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Read Ebook: Der Schuß von der Kanzel by Meyer Conrad Ferdinand

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Ebook has 362 lines and 17389 words, and 8 pages

Der Krachhalder schlurfte bed?chtig aus dem vor ihm stehenden Glase, dann sprach er: "Ihr seid kein kirchlicher Mann, aber Ihr seid ein gemeinn?tziger Mann. Erfahret: Die Gemeinde erwartet etwas von Euch."

"Und was erwartet die Gemeinde von mir?" fragte der General neugierig.

"Wollt Ihr es wissen? Und werdet Ihr es nicht z?rnen?"

"Durchaus nicht."

Der Krachhalder machte eine zweite Pause. "Vielleicht ist Euch eine andere Stunde gelegener", sagte er.

"Es gibt keine andere Stunde als die gegenw?rtige. Ben?tzt sie!"

"Ihr w?rdet Euch ein sch?nes Andenken stiften, Herr General, bei Kind und Kindeskind..."

"Ich untersch?tze den Nachruhm nicht", sagte der General.

Dem Krachhalder, der den wunderlichen Herrn so aufger?umt sah, schien der g?nstige Augenblick gekommen, dem lange gen?hrten Wunsche der Mythikoner in vorsichtigen Worten Gestalt zu geben.

"Euer Forst im Wolfgang, Herr Wertm?ller", begann er z?gernd. Der General verfinsterte sich pl?tzlich, und der alte Bauer sah es wie eine Donnerwolke aufsteigen, "st?sst seine Spitze..."

"Wohin st?sst er seine Spitze?" fragte Wertm?ller grimmig.

Der Krachhalder ?berlegte, ob er vor- oder r?ckw?rts wolle, ungef?hr wie ein mitten auf dem See vom Sturm ?berraschter. Er entschied sich f?r das Vorr?cken. "... mitten durch unsere Gemeindewaldung..."

Jetzt sprang der General mit einem Satze von seinem Sessel auf, fasste ihn an einem Bein, schwang ihn durch die L?fte und setzte sich in Fechtpositur.

"Wollen mich die Mythikoner pl?ndern?" schrie er w?tend, "bin ich unter die R?uber gefallen?" Dann fuhr er, seine h?lzerne Waffe senkend, gelassener fort: "Daraus wird nichts, Krachhalder. Redet das den Leuten aus. Ich will Euch nicht noch von jenseits des Grabes eine Nase drehen!"

"Nichts f?r ungut", versetzte der Alte mit Ruhe, "Ihr werdet es bedenken, Herr Wertm?ller."

Auch er hatte sich erhoben und nahm von dem Generale mit einem treuherzigen H?ndedruck den landes?blichen Abschied.

Wertm?ller geleitete ihn ein paar Schritte, dann wandte er sich, und vor ihm stand sein Leibmohr Hassan. Der Schwarze machte eine flehentliche Geb?rde und bat, das Deutsche wunderlich radbrechend, um einen Urlaub f?r morgen nachmittag; denn seine Seele zog ihn zu seinen neuen Freunden in Meilen.

"Bist du ganz des Teufels, Hassan!" schalt ihn der General. "Sie haben dir letzten Sonntag dr?ben arg genug mitgespielt."

"Mitgespielt!" wiederholte der Mohr, der das Wort missverstand. "Sch?n, wundervoll Spiel!"

"Hast du denn gar kein Ehrgef?hl? Die Ber?hrung mit der Zivilisation richtet dich zugrunde--du s?ufst wie ein Christ!"

"Nicht saufen, Gnaden! Sch?n Spiel, einzig Spiel! J-ass!" Er riss eine solche Grimasse und verdrehte die Augen mit so leidenschaftlicher Inbrunst, dass Pfannenstiel, der, wie oft die unschuldigen Menschen, viel Sinn f?r das Komische und ?berdies jetzt etwas gespannte Nerven hatte, in ein vernehmliches Gekicher ausbrach, welches er mit aller Gewalt nicht unterdr?cken konnte.

Seine Gegenwart verraten sehend, trat der Kandidat, da er nicht wie eine ?berraschte Dryade in die Eiche hineinschl?pfen konnte, versch?mt hinter derselben hervor und n?herte sich dem General mit wiederholten verlegenen B?cklingen.

"Was will denn Er hier?" fragte dieser gedehnt und mass ihn vom Wirbel bis zur Zehe: "Wer ist Er?"

"Ich bin der Vetter... des Vetters... vom Vetter..." stotterte der Angeredete.

Der General runzelte die Stirne.

"Mein Vater war ein Pfannenstiel und meine Mutter ist eine selige Kollenbutz..."

"Will Er mir seinen ganzen verfluchten Stammbaum explizieren? Was Vetter? Mein Bruder ist Er--alle Menschen sind Br?der! Scher Er sich zum Teufel!" und Wertm?ller wandte ihm den R?cken.

Pfannenstiel regte sich nicht. Der Empfang des Generals hatte ihn versteinert.

"Fannen-stiel--", buchstabierte der Schwarze das ihm noch unbekannte Wort, als wolle er seinen deutschen Sprachschatz bereichern.

"Pfannenstiel?" wiederholte auch der aufmerksam werdende General, "der Name ist mir bekannt--halt, Er ist doch nicht der Autor", und er kehrte sich dem J?ngling wieder zu, "der mir gestern seine Dissertation ?ber die Symbolik der Odyssee zugesendet hat?"

Pfannenstiel neigte bejahend das Haupt.

"Dann ist Er ja ein ganz liebensw?rdiger Mensch!" sagte Wertm?ller und ergriff ihn freundlich bei der Hand. "Wir m?ssen uns kennenlernen."

Viertes Kapitel

Er trat mit dem Gaste in die Veranda, dr?ckte ihn auf einen Sitz nieder, goss ihm eines der auf dem Schenktische stehenden Gl?ser voll und liess ihn sich erholen und erquicken.

"Der Empfang war milit?risch", tr?stete er ihn dann, "aber Ihr werdet im Soldaten keinen unebenen Hauswirt finden. Ihr n?chtigt heute auf der Au--ohne Widerrede!--Wir haben manches zu verhandeln.--Seht, Lieber, Eure Abhandlung hat mich ganz angenehm unterhalten", und Wertm?ller langte nach dem Buche, welches in einer Fensternische des die R?ckwand der Veranda bildenden Erdgeschosses lag und zwischen dessen Bl?tter er die zerlesene Dissertation des Kandidaten eingelegt hatte.

"Zuerst eine Vorfrage. Warum habt Ihr mir Euer Werk nur mit einer Zeile zugeschrieben, statt mir es coram populo auf dem ersten weissen Blatte mit aufrichtigen, grossen Druckbuchstaben zu dedizieren? Weil ich mit den Faffen, Euern Kollegen, gespannt bin, he? Ihr habt keinen Charakter, Pfannenstiel; ihr seid ein schwacher Mensch."

Der Kandidat entschuldigte sich, seine unbedeutende Arbeit habe den Namen des ber?hmten Feldherrn und Literaturkenners nicht vor sich her tragen d?rfen.

"Durchaus nicht unbedeutend", lobte Wertm?ller. "Ihr habt Phantasie und seid in die purpurnen Tiefen meines Lieblingsgedichtes untergetaucht, wie nicht leicht ein anderer. Freilich um etwas Absurdes zu beweisen. Aber es ist einmal nicht anders: wir Menschen verwenden unsere h?chsten Kr?fte zu albernen Resultaten. Dachtet Ihr daran, mich rechtzeitig zu Rate zu ziehen, ich gab Eurer Dissertation eine Wendung, die Euch selber, Eure f?ffischen Examinatoren, das ganze Publikum in Erstaunen gesetzt h?tte. Ihr habt es gef?hlt, Pfannenstiel, dass die zweite H?lfte der Odyssee von besonderer Sch?nheit und Gr?sse ist. Wie? Der Heimgekehrte wird als ein fahrender Bettler an seinem eigenen Herde misshandelt. Wie? Die Freier reden sich ein, er kehre niemals wieder, und ahnen doch seine Gegenwart. Sie lachen und ihre Gesichter verzerrt schon der Todeskampf--das ist Poesie.--Aber Ihr habt recht, Pfannenstiel, was n?tzt mir die Poesie, wenn nicht eine Moral dahintersteckt? Es ist eine Devise in das Zuckerwerk hineingebacken--zerbrechen wir es! Da der Odysseus nicht bloss den Odysseus bedeuten darf, wen oder was bedeutet er denn? Unsern Herrn und Heiland--so beweist Ihr und habt Ihr es drucken lassen--, wenn er kommt zu richten Lebendige und Tote. Nein, Kandidat, Odysseus bedeutet jede in Knechtesgestalt misshandelte Wahrheit mitten unter den ?berm?tigen Freiern, will sagen, Faffen, denen sie einst in sieghafter Gestalt das Herz durchbohren wird.

"He, Kandidat, wie gef?llt Euch das?--So h?ttet Ihr es wenden sollen, und seid gewiss, Eure Dissertation h?tte gerechtes Aufsehen erregt!"

Pfannenstiel erbebte bei dem Gedanken, dass sich seiner Symbolik diese gottesl?sterliche und verwegene Wendung h?tte geben lassen. Sein einfaches Wesen liess ihn den Pferdefuss des alten Sp?tters nicht oder doch nur in unbestimmten Umrissen erkennen.

Um sich der Verlegenheit zu entziehen, dem alten Freigeiste eine Antwort geben zu m?ssen, nahm der Kandidat den Pergamentband in die H?nde, mit welchem Wertm?ller w?hrend seiner Rede gestikuliert hatte. Es war die aldinische Ausgabe der Odyssee. Pfannenstiel betrachtete and?chtig das Titelblatt des seltenen Buches. Pl?tzlich fuhr er zur?ck wie vor einer z?ngelnden Natter. Er hatte auf dem freien Raume links neben dem Wappen des venezianischen Buchh?ndlers etwas verblichene, k?hnfliessende Federz?ge entdeckt, die folgende Zeilen bildeten:

Georgius Jenatius me jure possidet Constat R. 4. Kz. 12.

Er warf das Buch weg, als atme es einen Blutgeruch aus.

Damals moderte der fragw?rdige B?ndner schon seit Dezennien in der Domkirche von Chur, w?hrend sein Bild in zahmen und unpatriotischen Zeiten sich zu einem widerw?rtigen verzerrt hatte, so dass nur der Apostat und der Blutmensch ?brigblieb. Pfannenstiel betrachtete ihn einfach als ein Ungeheuer, an dessen Dagewesensein er kaum glauben, das er sich nicht realisieren konnte.

Der General weidete sich an seinem Schrecken, dann sagte er leichthin: "Der liebe Mann, Euer gewesener Kollege, hat mich damit beschenkt, wie wir noch auf gutem Fusse standen und ich ihn auf seinem Malepartus in Davos besuchte."

"Also hat er doch gelebt!" sprach der Kandidat halblaut vor sich hin, "er hat B?cher besessen, wie unsereiner, und ihren kostenden Preis auf das Titelblatt geschrieben."

"Ja wohl hat er gelebt, und recht pers?nlich und z?he", sagte der General mit kurzem Lachen. "Noch heute nacht tr?umte mir von dem B?ndner... Das kam daher, dass ich mich den ganzen gestrigen Tag mit einem h?sslichen Gesch?fte abgegeben hatte. Ich schrieb mein Testament nieder, und was ist kl?glicher, als bei atmendem Leibe ?ber seinen Besitz zu verf?gen, der ja auch ein Teil von uns selber ist!"

Die Neugierde des jungen Geistlichen wurde rege. Vielleicht war es ein warnendes Traumgesicht gewesen, das, fein und erbaulich ausgelegt, in dem ihm gegen?ber Sitzenden einen guten und frommen Gedanken konnte entstehen lassen. "Wollt Ihr mir Euern Traum nicht mitteilen?" fragte er mit einem gef?hlvollen Blicke.

"Er steht zu Diensten. Es war in Chur. Menschengedr?nge, Staatsper?cken, Milit?rpersonen--von der Hofkirche her Gel?ute und Salutsch?sse. Wir treten unter dem Torbogen hervor in den bisch?flichen Hof. Jetzt gehen wir zu zweien, neben mir ein Koloss. Ich sehe nur einen Federhut, darunter eine Gewaltsnase und den in den Kragen gesenkten pechschwarzen Spitzbart: 'Wertm?ller', fragte der Grosse, 'wen bestatten wir?'--'Ich weiss nicht' sage ich. Wir treten in die Kathedrale zwischen das Gest?hl des Schiffes. 'Wertm?ller', fragt der andere, 'wem singen sie ein Requiem?'--'Ich weiss nicht' sag ich ungeduldig. 'Kleiner Wertm?ller', sagt er, 'stell dich einmal auf die Zehen und sieh, wer da vorn aufgebahrt liegt.'--Jetzt unterscheide ich deutlich in den Ecken des Bahrtuches den Namenszug und das Wappen des Jenatschen, und im gleichen Augenblicke wendet er, neben mir stehend, mir das Gesicht zu--fahl mit vergl?hten Augen. 'Donnerwetter, Oberst', sag ich, 'Ihr liegt dort vorn unter dem Tuche mit Euern sieben Todeswunden und f?hrt hier einen Diskurs mit mir! Seid Ihr doppelt? Ist das vern?nftig? Ist das logisch? Schert Euch in die H?lle, Sch?ker!' Da antwortete er niedergeschlagen: 'Du hast mir nichts vorzur?cken--mach dich nicht mausig. Auch du, Wertm?ller, bist tot.'"

Pfannenstiel ?berlief es kalt. Dieser Traum am Vorabende des ohne Zweifel blutigen Feldzuges, welcher dem General draussen im Reiche bevorstand, schien ihm von ernster Vorbedeutung, und er sann auf ein Wort geistlicher Zusprache.

Auch Wertm?ller konnte seinen Traum, nachdem er ihn einmal mitgeteilt, nicht sogleich wieder loswerden. "Der Oberst wurde von seinem Liebchen mit der Axt wie ein Stier niedergeschlagen", erging er sich in lauten Gedanken, "mir wird es so gut nicht werden. Fallen--wohlan! Aber nicht in einem Bettwinkel krepieren!"

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