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Read Ebook: Die Vergiftung by Lazar Maria

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Ebook has 801 lines and 33843 words, and 17 pages

-- Was hast du Mutter wieder ge?rgert, zankte Richard ?ber den Tisch hin?ber.

-- O nichts, erwiderte sie achselzuckend. Wenn Mama so empfindlich ist -- ich kann nichts daf?r.

Sie ging in den n?chsten Tagen, in den n?chsten Monaten an ihrer Mutter vorbei, ohne sie zu sehen. Aber in den N?chten erlebte sie alle ihre Schmerzen hundertfach wieder. Sie vergass die eigene Sehnsucht vor der Sehnsucht, an der Mutter litt, die eigenen Qualen vor Mutters Qualen und ihren grossen Zorn vor Mutters uns?glichem Schmerz, der ja so nicht zum Ausdenken furchtbar sein musste, weil er nicht wagte sich zu erkennen, sich einzugestehen, weil Mutter t?glich ?ber den Rechenb?chern sass und die Liebe zu ihren Kindern f?r ihren einzig w?rdigen Lebenstrieb erkl?rte. Und der doch so an der Oberfl?che war, dass Mutter es sie sehen liess, als sie weinte. Nein, deshalb musste sie Mutter bei Tag ausweichen. Und wieder in die kleinen Vorstadtg?rten fliehen.

Zuhause aber wurde sie unertr?glich.

Als Mutter einmal einem Gast bei Tisch eine gl?nzende Schilderung Grossvaters gab, der ein Kavalier war vom Scheitel bis zur Sohle, nur von Geld habe er freilich wenig verstanden, warf Ruth ein: -- er muss ein roher, betrunkener Mensch gewesen sein. Dass er seine Bedienten gepr?gelt hat, finde ich ekelhaft und ich ?rgere mich noch heute dar?ber, dass er das ganze Verm?gen verspielt hat. Es ist doch gr?sslich unintelligent, wenn einem fremde Pferde mehr wert sind als die eigenen Kinder.

Und Ruth sagte, wenn Mutter Hexenglauben und Wahrsagerwesen als Schwindel und Unsinn verdammte: -- Ich glaube bestimmt an alles ?bernat?rliche -- obwohl sie ?berhaupt nichts glaubte und ihr Leben nahm, wie der Tag es hinstreute, mit einem Grauen, das zu tief war, um ?ber sich selber nachzudenken.

Und Ruth sagte: -- Ich gehe in die Kirche, nicht weil ich muss, sondern damit die Leute sehen, dass wir auch Christen sind. -- Dabei ging sie ?berhaupt nie zur Kirche.

In diesen Tagen konnte sie nichts essen als altes Brot und harte, unzerbeissbare Dinge, an denen sie sich die Kiefer wund riss. Ein fortw?hrendes ?belsein dr?ckte ihr den Magen leer. Und die grosse Bosheit, die in ihr war, w?rgte die Kehle, zerfrass die Haut und zehrte an den braunen Kinderh?nden.

Sie wusste nicht, ob diese Bosheit etwas ihr eigenes war. Oder ob sie sie mitgebracht hatte aus dem Zimmer mit der braunen Holzt?r. Oder ob es die Bosheit des Schicksals war, das sie zwang, Sprachrohr zu sein f?r ein unterdr?cktes Leben, unterdr?ckte Sehnsucht und unterdr?ckte Kraft. Nur Sprachrohr oder war noch etwas in ihr, das ihr die Augen offen hielt mit grossen, weichen, weissen H?nden. Dass sie nicht einmal blinzeln konnte und nur die heissen Tr?nen brennen f?hlte.

Sie liess von dem m?den Druck der Sp?tsommern?chte den Kopf in ihr kleines Kissen pressen. Und sie bohrte das Gesicht hinein, um nicht denken zu m?ssen. Sie sehnte sich masslos nach einer Bonne, die sie als dreij?hriges Kind gepflegt hatte und t?glich vor dem Einschlafen an ihrem Bett gesessen war. Wenn die wieder hier sein k?nnte, w?re alles besser. Sie wusste nicht mehr, wie das M?dchen ausgesehen hatte, aber sie erinnerte sich an eine k?hle, behutsame Hand und weisse Mullgardinen vor dem Fenster.

Wenn sie aber Mutters Stimme aus dem Nebenzimmer h?rte, sagte sie halblaut in das heissgehauchte Kissen hinein: er ist ein Schuft -- ich liebe ihn -- er hat Vater bestohlen -- ich liebe ihn -- er hat uns gemordet -- ich liebe ihn -- er hat unsere Zimmer tr?b und dr?ckend gemacht und unser Leben misstrauisch und eng -- ich liebe ihn -- er sucht das B?se, weil das Licht ihn verlassen hat -- ich liebe ihn -- ich habe ihn immer geliebt -- ich liebe --

So das Sprachrohr. Und unter dem Bett lag, staubdick geschichtet, wehrlose Wut.

Onkel Gustav

Onkel Gustav war klein. Er war nur ein ganz wenig kleiner als die andern und doch glaubte er, an ihnen hinaufsehen zu m?ssen. Er spielte Geige. Um ein klein wenig schlechter, als man spielen muss, um ein helles Leben zu haben. Er malte. Und es h?tte nur eines Funkens Kraft, eines Fusstritts Pers?nlichkeit bedurft und er w?re ein grosser K?nstler geworden. So war er klein, sogar sehr klein.

Ein Sprung und er h?tte den Gipfel erreicht. Zu diesem Sprung kam er nie. Und so blieb er hoch oben h?ngen, ?ber dem Abgrund. Und die von unten lachten ihn aus.

Als Onkel Gustav drei Jahre alt war, waren es seine Zartheit, seine r?hrend fragende Stimme, seine samtenen, etwas zu grossen Augen, die seine tr?ge Mutter das erstemal in ihrem Leben lebendig machten.

Sein Vater behandelte ihn wie einen ?berempfindlichen Rassehund. Die Mutter liebte seine gl?nzenden Locken. Und die grosse Schwester st?rzte sich auf ihn in z?gelloser Leidenschaft. Die vielleicht nicht ganz ihm galt, sondern auch der Freude zu herrschen, herrschen zu d?rfen ?ber einen andern, w?hrend ihre fordernden Finger sich kr?mmten unter der Zuchtrute des v?terlichen Hauses.

Onkel Gustavs zarte, etwas br?unliche Haut hatte einen leicht verwelkten Geruch an sich. Der angenehm war, wie der Duft erm?deter Rosen. Und l?hmte.

Vor dem Hause seiner Kindheit war ein tropisch ?ppiger Garten gewesen. Und alles wurde verspielt.

Gustav wusste nie, was wirklich um ihn vorging. Das teilte er mit der Schwester. Sein Zuhause war ein K?nigschloss, Vater der K?nig, Mutter die K?nigin, ganz wie im Kinderm?rchen. Und die grosse Schwester erkl?rte ihm die Welt. Die richtig gezeichnet war, nur mit zu langen Strichen. So dass ?berall spitze Ecken waren und Anh?ngsel. Doch das konnte er nicht wissen.

Er hatte eine runde Kopfform. Eine runde, etwas kindische Nase, runde Augen. Er geigte in weichen, abgerundeten T?nen, die nicht zu Ende kommen wollten. Mischte auf seinen Bildern mollige, runde Wolken ineinander und seine griechischen Vokabeln bissen eine in die andere, immer im Kreis.

Im Gymnasium war er durchgefallen. Vater verachtete ihn. Mutter weinte. Die Schwester erkl?rte, er sei ein K?nstler und die Pr?fer geh?ren gehenkt.

Die Dienstboten verspotteten ihn. Seine Kameraden gingen mit ihm um wie mit einem verwachsenen Kind. Aber er hatte einen Freund, der gross und stark war, etwas zu klug und ganz gemein blond. Der studierte ihn genau. Bis er mit derselben nachl?ssigen Geb?rde die Schulb?cher ?ber den Tisch warf, die Haare, genau wie er, etwas zu lang in den Nacken trug und eine ebenso tolle Zusammensetzung franz?sischer Gassenhauer pfeifen konnte. Dann verliess er ihn. Er galt f?r sehr interessant. Und kam bei allen Pr?fungen durch.

Alte Damen hatten ein unversch?mtes Bed?rfnis, sich Gustavs anzunehmen. Der Kondukteur der Strassenbahn behandelte ihn mitleidig l?chelnd, weil er ihm zu viel Trinkgeld gab.

Aber alle Hunde hatten ihn gern. Weil er nicht besser sein wollte als sie. Er liebkoste sie wie eine fremde, seltsame Sache, der man nicht zu nahe gehen d?rfe, er respektierte sie. Als er sehr klein war, sagte er den grossen Jagdhunden seines Vaters >>Sie<<. Sp?ter sprach er nicht mehr mit den Hunden. Er wusste, dass sie ihn nicht verstanden. Aber er lebte mit ihnen und sie durften ihr eigenes Leben f?hren. Was ihm versagt war. Das wusste er nicht. Sie sassen neben ihm beim Schreibtisch, wenn er schrieb, neben ihm, wenn er ass, sie lagen neben seinem Bett. Sie hatten alle keine Namen. Aber seine Schwester gab ihnen englische Sportsnamen. Er konnte nichts dagegen machen.

Junge Frauen liebten ihn pl?tzlich und st?rmisch. Ja, sie verehrten ihn sogar. Er sah in jeder eine Mutter Gottes. Und sie waren sein Stolz.

Er hatte eine Schreibtischlade voll Liebesbriefen. Davon wusste die Schwester nichts. Er hob das nicht auf aus Eitelkeit. Aber wenn er hungrig war und erfroren, nahm er sie vor und wurde warm und gl?cklich. Er lebte von dem Glauben der Frauen an ihn, der immer gar zu rasch verflogen war. Das wusste er nicht. Als er achtzehn Jahre war, verliebte sich eine blonde, junge Wilde in ihn. Sein Vater wollte ihn gerade durch die Schule zwingen. Sie kam ins Haus und erkl?rte wutspr?hend, er brauche keine Pr?fungen, er k?me in die Fabrik ihres Vaters, er sei geboren, Massen zu lenken, so wie er unl?ngst mit dem Werkf?hrer gesprochen ...

Es gab Augenblicke in Gustavs Dasein, die wie rote Raketen emporstiegen, leuchtend, hoch. Und dieses falsche Feuer durfte sein Leben erw?rmen. Denn er hatte ein gl?ubiges Herz.

So ein Augenblick war es, als sie, die blonde, junge Wilde vor seinem Vater stand. Sie war ?berflutet von einer weissgelben M?rzsonne. Und draussen schmolz der Schnee. Sie schlug mit ihrer etwas zu grossen Faust auf den Tisch, dass die Gl?ser klirrten und die dunklen Eichenm?bel ganz verwundert schienen. Vater war auch ganz verwundert. Und er selbst war so gl?cklich, dass er vergass, um was es sich handelte.

Dann war er drei Wochen verlobt. L?nger liess es die Schwester nicht zu. Denn sie wusste ja, dass er ein grosser K?nstler werden w?rde. Und da glaubte er es auch. Die blonde, junge Wilde heiratete sp?ter einen Ofenr?hrenfabrikanten.

Gustav konnte nicht ?ber die Strasse gehen, ohne dass sich ein blondes M?del an seine Rocktaschen hing. Und er liebte sie alle. Nur wusste er nicht, sollte er sich so benehmen, wie seine Freunde es taten oder sich der strengen Moral der Schwester f?gen. W?hrend er sich das ?berlegte, verschwand das blonde M?del.

Eine grobknochige Malerin hatte ihn in einer Ausstellung untergebracht, sechs Wochen lag er in ihrem Atelier herum, als ihr erkl?rter Liebling. Ihre Freundinnen stutzten seine zu langen Locken. Und ihre wilden Umarmungen standen wie riesige Raketen auf seinem Lebenshimmel. Dann holte ihn die Schwester. Die Malerin reiste nach Paris.

Sein Zimmer wurde immer enger. Vater und Mutter waren tot. Das viele Geld fort. Er wusste nie genau, wie es gekommen war. Er bastelte eine eigene Liegestatt f?r seinen grossen Terrier. Schrieb eine rechtsphilosophische Abhandlung, lernte indisch. Des Abends ging er zu seiner Schwester. Sie setzte ihm auseinander, er sei ein verfolgter M?rtyrer seiner Kunst. Sie schmiedete die schwierigsten Intriguen gegen seine Feinde, schickte ihn zu grossen Herren betteln. Schrieb Gesuche f?r ihn. Er empfand ihre Gesch?ftigkeit angenehm um sich herumsp?len, wie lauwarmes Wasser. Und steckte die Finger hinein und spielte drinnen mit den Zehen. Trank Limonade und hielt die Kinder auf seinem Schoss. Nach jedem neuen Schicksalsentwurf, den sie machte, ging er l?chelnd nachhause. Seine dunkle, schmutzige Strasse beleuchteten grellrote, kalte Lichtfetzen. Und in seinem Zimmer waren Wanzen.

-- Du musst nicht so ungeduldig sein, sagte er zu der Schwester, wenn sie klagte und in verzweifelt grossen Schritten durch das Zimmer jagte, -- nein, schau, eigentlich sind wir -- er sagte immer wir -- stark im Hinaufsteigen begriffen. Die Exzellenz hat mir versprochen, ich bekomme die Violinstunden bei dem jungen Prinzen. Also, bin ich dort, dann ist alles fertig. Ich spiele im Salon vor. Lauter F?rsten und solche Leute. Man arrangiert ein Wohlt?tigkeitskonzert. Ich bin dabei. Dann kann ?berhaupt niemand anderer f?r die Dirigentenstelle in Betracht kommen. Setze ich dann erst meine Kompositionen durch -- du wirst schon sehen. ?berdies habe ich die gr?ssten Aussichten, dass meine Feuilletons gedruckt werden. Ich habe zwar erst eines, aber die andern sind fertig im Kopf. Wart' nur, n?chstens bring ich dir die Zeitung.

Eines Abends kam er bleich vor Erregung: -- Ich bin an einem technischen Unternehmen beteiligt. Eine Riesensache. Ich darf es nicht n?her sagen. Ich glaube, ich habe auch schon eine Erfindung gemacht. Aeroplan.

Drei Monate sp?ter hatte er sein letztes Geld verloren. Ein Zufall verschaffte ihm eine Stelle als Zeichenlehrer in einer Provinzstadt. Die Schwester war b?se. Warum hatte er ihren Rat nicht befolgt, nicht das Gymnasium gemacht?

Gustav kam in eine Welt, die aus Fabrikschloten bestand und holprigen Gassen. Grauem Nebel, einem grauen Haus, feucht riechenden Kleidern, kaltem Rauch. Er musste t?glich eine halbe Stunde in der Fr?h in die Schule gehen. Mit zerrissenen Sohlen und fadem Kaffeegeschmack. Er ging durch eine gerade, lange Strasse voll Schwerfuhrwerken mit fluchenden Kutschern, schrillen Schulkinderschreien, Papierfetzen. Er f?rchtete sich vor seinen Vorgesetzten, wie als Kind vor den Lehrern. Er konnte die Vorschriften so wenig erlernen, wie als Kind die Aufgaben. Er f?rchtete sich vor seinen Sch?lern, die ihn verachteten, weil er mit ihnen h?flich war.

In der Stadt hiess es allgemein, er schreibe ein Drama. Ein ganz modernes, verr?cktes. Er bekam vier Liebesbriefe von h?heren T?chtern. Die er sorgf?ltig aufhob in der bewussten Lade.

Die Tochter seiner Hausfrau liebte ihn. Sie war stark geschn?rt und hatte Blumen auf dem Hut, die aussahen wie von Papier. Und sie brachte ihm t?glich das Fr?hst?ck. Auch bat sie ihn, ihr Zeichnungen zu machen, nach Photographien gewesener Liebhaber. Was er geschickt und sorgf?ltig ausf?hrte. Aber sie war nie ganz zufrieden. Er merkte es nicht. Aus der Bluse heraus guckte f?rbige Unterw?sche.

Eines Abends war er bei seinem Direktor eingeladen. Das Zimmer war zum Ersticken rauchig. Die Frau des Direktors hatte eine hart abgerundete Stimme. Sie sprach sehr laut. Und am meisten mit einem breitschultrigen Mathematikprofessor. Von Gustavs Anwesenheit schien sie ?berhaupt nichts zu bemerken. Gustav dachte: unangenehm, dass sie so eine weisse Haut hat. Wie ein frisch enth?lltes Denkmal. Oder Stiegen, die einen schwindeln machen. Auch schaut sie nach allen Seiten auf einmal, als ob sie vierfach schielte. Wie sie wohl aussieht wenn sie schl?ft ... Und dann sehnte er sich nach seinem Terrier und dachte nach, ob der Ofen in seinem Zimmer schon ausgegangen sein wird, bis er nach Hause kommt. Als er fort ging und schlaftrunken ?ber die dunklen Stiegen taumelte, rief ihm die Direktorsfrau nach: -- Hallo, Sie, Herr Zeichenlehrer, oder wie Sie heissen, vergessen Sie Ihren Hut nicht, da, gute Nacht! -- Er f?hlte einen heftigen Schlag auf das Hinterhaupt und am n?chsten Morgen eilte er sich, in die Schule zu kommen, vielleicht steht die Frau des Direktors beim Fenster, vielleicht geht sie gerade Eink?ufe machen ... vielleicht ...

Er erz?hlte den Jungen von der griechischen Kunst, dass selbst die D?mmsten und Klotzigsten Augen und Ohren aufrissen. Er sprang ?ber das Reck im Turnsaal und kaufte seinem Hund eine Extrafleischportion. Er merkte nicht, dass der Nebel ihm ins Zimmer kroch und der Ofen rauchte.

Zu Weihnachten bat ihn der Direktor, seine Frau zu zeichnen. Er sass in einem warmen Zimmer, mit glatten, dunklen M?beln und loderndem Kamin. Brand, raketenroter Brand. Vor dem Fenster der geradwegige Schulgarten, abgerundet im Schnee. Sie sass vor ihm mit einer Handarbeit, weiss und ?berreif, wie eine s?sse, tropische, wie eine ungekannte, ungeahnte Frucht. Das Zimmer roch nach Mandelbl?ten. Und ihr Haar war schwarz und zu glatt nach hinten gelegt.

-- Sehen Sie, sagte er, hier kann man zeichnen. Das ist doch was anderes als zuhause, immer kalt, und wenn ich meinen Hund nicht h?tte, -- es kam ihm vor, als ob er etwas Unpassendes gesagt h?tte, er wurde dunkelrot und machte einen Strich quer durch die ersten Umrisse ihres grossz?gigen Gesichtes. Sie sah ihn an, beobachtend, wie ein neues M?belst?ck, ob es brauchbar w?re. Und er dachte: nein, die h?lt mich nicht f?r gross, nein, die hebt mich nicht in den Himmel, sie traut mir gar nichts zu, rein gar nichts. Und sie hat recht. Einen Augenblick dachte er in gl?hendem Hass an seine Schwester. Und dann: Es ist alles eins. Aber ich zeichne sie jetzt nur einmal und dann nie mehr. Ich zeichne sie, wie sie ist, o so ganz, wie sie ist.

Und aus dem grauweissen Papier heraus wuchsen, Zug um Zug, unterdr?ckte Entbehrung und uneingestandene W?nsche. Der bleiche Widerschein ihres K?rpers und Mandelduft. Das Gef?ngnisgitter ihres Kinderbettes und der Brief, mit dem sie die Werbung ihres Mannes beantwortet hatte. Gustav wusste alles und er, der nur sein eigenes unechtes Bild gekannt hatte und die blonden Madonnen mit den Liebesbriefen, er sah ein Leben vor sich und wieder aufwachen und bluten unter seinen H?nden.

-- Bring dem Herrn Professor eine Schale Tee, sagte sie zu ihrem kleinen Sohn, der etwas hervorstehende Augen hatte, wie sein Vater. Ihre Stimme war wie Schl?ge gegen das Hinterhaupt. Da war die Zeichnung fertig.

Sie wurde rot, als sie sie sah. Und sagte nur Danke. Gustav ging.

Er traf sie das n?chstemal Anfang Mai in der D?mmerung auf dem Friedhof. Er ging gerne auf dem Friedhof spazieren mit seinem Hund. Er liebte Zypressen und f?hlte sich so seltsam unbehelligt.

Die Bl?tter dufteten nach dem Sich-schon-ge?ffnet-haben. Die Erde auf den offenen Gr?bern war tiefschwarz. Sie kam ihm entgegen, schimmernd und licht, wie ein ganz weites und reiches ?hrenfeld in der Julisonne. Ein Schlag auf den Hinterkopf. Er k?sste ihre Hand, langsam und vorsichtig. Sie sah auf dem Weg vor sich dicke, runde Kieselsteine. Die hervorstehenden Augen ihres Mannes. Aber ringsum die Bl?tter waren gr?n und zart und jung und die Erde schwarz. Sie nahm seinen weichen, knabenhaft lockigen Kopf und k?sste ihn. Grosse leuchtende Rakete. Und jeder ging seines Weges.

Am andern Tag warf ihn seine Hausfrau hinaus. Er hatte nicht beachtet, dass ihre Tochter ihm durch nunmehr schon zwei Wochen das Fr?hst?ck nicht brachte. Er war ein unanst?ndiger Mensch. Und der Hund machte alles schmutzig. Auch wollte ein anderer einziehen.

In der Schule hatte er staatsfeindliche Reden gef?hrt. Sein verr?cktes Drama kam ewig nicht zum Vorschein. Er ging herum wie in berauschtem Schlaf, in einer andern Welt. Was ihm diese Welt nicht verzeihen konnte. Er war gar nicht so dumm, wie er aussah, zum mindesten machte er keine gen?genden Dummheiten. Er zog ohne Recht die Aufmerksamkeit auf sich. Das war unversch?mt. Er beantwortete einen Backfischbrief h?flich und herzlich. Die Eltern fingen ihn auf. Die Emp?rung stieg. Er wurde hinausgeworfen.

Als er seine kleine Stube r?umte mit dem zu kleinen Eisenofen, der immer rauchte, weinte er. Er weinte, wie ein kleines Kind, hilflos und lange mit grossen Tr?nen, bis sein Gesicht verschwollen war und sein Denken verdumpft. Und er schaute aus dem papierverklebten Fensterchen ?ber gleichg?ltige D?cher und Schornsteine in den grauen Nebel. Der das erste war, was er in seinem Leben frei und allein gesehen hatte. Denn hier war die Schwester nicht dabei gewesen. Und der fade Russ deckte nur eine weisse ?ppige Bl?sse, ein unendliches ?hrenfeld weit, weit dahinter im Winde.

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