Read Ebook: Die Erziehung des Menschengeschlechts by Lessing Gotthold Ephraim
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Ebook has 211 lines and 8983 words, and 5 pages
W?hrend dass Gott sein erw?hltes Volk durch alle Staffeln einer kindischen Erziehung f?hrte: waren die andern V?lker des Erdbodens bey dem Lichte der Vernunft ihren Weg fortgegangen. Die meisten derselben waren weit hinter dem erw?hlten Volke zur?ckgeblieben: nur einige waren ihm zuvorgekommen. Und auch das geschieht bey Kindern, die man f?r sich aufwachsen l?sst; viele bleiben ganz roh; einige bilden sich zum Erstaunen selbst.
?. 21.
Wie aber diese gl?cklichern Einige nichts gegen den Nutzen und die Nothwendigkeit der Erziehung beweisen: so beweisen die wenigen heidnischen V?lker, die selbst in der Erkenntniss Gottes vor dem erw?hlten Volke noch bis itzt einen Vorsprung zu haben schienen, nichts gegen die Offenbarung. Das Kind der Erziehung f?ngt mit langsamen aber sichern Schritten an; es hohlt manches gl?cklicher organisirte Kind der Natur sp?t ein; aber es hohlt es doch ein, und ist alsdann nie wieder von ihm einzuholen.
?. 22.
Auf gleiche Weise. Dass,--die Lehre von der Einheit Gottes bey Seite gesetzt, welche in den B?chern des Alten Testaments sich findet, und sich nicht findet--dass, sage ich, wenigstens die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, und die damit verbundene Lehre von Strafe und Belohnung in einem k?nftigen Leben, darum v?llig fremd sind: beweiset eben so wenig wider den g?ttlichen Ursprung dieser B?cher. Es kann dem ohngeachtet mit allen darinn enthaltenen Wundern und Prophezeyungen seine gute Richtigkeit haben. Denn lasst uns setzen, jene Lehren w?rden nicht allein darinn vermisst, jene Lehren w?ren auch sogar nicht einmal wahr, lasst uns setzen, es w?re wirklich f?r die Menschen in diesem Leben alles aus: w?re darum das Daseyn Gottes minder erwiesen? st?nde es darum Gotte minder frey, w?rde es darum Gotte minder ziemen, sich der zeitlichen Schicksale irgend eines Volks aus diesem verg?nglichen Geschlechte unmittelbar anzunehmen? Die Wunder, die er f?r die Juden that, die Prophezeyungen, die er durch sie aufzeichnen liess, waren ja nicht blos f?r die wenigen sterblichen Juden, zu deren Zeiten sie geschahen und aufgezeichnet wurden: er hatte seine Absichten damit auf das ganze j?dische Volk, auf das ganze Menschengeschlecht, die hier auf Erden vielleicht ewig dauern sollen, wenn schon jeder einzelne Jude, jeder einzelne Mensch auf immer dahin stirbt.
?. 23.
Noch einmal. Der Mangel jener Lehren in den Schriften des Alten Testaments beweiset wider ihre G?ttlichkeit nichts. Moses war doch von Gott gesandt, obschon die Sanktion seines Gesetzes sich nur auf dieses Leben erstreckte. Denn warum weiter? Er war ja nur an das Israelitische Volk, an das damalige Israelitische Volk gesandt: und sein Auftrag war den Kenntnissen, den F?higkeiten, den Neigungen dieses damaligen israelitischen Volks, so wie der Bestimmung des k?nftigen, vollkommen angemessen. Das ist genug.
?. 24.
So weit h?tte Warburton auch nur gehen m?ssen, und nicht weiter. Aber der gelehrte Mann ?berspannte den Bogen. Nicht zufrieden, dass der Mangel jener Lehren der g?ttlichen Sendung Mosis nichts schade: er sollte ihm die g?ttliche Sendung Mosis sogar beweisen. Und wenn er diesen Beweis noch aus der Schicklichkeit eines solchen Gesetzes f?r ein solches Volk zu f?hren gesucht h?tte! Aber er nahm seine Zuflucht zu einem von Mose bis auf Christum ununterbrochen fortdaurenden Wunder, nach welchem Gott einen jeden einzeln Juden gerade so gl?cklich oder ungl?cklich gemacht habe, als es dessen Gehorsam oder Ungehorsam gegen das Gesetz verdiente. Dieses Wunder habe den Mangel jener Lehren, ohne welche kein Staat bestehen k?nne, ersetzt; und eine solche Ersetzung eben beweise, was jener Mangel, auf den ersten Anblick, zu verneinen scheine.
?. 25.
Wie gut war es, dass Warburton dieses anhaltende Wunder, in welches er das Wesentliche der Israelitischen Theokratie setzte, durch nichts erh?rten, durch nichts wahrscheinlich machen konnte. Denn h?tte er das gekonnt; wahrlich--alsdenn erst h?tte er die Schwierigkeit unaufl?slich gemacht.--Mir wenigstens.--Denn was die G?ttlichkeit der Sendung Mosis wieder herstellen sollte, w?rde an der Sache selbst zweifelhaft gemacht haben, die Gott zwar damals nicht mittheilen, aber doch gewiss auch nicht erschweren wollte.
?. 26.
Ich erkl?re mich an dem Gegenbilde der Offenbarung. Ein Elementarbuch f?r Kinder, darf gar wohl dieses oder jenes wichtige St?ck der Wissenschaft oder Kunst, die es vortr?gt, mit Stillschweigen ?bergehen, von dem der P?dagog urtheilte, dass es den F?higkeiten der Kinder, f?r die er schrieb, noch nicht angemessen sey. Aber es darf schlechterdings nichts enthalten, was den Kindern den Weg zu den zur?ckbehaltnen wichtigen St?cken versperre oder verlege. Vielmehr m?ssen ihnen alle Zug?nge zu denselben sorgf?ltig offen gelassen werden: und sie nur von einem einzigen dieser Zug?nge ableiten, oder verursachen, dass sie denselben sp?ter betreten, w?rde allein die Unvollst?ndigkeit des Elementarbuchs zu einem wesentlichen Fehler desselben machen.
? 27.
Also auch konnten in den Schriften des Alten Testaments, in diesen Elementarb?chern f?r das rohe und im Denken unge?bte Israelitische Volk, die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und k?nftigen Vergeltung gar wohl mangeln: aber enthalten durften sie schlechterdings nichts, was das Volk, f?r das sie geschrieben waren, auf dem Wege zu dieser grossen Wahrheit auch nur versp?tet h?tte. Und was h?tte es, wenig zu sagen, mehr dahin versp?tet, als wenn jene wunderbare Vergeltung in diesem Leben darinn w?re versprochen, und von dem w?re versprochen worden, der nichts verspricht, was er nicht h?lt?
?. 28.
Denn wenn schon aus der ungleichen Austheilung der G?ter dieses Lebens, bey der auf Tugend und Laster so wenig R?cksicht genommen zu seyn scheinet, eben nicht der strengste Beweis f?r die Unsterblichkeit der Seele und f?r ein anders Leben, in welchem jener Knoten sich aufl?se, zu f?hren: so ist doch wohl gewiss, dass der menschliche Verstand ohne jenem Knoten noch lange nicht--und vielleicht auch nie--auf bessere und strengere Beweise gekommen w?re. Denn was sollte ihn antreiben k?nnen, diese bessern Beweise zu suchen? Die blosse Neugierde?
?. 29.
Der und jener Israelite mochte freylich wohl die g?ttlichen Versprechungen und Androhungen, die sich auf den gesammten Staat bezogen, auf jedes einzelne Glied desselben erstrecken, und in dem festen Glauben stehen, dass wer fromm sey auch gl?cklich seyn m?sse, und wer ungl?cklich sey, oder werde, die Strafe seiner Missethat trage, welche sich sofort wieder in Segen verkehre, sobald er von seiner Missethat ablasse.--Ein solcher scheinet den Hiob geschrieben zu haben; denn der Plan desselben ist ganz in diesem Geiste.--
?. 30.
Aber unm?glich durfte die t?gliche Erfahrung diesen Glauben best?rken: oder es war auf immer bey dem Volke, das diese Erfahrung hatte, auf immer um die Erkennung und Aufnahme der ihm noch ungel?ufigen Wahrheit geschehen. Denn wenn der Fromme schlechterdings gl?cklich war, und es zu seinem Gl?cke doch wohl auch mit geh?rte, dass seine Zufriedenheit keine schrecklichen Gedanken des Todes unterbrachen, dass er alt und lebenssatt starb: wie konnte er sich nach einem andern Leben sehnen? wie konnte er ?ber etwas nachdenken, wornach er sich nicht sehnte? Wenn aber der Fromme dar?ber nicht nachdachte: wer sollte es denn? Der B?sewicht? der die Strafe seiner Missethat f?hlte, und wenn er dieses Leben verw?nschte, so gern auf jedes andere Leben Verzicht that?
?. 31.
Weit weniger verschlug es, dass der und jener Israelite die Unsterblichkeit der Seele und k?nftige Vergeltung, weil sich das Gesetz nicht darauf bezog, gerade zu und ausdr?cklich leugnete. Das Leugnen eines Einzeln--w?re es auch ein Salomo gewesen,--hielt den Fortgang des gemeinen Verstandes nicht auf, und war an und f?r sich selbst schon ein Beweis, dass das Volk nun einen grossen Schritt der Wahrheit n?her gekommen war. Denn Einzelne leugnen nur, was Mehrere in Ueberlegung ziehen; und in Ueberlegung ziehen, warum man sich vorher ganz und gar nicht bek?mmerte, ist der halbe Weg zur Erkenntniss.
?. 32.
Lasst uns auch bekennen, dass es ein heroischer Gehorsam ist, die Gesetze Gottes beobachten, blos weil es Gottes Gesetze sind, und nicht, weil er die Beobachter derselben hier und dort zu belohnen verheissen hat; sie beobachten, ob man schon an der k?nftigen Belohnung ganz verzweifelt, und der zeitlichen auch nicht so ganz gewiss ist.
?. 33.
Ein Volk, in diesem heroischen Gehorsame gegen Gott erzogen, sollte es nicht bestimmt, sollte es nicht vor allen andern f?hig seyn, ganz besondere g?ttliche Absichten auszuf?hren?--Lasst den Soldaten, der seinem F?hrer blinden Gehorsam leistet, nun auch von der Klugheit seines F?hrers ?berzeugt werden, und sagt, was dieser F?hrer mit ihm auszuf?hren sich nicht unterstehen darf?--
?. 34.
Noch hatte das j?dische Volk in seinem Jehova mehr den M?chtigsten, als den Weisesten aller G?tter verehrt; noch hatte es ihn als einen eifrigen Gott mehr gef?rchtet, als geliebt: auch dieses zum Beweise, dass die Begriffe, die es von seinem h?chsten einigen Gott hatte, nicht eben die rechten Begriffe waren, die wir von Gott haben m?ssen. Doch nun war die Zeit da, dass diese seine Begriffe erweitert, veredelt, berichtiget werden sollten, wozu sich Gott eines ganz nat?rlichen Mittels bediente; eines bessern richtigern Maassstabes, nach welchem es ihn zu sch?tzen Gelegenheit bekam.
?. 35.
Anstatt dass es ihn bisher nur gegen die armseligen G?tzen der kleinen benachbarten rohen V?lkerschaften gesch?tzt hatte, mit welchen es in best?ndiger Eifersucht lebte: fing es in der Gefangenschaft unter dem weisen Perser an, ihn gegen das Wesen aller Wesen zu messen, wie das eine ge?btere Vernunft erkannte und verehrte.
?. 36.
Die Offenbarung hatte seine Vernunft geleitet, und nun erhellte die Vernunft auf einmal seine Offenbarung.
?. 37.
Das war der erste wechselseitige Dienst, den beyde einander leisteten; und dem Urheber beyder ist ein solcher gegenseitiger Einfluss so wenig unanst?ndig, dass ohne ihm eines von beyden ?berfl?ssig seyn w?rde.
?. 38.
Das in die Fremde geschickte Kind sahe andere Kinder, die mehr wussten; die anst?ndiger lebten, und fragte sich besch?mt: warum weiss ich das nicht auch? warum lebe ich nicht auch so? H?tte in meines Vaters Hause man mir das nicht auch beibringen; dazu mich nicht auch anhalten sollen? Da sucht es seine Elementarb?cher wieder vor, die ihm l?ngst zum Ekel geworden, um die Schuld auf die Elementarb?cher zu schieben. Aber siehe! es erkennet, dass die Schuld nicht an den B?chern liege, dass die Schuld ledig sein eigen sey, warum es nicht l?ngst eben das wisse, eben so lebe.
?. 39.
Da die Juden nunmehr, auf Veranlassung der reinern Persischen Lehre, in ihrem Jehova nicht blos den gr?ssten aller Nationalg?tter, sondern Gott erkannten; da sie ihn als solchen in ihren wieder hervorgesuchten heiligen Schriften um so eher finden und andern zeigen konnten, als er wirklich darinn war; da sie vor allen sinnlichen Vorstellungen desselben einen eben so grossen Abscheu bezeugten, oder doch in diesen Schriften zu haben angewiesen wurden, als die Perser nur immer hatten: was Wunder, dass sie vor den Augen des Cyrus mit einem Gottesdienste Gnade fanden, den er zwar noch weit unter dem reinen Sabeismus, aber doch auch weit ?ber die groben Abg?ttereyen zu seyn erkannte, die sich daf?r des verlassnen Landes der Juden bem?chtiget hatten?
?. 40.
So erleuchtet ?ber ihre eignen unerkannten Sch?tze kamen sie zur?ck, und wurden ein ganz andres Volk, dessen erste Sorge es war, diese Erleuchtung unter sich dauerhaft zu machen. Bald war an Abfall und Abg?tterey unter ihm nicht mehr zu denken. Denn man kann einem Nationalgott wohl untreu werden, aber nie Gott, so bald man ihn einmal erkannt hat.
?. 41.
Die Gottesgelehrten haben diese g?nzliche Ver?nderung des j?dischen Volks verschiedentlich zu erkl?ren gesucht; und Einer, der die Unzul?nglichkeit aller dieser verschiednen Erkl?rungen sehr wohl gezeigt hat, wollte endlich "die augenscheinliche Erf?llung der ?ber die Babylonische Gefangenschaft und die Wiederherstellung aus derselben ausgesprochnen und aufgeschriebnen Weissagungen," f?r die wahre Ursache derselben angeben. Aber auch diese Ursache kann nur in so fern die wahre seyn, als sie die nun erst vereitelten Begriffe von Gott voraus setzt. Die Juden mussten nun erst erkannt haben, dass Wunderthun und das K?nftige vorhersagen, nur Gott zukomme; welches beydes sie sonst auch den falschen G?tzen beygeleget hatten, wodurch eben Wunder und Weissagungen bisher nur einen so schwachen, verg?nglichen Eindruck auf sie gemacht hatten.
?. 42.
Ohne Zweifel waren die Juden unter den Chald?ern und Persern auch mit der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele bekannter geworden. Vertrauter mit ihr wurden sie in den Schulen der Griechischen Philosophen in Aegypten.
?. 43.
Doch da es mit dieser Lehre, in Ansehung ihrer heiligen Schriften, die Bewandniss nicht hatte, die es mit der Lehre von der Einheit und den Eigenschaften Gottes gehabt hatte; da jene von dem sinnlichen Volke darum war gr?blich ?bersehen worden, diese aber gesucht seyn wollte; da auf diese noch Vor?bungen n?thig gewesen waren, und also nur Anspielungen und Fingerzeige Statt gehabt hatten: so konnte der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele nat?rlicher Weise nie der Glaube des gesammten Volks werden. Er war und blieb nur der Glaube einer gewissen Sekte desselben.
?. 44.
Eine Vor?bung auf die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, nenne ich z. E. die g?ttliche Androhung, die Missethat des Vaters an seinen Kindern bis ins dritte und vierte Glied zu strafen. Diess gew?hnte die V?ter in Gedanken mit ihren sp?testen Nachkommen zu leben, und das Ungl?ck, welches sie ?ber diese Unschuldige gebracht hatten, voraus zu f?hlen.
?. 45.
Eine Anspielung nenne ich, was blos die Neugierde reizen und eine Frage veranlassen sollte. Als die oft vorkommende Redensart, zu seinen V?tern versammlet werden, f?r sterben.
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