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Read Ebook: Das Leiden eines Knaben by Meyer Conrad Ferdinand

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Ebook has 272 lines and 20702 words, and 6 pages

Ich besprach mich mit dem geistlichen Hauslehrer, welcher das Kind bisher beaufsichtigt und besch?ftigt hatte. Er zeigte mir die Hefte des Knaben, die Zeugnis ablegten von einem r?hrenden Fleiss und einer tapfern Ausdauer, aber zugleich von einem unglaublich mittelm?ssigen Kopfe, einem v?lligen Mangel an Kombination und Dialektik, einer absoluten Geistlosigkeit. Was man im weitesten Sinne Witz nennt, jede leidenschaftliche--warme oder spottende--Beleuchtung der Rede, jede ?berraschung des Scharfsinns, jedes Spiel der Einbildungskraft waren abwesend. Nur der einfachste Begriff und das ?rmste Wort standen dem Knaben zu Gebote. H?chstens gefiel dann und wann eine Wendung durch ihre Unschuld oder brachte zum L?cheln durch ihre Naivit?t. Seltsamer- und traurigerweise sprach der Hausgeistliche von seinem Z?gling unwissentlich in den Worten Moli?res: 'ein Knabe ohne Falsch, der alles auf Treu und Glauben nimmt, ohne Feuer und Einbildungskraft, sanft, friedfertig, schweigsam und'--setzte er hinzu--'mit den sch?nsten Herzenseigenschaften.'

Der Marschall und ich wussten dann--die Wahl war nicht gross--keine bessere Schule f?r das Kind als ein Jesuitencollegium; und warum nicht das in Paris, wenn wir Julian nicht von seinen Standes und Altersgenossen sondern wollten? Man muss es den V?tern lassen: sie sind keine Pedanten, und man darf sie loben, dass sie angenehm unterrichten und freundlich behandeln. Mit einer Schule jansenistischer F?rbung konnten wir uns nicht befreunden: der Marschall schon nicht als guter Untertan, der Euer Majest?t Abneigung gegen die Sekte kannte und Euer Majest?t Gnade nicht mutwillig verscherzen wollte, ich aus eben diesem Grunde"--Fagon l?chelte--"und weil ich f?r den durch seine Talentlosigkeit schon ?berfl?ssig gedr?ckten Knaben die herbe Strenge und die finstern Voraussetzungen dieser Lehre ungeeignet, die leichte Erde und den zug?nglichen Himmel der Jesuiten dagegen hier f?r zutr?glich oder wenigstens v?llig unsch?dlich hielt, denn ich wusste, das Grundgesetz dieser Knabenseele sei die Ehre.

Dabei war auf meiner Seite die nat?rliche Voraussetzung, dass die frommen V?ter nie von dem Marschalle beleidigt w?rden, und das war in keiner Weise zu bef?rchten, da der Marschall sich nicht um kirchliche H?ndel k?mmerte und als Kriegsmann an der in diesem Orden streng durchgef?hrten Subordination sogar ein gewisses Wohlgefallen hatte.

Wie sollte aber der von der Natur benachteiligte Knabe mit einer ?ffentlichen Klasse Schritt halten? Da z?hlten der Marschall und ich auf zwei verschiedene Hilfen. Der Marschall auf das Pflichtgef?hl und den Ehrgeiz seines Kindes. Er selbst, der nur mittelm?ssig Begabte, hatte auf seinem Felde R?hmliches geleistet, aber kraft seiner sittlichen Eigenschaften, nicht durch eine geniale Anlage. Ohne zu wissen oder nicht wissen wollend, dass Julian jene mittlere Begabung, welche er selbst mit eisernem Fleisse verwertete, bei weitem nicht besitze, glaubte er, es gebe keine Unm?glichkeit f?r den Willenskr?ftigen und selbst die Natur lasse sich zwingen, wie ihn denn seine Galopins beschuldigen, er tadle einen w?hrend der Parade ?ber die Stirn rollenden Schweisstropfen als ordonnanzwidrig, weil er selbst nie schwitze.

Ich dagegen baute auf die allgemeine Menschenliebe der Jesuiten und insonderheit auf die Ber?cksichtigung und das Ansehen der Person, wodurch diese V?ter sich auszeichnen. Ich beredete mich mit mehreren derselben und machte sie mit den Eigenschaften des Knaben vertraut. Um ihnen das Kind noch dringender an das Herz zu legen, sprach ich ihnen von der Stellung seines Vaters, sah aber gleich, dass sie sich daraus nichts machten. Der Marschall ist ausschliesslich ein Kriegsmann, dabei tugendhaft, ohne Intrige, und die Ehre folgt ihm nach wie sein Schatten. So hatten die V?ter von ihm nichts zu hoffen und zu f?rchten. Unter diesen Umst?nden glaubte ich Julian eine kr?ftigere Empfehlung verschaffen zu m?ssen und gab den frommen V?tern einen Wink... " Der Erz?hler stockte.

"Was vertuschest du, Fagon?" fragte der K?nig.

"Ich komme darauf zur?ck", stotterte Fagon verlegen, "und dann wirst du, Sire, mir etwas zu verzeihen haben. Genug, das Mittel wirkte. Die V?ter wetteiferten, dem Knaben das Lernen zu erleichtern, dieser f?hlte sich in einer warmen Atmosph?re, seine Erstarrung wich, seine kargen Gaben entfalteten sich, sein Mut wuchs, und er war gut aufgehoben. Da ?nderte sich alles gr?ndlich in sein Gegenteil.

Etwa ein halbes Jahr nach dem Eintritt Julians bei den Jesuiten ereignete sich zu Orl?ans, in dessen Weichbild die V?ter Besitz und eine Schule hatten, welche beide sie zu vergr?ssern w?nschten, eine schlimme Geschichte. Vier Br?der von kleinem Adel besassen dort ein Gut, welches an den Besitz der Jesuiten stiess und das sie ungeteilt bewirteten. Alle vier dienten in Eurem Heere, Sire, verzehrten, wie zu geschehen pflegte, f?r ihre Ausr?stung und mehr noch im Umgang mit reichen Kameraden ihre kurze Barschaft und verschuldeten ihre Felder. Nun fand es sich, dass jenes Jesuitenhaus durch Zusammenkauf dieser Pfandbriefe der einzige Gl?ubiger der vier Junker geworden war und ihnen aus freien St?cken dar?ber hinaus eine abrundende Summe vorschoss, drei Jahre fest, dann mit j?hriger K?ndigung. Daneben aber verpflichteten sich die V?ter den Junkern gegen?ber m?ndlich aufs feierlichste, die ganze Summe auf dem Edelgute stehenzulassen; es sei eben nur ein rein formales Gesetz ihrer Ordens?konomie, Geld nicht l?nger als auf drei Jahre auszutun.

Da begab es sich, dass die V?ter jenes Hauses unversehens in ihrer Vollzahl an das Ende der Welt geschickt wurden, wahrhaftig, ich glaube nach Japan, und die an ihre Stelle tretenden begreiflicherweise nichts von jenem m?ndlichen Versprechen ihrer Vorg?nger wussten. Der dreij?hrige Termin erf?llte sich, die neuen V?ter k?ndigten die Schuld, nach Jahresfrist konnten die Junker nicht zahlen, und es wurde gegen sie verfahren.

Schon hatte sich das fromme Haus in den Besitz ihrer Felder gesetzt, da gab es L?rm. Die tapfern Br?der polterten an alle T?ren, auch an die des Marschalls Boufflers, welcher sie als wackere Soldaten kannte und sch?tzte. Er untersuchte den Handel mit Ernst und Gr?ndlichkeit nach seiner Weise. Der entscheidende Punkt war, dass die Br?der behaupteten, von den frommen V?tern nicht allein m?ndliche Beteuerungen, sondern, was sie v?llig beruhigt und sorglos gemacht, zu wiederholten Malen auch gleichlautende Briefe erhalten zu haben. Diese Schriftst?cke seien auf unerkl?rliche Weise verlorengegangen. Wohl f?nden sich in Briefform gefaltete Papiere mit gebrochenen, ?brigens leeren Siegeln, welche den Briefen der V?ter zum Verwundern glichen, doch diese Papiere seien unbeschrieben und entbehren jedes Inhalts.

Dergestalt fand ich, eines Tages das Kabinett des Marschalls betretend, denselben damit besch?ftigt, in seiner genauen Weise jene blanken Quadrate umzuwenden und mit der Lupe vorn und hinten zu betrachten. Ich schlug ihm vor, mir die Bl?tter f?r eine Stunde anzuvertrauen, was er mir mit ernsten Augen bewilligte.

Ihr schenktet, Sire, der Wissenschaft und mir einen botanischen Garten, der Euch Ehre macht, und bautet mir im Gr?nen einen stillen Sitz f?r mein Alter. Nicht weit davon, am Nordende, habe ich mir eine ger?umige chemische K?che eingerichtet, die Ihr einmal zu besuchen mir versprachet. Dort unterwarf ich jene fragw?rdigen Papiere wirksamen und den gelehrten V?tern vielleicht noch unbekannten Agentien. Siehe da, die erblichene Schrift trat schwarz an das Licht und offenbarte das Schelmst?ck der V?ter Jesuiten.

Der Marschall eilte mit den verklagenden Papieren stracks zu deiner Majest?t"--K?nig Ludwig strich sich langsam die Stirn--"und fand dort den Pater Lachaise, welcher aufs tiefste erstaunte ?ber diese Verirrung seiner Ordensbr?der in der Provinz, zugleich aber deiner Majest?t vorstellte, welche schreiende Ungerechtigkeit es w?re, die Gedankenlosigkeit weniger oder eines einzelnen eine so zahlreiche, wohlt?tige und sittenreine Gesellschaft entgelten zu lassen, und dieser einzelne, der fr?here Vorsteher jenes Hauses, habe ?berdies, wie er aus verl?sslichen Quellen wisse, k?rzlich in Japan unter den Heiden das Martyrium durch den Pfahl erlitten.

Wer am besten bei dieser Wendung der Dinge fuhr, das waren die vier Junker. Die H?lfte der Schuld erliessen ihnen die verbl?fften V?ter, die andere H?lfte tilgte ein Grossm?tiger."

Der K?nig, der es gewesen sein mochte, ver?nderte keine Miene.

"Dem Marschall dankte dann P?re Lachaise insbesondere daf?r, dass er in einer bem?henden Sache die Herstellung der Wahrheit unternommen und es seinem Orden erspart habe, sich mit ungerechtem Gute zu belasten. Dann bat er ihn, der Edelmann den Edelmann, den V?tern sein Wohlwollen nicht zu entziehen und ihnen das Geheimnis zu bewahren, was sich ?brigens f?r einen Marschall Boufflers von selbst verstehe.

Der geschmeichelte Marschall sagte zu, wollte aber wunderlicherweise nichts davon h?ren, die verr?terischen Dokumente herauszugeben oder sie zu vernichten. Es fruchtete nichts, dass P?re Lachaise ihn zuerst mit den zartesten Wendungen versuchte, dann mit den bestimmtesten Forderungen best?rmte. Nicht dass der Marschall im geringsten daran gedacht h?tte, sich dieser gef?hrlichen Briefe gegen die frommen V?ter zu bedienen; aber er hatte sie einmal zu seinen Papieren gelegt, mit deren Aufr?umen und Registrieren er das Drittel seiner Zeit zubringt. In diesem Archive, wie er es nennt, bleibt vergraben, was einmal drinnen liegt. So schwebte kraft der Ordnungsliebe und der genauen Gewohnheiten des Marschalls eine immerw?hrende Drohung ?ber dem Orden, die derselbe dem Unvorsichtigen nicht verzieh. Der Marschall hatte keine Ahnung davon und glaubte mit den von ihm geschonten V?tern auf dem besten Fusse zu stehn.

Ich war anderer Meinung und liess es an dringenden Vorstellungen nicht fehlen. Hart setzte ich ihm zu, seinen Knaben ohne Z?gerung den Jesuiten wegzunehmen, da der verbissene Hass und der verschluckte Groll, welchen get?uschte Habgier und entlarvte Schurkerei unfehlbar gegen ihren Entdecker empfinden, sich notwendigerweise ?ber den Orden verbreiten, ein Opfer suchen und es vielleicht, ja wahrscheinlich in seinem unschuldigen Kinde finden w?rden. Er sah mich verwundert an, als ob ich irre rede und Fabeln erz?hle. Geradeheraus: entweder hat der Marschall einen kurzen Verstand, oder er wollte sein gegebenes Wort mit Prunk und Glorie selbst auf Kosten seines Kindes halten.

'Aber, Fagon', sagte er, 'was in aller Welt hat mein Julian mit dieser in der Provinz begegneten Geschichte zu schaffen? Wo ist da ein richtiger Zusammenhang? Wenn ihm ?brigens die V?ter ein bisschen strenger auf die Finger sehen, das kann nichts schaden. Sie haben ihn nicht ?bel verh?tschelt. Ihnen jetzt den Knaben wegnehmen? Das w?re unedel. Man w?rde plaudern, Gr?nde suchen, vielleicht die unreinliche Geschichte ausgraben, und ich st?nde da als ein Wortbr?chiger.' So sah der Marschall nur den Nimbus seiner Ehre, statt an sein Kind zu denken, das er vielleicht, solange es lebte, noch keines eingehenden Blickes gew?rdigt hatte. Ich h?tte ihn f?r seinen Edelmut mit dieser meiner Kr?cke pr?geln k?nnen.

Es ging dann, wie es nicht anders gehen konnte. Nicht in auffallender Weise, ohne Pl?tzlichkeit und ohne eigentliche Ungerechtigkeit liessen die V?ter Professoren den Knaben sinken, in welchem sie den Sohn eines Mannes zu hassen begannen, der den Orden beleidigt habe. Nicht alle unter ihnen, die bessern am wenigsten, kannten die saubere Geschichte, aber alle wussten: Marschall Boufflers hat uns besch?mt und gesch?digt, und alle hassten ihn.

Eine feine Giftluft schleichender Rache f?llte die S?le des Collegiums. Nicht nur jedes Entgegenkommen, sondern auch jede gerechte Ber?cksichtigung hatten f?r Julian aufgeh?rt. Das Kind litt. T?glich und st?ndlich f?hlte es sich gedem?tigt, nicht durch lauten Tadel, am wenigsten durch Scheltworte, welche nicht im Gebrauche der V?ter sind, sondern fein und sachlich, einfach dadurch, dass sie die Armut des Blondkopfes nicht l?nger freundlich unterst?tzten und die geistige D?rftigkeit nach verweigertem Almosen besch?mt in ihrer Bl?sse dastehen liessen. Jetzt begann das Kind, von einem verzweifelnden Ehrgeiz gestachelt, seine Wachen zu verl?ngern, seinen Schlummer gewaltt?tig abzuk?rzen, sein Gehirn zu martern, seine Gesundheit zu untergraben--ich mag davon nicht reden, es bringt mich auf..."

Fagon machte eine Pause und sch?pfte Atem.

Der K?nig f?llte dieselbe, indem er ruhig bemerkte: "Ich frage mich, Fagon, wieviel Wirklichkeit alles dieses hat. Ich meine diese stille Verschw?rung gelehrter und verst?ndiger M?nner zum Schaden eines Kindes und dieser br?tende Hass einer ganzen Gesellschaft gegen einen im Grunde ihr so ungef?hrlichen Mann, wie der Marschall ist, der sie ja ?berdies ganz ritterlich behandelt hatte. Du siehst Gespenster, Fagon. Du bist hier Partei und hast vielleicht, wer weiss, gegen den verdienten Orden neben deinem ererbten Vorurteil noch irgendeine pers?nliche Feindschaft."

"Wer weiss?" stammelte Fagon. Er hatte sich entf?rbt, soweit er noch erblassen konnte, und seine Augen loderten. Die Marquise wurde ?ngstlich und ber?hrte heimlich den Arm ihres Sch?tzlings, ohne dass er die warnende Hand gef?hlt h?tte. Frau von Maintenon wusste, dass der heftige Alte, wenn er gereizt wurde, g?nzlich ausser sich geriet und unglaubliche Worte wagte, selbst dem K?nige gegen?ber, welcher freilich dem langj?hrigen und tiefen Kenner seiner Leiblichkeit nachsah, was er keinem andern so leicht vergeben h?tte. Fagon zitterte. Er stotterte unzusammenh?ngende S?tze, und seine Worte st?rzten durcheinander, wie Krieger zu den Waffen.

"Du glaubst es nicht, Majest?t, Kenner der Menschenherzen, du glaubst es nicht, dass die V?ter Jesuiten jeden, der sie wissentlich oder unwissentlich beleidigt, hassen bis zur Vernichtung? Du glaubst nicht, dass diese V?ter weder wahr noch falsch, weder gut noch b?se kennen, sondern nur ihre Gesellschaft?" Fagon schlug eine grimmige Lache auf. "Du willst es nicht glauben, Majest?t!

Sage mir, K?nig, du Kenner der Wirklichkeit," raste Fagon abspringend weiter, "da die Rede ist von der Glaubw?rdigkeit der Dinge, kannst du auch nicht glauben, dass in deinem Reiche bei der Bekehrung der Protestanten Gewalt angewendet wird?"

"Diese Frage", erwiderte der K?nig sehr ernsthaft, "ist die erste deiner heutigen drei Freiheiten. Ich beantworte sie. Nein, Fagon. Es wird, verschwindend wenige F?lle ausgenommen, bei diesen Bekehrungen keine Gewalt angewendet, weil ich es ein f?r allemal ausdr?cklich untersagt habe und weil meinen Befehlen nachgelebt wird. Man zwingt die Gewissen nicht. Die wahre Religion siegt gegenw?rtig in Frankreich ?ber Hunderttausende durch ihre innere ?berzeugungskraft."

"Durch die Predigten des P?re Bourdaloue!" h?hnte Fagon mit gellender Stimme. Dann schwieg er. Entsetzen starrte aus seinen Augen ?ber diesen Gipfel der Verblendung, diese Mauer des Vorurteils, diese g?nzliche Vernichtung der Wahrheit. Er betrachtete den K?nig und sein Weib eine Weile mit heimlichem Grauen.

"Sire, meine nicht", fuhr er fort, "dass ich Partei bin und das Blut meiner protestantischen Vorfahren aus mir spreche. Ich bin von einer ehrw?rdigen Kirche abgefallen. Warum? Weil ich, Gott vorbehalten, von dem ich nicht lasse und der in meinen alten Tagen mich nicht verlassen m?ge, ?ber Religionen und Konfessionen samt und sonders denke, wie jener lucrezische Vers... "

Weder der K?nig noch Frau von Maintenon wussten von diesem Verse, aber sie konnten vermuten, Fagon meine nichts Frommes.

"Kennt Ihr den Tod meines Vaters, Sire?" fl?sterte Fagon. "Er ist ein Geheimnis geblieben, aber Euch will ich es anvertrauen. Er war ein sanfter Mann und n?hrte sich, sein Weib und seine Kinder, deren letztes und sechstes ich Verwachsener war, in Auxerre von dem Verkaufe seiner Latwergen redlich und k?mmerlich; denn Auxerre hat eine gesunde Luft und ein Schock Apotheken. Die glaubenseifrigen Einwohner, die meinen Vater liebten, wollten ihm alles Gute und h?tten ihn gern der Kirche zur?ckgegeben, aber nicht mit Gewalt, denn Ihr habet es gesagt, Sire, man zwingt die Gewissen nicht. Also verbr?derten sie sich, die calvinistische Apotheke zu meiden. Mein Vater verlor sein Brot, und wir hungerten. Die V?ter Jesuiten taten dabei, wie ?berall, das Beste. Da wurde sein Gewissen in sich selbst uneins. Er schwur ab. Weil aber die scharfen calvinistischen S?tze ein Gehirn, dem sie in seiner Kindheit eingegraben wurden, nicht so leicht wieder verlassen, erschien sich der ?rmste bald als ein Judas, der den Herrn verriet, und er ging hin wie jener und tat desgleichen."

"Fagon", sagte der K?nig mit W?rde, "du hast den armen P?re Tellier wegen einer geschmacklosen Rede ?ber seinen Vater beschimpft und redest selber so nackt und grausam von dem deinigen. Unselige Dinge verlangen einen Schleier!"

"Sire", erwiderte der Arzt, "Ihr habet recht und seid f?r mich wie f?r jeden Franzosen das Gesetz in Dingen des Anstandes. Freilich kann man sich von gewissen Stimmungen hinreissen lassen, in dieser Welt der Unwahrheit und ihr zum Trotz von einer blutigen Tatsache, und w?re es die schmerzlichste, das verh?llende Tuch unversehens wegzuziehen...

Aber, Sire, wie vorzeitig habe ich die erste meiner Freiheiten verbraucht, und wahrlich, mich gel?stet, gleich noch meine zweite zu verwenden."

Die Marquise las in den ver?nderten Z?gen des Arztes, dass sein Zorn vor?ber und nach einem solchen Ausbruche an diesem Abend kein R?ckfall mehr zu bef?rchten sei.

"Sire", sagte Fagon fast leichtsinnig, "habt Ihr Euern Untertan, den Tiermaler Mouton, gekannt? Ihr sch?ttelt das Haupt. So nehme ich mir die grosse Freiheit, Euch den wenig hoff?higen, aber in diese Geschichte geh?renden K?nstler vorzustellen, zwar nicht in Natur, mit seinem zerl?cherten Hut, den Pfeifenstummel zwischen den Z?hnen--ich rieche seinen Knaster--, hemd?rmelig und mit hangenden Str?mpfen. ?berdies liegt er im Grabe. Ihr liebet die Niederl?nder nicht, Sire, weder ihre Kirmessen auf der Leinwand noch ihre eigenen ungebundenen Personen. Wisset, Majest?t: Ihr habt einen Maler besessen, einen Picarden, der sowohl durch die Sachlichkeit seines Pinsels als durch die Zwanglosigkeit seiner Manieren die Holl?nder bei weitem ?berholl?nderte.

Dieser Mouton, Sire, hat unter uns gelebt, seine grasenden K?he und seine in eine Staubwolke gedr?ngten Hammel malend, ohne eine blasse Ahnung alles Grossen und Erhabenen, was dein Zeitalter, Majest?t, hervorgebracht hat. Kannte er deine Dichter? Nicht von ferne. Deine Bisch?fe und Prediger? Nicht dem Namen nach. Mouton hatte kein Taufwasser gekostet. Deine Staatsm?nner, Colbert, Lyonne und die andern? Darum hat sich Mouton nie geschoren. Deine Feldherrn, Cond? mit dem Vogelgesicht, Turenne, Luxembourg und den Enkel der sch?nen Gabriele? Nur den letztern, welchem er in Anet einen Saal mit Hirschjagden von unglaublich frecher Mache f?llte. Vend?me mochte Mouton, und dieser nannte seinen herzoglichen G?nner in r?hmender Weise einen Viehkerl, wenn ich das Wort vor den Ohren der Majest?t aussprechen darf. Hat Mouton die Sonne unserer Zeit gekannt? Wusste er von deinem Dasein, Majest?t? Unglaublich zu sagen: den Namen, welcher die Welt und die Geschichte f?llt--vielleicht hat er nicht einmal deinen Namen gewusst, wenn ihm auch, selten genug, deine Goldst?cke durch die H?nde laufen mochten. Denn Mouton konnte nicht lesen, so wenig als sein Liebling, der andere Mouton.

Dieser zweite Mouton, ein weiser Pudel mit ger?umigem Hirnkasten und sehr verst?ndigen Augen, ?ber welche ein schwarzzottiges Stirnhaar in verworrenen B?scheln niederhing, war ohne Zweifel--in den Schranken seiner Natur--der begabteste meiner drei G?ste: so sage ich, weil Julian Boufflers, von dem ich erz?hle, Mouton der Mensch und Mouton der Pudel oft lange Stunden vergn?gt bei mir zusammensassen.

Ihr wisset, Sire, die V?ter Jesuiten sind freigebige Ferienspender, weil ihre Sch?ler, den vornehmen, ja den h?chsten St?nden angeh?rend, ?fters zu Jagden, Kom?dien oder sonstigen Lustbarkeiten, freilich nicht alle, nach Hause oder anderswohin gebeten werden. So nahm ich denn Julian, welcher von seinem Vater, dem Marschall, grunds?tzlich selten nach Hause verlangt wurde, zuweilen in Euern botanischen Garten mit, wo Mouton, der sich unter Pflanzen und Tieren heimisch f?hlte, mich zeitweilig besuchte, irgendeine gelehrte Eule oder einen possierlichen Affen mit ein paar entschiedenen Kreidestrichen auf das Papier warf und wohl auch, wenn Fleiss und gute Laune vorhielten, mir ein stilles Zimmer mit seinen scheuenden Pferden oder saufenden K?hen bev?lkerte. Ich hatte Mouton den Schl?ssel einer Mansarde mit demjenigen des n?chsten Mauerpf?rtchens eingeh?ndigt, um dem Landstreicher eine Heimst?tte zu geben, wo er seine Staffeleien und Mappen unterbringe. So erschien und verschwand er bei mir nach seinem Belieben.

Einmal an einem jener k?hlen und erquicklichen Regensommertage, jener Tage stillen, aber schnellen Wachstumes f?r Natur und Geist, sass ich in meiner Bibliothek und blickte durch das hohe Fenster derselben ?ber einen aufgeschlagenen Folianten und meine Brille hinweg in die mir gegen?berliegende Mansarde des Nebengeb?udes, das Nest Moutons. Dort sah ich einen blonden schmalen Knabenkopf in gl?cklicher Spannung gegen eine Staffelei sich neigen. Dahinter nickte der derbe Sch?del Moutons, und eine behaarte Hand f?hrte die schlanke des J?nglings. Ausser Zweifel, da wurde eine Malstunde gegeben. Mouton der Pudel sass auf einem hohen Stuhle mit rotem Kissen daneben, klug und einverstanden, als billige er h?chlich diese gute Erg?tzung. Ich markierte mein Buch und ging hin?ber.

In meinen Filzstiefeln wurde ich von den lustig Malenden nicht geh?rt und nur von Mouton dem Pudel wahrgenommen, der aber seinen Gruss, ohne das Kissen zu verlassen, auf ein heftiges Wedeln beschr?nkte. Ich liess mich still in einen Lehnstuhl nieder, um dem wunderlichsten Gespr?che beizuwohnen, welches je in Euerm botanischen Garten, Sire, gef?hrt wurde. Zuerst aber betrachtete ich aus meinem Winkel das Bild, welches auf der Staffelei stand, den Geruch einatmend, den die flott und freigebig gehandhabten ?lfarben verbreiteten. Was stellte es dar? Ein Nichts: eine Abendstimmung, eine Flussstille, darin die Spiegelung einiger aufgel?ster roter W?lkchen und eines bemoosten Br?ckenbogens. Im Flusse standen zwei K?he, die eine saufend, die andere, der auch noch das Wasser aus den Maulwinkeln troff beschaulich blickend. Nat?rlich tat Mouton das Beste daran. Aber auch der Knabe besass eine gewisse Pinself?hrung, welche nur das Ergebnis mancher ohne mein Wissen mit Mouton vermalten Stunde sein konnte. Wie viel oder wenig er gelernt haben mochte, schon die Illusion eines Erfolges, die Teilnahme an einer genialen T?tigkeit, einem m?helosen und gl?cklichen Entstehen, einer K?hnheit und Willk?r der sch?pferischen Hand, von welcher wohl der Phantasielose sich fr?her keinen Begriff gemacht hatte und die er als ein Wunder bestaunte, liess den Knaben nach so vielen Verlusten des Selbstgef?hls eine grosse Gl?ckseligkeit empfinden. Das w?rmste Blut r?tete seine keuschen Wangen, und ein Eifer befl?gelte seine Hand, dass nichts dar?ber ging und auch ich eine helle v?terliche Freude f?hlte.

Inzwischen erkl?rte Mouton dem Knaben die breiten Formen und schweren Geb?rden einer wandelnden Kuh und schloss mit der Behauptung, es gehe nichts dar?ber als die Gestalt des Stieres.

Diese sei der Gipfel der Sch?pfung. Er sagte wohl, um genau zu sein, der Natur, nicht der Sch?pfung, denn die letztere kannte er nicht, weder den Namen noch die Sache, da er verwahrlost und ohne Katechismus aufgewachsen war.

Wenig Gl?ck gen?gte, die angebotene Heiterkeit wie eine sprudelnde Quelle aus dem Knaben hervorzulocken. Die Achtung Moutons vor dem Hornvieh komisch findend, erz?hlte Julian unschuldig: 'P?re Amiel hat uns heute morgen gelehrt, dass die alten ?gypter den Stier g?ttlich verehrten. Das finde ich drollig!'

'Sapperment', versetzte der Maler leidenschaftlich, 'da taten sie recht. Gescheite Leute das, Viehkerle! Nicht wahr, Mouton? Wie? Ich frage dich, Julian, ist ein Stierhaupt in seiner Macht und drohenden Gr?sse nicht g?ttlicher--um das dumme Wort zu gebrauchen--als ein Dreieck oder ein Tauber oder gar ein schales Menschengesicht? Nicht wahr, Mouton? Das f?hlst du doch selber, Julian? Wenn ich sage: fades Menschengesicht, so rede ich unbeschadet der Nase deines P?re Amiel. Alle Achtung!' Mouton zeichnete, ?brigens ohne jeden Spott, mit einem frechen Pinselzug auf das Tannenholz der Staffelei eine Nase, aber eine Nase, ein Ungeheuer von Nase, von fabelhafter Gr?sse und ?berw?ltigender Komik.

'Man sieht', fuhr er dann in ganzem Ernste fort, 'die Natur bleibt nicht stehen. Es w?rde sie erg?tzen, zeitweilig etwas Neues zu bringen. Doch das ist versp?tet: die Vettel hat ihr Feuer verloren.'

'P?re Amiel', meinte der Knabe sch?chtern, 'wird der Natur nicht f?r seine Nase danken, denn sie macht ihn l?cherlich, und er hat ihrethalber viel von meinen Kameraden auszustehen.l

'Das sind eben Buben', sagte Mouton grossm?tig, 'denen der Sinn f?r das Erhabene mangelt. Aber beil?ufig, wie kommt es, Julian, dass ich, neulich in deinem Schulhaus einen Besuch machend, um dir die Vorlagen zu bringen, dich unter lauter Kr?ten fand? dreizehn--und vierzehnj?hrigen J?ngelchen? Passt sich das f?r dich, dem der Flaum keimt und der ein Liebchen besitzt?'

Dieser pl?tzliche ?berfall rief den entgegengesetzten Ausdruck zweier Gef?hle auf das Antlitz des J?nglings: eine gl?ckliche, aber tiefe Scham und einen gr?ndlichen Jammer, der ?berwog. Julian seufzte. 'Ich bin zur?ckgeblieben', lispelte er mit unwillk?rlichem Doppelsinne.

'Dummheit!' schimpfte Mouton. 'Worin zur?ckgeblieben? Bist du nicht mit deinen Jahren gewachsen und ein schlanker und sch?ner Mensch? Wenn dir die Wissenschaften widerstehen, so beweist das deinen gesunden Verstand. Meiner Treu! ich h?tte mich als ein B?rtiger oder wenigstens Flaumiger nicht unter die Buben setzen lassen und w?re auf der Stelle durchgebrannt.'

'Aber Mouton', sagte der Knabe, 'der Marschall, mein Vater, hat es von mir verlangt, dass ich noch ein Jahr unter den Kleinen sitzen bleibe. Er hat mich darum gebeten, ihm diesen Gefallen zu tun.' Er sagte das mit einem z?rtlichen Ausdruck von Gehorsam und ehrf?rchtiger Liebe, der mich ergriff, obschon ich mich zu gleicher Zeit an dem die kindliche Verehrung missbrauchenden Marschall ?rgerte und auch dar?ber h?chst missmutig war, dass Julian, gegen mich und jedermann ein hartn?ckiger Schweiger, einem Mouton Vertrauen bewies, einem Halbmenschen sich aufschloss. Mit Unrecht. Erz?hlen doch auch wir Erwachsenen einem treuen Tiere, welches uns die Pfoten auf die Knie legt, unsern tiefsten Kummer, und ist es nicht ein vern?nftiger Trieb aller von der Natur Benachteiligten, ihre Gesellschaft eher unten zu suchen als bei ihresgleichen, wo sie sich als Geschonte und Bemitleidete empfinden?

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