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Read Ebook: Ferien vom Ich by Keller Paul

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Ebook has 2330 lines and 83297 words, and 47 pages

Die Zeit meiner Abwesenheit hat an dem feindlichen Verhalten der beiden St?dte Waltersburg und Neustadt nichts ge?ndert. Und doch ist Neustadt eine Tochterstadt von Waltersburg, die beiden Orte sind in der Luftlinie kaum drei Kilometer voneinander entfernt und nur durch den m?ssig hohen Weihnachtsberg getrennt. Nicht nur, dass die beiderseitigen Gemeindekollegien miteinander in Hader liegen und sich die zwei Stadtbl?ttchen st?ndig befehden, der Hass gegen die Nachbarstadt bringt auch noch heute die K?pfe der Waltersburger Stammtischphilister in Gluthitze und ?bertr?gt sich sogar auf die Frauen und Kinder.

Solch grobe Beleidigung strafen die Waltersburger mit eiskalter Verachtung; dagegen erhitzen sie sich noch heute sofort, wenn die Rede einmal auf den Bahnbau kommt.

Als nach dem siebziger Kriege sich in Deutschland die Eisenbahnen mehrten wie nach einem fruchtbaren Regen im Garten die W?rmer, hatte die Regierung dem Rat angeboten, eine neue Hauptstrecke ?ber Waltersburg zu f?hren, ja die Stadt zu einem Eisenbahnknotenpunkt zu machen. Dieses Anerbieten hatte die B?rgerschaft in die allerschwerste Sorge gest?rzt. Sie sandten zum Kaiser nach Berlin eine Deputation mit der Bitte, der Landesvater m?ge das schwere Unheil, das den Frieden und die Ruhe der treuen Stadt Waltersburg bedrohe, allergn?digst abwenden. Die Deputation wurde zwar nicht empfangen, brachte aber in aller Stille ein kr?ftiges Wort mit heim, das ein Geheimer Rat im Eisenbahnministerium gesprochen hatte, und das nicht viel schmeichelhafter klang als die Neust?dter Auslegung des Waltersburger Wappentieres.

Die Hauptsache war: die Bahn kam nicht nach Waltersburg. Sie wurde jenseits des Weihnachtsberges, etwa sechs Kilometer von der Stadt entfernt, vorbeigef?hrt. Daselbst wurde auch ein grosser Bahnhof angelegt, da sich in der Tat die Notwendigkeit herausgestellt hatte, an diesem Orte einen Kreuzungspunkt zu errichten, und die Station f?hrte, da sie doch benannt werden musste, den Namen ,,Waltersburg-Neustadt".

Die Waltersburger lachten. Sie hatten jetzt eine Eisenbahnstation, aber diese Station konnte ihnen nichts anhaben. Sp?ter hat ein Dichter in der ,,Neust?dter Umschau" ein Poem ver?ffentlicht, in dem es hiess:

F?r dieses Gedicht hat sein Verfasser von den Neust?dtern viel Lob und von den Waltersburgern gelegentlich recht ordentliche Pr?gel geerntet.

Neustadt verdankte seine Gr?ndung einem trutzigen B?rger von Waltersburg, dem Baumeister August Bunkert, der als einziger in der ganzen Stadt Waltersburg Tag und Nacht geredet hatte, die so g?nstige Gelegenheit, einen grossen Bahnhof an die Stadt zu bekommen, nicht zu verpassen. Als er mit seinen Ideen nicht durchdrang, im Gegenteil viel Anfeindung erfuhr, die bis zu pers?nlichen Feindschaften ausartete, und sich insonderheit mit seinem einzigen Bruder, Wilhelm Bunkert, der jetzt B?rgermeister von Waltersburg ist und damals zu der Berliner Deputation geh?rte, in bitterem Hader entzweite, zog der Baurat aus dem Hause seiner V?ter aus und baute jenseits des Berges dicht neben den neuen Bahnhof ein grosses Hotel, dem er den Namen ,,Zur guten Hoffnung" gab. Die ,,gute Hoffnung" erwies sich zun?chst als schlecht; denn da das Hotel auf blossem Felde stand, alle Eisenbahnpassagiere aber fanden, dass sie in der menschenleeren Wald- und Wiesengegend nichts zu suchen h?tten und darum immer schleunigst weiterfuhren, stand das Hotel Jahr und Tag leer, die wenigen Bahnbeamten abgerechnet, die am Abend ihr Sch?pplein tranken, und an August Bunkert kroch langsam die Pleite heran. Die Waltersburger meinten, dass der neuerungss?chtige Trotzkopf dieses Schicksal wohl verdient habe, aber zu ihrer Ehre muss gesagt werden, dass Bunkert vielen leid tat und dass man dem verlorenen Sohne gern verziehen und ihm auf die eine oder andere Art wieder auf die Beine geholfen h?tte, wenn es dem Ausreisser nur eingefallen w?re, zur?ckzukommen, seinen Irrtum einzugestehen und die vorsichtige Art der Waltersburger zu loben, die er ehedem so heftig angegriffen hatte. August Bunkert aber dachte nicht daran, den Reuigen zu spielen, und auf einen Brief seines b?rgermeisterlichen Bruders, worin dieser fragte, ob er denn auch den Rest seines sch?nen v?terlichen Erbes noch vollends verschleudern wolle, gab er keine Antwort. Da wurde er seinem Schicksal ?berlassen. Dieses Schicksal gestaltete sich g?nstig. Die grosse Bahnhofswirtschaft, die August Bunkert ?bertragen wurde, hielt ihn zun?chst ?ber Wasser, und endlich gelang ihm der grosse Schlag. Er brachte eine Gesellschaft von bedeutenden Geldleuten der Grossstadt zusammen und kaufte als deren Funktion?r oder Generaldirektor, wie er sich lieber nannte, alles Waltersburger Gel?nde auf, das jenseits des Weihnachtsberges gelegen war. Die Waltersburger schlugen die H?nde ?ber den K?pfen zusammen. Hundert Taler ?ber den orts?blichen Preis hinaus gab Bunkert f?r jeden Morgen Feld-, Wald- oder Wiesenland, und die Besitzer beeilten sich, ihre entlegenen L?ndereien unter so gl?nzenden Bedingungen loszuwerden. Innerhalb von eineinhalb Jahren besass kein Waltersburger mehr jenseits des Berges auch nur einen Halm.

Die ganz Gewissenhaften aber sch?ttelten die K?pfe und sagten: Dieser Bunkert lockt seinen Auftraggebern das Geld aus der Tasche; er ist ein Hochstapler, und man sollte doch sehr ?berlegen, ob man den unangebrachten Preis annehmen d?rfe, den die neuen Besitzer aus dem Wald- und Wiesenland nie und nimmer herauswirtschaften k?nnten. Doch auch diese ganz Gewissenhaften beruhigten sich und nahmen das Geld.

O du grossm?chtige Verwundernis! In dem prachtvollen Hochwald, den August Bunkert erworben, an den gr?nen Wiesen, am Flussufer, den Weihnachtsberg hinauf, entstand ein schmuckes Landhaus nach dem anderen, Einfamilienh?user, Sommerwohnungen, Bader?ume, ein Kurhaus, eine ,,Wandelhalle" bauten sich auf, ein Basar f?r Lebensmittel, ein anderer f?r ,,Bekleidungs- und Gebrauchsgegenst?nde" wurde errichtet, Hunderte und aber Hunderte von Arbeitern waren das ganze Jahr besch?ftigt. Und alle H?user baute der Baumeister August Bunkert und wurde ein schwerreicher Mann.

Noch staunten die Waltersburger, noch lachten einige sp?ttisch und ver?chtlich, aber manch einer schwieg schon nachdenklich und dachte bei sich: Was tut sich? Da erschien in den grossen hauptst?dtischen Bl?ttern ein Inserat: ,,Waltersburg-Neustadt, entz?ckend am S?dabhange des 450 Meter hohen Weihnachtsberges gelegen, mitten in prachtvollem Hochwald, in gr?nes Wiesen- und Flussland gebettet, ein Paradies der Gesundheit und des Naturgenusses, bei vorl?ufig nur f?nf Mark pro Quadratmeter Bauland f?r alle, die sich ein Eigenheim gr?nden wollen, eine nie wiederkehrende Gelegenheit. Nur f?nfviertel Stunden von der Hauptstadt entfernt. Grosser Eisenbahnknotenpunkt. Haltestelle aller Schnellz?ge. T?glich zw?lfmal Verbindung mit der Hauptstadt. Anfragen an Generaldirektor Baumeister August Bunkert in Neustadt erbeten."

Die Proklamation des Deutschen Reiches kann seinerzeit in Berlin keinen so grossen Eindruck gemacht haben wie dieses Inserat in Waltersburg. Die Leute lachten, wimmerten, fuchtelten mit den Armen und waren voll neidischer Beklommenheit. Am Abend sass ein ganzer Stammtisch im ,,Goldenen L?wen" mit der Kreide vor der Schiefertafel und wollte ausrechnen, wieviel ein Morgen Land koste, wenn das Quadratmeter auf f?nf Mark komme. Niemand kriegte es heraus, und alle schimpften auf die neumodische Rechnungsart. Selbst den Amtsrichter Knopf verliess seine akademische Bildung; er knurrte, er habe ja nicht Mathematik studiert, und solche Aufgaben k?nne ?berhaupt immer nur ein Volksschullehrer herauskriegen. Also schickte man nach dem Lehrer Herder, und der erkl?rte:

,,Ein Morgen altes Mass ist ungef?hr ein Viertel Hektar. Ein Hektar hat 10 000 Quadratmeter; ein Viertel Hektar ist also 2500 Quadratmeter gross. Kostet ein Quadratmeter f?nf Mark, so kostet ein Morgen 2500 mal soviel, also 12 500 Mark."

Als der Lehrer Herder dieses Resultat nannte, schlugen die zehn M?nner, die noch mit am Tische sassen, heftig mit den F?usten auf den Tisch, und zwar alle wie auf Kommando mit einem Hieb. Man schrie den Lehrer an, er m?sse sich t?uschen. Der aber sass mit der W?rde eines Mannes, der von der Unverletzlichkeit und Beweiskraft der Zahl ?berzeugt ist. Sein ganzes Wesen sagte: meine Rechnung stimmt.

Da wurde zun?chst eine grosse Stille. Dann sagte einer: ,,Wenn das wahr ist, sind die Kerle grosse Gauner; 1000 Mark haben sie f?r den Morgen gegeben, 12 000 Mark verlangen sie."

Schweigen. Nach f?nf Minuten griff Amtsrichter Knopf die letztgenannten Ziffern auf und sagte:

,,Sie arbeiten mit elf Prozent."

,,Elf Prozent gibt ja das Gesetz nicht zu", bemerkte der Erbscholtiseibesitzer Hirsemann mit einem Blick auf den Amtsrichter.

Der sch?ttelte den Kopf, was in diesem Falle ,,ja" und ,,nein" heissen konnte. Da ergriff der Lehrer Herder wieder das Wort und sagte:

,,Entschuldigen die Herren, wenn man mit 1000 Mark kauft und mit 12 000 Mark verkauft, so sind das nicht elf Prozent, sondern elfhundert Prozent Gewinn."

Sie starrten ihn alle an wie leblos. Nur B?ckermeister Schiebulke, der gerade trank, verschluckte sich. Der Amtsrichter geriet ins Gr?beln. Seine Seele wanderte zur?ck bis etwa in die Tertianerzeit, und dann sagte er:

,,Ja, nat?rlich, es sind nicht elf, sondern 1100 Prozent."

Da hoben sich die F?uste, um auf den Tisch zu donnern, aber diese ?berraschung war zu gross und schwer; die H?nde sanken still herab ...

Was die allergr?sste Hauptsache war: Neustadt, das den Namen Waltersburg zum grossen Ingrimm der Mutterstadt nach und nach ganz abgestreift hatte, war auf dem besten Wege, ein aufbl?hender Badeort zu werden. Zwei ,,Quellen" waren entdeckt worden, von denen die eine ,,Kaisersprudel", die andere ,,Felsensprudel" hiess, und die beide nach dem Gutachten eines sachverst?ndigen Professors aus der Hauptstadt ,,hervorragend radioaktiv" waren. Die Neust?dter feierten Siegesfeste, w?hrend die Waltersburger vier Wochen lang brauchten, ehe sie das Wort ,,radioaktiv" richtig aussprechen konnten, und nat?rlich auch dann noch nicht wussten, was das sei.

Humbug sei es, meinte der Amtsgerichtsrat, und wenn man dieser Auslegung auch viel Beifall zollte, so verschafften sich doch einige Waltersburger heimlich je drei Flaschen von den neuen Sprudeln, und abends wurde im ,,L?wen" statt der sonst so beliebten Weinprobe eine Wasserprobe abgehalten. Der Pfropfen der ersten Flasche flog mit einem Knall gegen die Decke.

,,Wie - wie bei Champagner", stammelte Herr Hirsemann.

,,Bl?dsinn", knurrte der Amtsgerichtsrat; ,,das is Kohlens?ure; die is dem Wasser eingepumpt; alles k?nstlich, nichts nat?rlich; ich kenn doch die Wasserpf?tzen dr?ben - Betrug is es, glatter Betrug!" So wartete man, bis sich die Kohlens?ure verfl?chtet hatte, dann trank der B?cker und sagte:

,,'s schmeckt 'n bissel salzig."

,,Weil Sie heut abend wieder Salzhering gegessen haben", grollte der Richter.

,,Salzig kann man nicht sagen", meinte der Getreidekaufmann Schneider, ,,sondern so mehr s?uerlich!"

,,Ja, weil Sie von gestern noch 'ne saure Schnauze haben", z?rnte Herr Knopf.

Unter solchen Umst?nden h?tte der L?wenwirt, der auch mit probierte, mit seiner ?usserung, das Wasser scheine ihm aber stark nach Schwefel zu schmecken, zur?ckhalten sollen; denn der schlecht gelaunte Richter fuhr ihn an: ,,Mensch, wenn Sie tagaus, tagein nischt anderes rauchen als Ihre eigenen Zigarren, muss Ihnen nat?rlich alles nach Schwefel schmecken." Darauf einigte man sich endlich: dieses Wasser schmecke wie jedes andere gew?hnliche Brunnenwasser und sei keinen Pfifferling wert.

Ganz kurze Zeit darauf gab es in Waltersburg eine neue Aufregung. Die Neust?dter hatten sich f?r ihr Bad einen Propagandachef engagiert.

,,Propagandachef!" - Dieses Wort war in Waltersburg seit Erschaffung der Welt noch nicht einmal ausgesprochen worden. Die Neust?dter aber wussten nicht bloss, dass es so etwas g?be, sie engagierten es sogar. Und der Propagandachef war ein Jude. Als das bekannt wurde, sagte der B?cker abends im ,,L?wen":

,,Die Kerle in Neustadt verlieren den letzten Rest von Schamgef?hl."

Aber da widersprach der Amtsgerichtsrat, haupts?chlich deswegen, weil er immer widersprach:

,,Jude hin, Jude her! Es is 'n alter Witz, dass in den ganzen Antisemitismus nich eher 'n richtiger Schwung kommen wird, ehe ihn nicht die Juden selbst machen. Wenn die Neust?dter ihre faule Sache deichseln wollen, mussten sie 'n Juden nehmen, 'n Christ ist viel zu d?mlich dazu."

Der B?cker stand auf und ging. Wenn freigeistige Reden gehalten wurden, verliess er das Lokal.

Nach etwa sechs Wochen erschien der erste Prospekt von dem Bade Neustadt. Es war ein entz?ckend ausgestattetes Heftchen von Kunstdruckpapier, mit reizenden bunten und Lichtdruckbildern ausgestattet, und das Werkchen pries Neustadt in so ber?ckender Form, dass eigentlich jeder Mensch zu bemitleiden war, der nicht augenblicklich seine Koffer packte und nach Neustadt abreiste ...

Die feindlichen St?dte! Vielleicht, dass mir der lustige Hader die Zeit verk?rzt. Von Zeit zu Zeit will ich etwas von ihm im Tagebuch vermerken ... Joachim hat an die Mutter ein Telegramm gerichtet. ,,Ich kann nicht mehr schweigen; ich gr?sse dich und Fritz. Aber schreibt mir keine Briefe, telegraphiert nur, ob ihr gesund seid."

Mit diesem Telegramm sass die Mutter am Tisch, als ich heute abend nach Hause kam. Sie sprach nicht, sondern ?bergab mir nur wortlos die Depesche; aber sie sah mich stolz und verkl?rt an, als wollte sie sagen: ,,Sieh, solch einen guten Sohn habe ich!" ,,Ich freue mich ?ber Joachim", sagte ich und liess sie allein. Von meinem Zimmer sah ich nach dem Johannisbrunnen hinunter, dessen Wasser einf?rmig rann.

Die Seele des fernen Bruders war immer noch krank. Er vertrug keine Nachricht aus der Heimat. Heimat war ihm in H?lle gewandeltes Paradies. Es gab einmal ein Weib, das er mehr liebte als alles, die Mutter mit einbegriffen; es war einmal ein Freund, der ihm n?her stand als der Bruder, und es war eine sch?ne Stadt, die ihm lieber war als der Geburtsort; das war Heidelberg.

In Heidelberg hat ihn die Frau mit dem Freunde betrogen.

Dar?ber kommt nun der Mann, der zwischen Rio und Montevideo hin und her f?hrt, nicht mehr hinweg.

DAS MODEBAD

Dieser 5. April war ein sehr merkw?rdiger Tag. Ich war dr?ben in Neustadt und besah mir den neuen Badeort; denn ich war mir immer noch nicht ganz im klaren, ob ich Badearzt in Neustadt werden oder lieber die Praxis des alten Sanit?tsrats in Waltersburg ?bernehmen solle. Der Alte will sich zur Ruhe setzen. Um die Wahrheit zu sagen, er sitzt eigentlich schon sein ganzes Leben lang zur Ruhe. Den Waltersburgern f?llt es niemals ein, krank zu werden. Der alte Pfarrer hier, der etwas derber Art ist, sagt: ,,Wenn einer nicht gerade unverschuldet verungl?ckt, ist es eine Schweinerei, krank zu werden. Denn wenn einer vern?nftig lebt, wird er eben nicht krank, ebenso wie keiner ins Zuchthaus kommt, der nicht was ausfrisst." So erschien dem Pfarrer der Sanit?tsrat immer h?chst ?berfl?ssig, wie andererseits dem Sanit?tsrat, der ein Freigeist ist, der Pfarrer ?berfl?ssig erscheint. Pers?nlich aber vertragen sie sich recht gut, spielen auch manchmal Karten miteinander, was ihrer lebenslangen gegenseitigen Abneigung keinen Eintrag tut. Der Dritte im Bunde ist der Amtsrichter, den Pfarrer und Sanit?tsrat beide f?r ?berfl?ssig halten; denn ausser dem Schneider Hampel wird in Waltersburg niemals jemand eingesperrt, und bei Hampel kommen in mageren Jahren auch h?chstens drei Wochen heraus. Der Amtsrichter und der Schneider Hampel stehen auf dem ,,Gr?ssfuss", und der Sanit?tsrat behauptet, dass der Richter seinem einzigen ,,Kunden" immer zu Neujahr gratuliere. Es ist also f?r einen, der keine Sinekure sucht, nicht verlockend, Arzt oder Richter in Waltersburg zu werden. Im Herzen w?re es mir aber immer noch lieber, mich in Waltersburg niederzulassen, als nach Neustadt zu gehen, dessen Wunderquellen ich nicht traue, und mich also dort gewissermassen mitschuldig zu machen, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen.

,,Auch Sie, Fr?ulein Trude", h?rte ich einen vorbeiwandelnden Primaner zu seiner sechzehnj?hrigen Begleiterin sagen, ,,haben mein Herz vergiftet, zwar nicht durch Ihre Tr?nen, wohl aber durch Ihr Lachen."

,,Aber Herr Lempert", sagte sie, und sie waren vorbei ... Ich bekam Heimweh nach Waltersburg und ging. Draussen auf den Promenadeng?ngen das gewohnte Publikum; die galizische J?din mit etwas schmierigen Spitzen am Halsausschnitt und den grossen Brillanten in den Ohren; der Herr in dem hocheleganten weissen Flanellanzug, der 23 Mark gekostet hat; der ,,K?nstler", dessen Kraft wie bei Samson in der F?lle der Locken sitzt und der sich vor dem Spiegel die wirkungsvollen Gerhart Hauptmannschen Mundwinkel einge?bt hat; das knurrende Eheoberhaupt, das wo anders hinstrebt, weil man auf dem Kurplatz nicht rauchen darf ; die flirtende Strohwitwe; der melancholisch und langsam schreitende Einsame, der keinen Anschluss findet; das laute M?dchen, das immer zehn Verehrer um sich hat und nie einen Mann kriegt; die Gesch?ftsfreunde, die auch hier ?ber ihre Alltagssorgen nicht hinauskommen; fachsimpelnde Oberlehrer und lebenslustige Backfische, dazwischen die ,,Patienten", die gewissenhaft aus geschliffenen Gl?sern das Neust?dter Wunderwasser schl?rfen, als k?nnte es in vier Wochen gutmachen, was in vielen, vielen Jahren krank ward.

Ich war im klaren: Ich wollte nicht Badearzt werden. So wollte ich nach Hause und w?hlte als Heimweg den Pfad ?ber den Weihnachtsberg, der als Grenzscheide zwischen Waltersburg und Neustadt liegt.

AUF DEM WEIHNACHTSBERG

Auf dem Weihnachtsberg steht ein altehrw?rdiges Gasthaus. Es sieht aus wie eine Burg, hat auch einen grauen verwitterten Turm, eine Zugbr?cke, Butzenscheiben und was so dazu geh?rt. Das echteste von dem ganzen romantischen Nest war der Wirt, der Eberhard hiess, weil er einen langen Bart hatte, oder der sich einen langen Bart hatte wachsen lassen, weil er Eberhard hiess. Die Waltersburger besuchten ihn an allen regenfreien Sonntagnachmittagen, und er lebte auf seiner luftigen H?he so gute Tage, dass ihm der Humor niemals ausging. Dieser Eberhard war f?r die Waltersburger Kinder der Knecht Ruprecht. Jeden Weihnachtsabend lugten sie ?ngstlich, sehns?chtig und neugierig nach dem Gipfel des Weihnachtsberges hinauf, und wenn endlich die blaue Winternacht ihren Duftschleier um den Gipfel h?llte, flammte da oben ein m?chtiges Bergfeuer zum Himmel, und eine Trompete blies langsam und feierlich herab ins Tal: ,,Vom Himmel hoch, da komm ich her."

,,Er kommt, er kommt!" stiessen da die Kinder heraus, und die kleinsten zitterten in seliger Angst. Vom Berge herab aber kam mit silbernem Gel?ut der Knecht Ruprecht gefahren. Er thronte auf einem mit Tannenreis prachtvoll verzierten Schlitten, und andere Schlitten folgten ihm, die wurden von seinen Knechten gelenkt und waren mit Hunderten von Paketen und Paketchen beladen. Vom Stadttor an bildeten alle Kinder Spalier, die reichen wie die armen, die grossen wie die kleinen. Die Eltern, Tanten und Grossm?tter standen hinter ihnen, und wenn der Knecht Ruprecht ankam, winkten die Kinder mit den H?nden, die V?ter nahmen die M?tzen ab, und die Tanten und Grossm?tter machten tiefe, ehrf?rchtige Knickse. Der Knecht Ruprecht aber sass da auf seinem tannenbekr?nzten Thron wie ein K?nig und nickte nach rechts und nickte nach links, winkte mit der rechten Hand und winkte mit der linken Hand, verteilte seine Gaben an die Armen und Reichen, an die Gerechten und Ungerechten.

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