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Read Ebook: Mein Roman »Das Totenschiff« by Traven B

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Ebook has 24 lines and 4473 words, and 1 pages

Produced by: Jens Sadowski

MEIN ROMAN >>DAS TOTENSCHIFF<<

VON B. TRAVEN

In: Die B?chergilde. Berlin, 1926, H. 3, S. 34-38.

Mein Wunsch war, eine gute und unterhaltsame Geschichte zu schreiben. Ich denke, dass die Geschichte darum gut und unterhaltsam ist, weil ich sie mir nicht aus den Hosenn?hten gezupft habe, weil sie nicht erdichtet ist.

Wenn man eine wahre Geschichte schreibt, kann man nicht lange ?ber die Kunstform nachgr?beln. Man erz?hlt einfach, und man erz?hlt so, wie man es sah und wie man es empfand. Ein andrer Mensch w?rde dieselbe Geschichte ganz anders erz?hlen. Er w?rde Begebenheiten, die ich hervorheben und unterstreichen musste, kaum wahrnehmen, vielleicht ganz fortlassen, w?hrend er Gespr?che wiedergeben w?rde, die ich ?berh?rte, weil ich sie f?r unwichtig ansah.

In diesem letzten Satze ist schon alles enthalten, was ich ?ber mich selbst zu sagen habe. Wer sich um einen Posten als Nachtw?chter oder als Laternenanz?nder bewirbt, muss einen Lebenslauf schreiben und ihn innerhalb angemessener Frist einreichen. Von einem Arbeiter, der geistige Werte schafft, sollte man nie einen Lebenslauf verlangen. Es ist unh?flich. Man verf?hrt ihn zum L?gen. Besonders dann, wenn er aus irgendwelchen Gr?nden glaubt, dass sein wahrer Lebenslauf eine Entt?uschung f?r die Menschen sein muss. Hier freilich treffe ich mich nicht selbst. Mein Lebenslauf w?rde nicht entt?uschen. Aber mein Lebenslauf ist meine Privatangelegenheit, die ich f?r mich behalten m?chte. Nicht aus Egoismus. Vielmehr aus dem Wunsche heraus: In meiner eignen Sache mein eigner Richter zu sein.

Ich m?chte es ganz deutlich sagen. Die Biographie eines sch?pferischen Menschen ist ganz und gar unwichtig. Wenn der Mensch in seinen Werken nicht zu erkennen ist, dann ist entweder der Mensch nichts wert oder seine Werke sind nichts wert. Darum sollte der sch?pferische Mensch keine andre Biographie haben als seine Werke. In seinen Werken setzt er seine Pers?nlichkeit und sein Leben der Kritik aus.

Das Totenschiff ist ein Schiff, das von Toten, von Gespenstern bemannt ist. Diese Toten atmen und arbeiten, sind aber dennoch tot. Tot, wie nur ein Mensch sein kann, der keine Verbindung mehr mit den Lebenden und mit der lebendigen Welt hat.

Auf dieser Seite des Atlantischen Ozeans, wo ich lebe, wird ja heute noch behauptet, dass der grosse Krieg f?r die Freiheit, f?r die Demokratie, f?r die Unabh?ngigkeit der V?lker gef?hrt wurde. Wie nach dem europ?ischen Freiheitskriege von 1813/15, so ist auch nach diesem grossen Freiheitskriege die Freiheit des einzelnen Menschen zum Teufel gegangen. Das haben Freiheits-, Religions- und Revolutionskriege so an sich.

Vor diesem grossen Kriege gen?gte ein leerer Briefumschlag mit darauf geschriebener Adresse und abgestempelter Briefmarke, um von Berlin nach Philadelphia, von Hamburg nach Borneo, von Br?ssel nach Neuseeland zu fahren. Seitdem der grosse Freiheitskrieg gewonnen wurde, haben alle L?nder chinesische Mauern errichtet, deren Tore ohne Pass, ohne Visa, ohne Geburtsurkunde, ohne polizeiliches F?hrungszeugnis, ohne Ehescheidungsdokument, ohne Heiratslizenz nicht passiert werden d?rfen.

Als aber diese Mauern errichtet wurden, als die Bureaukraten aller L?nder gewichtige M?nner wurden, denen beinahe mehr Macht einger?umt wurde als die abgesetzten K?nige gehabt haben, da blieben einige tausend Menschen draussen, ausserhalb der Mauern. Sie konnten die Tore nicht passieren, weil das Papier wichtiger geworden war als der Mensch, die Geburtsurkunde einen h?heren Wert bekam als die Tatsache, dass der Mensch lebte.

In einer Welt, wo der Bureaukrat mit seinen Registern und Anmeldeformularen den Lauf der Dinge bestimmt, hat der Mensch, der nicht anmeldef?hig ist, kein Recht zu leben. Es w?re einfach, alle diese Menschen zu erschlagen, damit die >>amtliche Abfertigung<< sich in Ruhe und Ordnung vollziehen kann. Aber die Geburtsrate wird immer niedriger, und der Krieg hat auch seine Millionen von Menschen verschluckt, und deshalb kann man diese Sorgenkinder des Bureaukratismus nicht im Stillen Ozean ertr?nken.

Wie dankbar haben wir dem Kapitalismus zu sein, dass er sich dieses Menschenkehrichts annimmt! Er tut es nicht aus Barmherzigkeit. Er hat beim Erd?l und bei der Steinkohle gelernt, dass die Abfallprodukte einen h?heren Profit abwerfen k?nnen als das Kernprodukt.

Diesen menschlichen Abfallprodukten, diesen Toten, diesen Gespenstern wird der Glaube gelassen, dass sie durchaus freiwillig in die Arena treten, um als die modernen Gladiatoren zu k?mpfen. Dass sie nicht f?hlen, wie sehr sie die bedauernswerten, unfreiwilligen Opfer eines sch?ndlichen Systems sind. Dass sie ?berzeugt sind, sie seien >>freie<< Arbeiter, betrachte ich als ein Meisterst?ck des modernen Kapitalismus, der Krieg und Frieden, Abr?stungspl?ne und V?lkerb?nde, Revolutionen und Gegenrevolutionen, B?rgerkriege in China und organisierten Massenraubmord in Marokko und Syrien ?ber die Menschheit verh?ngt, nicht nach Laune und Willk?r, sondern um des nackten, blanken Profits willen.

Man denke ja nicht, in Deutschland, dass der amerikanische Arbeiter freier ist als der deutsche. Das bildet er sich nur ein. Infolge der etwas besseren Lebensweise, die er f?hrt - glaubt, zu f?hren - ist er versklavter als der deutsche Arbeiter.

Es mag geh?uft erscheinen, dass in dem Roman zwei Begebenheiten erz?hlt werden, die beinahe gleich erscheinen. Ich meine die Vorg?nge bei den amerikanischen Konsulaten. Aber ich m?chte dadurch zeigen, dass der amerikanische Beamte im Lande und ausserhalb des Landes an hirnlosem Bureaukratentum den typischen kaiserlich-deutschen oder k?niglich-preussischen Beamten noch zu ?bertreffen sucht. Der Konsul in Holland ist derselbe Bureaukrat wie der Konsul in Frankreich, wie der Konsul in Italien, wie fast jeder Beamte. Und der deutsche Konsul in England redet dieselbe Sprache wie der polnische Konsul in Hamburg. Die Beamten und die Bureaukraten sind eine internationale geheime Bruderschaft, die sich zur Aufgabe gemacht hat, den Menschen das Leben zu versauern. Ihre Fragen, Gesten, Ansichten, Ratschl?ge und Drohungen gehen allesamt nach demselben Code.

Ich h?tte leicht einen Konsul auslassen k?nnen. Aber das h?tte dann den Eindruck erweckt, als ob der erw?hnte Konsul eine Ausnahme sei. Unter diesen Beamten, welcher Nation sie auch angeh?ren, gibt es keine Ausnahmen, weil sie sich pedantisch an ihre Vorschriften gebunden f?hlen und ihren Staat nach dem Buchstaben vertreten. Dabei kommt die Menschlichkeit ?berall zu kurz. Das wollte ich betonen.

Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, dass der Schluss zu unvermittelt komme und dass den Durchschnittsleser die Frage peinigen werde, was aus dem Erz?hler wird, der gefesselt auf dem Wasser weitertreibt.

Es wird mir schwer werden, das gen?gend zu beantworten. H?tte ich diesen Roman geschrieben mit der Absicht, ihn dem ?blichen Lesepublikum vorzulegen, so w?re die Arbeit im ersten Kapitel schon anders gewesen. Aber ich z?hle die Mitglieder der B?chergilde nicht zu den Durchschnittslesern, sondern zu jenen Lesern, die nach dem Lesen eines Buches noch die geistige Spannkraft haben, selbst nachzudenken, und die dann noch gen?gend eigne Phantasie besitzen, um sich einen >>endg?ltigen Schluss<< - vorausgesetzt, dass sie einen w?nschen - selbst auszudenken. Ich glaube nicht, dass die Romane die besten sind, die den Leser v?llig ausgepumpt zur?cklassen, die ihm nichts mehr zum Denken ?briglassen.

Ich muss auch gestehen, dass ich ganz ernsthaft nicht erkl?ren kann, warum ich den Schluss gerade so und nicht anders gew?hlt habe. Nach meinem Gef?hl war ein andrer Schluss nicht zul?ssig. H?tte ich den Schluss ge?ndert, so w?rde ich einen Verrat an meinem Gef?hl ver?bt haben. Ich glaube, wer einen andern Schluss schreiben kann, ist nie ein einsamer Schiffbr?chiger gewesen, dem soeben der letzte Kamerad abgesp?lt worden ist. Aber selbst dann, wenn ich nicht mein Gef?hl sprechen liesse, sondern meinen klaren, n?chternen Verstand, ich k?nnte auch dann den Schluss nicht ?ndern. Ich k?nnte ihm vielleicht nur die eine Note nehmen, die einen religi?s-sentimentalen Beigeschmack ausl?sen kann. Aber diese religi?se Sentimentalit?t ist echt. Die M?nner sind in dieser religi?sen Sentimentalit?t erzogen worden. Und wenn auch alle Sentimentalit?t in den Jahren der Arbeit verschwunden war, in diesem letzten Augenblick flackert sie auf. Sie ist aber nicht stark genug, um die letzten Sekunden so auszuf?llen, wie es der fromme Gl?ubige gern sehen m?chte. Hier vermischt sich die aufflackernde religi?se Sentimentalit?t mit der Sehnsucht nach einem >>treuen<< Schiff, nach einem guten freundlichen Kapit?n, nach der Sauberkeit und Ruhe, die der Seemann aus tiefster Seele w?nscht, wenn er auf einem >>gottverfluchten Rattenkasten<< ist.

Der Roman >>Das Totenschiff<< ist mit diesem Schluss wirklich zu Ende. Das Totenschiff mit seiner Brutalit?t und H?rte ist ausgel?scht. Die ?berlebenden sind in einen Zustand geraten, in dem sie nicht mehr die Brutalit?t des Totenschiffes sehen, sondern nur noch den sch?bigen Kaffee, das elende Essen, das den Arbeitern auf dem Totenschiff serviert wurde. Aber sie sehen in ihrer Lage jetzt jenen Frass, den selbst die Ratten nicht anr?hren w?rden, als herrlichste G?ttermahlzeit an. Ein solcher Wechsel in der Meinung ist nur denkbar, wenn der Tod bereits ?berwunden ist. Das Totenschiff erscheint noch einmal in all seinem Glanze als die Vision eines Fiebernden und Verdurstenden. Was nun aus dem Erz?hlenden wird, ob er zugrunde geht oder auf irgendeine Weise am Leben bleibt, hat mit dem Totenschiff nichts mehr zu tun. Die n?chste Zeile w?re der Anfang eines neuen Romans.

Anmerkungen zur Transkription

Die urspr?ngliche Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden beibehalten.

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