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Read Ebook: Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs by Lessing Theodor Leonhard Rudolf Editor

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Ebook has 202 lines and 56709 words, and 5 pages

Die beiden Angeklagten.

Die Zeugen.

Die Art der T?tung.

geboren 17. Juli 1901, verschwand 25. September 1918.

geboren 31. Oktober 1906, verschwand 12. Februar 1923.

geb. 31. August 1906, verschwand 20. M?rz 1923.

Wilhelm Schulze, Schreiberlehrling, ein fr?hfertiger abenteuerlustiger Junge, 16 1/2 Jahre alt, Sohn des inzwischen verstorbenen Eisenbahntischlers Otto Schulze und seiner nun in Lehrte wohnenden kreuzbraven, schlichten Ehefrau, fuhr in die Stadt zur Arbeit und kam eines Tages nicht wieder. Leichenreste sind nicht ermittelt. Die Kleider fanden sich bei der Engel. Haarmann hatte den Jungen auf dem Bahnhof abgefangen und mit sich genommen.

geb. 7. August 1907, verschwand 23. Mai 1923.

Der Sch?ler des Bismarckgymnasiums Roland Huch, einziger Sohn der Eheleute Apotheker Huch, Arnswaldtstrasse 32, 15 1/2 Jahre alt, dunkelblond, gross, kr?ftig, trotz eben durchgemachter schwerer Rippenfellentz?ndung froh und frisch, hatte einen grossen Schwarm f?r Marine und wollte durchaus zur See. Eines Abends, als die Eltern im Konzert in der Stadthalle waren, packte der Junge seine besten Sachen in einen Fibrekoffer, nahm sich Geld, verabschiedete sich von Alwin Richter, seinem liebsten Freunde: ,,Du Alwin, gr?sse die Eltern. Ich verreise." Die entsetzten Eltern eilen, als sie h?ren, dass der Sohn fort ist, sofort zur Bahnhofswache. Der Vorstand der Kriminalwache, Kommissar von Lonski, schnauzt sie an: ,,Ich kann doch nicht wegen eines fortgelaufenen Jungen den ganzen Apparat in Bewegung setzen." Dieses Mal handelt es sich um eine gute Familie. Das Gericht gestattet, was sonst streng gemieden wird, die Polizei zur Vernehmung herein zu ziehen. Es kam heraus, dass nicht nur der Polizeiapparat versagt hatte, nein, der ungl?ckliche Vater hatte auch nicht an die Bahnpolizei in Bremen und Hamburg telephonieren k?nnen. Er hatte um einen Beamten gebeten, um mit dessen Hilfe in den Slums der Altstadt nachzuforschen. Da war er aber beschieden worden: ,,Das ist nicht unser Ressort." Ja, die Vermisstenmeldung ist nicht einmal weitergegeben worden. - Dieses Mal verkaufte Haarmann das Zeug des Knaben durch die Wegehenkel an eine dunkle Mutter Bormann, die es weiter verkaufte an Alex, den Bademeister in Schraders Schwimmanstalt. Der brachte die Sachen ein Jahr sp?ter wieder zum Vorschein - die einzige Hinterlassenschaft des jungen Roland, der sich in den grossen Wald der Welt hinaussehnte und einem Wolf in den Rachen lief.

geb. 1. Juni 1904, verschwand Ende Mai 1923.

geboren 30. September 1909, verschwand 25. Juni 1923.

Der kleine Ernst Ehrenberg, 13 Jahre alt, war ein ganz armes Kind, Sohn eines braven Schusters, der Haarmanns Nachbar war. An einem Junimorgen wurde der Knabe zu einem Kunden geschickt mit ausgebesserten Schuhen, lieferte sie ab, aber kam nicht zur?ck. Vier Tage sp?ter begannen die Schulferien. Es sollte an diesem Tage die Jugendabteilung des ,,Christlichen Vereins junger M?nner" eine Ferienfahrt machen. Auch Ernst und seine zwei Br?der Hans und Walter durften mitwandern. Als Hans und Walter und der vierte Bruder Kurt in das Christliche Vereinshaus kommen, sitzt dort der Bruder Ernst im Vorflur auf der Fensterbank, tr?gt einen leeren Rucksack und erz?hlt: ,,Ich bin in Meinersen bei Tante Wiesinger gewesen. Habe f?r Mutter eine Kiepe Holz gesammelt." Als die drei Br?der sagen: ,,Mutter sucht dich. Sie wird gleich hierher kommen," da erwidert Ernst ?ngstlich: ,,Ne, ich mache lieber fort." Der j?ngste Bruder begleitet ihn noch ein St?ckchen zum Bahnhof und kehrt dann zur Mutter zur?ck. Die Mutter, in Unruhe versetzt, eilt zum Bahnhof. Das Kind ist verschwunden. Erst ein ganzes Jahr sp?ter kommt Licht in die Sache. Und zwar dank der gr?nen Schulm?tze des Kindes! Kleine Knaben spielen in der N?he von Haarmanns Haus. Einem der Kleinen schenkt der ,,feine Herr" im Vor?bergehen eine gr?ne Sch?lerm?tze. ,,Will einer die Kappe? Ich habe sie einem frechen Buben beim Fussballspiel fortgenommen." Der arme kleine Willi Liebetreu, ein Kuhjunge, bekommt die M?tze. Alle im Viertel kennen den ,,Herrn Kriminal". Als seine vielen Mordtaten aufgedeckt sind, bringt der elfj?hrige Knirps die gr?ne M?tze zur Polizei und nun findet man bei Haarmann auch die von Vater Ehrenberg selbst gen?hten Hosentr?ger. Wie war es gewesen? Der junge Ehrenberg hatte das Geld f?r die fortgebrachten Stiefel damals verloren oder vernascht. Er wagte aus Angst vor Strafe sich nicht nach Hause, sondern ging zur Tante nach Meinersen. Schlich dann aber sehns?chtig, als der Ferienausflug kam, zu seinen drei Br?dern ins ,,Christliche Vereinshaus". Aber lief wieder angstvoll zum Bahnhof, als er h?rte, dass die erz?rnte Mutter ihn suche. Er lief dort dem Nachbar Haarmann in die Arme. Der nahm ihn mit nach Haus und t?tete ihn.

geb. 23. Juli 1905, verschwand 24. August 1923.

Heinrich Struss, 18 Jahre alt, Sohn eines Zimmermanns in Egestorf, war in der Stadt in Stellung und wohnte bei seiner Tante Schaper in Leinhausen, von wo er jeden Morgen mit der Eisenbahn zur Arbeitsstelle fuhr. Er kam regelm?ssig um 6 Uhr aus Hannover zur?ck und war noch nie eine Nacht fortgeblieben. Eines Donnerstags aber im August kam er nicht von der Arbeit heim. Der Vater in Egestorf, von der Tante sofort benachrichtigt, f?hrt folgenden Morgens in die Stadt, um bei der Versicherungsfirma, bei der der Sohn als B?rogehilfe arbeitet, sich zu erkundigen. Die Antwort lautet: ,,Der ist schon mehrere Tage nicht zur Arbeit gekommen." Man vermutet: ,,Er muss in schlechte Gesellschaft geraten sein." Oder: ,,Er hat sich anwerben lassen ins Ausland." Die Polizei findet keine Spur. Zuletzt war der Knabe gesehen worden mit einer jungen Freundin im Kino. Erst ein Jahr sp?ter, als die bei Haarmann und in Haarmanns Kreis beschlagnahmten Sachen auf dem Polizeipr?sidium ausgestellt werden, finden die Eltern darunter die gr?nen Stutzen mit brauner Kante, von der Mutter gestrickt, den Selbstbinder und sogar den Schl?sselbund des Vermissten, womit zu Hause aufgeschlossen werden: sein Koffer, sein Schrank und sein verwaister Geigenkasten.

geboren 14. August 1906, verschwand 24. September 1923.

Frau Ottilie Richter aus Bochum, eine abgeh?rmte, bleiche, gebrochene Frau kommt, um anzuklagen. Ihr Sohn aus erster Ehe, ein vollkommen solider Junge, noch v?llig unschuldig, ein armer Dreherlehrling, fuhr an seinem 17. Geburtstage nach Garz an der Havel, Bezirk Magdeburg, zu seinem Onkel, dem Steuermann Schwarz. Er war dort willig, gef?llig, arbeitsam. Erschien aber gedr?ckt und liess erkennen, dass er nicht gern nach Bochum , zur?ckfahre, weil er keinen ordnungsgem?ssen Pass habe. Am 24. September ging er von Garz nach der 11 km entfernten Kleinbahnstation Wulkau, um von dort nach der Reichsbahnstation Sch?nhausen a. E. und dann nach Bochum zur?ckzufahren. Er hatte aber wohl nicht genug Geld bei sich. Er ist nicht angekommen. Alle Nachforschungen waren vergebens. Als ein Jahr sp?ter die Morde Haarmanns aufkamen, und die bei ihm gefundenen Sachen ausgestellt wurden, fuhren Pauls Mutter und Onkel nach Hannover und da fanden sie einwandfrei seinen Tornister, seine Wanderhose, seine Sportjacke aus grauem Cord, seine Stutzen, von der Mutter gestrickt; sogar noch in Haarmanns Zimmer ein Handtuch, das die Mutter gen?ht hatte. - Paul war in Hannover ausgestiegen, auf dem Bahnhof unter dem ?blichen Versprechen von Nachtlogis und Beschaffung von Arbeit, mitgenommen und get?tet worden.

geb. 13. Februar 1906, verschwand Ende September 1923.

In die gr?ssliche Folge von Schreckensbildern kommt nun etwas Holdes und Liebliches. F?nf arme Kinder, drei Br?der, zwei Schwestern bleiben elternlos zur?ck. Die Mutter geht mit einem Geliebten auf und davon nach Amerika. Der Vater, Gelegenheitsarbeiter, kr?nklich und arbeitslos, kann die Kinder nicht ern?hren. Er findet Arbeit in Eisenach, bleibt aber so arm, dass er nicht einmal imstande ist, nach Hannover zu fahren, um unter den Leichenteilen die seines verschwundenen Sohnes vielleicht zu agnoszieren. Die ganze Last der Ern?hrung der vier j?ngeren Geschwister liegt auf dem ?ltesten Bruder Otto und der ist doch erst 20 Jahre alt. Aber Gott sei Dank: er hat ein junges M?dchen gefunden, das ihm hilft. Und dieses junge M?dchen und ihre wackeren Eltern, sowie eine Nachbarin Frau Hoffmann, geb. Brause vertreten Elternstelle an den verwahrlosten Kindern. Vor das Gericht tritt, schlicht und w?rdig, eine liebe, blonde, gute hannoversche junge Frau. Sie tr?gt ein Kind unterm Herzen. Sie ist zwanzig Jahre alt und hat t?glich elf Arbeitsstunden. Sie heisst Anna Wiedehaus. Und dies junge, zarte Ding ward die Mutter f?r f?nf arme Kinder, deren leibliche Eltern auf und davon gingen. Der zweite Bruder, Richard, 17 Jahre alt, hatte eine grosse Sehnsucht: ,,Ich will nach Amerika. Zu Mama." Eines Septembertages ging er auf und davon, in die Welt hinaus. Nach zwei Wochen kommt er zur?ck. Er konnte ohne Pass und Geldmittel nicht aus Deutschland herauskommen. Seine Sachen sind ihm gestohlen. Er ist ausgehungert und ?berm?det. Anna gibt ihm Essen. Er erz?hlt flackernd: ,,Ich habe auf dem Bahnhof einen feinen Herrn kennengelernt. Er weiss f?r mich eine gute Stelle auf dem Lande. Ich muss gleich wieder hin; er will mit mir sprechen; verdiene ich genug Geld, dann komme ich doch noch zu Mama." Er begr?sst noch schnell die Tante Hoffmann und seinen G?nner, Kaufmann Dickhaut, st?rzt dann zum Bahnhof und kommt nie wieder. Die Nachforschung wird l?ssig betrieben, denn man sagte sich: ,,Er ist vielleicht doch nach Amerika." Fast ein Jahr sp?ter tauchen die Kleider des Gemordeten auf. Richards Anzug trug der Sohn des Friseurpaars Wegehenkel. Der Bruder Otto sagt: ,,Ja, das ist Richards brauner Anzug. Ich habe ihn oft aufgeb?gelt." - Den Ulster des Knaben hatte die Engel vorsichtig in die Pfandleihe verschleppt.

geb. 4. Februar 1907, verschwand 12. Oktober 1923.

geboren 9. Juni 1908, verschwand 24. oder 25. Oktober 1923.

geboren 20. Oktober 1910, verschwand am 27. Oktober 1923.

Der 13j?hrige Heinz, Sohn der Witwe Frieda Brinkmann in Clausthal am Harz, soll an einem Ferientage Richard besuchen, seinen Bruder, der als F?silier in der Reichswehr dient; in der Bultkaserne in Hannover. Von da will er noch ein paar Tage zu Tante Emma in Uelzen. Die sorgliche Mutter begleitet den Jungen ein St?ck bis zum Bahnhof. 1 Uhr 59 geht der Zug ab vom Bahnhof Frankenscharrerh?tte. Nachmittags 6 1/2 ist er in Hannover. Der Junge kommt aber nicht an. Die arme Mutter begn?gt sich nicht mit der Vermisstenanzeige , sondern wendet sich sofort an ein Detektivb?ro. Man kann feststellen, dass der Knabe den Zug 1.59 nicht mehr erreichte, sondern vom Bahnhof Lautenthal abgefahren ist mit dem Zuge um 5, der gegen 11 in Hannover eintrifft. Wo er dann aber ?bernachtet hat, l?sst sich nicht feststellen. Monate nachher kommt folgende Spur: Ein Herr aus Bremerhaven, Hermann Otto, der in der ,,Jugendf?rsorge" t?tig ist, hat eines Abends im Oktober 1923 zwischen 11 und 12 Uhr nachts auf dem Hauptbahnhof in Hannover eine Beobachtung gemacht, die ihm im Ged?chtnis blieb. In der Vorhalle stand ein 14j?hriger schlanker Knabe mit starkknochigem mageren Gesicht, bekleidet mit einem braunen Manchesteranzug, leerem Rucksack unterm Arm, den Hut in der Hand; noch ein ?lterer Mensch stand dabei und ein kr?ftiger, gut gekleideter Herr sprach lebhaft auf die beiden ein. Diesen Herrn aber hatte Otto, der auf der Durchreise nachts h?ufig in Hannover auf dem Bahnhof Aufenthalt hatte, schon fr?her im Wartesaal bemerkt. Er hatte sich n?mlich verwundert, dass keiner ohne Fahrkarte nachts die Wartes?le betreten durfte, dass aber dieser Herr best?ndig ein- und ausging und alle jungen Leute zwischen 16 und 20 ansprach. Auf die Anfrage bei einem Bahnbeamten, ob der Herr wohl auch von der Jugendf?rsorge sei, bekam er die Antwort: ,,Nein, das ist ein Kriminalbeamter." - Es war Haarmann. Als acht Monate nach Verschwinden des kleinen Heinz die Morde ruchbar wurden, und alle gefundenen Kleider ausgestellt wurden, fuhren Mutter und Tante nach Hannover und finden auf der Kriminalpolizei den Manchesteranzug, Rucksack und die Unterkleidung des Kindes. - ,,Ich erkannte gleich die Hose. Richard hat sie zuerst getragen und einen kleinen Tintenklecks hineingemacht. Die alte Frau Dieckmann, die auch bei uns auf der Zipfel wohnt, hat das gr?ne Futter eingesetzt und ich gab mein altes Inlett dazu." - Wieder stammt die Hose aus dem reichen Kleiderbefund der Madam Wegehenkel. Ihr eigener kleiner Rudi trug die Hose, aber als die Sache anfing brenzlich zu werden, hat sie den Anzug an einen Lithographen verschenkt, der ihn zur Polizei brachte. Der Knabe war zu sp?t in Hannover angekommen, um seinen Bruder noch den selben Abend aufsuchen zu k?nnen. Er blieb auf dem Bahnhof. Haarmann revidierte; versprach Unterkunft f?r die Nacht und hat ihn get?tet.

geboren 28. April 1908, verschwand am Martinstag 1923.

geboren 10. November 1904, verschwand am 6. Dezember 1923.

Zwischenspiel.

Der Fall Keimes.

geb. 15. Juni 1906, verschwand 5. Januar 1924.

geboren 22. September 1905, verschwand 15. Januar 1924.

geb. 6. Juli 1904, verschwand 2. Februar 1924.

geb. 21. April 1908, verschwand 8. Februar 1924.

geb. 6. Oktober 1907, verschwand 6. April 1924.

geb. 2. Dezember 1901, verschwand Mitte April 1924.

Der Fall Bock d?rfte von allen F?llen der dunkelste sein; wenn Haarmann wirklich diese Tat beging, so d?rfte es wahrscheinlicher sein, dass hier ein lang geplanter Mord ver?bt wurde, als nur eine T?tung im Geschlechtsrausch.

geb. 4. Juni 1908, verschwand 17. April 1924.

Der Junge war immer tr?umerisch und verschlossen, konnte aber, wie Lehrer und Pastor ihn schildern, leicht eingesch?chtert und beeinflusst werden. Nachdem er 1923 die 1. Klasse der B?rgerschule durchlaufen hatte und eingesegnet war, brachte ihn der Vater, der Dreher Wilhelm Apel in Leinhausen, als Lehrling unter in der grossen Speditionsfirma von M. Neldel in der Nikolaistrasse. Er fuhr fortan jeden Morgen um 6 Uhr mit der Eisenbahn in die Stadt zur Arbeit und kam abends gegen 8 Uhr nach Leinhausen zur?ck. Er scheint aber in der Stadt auf Abwege geraten zu sein. Seit Beginn des Jahres 1924 beobachtet die Mutter an dem Jungen ein gedr?cktes Wesen. Er sass oft gr?belnd ?ber seinen B?chern und konnte die Mutter nicht frei ansehen. Der Vater, sehr streng, lauerte in der Stadt dem Jungen auf, ertappte ihn beim Zigarettenrauchen und bestrafte ihn schwer: ,,Zur Strafe gehst du Ostern nicht aus der T?r, und wenn die Sonne scheint." Den Tag darauf, am 17. April, begab sich der Junge wie gew?hnlich nach Hannover, ist aber auf seiner Lehrstelle nicht angekommen und wird seitdem vermisst. Unter den bei Haarmann beschlagnahmten oder von der Engel f?r Haarmann verkauften Sachen fanden sich die zumeist von der Mutter selber gen?hten Kleider des Jungen. Da dieser, wenn er abends nach Leinhausen fuhr, in dem von Haarmann ,,revidierten" Wartesaal sich aufhalten musste, so d?rfte er dort wohl die verh?ngnisvolle Bekanntschaft gemacht haben.

geb. 18. M?rz 1906, verschwand 26. April 1924.

geboren 30. Dezember 1909, verschwand 9. Mai 1924.

Der Vater Bauklempnermeister Georg Martin in Chemnitz war 1918 in Frankreich gefallen. Der zehnj?hrige Heinz war zur?ckgeblieben mit Mutter und Schwester. Er war ein guter, ordentlicher Junge, bis Ostern 1924 Sch?ler des Realreformgymnasiums, dessen junges Leben zwei grosse Ereignisse hatte, der Besuch mit einer Schar anderer Sekundaner in Bremerhaven 1921 und nochmals 1922. Seither tr?umte er davon, Schiffsingenieur zu werden, baute Schiffe und las Reisegeschichten. Ostern 1924 wurde er konfirmiert und sollte nun zun?chst in der Strickmaschinenfabrik als Schlosserlehrling lernen; aber seine Jungenstr?ume steuerten in die weite Welt. Die Mutter war ernst und streng. Seinem Freunde und Mitlehrling Horst Clemens gegen?ber erschloss er sein Herz: ,,Ich m?chte wieder nach Bremerhaven auf das grosse Schiff. Was hab ich hier? Muss die K?che aufr?umen. Das Bett machen. Ist das etwas f?r Jungen? Wundert euch nicht, wenn ich mal davon gehe." Zur Einsegnung hatten die Verwandten dem Jungen ein Geldgeschenk gemacht; insgesamt 32 Mark; er kam sich damit reich vor. Er trug den Besitz immer bei sich. ,,Du musst sparen," sagte die Mutter, ,,gib mir das Geld; ich brings auf die Sparkasse." Der Junge, err?tend, sagt: ,,Och, das liegt in der Fabrik in meinem Werkzeugkasten." Die Mutter, f?hlend, dass da etwas nicht stimmt, meint: ,,Nun, ich will morgen Nachmittag doch in die Fabrik; ich sehe dann mal nach." Das war am 8. Mai. Am 9., wie immer geht der 14j?hrige in die Fabrik, kommt dort nachmittags 2 Uhr zu seinem Werkmeister und bittet: ,,Morgen muss ich nach Leipzig zur Beerdigung meiner Grossmutter. Kann ich wohl einen Tag Urlaub haben und einen Passierschein?" ,,Gewiss, mein Junge," sagt, keine L?ge ahnend, der Werkmeister. Der Junge packt seine Sachen zusammen, geht und bleibt seitdem verschwunden.

geboren 23. November 1906, verschwand 26. Mai 1924.

geboren 14. M?rz 1913, verschwand am 26. Mai 1924.

geb. 4. Mai 1908, verschwand 5. Juni 1924.

Friedrich Koch, Schlosserlehrling, 16 Jahre alt, Sohn des Malers Fr. Koch in Herrenhausen, verschwand am 5. Juni. Er fuhr morgens um 7 Uhr regelm?ssig mit der Bahn zur Arbeit; in Gesellschaft des Schlosserlehrlings Paul Warnecke. Auf dem Bahnhof hatten beide den Haarmann kennen gelernt. - Am 5. Juni nachmittags gingen die jungen Schlosserlehrlinge Koch, Rubi und B?cker durch die Altstadt zur Fortbildungsschule. Koch trug eine Wachstuchtasche, in der sich das Lehrbuch von Duden befand. An der Ecke vom ,,Tiefental" schlug ein Mann, den Rubi und B?cker nicht kannten, aber bei der Gegen?berstellung aufs bestimmteste als Haarmann wiedererkannt haben, den Koch mit dem Spazierstock an die Stiefel und fragte: ,,Na Junge, kennst du mich nicht mehr?" Koch blieb stehen, winkte den Freunden Abschied und wurde seither nicht mehr gesehen. Es fanden sich weder Kleider noch Leichenteile. Nur die Aktentasche des Kindes, sowie der Duden, in welchen der Knabe seinen Namen eingeschrieben hatte.

geb. 7. M?rz 1907, verschwand 14. Juni 1924.

Der 17j?hrige Sohn Erich des Kaufmanns Max de Vries in Hannover, welcher bei seinem Onkel, dem B?ckermeister Schulze in Celle in der Lehre war, fuhr Pfingsten 1924 auf Besuch zu den Eltern. Er war ein gesunder, sch?ner, wenig welterfahrener, leichtgl?ubiger Junge. Da die Eltern gerade einen Pfingstausflug machten, fand der Knabe die Wohnung verschlossen und ging zu seiner in der Herschelstrasse wohnenden Tante, wo die Eltern auch einen Hausschl?ssel f?r Erich abgegeben hatten. Er blieb dort bis abends 1/2 11 Uhr, nahm dann Abschied und sagte, er wolle nun nach Hause zur Hildesheimerstrasse. Als die Familie gegen 12 Uhr vom Ausfluge nach Hause kam, war der Junge nicht in der Wohnung, so dass man annahm, dass er entweder bei der Tante oder gar nicht aus Celle her?bergekommen sei; man legte wie immer die Sperrkette vor die Flurt?r. Am n?chsten Morgen gegen 10 Uhr erschien der Knabe und erz?hlte seiner Stiefmutter, er habe in der Nacht zweimal gegen 3 und gegen 6 Uhr an der Flurt?r geklingelt, da er der Sperrkette wegen nicht ?ffnen konnte; der Hund habe sehr laut gebellt, da aber niemand ge?ffnet habe, sei er fortgegangen und sei die ganze Nacht mit zwei M?nnern, einem jungen und einem ?lteren durch die Altstadt spazieren gegangen. Die Erz?hlung erschien durchaus unglaubhaft. Am 12. Juni bat Erich um Erlaubnis, mit einem Freunde, einem schon ausgelernten B?ckerjungen ausgehen zu d?rfen. Am 14. Juni morgens 10 Uhr ging er, wie fast regelm?ssig, nach der Ohe zum Baden. Der Vater mahnte ihn, er m?ge zeitig wiederkommen, denn er wolle mit ihm heute zum B?cker-Obermeister, damit er eine Stelle in Hannover bekomme; der Junge brachte seine Freude zum Ausdruck, dass er in Hannover bleiben d?rfe. Er ist an diesem Morgen nicht zur?ckgekehrt. Seine Schwester, die 11j?hrige Hildegard, bekundet, dass am 10. Juni, als ihr Bruder in der Ohe badete, und sie derweil auf seine Sachen aufpasste, ein Herr am Ufer gestanden habe, den sie jetzt bestimmt als Haarmann wiedererkennt, die Badenden aufmerksam beobachtete und dann ihren Bruder, als dieser aus dem Wasser stieg, eine Zeitlang genau betrachtet habe. Haarmann sei dann auf sie beide zugetreten, habe nach der Tageszeit gefragt und habe sich entfernt. Man fand den Anzug, kenntlich besonders an einem von einer Zigarette eingebrannten kleinen Loch im linken Hosenbein, die Seidenflorstr?mpfe, das Batikziert?chlein, die Brille und den von der Schwester geschenkten Taschenkamm in Haarmanns Wohnung, der sich denn auch zuletzt bequemte, die Untersuchungskommission zum Teich am Eingang des Schlossgartens zu f?hren, wohin er die Leichenteile in vier G?ngen getragen hatte. - Er meint, dass er die Bekanntschaft des Erich de Vries auf dem Bahnhof gemacht habe. Er hat ihn wahrscheinlich, wie er es best?ndig tat, mit Beschenken von Zigaretten an sich gelockt.

Rechtstechnisches.

Der Ausschluss der Kritik.

Das Todesurteil.

Nachdem die Sachverst?ndigen ihre Gutachten dahin abgegeben hatten, dass Haarmann zwar eine ,,pathologische Pers?nlichkeit", nicht aber des ,,freien Willens" und der ,,Verantwortungsf?higkeit" bei Begehung seiner Taten beraubt gewesen sei , so begannen denn die Plaidoyers. Das des Oberstaatsanwalts: klar und massvoll; alles Wesentliche zusammenfassend; das des Haarmannverteidigers: unsachlich, wichtigtuerisch und kenntnislos; das des Gransverteidigers: sachlicher, aber recht ungeschickt und unbedeutend. Das Verhalten der beiden Angeklagten blieb das Gleiche: das eines alten eingekesselten Wolfes und das eines jungen in t?ckische Falle geratenen Fuchses. Der Wolf, blutige Tr?nen vergiessend, Bibelspr?che zitierend, alle seine Bluttaten aus der ,,Ungunst der Verh?ltnisse" erkl?rend, suchte zu beweisen, dass er unter g?nstigeren Umst?nden auch einen vortrefflichen Polizeihund h?tte abgeben k?nnen und dass in seiner Unmoral eigentlich auch Moral verborgen l?ge; der Fuchs dagegen sammelte alle Kraft auf den Versuch, mit Hinterlassung einer Pfote oder des eingeklemmten Schwanzes wenigstens mit dem Leben davonzukommen. Auch ihr gegenseitiges Verh?ltnis blieb bis zum Schlusse das gleiche: Der Wolf, den j?ngeren bedrohend und doch um Gemeinschaft werbend; der Fuchs eiskalt, bleich, lauernd, sich dieser Todesbruderschaft erwehrend. Am 19. Dezember, morgens 10 Uhr, wurde das Urteil verk?ndet: Haarmann wurde in 24 F?llen 24 Mal zum Tode verurteilt. Grans wurde wegen Anstiftung zum Morde zum Tode und wegen Beihilfe zum Morde zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. Haarmann nahm das Urteil an. Grans meldete seine Rechtsr?ge.

Ergebnis.

M?ren von Wolfsmenschentum und Vampirismus reichen zur?ck in die fernste Vorzeit der heute lebenden V?lker. Sie sind ?berall mit Sexualmythen verkn?pft gewesen. Um das Wiederauftauchen der ,,Lykandrie" inmitten der abendl?ndischen Zivilisationsmenschheit zu kl?ren, muss man wohl ausgehen von solchen Naturspielen, in denen noch Liebesleben und Todessehnsucht, Wille zur Vernichtung des anderen und Wille zum Selbstvernichtetwerden, ja M?rdertum und Z?rtlichkeit wunderbar ineinander spielt, wie bei den sch?nsten Gesch?pfen der Natur: Schmetterlingen und Insekten. - Wie es zu vermuten steht, dass in Haarmann auch ein best?ndig mit dem Leben spielender Wille zur Selbstaufl?sung lebendig ist - -, so darf man durchaus glauben, dass dieser gef?hlstote Mensch im ,,Liebesrausch" eine ihn selbst ausl?schende und ihn weit ?ber seinen Alltag hinausreissende ?berspannung erlitt, wehrloser und schicksalhafter, als der orgiastische Zustand eines mit ,,Hemmungen" versehenen Kulturmenschen, f?r welchen ja auch Liebe und selbst Verbrechen eine Art leichtes Sinnenspiel und behagliches Genussmittel geworden ist. Gerade dass die urspr?nglich ?berstarke Geschlechtlichkeit dieses Androgynen und Androlyken v?llig ersch?pft und verausgabt wurde, macht es begreiflich, dass er gleichsam nur aus dem untersten Bodensatz hervorzuholen vermochte die Urerbschaften einer versunkenen Gattung, f?r welche urspr?nglich der Trieb des Sicheinbeissens und Verschlingens ein das Einzelwesen ausl?schender, auf urspr?nglichste Mitahmung zur?ckf?hrender dionysisch- erotischer Akt war. Wir wissen nicht einmal, ob nicht selbst das Sichzerreissen der Tiere irgend ein nat?rliches Wollusterlebnis in sich schliesst, so dass, wenn der Wolf das Lamm w?rgen muss, man ebensogut sagen k?nnte: Er liebt, wie: er hasst die L?mmer. Ich erinnere mich eines Hundes, der get?tet werden musste, weil er triebm?ssig bestimmte andere Hunde anfiel und w?rgte, bis sie tot waren. Dabei zeigte sich an dem Tiere zweifellos geschlechtliche Erregung. Bei solchen Erscheinungen m?sste eine biologische Erkl?rung einsetzen, die seelenkundliche m?sste das Traumleben, die Jugendumgebungen, das Spielzeug und die Wunschvorstellungen der Kinder- und J?nglingsjahre viel genauer erforschen, als die Schulpsychologie und -medizin von heute das vermag. -

,,Und jedermann mordet sein liebstes Ding, Damit ihr es alle nur h?rt, Der eine tuts mit b?sem Blick, Der andre mit Schmeichelwort, Der Feigling tuts in einem Kuss, Der Held mit seinem Schwert." ...

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