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Read Ebook: Die Vergiftung by Lazar Maria

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Ebook has 801 lines and 33843 words, and 17 pages

fgewirbelten Schnurrbartspitzchen und rot gebl?mter Krawatte. Noch empfand sie den weichen Abgrund, der zu tief war, um zu duften und sah sich doch hier unter kleinen Leuten, im kleinen t?glichen Leben, rundherum der graue Spielsand. Sie lachte ihrem Nachbarn ins Gesicht, laut und pl?tzlich, dass er zur?ckfuhr. Dann ging sie. Hinter ihr schimpften die Proletarierfrauen.

Sie musste immer von zuhause weggehen. Denn, wenn sie zuhause war, liebte sie Mutter nicht und das war doch schon ganz unm?glich.

Mutter sagte zu Richard: -- Man sollte doch sehen, wo das Kind sich herumtreibt. Sonst dachte sie nicht weiter an Ruth. Nur in der Nacht wachte sie manchmal auf und wurde unruhig. Sie meinte, das k?me von ihren angegriffenen Nerven und nahm Schlafpulver.

Dass etwas ihr Fremdes in Ruth vorging, wusste sie. Soweit sie ?berhaupt wissen konnte, was sie nicht wissen wollte. Und sie wollte nichts wissen, was sie nicht seit ihrem zw?lften Jahr kannte und besass. Das beleidigte sie schon durch seine blosse Existenz.

F?r sie war Ruth das Kind. Das etwas vertr?umte Kind, das sie unbedingt liebte, weil es ihr Kind war, das sie bemitleidete, weil es das Kind ihres Mannes war. Und das sie deshalb sch?tzen zu m?ssen glaubte.

Solange Ruth klein war, sagte sie mit Stolz zu allen Verwandten: -- Das Kind wird ganz wie ich. Und Ruth war fast ebenso angesehen im Hause wie Richard. Aber mit zehn Jahren entt?uschte sie ihre Mutter zum erstenmal. Von da an immer wieder.

Sie ging mit Mutter an einem nasskalten Novembertag durch die Stadt, Eink?ufe machen. Sie war traurig, weil alle Leute in den Gesch?ften unfreundlich waren, die Herren dicke Tr?pfchen im Bart hatten und die Damen in zu kleinen Schuhen gingen, die sicher weh taten. Weil sie eine erfrorene Nase hatte und einen h?sslichen Hut. Deshalb dachte sie an ein Schloss im Hochsommer und zerbrach sich den Kopf, wie sie dort Rosenstr?ucher und Marmorbrunnen verteilen sollte. Da kam ein Bettler. Er war so wie alle anderen Bettler auf der Welt. Die selbe verkr?ppelte Demut, die Gesch?fte macht und ihre Kr?cken schwingt. Schamloses Elend. Mutter sagte: -- Gib ihm zwei Kreuzer. -- Nein, erwiderte das Kind, ich mag nicht. -- Was, rief die Mutter entsetzt, warum? Oh, du bist schlecht. -- Ja, sagte sie, ich bin nicht gut, ich kann alle Bettler nicht leiden.

Damals war Mutter sehr b?se. Und Ruth sagte zuhause: -- Wenn ich alle Bettler wirklich gern h?tte, m?ssten sie zu mir kommen, aber ganz. Und ich m?chte ihnen nie Kreuzer schenken, aber ich mag sie gar nicht. -- Da schlug Mutter sie und Richard und Martha waren voll Verachtung.

Denn man musste gut sein zuhause. Das war wie ein Dogma. Richard schenkte jedem Bettler etwas und Martha n?hte Puppenkleider f?r Armeleutekinder.

Als Ruth zw?lf Jahre alt war, sagte sie l?chelnd zu ihren Freundinnen: -- Nat?rlich sind wir Juden, aber schon lang getauft, doch das macht nichts aus.

Als sie vierzehn Jahre alt war, erkl?rte sie: -- Unsere M?bel sind h?sslich. -- Ich l?ge oft, nicht gern aber doch oft. -- Wenn ich ganz arm w?re, w?rde ich sicher einbrechen.

Da wusste man in der Familie: das Kind ist dumm. Man muss sie zum Schweigen bringen, sonst macht es nichts.

Und Ruth glaubte, dass sie dumm sei. Nur kr?nkte es sie gar nicht. Sie konnte einfach nie auf die Idee kommen, anders sein zu wollen, als sie war. H?chstens, dass sie sich w?nschte, str?hnenglatte blonde Haare zu haben und eine griechische Nase.

Hier aber war die erste grosse Spaltung zwischen ihr und Mutter. Denn Mutter f?hlte zu genau, wie sehr Ruth ihr Kind war, um diese Aufrichtigkeit zu gestatten. Sie empfand es als eine Verletzung.

Ruth sagte einmal auf jemanden: Den liebe ich, den m?chte ich auf der Stelle heiraten. Ich glaube wirklich, ich k?nnte mich wahnsinnig in ihn verlieben. -- Aber sch?mst du dich nicht, rief die Mutter.

Mutter sch?mte sich immer. Weil sie einen so unm?ssigen Stolz in sich trug. Was dieser Stolz wollte, wusste sie eigentlich selbst nicht, er hatte etwas sinn- und zweckloses. Er erinnerte an die hohen Zimmer, die man in den Achtzigerjahren baute, deren Gr?sse etwas Leeres und Zugiges an sich hat. Und die nie auszuf?llen sind, weil die Kostbarkeiten, nach denen sie verlangen, gar nicht aufgetrieben werden k?nnen.

Das, was Mutter wollte, existierte nicht. Und deshalb war sie arm geblieben in der F?lle ihrer z?gellos reichen Empfindungen.

Wenn Ruth in der Nacht sich im Bett aufrichtete und sie war pl?tzlich ganz wer anderer als am Tage, so dass sie ihre eigenen Bewegungen mit s?ssem Mitleid und verborgener Z?rtlichkeit beobachtete, dann war es genau so, wie wenn sie Mutter beim Schreibtisch sitzen sah, mit einer Unzahl Rechnungen, bei denen sie sich fortw?hrend irrte und die sie doch so genau nahm. Oder wie wenn sie einem nackten S?ugling zuschaute, wie er sinnlos mit den winzigen F?ssen in die Luft strampelt.

Mutters Reserve der Menschheit gegen?ber war nur etwas rein gedankliches, ?usserlich war sie allen vollkommen ausgeliefert. Ihre Haare steckten immer schief. Der Mund war zu voll. Die Unterlippe hing herunter. Das war aber nicht notwendig. Es war nur, weil Mutter eben so gar nicht verstand, in den Spiegel zu schauen.

Ihre dunkelsehnigen Arme h?tten Erdarbeit leisten sollen. Ihr kr?ftiger K?rper brauchte Bergluft. So dass er fast hinf?llig scheinen konnte in den Zimmern der Grossstadt.

Mutter hatte sich nicht erziehen k?nnen und deshalb ihre eigenen Kinder nicht, weil die ihr zu ?hnlich waren. Aber sie hatte einen j?ngeren Bruder, der weich und bildsamer war als Lehm. Er war Musiker, er war Dichter, er war Maler. Und endigte als Zeichenlehrer in einer Mittelschule. Sie hatte ihm zu viel geholfen.

Ihre eigenen Talente hatte Mutter verschleudert. In ihrer Jugend war sie die wildeste T?nzerin der Stadt. Und trug doch immer abgetretene Schuhe.

Onkel Gustav wuchsen die Haare zu lang in den Nacken. Nur ein ganz klein wenig, so dass man es bei anderen Menschen gar nicht bemerkt h?tte. Aber bei ihm schien es viel zu viel zu sein. Er wurde in der Familie verlacht und als Narr behandelt. Und l?chelte dann dem?tig. Ruth ging an ihm vorbei. Sie konnte Bettler nicht leiden.

Mutters Kommode war das interessanteste St?ck im ganzen Haus. Zweimal im Jahr wurde sie >>gross<< aufger?umt. Kein Mensch durfte ins Zimmer kommen, nur Gustav und Ruth waren zur Hilfe kommandiert. Weil Gustav so sch?n die einzelnen P?ckchen einwickeln und mit Spagat zusammenbinden konnte. Und weil Ruth es lieber tat, als ins Theater gehen. Der dumpfe Lawendelgeruch erweckte in ihr eine m?de Erinnerung an Geheimnisse, die sie einmal gekannt hatte, aber nun nie und nimmermehr erfahren durfte.

An einem langweiligen Sonntagnachmittag mit Regentropfen rief die Mutter Gustav und Ruth zum grossen Aufr?umen. Ruth kam widerwillig, sie hatte sich stumpf geschlafen und eine fade Sattheit klebte in ihren Haaren, die heute gar nicht unternehmungslustig um die Stirne herumstanden, sondern schl?frig nach hinten lagen. Als Mutter die grossen Schubladen aufzog, mit ihren zu hastigen, etwas blinden Bewegungen, bekam Ruth einen dumpfen Druck in den Kopf von starkem Lawendelgeruch und wie im Zorn sagte sie: -- Alt. Gustav sah verwundert auf. Er hatte die Hemd?rmeln aufgestreift und seine kleine, gedrungene Gestalt, die gerne dick sein wollte, aber nie dazu kam, weil er ja immer hungerte, war auf dem Sprung, Mutters W?nsche zu erf?llen. Er kn?pfte alle die braunen, grauen, gelben, weissen P?ckchen auf und schichtete ihren Inhalt sorgf?ltig auf dem Boden hin. Ruth r?hrte sich nicht und sagte pl?tzlich zu Mutter: -- Ich m?chte Seidenpapier kaufen, weisses und einf?rbige B?nder. Nicht so in irgend ein Papier und Spagat. -- Was f?llt dir ein, das w?re viel zu teuer. --

Ruth verstand das nicht. Sie legte sich auf einen Teppich und w?hlte wie sonst in alten Photographien hochsch?pfiger Damen und befrackter Herren mit Zylindern. In Wickelkindbildern, wo alle immer in der gleichen Weise auf dem Bauche liegen. Es langweilte sie.

Gustav pfiff. Er pfiff wundersch?n.

Ruth durchst?berte Briefe, die wie gestochen aussahen auf vergilbtem Papier. Sie suchte etwas. Sie suchte etwas, um aus der gr?sslichen Leere des Sonntagnachmittags herauszukommen. Und weil es doch ganz und gar unm?glich war, dass die geliebte, geheimnisvolle Kommode nichts anderes barg als dieses ?de Zeug. Nein, bestimmt nicht. Nicht einmal die Sch?ferinnenspieluhr kam ihr sehenswert vor oder das Stammbuch der Urgrossmutter.

Mutter zeigte ihnen einen Liebesbrief, den sie bekommen hatte, als sie sechzehn Jahre alt war. Es war der Brief eines ?berspannten Gymnasiasten und schloss mit Selbstmordgedanken. Mutter war sehr stolz darauf. Aber Ruth fand ihn so ?berfl?ssig aufzuheben, wie Grossvaters Brautbriefe an Grossmutter. Sie wurde zornig. Und sie bekam Angst.

Denn da war noch mehr in dieser Kommode. Mutter log. Sie, Ruth, wusste es. Da drinnen lag ein zerbrochenes Schicksal, ein Ruin, ein Kampf gegen den Irrsinn. Mit dunklen Blicken sah Ruth auf den grauen Scheitel der Mutter, wie sie eben vor ihr kniete. Sie f?hlte ein kaltes, entsetzliches Alter in ihren jungen H?nden, das alles wusste, das man nicht mehr t?uschen konnte. Und ihr Mund war greisenhaft erbittert.

Mutter staubte soeben eine graue Pappschachtel ab, die mit einem goldenen B?ndchen zusammengebunden war, als das Dienstm?dchen sie rief. -- Das lass stehen, sagte sie zu Ruth und ging hinaus. Ruth warf sich auf die Schachtel. Gustav kehrte ihr den R?cken zu. Sie streifte das Band los, schob den Deckel weg, seine Schrift -- und der grosse Schn?rkel bei >>Liebe<<. Eine dunkle T?r tat sich auf. Sie bekam einen brennenden Schlag auf die Hand. Und da wurde es licht, schreiend licht, grell, schmerzhaft ...

Mutter schrie etwas, das sie nicht verstehen konnte. Und nahm die Briefe und ging hinaus, wutentstellt.

-- Onkel Gustav, sagte Ruth ruhig und ernst und totenblass. Von wem waren diese Briefe?

Gustav zitterte am ganzen Leib: -- Warum machst du solche Sachen, wenn Mutter es verbietet. Von wem die Briefe sind. Ich weiss es wirklich nicht, wirklich nicht.

-- Onkel Gustav, wiederholte Ruth und trat ganz nahe zu ihm hin. Du weisst das alles. Aber wenn du es nicht sagen willst, wenn du dich nicht traust, so werde ich es sagen: in diesen Menschen war Mutter verliebt.

Ihre Stimme klang wie h?hnende Beleidigung in dem d?mmernden Zimmer. Die Worte fielen abgehackt in das Dunkle und Mutters Rechenb?cher lagen auf dem Schreibtisch im hintersten Winkel.

-- Danach habe ich dich nicht fragen wollen. Aber eines musst du mir sagen, wann war es, du? -- und sie kniete neben ihm und krallte die Finger ein in seinen willenlosen Arm -- wann? war ich damals schon gross, wie alt, ein kleines Kind? sag, du musst!

-- Du warst ganz klein, eben zur Welt gekommen.

Ruth sah vor sich einen Horizont, der in gerader Richtung in die H?he steigt. Wo es nicht rechts gibt, nicht links, nur das Oben. Und das Oben, der Blick, das Band, das glatte, weiche Band.

-- Weiter, sagte sie hart -- und fr?her?

-- Er sagte dein Schicksal voraus aus den Sternen, erz?hlte Gustav, der ins Schw?tzen kam, -- als Mutter dich erwartete. Deshalb ist er auch so viel zu euch gekommen.

Ruth empfand in sich eine graue, steinschwere Halle, die sich selbst erdr?cken wollte und nur getragen wurde durch ihre entsetzliche, hohe Leere. Wo verschn?rkelte St?hle an den W?nden standen, ganz vereinzelt und wo etwas von ihr war, ein Hauch, ehe sie selbst noch war, und wo er war, voll und ganz, nur dass man ihn nicht sehen konnte. Diese Halle, die sie aus den fr?hen, angstvollen D?mmerstunden kannte.

-- Wann ging er weg, fragte sie kurz. -- Bald darauf. Er nahm ein Teil von der Erfindung deines Vaters und verwendete sie f?r seine Zwecke. Er hat viel damit erreicht. Aber nat?rlich wollte ihn dein Vater nicht mehr sehen. Er ist ?brigens von selbst nicht gekommen und --

-- Schweig, unterbrach sie ihn. Sie f?hlte sich umgeben von lauter schwarzen, weichen B?ndern und Spagatschn?ren, die alle ineinander ?bergingen. Fesseln, Fesseln.

Und aus ungeheurer Tiefe heraus quillt dunkel empor eine formlose Masse. Die sie nicht modeln darf.

Sie ist machtlos.

-- Ruth, bat Gustav erschrocken, wenn Mutter davon erf?hrt. Nein, das tust du mir nicht an. Nicht wahr, gewiss nicht. ?berdies, das was du von verliebt sagst, ist nat?rlich dummes Zeug. Mutter war sehr gekr?nkt. Er war doch ein Freund von ihr. Auch von deinem Vater. Und er war j?nger als sie. Und ?berhaupt, deine Mutter war nie verliebt, ?berhaupt nicht. Wie du nur so etwas sagen kannst. Du bist wirklich ein Fratz --

-- Und du ein Esel. -- Gl?hende Zornestr?nen standen in ihren Augen.

Sie trat an das Fenster. Unten wurden die ersten Gaslaternen angez?ndet. Sie st?hnte: was kann ich Mutter geben, was kann ich ihr schenken, alles schenken, meiner lieben, armen Mutter, Mutter, Mutter --

Zum Abendessen kam Mutter mit verweinten Augen. Ruths H?nde wurden eiskalt. Und eine harte Wut ?berkam sie. Sie hasste alle Weinenden. Nie konnte Mutter ihr das zeigen. Nein, pfui, das war eine Schande, nein.

-- Was hast du Mutter wieder ge?rgert, zankte Richard ?ber den Tisch hin?ber.

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