Read Ebook: Adams Tagebuch und andere Erzählungen by Twain Mark
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Ebook has 1009 lines and 53157 words, and 21 pages
>>Nun, sehen Sie, das war Diplomatie -- und Sie haben bemerkt, wie sie wirkte. Es h?tte gar keinen Zweck gehabt, L?rm zu machen, wie die Leute fortw?hrend tun -- der junge Mensch kann einem mit gleicher M?nze heimzahlen, und man zieht fast immer den k?rzeren dabei und ?rgert sich bloss ?ber sich selber. Aber, wie Sie gesehen haben, gegen Diplomatie kann er nichts machen. Freundliche Worte und Diplomatie -- das sind die Werkzeuge, mit denen man arbeiten muss.<<
>>Ja, ich verstehe; aber nicht jeder ist in so g?nstiger Lage, wie Sie in diesem Fall. Es steht eben nicht jedermann auf so vertrautem Fuss mit dem Pr?sidenten der Western Union.<<
>>Ich kenne den Pr?sidenten gar nicht -- ich benutzte ihn nur zu diplomatischen Zwecken. Es geschieht zu seinem und zum allgemeinen Besten. Also nichts B?ses dabei.<<
Ich fragte z?gernd und mit bedenklichem Gesicht: >>Ist es aber ?berhaupt wohl jemals recht oder anst?ndig, zu l?gen?<<
Die gelinde Selbst?berhebung, die in der Frage lag, beachtete er nicht, sondern antwortete mit unersch?tterlich ernster Einfachheit:
Er verbesserte im Lauf des Tages eine h?bsche Menge Missst?nde, und stets ohne Reibung, stets mit einer feinen und zartf?hlenden >Diplomatie<, die keinen Stachel zur?ckliess. Seine Leistungen bereiteten ihm so viel Gl?ckseligkeit und Zufriedenheit, dass ich ihn um seinen Beruf beneidete und mich vielleicht auch darin versucht haben w?rde, wenn ich die notwendigen Abweichungen von der Wahrheit mit ebensolcher Zuversicht aus meinem Munde hervorbringen k?nnte, wie es mir mittels einer Feder und hinter der Deckung einer Druckerpresse nach einiger Uebung -- glaube ich -- wohl m?glich w?re.
Als wir am sp?ten Abend mit der Pferdebahn wieder in die Stadt hinein fuhren, kamen drei Radaubr?der in den Wagen und begannen nach rechts und links mit unfl?tigen Sp?ssen und Fl?chen um sich zu werfen. Die Passagiere, zum Teil Frauen und Kinder, hatten Angst, und kein Mensch wagte, den Knoten entgegenzutreten oder ein Wort zu erwidern; der Schaffner versuchte es mit g?tlichem Zureden, aber die Rauhbeine gaben ihm einfach Schimpfworte zur?ck und lachten ihn aus. Sehr bald sah ich dem Major an, dass er hier einen Fall seiner Spezialit?t vor sich hatte; augenscheinlich musterte er in Gedanken seinen Vorrat von diplomatischen Mitteln. Ich sah mit Bestimmtheit voraus, dass ein derartiger Versuch ihm nur Spott und Hohn, vielleicht sogar noch Schlimmeres einbringen w?rde; aber bevor ich ihm diese Bemerkung zufl?stern konnte, sagte er bereits in gleichm?tigem und leidenschaftslosem Ton:
>>Schaffner, Sie m?ssen die Schweine 'nausschmeissen. Ich will Ihnen dabei helfen.<<
Das hatte ich nicht erwartet. Schnell wie der Blitz fuhren die drei Knoten auf ihn los, aber kein einziger kam an ihn heran. Er teilte drei Faustschl?ge aus, wie man sie ausserhalb eines Preisboxerringes zu sehen nicht erwarten konnte, und die drei Kerle blieben liegen, wo sie hingefallen waren. Der Major schleifte sie hinaus und warf sie von der Plattform des einen Moment haltenden Wagens hinunter; hierauf fuhren wir weiter.
Ich war erstaunt; erstaunt dar?ber, dass ein Lamm so vorgehen konnte; erstaunt ?ber die von ihm entfaltete Kraft und ?ber das klare und allgemeinverst?ndliche Ergebnis; erstaunt ?ber die gewandte und gesch?ftsm?ssige Art, wie er das Ganze gemacht hatte. Die Situation hatte ihre humoristische Seite, insofern ich den ganzen Tag ?ber von diesem schlagfertigen Herrn fortw?hrend Vortr?ge ?ber sanfte Ueberredung und freundliche Diplomatie angeh?rt hatte. Ich h?tte ihn gern darauf hingewiesen und einige Sarkasmen dar?ber angebracht; aber als ich ihn ansah, merkte ich, dass das keinen Zweck haben w?rde. Auf seinem ruhigen und zufriedenen Gesicht lag keine Ahnung von Humor; er w?rde mich nicht verstanden haben. Als wir auf einer der n?chsten Haltestellen ausgestiegen waren, sagte ich zu ihm:
>>Das war ein t?chtiger diplomatischer Streich, oder vielmehr es waren drei t?chtige diplomatische Streiche.<<
>>Da Sie das Wort nennen, so -- ja, ich glaube, Sie k?nnen vielleicht recht haben.<<
>>Ich glaube selber, es hatte den ?usseren Anschein. Versuchen Sie oft, Leute auf diese Art zu bessern?<<
>>O nein, das kommt beinahe nie vor. Nicht ?fter, als jedes halbe Jahr einmal im Durchschnitt.<<
>>Die Leute werden doch mit dem Leben davonkommen?<<
>>Mit dem Leben davonkommen? Na, nat?rlich! Sie sind ganz ausser Gefahr. Ich weiss, wie und wohin ich zu schlagen habe. Sie haben wohl bemerkt, dass ich nicht unter die Kinnlade schlug. Das w?rde sie get?tet haben.<<
Ich glaubte das. Ich bemerkte -- und nach meiner Meinung war es ein ganz guter Witz --, er sei den ganzen Tag ?ber ein Lamm gewesen, habe sich aber jetzt auf einmal zum Bock entwickelt, zum Sturmbock; aber er sagte mit freundlicher Offenheit und Unbefangenheit: nein, ein Sturmbock sei ganz was andres und jetzt nicht mehr im Gebrauch. Das war, um aus der Haut zu fahren, und ich w?re beinahe mit der Antwort herausgeplatzt, er habe von Witz nicht mehr Ahnung als ein Trampeltier. Ich hatte das Wort tats?chlich schon auf der Zunge, aber ich sagte es doch nicht, denn mir fiel ein, dass die Sache keine Eile habe, und ich es ebensogut ein andermal telephonisch abmachen k?nne.
Am n?chsten Nachmittag fuhren wir nach Boston. Die Rauchabteilung im Salonwagen war voll, und wir gingen daher in das gew?hnliche Rauchcoup?. Dr?ben auf der andern Seite des Wagenganges, auf dem vordersten Sitz, sass ein bescheiden aussehender alter Mann -- dem Anschein nach ein Landmann -- mit bleichem, kr?nklichem Gesicht und hielt mit dem Fuss die T?r offen, um frische Luft zu bekommen. Auf einmal kam polternd ein grosser Bremser herein; bei der T?r blieb er stehen, warf dem Landmann einen ganz w?tenden Blick zu und schlug mit solcher Kraft die T?r zu, dass der alte Mann beinahe seine Stiefelsohle eingeb?sst h?tte. Dann machte er sich an seine Verrichtungen. Mehrere von den Passagieren lachten, und der alte Herr sah ganz besch?mt und traurig drein.
Ein Weilchen darauf kam der Schaffner durch, und der Major hielt ihn an und stellte in seiner gew?hnlichen h?flichen Weise die Frage:
>>Schaffner, wo beschwert man sich ?ber unangemessenes Betragen eines Bremsers? Bei Ihnen?<<
>>Sie k?nnen ihn in New Haven anzeigen, wenn Sie das wollen. Was hat er getan?<<
Der Major erz?hlte die Geschichte. Sie schien den Schaffner zu am?sieren. Er sagte mit einer ganz kleinen Beimischung von Sarkasmus zu seinen k?stlichen Worten:
>>Nein, das tat er nicht.<<
>>Aber er sah den Herrn w?tend an, sagten Sie?<<
>>Ja.<<
>>Und er warf in unh?flicher Weise die T?r zu?<<
>>Ja.<<
>>Und das ist alles, nicht wahr?<<
>>Ja, das ist alles.<<
Der Schaffner l?chelte freundlich und sagte:
Ein Beifallsgemurmel belohnte den Schaffner f?r seine knappen und b?ndigen Schlussfolgerungen. Das machte ihm Vergn?gen -- man konnte es seinem Gesicht ansehen.
Aber der Major war unersch?ttert. Er sagte:
Der Schaffner lachte und sagte:
>>Na, das hiesse denn doch die F?rsorge f?rs Publikum recht weit treiben!<<
>>Aber nicht zu weit, glaube ich. Ich will diesen Fall in New Haven zur Sprache bringen, und ich habe so eine Ahnung, dass man mir dankbar daf?r sein wird.<<
Des Kondukteurs Gesicht verlor etwas von seinem freundlichen Ausdruck, oder vielmehr es wurde vollkommen k?hl und ernst, als der Mann wegging. Ich sagte:
>>Sie wollen doch nicht wirklich wegen so einer Lappalie L?rm schlagen?<<
>>Es ist keine Lappalie. So etwas sollte stets angezeigt werden. Es ist eine ?ffentliche Angelegenheit, und kein B?rger hat das Recht, dar?ber hinwegzusehen. Aber ich werde mich ?ber diesen Fall gar nicht zu beschweren brauchen.<<
>>Wieso?<<
>>Es wird nicht n?tig sein. Diplomatie wird alles in Ordnung bringen. Sie werden schon sehen.<<
Nach einiger Zeit kam der Schaffner wieder durch den Wagen; als er beim Major war, beugte er sich zu ihm her?ber und sagte:
>>'s ist alles in Ordnung. Sie brauchen den Mann nicht anzuzeigen. Er ist mir verantwortlich, und wenn er's noch einmal tut, will ich ihm einen R?ffel geben.<<
Der Major antwortete herzlich:
>>Nun, so gef?llt's mir. Glauben Sie nicht, ich h?tte aus Rachsucht so gesprochen, ich tat's aus Pflichtgef?hl, weiter nichts. Mein Schwager ist einer von den Direktoren der Bahn, und wenn er erf?hrt, dass Sie den Bremser das n?chstemal, wenn er einen harmlosen alten Mann gr?blich beleidigt, ganz geh?rig vornehmen wollen, so wird ihn das freuen, darauf k?nnen Sie sich verlassen.<<
Der Schaffner sah nicht so heiter drein, wie man vielleicht h?tte erwarten k?nnen; er machte im Gegenteil den Eindruck, als ob ihm recht unbehaglich zu Mute w?re. Er dachte eine Weile nach, dann sagte er:
>>Ich meine, irgend 'was sollte gleich jetzt auf der Stelle mit ihm geschehen. Ich will ihn entlassen.<<
>>Ihn entlassen? Was sollte das f?r einen Zweck haben? Glauben Sie nicht, es w?re vern?nftiger, ihm bessere Manieren beizubringen und ihn zu behalten?<<
>>Hm, da liegt was drin ... Was w?rden Sie vorschlagen?<<
>>Er beleidigte den alten Herrn in Gegenwart all dieser Herrschaften. Wie w?r's, wenn Sie ihn hereinkommen liessen, dass er in ihrer Gegenwart Abbitte tut?<<
>>Ich werde ihn sofort schicken. Und ich m?chte noch eins bemerken: Wenn alle Leute es so machten wie Sie und solche Sachen sofort bei mir meldeten, anstatt ihren Aerger bei sich zu behalten und nachher herumzulaufen und auf die Eisenbahnen zu schimpfen, so sollten Sie mal sehen, wie schnell sich alles ?ndern w?rde. Ich bin Ihnen sehr verbunden.<<
Der Bremser kam und leistete Abbitte. Als er wieder hinaus war, sagte der Major:
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