Read Ebook: Das Leiden eines Knaben by Meyer Conrad Ferdinand
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Ebook has 272 lines and 20702 words, and 6 pages
Das Leiden eines Knaben
Conrad Ferdinand Meyer
Der K?nig hatte das Zimmer der Frau von Maintenon betreten und, luftbed?rftig und f?r die Witterung unempfindlich wie er war, ohne weiteres in seiner souver?nen Art ein Fenster ge?ffnet, durch welches die feuchte Herbstluft so f?hlbar eindrang, dass die zarte Frau sich fr?stelnd in ihre drei oder vier R?cke schmiegte.
Seit einiger Zeit hatte Ludwig der Vierzehnte seine t?glichen Besuche bei dem Weibe seines Alters zu verl?ngern begonnen, und er erschien oft schon zu fr?her Abendstunde, um zu bleiben, bis seine Sp?ttafel gedeckt war. Wenn er dann nicht mit seinen Ministern arbeitete, neben seiner diskreten Freundin, die sich aufmerksam und schweigend in ihren Fauteuil begrub; wenn das Wetter Jagd oder Spaziergang verbot; wenn die Konzerte, meist oder immer geistliche Musik, sich zu oft wiederholt hatten, dann war guter Rat teuer, welchergestalt der Monarch vier Glockenstunden lang unterhalten oder zerstreut werden konnte. Die dreiste Muse Moli?res, die Z?rtlichkeiten und Ohnmachten der Lavalli?re, die k?hne Haltung und die originellen Witzworte der Montespan und so manches andere hatte seine Zeit gehabt und war nun gr?ndlich vor?ber, welk wie eine verblasste Tapete. Massvoll und fast gen?gsam wie er geworden, arbeitsam wie er immer gewesen, war der K?nig auch bei einer die Schranke und das Halbdunkel liebenden Frau angelangt.
Dienstfertig, einschmeichelnd, unentbehrlich, dabei voller Grazie trotz ihrer Jahre, hatte die Enkelin des Agrippa d'Aubign? einen lehrhaften Gouvernantenzug, eine Neigung, die Gewissen mit Autorit?t zu beraten, der sie in ihrem Saint-Cyr unter den Edelfr?ulein, die sie dort erzog, behaglich den Lauf liess, die aber vor dem Gebieter zu einem bescheidenen Sichanschmiegen an seine h?here Weisheit wurde. Dergestalt hatte, wann Ludwig schwieg, auch sie ausgeredet, besonders wenn etwa, wie heute, die junge Enkelfrau des K?nigs, die Savoyardin, das erg?tzlichste Gesch?pf von der Welt, das ?berallhin Leben und Gel?chter brachte, mit ihren Kindereien und ihren trippelnden Schmeichelworten aus irgendeinem Grunde wegblieb.
Frau von Maintenon, welche unter diesen Umst?nden die Schritte des K?nigs nicht ohne eine leichte Sorge vernommen hatte, beruhigte sich jetzt, da sie dem besch?ftigten und unmerklich belustigten Ausdrucke der ihr gr?ndlich bekannten k?niglichen Z?ge entnahm: Ludwig selbst habe etwas zu erz?hlen, und zwar etwas Erg?tzliches.
Dieser hatte das Fenster geschlossen und sich in einen Lehnstuhl niedergelassen. "Madame", sagte er, "heute mittag hat mir P?re Lachaise seinen Nachfolger, den P?re Tellier, gebracht."
P?re de Lachaise war der langj?hrige Beichtiger des K?nigs, welchen dieser, trotz der Taubheit und v?lligen Gebrechlichkeit des greisen Jesuiten, nicht fahrenlassen wollte und sozusagen bis zur Fadenscheinigkeit aufbrauchte; denn er hatte sich an ihn gew?hnt, und da er--es ist unglaublich zu sagen--aus unbestimmten, aber doch vorhandenen Bef?rchtungen seinen Beichtiger in keinem andern Orden glaubte w?hlen zu d?rfen, zog er diese Ruine eines immerhin ehrenwerten Mannes einem j?ngern und strebsamen Mitgliede der Gesellschaft Jesu vor. Aber alles hat seine Grenzen. P?re Lachaise wankte sichtlich dem Grabe zu, und Ludwig wollte denn doch nicht an seinem geistlichen Vater zum M?rder werden.
"Madame", fuhr der K?nig fort, "mein neuer Beichtiger hat keine Sch?nheit und Gestalt: eine Art Wolfsgesicht, und dann schielt er. Er ist eine geradezu abstossende Erscheinung, aber er wird mir als ein gegen sich und andere strenger Mann empfohlen, welchem sich ein Gewissen ?bergeben l?sst. Das ist doch wohl die Hauptsache."
"Je schlechter die Rinne, desto k?stlicher das darin fliessende himmlische Wasser", bemerkte die Marquise erbaulich. Sie liebte die Jesuiten nicht, welche dem Ehebunde der Witwe Scarrons mit der Majest?t entgegengearbeitet und kraft ihrer weiten Moral das Sakrament in diesem k?niglichen Falle f?r ?berfl?ssig erkl?rt hatten. So tat sie den frommen V?tern gelegentlich gern etwas zuleide, wenn sie dieselben im stillen krallen konnte. Jetzt schwieg sie, und ihre dunklen mandelf?rmigen, sanft schwerm?tigen Augen hingen an dem Munde des Gemahls mit einer bescheidenen Aufmerksamkeit.
Der K?nig kreuzte die F?sse, und den Demantblitz einer seiner Schuhschnallen betrachtend, sagte er leichthin: "Dieser Fagon! Er wird unertr?glich! Was er sich nicht alles herausnimmt!"
Fagon war der hochbetagte Leibarzt des K?nigs und der Sch?tzling der Marquise. Beide lebten sie t?glich in seiner Gesellschaft und hatten sich auf den Fall, dass er vor ihnen st?rbe, Asyle gew?hlt, sie Saint-Cyr, er den botanischen Garten, um sich hier und dort nach dem Tode des Gebieters einzuschliessen und zu begraben.
"Fagon ist Euch unendlich anh?nglich", sagte die Marquise.
"Gewiss, doch entschieden, er erlaubt sich zu viel", versetzte der K?nig mit einem leichten halb komischen Stirnrunzeln.
"Was gab es denn?"
Der K?nig erz?hlte und hatte bald zu Ende erz?hlt. Er habe bei der heutigen Audienz seinen neuen Beichtiger gefragt, ob die Tellier mit den Le Tellier, der Familie des Kanzlers, verwandt w?ren? Doch der dem?tige P?re habe dieses schnell verneint und sich frank als den Sohn eines Bauern in der untern Normandie bekannt. Fagon habe unweit in einer Fensterbr?stung gestanden, das Kinn auf sein Bambusrohr gest?tzt. Von dort, hinter dem geb?ckten R?cken des Jesuiten, habe er unter der Stimme, aber vernehmlich genug, hergefl?stert: "Du Nichtsw?rdiger!" "Ich hob den Finger gegen Fagon", sagte der K?nig, "und drohte ihm."
Die Marquise wunderte sich. "Wegen dieser ehrlichen Verneinung hat Fagon den Pater nicht schelten k?nnen, er muss einen andern Grund gehabt haben", sagte sie verst?ndig.
"Immerhin, Madame, war es eine Unschicklichkeit, um nicht mehr zu sagen. Der gute le Lachaise, taub wie er endlich doch geworden ist, h?rte es freilich nicht, aber mein Ohr hat es deutlich vernommen, Silbe um Silbe. 'Niedertr?chtiger!' blies Fagon dem Pater zu, und der Misshandelte zuckte zusammen."
Die Marquise schloss l?chelnd aus dieser Variante, dass Fagon einen derbern Ausdruck gebraucht habe. Auch in den Mundwinkeln des K?nigs zuckte es. Er hatte sich von jung an zum Gesetze gemacht, wozu er ?brigens schon von Natur neigte und was er dann bis an sein Lebensende hielt, niemals, auch nicht erz?hlungsweise, ein gemeines oder beschimpfendes, kurz ein unk?nigliches Wort in den Mund zu nehmen.
Der hohe Raum war einged?mmert, und wie der Bediente die traulichen zwei Armleuchter auf den Tisch setzte und sich r?cklings schreitend verzog, siehe, da wurde ein leise eingetretener Lauscher sichtbar, eine wunderliche Erscheinung, eine ehrw?rdige Missgestalt: ein schiefer, verwachsener, seltsam verkr?mmter kleiner Greis, die entfleischten H?nde unter dem gestreckten Kinn auf ein langes Bambusrohr mit goldenem Knopfe st?tzend, das feine Haupt vorgeneigt, ein weisses Antlitz mit geisterhaften blauen Augen. Es war Fagon.
"'Du Lump, du Schuft!' habe ich kurzweg gesagt, Sire, und nur die Wahrheit gesprochen", liess sich jetzt seine schwache, vor Erregung zitternde Stimme vernehmen. Fagon verneigte sich ehrf?rchtig vor dem K?nige, galant gegen die Marquise. "Habe ich einen Geistlichen in Eurer Gegenwart, Sire, dergestalt behandelt, so bin ich entweder der Niedertracht gegen?ber ein aufbrausender J?ngling geblieben, oder ein w?rdiges Alter berechtigt, die Wahrheit zu sagen. Brachte mich nur das Schauspiel auf, welches der Pater gab, da sich der vierschr?tige und hartknochige T?lpel mit seiner Wolfsschnauze vor Euch, Sire, drehte und kr?mmte und auf Eure leutselige Frage nach seiner Verwandtschaft in d?nkelhafter Selbsterniedrigung nicht Worte genug fand, sein Nichts zu beteuern? 'Was denkt die Majest?t?'"--ahmte Fagon den Pater nach--, "'verwandt mit einem so vornehmen Herrn? Keineswegs? Ich bin der Sohn eines gemeinen Mannes! eines Bauern in der untern Normandie! eines ganz gemeinen Mannes!...' Schon dieses nichtsw?rdige Reden von dem eigenen Vater, diese kriechende, heuchlerische, durch und durch unwahre Demut, diese gr?ndliche Falschheit verdiente vollauf schuftig genannt zu werden. Aber die Frau Marquise hat recht: es war noch etwas anderes, etwas ganz Abscheuliches und Teuflisches, was ich ger?cht habe, leider nur mit Worten: eine Missetat, ein Verbrechen, welches der unerwartete Anblick dieses t?ckischen Wolfes mir wieder so gegenw?rtig vor das Auge stellte, dass die karge Neige meines Blutes zu kochen begann. Denn, Sire, dieser B?sewicht hat einen edeln Knaben gemordet!"
"Ich bitte dich, Fagon", sagte der K?nig, "welch ein M?rchen!"
"Sagen wir: er hat ihn unter den Boden gebracht", milderte der Leibarzt h?hnisch seine Anklage.
"Welchen Knaben denn?" fragte Ludwig in seiner sachlichen Art, die kurze Wege liebte.
"Es war der junge Boufflers, der Sohn des Marschalls aus seiner ersten Ehe", antwortete Fagon traurig.
"Den unbegabten Knaben... ", wiederholte der Arzt nachdenklich.
"Ja, Fagon", versetzte der K?nig, "auffallend unbegabt, und dabei sch?chtern und kleinm?tig, wie kein M?dchen. Es war an einem Marly-Tage, dass der Marschall, welchem ich f?r dieses sein ?ltestes Kind die Anwartschaft auf sein Gouvernement gegeben hatte, mir ihn vorstellte. Ich sah, der schmucke und wohlgebildete J?ngling, ?ber dessen Lippen schon der erste Flaum sprosste, war bewegt und wollte mir herzlich danken, aber er geriet in ein so kl?gliches Stottern und peinliches Err?ten, dass ich, um ihn nur zu beruhigen oder wenigstens in Ruhe zu lassen, mit einem 'Es ist gut' geschwinder, als mir um seines Vaters willen lieb war, mich wendete."
"Auch mir ist jener Abend erinnerlich", erg?nzte die Marquise. "Die verewigte Mutter des Knaben war meine Freundin, und ich zog diesen nach seiner Niederlage zu mir, wo er sich still und traurig, aber dankbar und liebenswert erwies, ohne, wenigstens ?usserlich, die erlittene Dem?tigung allzu tief zu empfinden. Er ermutigte sich sogar zu sprechen, das Allt?gliche, das Gew?hnliche, mit einem herzgewinnenden Ton der Stimme, und--meine N?he schaffte ihm Neider. Es war ein schlimmer Tag f?r das Kind, jener Marly. Ein Beiname, wie denn am Hofe alles, was nicht Ludwig heisst, den seinigen tragen muss"--die feinf?hlige Marquise wusste, dass ihr gerades Gegenteil, die brave und schreckliche Pf?lzerin, die Herzogin-Mutter von Orl?ans, ihr den allergarstigsten gegeben hatte--, "einer jener gef?hrlichen Beinamen, die ein Leben vergiften k?nnen und deren Gebrauch ich meinen M?dchen in Saint-Cyr auf strengste untersagt habe, wurde f?r den bescheidenen Knaben gefunden, und da er von Mund zu Munde lief, ohne viel Arg selbst von unschuldigen und bl?henden Lippen gewispert, welche sich wohl dem h?bschen jungen nach wenigen Jahren nicht versagt haben w?rden."
"Welcher Beiname?" fragte Fagon neugierig.
"'Le bel idiot'... und das Zucken eines Paares hochm?tiger Brauen verriet mir, wer ihn dem Knaben beschert hat."
"Lauzun?" riet der K?nig.
"Saint-Simon", berichtigte die Marquise. "Ist er doch an unserem Hofe das lauschende Ohr, das sp?hende Auge, das uns alle beobachtet"--der K?nig verfinsterte sich--, "und die ge?bte Hand, die n?chtlicherweile hinter verriegelten T?ren von uns allen leidenschaftliche Zerrbilder auf das Papier wirft! Dieser edle Herzog, Sire, hat es nicht verschm?ht, den unschuldigsten Knaben mit einem seiner grausamen Worte zu zeichnen, weil ich Harmlose, die er verabscheut, an dem Kinde ein fl?chtiges Wohlgefallen fand und ein gutes Wort an dasselbe wendete." So z?ngelte die sanfte Frau und reizte den K?nig, ohne die Stirn zu falten und den Wohlklang ihrer Stimme zu verlieren.
"Der sch?ne Stumpfsinnige", wiederholte Fagon langsam. "Nicht ?bel. Wenn aber der Herzog, der neben seinen schlimmen auch einige gute Eigenschaften besitzt, den Knaben gekannt h?tte, wie ich ihn kennenlernte und er mir unvergesslich geblieben ist, meiner Treu! der gallichte Saint-Simon h?tte Reue gef?hlt. Und w?re er wie ich bei dem Ende des Kindes zugegen gewesen, wie es in der Illusion des Fiebers, den Namen seines K?nigs auf den Lippen, in das feindliche Feuer zu st?rzen glaubte, der heimliche H?llenrichter unserer Zeit, wenn die Sage wahr redet, denn niemand hat ihn an seinem Schreibtische gesehen--h?tte den Knaben bewundert und ihm eine Tr?ne nachgeweint."
"Nichts mehr von Saint-Simon, ich bitte dich, Fagon", sagte der K?nig, die Brauen zuammenziehend. "Mag er verzeichnen, was ihm als die Wahrheit erscheint. Werde ich die Schreibtische belauern? Auch die grosse Geschichte f?hrt ihren Griffel und wird mich in den Grenzen meiner Zeit und meines Wesens l?sslich beurteilen. Nichts mehr von ihm. Aber viel und alles, was du weisst, von dem jungen Boufflers. Er mag ein braver Junge gewesen sein. Setze dich und erz?hle!" Er deutete freundlich auf einen Stuhl und lehnte sich in den seinigen zur?ck.
"Und erz?hle h?bsch bequem und gelassen, Fagon", bat die Marquise mit einem Blick auf die schmucken Zeiger ihrer Stockuhr, welche zum Verwundern schnell vorr?ckten.
"Sire, ich gehorche", sagte Fagon, "und tue eine untert?nige Bitte. Ich habe heute den P?re Tellier in Eurer Gegenwart misshandelnd mir eine Freiheit genommen und weiss, wie ich mich aus Erfahrung kenne, dass ich, einmal auf diesen Weg geraten, an demselben Tage leicht r?ckf?llig werde. Als Frau von Sabli?re den guten--oder auch nicht guten--Lafontaine, ihren Fabelbaum, wie sie ihn nannte, aus dem schlechten Boden, worein er seine Wurzeln gestreckt hatte, ausgrub und wieder in die gute Gesellschaft verpflanzte, willigte der Fabeldichter ein, noch einmal unter anst?ndigen Menschen zu leben, unter der Bedingung jedoch, jeden Abend das Minimum von drei Freiheiten--was er so Freiheiten hiess--sich erlauben zu d?rfen. In ?hnlicher und verschiedener Weise bitte ich mir, soll ich meine Geschichte erz?hlen, drei Freiheiten aus... "
"Welche ich dir gew?hre", schloss der K?nig.
Drei K?pfe r?ckten zusammen: der bedeutende des Arztes, das olympische Lockenhaupt des K?nigs und das feine Profil seines Weibes mit der hohen Stirn, den reizenden Linien von Nase und Mund und dem leicht gezeichneten Doppelkinne.
"In den Tagen, da die Majest?t noch den gr?ssten ihrer Dichter besass", begann der Leibarzt, "und dieser, w?hrend schon der Tod nach seiner kranken Brust zielte, sich belustigte, denselben auf der B?hne nachzu?ffen, wurde das Meisterst?ck 'Der Kranke in der Einbildung' auch vor der Majest?t hier in Versailles aufgef?hrt. Ich, der ich sonst eine w?rdige mit Homer oder Virgil verlebte Stunde und den Wellenschlag einer antiken Dichtung unter gestirntem Himmel den grellen Lampen und den verzerrten Gesichtern der auf die B?hne gebrachten Gegenwart vorziehe, ich durfte doch nicht wegbleiben, da wo mein Stand verspottet und vielleicht, wer wusste, ich selbst und meine Kr?cke"--er hob sein Bambusrohr, auf welches er auch sitzend sich zu st?tzen fortfuhr--, "abbildlich zu sehen waren. Es geschah nicht. Aber h?tte Moli?re mich in einer seiner Possen verewigt, wahrlich, ich h?tte es dem nicht verargen k?nnen, der sein eigenes schmerzlichstes Empfinden komisch betrachtet und verk?rpert hat. Diese letzten St?cke Moli?res, nichts geht dar?ber! Das ist die souver?ne Kom?die, welche freilich nicht nur das Verkehrte, sondern in grausamer Lust auch das Menschlichste in ein h?hnisches Licht r?ckt, dass es zu grinsen beginnt. Zum Beispiel, was ist verzeihlicher, als dass ein Vater auf sein Kind sich etwas einbilde, etwas eitel auf die Vorz?ge und etwas blind f?r die Schw?chen seines eigenen Fleisches und Blutes sei? L?cherlich freilich ist es und fordert den Spott heraus. So lobt denn auch im 'Kranken in der Einbildung' der alberne Diaforius seinen noch alberneren Sohn Thomas, einen vollst?ndigen Dummkopf Doch die Majest?t kennt die Stelle."
"Mache mir das Vergn?gen, Fagon, und rezitiere sie mir", sagte der K?nig, welcher, seit Familienverluste und schwere ?ffentliche Unf?lle sein Leben ernst gemacht, sich der komischen Muse zu enthalten pflegte, dem die Lachmuskeln aber unwillk?rlich zuckten in Erinnerung des guten Gesellen, den er einst gern um sich gelitten und an dessen Masken er sich erg?tzt hatte.
"'Es ist nicht darum'", spielte Fagon den Doctor Diaforius, dessen Rolle er seltsamerweise auswendig wusste, "'weil ich der Vater bin, aber ich darf sagen, ich habe Grund, mit diesem meinem Sohne zufrieden zu sein, und alle, die ihn sehen, sprechen von ihm als von einem J?ngling ohne Falsch. Er hat nie eine sehr t?tige Einbildungskraft, noch jenes Feuer besessen, welches man an einigen wahrnimmt. Als er klein war, ist er nie, was man so heisst, aufgeweckt und mutwillig gewesen. Man sah ihn immer sanft, friedselig und schweigsam. Er sprach nie ein Wort und beteiligte sich niemals an den sogenannten Knabenspielen. Man hatte schwere M?he, ihn lesen zu lehren, und mit neun Jahren kannte er seine Buchstaben noch nicht. Gut', sprach ich zu mir, 'die sp?ten B?ume tragen die besten Fr?chte, es gr?bt sich in den Marmor schwerer als in den Sand'... und so fort. Dieser langsam getr?ufelte Spott wurde dann auf der B?hne zum gr?ndlichen Hohn durch das uns?glich einf?ltige Gesicht des Belobten und zum unwiderstehlichen Gel?chter in den Mienen der Zuschauer. Unter diesen fand mein Auge eine blonde Frau von r?hrender Sch?nheit und besch?ftigte sich mit den langsam wechselnden Ausdr?cken dieser einfachen Z?ge; zuerst demjenigen der Freude ?ber die gerechte Belobung eines schwer, aber fleissig lernenden Kindes, so unvorteilhaft der J?ngling auf der B?hne sich ausnehmen mochte, dann dem andern Ausdrucke einer traurigen Entt?uschung, da die Schauende, ohne jedoch recht zu begreifen, inne wurde, dass der Dichter, der es mit seinen schlichten Worten ernst zu meinen schien, eigentlich nur seinen blutigen Spott hatte mit der v?terlichen Selbstverblendung. Freilich hatte Moli?re, der grossartige Sp?tter, alles so naturwahr und sachlich dargestellt, dass mit ihm nicht zu z?rnen war. Eine lange und m?hsam verhaltene, tief schmerzliche Tr?ne rollte endlich ?ber die zarte Wange des bek?mmerten Weibes. Ich wusste nun, dass sie Mutter war und einen unbegabten Sohn hatte. Das ergab sich f?r mich aus dem Geschauten und Beobachteten mit mathematischer Gewissheit.
Es war die erste Frau des Marschalls Boufflers."
"Auch wenn du sie nicht genannt h?ttest, Fagon, ich erkannte aus deiner Schilderung meine s?sse Blondine", seufzte die Marquise. "Sie war ein Wunder der Unschuld und Herzenseinfalt, ohne Arg und Falsch, ja ohne den Begriff der List und L?ge.
Die Freundschaft der zwei Frauen, welche der Marquise einen so r?hrenden Eindruck hinterliess, war eine wahre und f?r beide Teile wohlt?tige gewesen. Frau von Maintenon hatte n?mlich in den langen und schweren Jahren ihres Emporkommens, da die still Ehrgeizige mit z?hester Schmiegsamkeit und geduldigster Konsequenz, immer heiter, ?berall dienstfertig, sich einen K?nig und den gr?ssten K?nig der Zeit eroberte, mit ihren klugen Augen die arglose Vornehme von den andern ihr missg?nstigen und feindseligen Hofweibern unterschieden und sie mit ein paar herzlichen Worten und zutulichen Gef?lligkeiten an sich gefesselt. Die beiden halfen sich aus und deckten sich einander mit ihrer Geburt und ihrem Verstand.
"Die Marschallin hatte Tugend und Haltung", lobte der K?nig, w?hrend er einen in seinem Ged?chtnis auftauchenden anmutigen Wuchs, ein liebliches Gesicht und ein aschenblondes Ringelhaar betrachtete.
"Die Marschallin war dumm", erg?nzte Fagon knapp. "Aber wenn ich Kr?ppel je ein Weib geliebt habe--ausser meiner G?nnerin", er verneigte sich huldigend gegen die Marquise, "und f?r ein Weib mein Leben hingegeben h?tte, so war es diese erste Herzogin Boufflers.
Ich lernte sie dann bald n?her kennen, leider als Arzt. Denn ihre Gesundheit war schwankend, und alle diese Lieblichkeit verlosch unversehens wie ein ausgeblasenes Licht. Wenige Tage vor ihrem letzten beschied sie mich zu sich und erkl?rte mir mit den einfachsten Worten von der Welt, sie werde sterben. Sie f?hlte ihren Zustand, den meine Wissenschaft nicht erkannt hatte. Sie ergebe sich darein, sagte sie, und habe nur eine Sorge: die Zukunft und das Schicksal ihres Knaben. 'Er ist ein gutes Kind, aber v?llig unbegabt, wie ich selbst es bin', klagte sie mir bek?mmert, aber unbefangen. 'Mir ward ein leichtes Leben zuteil, da ich dem Marschall nur zu gehorchen brauchte, welcher nach seiner Art, die nichts aus den H?nden gibt, auch wenn ich ein gescheites Weib gewesen w?re, ausser dem einfachsten Haushalte mir keine Verantwortung ?berlassen h?tte--du kennst ihn ja, Fagon, er ist peinlich und regiert alles selber. Wenn ich in der Gesellschaft schwieg oder meine Rede auf das N?chste beschr?nkte, um nichts Unwissendes oder Verf?ngliches zu sagen, so war ihm das gerade recht, denn eine Witzige oder Gl?nzende h?tte ihn nur beunruhigt. So bin ich gut durchgekommen. Aber mein Kind? Der Julian soll als der Sohn seines Vaters in der Welt eine Figur machen. Wird er das k?nnen? Er lernt so unglaublich schwer. An Eifer l?sst er es nicht fehlen, wahrlich nicht, denn es ist ein tapferes Kind... Der Marschall wird sich wieder verheiraten, und irgendeine gescheite Frau wird ihm anstelligere S?hne geben. Nun m?chte ich nicht, dass der Julian etwas Ausserordentliches w?rde, was ja auch unm?glich w?re, sondern nur, dass er nicht zu harte Dem?tigungen erleide, wenn er hinter seinen Geschwistern zur?ckbleibt. Das ist nun deine Sache, Fagon. Du wirst auch zusehen, dass er k?rperlich nicht ?bertrieben werde. Lass das nicht aus dem Auge, ich bitte dich! Denn der Marschall ?bersieht das. Du kennst ihn ja. Er hat den Krieg im Kopf, die Grenzen, die Festungen... Selbst ?ber der Mahlzeit ist er in seine Gesch?fte vertieft, der dem K?nig und Frankreich unentbehrliche Mann, l?sst sich pl?tzlich eine Karte holen, wenn er nicht selbst danach aufspringt, oder ?rgert sich ?ber irgendeine vormittags entdeckte Nachl?ssigkeit seiner Schreiber, welchen man bei der um sich greifenden Pflichtvergessenheit auch nicht das Geringste mehr ?berlassen d?rfe. Geht dann durch einen Zufall ein T?sschen oder Sch?lchen entzwei, vergisst sich der Reizbare bis zum Schelten. Gew?hnlich sitzt er schweigend oder einsilbig zu Tische, mit gerunzelter Stirn, ohne sich mit dem Kinde abzugeben, das an jedem seiner Blicke h?ngt, ohne sich nach seinen kleinen Fortschritten zu erkundigen, denn er setzt voraus: ein Boufflers tue von selbst seine Pflicht. Und der Julian wird bis an die ?ussersten Grenzen seiner Kr?fte gehen... Fagon, lass ihn keinen Schaden leiden! Nimm dich des Knaben an! Bring ihn heil hinweg ?ber seine zarten Jahre! Mische dich nur ohne Bedenken ein. Der Marschall h?lt etwas auf dich und wird deinen Rat gelten lassen. Er nennt dich den redlichsten Mann von Frankreich... Also du versprichst es mir, bei dem Knaben meine Stelle zu vertreten... Du h?ltst Wort und dar?ber hinaus... '
Ich gelobte es der Marschallin, und sie starb nicht schwer.
Vor dem Bette, darauf sie lag, beobachtete ich den mir anvertrauten Knaben. Er war aufgel?st in Tr?nen, seine Brust arbeitete, aber er warf sich nicht verzweifelnd ?ber die Tote, ber?hrte den entseelten Mund nicht, sondern er kniete neben ihr, ergriff ihre Hand und k?sste diese, wie er sonst zu tun pflegte. Sein Schmerz war tief, aber keusch und enthaltsam. Ich schloss auf m?nnliches Naturell und fr?h ge?bte Selbstbeherrschung und betrog mich nicht. Im ?brigen war Julian damals ein h?bscher Knabe von etwa dreizehn Jahren, mit den seelenvollen Augen seiner Mutter, gewinnenden Z?gen, wenig Stirn unter verworrenem blonden Ringelhaar und einem untadeligen Bau, der zur Meisterschaft in jeder Leibes?bung bef?higte.
Nachdem der Marschall das Weib seiner Jugend beerdigt und ein Jahr sp?ter mit der j?ngsten des Marschalls Grammont sich wiederverehlicht hatte, dem r?hrigen, grundgescheiten, olivenfarbigen, brennend magern Weibe, das wir kennen, beriet er aus freien St?cken mit mir die Schule, wohin wir Julian schicken sollten; denn seines Bleibens war nun nicht l?nger im v?terlichen Hause.
Ich besprach mich mit dem geistlichen Hauslehrer, welcher das Kind bisher beaufsichtigt und besch?ftigt hatte. Er zeigte mir die Hefte des Knaben, die Zeugnis ablegten von einem r?hrenden Fleiss und einer tapfern Ausdauer, aber zugleich von einem unglaublich mittelm?ssigen Kopfe, einem v?lligen Mangel an Kombination und Dialektik, einer absoluten Geistlosigkeit. Was man im weitesten Sinne Witz nennt, jede leidenschaftliche--warme oder spottende--Beleuchtung der Rede, jede ?berraschung des Scharfsinns, jedes Spiel der Einbildungskraft waren abwesend. Nur der einfachste Begriff und das ?rmste Wort standen dem Knaben zu Gebote. H?chstens gefiel dann und wann eine Wendung durch ihre Unschuld oder brachte zum L?cheln durch ihre Naivit?t. Seltsamer- und traurigerweise sprach der Hausgeistliche von seinem Z?gling unwissentlich in den Worten Moli?res: 'ein Knabe ohne Falsch, der alles auf Treu und Glauben nimmt, ohne Feuer und Einbildungskraft, sanft, friedfertig, schweigsam und'--setzte er hinzu--'mit den sch?nsten Herzenseigenschaften.'
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