Read Ebook: Der Trinker: Roman by Botsky Katarina
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Ebook has 934 lines and 34446 words, and 19 pages
>>Scheen,<< kam die langgezogene Erwiderung, und das Fenster wurde phlegmatisch geschlossen.
Dore machte sich daran, die Lampe anzuz?nden, und deckte dann den Tisch mit einer bunten Baumwolldecke. Als das Abendbrot gebracht wurde, nahm John den Heringssalat an sich und sah Dore spitzb?bisch an. >>Jes?gnete Mahlzeit,<< sagte sie fromm, ihm gegen?ber Platz nehmend und leckrig nach dem Heringssalat blickend. >>Schweig!<< entgegnete er gereizt auf ihren freundlichen Wunsch. Sie nahm ihren Tee, ihre Kartoffeln und ein belegtes Brot und ging gekr?nkt in ihr Zimmer. Dort machte sie Licht und setzte die Brille auf. Um sich zu beruhigen und um den Heringssalat, den sie zu gern ass, w?rdiger verschmerzen zu k?nnen, guckte sie rasch in eins ihrer vielen Erbauungsb?cher. Nachdem sie drei liebliche Strophen gelesen hatte, seufzte sie wie eine M?rtyrerin und liess sich ergeben zu ihren Bratkartoffeln nieder.
Dore war wirklich fromm, und wenn sie log, geschah es nur unter geistigem Vorbehalt. In ihren jungen Jahren war sie Wirtschafterin auf grossen G?tern gewesen. T?chtigkeit und Heissbl?tigkeit waren damals ihre hervortretendsten Eigenschaften. Mit vierzig besassen ihre listigen kleinen Augen noch die Kraft, einem ?ltlichen Gutsbesitzer den Kopf zu verdrehen. Er liess sich von seiner Frau scheiden und heiratete die unsch?ne brustkranke Wirtschafterin mit den vielen Erbauungsb?chern und der liebevollen Vergangenheit. Aber die Ehe w?hrte kaum ein Jahr, denn die erwachsenen Kinder trieben die ihnen verhasste Stiefmutter bald aus dem Hause. Dore musste wieder in Stellung gehen, und das war hart f?r sie, denn der Husten plagte sie mehr und mehr. Immerhin gelang es ihr, einen leichten Dienst zu finden -- bei den reichsten Zarnoskys, als Pflegerin der kr?nklichen alten Grossmutter. Dore verstand es, sich bei Zarnoskys unentbehrlich zu machen, darum behielt man sie auch nach dem Tode der Grossmutter im Hause. Und eines Tages wurde dann John ihr Pflegling, der immer ihr heimlicher Liebling gewesen.
Dore fand, dass der Heringssalat doch schwer zu verschmerzen war. Sie guckte schliesslich durch die T?r, um zu sehen, wie weit John damit war. >>Frau Kalnis,<< rief er vers?hnlich, >>es ist noch eine Menge Heringssalat f?r Sie.<<
Die W?rterin machte ein dummes Gesicht, weil sie nicht wusste, ob sie ihm trauen durfte. Aber ihre Leckrigkeit war gross. >>Wollen Se mich auch nich zum Narren machen?<< fragte sie zuerst.
John schwur, die Lippen prunzelnd, dass er nicht daran d?chte. Dore r?ckte an, w?nschte noch einmal >>jes?gnete Mahlzeit<< und setzte sich dann an den Tisch. Sie trug ein kaffeebraunes, selbstgewebtes altmodisches Kleid mit einem dunkelroten Samtstreifen um den Rock und kleinen Samtklappen an den ?rmeln. Ihren vertrockneten Hals zierte ein selbstgeh?keltes weisses T?chlein. ?ber dem flachen Leibe hatte sie eine schwarze Sch?rze, die den Rock sowohl zieren als schonen sollte. Frau Kalnis glich einer ?ltlichen, glattgescheitelten Chinesin in europ?ischer Kleidung. Peter betrachtete sie genau so aufmerksam wie sein V?terchen, aber man konnte seinen einf?ltigen Augen nicht anmerken, ob er sie h?bsch oder h?sslich fand.
>>Na, hat'r geschmeckt?<< fragte John mit unwiderstehlich verschmitzter Miene, als die W?rterin die Schale auskratzte.
>>Wird nich schmecken?! Scheenes Essen,<< entgegnete sie unter versch?mtem Lachen.
Peter bekam das letzte Butterbrot und dann sollte er in den Stall. Frau Kalnis ging hinaus, um Rodenberg zu rufen, der unten im Hause mit seiner gichtkranken Frau und einer ?beraus frommen Schwester wohnte. Rodenberg brachte Peter in den Stall, wenn er nicht betrunken war. Heute kam die fromme Schwester statt seiner. Jette musste feierlich versprechen, dass Peter auch wirklich sein Abendbrot erhalten w?rde, dann erst durfte sie ihn am Halsband nehmen.
John war jedesmal sehr sanftm?tig, wenn er sich wieder mit Dore vertragen hatte. Er war dann wie ein Kind, das ungezogen gewesen und nun durch besondere Artigkeit vers?hnen will. Er liess sich wie ein Lamm von ihr zu Bett bringen und suchte sie dabei durch eine gef?llige Unterhaltung zu erfreuen. >>Wir werden morjen ein reines Hemd anziehen,<< sagte die W?rterin, sobald sie ihren Pflegling bis auf dieses letzte Kleidungsst?ck entbl?sst hatte. John machte ein liebliches Gesicht, obgleich er nicht gern ein reines Hemd anzog. >>Und wir werden wieder mal de Fiesse waschen,<< setzte sie hitzig hinzu, als ihr Blick auf seine unsauberen Gehwerkzeuge fiel. John l?chelte wie ein Engel, obgleich er wasserscheu war.
Er legte sich schwerf?llig ins Bett, und Dore deckte ihn sorgf?ltig zu. >>Lesen Sie mir was vor, ich kann jetzt doch noch nicht schlafen,<< sagte er nerv?s, als sie ihn mit warmen Augen betrachtete. Er war immer schlaflos und sehr erregt, wenn er Kr?mpfe gehabt hatte, und wenn sie stark gewesen, st?rker als diesmal, so ging er danach tagelang wie ein Gest?rter umher.
Die W?rterin eilte zu ihrem B?cherschatz, um eine passende Lekt?re zu suchen -- und kam sobald nicht wieder. Der Husten hatte sie gepackt und sch?ttelte sie, wie eine kr?ftige Faust einen leichten Gegenstand sch?ttelt. Nach einigen Minuten war der Anfall vor?ber und Dore ganz ersch?pft. Sie sass noch eine Weile mit h?ngendem Kopfe und h?ngenden Armen auf ihrem Stuhl und starrte stumpfsinnig zu Boden, dann stand sie auf: >>Nun komm ich, Herr Johnche. Wenn erst abjehust' is, dann is wieder gut,<< sagte sie resigniert.
Und sie begann mit belegter, schwacher Stimme, die allm?hlich klarer und kr?ftiger wurde:
>>Fest jemauert in der Erde steht die Form aus Lehm jebrannt. Heute muss die Glocke werden, frisch, Jesellen, seid zur Hand ...<<
>>H?r auf mit deiner d?mlichen Glocke!<< schrie John, die Geduld verlierend. >>Du weisst doch, dass ich die olle Glocke nicht mehr h?ren will.<<
>>Scheen, dann her ich auf, dann les ich gar nich.<<
>>Dorchen,<< sagte schmeichelnd der Kranke und wies s?ss nach der Bibel hin, der alten, vergilbten, die sie auch mitgebracht hatte. Da konnte sie nicht widerstehen, da tat sie, wie ihr geheissen ward. Sie schlug die Offenbarung des Johannes auf und las mit sch?ner Dorfschulbetonung: >>Ich sah einen neien Himmel und eine neie Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde verjing und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilije Stadt, das neie Jerusalem von Gott aus dem Himmel herabfahren, zubereitet als eine jeschmickte Braut ihrem Manne.<<
>>Noch einmal,<< fl?sterte John, und seine Phantasie arbeitete m?chtig.
Die Litauerin wiederholte und las dann weiter, es kam die Schilderung des neuen Jerusalems. Und John sah bei ihren Worten das neue Jerusalem, die Stadt der goldenen Gassen mit den Toren aus Perlen und den Mauern aus Edelsteinen. >>Blau, gelb, gr?n, rot ...<< fl?sterte er, >>o Dore, alle Regenbogenfarben! Alles aus Edelsteinen, aus Gold und Perlen!<< Sie war verstummt, und er fuhr fort, die Augen auf die verr?ucherte Decke gerichtet.
>>Da ist ein Schloss, Dore, das wird mir geh?ren, wenn ich erst tot bin. Die Mauern sind aus Amethyst und die Fenster aus Rubin. Und in allen Zimmern sind Flaschen, Flaschen in allen Regenbogenfarben -- und ich darf aus allen trinken. Das schmeckt, Dore, was in den Flaschen ist! Und man wird nie davon betrunken, man kann ewig, ewig trinken!<<
Die W?rterin lachte und John sprach weiter:
>>Jeder Schluck aus den Flaschen ist wie mildes, knisterndes Feuer und fliesst wie fl?ssige Edelsteine in den Magen hinab. Dort sprudelt er weiter und durchgl?ht den ganzen Magen. Was sag ich: den ganzen Magen? Nein, den ganzen K?rper. Und man wird durchsichtig wie eine helle Flamme, wenn man aus den Flaschen getrunken hat, man gleicht dann einer hellen, durchsichtigen Flamme ...<< Er wandte den Blick von der verr?ucherten Decke und sah die W?rterin spitzb?bisch an. >>Man k?nnte in dich hineinsehen, Dore, wenn du aus den Flaschen getrunken h?ttest, dein ganzer K?rper w?re dann durchsichtig.<< Er grinste wie ein Faun. >>Ich m?chte nicht in dich hineinsehen, Dore!<<
>>Sie missen nich anzieglich werden, junger Herr,<< sagte Frau Kalnis gekr?nkt, und nachdem sie eine Weile nach einer sch?rferen Entgegnung gesucht hatte, setzte sie mit frommem Hohn hinzu: >>Wer eine kranke Leber hat, sieht innen immer noch schlechter aus, als einer, der se nich hat.<< Darauf las sie hurtig weiter und gelangte bald zu der Strophe: >>Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es h?ret, der spreche: Komm! Und wen d?rstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.<<
>>Halt, halt!<< rief John erregt nach diesen Worten, >>mich d?rstet, mich d?rstet immer! Wohin soll man da kommen, Dore? Ich geh' gleich dahin.<<
>>Na, nach's neie Jerusalem doch wohl,<< meinte die W?rterin. Und dann malizi?s: >>Aber Sie heren doch, junger Herr, dass da nichts als Wasser anjeboten wird.<<
Der Trinker verzog das Gesicht. >>Wasser -- brr ... Aber Wasser des Lebens, Dore, das schmeckt vielleicht besser als die feinste Mischung, das stillt vielleicht f?r immer den Durst.<<
>>Kann sein! Aber wollen Se jetzt nich schlafen, Herr Johnche?<<
>>Ich kann nicht.<<
>>Na versuchen Sie's doch man erst.<<
>>Nein ... Ich m?chte wissen, wozu ich gepasst h?tte, wenn ich nicht immer den Durst gehabt h?tte?<<
>>Das fragen Se mich immer, wenn Se einen jetrunken haben.<<
>>Und Sie wissen nie eine Antwort darauf. Was ihr sagt, ist alles falsch.<<
>>Wozu bekam ich den ewigen Durst? Ich m?chte wissen, wozu ich ihn bekam?<< schrie er wild.
>>Das will ich wissen!?<< br?llte er, und sein ganzes Gesicht zuckte.
>>Jetzt sollten Se zu schlafen versuchen, mein Lieberche, und nich so was Unnitzes fragen.<<
>>Zum Schlafen kommt schon noch Zeit genug,<< stammelte John. >>Ich m?chte wissen, ob ich denn bloss zum Saufen auf die Welt kam?<<
>>Aber nei! Sie h?tten doch e feiner Kaufmann werden k?nnen, oder auch e studierter Herr, wie d'r Grossvaterche.<<
>>Sprich doch nicht dummes Zeug!<< brummte er gereizt. >>Du verstehst von gar nichts! Keiner versteht was! Und alles ist so verdreht, so verdreht<< ...
Die W?rterin war zu der ?berzeugung gelangt, dass John heute abend ein Schlafpulver bekommen m?sse. Sie holte das Tischchen herbei, das zur Nacht an sein Bett gestellt wurde, und r?hrte ihm dann rasch ein Pulver ein.
>>Dies trinken Se man und dann werden Se schon schlafen, mein Lieberche.<<
Erst wollte er nach dem Glas stossen, aber dann riss er es pl?tzlich an sich und leerte es gierig. Er plumpste wie ein ermatteter Maik?fer auf den R?cken, als das Schlafmittel zu wirken begann. Dore nahm die Brille ab und betrachtete ihn mit einf?ltiger Miene. >>Dummer ?sel,<< brummte sie, >>w?rst verninftig jewesen, h?tt dir die janze Welt offen jestanden. Aber nu -- was hast? Gar nuscht.<< Da John die Augen geschlossen hatte, l?schte sie die Lampe aus und z?ndete daf?r ein Nachtl?mpchen an. Sie setzte ein paar Flaschen Selterwasser auf sein Tischchen, die er im Laufe der Nacht zu leeren pflegte, um das fortw?hrende innerliche Brennen zu lindern, und verf?gte sich dann in ihr Zimmer, um ger?uschlos zu Bett zu gehen.
Zweites Kapitel
John stand vor dem Spiegel und legte seine Orden an. So nannte er die blauen, an B?ndchen h?ngenden, parf?mierten Oblaten, mit denen er seine Jacke zu schm?cken pflegte, wenn er >>zu Zarnoskys<< ging. Er trug sie dann seiner j?ngeren Br?der wegen, die immer behaupteten, sie k?nnten seinen Geruch nicht ertragen. John roch wirklich nicht sch?n, was auch weiter nicht verwunderlich war, und seine Kleider verbreiteten die Luft der Arbeiterkneipen. Aber er verschm?hte es, sich mit Parf?m zu begiessen, er fand es m?nnlicher und stilvoller, mit den blauen Oblaten auf der Jacke zu gehen. Obgleich sie lange nicht die Wirkung aus?bten, die ein starkes Parf?m getan h?tte. John war noch so kindisch. Mit strahlenden Augen war er eines Morgens, die Oblaten auf der Brust, bei der Mutter erschienen: >>Sieht das nicht fein aus? Sieht das nicht jrossartig aus? Und nun werde ich auch nicht mehr schlecht riechen. Nicht wahr, ich rieche jetzt fein? Paul, Leo, rieche ich jetzt nicht fein?<< Sie hatten es aus Mitleid bejaht, und die Mutter hatte sogar behauptet, dass sie noch nie einen schlechten Geruch an ihm bemerkt habe, Paul und Leo seien nicht klug. Das hatte den jungen Alkoholiker bis zu Tr?nen ger?hrt. An diesem Tage trank er keinen Tropfen.
W?hrend sich John noch vor dem Spiegel bewunderte -- es war Sonntag: Palmsonntag -- kam etwas trapp, trapp, trapp, wie auf kleinen Jungenstiefeln, die Treppe herauf und h?mmerte dann energisch an die K?chent?r. Das V?terchen st?rzte hin, um dem S?hnchen zu ?ffnen. Peter trat ein und schob seine kleine weiche Nase zur Begr?ssung in Johns ausgestreckte Hand. Peter wollte seinen Morgenzucker haben, und den erhielt er auch reichlich. John h?tte seine Uhr verkauft, um Peter mit Zucker f?ttern zu k?nnen.
Der Ziegenbock musste auf dem Hof bleiben, als John ins Vorderhaus zu seinen Eltern ging. Er bedeutete ihm, auf dem Hof herumzuspringen, solange >>Papa<< auf Besuch war.
Papa setzte sich im elterlichen Esszimmer an den warmen Ofen, versch?mt >>guten Morgen<< stotternd. Paul und Leo verzogen sich rasch nach seinem Eintritt, und Eugen begr?sste ihn mit den sp?ttischen Worten: >>Na, wieder mal betrunken gewesen, alter Ziegenbockvater?<<
>>Betrunken gewesen? Wer? Ich doch nicht?<< stotterte der Trinker. Er hatte die H?nde gefaltet und liess die Daumen langsam umeinanderlaufen, indem er auf die Mutter blickte, die mit einer Handarbeit am Fenster sass.
>>Ach John,<< sagte sie traurig, >>kannst du es denn gar nicht lassen?<<
>>Nein,<< platzte er naiv heraus.
Sie seufzte und verstummte.
>>Was gibt's zu Mittag?<< fragte er verlegen in die Stille hinein. John war ein Feinschmecker und hielt sich gern in der K?che auf. Dort, bei Amalie, war ihm auch viel wohler als bei Vater und Mutter. >>Muss mal sehen, was gekocht wird,<< sagte er, sich wieder erhebend, da niemand auf seine Frage antworten wollte.
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