Read Ebook: Spitzbögen by Kolb Annette Grossmann Rudolf Illustrator
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Ebook has 795 lines and 33934 words, and 16 pages
Illustrator: Rudolf Grossmann
SPITZB?GEN
VON ANNETTE KOLB
MIT ELF ZEICHNUNGEN VON RUDOLF GROSSMANN
Erste und zweite Auflage Alle Rechte vorbehalten Copyright 1925 by S. Fischer Verlag A.-G., Berlin
SPITZB?GEN
Es gibt Leute, die mit Recht oder Unrecht im Rufe stehen, dass sie Ungl?ck bringen. So war Offenbach als ,,Brandstifter" ber?hmt, und sein Verweilen in einem Hause galt als Signal f?r eine Feuersbrunst.
Und dann schneiden so manche italienische Landschaften ins Herz. Fiesole zum Beispiel, mit seinem verkl?rten Ausblick - so holdselig, aber so abgeschieden, so vorbei! - Beklommenen Herzens blickte ich eines Morgens auf diese laue, in ihrer durchsichtigen Bl?ue z?rtlich ber?ckende Natur, und st?rker noch empfand ich unter dem wolkenlosen Himmel die stille Sch?rfe der Zypressen. Gewiss, es ist ein sch?nes Land! aber sch?n ist auch der Anblick des unter der F?lle von Blumen fast verschwindenden Sarges, dass kaum ein Beschlag, kaum eine Kante desselben sichtbar wird. - So trauerte dort mein Auge und sehnte sich von diesem Bilde fort. Und nur mehr die Strasse hinabsehend, fing ich pl?tzlich an zu laufen; - und ich lief, als g?lte es dieser Gegend wie einem Gew?lbe zu entfliehen, und nicht zu rasten, als bis ich wieder zu unseren Fl?ssen und Br?cken, unseren lebendigen W?ldern gelangte. Denn Leopardis Seele war mir auf jenem H?gel aufgegangen. Ja, solche Klagen mussten sich ihr entringen, ein so herbes Echo musste dies bl?hende, von Glanz und Duft umwobene Land erwecken, das in seiner stillen Morbidezza zwischen dem Hades und der Erde eingeschoben scheint. Die Einfl?sse der Landschaft sind es ja sicherlich, mehr noch als die des Klimas, die gleichsam spiegelnd die Linien unserer Sinnesart und unseres geistigen Umkreises ziehen. So verh?lt sich Leopardis Pessimismus zu dem seines Zeitgenossen Schopenhauer wie der untr?stliche Zypressenhain zum tiefen Tannenwald, aus dessen D?sterkeit wir St?rkung noch und Hoffnung sch?pfen.
Ich bitte indes nicht zu vergessen, dass ich den Berg hinunter laufe. So mag es hingehen, dass ich so weit von meinem Thema abgekommen bin. Denn ich wollte meine florentiner Missgeschicke erz?hlen. Aber eine so radikale Sprunghaftigkeit kann mit einer sehr bestimmten Einheitlichkeit des Gedankens zusammenh?ngen; - ich meine, es k?me auf eine Probe an.
Oder d?rfen wir einen Gedanken nennen, was mehr wie ein Verdacht, wie eine Hoffnung in uns schlummert? An manch sch?nen, wertvollen Dingen mag einer vor?bergehen, da vernimmt er, was ihm eine Botschaft bedeutet, und gierig greift er es auf.
Immer noch laufe ich indes meinen italienischen Berg hinab. San Domenico liegt schon hinter mir. Ich komme jetzt nach San Gervasio und bin dann gleich in Florenz. Somit w?re die Einheit des Ortes wieder hergestellt und ich k?nnte von neuem beginnen.
Erstes Kapitel
Nein, noch nicht. Wir m?ssen vorher noch einmal abzweigen. Es gibt kaum eine Stadt, die einen so weiten Umkreis zieht. Wenn einer viele Stunden ginge, vom fr?hen Morgen bis in den Abend hinein, immer w?re es noch das holdselige Florenz. Villen, die von fernen H?geln herunterschauen, zwischen Abh?ngen versteckte Weiler, sie nennen sich noch Florenz. Wo die Strasse zweimal einen runden Kreis beschreibt und Pinien einen zackigen Bau, halb Schl?sschen, halb Klause schirmen, dort habe ich bei einer Hexe gewohnt.
Wie? -
Aber warum nicht? Man sieht doch jetzt Geister erscheinen, materialisierte H?nde in der Luft entstehen, Blumen oder Reiterstiefel aus dem Nichts in die Welt hineinwerfen. Was sollte da eine Hexe so Wunderliches sein? Wie oft sah ich nachts zum Fenster hinaus, ob sie nicht durch den Schornstein fuhr. Nicht mager, sondern ein Gerippe, war ihre Brust eine H?hle, ihre Achseln eine Gruft. Sie hatte mich im Norden eingefangen, und waghalsig, wie man in fr?her Jugend ist, war ich ihr gefolgt. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ein Buch ?ber Musik zu schreiben, und brauchte jemanden, der ihr abends all die Dinge vorspielte, welche sie dann morgens, gleich nach dem Fr?hst?ck, schnell in Literatur umsetzte. Es war ihre Art, musikalisch zu sein. Nun stand mein Talent zum Vom-Blatt-Spielen zu meiner l?ckenhaften Schulung ganz ausser Verh?ltnis. Dies war just, was sie suchte. Unser Pakt war also folgender: ich sollte nur f?r meine Reise aufkommen, ihr vierzehn Tage lang allabendlich vorspielen, daf?r bei ihr wohnen und Florenz sehen k?nnen. Dieser Punkt wurde auch ganz gesch?ftsm?ssig auf ihr Konto gesetzt. Zwar, wie sollte man es anstellen, in Florenz Florenz nicht sehen zu k?nnen, aber ich willigte ein. Florence vaut bien une sorci?re, dachte ich. So fuhr ich hin.
Aber leider lebte sie gar nicht in Florenz, sondern von der Piazza del Duomo bis zu ihrer Mulde, die ganz ohne Verbindung lag und zu der keine Strassenbahn, kein Gleis f?hrte, hatte man geschlagene zwei Stunden zu gehen. Nun herrschte sie allerdings ?ber einen verhexten Schimmel und ein Gef?hrt, das sie stets selbst kutschierte, aber Pferd und Wagen standen nicht im Kontrakt, und sie bot mir niemals an, mit ihr zu fahren.
Zweites Kapitel
Geist besass sie ganz entschieden, aber die englische Spinster neigt ohnedies zur Verd?nnung und nie, schien mir, war eine so unbarmherzig unter die R?der geraten, an keiner hatte sich die klassische Drohung, von der uns Plato berichtet, so drastisch erf?llt, wie an der Hexe des florentinischen Tales. Denn nicht nur, heisst es, h?tten uns die G?tter dereinst gespalten, dass wir, statt ?ber vier Beine und vier Arme zu verf?gen, auf die H?lfte unseres urspr?nglichen Seins angewiesen wurden, sondern es k?nne wohl geschehen, dass die also beraubte und reduzierte Kreatur nicht mehr aus ?bermut zwar, aber aus Mangel und Sehnsucht heraus sich zum Sch?pfer erhebe und von neuem die G?tter reize. Und diese in ihrem Zorn w?rden sie zum zweiten Male spalten, dass sie, zur Profilgestalt geschwunden und nach Art der Zikaden dahinh?pfend, ihr d?rftiges Dasein verlebe.
Am fr?hen Nachmittag lenkte sie - die Finger um den Knauf der Peitsche gekrallt - ihr leeres Gef?hrt nach der Stadt, und die unleibhafte Figur mit der schiefen, gew?lbten Schulter, dem scheinbar nur profilierten Kopf, ragte gar spukhaft ?ber das Pferd, das alsbald mit unheimlicher Willenlosigkeit, ja wie entsetzt, zum Tore hinauslief. Ich folgte zu Fuss den Weg hinab, den sie voranzog, und ihr nachsehend war ich es zufrieden, dass sie mich nicht einlud, so wenig lockte mich ihre N?he. Aber das gealterte Jahr kehrte schon seine bleichsten, m?desten Tage ans Licht, und die Dunkelheit ?berraschte mich oft mitten auf der Strasse, die sich in glatten Schleifen so lange hinzog. Sie war einsam genug. Die wenigen verstreuten Bauernh?user kehrten ihre Fenster scheu der Bergwand zu und tauchten unter, bis es wieder tagte. Aber die dunkle Leere, der frische Abendwind, die Einsamkeit dieses Tales war so hold; ich dachte an unsere nordischen Berge; wie schroff und finster sie sich des Nachts wider den Wanderer zusammenschlossen! Wie beschwichtigend dagegen umschatteten sie ihn hier! Es lag etwas Schweifendes, weit Umfassendes in der florentinischen Nacht, das bei Tag verflachte; etwas so Beseeltes, dass es wie kleine Fl?gel an meinen Sohlen hing. Oder war es die Freude, im Dunkeln die Gegend zu durchstreifen und die Welt so ganz allein f?r sich zu haben, niemanden, der sie mit einem teilte noch durch seine Begleitung st?rte? Es war so neu! Aber die Hexe hatte mir verraten, wie sicher die Wege hier seien, und mir von der engelsgleichen Bev?lkerung, die hier lebte, erz?hlt. Vielleicht h?tte ich mich auf einer deutschen Landstrasse im Finstern gef?rchtet. Wer weiss? ich hatte es nie erprobt. Es war mir nie gestattet gewesen. Hier aber f?hlte man sich so ungef?hrdet. Merkw?rdig, wie man das f?hlt, dachte ich. Denn nichts lassen sich sehr junge Menschen schneller suggerieren, als den Glauben an die Ungef?hrlichkeit aller Dinge: ja in ihrer bereitwilligen Unerschrockenheit liegt etwas, das sie sozusagen an den Rand der Welt hinaus verweist, als geh?rten sie infolge ihrer Unerfahrenheit nicht recht in sie hinein.
So kehrte ich jetzt nie mehr vor Abend zur?ck. Um die Teezeit hatte die Hexe nicht selten Besuch. Doch als ich da anfangs erschien, hungernd nach anderen Gesichtern, verhehlte sie mir nicht, dass sie meine Gegenwart verw?nschte. Die Leute, die mich hier trafen, schienen ?berrascht, zeigten mir aber ein Entgegenkommen und ein Interesse, das vielleicht auch Neugierde war. Auch mochte der Kontrast so grosser Jugend sie r?hren. Einmal war die sch?ne Frau Coroughdeen gekommen, die mich zu sich lud, als w?sste sie schon von mir. Aber ich wagte nicht sie aufzusuchen, denn die Hexe schien zu glauben, diese Einladung sei nur als H?flichkeit f?r sie selber gemeint. So machte ich mich jetzt schon fr?h auf den Weg, um ihren Anblick zu fliehen und kam erst am sp?ten Nachmittag zur?ck. Ihr Speisesaal hatte vier Fenster, und im Tageslicht von allen Seiten unerbittlich beleuchtet war sie entsetzlich. Ach! wie trugen sich ihre trostlosen Umrisse ?ber Treppen und G?nge ein und waren vom Garten unzertrennlich. Nein; es half nichts bei Tage, von ihr wegzusehen. Ich gab es auf, legte die Gabel hin und fasste sie ins Auge, da es doch kein Entrinnen gab. Abends hatte man doch die dunklen W?nde und den Kerzenschein, in dem man - von ihr weg - entgeistert starren konnte, w?hrend man mit ihr sprach. Ja sie liebte das. Ich war noch viel zu harten Herzens, um zu w?rdigen, wie bitter sie selbst den ausgreifenden Bannkreis ihrer H?sslichkeit empfand. Die Eisfelder von Labrador wehten keine wehere K?lte aus als diese einsame Kreatur, und ich war zu leichtsinnig, um zu bedenken, wie sehr ich sie durch meine Abneigung reizte.
Meinen eingegangenen Verpflichtungen kam ich ?brigens sehr gewissenhaft nach und spielte ihr allabendlich auf einem ertr?glichen Fl?gel, solange sie nur wollte. Ich tat es mit Vergn?gen, wenn auch denkbar dilettantisch und zerstreut. Ein richtiger Musiker h?tte mich vor Ungeduld gesch?ttelt. Die Hexe aber merkte nichts und ich fr?nte ihr gegen?ber jenem Hochmut, den sich der Deutsche in Dingen der Musik gestattet. Damals trug ich mich allen Ernstes mit der wilden Idee, dereinst als geniale Dirigentin die Welt an der Spitze eines Orchesters zu ?berraschen. Zwar bereitete ich mich auf diesen glorreichen Moment nicht anders vor, als dass ich, auf jenes imagin?re Talent mich berufend, das Klavier geringsch?tzte! Daf?r malte ich mir immer wieder und mit besonderem Feuer aus, wie ich eines Tages das Publikum in atemlosem Banne halten und mein Orchester zu fliegend st?rmischen, trommelnden Taten hinreissen w?rde. Je weniger die Wirklichkeit mich befriedigte, je mehr Zeit verlor ich mit solch nichtigen Tr?umen.
Eines Abends auf dem Heimweg phantasierte ich wieder so lebhaft ?ber dieses Thema, dass ich unwillk?rlich den Arm ausstreckte, als hielte er schon den Stab ?ber das Heer der Musiker geschwungen. Ich ergoss Str?me t?nenden Goldes in eine vor Schweigen knisternde Luft, beschwingte sie, blies sie bis zur Trunkenheit an. So etwas hatte noch kein Publikum erlebt. Es fehlte nicht viel, dass es vor Entz?cken anfing zu tanzen. Einige begannen heimlich zu fliegen. Als ich den Taktstock hinlegte, entstand ein unheimliches Geheul der Begeisterung. Man st?rmte das Podium. Ich sah, ich h?rte noch den Jubel der entfesselten Scharen, aber ich konnte nicht mehr zur Wirklichkeit zur?ck. Pl?tzlich sah man mich schwanken. Ich brach zusammen. Ich war tot.
Ein kalter Wind, der vom Apennin her?berblies, riss mich aus dem imagin?ren Konzertsaal ins Freie und zur Ern?chterung zur?ck. Ich stolperte mit staubigen F?ssen ?ber ein paar Steine: und ich war m?de. Zur Erholung ?berdachte ich nun, wie gut ich es tags zuvor der Hexe herausgegeben hatte, als sie mich auszuholen suchte f?r ihr dummes Buch. Was sch?ner sei: eine Symphonie oder ein Quartett, hatte die gelehrte Heuschrecke mich gefragt; und ich war stolz-?rgerlich um den Fl?gel herumgegangen. Was sch?ner sei: ein Portr?t oder eine Landschaft, hatte ich sie zur Antwort schnippisch gefragt und alsbald wieder zu spielen angefangen, zum Zeichen, dass ich nicht zu diskutieren w?nschte. Denn, hatte sie keinen Platz f?r mich in ihrem leeren Wagen, so gedachte auch ich kein ?briges zu tun. Wie sie mich hasste! Aber noch zw?lf Tage ... Inmitten der dunkelnden Leere wurden da in der Ferne Schritte vernehmbar. Sie belebten irgendwie diese weite Stille. So war man doch nicht ganz allein. - Ja noch zw?lf Tage und die drei Wochen waren vor?ber und unser Pakt gel?st. Welches Gl?ck! Wie bezaubernd war doch das Leben! Und Hoffnungen und Illusionen befl?gelten meinen Gang.
Der Takt der fernen Schritte wurde deutlicher, und unwillk?rlich ging ich auch ein wenig strammer. Man ass sehr p?nktlich zu Abend bei der Hexe. Sie warf sich dann stets in ein schwarzes Damastkleid von sehr gesuchtem Schnitt und ?ber ihre ungleichm?ssige R?ckenlinie ergoss eine Watteaufalte ihren Schwall. Umsonst. - Sie hing ihr wie das gew?lbte Wappen eines stilisierten Drachen an. Und was half sie mit einer Krause dem kranken Oval des Gesichtes auf? es glich doch h?chstens einem gesottenen, halb ausgelaufenen Ei.
Klapp, trapp, klangen die Schritte jetzt heller zu mir her. Konnten sie sich denn so schnell gen?hert haben? Es war wohl der Wind, der sie her?bertrug, wie den Schrei der Lokomotive, der so unterschiedlich, bald so nahe, bald weit weg zu uns Kindern her?berdrang, w?hrend jenes Sommers im Gebirge, als wir dicht vor unseren Fenstern die Eisenbahn achtmal des Tages in einen Tunnel eindringen sahen und nie m?de wurden, ihr aufzupassen und auf den grausigen kurzen Pfiff zu warten, mit dem sie sich jedesmal in die schwarze W?lbung einliess. Es war so lustig gewesen, und der Pfiff klang oft so anders - oft kl?glich wie ein Hilfeschrei, je nachdem die Luft ihn trug, wie jene Schritte her, wie die meinigen hin. Die meinigen? - O Gott! an welcher Sturmglocke riss dieser Gedanke so j?h, welcher Aufruhr erhob sich in meinem Innern - so neu -, nur Bilder k?nnen es sagen - wie ein Orkan, der Staub und Bl?tter dahinfegt, so wirbelte er die sorglose Leere meines Innern auf, und kehrte ein ganz anderes Ich hervor, das ich selbst nicht kannte ..., denn aus welch verborgener Zelle, o Gott! stammten die Requisiten des argw?hnischen, uralten und wissenden Weibes, dem tausend Augen im Kopfe sassen wie einem Tier, und in dem nichts lebendig war und nichts vorhanden und nichts entfacht als eine w?tende und namenlose Furcht, dessen Sein sich nur mehr auf den Takt jener Schritte bezog und dessen sonstige Identit?t erlosch. Nur eine Minute vielleicht und die Schritte w?rden mich ?berholen; dennoch stand ich still, denn die Unh?rbarkeit der meinigen war das einzig Gebotene, nichts andres tat not auf dem H?llenpfad, auf den ich mich mit einem Male gewiesen sah - fort von der blumigen Au jugendlicher Weltunkenntnis. So stand ich still. Aber brannten da meine Augen wie Scheinwerfer in ihren H?hlen, dass sie Dinge beleuchteten, welche das Dunkel begrub: unkenntliche Holzlatten jenseits der Strasse, zu einem Viereck umrissen, - aufgesch?ttetes Laub, fast eine H?tte. Schnell wie eine Kugel flog ich da ?ber den schmalen Graben zu ihr hin, und dort zu Boden gest?rzt sah ich aufblickend zum ersten Male, ja wie zum ersten Male, einen mondlosen Himmel, der die Erde in seinem Schosse zu halten schien, und sah diese Erde als leichten Ball um ihre eigene Achse im Weltall fliegen. Doch nur einen schwindelnden Augenblick lang durfte das Bewusstsein rasten, und zugleich mit ihm setzte ein Innehalten meines Herzens ein, dass es still und schwer wie eine zersprungene Glocke in mir lastete. Denn alles hat ja ausgesetzt, und es gab f?r mich nichts mehr als diesen Himmel ?ber mir und die hastig schl?rfenden Schritte, die jetzt innehielten, als horche hier einer, wo denn die meinigen blieben; - vor?ber alles andere, alle Ketten gel?st, die mich in diese Welt eingliederten und alle Abkunft von mir genommen. Nur mein Ich, oder ich weiss nicht welch losgel?ster Bestandteil meines Ichs, schoss da wie eine Schlange zum Himmel auf; und er schien mir mit einem Male wie beengt von all den Sternen, die so neugierig, fast b?se aus seinen Tiefen stachen. Wie liesse sich's beschreiben, dass hier ein K?rnchen Staub, ein Atom, das einen Moment lang zu einem Schein von Leben sich entfachen durfte und wie ein armseliger Leuchtk?fer an den faulen Balken dieser H?tte hing, die Folgenschwere eigener Geschicke an diesem unendlichen, still kreisenden Himmel zu messen wagte, als hingen sie mit seiner Ordnung irgendwie zusammen? Denn nicht anders forderte ich ihn da heraus, hielt ich ihm vor, dass seine r?tselhaften Sterne nicht aus ihrer Bahn geschleudert, nicht als wilde Fackeln der g?ttlichen und unbegreiflichen Harmonie zum Chaos entbrennen durften - und hielt eiserne Arme emporgerichtet, nicht etwa flehend, sondern mit jener Intensit?t ohnegleichen, die einer Beschw?rungsformel die hinreissende Kraft verleiht. Aber sie entrangen sich einem totenstillen Herzen, dessen Last nicht l?nger auszuhalten war, und zugleich schienen die Schritte, von welchen mich keine Entfernung, nur noch die Finsternis trennte, die Luft bis ans Ende der Erde mit ihrem Gedr?hn zu erf?llen. -
Und wie diese Schritte inmitten der Stille zuerst entstanden und dann vernehmbarer geworden und sich gen?hert - wie sie innegehalten und dann sich beschleunigt hatten, so fingen sie jetzt an, vor?ber zu gehen, so entfernten sie sich, so verhallten sie jetzt - so trug sie der Wind noch einmal deutlicher her.
Ich sah mich verwundert um wie mitten am Tage. Schon begriff ich das ganze dramatische Aufgebot nicht mehr recht, mit welchem mich die Angst so wild und unvermittelt gegen diese H?tte geschleudert hatte, noch die elementare Wucht, mit der sie wie ein Wagnersches Orchester einsetzend ein Zaubergestr?pp um mich zog, das zugleich mit ihm so spurlos entschwand. Ja ich sch?ttelte den Gedanken daran ab, und wollte im Augenblick den ganzen Vorgang f?r eingebildet erachten, so stark war die Reaktion. ?ber den Graben zur?ckspringend, ging ich wieder meinen einsamen Weg. Schon rauschte mir jetzt das Fl?sschen zwischen den B?umen beschwichtigend entgegen, und von der Anh?he herab gr?ssten die ersten Lichter der kleinen Ortschaft.
Drittes Kapitel
Der Vorgang wurde erst wieder real, als ich etwas sp?ter als allabendlich am Fl?gel sass. Die Hexe hatte ein Konzert von Mozart auf das Pult gelegt und h?rte stirnrunzelnd, mit drangsalierter, angestrengter Miene zu. ?ber die Noten hin sah ich sie nach einer Weile einen k?hn gespitzten Bleistift hervorziehen, um ihre grauen, abenteuerlichen Hirngespinste ?ber den liebensw?rdigsten Genius zu vermerken. Es war grotesk, zu weit weg jedoch von aller Heiterkeit, um komisch zu sein. Das Zimmer lag zu ebener Erde und mit einem Male rauschte ein schwerer Regen darnieder. Konnte es sein, dass man sich hier auf demselben Planeten befand, auf dem ein Wien und ein Salzburg stand? Und nicht einmal fern! Zur?ck ?ber die Alpen nach Rosenheim, oder man stieg in Franzensfeste um und fuhr durchs Pustertal hin ...
Ich war durch die ausgestandene Emotion noch so stark in Schwingung begriffen, dass sich mein geistiges Auge unversehens sch?rfen durfte. Es sah, erfasste, erriet, m?chte ich fast sagen, zum ersten Male Mozart als Ph?nomen, seine Gestalt im Raum, Geste und Wesen, alles in der Bewegung und im Relief, aber mitten in der Luftschicht damaliger Zeit und alles mit der Gewalt, der Pl?tzlichkeit des Erdstosses. Es war ein Divinieren, dessen tiefe Schauer mich von allem Nichtigen und aller Unaufmerksamkeit befreiten. Jeder Takt offenbarte sich mir neu, ich drang verwundert wie zwischen S?ulen in mystische Hallen vor, oft betretene, die ich doch gar nicht kannte, hinein in eine Welt, in der das Unsichtbare Form und Farbe gewann, und die in ihrer Entr?cktheit so leugbar und doch so vorhanden, o so viel vorhandener war als die Stunde, die gerade schlug!
Die Hexe merkte keinen Unterschied in meinem Spiel. Sie hatte schon viele Seiten vollgekritzelt; im Kamin zerfielen die vergl?hten Scheite und die Kerzen waren herabgebrannt. Pl?tzlich hob sich da auch die Flamme der auf dem Weg ausgestandenen Furcht. Der schon angezweifelte, schon fast verworfne Vorgang motivierte sich, wurde ernst und majest?tisch, wie der gestirnte Himmel, unter dem er sich begab.
,,Denken Sie, ich habe mich heute auf dem Heimweg gef?rchtet," sagte ich, als ich den Fl?gel schloss. Sie hob ihren kleinen Drachenkopf und sah mich teilnahmlos an. Man konnte sich nicht vergegenw?rtigen, dass sie jemals ein Kind oder jung gewesen war, noch Vater und Mutter besessen hatte. Der Blick, den sie mir zuwarf, sch?chterte mich ein. ,,Es war gewiss t?richt," sagte ich. ,,Allerdings," erwiderte sie kalt. Sie musste es wissen; lebte sie doch seit vielen Jahren in dieser Gegend und war mit ihr verwachsen. Italien, die Renaissance waren f?r sie das letzte Wort - Toskana und seine H?gel die Endstation der Sch?pfung. Sie geb?rdete sich selbst so gut es ging als Italienerin; nannte ihre M?dchen Cara, den G?rtner Caro, ass, lebte, wohnte ? l'italienne, plagte ihr Pferd und litt keinen Hund.
Mit jedem Tage hasste ich sie mehr.
,,Es ist sp?t," sagte sie.
Wir traten zusammen auf den Vorplatz. Hier blies die Zugluft von allen Seiten durch die lockeren Fl?gel der Haust?re herein. Der Regen prasselte auf das Dach und die Steinfliesen zeigten schon feuchte Stellen. Ich stieg m?de und schweigsam die Treppe hinter der Hexe hinauf und sch?tzte meine flackernde Kerze.
,,Ich traf heute in den Uffizien Frau Coroughdeen," sagte ich; ,,sie fragte mich, warum ich denn nicht zu ihr kommen wollte."
,,Oh!" Das ?rgert sie! dachte ich froh.
Aber so leicht zog sie den k?rzeren nicht.
,,Mary Coroughdeen ist eine sch?ne, eine sehr sch?ne Frau," entschied sie mit schaler Unparteilichkeit und einem literatenhaften Unterton. ,,Sie ist sehr umringt und interessiert sich nicht f?r junge M?dchen."
,,Ja aber sie war es doch ..."
,,Es ist nat?rlich," unterbrach sie mich, w?hrend ihre Halskrause ins Beben geriet, ,,dass sie Ihnen freundlich begegnete, da Sie unter meinem Dache sind."
Wir standen uns jetzt vor meiner T?re gegen?ber. Sie hielt ihre Augen auf mich gerichtet, und wie immer fingen sich ihre Worte in ihren langen, kr?nklichen Vorderz?hnen.
,,Hat Mrs. Coroughdeen einen Tag mit Ihnen ausgemacht?"
,,Nein," gestand ich.
,,Nein! - in der Tat" - und ihre Krause r?hrte sich nicht mehr. - ,,Es steht ganz bei Ihnen, auf eine so unformulierte Einladung hin die Dame mit Ihrem Besuch zu ?berraschen. Ich m?chte Sie um so weniger daran hindern, als ich diejenige bin, welche f?r Ihre faux pas - oder eventuellen Zudringlichkeiten - allein verantwortlich gemacht w?rde. Denn Sie selbst sind noch zu jung!"
Zornig err?tend wollte ich etwas entgegnen, aber so schnell bog sie da in den Gang ein, der zu ihren Zimmern f?hrte, dass ich nur mehr die Watteaufalte sah, die sich ?ber den unsicheren, gespenstigen R?cken w?lbte.
Viertes Kapitel
Am n?chsten Morgen war der Himmel so rein und licht, nach allen Richtungen sah man nur seine sonnige Bl?ue, als k?nne er sich gar keiner St?rme entsinnen, als schiene er ?ber eine ungetr?bte und unsterbliche Welt, und als seien alle ihre Grausamkeiten, ihre Morde und ihre Schiffbr?che und ihre zerrissenen Herzen ephemer; so tilgte er sie; so stellte er leuchtend alles wieder her. Ich bin der Himmel, ich bin blau! lachte, tr?stete er.
Doch ich ging traurig meine Florentinische Strasse, die in weiten Schleifen und so einsam den H?geln entlang zog. Mir galt sie nichts, diese Sonne. Den Gram der Jugend lindert sie nicht. Unter ihren Lockungen versch?rft er sich nur, und richtet sich heftiger auf.
Wo nur hatte ich den Mut genommen, erwartungsvoll zu bleiben? Wie war es meiner Freundin Amarant von Binnenl?hr gegangen, der zum Gl?ck Berufenen? Aber vielleicht war es so, dass die Menschen wie die Monate des Jahres gewissen Jahreszeiten unterstehen. Wie auch die j?ngsten B?ume sich im Herbst entlauben m?ssen, so hatte sich der frostige Tod ?ber meine Freundin Amarant geworfen und ihrer langen Wimpern nicht geachtet, sondern sie hingem?ht wie einen Greis. Nie war ein Verdacht, eine Witterung in uns gewesen, sie k?nnte eine Gezeichnete sein. Dies war der Fehler. Denn wie Metalle den Blitz anziehen, so streben die Begebenheiten einzuschlagen, wo kein Argwohn entgegenwirkt ... So war Amarants Roman unerm?dlich ausgesponnen worden, und nicht einen von uns hatten je diese knospenden Augen, diese frischen Z?hne, diese schimmernde Haut an die M?glichkeit ihres nahen Todes gemahnt.
Hatte ich ihn schon vergessen? - sie war dahin, aber meine W?nsche und Hoffnungen tangierte dies nicht, und f?r mich beanspruchte ich nach wie vor das Gl?ck. Ja, f?r mich sollte es einherrauschen und ?berfliessen, war auch Amarant dahin.
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