Read Ebook: Das Mädchen von Treppi by Heyse Paul
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Ebook has 198 lines and 15841 words, and 4 pages
Edition: 10
Das M?dchen von Treppi
Paul Heyse
Novelle
Es war erst gegen die Mitte Oktobers, eine Zeit, wo die N?chte in dieser H?he noch von grosser Klarheit zu sein pflegen. Heute aber hatte sich nach dem sonnenheissen Tage ein feiner Nebel aus den Schluchten heraufgew?lzt und breitete sich langsam ?ber die edelgeformten nackten Felsz?ge des Hochlandes. Es mochte gegen neun Uhr abends sein. In den zerstreuten niedrigen Steinh?tten, die ?ber Tag nur von den ?ltesten Weibern und j?ngsten Kindern bewacht werden, glommen nur noch schwache Feuerscheine. Um die Herde, ?ber denen die grossen Kessel wankten, lagen die Hirten mit ihren Familien und schliefen; die Hunde hatten sich in die Asche gestreckt; eine schlaflose Grossmutter sass wohl noch auf einem Haufen Felle und bewegte mechanisch die Spindel hin und her, Gebete murmelnd, oder ein unruhig schlafendes Kind im Korbe schaukelnd. Die Nachtluft zog feucht und herbstlich durch die handgrossen L?cken in der Mauer, und der Rauch der ruhig ausbrennenden Herdflamme, der jetzt vom Nebel gedr?ngt wurde, schlug schwerf?llig zur?ck und floss an der Decke der H?tte hin, ohne dass es der Alten beschwerlich ward. Hernach schlief auch sie mit offenen Augen, soviel sie konnte.
Nur in einem Hause war noch Bewegung. Es hatte auch nur ein Stockwerk wie die andern; aber die Steine waren besser gefugt, die T?r breiter und h?her, und an das weite Viereck, das die eigentliche Wohnung ausmachte, lehnten sich mancherlei Schuppen, angebaute Kammern, St?lle und ein gut gemauerter Backofen. Vor der Haust?r stand ein Trupp beladener Pferde, denen ein Bursch eben die geleerten Krippen wegriss, w?hrend sechs bis sieben bewaffnete M?nner aus dem Hause traten, in den Nebel hinaus, und eilig ihre Tiere r?steten. Ein uralter Hund, der neben der T?r lag, bewegte nur leicht den Schweif, als sie aufbrachen. Dann erhob er sich m?de von der Erde und ging langsam in das Innere der H?tte, wo das Feuer noch hell brannte. Am Herde stand seine Herrin, dem Feuer zugewendet, die stattliche Gestalt regungslos, die Arme an den H?ften herabhangend. Als der Hund mit der Schnauze sanft gegen ihre Hand r?hrte, wandte sie sich, als schrecke sie aus Tr?umen auf. "Fuoco", sagte sie, "mein armes Tier, geh schlafen, du bist krank!"--Der Hund winselte und bewegte den Schweif dankbar. Dann kroch er auf ein altes Fell neben dem Herd und streckte sich hustend und winselnd nieder.
Indessen waren auch einige Knechte hereingekommen und hatten sich um den grossen Tisch an die Sch?ssel gesetzt, welche die abziehenden Schmuggler soeben verlassen hatten. Eine alte Magd f?llte sie aus dem grossen Kessel von neuem mit Polenta, und setzte sich nun ebenfalls mit ihrem L?ffel zu den andern. W?hrend sie assen, wurde kein Wort laut; die Flamme knisterte, der Hund st?hnte heiser aus dem Schlaf, das ernsthafte M?dchen sass auf den Steinplatten des Herdes, liess das Sch?sselchen mit der Polenta, das ihr die Magd besonders hingestellt hatte, unber?hrt und sah in der Halle umher, ohne Gedanken in sich versunken. Vor der T?r stand der Nebel jetzt schon wie eine weisse Wand. Aber zugleich ging der halbe Mond eben hinter dem Rand des Felsens in die H?he.
Da kam es wie Hufschlag und Menschentritte die Strasse herauf.--"Pietro!" rief die junge Hausherrin mit ruhig erinnerndem Ton. Ein langer Bursch stand augenblicklich vom Tisch auf und verschwand im Nebel.
Man h?rte jetzt die Schritte und Stimmen n?her, endlich hielt das Pferd am Hause. Noch eine Weile, dann erschienen drei M?nner unter der T?r und traten mit kurzem Gruss ein. Pietro n?herte sich dem M?dchen, das teilnahmlos in die Flamme sah. "Es sind zwei von Porretta", sagte er ihr, "Ohne Waren; sie f?hren einen Signore ?ber die Berge, der seine P?sse nicht in Ordnung hat."
"Nina!" rief das M?dchen. Die alte Magd stand auf und kam an den Herd.
"Das ist's nicht allein, dass sie essen wollen, Padrona", fuhr der Bursch fort. "Ob der Herr ein Lager haben kann f?r die Nacht. Er will nicht weiter vor Tagesanbruch."
"Mach ihm eine Streu in der Kammer." Pietro nickte und ging wieder an den Tisch.
Die drei hatten Platz genommen, ohne dass die Knechte sie einer besondern Aufmerksamkeit w?rdigten. Es waren zwei Contrabbandieri, wohlbewaffnet, die Jacken leicht ?bergeworfen, die H?te tief ?ber die Stirn gedr?ckt. Sie nickten den andern zu wie guten Bekannten, und nachdem sie ihrem Begleiter einen guten Platz einger?umt hatten, schlugen sie das Kreuz und assen.
Der Signore, der mit ihnen gekommen, ass nicht. Er nahm den Hut von der hohen Stirn, strich mit der Hand durchs Haar und liess die Augen ?ber den Ort und die Gesellschaft schweifen. An den W?nden las er die mit Kohle gemalten, frommen Spr?che, sah im Winkel das Madonnenbild mit dem L?mpchen, daneben die H?hner, die auf der Stange schliefen, dann die Maiskolben, die, auf Schn?re gereiht, an der Decke hingen, ein Brett mit Kr?gen und Korbflaschen, ?bereinandergeschichtete Felle und K?rbe. Das M?dchen am Herd fesselte endlich seine unruhigen Augen. Das dunkle Profil zeichnete sich streng und sch?n gegen das flackernde Rot des Herdfeuers, ein grosses Nest schwarzer Flechten lag tief auf dem Nacken, die H?nde hatte sie ineinanderverschr?nkt auf das eine Knie gelegt, w?hrend der andere Fuss auf dem Felsboden des Gemachs ruhte. Wie alt sie sein mochte, konnte er nicht erraten. Doch sah er an ihrem Gebaren, dass sie die Wirtin des Hauses war.
"Habt Ihr Wein im Hause, Padrona?" fragte er endlich. Er hatte diese Worte kaum gesagt, als das M?dchen wie vom Blitz gestreift emporfuhr und aufrecht neben dem Herde stand, mit beiden Armen sich auf die Platten st?tzend. In demselben Augenblick fuhr der Hund aus dem Schlafe auf. Ein wildes Murren brach aus seiner keuchenden Brust vor. Der Fremde sah pl?tzlich vier funkelnde Augen auf sich gerichtet.
"Darf man nicht fragen, ob Ihr Wein im Hause habt, Padrona?" wiederholte er jetzt. Noch aber hatte er das letzte Wort nicht geendet, als der Hund in unerkl?rlicher Wut laut heulend auf ihn zusprang, ihm den Mantel mit den Z?hnen von der Schulter riss und von neuem gegen ihn losgesprungen w?re, wenn nicht ein scharfer Ruf seiner Herrin ihn geb?ndigt h?tte.
"Zur?ck, Fuoco, zur?ck! Friede, Friede!"--Der Hund stand mitten im Zimmer, heftig mit dem Schweife schlagend, den Fremden unverwandt im Auge.--"Schliess ihn in den Stall, Pietro!" sagte das M?dchen halblaut. Sie stand noch immer wie erstarrt am Herde und wiederholte den Befehl, als Pietro zauderte. Denn seit langen Jahren war der n?chtliche Platz des alten Tiers neben dem Herde gewesen. Die Knechte fl?sterten untereinander, der Hund folgte widerwillig, und sein Heulen und Winseln drang schauerlich von draussen herein, bis es vor Ersch?pfung nachzulassen schien.
Indessen hatte die Magd auf einen Wink der Wirtin Wein gebracht. Der Fremde trank, reichte den Becher seinen Begleitern und sann im stillen ?ber den wunderlichen Aufruhr nach, den er unwissentlich angestiftet. Ein Knecht nach dem andern legte den L?ffel nieder und ging mit einem "Gute Nacht, Padrona!" hinaus. Zuletzt waren die drei mit der Wirtin und der alten Magd allein.
"Die Sonne geht um vier Uhr auf", sagte der eine Schmuggler halblaut zu dem Fremden. "Eccellenza braucht nicht fr?her aufzubrechen, um bei guter Zeit in Pistoja zu sein. Es ist auch wegen des Pferdes, das seine sechs Stunden stehen muss."
"Es ist gut, meine Freunde. Geht und schlaft!"
"Wir werden Euch wecken, Eccellenza."
"Auf alle F?lle", erwiderte der Fremde. "Obwohl die Madonna weiss, dass ich nicht oft sechs Stunden in einem Strich schlafe. Gute Nacht, Carlone; gute Nacht, Meister Giuseppe!"
Die Leute r?ckten ehrerbietig die H?te und standen auf. Der eine ging nach dem Herd und sagte: "Ich habe einen Gruss, Padrona, vom Costanzo aus Bologna, und ob es bei Euch war, wo er sein Messer hat liegen lassen letzten Samstag."
"Nein", sagte sie kurz und ungeduldig.
"Ihr h?ttet's ihm wohl wieder mitgeschickt", sagte ich ihm, "wenn's hier gewesen w?re. Und dann--"
"Nina", unterbrach sie ihn, "zeige ihnen den Weg in die Kammer, wenn sie ihn vergessen haben."
Die Magd stand auf. "Ich wollte nur noch sagen, Padrona", fuhr der Mann mit grosser Ruhe und leisem Zwinkern der Augen fort, "dass dieser Herr dort das Geld nicht ans?he, wenn Ihr ihm ein sanfteres Bett machtet, als unsereinem. Das wollt' ich Euch sagen, Padrona, und nun schenk' Euch die Madonna eine gute Nacht, Signora Fenice!"
Damit wandte er sich zu seinem Gesellen, neigte sich, wie dieser, vor dem Bilde in der Ecke, kreuzte sich und beide verliessen mit der Magd das Gemach. "Gute Nacht, Nina!" rief das M?dchen. Die Alte wandte sich noch auf der Schwelle und machte ein fragendes Zeichen, zog dann aber rasch und gehorsam die T?r hinter sich zu.
Sie waren kaum allein, als Fenice eine Messinglampe, die seitw?rts am Herde stand, ergriff und hastig anz?ndete. Das Herdfeuer erlosch mehr und mehr, die drei roten Fl?mmchen der Lampe erhellten nur einen kleinen Teil des weiten Raumes. Es schien, als habe die Dunkelheit den Fremden schl?frig gemacht, denn er sass am Tische, den Kopf auf die Arme gelegt, den Mantel dicht um sich gezogen, als gedenke er so die Nacht zuzubringen. Da h?rte er seinen Namen rufen und sah empor. Die Lampe brannte vor ihm auf dem Tisch, ihm gegen?ber stand die junge Padrona, die ihn gerufen hatte. Ihr Blick traf den seinen mit grosser Gewalt.
"Filippo", sagte sie, "kennt Ihr mich nicht mehr?"
Er sah eine Zeitlang forschend in das sch?ne Gesicht, das vom Schein der Lampe und mehr noch von der Angst zu gl?hen schien, welche Antwort ihrer Frage werden w?rde. Das Gesicht war wohl des Wiedererinnerns wert. Die weichen langen Augenwimpern s?nftigten, wie sie langsam auf und nieder gingen, die Strenge der Stirn und der schmalgeformten Nase. Der Mund bl?hte in der r?testen Jugend; nur hatte er, wenn er schwieg, einen Zug von Entsagung, Schmerz und Wildheit, dem die schwarzen Augen nicht widersprachen. Jetzt erst, als sie am Tische stand, zeigte sich auch der herbe Reiz der Gestalt, besonders die Sch?nheit des Nackens und Halses. Und dennoch sprach Filippo nach einigem Besinnen:
"Ich kenne Euch wahrlich nicht, Padrona!"
"Es ist nicht m?glich", sagte sie mit einem wunderbar tiefen Ton der Gewissheit. "Ihr habt ja sieben Jahre Zeit gehabt, mich zu behalten. Das ist lang; da kann ein Bild sich schon einpr?gen."
Das seltsame Wort schien ihn jetzt erst v?llig aus seinen besondern Gedanken loszumachen. "Ja, M?dchen", sagte er, "wer sieben Jahre zu nichts anderm braucht, als einem sch?nen M?dchenkopf nachzudenken, der muss ihn wohl zuletzt auswendig wissen."
"Ja", sagte sie nachdenklich, "so ist es, so sagtet Ihr auch damals, dass Ihr an nichts anderes denken w?rdet."
"Vor sieben Jahren? So war ich noch ein scherzhafter Mensch vor sieben Jahren. Und du hast das im Ernst geglaubt?"
Sie nickte dreimal sehr ernsthaft. "Warum sollte ich nicht? Ich habe es ja an mir selbst erfahren, dass Ihr recht hattet."
"Kind", sagte er mit einer gutm?tigen Miene, die seinen entschiedenen Z?gen wohl stand, "das tut mir leid. Vor sieben Jahren dacht' ich wohl noch, es w?ssten es alle Weiber, dass z?rtliche M?nnerworte nicht viel mehr wert sind als Spielmarken, die man freilich gelegentlich gegen klingendes Geld umwechselt, wenn es ausdr?cklich ausgemacht ist. Was dacht' ich nicht alles vor sieben Jahren von euch Weibern! Jetzt denk ich, ehrlich gesagt, selten an euch. Liebes Kind, man hat so viel Wichtigeres zu denken."
Sie schwieg, als ob sie das alles nicht verst?nde und ruhig abwarten wollte, bis er etwas sagte, was sie wirklich anging.
"Es d?mmert jetzt freilich in mir auf", sagte er nach einigem Sinnen, "dass ich diesen Teil des Gebirges schon einmal durchwandert habe. Ich h?tte auch vielleicht das Dorf und dieses Haus wieder erkannt, ohne den Nebel. Ja, ja, es war allerdings vor sieben Jahren, wo mich der Arzt in die Berge schickte, und ich wie ein Narr die steilsten Wege auf und ab st?rmte."
"Ich wusste es wohl", sagte sie, und ein r?hrender Glanz der Freude erschien auf den Lippen, "ich wusste es wohl, Ihr k?nnt es nicht vergessen haben. Hat es doch der Hund, der Fuoco, nicht vergessen, auch nicht seinen alten Hass auf Euch von damals,--noch ich--meine alte Liebe."
Das sagte sie mit so grosser Festigkeit und Heiterkeit, dass er immer erstaunter zu ihr aufsah. "Ich besinne mich nun auch auf ein M?dchen", sagte er, "das ich einmal auf der H?he des Apennin traf, und das mich zu seinen Eltern nach Hause brachte. Ich h?tte sonst die Nacht auf den Klippen zubringen m?ssen. Ich weiss auch, dass es mir gefiel--"
"Ja", unterbrach sie ihn, "sehr!"
"Aber ich gefiel dem M?dchen nicht. Ich hatte ein langes Gespr?ch mit ihr, zu dem sie nicht viel ?ber zehn Worte beisteuerte. Als ich ihr endlich das schlafende finstre M?ndchen mit einem Kuss aufzuwecken dachte--ich sehe sie noch, wie sie von mir weg auf die Seite sprang und mit jeder Hand einen Stein aufhob, dass ich kaum ungesteinigt davonkam. Wenn du jenes M?dchen bist, wie kannst du von deiner alten Liebe zu mir reden?"
"Ich war funfzehn Jahr', Filippo, und sch?mte mich sehr. Ich war immer so trotzig gewesen und allein, und wusste mich nicht auszudr?cken. Und dann hatte ich Furcht vor den Eltern, die lebten damals noch, wie Ihr wissen werdet. Mein Vater hatte die vielen Hirten und Herden, und hier die Schenke. Es ist seitdem nicht viel anders geworden. Nur, dass er nicht mehr hier schaltet und schilt--seine Seele sei im Paradiese! Und vor der Mutter sch?mte ich mich am meisten. Wisst Ihr noch, gerade an demselben Fleck sasset Ihr damals, Ihr lobtet noch den Wein, den wir von Pistoja hatten. Mehr h?rte ich nicht, die Mutter sah mich scharf an, da ging ich hinaus und stellte mich hinter das Fenster, um Euch noch betrachten zu k?nnen. Ihr waret j?nger, nat?rlich, aber nicht sch?ner. Ihr habt noch heut dieselben Augen, mit denen Ihr damals gewinnen konntet, wen Ihr wolltet; und dieselbe dunkle Stimme, die den Hund so aufbrachte vor Eifersucht, armes Tier! Bisher hatte ich ihn allein geliebt. Er merkte wohl, dass ich Euch mehr liebte, er merkte es besser als Ihr selbst.
"Richtig", sagte er, "er war in jener Nacht wie unsinnig. Eine wunderliche Nacht! Du hattest mir's doch sehr angetan, Fenice. Ich weiss, dass ich keine Ruhe hatte, als du gar nicht wieder ins Haus zur?ckkommen wolltest, dass ich aufstand und dich draussen suchte. Dein weisses Kopftuch sah ich, und dann nichts mehr von dir, denn du sprangst in die Kammer neben dem Stall."
"Das war meine Schlafkammer, Filippo. Da durftet Ihr doch nicht hinein."
"Aber ich wollt' es. Ich weiss noch, wie lange ich stand und pocht' und bettelte, der schlechte Gesell, der ich war, und meinte, der Kopf m?sse mir springen, wenn ich dich nicht noch einmal s?he."
"Der Kopf? Nein, das Herz, sagtet Ihr. Ich weiss sie noch alle wohl, die Worte, alle!"
"Und wolltest doch damals nichts von ihnen wissen."
"Mir war zumut wie zum Sterben. Ich stand im hintersten Winkel und dachte, wenn ich mir nur das Herz fassen k?nnte, an die T?r zu schleichen, den Mund an die Spalte zu legen, durch die Ihr spracht, dass ich den Hauch empfunden h?tte."
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