Read Ebook: In St. Jürgen: Novelle (1867) by Storm Theodor
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Ebook has 184 lines and 15087 words, and 4 pages
Edition: 10
IN ST. J?RGEN
von THEODOR STORM
Novelle
Es ist nur ein schmuckloses St?dtchen, meine Vaterstadt; sie liegt in einer baumlosen K?stenebene, und ihre H?user sind alt und finster. Dennoch habe ich sie immer f?r einen angenehmen Ort gehalten, und zwei den Menschen heilige V?gel scheinen diese Meinung zu teilen. Bei hoher Sommerluft schweben fortw?hrend St?rche ?ber der Stadt, die ihre Nester unten auf den D?chern haben; und wenn im April die ersten L?fte aus dem S?den wehen, so bringen sie gewiss die Schwalben mit, und ein Nachbar sagt's dem andern, dass sie gekommen sind.--So ist es eben jetzt. Unter meinem Fenster im Garten bl?hen die ersten Veilchen, und dr?ben auf der Planke sitzt auch schon die Schwalbe und zwitschert ihr altes Lied:
Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm; und je l?nger sie singt, je mehr gedenke ich einer l?ngst Verstorbenen, der ich f?r manche gute Stunde meiner Jugend zu danken habe.
Meine Gedanken gehen die lange Strasse hinauf bis zum ?ussersten Ende, wo das St.-J?rgens-Stift liegt; denn auch unsere Stadt hat ein solches, wie im Norden die meisten St?dte von einiger Bedeutung. Das jetzige Haus ist im sechzehnten Jahrhundert von einem unserer Herz?ge erbaut und durch den Wohlt?tigkeitssinn der B?rger allm?hlich zu einem gewissen Reichtum gediehen, so dass es nun f?r alte Menschen, die nach der Not des Lebens noch vor der ewigen Ruhe den Frieden suchen, einen gar behaglichen Aufenthaltsort bildet.--Mit der einen Seite streckt es sich an dem St.-J?rgens-Kirchhof entlang, unter dessen m?chtigen Linden schon die ersten Reformatoren gepredigt haben; die andere liegt nach dem innern Hofe und einem angrenzenden schmalen G?rtchen, aus dem in meiner Jugendzeit die Pfr?ndnerinnen sich ihr Str?usschen zum sonnt?glichen Gottesdienste pfl?ckten. Unter zwei schweren gotischen Giebeln f?hrt ein dunkler Torweg von der Strasse her in diesen Hof, von welchem aus man durch eine Reihe von T?ren in das Innere des Hauses, zu der ger?umigen Kapelle und zu den Zellen der Stiftsleute gelangt.
Durch jenes Tor bin ich als Knabe oft gegangen; denn seitdem, lange vor meiner Erinnerung, die grosse St.-Marien-Kirche wegen Bauf?lligkeit abgebrochen war, wurde der allgemeine Gottesdienst viele Jahre hindurch in der Kapelle des St.-J?rgens-Stiftes gehalten.
Wie oft zur Sommerzeit, ehe ich in die Kapellent?r trat, bin ich in der Stille des Sonntagsmorgens z?gernd auf dem sonnigen Hofe stehengeblieben, den von dem nebenliegenden G?rtchen her, je nach der Jahreszeit, Goldlack-, Nelken- oder Resedaduft erf?llte.--Aber dies war nicht das einzige, weshalb mir derzeit der Kirchgang so lieblich schien; denn oftmals, besonders wenn ich ein St?ndchen fr?her auf den Beinen war, ging ich weiter in den Hof hinab und lugte nach einem von der Morgensonne beleuchteten Fensterchen im obern Stock, an dessen einer Seite zwei Schwalben sich ihr Nest gebaut hatten. Der eine Fensterfl?gel stand meistens offen; und wenn meine Schritte auf dem Steinpflaster laut wurden, so bog sich wohl ein Frauenkopf mit grauem glattgescheiteltem Haar unter einem schneeweissen H?ubchen daraus hervor und nickte freundlich zu mir herab. "Guten Morgen, Hansen", rief ich dann; denn nur bei diesem, ihrem Familiennamen, nannten wir Kinder unsere alte Freundin; wir wussten kaum, dass sie auch noch den wohlklingenden Namen "Agnes" f?hrte, der einst, da ihre blauen Augen noch jung und das jetzt graue Haar noch blond gewesen, gar wohl zu ihr gepasst haben mochte. Sie hatte viele Jahre bei der Grossmutter gedient und dann, ich mochte damals in meinem zw?lften Jahre sein, als die Tochter eines B?rgers, der der Stadt Lasten getragen, im Stifte Aufnahme gefunden. Seitdem war eigentlich f?r uns aus dem grossm?tterlichen Hause die Hauptperson verschwunden; denn Hansen wusste uns allezeit, und ohne dass wir es merkten, in behagliche T?tigkeit zu setzen; meiner Schwester schnitt sie die Muster zu neuen Puppenkleidern, w?hrend ich mit dem Bleistift in der Hand nach ihrer Angabe allerlei k?nstliche Prendelschrift anfertigen oder auch wohl ein jetzt selten gewordenes Bild der alten Kirche nachzeichnen musste, das in ihrem Besitze war. Nur eines ist mir sp?ter in diesem Verkehr aufgefallen; niemals hat sie uns ein M?rchen oder eine Sage erz?hlt, an welchen beiden doch unsere Gegend so reich ist; sie schien es vielmehr als etwas Unn?tzes oder gar Sch?dliches zu unterdr?cken, wenn ein anderer von solchen Dingen anheben wollte. Und doch war sie nichts weniger als eine kalte oder phantasielose Natur. --Dagegen hatte sie an allem Tierleben ihre Freude; besonders liebte sie die Schwalben und wusste ihren Nesterbau erfolgreich gegen den Kehrbesen der Grossmutter zu verteidigen, deren fast holl?ndische Sauberkeit sich nicht wohl mit den kleinen Eindringlingen vertragen konnte. Auch schien sie das Wesen dieser V?gel genauer beobachtet zu haben. So entsinne ich mich, dass ich ihr einst eine Turmschwalbe brachte, die ich wie leblos auf dem Steinpflaster des Hofes gefunden hatte. "Das sch?ne Tier wird sterben", sagte ich, indem ich traurig das gl?nzende braunschwarze Gefieder streichelte; aber Hansen sch?ttelte den Kopf. "Die?" sagte sie, "das ist die K?nigin der Luft; ihr fehlt nichts als der freie Himmel! Die Angst vor einem Habicht wird sie zu Boden geworfen haben; da hat sie mit den langen Schwingen sich nicht helfen k?nnen." Dann gingen wir in den Garten; ich mit der Schwalbe, die ruhig in meiner Hand lag, mich mit den grossen braunen Augen ansehend. "Nun wirf sie in die Luft!" rief Hansen. Und staunend sah ich, wie, von meiner Hand geworfen, der scheinbar leblose Vogel gedankenschnell seine Schwingen ausbreitete und mit hellem Zwitscherlaut wie ein befiederter Pfeil in dem sonnigen Himmelsraum dahinschoss. "Vom Turm aus", sagte Hansen, "solltest du sie fliegen sehen; das heisst von dem Turm der alten Kirche, der noch ein Turm zu nennen war."
Dann, mit einem Seufzer meine Wangen streichelnd, ging sie ins Haus zur?ck an die gewohnte Arbeit. "Weshalb seufzt denn Hansen so?" dachte ich.--Die Antwort auf diese Frage erhielt ich erst viele Jahre sp?ter, aus einem mir damals g?nzlich fremden Munde.
Nun war sie in den Ruhestand versetzt, aber ihre Schwalben hatten sie zu finden gewusst, und auch wir Kinder wussten sie zu finden. Wenn ich am Sonntagmorgen vor der Kirchzeit in das saubere St?bchen der alten Jungfrau trat, pflegte sie schon im feiert?glichen Anzuge vor ihrem Gesangbuche zu sitzen. Wollte ich dann neben ihr auf dem kleinen Kanapee Platz nehmen, so sagte sie wohl: "Ei was, da siehst du ja die Schwalben nicht!" Dann r?umte sie einen Geranien- oder einen Nelkenstock von der Fensterbank und liess mich in der tiefen Fensternische auf ihrem Lehnstuhl niedersetzen. "Aber so fechten mit den Armen darfst du nicht", f?gte sie dann l?chelnd hinzu; "so junge muntere Gesellen sehen sie nicht alle Tage!" Und dann sass ich ruhig und sah, wie die schlanken V?gel im Sonnenscheine ab und zu flogen, ihr Nest bauten oder ihre Jungen f?tterten, w?hrend Hansen mir gegen?ber von der Herrlichkeit der alten Zeit erz?hlte; von den Festen im Hause meines Urgrossvaters, von den Aufz?gen der alten Sch?tzengilde oder--und das war ihr Lieblingsthema--von der Bilder- und Altarpracht der alten Kirche, in der sie selbst noch zur Enkelin des letzten T?rmers Gevatter gestanden hatte; bis dann endlich von der Kapelle her der erste Orgelton zu uns her?berbrauste. Dann stand sie auf, und wir gingen miteinander durch einen schmalen endlosen Korridor, welcher nur durch die verhangenen T?rfensterchen der zu beiden Seiten liegenden Zellen ein karges D?mmerlicht empfing. Hier und dort ?ffnete sich eine dieser T?ren, und in dem Schein, der einige Augenblicke die Dunkelheit unterbrach, sah ich alte, seltsam gekleidete M?nner und Frauen auf den Gang hinausschlurfen, von denen die meisten wohl schon vor meiner Geburt aus dem Leben der Stadt entschwunden waren. Gern h?tte ich dann dies oder jenes gefragt; aber auf dem Wege zur Kirche hatte ich von Hansen keine Antwort zu erwarten; und so gingen wir denn schweigend weiter, am Ende des Ganges Hansen mit der alten Gesellschaft auf einer Hintertreppe nach unten zu den Pl?tzen der Stiftsleute, ich oben auf das Chor, wo ich tr?umend dem sich drehenden Glockenspiel der Orgel zusah und, wenn unser Propst die Kanzel bestiegen hatte--ich will es gestehen--, seine gewiss wohlgesetzte Predigt meist nur wie ein eint?niges Wellenger?usch und wie aus weiter Ferne an mein Ohr dringen f?hlte; denn unter mir, gegen?ber, hing das lebensgrosse Portr?t eines alten Predigers mit langen schwarzkrausen Haaren und seltsam geschorenem Schnurrbart, das bald meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen pflegte. Mit den melancholischen schwarzen Augen blickte es so recht wie aus der dumpfen Welt des Wunder- und Hexenglaubens in die neue Zeit hinauf und erz?hlte mir weiter von der Stadt Vergangenheit, wie es in den Chroniken zu lesen stand, bis hinab zu dem b?sen Stegreifjunker, dessen letzte Untat einst das Epitaphium des Ermordeten in der alten Kirche berichtet hatte.--Freilich, wenn dann pl?tzlich die Orgel das "Unsern Ausgang segne Gott" einsetzte, so schlich ich mich meist verstohlen wieder ins Freie; denn es war kein Spass, dem Examen meiner alten Freundin ?ber die geh?rte Predigt standhalten zu m?ssen.
Von ihrer eigenen Vergangenheit pflegte Hansen nicht zu erz?hlen; ich war schon ein paar Jahre lang Student gewesen, als ich bei einem Ferienbesuch in der Heimat dar?ber zum ersten Mal etwas von ihr erfuhr.
Es war im April, an ihrem f?nfundsechzigsten Geburtstage. Wie in fr?heren Jahren, so hatte ich ihr auch heute die beiden hergebrachten Dukaten von der Grossmutter und einige kleine Geschenke von uns Geschwistern ?berbracht und war von ihr mit einem Gl?schen Malaga bewirtet worden, den sie f?r solche Tage in ihrem Wandschr?nkchen aufbewahrte. Nachdem wir ein Weilchen geplaudert hatten, bat ich sie, mir heute, wie ich schon lange gew?nscht, den Festsaal zu zeigen, in dem seit Jahrhunderten die Vorsteher der Stiftung nach der j?hrlichen Rechnungsablage ihre Schm?use zu feiern pflegten. Hansen willigte ein, und wir gingen miteinander den dunkeln Korridor entlang; denn der Saal lag jenseits der Kapelle am andern Ende des Hauses. Als ich beim Hinabsteigen der Hintertreppe ausglitt und die letzten Stufen hinabstolperte, wurde unten auf dem Flur eine T?r aufgerissen, und der unheimliche nackte Kopf eines neunzigj?hrigen Mannes reckte sich daraus hervor. Er murmelte ein paar halbverst?ndliche Scheltworte und stierte uns dann, bis wir durch die T?r der Kapelle traten, mit den verglasten Augen nach.
Ich kannte ihn wohl; die Stiftsleute hiessen ihn den "Sp?kenkieker"; denn sie behaupteten, er k?nne "was sehen".
"Die Augen k?nnten einen f?rchten machen", sagte ich zu Hansen, als wir durch die Kapelle gingen.
Sie meinte: "Er sieht dich gar nicht; er sieht nur noch r?ckw?rts in sein eignes t?richtes und s?ndhaftes Leben."
"Aber", erwiderte ich scherzend, "er sieht doch dort in der Ecke die offenen S?rge stehen, w?hrend die darin liegen, noch lebend unter euch umherwandern."
"Das sind auch nur Schatten, mein Kind; er tut nichts Arges mehr. Freilich", setzte sie hinzu, "ins Stift geh?rte er nicht und hat auch nur auf eine der Freistellen des Amtmanns hineinschl?pfen k?nnen; denn wir andern m?ssen unsere b?rgerliche Reputation nachweisen, ehe wir hier angenommen werden."
Wir hatten inzwischen den Schl?ssel bei der Wirtschafterin abgelangt und stiegen nun die Treppe zu dem Festsaal hinauf.--Es war nur ein m?ssig grosses, niedriges Gemach, das wir betraten. An der einen Wand sah man eine altert?mliche Stutzuhr aus dem Nachlass einer hier Verstorbenen, an der gegen?berstehenden hing das lebensgrosse Bild eines Mannes in einfachem rotem Wams; sonst war das Zimmer ohne Schmuck. "Das ist der gute Herzog, der das Stift gebaut hat", sagte Hansen; "aber die Menschen geniessen seine Gaben und denken nicht mehr an ihn, wie er es doch bei seiner Lebzeit wohl gew?nscht hat."
"Aber du gedenkst ja seiner, Hansen."
Sie sah mich mit ihren sanften Augen an. "Ja, mein Kind", sagte sie, "das liegt so in meiner Natur; ich kann nur schwer vergessen."
Die W?nde nach der Strasse und nach dem Kirchhofe hatten eine Reihe Fenster mit kleinen in Blei gefassten Scheiben; und in jeder fast war ein Name, meist aus mir bekannten angesehenen B?rgerfamilien, mit schwarzer Farbe eingebrannt; darunter: "Speisemeister dahier Anno--", und dann folgte die betreffende Jahreszahl.
"Siehst du, das ist dein Urgrossvater", sagte Hansen, indem sie auf eine dieser Scheiben wies; "den vergesse ich auch nicht; mein Vater hat bei ihm die Handlung gelernt und sp?ter oft Rat und Tat bei ihm geholt; leider, in der schwersten Zeit, da hatte er schon seine Augen zugetan."
Ich las einen andern Namen: "Liborius Michael Hansen, Speisemeister Anno 1799."
"Das war mein Vater!" sagte Hansen.
"Dein Vater? Wie kam es denn eigentlich--?"
"Dass ich mein halbes Leben gedient habe, meinst du, w?hrend ich doch zu den Honoratiorent?chtern geh?rte?"
"Ich meine, was war es eigentlich wodurch das Ungl?ck ?ber deine Familie kam?"
Hansen hatte sich auf einen der alten Lederst?hle gesetzt. "Das war nichts Besonderes, mein Kind", sagte sie; "es war Anno sieben, zur Zeit der Kontinentalsperre; damals florierten die Spitzbuben, und die ehrlichen Leute gingen zugrunde. Und ein ehrlicher Mann war mein Vater!--Er hat den Namen auch mit ins Grab genommen", fuhr sie nach einem kurzen Schweigen fort. "Ich sehe es noch, wie er mir einst, da wir miteinander durch die Kr?merstrasse gingen, ein altes, nun l?ngst verschwundenes Haus zeigte. "Merke dir das", sagte er zu mir, "hier wohnte Anno 1549, da am Sonntage Jubilate die grosse Feuersbrunst ausbrach, der fromme Kaufmann Meinke Graveley. Da die Flammen heranbrausten, sprang er mit Elle und Waage auf die Gasse und flehte zu Gott, wenn er je mit Wissen und Willen seinen N?chsten um eines K?rnleins Wert gesch?diget, so m?ge sein Haus nicht verschont bleiben. Aber die Flamme sprang dar?ber hin, w?hrend alles rings in Asche fiel.
"Siehst du, mein Kind", setzte mein Vater hinzu, indem er seine H?nde in die H?he hob, "das k?nnte auch ich tun; und auch ?ber unser Haus w?rde die Strafe des Herrn hinweggehen."--Hansen sah mich an. "Der Mensch soll sich nicht r?hmen", sagte sie dann. "Du bist nun alt genug, dass ich dir es wohl erz?hlen mag; du musst doch von mir wissen, wenn ich nicht mehr bin. --Mein guter Vater hatte eine Schw?che; er war abergl?ubig. Diese Schw?che brachte ihn dahin, dass er in den Tagen der ?ussersten Not etwas beging, das ihm bald das Herz brach; denn er konnte seitdem die Geschichte von dem frommen Kaufmann nicht mehr erz?hlen.
In dem Hause neben uns wohnte ein Tischlermeister. Als er mit seiner Frau fr?hzeitig verstarb, wurde mein Vater der Vormund seines nachgelassenen Sohnes. Harre--diesen friesischen Namen f?hrte der Knabe--las gern in den B?chern und war auch schon in der Tertia unserer Lateinischen Schule; aber die Mittel reichten doch nicht zum Studieren; und so blieb er denn bei dem Handwerk seines Vaters. Als er sp?ter Geselle wurde und nach zweij?hriger Wanderung wieder eine Zeitlang bei einem Meister gearbeitet hatte, wurde es auch bald bekannt, dass er zu den feineren Arbeiten in seinem Fach ein besonderes Geschick habe. Wir beide waren miteinander aufgewachsen; als er noch in der Lehre war, las er mir oft aus den B?chern vor, die er sich von seinen fr?heren Schulkameraden geliehen hatte. Du weisst, wir wohnten am Markt in dem Erkerhause dem Rathause gegen?ber; da steht noch jetzt ein m?chtiger Buchsbaum im Garten. Wie oft haben wir mit unserem Buche unter diesem Baum gesessen, w?hrend ?ber uns die Bienen in den kleinen gr?nen Bl?ten summten!--Nach seiner R?ckkehr war das nicht anders geworden, er kam oft in unser Haus; mit einem Wort, mein lieber Junge, wir beiden hatten uns gern und suchten das auch nicht zu verbergen.
Meine Mutter lebte nicht mehr; was mein Vater dazu dachte und ob er ?berhaupt etwas dar?ber gedacht, das hab ich nie erfahren. Auch kam es nicht so weit, dass es ein rechtes Verl?bnis wurde.
Eines Morgens in den ersten Fr?hlingstagen war ich in unsern Garten gegangen; die Krokus und die roten Leberblumen schickten sich schon an zu bl?hen, es war alles ringsumher so jung und frisch; aber mir selbst war schwer zu Sinne; die Sorgen meines Vaters dr?ckten auch mich. Obwohl er niemals ?ber seine Angelegenheiten zu mir geredet, so f?hlte ich doch, dass es immer schneller abw?rts ging. In den letzten Monaten hatte ich den Stadtdiener oft und ?fter in die Schreibstube gehen sehen; war er fort, so verschloss mein Vater sich stundenlang; und von manchem Mittagessen stand er auf, ohne die Speisen ber?hrt zu haben. In der letzten Woche hatte er einen ganzen Abend damit zugebracht, sich die Karten zu legen; auf meine wie im Scherz hingeworfene Frage, wor?ber er denn Auskunft von seinem Orakel erwarte, hatte er mich stumm mit der Hand zur?ckgewiesen und war dann sp?ter mit einem kurzen "Gute Nacht" in seine Kammer gegangen.
Das alles lag mir auf dem Herzen; und meine Augen, die nach innen sahen, wussten nichts von dem klaren Sonnenschein, der draussen die ganze Welt verkl?rte. Da h?rte ich unten von der Marsch herauf die Lerchen singen; und du weisst es ja wohl, mein Kind, in der Jugend ist das Herz noch so leicht, der kleinste Vogel tr?gt es mit empor. Mir war pl?tzlich, als s?he ich ?ber allen Dunst der Sorge hinweg in eine sonnige Zukunft; als brauchte ich nur den Fuss hineinzusetzen. Ich weiss noch, wie ich an den Beeten hinkniete und mit welcher Freude ich nun die Knospen und das junge Gr?n betrachtete, das ?berall aus dem Schoss der Erde hervortrieb. Ich dachte auch an Harre und zuletzt, glaub ich, nur an ihn. Indem h?rte ich die Gartent?r aufklinken, und wie ich aufsah, kam er selber mir entgegen.
Ob auch ihn die Lerche froh gemacht hatte--er sah aus wie die Hoffnung selbst. "Guten Morgen, Agnes", rief er, "weiss du was Neues--?"
"Ist's denn was Gutes, Harre?"
"Versteht sich, was sollt es sonst wohl sein! Ich will Meister werden und das in allern?chster Zeit."
Kannst du wohl denken, dass ich ordentlich erschrak! Denn ich dachte doch gleich: Mein Gott, nun braucht er auch die Frau Meisterin!
Ich mag wohl ganz verdutzt ausgesehen haben; denn Harre fragte mich: "Fehlt dir etwas, Agnes?"
"Mir, Harre? Ich glaube nicht", sagte ich. "Der Wind wehte so k?hl ?ber mich hin."--Das war nun wohl gelogen; allein der liebe Gott hat es nun einmal so eingerichtet, dass wir in solchem Fall nicht sagen k?nnen, was der andere eben h?ren will.
"Aber mir fehlt nun etwas", sagte Harre, "das Allerbeste fehlt mir!"
Ich antwortete nichts hierauf, kein W?rtlein. Auch Harren ging eine Weile schweigend neben mir; dann fragte er auf einmal: "Was meinst du, Agnes, ob es wohl schon geschehen ist, dass eine Kr?merstochter einen Tischlermeister geheiratet hat?"
Als ich aufsah und er mich mit seinen guten braunen Augen so bittend anblickte, da gab ich ihm die Hand und sagte ebenso: "Das wird wohl nun zum erstenmal geschehen."
"Agnes", rief Harre, "was werden die Leute sagen!"
"Ich weiss nicht, Harre.--Aber wenn nun die Kr?merstochter arm w?re?"
"Arm, Agnes?" und er fasste mich so recht lustig bei beiden H?nden, "ist denn jung und h?bsch noch nicht genug?"
Es war ein gl?cklicher Tag damals; die Fr?hlingssonne schien, wir gingen Hand in Hand; und w?hrend wir schwiegen, sangen ?ber uns die Lerchen aus tausend hellen Kehlen. So waren wir unmerklich an den Brunnen gekommen, der an der Holunderwand des Gartens dem Hause gegen?ber lag. Ich blickte ?ber die Brettereinfassung in die Tiefe hinab. "Wie drunten das Wasser glitzert!" sagte ich.
Das Gl?ck macht mutwillig; Harre wollte mich necken. "Das Wasser?" sagte er. "Das ist das Gold, das aus der Tiefe funkelt." Ich wusste nicht, was er damit meinte.
"Weisst du denn nicht, dass ein Schatz in eurem Brunnen liegt?" fuhr er fort. "Guck nur genau zu; es sitzt ein graues M?nnlein mit dreieckigem Hut auf dem Grunde. Vielleicht ist's auch nur das brennende Licht in seiner Hand, das drunten so seltsam glitzert; denn er ist der H?ter des Schatzes."
Mir flog die Not meines Vaters durch den Sinn. Harre hob einen Stein auf und warf ihn hinab, und es dauerte eine Weile, ehe ein dumpfer Schall zu uns zur?ckkam. "H?rst du, Agnes?" sagte er, "das traf auf die Kiste."
"Harre, red vern?nftig!" rief ich, "was treibst du f?r Narrenspossen!"
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