Read Ebook: The Jews in the Eastern War Zone by American Jewish Committee
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Ebook has 53 lines and 4522 words, and 2 pages
BRENNENDES GEHEIMNIS
Erz?hlung
von
STEFAN ZWEIG
Im Insel-Verlag zu Leipzig
Der Partner
Die Lokomotive schrie heiser auf: der Semmering war erreicht. Eine Minute rasteten die schwarzen Wagen im silbrigen Licht der H?he, warfen paar bunte Menschen aus, schluckten andere ein, Stimmen gingen ge?rgert hin und her, dann schrie vorne wieder die heisere Maschine und riss die schwarze Kette rasselnd in die H?hle des Tunnels hinab. Rein ausgespannt, mit klaren, vom nassen Wind reingefegten Hintergr?nden lag wieder die hingebreitete Landschaft.
Einer der Angekommenen, jung, durch gute Kleidung und eine nat?rliche Elastizit?t des Schrittes sympathisch auffallend, nahm den andern rasch voraus einen Fiaker zum Hotel. Ohne Hast trappten die Pferde den ansteigenden Weg. Es lag Fr?hling in der Luft. Jene weissen, unruhigen Wolken flatterten am Himmel, die nur der Mai und der Juni hat, jene weissen, selbst noch jungen und flattrigen Gesellen, die spielend ?ber die blaue Bahn rennen, um sich pl?tzlich hinter hohen Bergen zu verstecken, die sich umarmen und fliehen, sich bald wie Taschent?cher zerkn?llen, bald in Streifen zerfasern und schliesslich im Schabernack den Bergen weisse M?tzen aufsetzen. Unruhe war auch oben im Wind, der die mageren, noch vom Regen feuchten B?ume so unb?ndig sch?ttelte, dass sie leise in den Gelenken krachten und tausend Tropfen wie Funken von sich wegspr?hten. Manchmal schien auch Duft von Schnee k?hl aus den Bergen her?berzukommen, dann sp?rte man im Atem etwas, das s?ss und scharf war zugleich. Alles in Luft und Erde war Bewegung und g?rende Ungeduld. Leise schnaubend liefen die Pferde den jetzt niedersteigenden Weg, die Schellen klirrten ihnen weit voraus.
Im Hotel war der erste Weg des jungen Mannes zu der Liste der anwesenden G?ste, die er -- bald entt?uscht -- durchflog. >>Wozu bin ich eigentlich hier<<, begann es unruhig in ihm zu fragen. >>Allein hier auf dem Berg zu sein, ohne Gesellschaft, ist ?rger als das Bureau. Offenbar bin ich zu fr?h gekommen oder zu sp?t. Ich habe nie Gl?ck mit meinem Urlaub. Keinen einzigen bekannten Namen finde ich unter all den Leuten. Wenn wenigstens ein paar Frauen da w?ren, irgendein kleiner, im Notfall sogar argloser Flirt, um diese Woche nicht gar zu trostlos zu verbringen.<< Der junge Mann, ein Baron von nicht sehr klangvollem ?sterreichischen Beamtenadel, in der Statthalterei angestellt, hatte sich diesen kleinen Urlaub ohne jegliches Bed?rfnis genommen, eigentlich nur, weil sich alle seine Kollegen eine Fr?hjahrswoche durchgesetzt hatten und er die seine dem Dienst nicht schenken wollte. Er war, obwohl innerer Bef?higung nicht entbehrend, eine durchaus gesellschaftliche Natur, als solche beliebt, in allen Kreisen gern gesehen und sich seiner Unf?higkeit zur Einsamkeit voll bewusst. In ihm war keine Neigung, sich selber allein gegen?berzustehen, und er vermied m?glichst diese Begegnungen, weil er intimere Bekanntschaft mit sich selbst gar nicht wollte. Er wusste, dass er die Reibfl?che von Menschen brauchte, um seine Talente, die W?rme und den ?bermut seines Herzens aufflammen zu lassen, und er allein frostig und sich selber nutzlos war, wie ein Z?ndholz in der Schachtel.
Verstimmt ging er in der leeren Hall auf und ab, bald unschl?ssig in den Zeitungen bl?tternd, bald wieder im Musikzimmer am Klavier einen Walzer antastend, bei dem ihm aber der Rhythmus nicht recht in die Finger sprang. Schliesslich setzte er sich verdrossen hin, sah hinaus, wie das Dunkel langsam niederfiel, der Nebel als Dampf grau aus den Fichten brach. Eine Stunde zerbr?selte er so, nutzlos und nerv?s. Dann fl?chtete er in den Speisesaal.
Dort waren erst ein paar Tische besetzt, die er alle mit eiligem Blick ?berflog. Vergeblich! Keine Bekannten, nur dort -- er gab l?ssig einen Gruss zur?ck -- ein Trainer, dort wieder ein Gesicht von der Ringstrasse her, sonst nichts. Keine Frau, nichts, was ein auch fl?chtiges Abenteuer versprach. Sein Missmut wurde ungeduldiger. Er war einer jener jungen Menschen, deren h?bschem Gesicht viel gegl?ckt ist und in denen nun best?ndig alles f?r eine neue Begegnung, ein neues Erlebnis bereit ist, die immer gespannt sind, sich ins Unbekannte eines Abenteuers zu schnellen, die nichts ?berrascht, weil sie alles lauernd berechnet haben, die nichts Erotisches ?bersehen, weil schon ihr erster Blick jeder Frau in das Sinnliche greift, pr?fend und ohne Unterschied, ob es die Gattin ihres Freundes ist oder das Stubenm?dchen, das die T?re zu ihr ?ffnet. Wenn man solche Menschen mit einer gewissen leichtfertigen Ver?chtlichkeit Frauenj?ger nennt, so geschieht es, ohne zu wissen, wieviel beobachtende Wahrheit in dem Worte versteinert ist, denn tats?chlich, alle leidenschaftlichen Instinkte der Jagd, das Aufsp?ren, die Erregtheit und die seelische Grausamkeit flackern in dem rastlosen Wachsein solcher Menschen. Sie sind best?ndig auf dem Anstand, immer bereit und entschlossen, die Spur eines Abenteuers bis hart an den Abgrund zu verfolgen. Sie sind immer geladen mit Leidenschaft, aber nicht der des Liebenden, sondern der des Spielers, der kalten, berechnenden und gef?hrlichen. Es gibt unter ihnen Beharrliche, denen weit ?ber die Jugend hinaus das ganze Leben durch diese Erwartung zum ewigen Abenteuer wird, denen sich der einzelne Tag in hundert kleine, sinnliche Erlebnisse aufl?st -- ein Blick im Vor?bergehen, ein weghuschendes L?cheln, ein im Gegen?bersitzen gestreiftes Knie -- und das Jahr wieder in hundert solcher Tage, f?r die das sinnliche Erlebnis ewig fliessende, n?hrende und anfeuernde Quelle des Lebens ist.
Hier waren keine Partner zu einem Spiele, das ?bersah der Suchende sofort. Und keine Gereiztheit ist ?rgerlicher als die des Spielers, der mit den Karten in der Hand im Bewusstsein seiner ?berlegenheit vor dem gr?nen Tisch sitzt und vergeblich den Partner erwartet. Der Baron rief nach einer Zeitung. M?rrisch liess er die Blicke ?ber die Zeilen rinnen, aber seine Gedanken waren lahm und stolperten wie betrunken den Worten nach.
An seinem Tisch knisterte im Vor?berschreiten ein seidenes Kleid, hoch und ?ppig schattete eine Gestalt vorbei und hinter ihr in einem schwarzen Samtanzug ein kleiner, blasser Bub, der ihn neugierig mit dem Blick anstreifte. Die beiden setzten sich gegen?ber an den reservierten Tisch, das Kind sichtbar um eine Korrektheit bem?ht, die der schwarzen Unruhe in seinen Augen zu widersprechen schien. Die Dame -- und nur auf sie hatte der junge Baron acht -- war sehr soigniert und mit sichtbarer Eleganz gekleidet, ein Typus ?berdies, den er sehr liebte, eine jener leicht ?ppigen J?dinnen im Alter knapp vor der ?berreife, offenbar auch leidenschaftlich, aber erfahren, ihr Temperament hinter einer vornehmen Melancholie zu verbergen. Er vermochte zun?chst noch nicht in ihre Augen zu sehen und bewunderte nur die sch?n geschwungene Linie der Augenbrauen, rein ?ber einer zarten Nase gerundet, die ihre Rasse zwar verriet, aber durch edle Form das Profil scharf und interessant machte. Die Haare waren, wie alles Weibliche an diesem vollen K?rper, von einer auffallenden ?ppigkeit, ihre Sch?nheit schien im sichern Selbstgef?hl vieler Bewunderungen satt und prahlerisch geworden zu sein. Sie bestellte mit sehr leiser Stimme, wies den Buben, der mit der Gabel spielend klirrte, zurecht -- all dies mit anscheinender Gleichg?ltigkeit gegen den vorsichtig anschleichenden Blick des Barons, den sie nicht zu bemerken schien, w?hrend es doch in Wirklichkeit nur seine rege Wachsamkeit war, die ihr diese geb?ndigte Sorgfalt aufzwang.
Das Dunkel im Gesichte des Barons war mit einem Male aufgehellt, unterirdisch belebend liefen die Nerven hin, strafften die Falten, rissen die Muskeln auf, dass seine Gestalt aufschnellte und Lichter in den Augen flackerten. Er war selber den Frauen nicht un?hnlich, die erst die Gegenwart eines Mannes brauchen, um aus sich ihre ganze Gewalt herauszuholen. Erst ein sinnlicher Reiz spannte seine Energie zu voller Kraft. Der J?ger in ihm witterte hier eine Beute. Herausfordernd suchte sein Auge ihrem Blick zu begegnen, der ihn manchmal mit einer glitzernden Unbestimmtheit des Vorbeisehens kreuzte, nie aber blank eine klare Antwort bot. Auch um den Mund glaubte er manchmal ein Fliessen wie von beginnendem L?cheln zu sp?ren, aber all dies war unsicher, und eben diese Unsicherheit erregte ihn. Das einzige, was ihm versprechend schien, war dieses stete Vorbeischauen, weil es Widerstand war und Befangenheit zugleich, und dann die merkw?rdig sorgf?ltige, auf einen Zuschauer sichtlich eingestellte Art der Konversation mit dem Kinde. Eben das aufdringlich Vorgehaltene dieser Ruhe bedeutete, das f?hlte er, heimlich ein erstes Beunruhigtsein. Auch er war erregt: das Spiel hatte begonnen. Er verz?gerte sein Diner, hielt diese Frau eine halbe Stunde fast unabl?ssig mit dem Blick fest, bis er jede Linie ihres Gesichtes nachgezeichnet, an jede Stelle ihres ?ppigen K?rpers unsichtbar ger?hrt hatte. Draussen fiel dr?ckend das Dunkel nieder, die W?lder seufzten in kindischer Furcht, als jetzt die grossen Regenwolken graue H?nde nach ihnen reckten, immer finstrer dr?ngten die Schatten ins Zimmer hinein, immer mehr schienen die Menschen hier zusammengepresst durch das Schweigen. Das Gespr?ch der Mutter mit ihrem Kinde wurde, das merkte er, unter der Drohung dieser Stille immer gezwungener, immer k?nstlicher, bald, f?hlte er, w?rde es zu Ende sein. Da beschloss er eine Probe. Er stand als erster auf, ging langsam, mit einem langen Blick auf die Landschaft an ihr vorbeisehend, zur T?re. Dort zuckte er rasch, als h?tte er etwas vergessen, mit dem Kopf herum. Und ertappte sie, wie sie ihm lebhaften Blickes nachsah.
Ein wenig entt?uscht, sah ihr der Baron nach. Er hatte eigentlich auf ein Bekanntwerden noch an diesem Abend gerechnet, und diese schroffe Art entt?uschte ihn. Aber schliesslich, in diesem Widerstand war Reiz, und gerade das Unsichere entz?ndete seine Begier. Immerhin: er hatte seinen Partner, und ein Spiel konnte beginnen.
Rasche Freundschaft
Als der Baron am n?chsten Morgen in die Hall trat, sah er dort das Kind der sch?nen Unbekannten in eifrigem Gespr?ch mit den beiden Liftboys, denen es Bilder in einem Buch von Karl May zeigte. Seine Mama war nicht zugegen, offenbar noch mit der Toilette besch?ftigt. Jetzt erst besah sich der Baron den Buben. Es war ein scheuer, unentwickelter nerv?ser Junge von etwa zw?lf Jahren mit fahrigen Bewegungen und dunkel herumjagenden Augen. Er machte, wie Kinder in diesen Jahren so oft, den Eindruck von Verschrecktheit, gleichsam als ob er eben aus dem Schlaf gerissen und pl?tzlich in fremde Umgebung gestellt sei. Sein Gesicht war nicht unh?bsch, aber noch ganz unentschieden, der Kampf des M?nnlichen mit dem Kindlichen schien eben erst einsetzen zu wollen, noch war alles darin nur wie geknetet und noch nicht geformt, nichts in reinen Linien ausgesprochen, nur blass und unruhig gemengt. ?berdies war er gerade in jenem unvorteilhaften Alter, wo Kinder nie in ihre Kleider passen, ?rmel und Hosen schlaff um die mageren Gelenke schlottern und noch keine innere Eitelkeit sie mahnt, auf ihr ?usseres zu wachen.
Der Knabe machte hier, unschl?ssig herumirrend, einen ziemlich kl?glichen Eindruck. Eigentlich stand er allen im Wege. Bald schob ihn der Portier beiseite, den er mit allerhand Fragen zu bel?stigen schien, bald st?rte er am Eingang; offenbar fehlte es ihm an freundschaftlichem Umgang. So suchte er in seinem kindlichen Schwatzbed?rfnis sich an die Bediensteten des Hotels heranzumachen, die ihm, wenn sie gerade Zeit hatten, antworteten, das Gespr?ch aber sofort unterbrachen, wenn ein Erwachsener in Sicht kam oder etwas Vern?nftiges getan werden musste. Der Baron sah l?chelnd und mit Interesse dem ungl?cklichen Buben zu, der auf alles mit Neugier schaute und dem alles unfreundlich entwich. Einmal fasste er einen dieser neugierigen Blicke fest an, aber die schwarzen Augen krochen sofort ?ngstlich in sich hinein, sobald er sie auf der Suche ertappte, und duckten sich hinter gesenkten Lidern. Das am?sierte den Baron. Der Bub begann ihn zu interessieren, und er fragte sich, ob ihm dieses Kind, das offenbar nur aus Furcht so scheu war, nicht als raschester Vermittler einer Ann?herung dienen k?nnte. Immerhin: er wollte es versuchen. Unauff?llig folgte er dem Buben, der eben wieder zur T?re hinauspendelte und in seinem kindischen Z?rtlichkeitsbed?rfnis die rosa N?stern eines Schimmels liebkoste, bis ihn -- er hatte wirklich kein Gl?ck -- auch hier der Kutscher ziemlich barsch wegwies. Gekr?nkt und gelangweilt stand er jetzt wieder herum mit seinem leeren und ein wenig traurigen Blick. Da sprach ihn der Baron an.
>>Na, junger Mann, wie gef?llts dir da?<< setzte er pl?tzlich ein, bem?ht, die Ansprache m?glichst jovial zu halten.
Das Kind wurde feuerrot und starrte ?ngstlich auf. Er zog die Hand irgendwie in Furcht an sich und wand sich hin und her vor Verlegenheit. Das geschah ihm zum erstenmal, dass ein fremder Herr mit ihm ein Gespr?ch begann.
>>Ich danke, gut<<, konnte er gerade noch herausstammeln. Das letzte Wort war schon mehr gew?rgt als gesprochen.
>>Das wundert mich,<< sagte der Baron lachend, >>es ist doch eigentlich ein fader Ort, besonders f?r einen jungen Mann, wie du einer bist. Was treibst du denn den ganzen Tag?<<
Der Bub war noch immer zu sehr verwirrt, um rasch zu antworten. War es wirklich m?glich, dass dieser fremde elegante Herr mit ihm, um den sich sonst keiner k?mmerte, ein Gespr?ch suchte? Der Gedanke machte ihn scheu und stolz zugleich. M?hsam raffte er sich zusammen.
>>Ich lese, und dann, wir gehen viel spazieren. Manchmal fahren wir auch im Wagen, die Mama und ich. Ich soll mich hier erholen, ich war krank. Ich muss darum auch viel in der Sonne sitzen, hat der Arzt gesagt.<<
Die letzten Worte sagte er schon ziemlich sicher. Kinder sind immer stolz auf eine Krankheit, weil sie wissen, dass Gefahr sie ihren Angeh?rigen doppelt wichtig macht.
>>Ja, die Sonne ist schon gut f?r junge Herren, wie du einer bist, sie wird dich schon braun brennen. Aber du solltest doch nicht den ganzen Tag dasitzen. Ein Bursch wie du sollte herumlaufen, ?berm?tig sein und auch ein bisschen Unfug anstellen. Mir scheint, du bist zu brav, du siehst auch so aus wie ein Stubenhocker mit deinem grossen dicken Buch unterm Arm. Wenn ich denke, was ich in deinem Alter f?r ein Galgenstrick war, jeden Abend bin ich mit zerrissenen Hosen nach Hause gekommen. Nur nicht zu brav sein!<<
Unwillk?rlich musste das Kind l?cheln, und das nahm ihm die Angst. Es h?tte gern etwas erwidert, aber all dies schien ihm zu frech, zu selbstbewusst vor diesem lieben fremden Herrn, der so freundlich mit ihm sprach. Vorlaut war er nie gewesen und immer leicht verlegen, und so kam er jetzt vor Gl?ck und Scham in die ?rgste Verwirrung. Er h?tte so gern das Gespr?ch fortgesetzt, aber es fiel ihm nichts ein. Gl?cklicherweise kam gerade der grosse gelbe Bernhardiner des Hotels vorbei, schn?ffelte sie beide an und liess sich willig liebkosen.
>>Hast du Hunde gern?<< fragte der Baron.
>>O sehr, meine Grossmama hat einen in ihrer Villa in Baden, und wenn wir dort wohnen, ist er immer den ganzen Tag mit mir. Das ist aber nur im Sommer, wenn wir dort zu Besuch sind.<<
>>Wir haben zu Hause, auf unserem Gut, ich glaube, zwei Dutzend. Wenn du hier brav bist, kriegst du einen von mir geschenkt. Einen braunen mit weissen Ohren, einen ganz jungen. Willst du?<<
Das Kind err?tete vor Vergn?gen.
>>O ja.<<
Es fuhr ihm so heraus, heiss und gierig. Aber gleich hinterher stolperte, ?ngstlich und wie erschrocken, das Bedenken.
>>Aber Mama wird es nicht erlauben. Sie sagt, sie duldet keinen Hund zu Hause. Sie machen zuviel Schererei.<<
Der Baron l?chelte. Endlich hielt das Gespr?ch bei der Mama.
>>Ist die Mama so streng?<<
Das Kind ?berlegte, blickte eine Sekunde zu ihm auf, gleichsam fragend, ob man diesem fremden Herrn schon vertrauen d?rfe. Die Antwort blieb vorsichtig:
>>Nein, streng ist die Mama nicht. Jetzt, weil ich krank war, erlaubt sie mir alles. Vielleicht erlaubt sie mir sogar einen Hund.<<
>>Soll ich sie darum bitten?<<
>>Ja, bitte tun Sie das<<, jubelte der Bub. >>Dann wird es die Mama sicher erlauben. Und wie sieht er aus? Weisse Ohren hat er, nicht wahr? Kann er apportieren?<<
>>Ja, er kann alles.<< Der Baron musste l?cheln ?ber die heissen Funken, die er so rasch aus den Augen des Kindes geschlagen hatte. Mit einem Male war die anf?ngliche Befangenheit gebrochen, und die von der Angst zur?ckgehaltene Leidenschaftlichkeit sprudelte ?ber. In blitzschneller Verwandlung war das scheue ver?ngstigte Kind von fr?her ein ausgelassener Bub. Wenn nur die Mutter auch so w?re, dachte unwillk?rlich der Baron, so heiss hinter ihrer Angst! Aber schon sprang der Bub mit zwanzig Fragen an ihm hinauf:
>>Wie heisst der Hund?<<
>>Karo.<<
>>Karo<<, jubelte das Kind. Es musste irgendwie lachen und jubeln ?ber jedes Wort, ganz trunken von dem unerwarteten Geschehen, dass sich jemand seiner in Freundlichkeit angenommen hatte. Der Baron staunte selbst ?ber seinen raschen Erfolg und beschloss, das heisse Eisen zu schmieden. Er lud den Knaben ein, mit ihm ein wenig spazieren zu gehen, und der arme Bub, seit Wochen ausgehungert nach einem geselligen Beisammensein, war von diesem Vorschlag entz?ckt. Unbedacht plauderte er alles aus, was ihm sein neuer Freund mit kleinen, wie zuf?lligen Fragen entlocken wollte. Bald wusste der Baron alles ?ber die Familie, vor allem, dass Edgar der einzige Sohn eines Wiener Advokaten sei, offenbar aus der verm?genden j?dischen Bourgeoisie. Und durch geschickte Umfragen erkundete er rasch, dass die Mutter sich ?ber den Aufenthalt am Semmering durchaus nicht entz?ckt ge?ussert und den Mangel an sympathischer Gesellschaft beklagt habe, ja er glaubte sogar, aus der ausweichenden Art, mit der Edgar die Frage beantwortete, ob die Mama den Papa sehr gern habe, entnehmen zu k?nnen, dass hier nicht alles zum besten st?nde. Beinahe sch?mte er sich, wie leicht es ihm wurde, dem arglosen Buben all diese kleinen Familiengeheimnisse zu entlocken, denn Edgar, ganz stolz, dass irgend etwas von dem, was er zu erz?hlen hatte, einen Erwachsenen interessieren konnte, dr?ngte sein Vertrauen dem neuen Freunde geradezu auf. Sein kindisches Herz klopfte vor Stolz -- der Baron hatte im Spazierengehen ihm seinen Arm um die Schulter gelegt --, in solcher Intimit?t ?ffentlich mit einem Erwachsenen gesehen zu werden, und allm?hlich vergass er seine eigene Kindheit, schnatterte frei und ungezwungen wie zu einem Gleichaltrigen. Edgar war, wie sein Gespr?ch zeigte, sehr klug, etwas fr?hreif wie die meisten kr?nklichen Kinder, die viel mit Erwachsenen beisammen waren, und von einer merkw?rdig ?berreizten Leidenschaft der Zuneigung oder Feindlichkeit. Zu nichts schien er ein ruhiges Verh?ltnis zu haben, von jedem Menschen oder Ding sprach er entweder in Verz?ckung oder mit einem Hasse, der so heftig war, dass er sein Gesicht unangenehm verzerrte und es fast b?sartig und h?sslich machte. Etwas Wildes und Sprunghaftes, vielleicht noch bedingt durch die k?rzlich ?berstandene Krankheit, gab seinen Reden fanatisches Feuer, und es schien, dass sein Linkischsein nur m?hsam unterdr?ckte Angst vor der eigenen Leidenschaft war.
Der Baron gewann mit Leichtigkeit sein Vertrauen. Eine halbe Stunde bloss, und er hatte dieses heisse und unruhig zuckende Herz in der Hand. Es ist ja so uns?glich leicht, Kinder zu betr?gen, diese Arglosen, um deren Liebe so selten geworben wird. Er brauchte sich selbst nur in die Vergangenheit zu vergessen, und so nat?rlich, so ungezwungen wurde ihm das kindliche Gespr?ch, dass auch der Bub ihn ganz als seinesgleichen empfand und nach wenigen Minuten jedes Distanzgef?hl verlor. Er war nur selig von Gl?ck, hier in diesem einsamen Ort pl?tzlich einen Freund gefunden zu haben, und welch einen Freund! Vergessen waren sie alle in Wien, die kleinen Jungen mit ihren d?nnen Stimmen, ihrem unerfahrenen Geschw?tz, wie weggeschwemmt waren ihre Bilder von dieser einen neuen Stunde! Seine ganze schw?rmerische Leidenschaft geh?rte jetzt diesem neuen, seinem grossen Freunde, und sein Herz dehnte sich vor Stolz, als dieser ihn jetzt zum Abschied nochmals einlud, morgen vormittags wiederzukommen, und der neue Freund ihm nun zuwinkte von der Ferne, ganz wie ein Bruder. Diese Minute war vielleicht die sch?nste seines Lebens. Es ist so leicht, Kinder zu betr?gen. -- Der Baron l?chelte dem Davonst?rmenden nach. Der Vermittler war nun gewonnen. Der Bub w?rde jetzt, das wusste er, seine Mutter mit Erz?hlungen bis zur Ersch?pfung qu?len, jedes einzelne Wort wiederholen -- und dabei erinnerte er sich mit Vergn?gen, wie geschickt er einige Komplimente an ihre Adresse eingeflochten, wie er immer nur von Edgars >>sch?ner Mama<< gesprochen hatte. Es war ausgemachte Sache f?r ihn, dass der mitteilsame Knabe nicht fr?her ruhen w?rde, ehe er seine Mama und ihn zusammengef?hrt h?tte. Er selbst brauchte nun keinen Finger zu r?hren, um die Distanz zwischen sich und der sch?nen Unbekannten zu verringern, konnte nun ruhig tr?umen und die Landschaft ?berschauen, denn er wusste, ein paar heisse Kinderh?nde bauten ihm die Br?cke zu ihrem Herzen.
Terzett
Der Plan war, wie sich eine Stunde sp?ter erwies, vortrefflich und bis in die letzten Einzelheiten gelungen. Als der junge Baron, mit Absicht etwas versp?tet, den Speisesaal betrat, zuckte Edgar vom Sessel auf, gr?sste eifrig mit einem begl?ckten L?cheln und winkte ihm zu. Gleichzeitig zupfte er seine Mutter am ?rmel, sprach hastig und erregt auf sie ein, mit auff?lligen Gesten gegen den Baron hindeutend. Sie verwies ihm geniert und err?tend sein allzu reges Benehmen, konnte es aber doch nicht vermeiden, einmal hin?berzusehen, um dem Buben seinen Willen zu tun, was der Baron sofort zum Anlass einer respektvollen Verbeugung nahm. Die Bekanntschaft war gemacht. Sie musste danken, beugte aber von nun ab das Gesicht tiefer ?ber den Teller und vermied sorgf?ltig w?hrend des ganzen Diners nochmals hin?berzublicken. Anders Edgar, der unabl?ssig hinguckte, einmal sogar versuchte hin?berzusprechen, eine Unstatthaftigkeit, die ihm sofort von seiner Mutter energisch verwiesen wurde. Nach Tisch wurde ihm bedeutet, dass er schlafen zu gehen habe, und ein emsiges Wispern begann zwischen ihm und seiner Mama, dessen Endresultat war, dass es seinen heissen Bitten verstattet wurde, zum andern Tisch hin?berzugehen und sich bei seinem Freund zu empfehlen. Der Baron sagte ihm ein paar herzliche Worte, die wieder die Augen des Kindes zum Flackern brachten, plauderte mit ihm ein paar Minuten. Pl?tzlich aber, mit einer geschickten Wendung, drehte er sich, aufstehend, zum andern Tisch hin?ber, begl?ckw?nschte die etwas verwirrte Nachbarin zu ihrem klugen, aufgeweckten Sohn, r?hmte den Vormittag, den er so vortrefflich mit ihm verbracht hatte -- Edgar stand dabei, rot vor Freude und Stolz --, und erkundigte sich schliesslich nach seiner Gesundheit so ausf?hrlich und mit so viel Einzelfragen, dass die Mutter zur Antwort gezwungen war. Und so gerieten sie unaufhaltsam in ein l?ngeres Gespr?ch, dem der Bub begl?ckt und mit einer Art Ehrfurcht lauschte. Der Baron stellte sich vor und glaubte zu bemerken, dass sein klingender Name auf die Eitle einen gewissen Eindruck machte. Jedenfalls war sie von ausserordentlicher Zuvorkommenheit gegen ihn, wiewohl sie sich nichts vergab und sogar fr?hen Abschied nahm, des Buben halber, wie sie entschuldigend beif?gte.
Der protestierte heftig, er sei nicht m?de und gerne bereit, die ganze Nacht aufzubleiben. Aber schon hatte seine Mutter dem Baron die Hand geboten, der sie respektvoll k?sste.
Edgar schlief schlecht in dieser Nacht. Es war eine Wirrnis in ihm von Gl?ckseligkeit und kindischer Verzweiflung. Denn heute war etwas Neues in seinem Leben geschehn. Zum ersten Male hatte er in die Schicksale von Erwachsenen eingegriffen. Er vergass, schon im Halbtraum, seine eigene Kindheit und d?nkte sich mit einem Male gross. Bisweilen hatte er, einsam erzogen und oft kr?nklich, wenig Freunde gehabt. F?r all sein Z?rtlichkeitsbed?rfnis war niemand dagewesen als die Eltern, die sich wenig um ihn k?mmerten, und die Dienstboten. Und die Gewalt einer Liebe wird immer falsch bemessen, wenn man sie nur nach ihrem Anlass wertet und nicht nach der Spannung, die ihr vorausgeht, jenem hohlen, dunkeln Raum von Entt?uschung und Einsamkeit, der vor allen grossen Ereignissen des Herzens liegt. Ein ?berschweres, ein unverbrauchtes Gef?hl hatte hier gewartet und st?rzte nun mit ausgebreiteten Armen dem ersten entgegen, der es zu verdienen schien. Edgar lag im Dunkeln, begl?ckt und verwirrt, er wollte lachen und musste weinen. Denn er liebte diesen Menschen, wie er nie einen Freund, nie Vater und Mutter und nicht einmal Gott geliebt hatte. Die ganze unreife Leidenschaft seiner fr?heren Jahre umklammerte das Bild dieses Menschen, dessen Namen er vor zwei Stunden noch nicht gekannt hatte.
Aber er war doch klug genug, um durch das Unerwartete und Eigenartige dieser neuen Freundschaft nicht bedr?ngt zu sein. Was ihn so sehr verwirrte, war das Gef?hl seiner Unwertigkeit, seiner Nichtigkeit. >>Passe ich denn zu ihm, ich, ein kleiner Bub, zw?lf Jahre alt, der noch die Schule vor sich hat, der abends vor allen andern ins Bett geschickt wird?<< qu?lte er sich ab. >>Was kann ich ihm sein, was kann ich ihm bieten?<< Gerade dieses qualvoll empfundene Unverm?gen, irgendwie sein Gef?hl zeigen zu k?nnen, machte ihn ungl?cklich. Sonst, wenn er einen Kameraden liebgewonnen hatte, war es sein Erstes, die paar kleinen Kostbarkeiten seines Pultes, Briefmarken und Steine, den kindischen Besitz der Kindheit, mit ihm zu teilen, aber all diese Dinge, die ihm gestern noch von hoher Bedeutung und seltenem Reiz waren, schienen ihm mit einem Male entwertet, l?ppisch und ver?chtlich. Denn wie konnte er derlei diesem neuen Freunde bieten, dem er nicht einmal wagen durfte, das Du zu erwidern; wo war ein Weg, eine M?glichkeit, seine Gef?hle zu verraten? Immer mehr und mehr empfand er die Qual, klein zu sein, etwas Halbes, Unreifes, ein Kind von zw?lf Jahren, und noch nie hatte er so st?rmisch das Kindsein verflucht, so herzlich sich gesehnt, anders aufzuwachen, so wie er sich tr?umte: gross und stark, ein Mann, ein Erwachsener wie die andern.
In diese unruhigen Gedanken flochten sich rasch die ersten farbigen Tr?ume von dieser neuen Welt des Mannseins. Edgar schlief endlich mit einem L?cheln ein, aber doch, die Erinnerung der morgigen Verabredung unterh?hlte seinen Schlaf. Er schreckte schon um sieben Uhr mit der Angst auf, zu sp?t zu kommen. Hastig zog er sich an, begr?sste die erstaunte Mutter, die ihn sonst nur mit M?he aus dem Bette bringen konnte, in ihrem Zimmer und st?rmte, ehe sie weitere Fragen stellen konnte, hinab. Bis neun Uhr trieb er sich ungeduldig umher, vergass, dass er fr?hst?cken sollte, einzig besorgt, den Freund f?r den Spaziergang nicht lange warten zu lassen.
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