfte Br?ste, auf denen nur das Mal der Warze brandrot flackt. Armselige, missbrauchte Leiber, an denen nichts mehr bl?hend ist und dennoch nichts gestillt. Wer bist du, Nachbarin Theodoras zur Linken, in deinem karminfarbigen Gewand mit den breiten Goldborten und dem hellen ?berwurf der Schultern, den deine rechte Hand festh?lt? Bist du vielleicht Eudoxia, die Gemahlin Belisars? Welche N?chte musst du gesehen haben, wenn du es wagen darfst, dich so an die Kaiserin zu lehnen .. Und du, N?chstfolgende im hyazinthblauen Kleid und rostbraunen ?berhang, du, mit den wundervollen Brauen und der schmalen Nase, mit der ?bersatten Frucht des Mundes und den schweren Lidern ?ber der gl?henden Ruhe der Pupillen? Noch ist eine Beherrschtheit in dir , aber deine Hand ist krank und k?ndet auch dein Schicksal. Vielleicht wolltest du nicht mit hinabgezogen werden .. aber deine unwillkommne Tugend h?tte leicht an einer zarten seidnen Schnur enden k?nnen. Nur der einen, der allerletzten begleitenden Frau, ist ein Hauch nicht ganz ert?teten Gef?hls in dem traurigen Gesicht stehen geblieben. Sie hat sich abgewandt, ihre Augen suchen irgend eine fremde ausgel?schte Ferne.
San Vitale! Heller Ruf des silbernen Hornes im Morgenwind .. Der Traum des besudelten Purpurs zerstob. Nur das eine wollte nicht zum Schweigen kommen: dass Theodora die goldne Schale zum Altare tr?gt. Was war der Glaube dieser Frau, der um ihr Haupt den Schein der Heiligen wob? Die halbversch?ttete Sehnsucht ihrer Seele? Die letzte Raserei der Sinne, die in Kasteiung endet? Da stieg das letzte der Gesichte auf: wie sie den schlaffen K?rper ?ber die scharfkantigen Stufen vor dem Tisch des Herrn emporwirft, ohne auf die Schnitte und Risse zu achten, und die m?den Br?ste gegen die aufstachelnde K?lte des Marmors presst. Die H?nde, von der ?berzahl der Ringe gel?hmt, umklammern die Peitsche, die Schl?ge prasseln nieder, ?ber den R?cken, an dem sich die Rippen abzeichnen. Langsam rieselt das Blut .. Die N?stern stehen gebl?ht .. Duft und Dunst des eignen Blutes, als Opfer dem Gekreuzigten gebracht, der aus dem gl?henden Mosaik durch den Rauch zu s?sser Kerzen niederl?chelt .. Letzter Kuss der verirrten Lippe auf den ?ppigen Mund des Gottes-Sohnes .. Und viele Stunden sp?ter das Erwachen im tiefged?mpften Licht des Badegemaches, wo in den silbernen Becken die D?fte der weissen Nelkenk?rner verpuffen und die Sklaven auf das erste befehlende Wort der Herrin warten, deren Haupt wie leblos im Schoss Eudoxias ruht .. O Qual eines kaiserlichen Namens! Theodora, die Gottgeschenkte, Name einer B?sserin, die das Kreuz der Liebe trug und alle, deren Leben sie ber?hrte, an ihrem verachteten Leid mitleiden liess .. Unmerklich hatte sich das Bild vor mir ge?ndert. Nur das Herz blieb sehend .. das letzte der Gesichte losch aus. Nur die Seele der Farbe gab noch eine Antwort und verk?ndete nichts anderes mehr als die Inbrunst des K?nstlers, der das Nebeneinander dieser Gestalten, den Fluss der Gew?nder, das Lorbeergr?n des Fussbodens und das weiche Gold des angedeuteten Himmels in die Rhythmen seines sch?pferischen Geistes zwang: unbek?mmert um die Trag?dien des Blutes, die in diesen Menschen wohnten. Sein Name ist vergessen: aber seine Liebe zur Sch?nheit ist ewig in ihrer zeugenden Kraft.
Die Pf?rtnerin ?ffnete ein schmales Tor. Ich trat ?ber wenige flache Stufen ins Freie. Warmer Duft schlug mir entgegen, Duft von Erde, in welcher noch der letzte Regen verdunstet, von Gras und von Rosen, die an einer hellen Ziegelmauer emporwuchsen, blassrot und klein wie die Bl?ten der Mandelstr?ucher. In dem matten Sonnenlicht, das zwischen den flachen Firsten fremder D?cher und einer vergissmeinnichtblauen Bucht des Himmels stand, klang die ged?mpfte Musik von San Vitale weiter. Jenseits des freien Platzes, der halb Garten, halb Hof, halb Schuttst?tte war, lag das Mausoleum der Kaiserin Galla Placidia ?ber der Grundfl?che eines lateinischen Kreuzes, ohne einen anderen Schmuck als die Rundbogen blinder Arkaden und den gezackten Fries unter dem Ansatz des Daches, wundervoll lebendig in dem satten Sepia der Ziegelsteine. Ich vergass es, dass der Tag schon der Mittagsh?he zulief, dass noch viele Sch?nheiten meiner warteten: ich sass, die Arme ?ber den hochgezogenen Knieen verschr?nkt, das Auge halb durch die Bl?ue, halb ?ber den stumpfen Goldhauch der Mauern und D?cher spielen lassend, auf dem niedrigen Grash?gel und sann dem Leben der Kaiserin nach.
Es war das Erbteil des m?tterlichen Blutes, das sie so sehr zur R?merin machte, aber vom Vater hatte sie das K?nigliche des Wesens, die Inbrunst des Willens und die grosse staatsm?nnische Begabung. Es gibt ein wundervolles Bild des grossen Theodosius auf einem silbernen Schild, der bei Merida in Spanien gefunden wurde. Das schmale Gesicht tr?gt die Z?ge einer vergeistigten Sch?nheit. Der Mund, voll verschwiegner Sinnlichkeit in das schmale Oval der Wangen gedr?ngt, ist nicht viel breiter als die Spanne zwischen den beiden Nasenfl?geln, die leichtgebl?ht ?ber der unmerklich schiefgezogenen Oberlippe stehen, der Lippe eines Mannes, dessen Sinne verfeinerter Gen?sse bed?rfen. Entr?tselt aber wird dieses Gesicht erst in den weitge?ffneten Augen, deren durchsichtiger Glanz den dunklen Zug der Brauen noch verdunkelt und nur im Leuchten der gemeisselten Stirne eine Antwort findet. Alle Formen sind gebunden in der Zucht des Geistes, in dem Wach-sein einer aussergew?hnlichen Klugheit und eines unbeugsamen Willens. Ja, vielleicht war der Glaube dieses Kaisers, sein leidenschaftliches Eintreten f?r das athanasianische Bekenntnis, nur die Frucht einer unerbittlichen Selbstschulung. Auch Galla hatte diesen Glauben des Vaters: doch ganz in die Beseelung, ganz in die Sehnsucht eines leidenden Herzens verwandelt: sie war eine Frau, unf?hig, ihrer Natur zu entrinnen. Alle andren Eigenschaften des Vaters aber lebten ungebrochen in ihr weiter: am deutlichsten jene Gabe der unbedingten Herrschaft ?ber sich selbst, die ihrem Leben die kaiserliche Haltung gab. Dass sich ?ber ihren Z?gen eine Melancholie breitet, dass in der Dunkelheit der ?bergrossen Augen ein nicht gel?stes Fragen steht, dass ein Schatten von Bitternis den vollen, stillen Mund umspielt: wird auch den nicht erstaunen, der sich nur fl?chtig in ihrem Leben verlor. In seiner Erinnerung aber wird das andere, viel weniger ausdrucksvolle Bildnis dieser Kaiserin beherrschend weiterleben, welches die kleine Elfenbeinplatte im Domschatz zu Monza ?berliefert: Hier ist Placidia ganz die F?rstin-Mutter, hochaufgerichtet, ihrer W?rde tiefbewusst neben dem kleinen, dumpfen Sohn, dessen kindliches Antlitz schon die schlaffe, sinnliche Weichheit des Verw?hnten aufweist. Nichts an diesem unbeseelten Bild der Kaiserin w?rde den Eindruck der Unnahbarkeit mildern, w?re nicht die verr?terische, rechte Hand, die nur Seele ist: von M?digkeit und Verlangen durchhaucht, so wie die elfenbeinerne Starrheit der offnen Rose zwischen Daumen und Zeigefinger.
F?r wen hatte sie gek?mpft, f?r wen geopfert?
Schon war die H?he des Lebens ?berschritten .. und nirgends winkte die Abl?sung, nirgends der Friede. Es bedurfte noch eines Kampfes, des bittersten, den eine Seele k?mpft.
Sie sass in mancher Sommernacht am Fenster ihres Palastes und lauschte in das leise Branden des lauen Meeres hinunter.
Was blieb? Nur sie .. Ihr Leben fiel in sich zur?ck. Sie musste bis zum ?ussersten Ende weitergehen, dem Purpur getreu, den ihr K?rper und ihre Seele trug.
Sie raffte die letzten Kr?fte zusammen in einem ?bermenschlichen Verzicht auf jede Ernte: und trat auch aus dem Bannkreis ihrer Mutterschaft in ihre tiefste Einsamkeit.
Was blieb? Gott. Sie liess Gott Kirchen bauen, eine sch?ner und inbr?nstiger als die andere .. den letzten Ruf ihres Herzens aber und ihr letztes Aufschluchzen warf sie in die Sch?nheit ihres Grabmal-Himmels hin?ber, der in den Grundwassern der Seele spiegelt, dort, wo sie die einzige Liebe begraben hatte: in der dunkelblauen Tiefe eines deutschen K?nigsnamens.
O Himmel voll Veilchenwiesen! Wie sich der Schmerz, zur Lust ged?mpft, auf Sammetfl?geln wiegt ..
War eine Schwelle, ?ber die ich eintrat in das Brausen dieses blauen Gesanges, der ?ber rotgoldnen Fahnen schwebt? Gold war am Anfang, vom Fusse k?hler Marmorw?nde aufsteigend, Gold, an die schweren Sarkophage der Nischen emporgehaucht, Gold an der Decke, in lauen Tropfen niederfallend. Dann losch es aus in der Wendung eines einzigen Schrittes, und r?tliches Gl?hen des Gesteines drang vor: Purpur des Abends auf fernen Inseln der Meere .. im Ge?der der Marmorbr?che gefangen. Rote Blumen gehen auf im Grund der Himmelsau, tiefeingebettet in den Schoss der Mutterfarbe. Und alles sinkt und steigt auf der Woge der ?berirdischen Musik. Silbern jubeln die Fl?ten: weisse Sternblumen ?ffnen ihre Kronen .. die Harfen wehen: Pfirsichbl?ten rieseln .. Nun singen Knaben: ein Duft von Veilchen zieht vor?ber. Fruchtkr?nze winden sich im Halbrund breiter B?gen: von tausend Geigen der dunkelgr?n gebundene Strich, an dessen Saum die goldnen Funken knistern .. Aus starrem Lorbeer dr?ngen sich die Rosen: das erste Liebeslied bewegt die Lippe der M?dchen.
Kaiserliche Frau! was war dein Leben, wenn deine Seele diesen Traum trug? War es so wenig, dass du alle Liebe aufsparen konntest f?r diesen einen Abendgesang? Und woher nahmst du die Kraft, alle Sehnsuchten so rein und gl?hend zu bilden, dass sie diese Lohe auswerfen, in der das Gef?ss deines Leibes vergl?hte? War Gott so tief in deinen K?mpfen? So tief der Himmel schon in deiner Irdischkeit? In ?bersinnlichen Gesichten hat deine Seele gelebt, indes du Wirklichkeiten schufst .. Eine wehende Kerze im Wind Gottes war deine Seele, und du schienst seelenlos im k?hlen W?gen deiner Pl?ne. Wie sehr musst du die Welt verachtet haben, an die du so gefesselt schienst! Du letzte grosse R?merin und du erste grosse Wissende um die Erkenntnis einer neuen Zeit. Entdeckerin der Seele, K?nstlerin, die den Gott aus sich in das Werk hin?berschuf .. So war der Gott, der in dir brannte, wie jener Hirte im goldnen Bogen ?ber der T?r deiner Grabkapelle: Dunkel und sch?n, ein junger Herrscher, Apollos Bruder, um Christi tiefe Schmerzen reicher. Blumenkr?nze schweben zu seinen H?upten im unendlichen Blau. Die bunten Kreise fangen an zu schwingen, leicht, wie vom Wind getrieben. Goldregenbl?ten rieseln auf Vergissmeinnicht. Tauben nisten im Mandelgestr?uch .. Fr?hling am See Genezareth .. O Duft des Morgenlandes ..
Noch einmal siegt das Blau. Ein dichter Mantel von Heliotrop, mit Smaragd und Gold gef?ttert, sinkt es auf Schultern und Sinne .. Nirwana der Sch?nheit, die kein Geist mehr ertr?gt.
Es mochte Mittag sein, als ich zu dem Grabmal des Theoderich hinausfuhr. Im Hafen ruhten kleine Schiffe auf dem Pfuhl eines gr?nlichen Gew?ssers, Geruch von Tang und F?ulnis bannte den Atem. Verlumpte Arbeiter schliefen in den Winkeln der Schuppen, wie unn?tze Kranke in irgend eine Ecke geworfen, wo sie liegen bleiben konnten, bis der Hunger oder das Fieber sie frass. Der Wagen warf sich von einer Seite auf die andere, die R?der versanken in dem grauen, d?nnen Staub, der bis zu den Schuhen aufwirbelte. An einer Kreuzung versperrte ein Lastkarren den Weg. Die Pferde hatten sich losgerissen und frassen am Blattwerk einer niedrigen Hopfenhecke, der Kutscher lag schlafend am Boden, das gelbe Gesicht zur H?lfte in Taubnesseln vergraben. Es war unm?glich, weiterzufahren. Ich ging zu Fuss die kurze Strecke bis zu meinem Ziel. Der W?rter ?ffnete das Gittertor, am Ende eines langen Gartenwegs lag das Grabmal, grau und verwittert. Die flache Kuppel stand in grausamer Nacktheit gegen das l?ngst wieder erblindete Licht des Himmels, an den Quadern des oberen Rundbaus war schwarzes Moos angewachsen, ?ber das Treppengel?nder hingen Rosen, bl?hendes Mitleid an diesem ganz ver?deten Bau, der langsam in den feuchten Feldern versinkt, indessen sich zwischen den Arkadenpfeilern des unteren Geschosses die verwesenden W?sser der schmutzigen Regeng?sse ansammeln. Aus dem Innern des leeren Gew?lbes schl?gt modernde Luft. Keine Seele mehr redet aus der T?rmung dieser Mauern, hier ist nichts verinnerlichter Ausdruck eines k?niglichen Lebens: nur der Machtgedanke eines Herrschers findet seine Sprache in diesem Denkmal: die Gewalt, ?ber V?lker zu gebieten durch den Krieg. Es wird keine Liebe wach vor diesem Stein, kein Wunsch, sich in die Schicksale des F?rsten zu versenken, der hier begraben sein wollte. Nur der Name bleibt und das Schaudern vor einer Zeit, die gewaltsam und gesetzlos war, heroisch und dennoch unfruchtbar. Ein Schimmer von Byzanz liegt ?ber der Jugend des Gotenk?nigs: er hatte bis zu seinem siebzehnten Jahr am Hofe gelebt. Aber dieser fl?chtige Schein verweht. In seinen Taten ist die Einsamkeit der Emp?rer, in seiner Herrschaft die Klugheit des Herrschgewohnten: Er liess Pal?ste und Kirchen bauen, es war sein Ehrgeiz, kein Barbar zu sein. Es ist schwer zu sagen, was er war, kein Grieche, kein R?mer, kein Gote .. von allem etwas und keines ganz. Die Sage hat sich seiner angenommen. Sein Andenken ist k?hl und blinkend geblieben, wie das Metall ritterlicher R?stung, ein Beispiel, ohne Sehnsucht, ohne Heimweh. Es war kein Geheimnis ?ber seiner Kraft. Er war zu k?niglich, um ein Abenteurer zu sein, zu sehr sein eigner Feldherr, um das R?tsel des Purpurs zu vertiefen.
Vielleicht werden einmal die gelben Rosen, die sich am eisernen Treppengel?nder emporziehen, ?ber die Kuppel bis in die G?rten weiterwachsen. Dann wird die Seele des Fremden tiefer ergriffen werden, wenn die Natur das Allzudeutliche verh?llt. Man wird nicht mehr nachdenken, man wird nur schauen und von den Rosen erz?hlen, die das Grabmal eines fr?hen deutschen K?nigs zudecken: Rosen von Ravenna .. so wie man sagt: die Veilchen von Parma, die Zypressen von Tivoli ..
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