Read Ebook: Der Sozialismus einst und jetzt Streitfragen des Sozialismus in Vergangenheit und Gegenwart by Bernstein Eduard
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n lassen. Mir scheint jedoch ein anderer Weg ratsamer, n?mlich der Weg der Betrachtung der geschichtlichen Erscheinungsformen. Verm?ge ihrer werden wir uns, glaube ich, am besten dar?ber unterrichten k?nnen, was wir heute unter Sozialismus zu verstehen haben.
Der allgemeinste und darum allerdings auch der oberfl?chlichste Begriff von Sozialismus ist die Vorstellung von einem Gesellschaftszustand, wo es weder Reiche noch Arme gibt, wo vieles allen gemeinsam ist und eine starke Br?derlichkeit herrscht. Wo diese Merkmale fehlen, wo weitgehende sachliche Gemeinschaft, weitgehende ethische Gemeinschaftlichkeit und Abwesenheit grosser Verm?gensunterschiede fehlen, fehlen die wesentlichen Attribute des Sozialismus. So begriffen nun ist er sehr viel ?lter als sein Name. W?hrend dieser erst im 19. Jahrhundert aufkommt, findet man die Sache als Idee oder Bewegung schon in dem Zeitalter, das wir Altertum nennen. ?berall dort, wo die Menschen nicht mehr in einfachen, ihren Wohnsitz wechselnden Stammesverb?nden leben, sondern sich sesshaft gemacht haben und staatliche, beziehungsweise territorial gegliederte Gemeinwesen geschaffen haben, die der Bildung grosser Verm?gensunterschiede und Rechtsungleichheiten Vorschub leisten, stellt sich fr?her oder sp?ter bei Individuen oder Schichten der Wunsch nach Beseitigung dieser Ungleichheiten ein und findet in der Ausmalung von besseren Gesellschaftszust?nden seinen ideologischen, in K?mpfen f?r solche seinen politischen Niederschlag. Die Geschichte der asiatischen und vorderasiatischen Kulturv?lker, die Geschichte der Griechen und R?mer gibt uns zwar nur l?ckenhaft, aber doch unmissverst?ndlich Kunde von solchen Bewegungen. Als Quelle daf?r sei auf Robert P?hlmanns Geschichte des antiken Kommunismus und Sozialismus verwiesen, ein Werk, gegen dessen kritische Aufstellungen ich mancherlei starke Einw?nde zu erheben habe, aus dem man aber ersehen kann, wie sehr nicht nur die sozialen K?mpfe, von denen uns die Geschichte der Alten erz?hlt, sondern auch die mehr oder weniger phantastischen Konstruktionen oder Ausmalungen von Idealstaaten, die uns -- leider oft nur sehr skizzenhaft -- ?berliefert sind, einer geschichtswissenschaftlichen W?rdigung f?hig sind und einer solchen daher auch bed?rfen. Ob man das Urchristentum, das in Rom seine eigentliche Ausbildung erfahren hat, als eine sozialistische Bewegung auffassen darf, mag dahingestellt bleiben. Bekannt ist, dass ihm diese Eigenschaft vielfach bestritten wird und man es lediglich als eine ethische Bewegung aufgefasst wissen will. Aber wenn es als Gesamterscheinung nicht auf die Bezeichnung sozialistisch Anspruch haben soll, so ist es doch unbestreitbar die N?hrquelle vieler sozialistischer Theorien und Bewegungen gewesen. Zeugnis legen ab allerhand Kapitel aus der grossen Literatur der Kirchenv?ter und der Scholastik, und Beispiele sind eine Reihe noch dem Altertum angeh?riger kommunistischer und halbkommunistischer christlicher Sekten, denen solche des Zeitalters der Renaissance und der Reformation gefolgt sind.
Nach zwei Seiten hin l?sst sich in den sozialistischen Utopien des mit der Reformation einsetzenden Zeitalters eine abgestufte Entwicklung feststellen: erstens eine Tendenz der ?berbietung in phantastischen Ausmalereien, und zweitens eine Tendenz zum gr?sstm?glichen Rationalismus in der Spekulation. Diese letzte Tendenz ist f?r unsere Betrachtung die wichtigere, denn sie war ein Hebel zur F?rderung der sozialen Erkenntnis und f?hrte schrittweise zur wissenschaftlichen Behandlung der sozialistischen Bestrebungen. Die Verfasser rationalistischer Utopien des Sozialismus suchen ihre Vorg?nger zu korrigieren, und wenn das lange Zeit ohne die Form der Polemik vor sich geht, so l?sst sich doch bei verschiedenen Autoren eine unausgesprochene Bek?mpfung von Ideen des oder der Vorg?nger feststellen.
Es handelt sich schon um ernst aufgefasste Streitfragen, der Nachfolger widerlegt den Vorg?nger, ohne ihn zu nennen.
An der Wende zum 19. Jahrhundert und in dessen erstem Drittel tritt hier ein wesentlicher Fortschritt ein. Es ist in der Geschichte des Sozialismus die Epoche der grossen, kritisch gerichteten Utopisten, der Robert Owen, Charles Fourier und Henri Saint-Simon und ihrer Schulen. Das Merkmal dieser Sozialisten, das sie von den Utopisten des 18. Jahrhunderts unterscheidet, ist die Rolle, die bei ihnen der Entwicklungsgedanke spielt, und das Bestreben, an das Gegebene anzukn?pfen, die Welt, die sie vor sich haben, weiterzubilden. Robert Owen verweist in seinen sozialistischen Abhandlungen auf die in England aufgekommene kapitalistische Fabrik und die Zust?nde, die sie geschaffen hat, und nimmt sie zum Ausgangspunkt sozialistischer Reformpolitik. Charles Fourier im noch stark kleinb?rgerlichen Frankreich sucht den Sozialismus als Ideal psychologisch zu fundieren, in der Praxis auf dem Wege der Genossenschaften zu verwirklichen, wobei sein Plan kommunaler Genossenschaftspolitik auf besonderes Interesse Anspruch hat. Saint-Simon ist so sehr Entwicklungstheoretiker, dass es fraglich wird, ob man ihn ?berhaupt noch einen Utopisten nennen kann, wie er zugleich so sehr Wirklichkeitsmensch ist, dass man befugt ist, seinen Anspruch auf Einreihung in die Geschichte des Sozialismus zu bestreiten. Wenn Fourier stark von Morelly, dem geistreichen Verfasser der Utopie >>Die Basiliade<<, beeinflusst ist, so Saint-Simon von Condorcet, dem Enzyklop?disten und Verfasser der wissenschaftlichen Abhandlung ?ber den Fortschritt des menschlichen Geistes und die Vervollkommnungsf?higkeit der Menschheit. Bei den Saint-Simonisten finden wir unter anderem schon die Einteilung der Geschichte der sich fortschrittlich entwickelnden Nationen in organische und kritische Perioden, d. h. Perioden relativ ruhiger Entwicklung und Perioden revolution?rer Umw?lzungen.
Hier nun bewirken einen grundlegenden Wandel in den Anschauungen die beiden grossen M?nner, die heute als Begr?nder des wissenschaftlichen Sozialismus weithin anerkannt sind: Karl Marx und Friedrich Engels.
Sozial betrachtet ist es das Werkzeug, das bestimmt, ob individualistisch oder kollektivistisch produziert wird.
Im Altertum und auch noch bis zum Ausgang des Mittelalters ist die Produktion ?berwiegend individualistisch; erst die Steigerung des Weltverkehrs und Welthandels in der Periode der grossen Entdeckungen f?hrt zu kollektivistischer Arbeit in der Produktion. Es breitet sich die Wirtschaftsform aus, die den Namen Manufaktur erh?lt, Produktion unter Leitung von Grosskaufleuten, welche Arbeit an Handwerker ausgeben, dann aber Arbeiter in grossen Werkst?tten, Fabriken genannt, besch?ftigen. Aus dem Kaufmann wird so ein Fabrikant, und in der Fabrik werden vervollkommnete Werkzeuge verwendet, f?r die als technischer Antrieb die Naturkraft verwendet wird. Das Werkzeug wird zur Maschine und aus dem Handwerker ein Fabrikarbeiter. Die Produktion in der Fabrik wird in steigendem Grade Kollektivarbeit, und da zur Einrichtung und zum Unterhalt der Fabrik Kapital geh?rt, beherrscht zunehmend das Kapital die Produktion.
Und so gelangen wir an der Hand der Marx-Engelsschen Theorie zu einer neuen Definition des Sozialismus, die etwa so formuliert werden kann:
Der moderne Sozialismus ist
>>die Zusammenfassung des geistigen Inhalts der politischen, wirtschaftlichen und allgemein kulturellen Bestrebungen der zur Erkenntnis ihrer Klassenlage gelangten Arbeiter sowie der ihnen gleichgestellten Gesellschaftsschichten in den L?ndern kapitalistischer Entwicklung, und der Kampf zur Verwirklichung dieser Bestrebungen.<<
An die Herausarbeitung dieser Theorie in der sozialistischen Welt und an ihre Ausdeutung und praktische Anwendung im einzelnen kn?pfen sich an die bemerkenswertesten Streitfragen des Sozialismus in Vergangenheit und Gegenwart.
Zweites Kapitel.
Die naturrechtliche Begr?ndung des Sozialismus.
Es lag in der Natur der Dinge, dass der Sozialismus in den vergangenen Jahrhunderten bis weit in das neunzehnte Jahrhundert hinein fast ausschliesslich naturrechtlich begr?ndet wurde. Die Tatsache des Zusammenhanges der sozialistischen Theorien mit dem Naturrecht ist ausserordentlich interessant. Sie ist auch verschiedentlich von Gelehrten oder Schriftstellern, die sich mit der Theorie des Sozialismus befasst haben, hervorgehoben worden; aber es fehlt meines Wissens doch noch an einer systematischen, ihn geschichtlich wie begrifflich behandelnden Darstellung dieses Zusammenhanges. Es w?rde das eine ausserordentlich fruchtbare Untersuchung sein, durchaus der Vornahme wert, und ich glaube sogar auch ein gutes Thema etwa f?r eine Dissertation. Dieser Zusammenhang n?mlich zieht sich durch die ganze Geschichte des Sozialismus, von den Zeiten an, wo es ?berhaupt etwas gab, was auf diesen Namen Anspruch hat, bis in die neueste Zeit hinein. Noch im Jahre 1875 hat eine Kommission der damals sich vereinigenden sozialistischen Parteien Deutschlands bei Ausarbeitung eines Entwurfs zum Parteiprogramm dem Sozialismus eine vollkommen naturrechtliche Begr?ndung gegeben und sich dadurch eine ausserordentlich scharfe Kritik von Karl Marx zugezogen. Die Begr?ndung lautete n?mlich:
>>Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur, und da nutzbringende Arbeit nur in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft m?glich ist, geh?rt der Ertrag der Arbeit unverk?rzt und nach gleichem Recht allen Gesellschaftsgliedern.<<
Das ist, wie jeder leicht sehen kann, naturrechtlich und nicht wissenschaftlich gesprochen.
Die Frage nach einem solchen Recht taucht auf, wo das positive Recht als ungerecht erkannt oder empfunden wird. Dort greifen alsdann die Menschen naturgem?ss auf andere Wegweiser zur?ck f?r das Recht, das sie haben wollen. Es sind die verschiedensten Faktoren, auf die sie sich dabei berufen, meist zun?chst metaphysische, ?bersinnliche M?chte, die auch in Naturbegriffen aufgefasst werden; immer aber greifen sie zur?ck auf eine jenseits der positiven Gesetzgebung stehende h?here Macht, sei es die Vernunft ?berhaupt, die Gerechtigkeit, die Gottheit oder die Natur. Infolgedessen hat das Naturrecht von jeher eine humanit?re Tendenz, ist es Recht f?r die Sache der Unterdr?ckten oder jeweilig Enterbten. Im weiteren Sinne ist es damit zugleich revolution?r und ist demgem?ss gew?hnlich offiziell verp?nt worden. In der Geschichte ist es h?ufig von Religionsstiftern verk?ndet worden.
Wenn wir die orientalischen V?lker ?bergehen und nach dem Volke fragen, das wohl in der alten Welt am meisten geleistet hat in Feststellung natur- oder vernunftrechtlicher Grunds?tze, so sind das unzweifelhaft die Griechen gewesen. In der Philosophie der Griechen spielen naturrechtliche Spekulationen eine sehr bedeutende Rolle. Sie sind die Begleiterscheinung der politischen K?mpfe, die sich in den vorgeschritteneren Stadtstaaten Griechenlands abspielen, vor allem in Athen. Auch das ist bemerkenswert, dass, wenn eine bisher anerkannte Philosophie ersch?ttert, ?bersehen oder vernachl?ssigt wird -- ein Vorgang, der uns meist nur in l?ckenhaften Berichten ?berliefert wird und daher abstrakt erscheint --, dies oft tats?chlich einen ganz realen Hintergrund hat in politischen K?mpfen, die sich etwa gleichzeitig oder kurz vorher abgespielt haben. Wie die religi?sen ?berlieferungen werden die Staatseinrichtungen schon in der alten Welt vor den Richterstuhl der Vernunft gezogen und darauf gepr?ft, wie sie den nat?rlichen Bed?rfnissen der B?rger eines vollkommenen Gemeinwesens entsprechen. Wir finden das bei Plato und seinen Vorg?ngern, bei Aristoteles, vor allem aber in der Geschichte der Stoa, bei Zeno und seinen Sch?lern. Die Stoa hat darin am meisten geleistet, die naturrechtliche Seite der Gesetzgebung zu betonen und das Ansehen des positiven Rechts zu ersch?ttern. Das ist auch geschehen seitens der Sch?ler der Stoa im sp?teren Rom. Hier brauche ich nur an Seneka zu erinnern. Bei den christlichen Sekten ist es der Begriff der Gotteskindschaft beziehungsweise der Gleichheit vor Gott, der zu naturrechtlichen Folgerungen Anlass gibt oder f?r sie ausgedeutet wird. Augustinus, wohl der bedeutendste der Kirchenv?ter, ergeht sich in naturrechtlichen Betrachtungen, und der grosse Scholastiker Thomas von Aquino hat ein ganzes System eines Naturrechtes entworfen, das er in Einklang zu bringen sucht mit den Grunds?tzen des kanonischen Rechtes. Aber die zur Zeit des Thomas auf der H?he ihrer weltlichen Macht angelangte r?mische Kirche witterte in diesen naturrechtlichen Theorien und Ausf?hrungen die umst?rzlerische Tendenz und hat sie demgem?ss verworfen. Um so st?rkere Pflege finden sie aber in der Geschichte bei den ketzerischen Sektierern des Vorreformations- und Reformationszeitalters. Im Begriff des Wortes >>Ketzer<<, das abgeleitet ist von Katharer, Reiniger, liegt schon die naturrechtliche Tendenz angedeutet, das Zur?ckgreifen auf die kritisierende Vernunft, allerdings beschr?nkt auf die Auslegung der Bibel. Diese wichtige Epoche im einzelnen zu beleuchten, muss ich mir versagen, so interessant es w?re, die ganze Entwicklung der christlichen Sekten unter unserem Gesichtspunkt bis zur Reformation zu verfolgen.
Hier ist es am Ort, eine Bemerkung einzuflechten. Man kann die ganze Bewegung des Sozialismus zur?ckf?hren auf zwei grosse St?mme oder Wurzeln, aus denen sie ihre Kraft zieht. Die eine Wurzel und der sich daraus entwickelnde Stamm sind die realen K?mpfe jeweilig unterdr?ckter, zur?ckgesetzter Klassen oder Schichten der Gesellschaft. Der andere Stamm aber ist die Ideologie, die vorwiegend von Gelehrten, Denkern, Priestern usw. vertreten ist und anscheinend keinen direkten Zusammenhang mit den K?mpfen hat. Es ist sogar Tatsache, dass vielfach solche Ideologen, die weit umfassende kommunistische Theorien ausgearbeitet haben, den praktischen K?mpfen k?hl, gleichg?ltig, beinahe ablehnend gegen?berstanden. Denn die K?mpfe werden meist nicht um grosse weitumfassende Ziele, sondern um bestimmte begrenzte Forderungen gef?hrt, die nicht immer gut formuliert sind und einer gr?sseren Sache sch?dlich zu sein scheinen. So kommt es, dass, wenn auch die Ideologen gar manchesmal beeinflusst sind von den K?mpfen, ohne es zu wissen, und wenn umgekehrt die K?mpfer, ohne es zu wissen, von ihnen manches empfangen haben, wenn also auch die F?den hin?ber und her?ber laufen, doch die beiden St?mme lange Zeit getrennt ihren Weg gehen. Erst in neueren Jahrhunderten finden sie sich zusammen oder wachsen sie zusammen. Karl Kautsky und meine Wenigkeit haben einmal einen solchen Stammbaum des Sozialismus entworfen -- er ist auch reproduziert worden --, wo wir zeigten, wie die beiden St?mme sich verzweigten und schliesslich im 19. Jahrhundert zusammenwuchsen und dass, wie wir glauben, das Zusammenwachsen auf seine H?he gebracht worden ist durch die marxistische Begr?ndung des Sozialismus.
Die Berufung auf das Naturrecht findet auf die verschiedenste Weise statt. Kennzeichnend ist der Spruch, der, wenn nicht schon in den deutschen Bauernkriegen, so jedenfalls in der Englischen Revolution ausgespielt worden ist:
Als Adam grub und Eva spann, Wer war denn da der Edelmann?
>>Im Anfang der Zeit erschuf der grosse Sch?pfer Vernunft die Erde als Gemeingut aller.<<
?berhaupt ist die Englische Revolution ausserordentlich reich an politischer Literatur. Man wird eigent?mlich ber?hrt durch eine darauf bez?gliche Bemerkung der ber?hmtesten der Flugschriften, die zur Ermordung Cromwells aufforderten. Das fast ergreifend geschriebene Pamphlet stammt von einem fr?heren Anh?nger Cromwells und hat den Titel: >>T?ten heisst nicht morden!<< Es kam heraus im Jahre 1856, wo man nur erst die kleinen Handpressen hatte, und beginnt mit den Worten:
>>Es ist nicht der Wunsch, mich gedruckt zu sehen in einer Zeit, wo so wenige die Presse verschonen.<<
Unter den Brosch?ren der wahren Leveller, deren Kommunismus wesentlich ein Bodenkommunismus war, findet sich auch eine Brosch?re mit dem Titel: >>Das Licht, das in Buckinghamshire scheint<<, in der sehr energisch jede ?bersinnliche Religion verworfen wird. Das gleiche geschieht in der Schrift Winstanleys, in der er seine Utopie entwickelt: >>Die Freiheit als ein Programm dargelegt<<. Auch dort bek?mpft er auf das entschiedenste die ?bersinnliche Religion. Wie der gr?sste Teil der damaligen radikalen Literatur ist die ganze Schrift rationalistisch gehalten, und der kommunistische Gedanke wird auf das Naturrecht als Vernunftrecht begr?ndet. Diese Bewegung der wahren Leveller ist der Vorl?ufer der grossen Bewegung der Qu?ker, die 1653 von George Fox eingeleitet wird. Die Qu?ker sind Rationalisten, wenn auch mit einem St?ck Mystik. Das innere Licht, das die Vernunft ist, die aus dem Menschen spricht, soll alles entscheiden.
B?rgerliche Schriftsteller von Bedeutung der damaligen Zeit, die gleichfalls naturrechtlich argumentiert haben, sind vor allem der Dichter Milton und der sehr interessante Staatsmann James Harrington, der Verfasser der >>Oceana<<, und ebenso der Theoretiker des Obrigkeitsstaates, Thomas Hobbes. Von England aus, das nun der Vorl?ufer war f?r die Revolution auf dem Kontinent, geht diese Auffassung und Denkweise nach Frankreich ?ber. Frankreich hat schon im Anfang des 18. Jahrhunderts seinen radikalen Kommunisten in dem bekannten atheistischen Pfarrer Jean Meslier, der zwar nicht als Pfarrer seine Lehre verk?ndete, aber sie sehr scharf in der Schrift niederlegte, die nach seinem Tode als sein Testament zuerst auszugsweise von Voltaire ver?ffentlicht wurde. Die Schrift ist ganz und gar atheistisch und begr?ndet absolut naturrechtlich einen radikalen Kommunismus, das >>gleiche Recht aller auf die Benutzung der Erde<<.
Im dritten Artikel heisst es:
und im sechsten Artikel:
Dies die beiden wichtigsten Artikel, die die naturrechtliche Auffassung betonen. Dass sie als theoretische Begr?ndung vor der Kritik nicht standh?lt, braucht nicht mehr nachgewiesen zu werden. Aber von dieser Auffassung werden die demokratischen Rechte abgeleitet und empf?ngt drei Jahre sp?ter, nachdem die Verfassung beschworen, die Verschw?rung Babeufs ihre geistige Anregung. Die Verschw?rung Babeufs und der Gleichen ist das klassische Beispiel der Ableitung des Sozialismus aus dem Naturrecht.
Fran?ois No?l Babeuf, der sich nach der damaligen Sitte den Vornamen Gracchus beilegte und auch dem von ihm geschaffenen Organ den Namen >>Der Volkstribun<< gab, kann als der konsequenteste Vertreter der Ableitung des Kommunismus aus der Idee eines von der Natur bestimmten Rechts betrachtet werden. Die Verschw?rung der Gleichen genauer zu schildern, geh?rt in eine Abhandlung, die sich mit der Geschichte des Sozialismus im einzelnen befasst, ist daher hier nicht am Platze. Die Gleichen waren die ?ussersten Ausl?ufer der Revolution, und es ist bezeichnend, dass ihre f?hrenden Mitglieder s?mtlich der Schicht der Intellektuellen angeh?rten. Es ist vollkommen irrig, ihre Bewegung als eine Klassenbewegung des Proletariats aufzufassen. Die Gleichen agitierten zwar im Volke, sie schickten ihre Sendboten in die damals existierenden Fabriken, die gr?sseren Werkpl?tze und Werkst?tten von Paris, suchten dadurch auf die Arbeiter Einfluss zu gewinnen und fanden ihn auch anscheinend. Es ward sogar erz?hlt, dass die Verschw?rung der Gleichen, die schliesslich einige tausend Mitglieder angeworben hatte, alle Aussichten des Erfolges f?r sich hatte. So hat sich der franz?sische radikale Schriftsteller Georges Avenel im Pariser >>Si?cle<< ausgedr?ckt, und von da ist dieser Satz durch eine ganze Reihe sozialistischer Abhandlungen ?ber sie ?bergegangen. Auch findet man eine solche ?usserung schon bei Philipp Buonarotti, dem Mitglied und klassischen Geschichtschreiber der Verschw?rung. Es ist das aber der Ausfluss einer ganz naiven Auffassung. Sie hatte gar keine Aussichten des Erfolges f?r sich. Die Form der Organisation war eine solche, dass sie ?ber die M?glichkeiten t?uschen konnte; aber beim ersten Versuch, den ausgekl?gelten Plan in die Praxis umzusetzen, schlug er ganz j?mmerlich fehl. Das hat indes nat?rlich noch nichts zu tun mit der W?rdigung der dem Kommunismus Babeufs zugrunde liegenden Idee. Babeuf hat sie in verschiedenen Artikeln seiner Zeitschrift entwickelt, und in einem seiner ber?hmten Artikel, der im >>Volkstribun<< vom 30. November 1795 erschien, wird die absolute Gleichheit kategorisch als Naturrecht aufgestellt. Es heisst da:
Sp?ter finden wir im April 1796 im Manifest der Gleichen, das von Sylvain Mar?chal verfasst war und den wunderlichen Satz enth?lt: >>M?ge alle Kultur zugrunde gehen, wenn nur die Gleichheit hergestellt ist<<, als Einleitung den Satz:
Die Natur hat also nicht nur einen Willen, sondern auch W?nsche. In einem andern Manifest, das die Erkl?rung der Lehren Gracchus Babeufs gibt, lautet der erste Satz:
Aber die Natur ist nicht imstande, dieses Recht selbst zu verwirklichen. Daher lautet der zweite Satz:
>>Der Zweck der Gesellschaft ist es, diese Gleichheit, die im rohen Naturzustande oft durch die Starken und Schwachen gef?hrdet wird, zu verteidigen und durch t?tige Mitwirkung aller die gemeinsamen Lebensgen?sse zu vermehren.<<
Und der dritte Satz sagt:
>>Die Natur hat jedem die Pflicht zur Arbeit auferlegt. Keiner hat sich ohne Verbrechen je dieser Pflicht entziehen k?nnen.<<
Von neuem wird die Natur angerufen, die Natur mit ihrem Willen. Zu erw?hnen ist noch der Satz Nr. 10:
>>Zweck der Revolution ist die Beseitigung der Ungleichheit und die Wiederherstellung des allgemeinen Wohlstandes.<<
Alles wird zur?ckgef?hrt auf den Willen und die Absichten der Natur und einen vorgestellten Naturzustand, auf dem allgemeiner Wohlstand geherrscht habe. In bezug auf letzteren verr?t aber Babeuf doch schon Zweifel, wenn er sagt, im rohen Naturzustande haben Schwache und Starke die nat?rliche Gleichheit gef?hrdet.
Die Verschw?rung der Gleichen war die letzte grosse Regung in der Franz?sischen Revolution, die ausging vom Naturrecht. Es finden nach ihr noch kleinere Aufst?nde und Attentate demokratisch gesinnter Elemente statt, aber die Bewegung selbst geht r?ckl?ufig. Auf die Epoche des Direktoriums folgt die des Konsulats, und dann f?hren die imperialistischen Kriege Bonapartes -- die ersten Jakobinerkriege waren ja Verteidigungskriege -- dazu, dass Verteidigungskrieg und Eroberungskrieg sich vermischten, dass Kriege, die in der Vorstellung der Nation der Befreiung galten, zu neuer Beherrschung f?hrten. Erst gegen Ende der Restauration, zwei Jahre bevor im Juli 1830 auch die Legitimisten gest?rzt waren, ver?ffentlichte Buonarotti in Br?ssel die Geschichte der Verschw?rung der Gleichen, die einen sehr tiefen Eindruck machte und bald neue Verschw?rungen von Sozialisten zur Folge hatte. Buonarotti war ohnehin Carbonari, und unter seinem Einfluss entstand eine Verschw?rersekte, die den Namen >>die Babouvisten<< bekam und deren Anh?nger sich sp?ter >>Partei der Blanquisten<< nannten, nach ihrem hervorragenden F?hrer Auguste Blanqui. Neben dieser Bewegung zeitigte der sozialistische Gedanke eine Reihe Abarten in Frankreich, und man kann sagen, dass der ganze franz?sische Sozialismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wenn man ihn sch?rfer untersucht, zuletzt naturrechtlich begr?ndet ist. Das ist z. B. auch der Fall bei Charles Fourier, dessen Lehre im Grundgedanken zur?ckgeht auf Morelly, der, wie wir gesehen haben, Naturanlagen massgebend sein l?sst f?r die Struktur des sozialistischen Systems. Bei Morelly schon findet man den Gedanken, dass die nat?rlichen Anlagen und Neigungen die M?glichkeit geben, einen Gesellschaftszustand zu errichten, der auf voller Freiheit und Gleichheit beruht. Alle nat?rlichen Neigungen und Leidenschaften seien von Hause aus berechtigt und keine Laster, sofern man ihnen nur die M?glichkeit gebe, sich richtig zu bet?tigen. Fourier l?sst auch Neigungen als gleichberechtigt gelten, die gemeinhin f?r unsch?n erachtet werden, so die Abwechslungssucht, den Ehrgeiz, die Streitsucht usw., und hat ein ganzes System aufgestellt, wie diese Neigungen zum Besten der Gesellschaft geleitet werden k?nnen. Er hat nach Newton ein zweites Gesetz der Attraktion zu formulieren geglaubt.
Auch in anderen L?ndern, auch in Deutschland, finden wir die Gleichheitsidee in den verschiedensten Formen von Sozialisten verfochten und naturrechtlich begr?ndet, in England bei Robert Owen und seiner Schule, in Deutschland beim >>Bund der Gerechten<< und dessen zeitweise haupts?chlichsten Vertreter Wilhelm Weitling, dessen Buch >>Garantien der Harmonie und Freiheit<< in hohem Grade beruht auf babouvistischen Ideen, die er in Paris kennengelernt hatte. Dadurch aber, dass diese Systeme, soviel richtige Gedanken sie sonst enthalten, sich bewusst oder unbewusst auf die naturrechtliche Betrachtungsweise st?tzen, sind sie doch ihrem Wesen nach utopistisch. Denn es wird bei ihnen vergessen, dass der Mensch nicht nur ein Produkt der Natur, sondern im Laufe der Zeit auch ein Produkt der Geschichte und der gesellschaftlichen Zust?nde geworden ist, die in ihm vielfach erst Neigungen und Bed?rfnisse entwickelt haben, die er von Natur aus nicht hat. Als Produkte der Natur haben alle Menschen allerdings gewisse gleiche Bed?rfnisse mit auf den Weg bekommen. Alle Menschen haben von Natur aus gleichermassen, wenn auch nicht in gleicher Beschaffenheit Nahrungsbed?rfnisse, das Bed?rfnis nach Obdach usw.; eine Reihe grober Bed?rfnisse sind allen gemeinsam. Aber wenn man eine Gesellschaft konstruieren will von Menschen, die man vorfindet, dann muss man auch pr?fen: was sind ihre sozialen, ihre geschichtlich gewordenen Bed?rfnisse, welche Zust?nde hat die geschichtliche Entwicklung geschaffen, und was ist unter diesen Verh?ltnissen zu ?ndern notwendig und m?glich?
Mit diesem Einwand soll nun durchaus nicht etwa die Bedeutung naturrechtlicher oder vernunftrechtlicher Erw?gungen irgendwie untersch?tzt und herabgesetzt werden. Wollte man das tun, so liefe es darauf hinaus, das sogenannte positive Recht, die geschichtlichen Zust?nde, die in einer Epoche eingetreten sind und sich fortgepflanzt haben, schon bloss weil sie geschichtlich sind, f?r gut erkl?ren und ihnen eine Ewigkeitsdauer, eine Art Heiligkeit zusprechen. Das w?rde nat?rlich vollst?ndig falsch sein. Die Idee eines Naturrechts hat in der Geschichte und Wissenschaft zu den verschiedenen Zeiten eine ungeheuer grosse Bedeutung gehabt.
Die Idee eines Rechtes, das ?ber dem geschriebenen Recht steht, das unabh?ngig ist von gegebener geschichtlicher Entwicklung und positiven Machtverh?ltnissen, war unter Umst?nden der Protest des vorw?rtsstrebenden Geistes gegen die Fortdauer ?berlebter, Unrecht gewordener Einrichtungen, Zust?nde und Anschauungen, sie war die Auflehnung sozusagen des jeweiligen Zeitgeistes gegen die Herrschaft der Tradition, gegen die Herrschaft des Unrecht gewordenen Rechtes, der Gedanke an sie die Zuflucht der jeweilig Unterdr?ckten und in der Gesellschaft Zur?ckgesetzten. Es f?llt mir also gar nicht ein, etwa zu bestreiten, dass das Nachdenken ?ber eine Rechtstheorie, die h?her steht als das geschichtlich gewordene positive Recht, seine Berechtigung habe. Die rechtstheoretische Betrachtung, die Forschung nach einem richtigen Recht, wie man es nun nennt, ist ein sehr bedeutsames Streben, das durch die ganze Geschichte namentlich der liberalen Rechtsschule geht, wobei ich das Wort >>liberal<< hier nicht im Parteisinne, sondern im weiten geschichtlichen Sinne anwende, als den grossen Freiheitsgedanken, der in der Franz?sischen Revolution seine rechtliche Formulierung gefunden hat und in sich die Grundidee aller Fortschrittsbewegungen einschliesst, die sich weiterhin im Laufe der Geschichte vollziehen, n?mlich das Recht des werdenden Neuen gegen das ?berlebte Alte. Der Gedanke dieses Rechts ist der liberale Rechtsgedanke -- nicht im Parteisinne, sondern im grossen geschichtlichen Sinne. Man kann ihn auch den revolution?ren Rechtsgedanken nennen.
Es gibt eine ganze Literatur des Vernunftrechts. Fast alle Rechtstheoretiker haben sich mit ihm auseinanderzusetzen versucht, fast alle Dichter und Denker sich mit ihm besch?ftigt. Die Worte, die Goethe im >>Faust<< in der Sch?lerszene dem Mephisto in den Mund legt, diese oft zitierten Verse:
>>Es erben sich Gesetz und Rechte Wie eine ew'ge Krankheit fort; Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte Und r?cken sacht von Ort zu Ort. Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; Weh' dir, dass du ein Enkel bist! Vom Rechte, das mit uns geboren ist, Von dem ist -- leider! -- nie die Frage.<<
sie sind der Aufschrei der naturrechtlichen Betrachtung, der Protest des unter der ?berlieferung Leidenden gegen?ber dem positiven Recht, das Zur?ckgreifen auf ein Recht, das h?her steht als das jeweilig anerkannte. Das hat ja auch Schiller im >>Tell<< in der ber?hmten, nach meiner Ansicht sch?nsten Szene dieser Dichtung, der Verschw?rungsszene auf dem R?tli, dem Stauffacher in den Mund gelegt. Nachdem er alle die Unbill aufgez?hlt hat, die die Schweizer erlitten haben, ruft Stauffacher aus:
>>Ist keine Hilfe gegen solchen Drang? Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht. Wenn der Gedr?ckte nirgends Recht kann finden, Wenn unertr?glich wird die Last, -- greift er Hinauf getrosten Mutes in den Himmel Und holt herunter seine ew'gen Rechte, Die droben hangen unver?usserlich Und unzerbrechlich, wie die Sterne selbst.<<
Die naturrechtliche Ableitung des Sozialismus wurde aber mit Notwendigkeit Ursache von allerhand Streit unter Sozialisten und dann selbst zu einer Streitfrage des Sozialismus. Polemik ?ber ihre Anwendung zieht sich in verschiedenen Formen durch die ganze sozialistische Literatur. Die naturrechtliche Auffassung selbst aber ist mit der gr?ssten Sch?rfe kritisiert worden von den beiden grossen Denkern Marx und Engels in ihrer Auseinandersetzung mit der nachhegelschen Philosophie und den von ihr wie von den franz?sischen Utopisten beeinflussten deutschen Sozialisten. Ganz besonders gilt dies von einem Manuskript, das leider nur erst zur H?lfte ver?ffentlicht ist, n?mlich die Kritik von Marx und Engels an der Schrift Max Stirners: >>Der Einzige und sein Eigentum.<< Stirner galt als der radikalste Sozialphilosoph seiner Tage. Die ersten Abschnitte der Auseinandersetzung von Marx und Engels mit ihm sind in den >>Dokumenten des Sozialismus<< ver?ffentlicht worden, die von mir herausgegeben wurden und 1905 ihr Erscheinen einstellten. Das Manuskript mit dem unver?ffentlichten Teil ist noch in meinen H?nden. Stirner nun, der alles Heilige geleugnet hatte, wird, weil er doch wieder auf Naturrechtsideen in seinen Beweisf?hrungen zur?ckgreift, ?berf?hrt, dass er mit seiner ?bertreibung des Ich selbst Ideologe ist und von Marx und Engels ironisch >>der heilige Max<< genannt, das Schlimmste, was ihm passieren konnte.
Aber auch von den Sozialisten, die wissenschaftlich vorzugehen glaubten, indem sie sich auf die ?konomie beriefen, sind ein grosser Teil im naturrechtlichen Denken h?ngen geblieben.
Drittes Kapitel.
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