Read Ebook: Das Mädchen von Treppi by Heyse Paul
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Ebook has 198 lines and 15841 words, and 4 pages
"Mir war zumut wie zum Sterben. Ich stand im hintersten Winkel und dachte, wenn ich mir nur das Herz fassen k?nnte, an die T?r zu schleichen, den Mund an die Spalte zu legen, durch die Ihr spracht, dass ich den Hauch empfunden h?tte."
"T?richte verliebte Jugend! W?re deine Mutter nicht gekommen, ich st?nde wohl noch da; du h?ttest denn inzwischen aufgemacht. Ich sch?me mich jetzt beinahe, wie ich im hellen ?rger und Grimm davonging und die Nacht hindurch einen langen Traum von dir hatte."
"Ich habe im Finstern gesessen und gewacht", sagte sie. "Gegen Morgen ?berfiel mich ein Schlaf, und als ich auffuhr und in die Sonne sah--wo wart Ihr? Es sagte mir's keiner und fragen konnt' ich nicht. Ich hatte einen solchen Hass, ein menschliches Gesicht zu sehen, als h?tten sie Euch umgebracht, damit ich Euch nur nicht mehr s?he. Ich lief fort, wie ich ging und stand, die Berge auf und ab, zuweilen schrie ich nach Euch, zuweilen verw?nschte ich Euch, denn um Euch konnte ich nun keinen Menschen mehr lieben. Am Ende kam ich unten in der Ebene an, da erschrak ich und kehrte wieder um. Zwei Tage war ich weg gewesen. Der Vater schlug mich, als ich wiederkam, und die Mutter sprach nicht mit mir. Sie wussten wohl, warum ich weggelaufen war. Nur der Hund war mit mir gewesen, der Fuoco; aber wenn ich Euern Namen rief in der Einsamkeit, heulte er."
Es entstand eine Pause, in der die Blicke der beiden Menschen aufeinander ruhten. Dann sagte Filippo: "Wie lange sind deine Eltern nun tot?"
"Drei Jahr'. Sie starben in derselben Woche--ihre Seelen seien im Paradiese! Dann bin ich nach Florenz gegangen."
"Nach Florenz?"
"Ja, Ihr sagtet ja, Ihr w?ret aus Florenz. Die Frau des Caffetiere draussen bei San Miniato, an die wiesen mich welche von den Contrabbandieri. Einen Monat hab ich da gelebt und sie alle Tage in die Stadt geschickt, nach Euch zu fragen. Abends ging ich selbst hinunter und suchte Euch. Am Ende h?rten wir, dass Ihr l?ngst fortgezogen, keiner wollte recht wissen, wohin."
"Ich habe sieben Jahre Zeit gehabt, mir einen Mut dazu zu fassen. Ach, wenn ich es Euch damals gestanden h?tte, es h?tte mich nicht so ungl?cklich gemacht, dieses feige Herz. Aber ich wusste, dass Ihr wiederkommen musstet, Filippo; nur dass es so lange dauerte, das hatte ich nicht gedacht, das tat mir weh.--Ein Kind bin ich, so zu sprechen. Was k?mmert mich, was nun vor?ber ist? Filippo, da seid ihr, und hier bin ich und bin Euer, ewig, ewig!"-"Liebes Kind!" sagte er leise, und verschwieg dann wieder, was er auf der Zunge hatte. Sie empfand es aber nicht, dass er so nachdenklich und schweigsam vor ihr stand und ?ber ihre Stirn weg auf die Wand starrte. Sie sprach ruhig weiter; es war, als w?ren ihr ihre Worte seit lange bekannt, als habe sie sich tausendmal im stillen vorgestellt: Er wird kommen, und das und das wirst du ihm sagen.
"Ich habe schon viele heiraten sollen, hier oben, und als ich in Florenz war. Ich wollte nur dich. Wenn mich einer bat und sagte mir s?sse Reden, gleich war deine Stimme da, aus jener Nacht, deine Reden, die s?sser waren, als alle Worte unterm Monde. Seit manchem Jahr lassen sie mich in Ruh, obwohl ich noch nicht alt bin, und so sch?n wie ich immer war. Es ist als ob sie alle w?ssten, dass du nun bald kommen w?rdest."--Dann wieder:
"Wo willst du mich nun hinf?hren? Willst du hier oben bleiben? Nein, es taugt nicht f?r dich. Seit ich in Florenz war, weiss ich, dass es traurig auf dem Gebirge ist. Wir wollen das Haus und die Herden verkaufen, dann bin ich reich. Ich habe das wilde Wesen mit den Leuten hier satt. In Florenz mussten sie mich alles lehren, was eine St?dterin braucht, und sie verwunderten sich, wie rasch ich jedes begriff. Freilich, ich hatte nicht viel Zeit und alle Tr?ume sagten mir, dass es hier oben sein w?rde, wo du mich zu suchen k?mest.--Ich habe auch eine Zauberin gefragt, und auch das ist alles eingetroffen."
"Und wenn ich nun schon eine Frau h?tte?"
"Sie hat recht gehabt, Fenice, ich habe kein Weib. Aber woher weiss sie oder du, dass ich je eins haben will?"
"Wie k?nntest du mich nicht wollen?" sagte sie mit unersch?tterlichem Vertrauen.
"Setz dich hier zu mir her, Fenice! Ich habe dir viel zu sagen. Gib mir deine Hand; versprich mir, dass du mich verst?ndig anh?ren willst bis zu Ende, meine arme Freundin!" Als sie nichts von dem allen tat, fuhr er mit klopfendem Herzen fort, vor ihr stehenbleibend und das Auge traurig auf sie geheftet, w?hrend das ihrige wie in Ahnungen, die ihr ans Leben gingen, bald geschlossen war, bald am Boden hinirrte.
"Die Elenden! die Gottlosen!" unterbrach ihn das M?dchen und ballte die Faust.
"So blieb nichts ?brig, als mich in Porretta den Contrabbandieri anzuvertrauen. Wir werden morgen, wie sie mir sagen, noch fr?h Pistoja erreichen. Nachmittags ist das Duell verabredet, in einem Garten vor der Stadt."
Sie ergriff pl?tzlich heftig seine Hand mit ihren beiden. "Geh nicht hinunter, Filippo", sagte sie. "Sie wollen dich ermorden."
"Gewiss, das wollen sie, Kind, nichts Geringeres. Woher weisst du das aber?"
"Ich sehe es hier und--hier!" Und sie deutete mit dem Finger auf Stirn und Herz.
"Du bist auch eine Zauberin, eine Strega", fuhr er mit L?cheln fort. "Jawohl, Kind, sie wollen mich morden. Mein Gegner ist der beste Sch?tze in Toskana. Sie haben mir die Ehre angetan, einen stattlichen Feind gegen mich zu stellen. Nun, ich werde mir auch keine Schande machen. Wer weiss aber, ob alles mit rechten Dingen zugeht? Wer weiss? Oder hast du auch Zauberk?nste, das vorauszusehen? Was h?lf' es, Kind! damit w?re nichts ge?ndert."
"Du musst es dir also schon aus dem Sinn schlagen", fuhr er nach einigem Schweigen fort, "deiner t?richten alten Liebe ihren Willen zu tun. Vielleicht hat alles so kommen m?ssen, damit ich nicht aus der Welt ginge, ohne dich frei zu machen, frei von dir selbst und deiner unseligen Treue, armes Kind. Siehst du, wir h?tten auch vielleicht schlecht f?r einander getaugt. Du warst einem andern Filippo treu, einem jungen Fant mit leichtsinnigen Lippen und ausser Liebessorgen sorgenlos. Was h?ttest du mit dem Gr?bler, dem Einsiedler anfangen wollen?"
Nun trat er auf sie zu, da er das letzte halb vor sich hin, auf und ab gehend, gesprochen hatte, und wollte eben ihre Hand fassen, als er vor dem Ausdruck ihres Gesichts sich entsetzte. Alle Weichheit war aus den Z?gen gewichen, alle R?te von den Lippen. "Du liebst mich nicht!" sagte sie langsam und tonlos, als spr?che ein andrer aus ihr und sie horchte hin, um zu erfahren, was eigentlich gemeint sei. Dann stiess sie seine Hand mit einem Schrei zur?ck, dass die Fl?mmchen der Lampe zu erl?schen drohten, und von draussen auf einmal ein w?tendes Wimmern und Toben des Hundes laut wurde.--"Du liebst mich nicht, nein, nein!" rief sie wie ausser sich. "Kannst du lieber in den Tod wollen, als in meine Arme? Kannst du nach sieben Jahren kommen, um Abschied zu nehmen? Kannst du so ruhig von deinem Tode sprechen, als w?re er nicht auch meiner? So w?re mir besser, diese Augen w?ren erblindet, eh' sie dich wieder sahen, und diese Ohren taub geworden, ehe sie die grausame Stimme h?ren mussten, durch die ich lebe und sterbe. Warum hat der Hund dich nicht zerrissen, ehe ich wusste, dass du gekommen bist, mein Herz zu zerreissen? Warum ist dein Fuss nicht an den Abgr?nden ausgeglitten? Wehe, wehe! Siehe meinen Jammer, Madonna!"
Sie st?rzte nieder vor dem Bilde, lag mit der Stirn gegen den Boden, die H?nde weit von sich gestreckt, und schien zu beten. Der Mann h?rte den L?rm des Hundes, dazwischen das Murmeln und St?hnen des ungl?cklichen M?dchens, w?hrend der Mond nun schon Macht gewann und das Gemach durchleuchtete. Ehe er aber noch sich fassen und ein Wort aussprechen konnte, f?hlte er schon wieder ihre Arme an seinem Nacken, ihren Mund an seinem Halse und heisse Tr?nen ?ber sein Gesicht fliessen. "Geh nicht in den Tod, Filippo!" schluchzte die Arme. "Wenn du bei mir bleibst, wer will dich finden? Lass sie reden, was sie wollen, das M?rdergesindel, die heimt?ckischen Elenden, schlimmer als die W?lfe des Apennin.--Ja", sagte sie und sah durch Tr?nen strahlend zu ihm auf, "du bleibst, die Madonna hat dich mir geschenkt, damit ich dich retten sollte. Filippo, ich weiss nicht, was f?r b?se Worte ich gesprochen, aber dass sie b?se waren, empfand ich an dem eisigen Krampf hier am Herzen, der sie mir entrissen. Vergib mir das. Es bringt in die H?lle, zu denken, dass die Liebe vergessen und die Treue zertreten werden kann. Wir wollen uns nun hersetzen und das alles beraten. Willst du ein neues Haus haben? Wir bauen eins. Andere Leute? Wir schicken alle fort, auch die Nina, auch der Hund soll fort. Und wenn du meinst, dass sie dich dann verraten--so wollen wir selber fort, noch heut, jetzt, ich weiss alle Wege, und ehe die Sonne kommt, sind wir tief in den Schluchten nach Norden zu und wandern, wandern bis Genua, bis Venedig, wohin du willst."
"Halt!" sagte er strenge. "Es ist genug der Torheit. Du kannst mein Weib nicht werden, Fenice. Wenn es morgen nicht ist, dass sie mich umbringen, so ist es nicht lange, denn ich weiss, wie ich ihnen im Wege bin." Er zog sanft, aber entschlossen seinen Hals aus ihren Armen.
"Siehe Kind", fuhr er fort, "das ist nun ungl?cklich genug und wir brauchen es uns nicht noch schwerer zu machen durch Unvernunft. Vielleicht, wenn du sp?ter einmal von meinem Tode h?rst, wirst du einen Mann und sch?ne Kinder ansehen und dich segnen, dass der Tote in dieser Nacht mehr Vernunft hatte, als du, wenn es auch in jener ersten umgekehrt war. Lass mich nun schlafen gehn, geh du auch und schaffe, dass wir uns morgen nicht wiedersehn. Du hast einen guten Ruf, wie ich unterwegs von meinen Contrabbandieri erfuhr. Wenn wir uns etwa umhalsten, morgen, und du machtest ein Schauspiel--nicht wahr, Kind? Und nun--gute Nacht, gute Nacht, Fenice!"
Da bot er ihr noch einmal herzlich die Hand. Aber sie nahm sie nicht. Sie sah ganz bleich aus im Mondschein, die Brauen und niedergeschlagenen Wimpern um so finsterer. "Hab ich nicht genug geb?sst", sprach sie halblaut, "dass ich vor sieben Jahren eine Nacht lang zu viel Vernunft hatte? Und nun will er, dass diese tausendmal verw?nschte Vernunft mich wieder elend machen soll, und diesmal eine Ewigkeit lang? Nein, nein, nein! Ich lasse ihn nicht mehr aus den H?nden--ich m?sste mich vor allen Menschen sch?men, wenn er ginge und st?rbe."
"H?rst du nicht, dass es mein Wille ist?" unterbrach er sie mit Heftigkeit, "dass ich jetzt schlafen will, M?dchen, und allein? Was redest du irre und machst dich kr?nker? Wenn du nicht f?hlst, dass meine Ehre mich von dir reisst, so h?ttest du nie f?r mich getaugt. Ich bin keine Puppe auf deinem Schoss, zum H?tscheln und Possentreiben. Ich habe meine Wege vor mir gezeichnet, und sie sind zu enge f?r zwei. Zeige mir das Fell, auf dem ich die Nacht zubringen soll, und dann--lass uns einander vergessen!"
"Und wenn du mich mit Schl?gen von dir triebest, ich ginge nicht! Wenn sich der Tod zwischen uns stellte, ich jagte dich ihm ab mit diesen guten Armen. Auf Tod und Leben--du bist mein, Filippo!"
"Still!" rief er ?berlaut. Die R?te stieg ihm j?hlings in die Stirn, indem er mit beiden Armen die heftige Gestalt von sich dr?ngte. "Still! Und nun ist's aus f?r heut und immer. Bin ich ein Ding, das an sich reissen kann, wer will, und wem es in die Augen sticht? Ein Mensch bin ich, und wer mich haben soll, dem muss ich mich geschenkt haben. Du hast sieben Jahre nach mir geseufzt--hast du darum ein Recht, mich im achten ehrlos vor mir selbst zu machen? Wenn du mich bestechen willst, so war das Mittel schlecht gew?hlt. Vor sieben Jahren liebt' ich dich, weil du anders warst als heut. W?rst du mir damals an den Hals geflogen und h?ttest mein Herz mir abtrotzen wollen, ich h?tte Trotz gegen Trotz gesetzt, wie heut. Nun ist alles aus zwischen uns und ich weiss, dass das Mitleid, das mich vorhin anwandelte, nicht Liebe war. Zum letztenmal, wo ist die Kammer?"
Das hatte er hart und schneidend gesagt, und wie er nun schwieg, schien ihm der Ton der eignen Stimme weh zu tun. Doch f?gte er kein Wort hinzu, sich im stillen verwundernd, dass sie es ruhiger hinnahm, als er selber gef?rchtet hatte. Er h?tte nun gern einen st?rmischen Ausbruch ihres Schmerzes mit g?tigeren Worten beschwichtigt. Sie ging aber kalt an ihm vorbei, ?ffnete eine schwere Holzt?r nicht weit vom Herde, deutete stumm auf die Eisenriegel an derselben und trat dann an den Herd zur?ck.
Er schritt denn auch hinein und riegelte hinter sich zu. Doch blieb er eine Zeitlang dicht neben der T?r stehen, um zu horchen, was sie beginne. Es wurde keine Bewegung im Gemache laut, und im ganzen Hause h?rte man nichts als die Unruhe des Hundes, das Scharren des Pferdes im Stall und das Singen des Windes, der draussen die letzten Nebelstreifen verwehte. Denn der Mond war in aller Pracht am Himmel, und die Kammer hell, nachdem Filippo einen grossen B?schel Heidekraut aus dem Mauerloch gezogen hatte, das als Fenster diente. Er sah nun, dass er offenbar in Fenicens Kammer war. Da stand ihr schmales, sauberes Bett an der Wand, eine Lade unverschlossen daneben, ein Tischchen, eine kleine Holzbank, die W?nde waren mit Bildern behangen, Heiligen und Madonnen, ein Weihkesselchen unter dem Kruzifix neben der T?r.
Er setzte sich jetzt auf das harte Bett und f?hlte, wie es in ihm st?rmte. Ein paarmal hob er schon den Fuss, um wieder hinauszueilen und ihr zu sagen, dass er ihr nur weh getan habe, um sie zu heilen. Dann stampfte er gegen den Boden, unmutig ?ber seine weichherzige Regung. "Es ist das einzige, was bleibt", sprach er f?r sich, "wenn Schuld und Fluch nicht noch wachsen sollen. Sieben Jahre, armes Kind! "--Ein starker Kamm, mit kleinen Metallst?ckchen verziert, lag auf dem Tischchen, den nahm er mechanisch in die Hand. Das volle Haar kam ihm dabei wieder in den Sinn, der stolze Nacken, auf dem es lag, die edle Stirn, um die es sich ringelte, und die br?unliche Wange. Er warf endlich den Versucher in die Lade, worin er saubere R?cke, Kopft?cher und allerlei kleine Schmuckst?cke ordentlich zusammen verwahrt sah. Langsam liess er den Deckel wieder fallen, und ging nun an die Mauerl?cke und sah hinaus.
Die Kammer lag an der hintern Seite des Hauses und keine der andern H?tten von Treppi wehrte ihm die Aussicht ?ber das zerkl?ftete Hochland. Gegen?ber, hinter der Schlucht aufsteigend, der nackte Felsr?cken, vom Monde angeschienen, der jetzt ?ber dem Hause stehen musste. Seitw?rts sah er einige Schuppen, an denen der Weg vor?ber in die Tiefe f?hrte. Eine verlorene kleine Fichte mit kahlen Zweigen wurzelte zwischen dem Gestein, sonst bedeckte den Boden nur Heidekraut und hie und da ein k?mmerlicher Busch.--"Hier ist freilich kein Ort", sagte er im stillen, "zu vergessen, was man geliebt hat.--Ich wollte, es w?re anders! Ja ja, sie w?re am Ende die rechte Frau f?r mich gewesen, die mich mehr geliebt h?tte, als Putz und Spazierengehen und das Gefl?ster der Stutzer. Was f?r Augen mein alter Marco machen w?rde, wenn ich pl?tzlich mit einer sch?nen Frau von der Reise zur?ckk?me! Man brauchte nicht einmal die Wohnung zu ?ndern, die vielen ?den Winkel waren ohnehin unheimlich. Und mir altem Gr?mler w?rde es zuweilen gut sein, ein lachendes Kind--aber Torheit, Torheit, Filippo! Was soll das arme Ding als Witwe in Bologna! Nein, nein! nichts davon! Keine neue S?nde auf die alte h?ufen! Ich will eine Stunde fr?her die Leute wecken und mich fortstehlen, ehe ein Mensch in Treppi wacht."
Eben wollte er das Fenster verlassen, und die vom langen Ritt erm?deten Glieder aufs Lager strecken, als er eine weibliche Gestalt aus dem Schatten des Hauses in den Mondschein vortreten sah. Sie blickte nicht um, aber es blieb ihm kein Zweifel, dass es Fenice war. Sie entfernte sich vom Hause auf dem Wege, der in die Schlucht hinunterf?hrte, mit ruhigen grossen Schritten. Ein Schauder ?berlief ihm die Haut, denn im selben Augenblick fuhr ihm der Gedanke in den Kopf: sie will sich ein Leid antun. Ohne Besinnung sprang er nach der T?r und zerrte gewaltsam an dem Riegel. Aber das alte rostige Eisen hatte sich so eigensinnig in die Klammer vertieft, dass er vergebens alle Kraft aufbot. Ein kalter Schweiss trat ihm vor die Stirn, er schrie, r?ttelte und stiess mit F?usten und F?ssen gegen die T?r und bezwang sie nicht. Endlich liess er ab und st?rzte wieder an die Fensterl?cke. Schon gab der eine Stein seinem W?ten nach, da pl?tzlich sah er die Gestalt des M?dchens wieder auftauchen auf dem Wege und sich der H?tte zuwenden. Sie trug etwas in der Hand, das er bei dem unsichern Licht nicht erkennen konnte, nur ihr Gesicht sah er deutlich, das war ernsthaft und gedankenvoll, aber ohne Leidenschaft. Keinen Blick warf sie auf sein Fenster und verschwand wieder im Schatten.
Noch stand er und atmete tief nach der Angst und Anstrengung, da vernahm er grossen L?rm, der von dem alten Hunde herzur?hren schien, doch kein Bellen oder Winseln. Das R?tsel beklemmte ihn immer unheimlicher; er bog den Kopf weit zu der ?ffnung hinaus, konnte aber nichts sehen als die regungslose Nacht im Gebirge. Auf einmal erscholl ein kurzes scharfes Heulen, darauf ein tiefersch?tterndes St?hnen des Hundes und dann, solange und ?ngstlich er hinhorchte, kein Laut mehr die ganze Nacht, als dass noch einmal die T?r des Gemachs nebenan klappte und Fenices Schritte ?ber den Steinboden sich vernehmen liessen. Umsonst stand er lange an der verriegelten T?r, horchte erst, bat und fragte dann und beschwor das M?dchen nur um ein kurzes Wort--es blieb still nebenan. Er warf sich nun auf das Bett, wie im Fieber und lag wachend und sinnend, bis endlich eine Stunde nach Mitternacht der Mond unterging, und die Erm?dung ?ber seine tausend wogenden Gedanken Herr wurde.
Eine D?mmerung war um Filippo, als ihn der Schlaf verliess; doch als er seine Sinne v?llig ermuntert und sich vom Bett aufgerichtet hatte, ward er wohl inne, dass es nicht ein Zwielicht wie vor Sonnenaufgang war. Von einer Seite her traf ihn ein schwacher Sonnenstrahl und bald sah er, dass die Mauerl?cke, die er vor dem Einschlafen offengelassen, dennoch fest mit Gestr?pp verstopft worden war. Er stiess es hinaus, und die volle Morgensonne blendete ihn. Im h?chsten Zorn auf die Contrabbandieri, seinen Schlaf und vor allem auf das M?dchen, dem er diese Hinterlist zuschreiben musste, ging er augenblicklich nach der T?r, deren Riegel jetzt einem besonnenen Druck leicht nachgab, und trat in das Nebengemach.
Er traf Fenice allein, gelassen am Herde sitzend, als habe sie ihn l?ngst erwartet. Aus ihrem Gesicht war jede Spur der gestrigen St?rme verschwunden, ja sogar keine Regung der Trauer und kein Zug einer gewaltsamen Fassung begegnete seinem finstern Auge.
"Du hast es veranstaltet, dass ich die Stunde verschlafen musste", herrschte er sie an.
"Ja", sagte sie gleichg?ltig. "Ihr waret m?de. Ihr kommt immer noch fr?h genug nach Pistoja, wenn Ihr am Nachmittag erst den M?rdern begegnen m?sst."
"Ich hatte dich nicht geheissen, um meine M?digkeit besorgt zu sein. Dr?ngst du dich noch immer an mich an? Es soll dir nichts helfen, M?dchen. Wo sind meine Leute?"
"Fort."
"Fort? willst du mich narren? Wo sind sie? T?rin, als ob sie fortgingen, ehe ich sie bezahlt habe!" Und er schritt rasch auf die T?r zu, um hinauszugehn.
Fenice blieb unbeweglich sitzen und sagte in demselben harmlosen Ton: "Ich habe sie bezahlt. Ich sagte ihnen, dass Ihr Schlaf brauchtet und dann, dass ich selbst Euch hinunterbegleiten w?rde; denn der Weinvorrat ist zu Ende und ich muss neuen kaufen, eine Stunde vor Pistoja."
Der Zorn verwehrte ihm einen Augenblick zu sprechen. "Nein", brach er endlich heraus, "mit dir nicht, mit dir nimmermehr! Heimt?ckische Schlange! Es ist l?cherlich, dass du noch immer denkst, mit deinen glatten Windungen mich umstricken zu k?nnen. Nun sind wir v?lliger geschieden als je. Ich verachte dich, dass du mich f?r bl?de und armselig genug h?ltst, mit diesen kleinen K?nsten es mir abgewinnen zu k?nnen. Mit dir geh ich nicht! Gib mir einen deiner Knechte mit und da--mache dich bezahlt f?r deine Auslagen an die Contrabbandieri."
Er warf ihr eine B?rse hin und ?ffnete die T?r, selbst jemand zu suchen, der ihn hinunterf?hrte. "Macht Euch keine M?he", sagte sie, "Ihr findet von den Knechten keinen, sie sind alle in die Berge. Auch sonst ist in Treppi niemand, der Euch dienen k?nnte. Arme gebrechliche M?tterchen, Greise und Kinder, die noch geh?tet werden. Wenn Ihr mir nicht glaubt--seht nach!"
"Und ?berhaupt", fuhr sie fort, als er unentschlossen in Grimm und ?rger auf der Schwelle stand und ihr den R?cken zugekehrt hatte, "warum d?nkt es Euch so unm?glich und gef?hrlich, wenn ich Euch f?hre? Ich habe die Nacht Tr?ume gehabt, aus denen ich sehe, dass Ihr nicht f?r mich seid. Es ist wahr, ich habe Euch noch immer ein wenig gern und es wird mir Freude machen, noch ein paar Stunden mit Euch zu plaudern. Muss ich Euch darum nachstellen? Ihr seid frei, von mir zu gehn auf immer, wohin Ihr wollt, in den Tod oder ins Leben. Nur, dass ich es so eingerichtet habe, dass ich noch eine Strecke neben Euch hergehe. Ich will Euch zuschw?ren, wenn Euch das beruhigen kann, dass es nur eine Strecke sein wird, beileibe nicht bis Pistoja. Nur so lange, bis Ihr den rechten Weg habt. Denn wenn Ihr auf Eure eigne Hand fortginget, verstieget Ihr Euch bald, dass Ihr weder vor noch zur?ck k?nntet. Ihr m?sst das ja noch wissen von Eurer ersten Reise durch die Berge."
"Pest!" murmelte er und biss sich die Lippen. Er sah indes, wie die Sonne stieg, und alles wohl erwogen,--was hatte er im Grunde Ernstliches zu besorgen? Das Ernstlichste wollte er sich nicht gestehen. Er wandte sich zu ihr um und glaubte von dem gleichm?tigen Blick ihrer grossen Augen Zeugnis annehmen zu d?rfen, dass keinerlei Falsch hinter ihren Worten sei. Sie schien ihm wirklich seit gestern eine ganz andere geworden zu sein, und fast mischte sich ein Gef?hl von Unzufriedenheit in sein Staunen, da er sich sagen musste, dass der gestrige Anfall von schmerzlicher Leidenschaft so bald und spurlos vor?bergegangen sei. Er sah sie l?nger an, aber sie gab schlechterdings zu keinem Argwohn Anlass.
"Wenn du denn so vern?nftig geworden bist", sagte er jetzt trocken, "so mag es sein, so komm!"
Ohne eine sonderliche ?usserung der Freude stand sie auf und sagte: "Wir wollen erst essen; auf Stunden finden wir nichts." Sie stellte ihm eine Sch?ssel hin und einen Krug und ass dann selbst, am Herde stehend, aber von dem Wein genoss sie keinen Tropfen. Er dagegen, um es abzumachen, ass einige L?ffel voll, st?rzte den Wein hinunter und z?ndete an den Kohlen des Herdes seine Zigarre an. W?hrenddessen hatte er ihr keinen Blick geg?nnt und als er nun zuf?llig, da er ihr nahe stand, sie ansah, war eine wunderliche R?te auf ihren Wangen und etwas wie Triumph in den Augen. Sie stand rasch auf, ergriff den Krug und zerschellte ihn mit einem Wurf gegen den Steinboden. "Es soll keiner mehr daraus trinken", sagte sie, "seit Eure Lippen daran gehangen!"
Betroffen fuhr er auf, ein Argwohn stand eine Sekunde lang vor seinem Geist: "Ob sie dir Gift gegeben?" dann zog er es vor zu glauben, dass es noch ein Rest des verliebten G?tzendienstes sei, den sie abgeschworen, und ohne weitere Worte ging er ihr nach zum Hause hinaus.
"Das Pferd haben sie wieder nach Porretta mitgenommen", sagte sie draussen zu ihm, als er es mit den Augen zu suchen schien. "Ihr h?ttet auch nicht hinabreiten k?nnen ohne Gefahr. Die Wege sind steiler als gestern."
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