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Read Ebook: Der Fall Vukobrankovics by Weiss Ernst Leonhard Rudolf Editor

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Ebook has 73 lines and 13976 words, and 2 pages

n sind diese Aufzeichnungen geschrieben. Ich will versuchen, das ?ussere und innere Leben der Gefangenen zu schildern.

Ist schon eine Psychologie der Gefangenen geschrieben worden? Meines Wissens noch nicht. Ist es aber - allem Ignorantentum und Pharis?erstolz zum Trotze - nicht wichtig, zu wissen, wie Menschen, die ?ber von Menschengehirnen erdachten und von Menschenherzen best?tigten Gesetzen gestrauchelt, in von Menschen bewachten Kerker geworfen werden, wie diese ,,Parias der Moral" denken, f?hlen, und leiden?" Auff?llig ist die von vornherein aggressive Stimmung, die automatisch aus jeder Situation sich ergebende ,,moralische" ?berhebung.

Meine zweite Untersuchungshaft f?llt in die Jahre 1922-23 und ist heute, am 31. M?rz 1923 nach achtmonatiger Dauer noch nicht zu Ende.

Dieses Buch hat nicht den Zweck, ?ber meine Schuld und Unschuld zu diskutieren. Meine pers?nlichsten Angelegenheiten sollen hier ?berhaupt nicht ber?hrt werden. Nur das, was von allem, was ich erlebte oder an anderen beobachtend miterlebte, Anspruch auf allgemeine G?ltigkeit hat und allgemeines Interesse hat, will ich erz?hlen ...

Um die Diskretion, die ich mir auferlegen muss, nicht zu verletzen bin ich gezwungen, manches, das ich selbst erlebte, als von anderen erlitten und manches fremde Erlebnis als mein eigenes hinzustellen.

Als Gegenst?ck, aber offenbar erfunden und gar nicht charakteristisch, folgendes: ,,Eine andere Frau erz?hlte mir wieder, wie viel sie vor ihrer Verhaftung gebetet habe. In allen m?glichen Kirchen sei sie gewesen, Messen habe sie lesen lassen, nun sei sie aber b?se und wolle ?berhaupt nimmer beten. Es helfe ja doch nichts."

Aber es ist gar nicht die ,,Leidensgef?hrtin", die den Heiligen und das alte Bild genau kennt und sich vor der erwarteten Verhaftung dorthin fl?chtet, sondern sie selbst ist es. Und wenn sie sagt, sie h?tte es bloss in der Schulzeit gekannt, so ist es eine L?ge und doch auch die Wahrheit. Das ist nicht die Schule, in die sie als Sch?lerin ging, sondern die, in der sie Unterricht erteilt hat, denn w?hrend dieser Schulzeit hat sie die Giftmordversuche im Hause Piffl unternommen. Wie sie weiter ?ber die Sache spricht, beweist sehr deutlich, dass es ihre eigene Sache ist, um die es sich dreht.

Ja, Not lehrt beten, sagt ein altes Sprichwort, f?r dessen Richtigkeit ich unter meinen Mith?ftlingen eine Reihe von Zeugen fand. Manch eine, die fr?her nie an Gott gedacht hatte, rannte z?hneklappernd in die Kirche, als die Polizei hinter ihr her war und betet jetzt, in stiller Zelle, ein Vaterunser nach dem anderen. Theoretisch erkl?ren kann ich mir das, der Mensch sucht eben in seiner h?chsten Not einen Trost, eine St?tze, eine Hoffnung; und je hoffnungsloser der Fall ist, desto br?nstiger hofft er, weil nat?rliche Mittel ihn nicht mehr retten k?nnen, auf ein ?bernat?rliches, auf das Wunder. Er fleht und betet um das Unm?gliche zu Gott und zu seinen Heiligen und vermag durch seine Inbrunst eine ganze Schar von Zellengenossen mitzureissen."

Zweitens ist es ein fundamentaler Unterschied, ob man das rechtlich positive Bestreben, den Schuldigen zu eruieren mit einer Pr?mie belohnt, oder ob eine ,,Partei" einen Beamten zu bestechen sucht, damit er das Recht beuge.

Es kommt ihr nicht darauf an, f?r die Republik in ?sterreich ein gutes Wort einzulegen, an einer anderen Stelle setzt sie sich, an sich nicht unvern?nftig, gegen den omin?sen Abtreibungsparagraphen ein, der bloss die sozial schlecht gestellten Schichten treffe und die gut b?rgerlichen Kreise schone.

Ich habe in der Folge Stunden erlebt, in denen ich mir die N?gel ins Fleisch grub, um mich zu versichern, dass alles Wirklichkeit sei, dass ich noch lebte, wachte und nicht einen b?sen Traum tr?umte."

... Ich musste weiter denken, wie ungerecht und hart die Menschen doch eigentlich sind. Was tut uns die Wanze? Sie beisst uns und der Schaden ist so gering, dass er, juristisch gesprochen, nicht einmal einer leichten K?rperbesch?digung gleich kommt. Was tun wir Menschen daf?r der Wanze? Wir verurteilen sie zum Tode und vollstrecken dieses Urteil nicht immer auf die humanste Art ... Ich war so apathisch, dass ich f?r die aktiven Gef?hle, die mich bei Tage beseelten, Zorn, Scham, Trotz, Entt?uschung, Erbitterung, keine Kraft mehr fand, sondern still dalag, in Schmerz aufgel?st. Manchmal schwieg f?r Augenblicke dieser Schmerz - dann betrachtete ich das ganze Erlebnis, meine Umgebung, mein Schicksal, mich selbst mit gespanntem, fast neugierigem Interesse - als ob ich ein unbeteiligter Zuschauer w?re. Ich fragte: ,,Wache ich oder tr?ume ich? Bin ichs oder bin ichs nicht? Lebe ich oder bin ich tot?"

Mir ist es in der Folge mehreremal geschehen, dass Frauen, die den Richtern gegen?ber die ihnen zur Last gelegte Tat leugneten, mir ihr Vergehen unter den Zeichen lebhaftester Reue eingestanden haben und mir, da ich sie zu tr?sten, aufzurichten und zu gutem Vorsatz zu bewegen suchte, unter Tr?nen das Versprechen gaben, sich in Zukunft nie mehr gegen die Gesetze verfehlen zu wollen."

Offenbar von sich selbst spricht sie in folgender Stelle: ,,Da hat einer vielleicht wirklich einmal einem anderen eine leichte K?rperverletzung zugef?gt, er bereut sein Tun und es dr?ngt ihm f?rmlich, sich dem Kommissar oder dem Richter anzuvertrauen. Aber Richter und Kommissar wollen von der leichten K?rperverletzung nichts wissen - ein interessanter Fall winkt - die Aff?re wird als versuchter Mord hingestellt, obwohl der ,,ermordete" lebt und heil und gesund ist. Der T?ter erschrickt - Mord? Das war nicht seine Absicht und war auch nicht geschehen. Wenn er sich nun nicht als ,,M?rder" verurteilt wissen will, bleibt ihm nur das eine Mittel, die Handlung als solche ?berhaupt in Abrede zu stellen, also auch die leichte K?rperbesch?digung zu leugnen. Er wird verbittert und verzweifelt an der Gerechtigkeit ?berhaupt."

Es gibt sowohl unter den kleinen Gelegenheitsdiebinnen als auch unter den ganz grossen Berufsverbrecherinnen wahrhaft g?tige Menschen, Leute, auf deren Wort man bauen kann, die Treue und Freundschaft vielleicht besser halten als mancher Spiessb?rger. ... So fand ich in den Weiberzellen des Landesgerichtes gerade unter den ,schwersten Nummern' Frauen von genialen F?higkeiten , von sittlichem Werte, Frauen, um die ich h?tte weinen m?gen , dass ihnen kein besseres Los beschieden war, als der Kerker, Frauen, die von einem vern?nftigen Psychiater - der anscheinend noch nicht geboren wurde - sicherlich gerettet worden w?ren."

Die Gesche Gottfried schreibt: ,,O wie leicht irrt man in der Beurteilung des menschlichen Herzens! Wie empfindlich der Schmerz ist, von anderen verkannt zu sein und sich bei bestem Willen h?misch beurteilt zu sehen, davon hat wohl keiner mehr Ursache als ich ... So unedel, wie sie mich schildern, bin ich nicht, bloss ungl?cklich. Wer hat mehr Tr?nen der Verzweiflung geweint als ich - und lebe dennoch ... K?nnen Sie mir eine unedle Handlung beweisen? Eine ungl?ckliche Ehe war mein Los, aber Vertrauen zum lieben Gott liess mich alles ertragen." Es handelt sich bei diesen Briefstellen der dreissigfachen Giftm?rderin um Briefe an einen Mann, dem die Gottfried stets ,,als Frau von hohem Ehrgef?hl und edelm Stolz" erschienen war, und der, als die Giftmorde ans Tageslicht gekommen waren, mit der Ver?ffentlichung ihres Verhaltens in der Schuldsache gedroht hatte. Der Gr?ssenwahn der Giftm?rderin geht aus den Briefen deutlich hervor.

,,Im ?brigen betone ich nochmals," sagt sie aber am Ende eines Kapitels, ,,dass weder Sensationslust, noch Rachegier, noch sonst ein unlauteres Motiv mich bestimmt, diese Dinge aufzuzeigen, sondern einzig und allein der aufrichtige Wunsch, den ?rmsten der Armen zu helfen."

Zusammenfassung.

Als sie zum zweiten Male vor dem Untersuchungsrichter steht, bewundert sie dessen sch?ne H?nde, m?chte sie modellieren, nur ein verkr?mmtes Fingerglied an seiner Hand st?rt sie bei ihrem Anschmachten.

Man darf vielleicht aus der grossen ?hnlichkeit dieser F?lle den Schluss ziehen, dass es sich um einen eigenartigen Komplex handelt. Die Erscheinungen gleichen sich zu sehr. Zwei Fragen w?ren zu beantworten, eine theoretische und eine praktische.

Theoretisch: Sind Menschen mit diesem Giftkomplex geistig gesund und f?r ihre Handlungen kriminalistisch haftbar zu machen oder nicht?

Praktisch: Was soll mit solchen Menschen geschehen, kann man ihre Taten verh?ten, kann man die Gesellschaft und sie selbst vor sich selbst sch?tzen?

Auf die erste Frage w?rde ich, nach meinem pers?nlichen Ermessen, antworten, dass solche Menschen Grenzf?lle darstellen, dass sie aber meiner Ansicht nach nicht ,,unter den Paragraphen" fallen. Sie geh?ren auch nicht vor das Gericht.

Damit beantwortet sich die zweite Frage: Da es sich um einen Trieb handelt, der meiner Ansicht nach mit dem Feueranlegetrieb und mit dem unwiderstehlichen Wandertrieb ?hnlichkeit hat, ist eine Besserung nicht zu erwarten, man kann auch derartige Taten nicht vorher verh?ten, da das Gewebe zu dicht ist, als dass man den giftigen Faden rechtzeitig erkennen k?nnte. Ist man aber einem solchen Menschen auf die Spur gekommen und dazu wird es nicht immer einer so grossen Anzahl solcher Giftversuche bed?rfen, wenn der Psychiater, der Arzt ?berhaupt und das Publikum von der Existenz solcher Anomalien unterrichtet sind, dann geh?rt ein solcher Mensch in lebensl?ngliche Absperrung, es m?ssen Abteilungen f?r diese und ?hnliche Menschen, etwa wie f?r die mit moral insanity behafteten, den Irrenanstalten angeschlossen werden, dort sollen diese Menschen nicht etwa in Zellen festgehalten werden, sondern man muss versuchen, sie dort ihrem geistigen Niveau entsprechend zu besch?ftigen, eine Aufgabe, die nicht ?ber die Grenzen des tats?chlich m?glichen geht.

In der Sammlung AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT - DIE VERBRECHEN DER GEGENWART. - erscheinen in k?rzester Zeit folgende B?nde:

ALFRED D?BLIN DIE BEIDEN FREUNDINNEN UND IHR GIFTMORD

EGON ERWIN KISCH DER FALL DES GENERALSTABSCHEFS REDL

EDUARD TRAUTNER DER MORD AM POLIZEIAGENTEN BLAU

ERNST WEISS DER FALL VUKOBRANKOVICS

Band 5:

PAUL MAYER DER FECHENBACHPROZESS

Band 6:

FRIEDRICH STERNTHAL DER FALL DER RATHENAUM?RDER

Band 7:

REN? SCHICKELE DIE CAILLAUXPROZESSE

Band 8:

IWAN GOLL DER FALL DER GERMAINE BERTON

Band 9:

HENRI BARBUSSE DIE MATROSEN DES SCHWARZEN MEERES

Band 10:

HERMANN UNGAR DER FALL GRUPEN

Band 11:

ARNOLT BRONNEN DIE ERMORDUNG DES B?RSENMAKLERS F.

Band 12:

KARL OTTEN DER FALL DES HAUPTMANN VON K?PENICK

Band 13:

OTTO KAUS DER FALL GROSSMANN

Band 14:

EUGEN ORTNER DER FALL DES MASSENM?RDERS SCHUMANN

Band 15:

KARL FEDERN DER FALL MURRI-BONMARTINI

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