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Read Ebook: Buddenbrooks: Verfall einer Familie by Mann Thomas

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Ebook has 869 lines and 76987 words, and 18 pages

Wenn dann Direktor Hugo Weinschenk, versp?tet wie immer, denn er war mit Gesch?ften ?berh?uft, den Saal betrat und, mit balancierenden F?usten sich ungew?hnlich lebhaft in der Taille seines Gehrockes wiegend, zu seinem Platze schritt, wobei seine Unterlippe unter dem schmalen Schnurrbart mit keckem Ausdruck hinabhing, so verstummte das Gespr?ch, so lagerte sich eine peinliche, schw?le Stille ?ber der Tafel, bis der Senator allen aus der Verlegenheit half, indem er ganz leichthin und als handle es sich um irgendein Gesch?ft, sich bei dem Direktor nach dem Stande der Angelegenheit erkundigte. Und Hugo Weinschenk antwortete, die Sachen st?nden sehr gut, sie st?nden, wie das nicht anders m?glich sei, vortrefflich ... worauf er leicht und fr?hlich von etwas anderem sprach. Er war viel aufger?umter als fr?her, liess seine Augen mit einer gewissen wilden Unbefangenheit umherschweifen und fragte viele Male, ohne Antwort zu erhalten, nach dem Befinden von Gerda Buddenbrooks Geige. ?berhaupt plauderte er viel und munter, und unangenehm war nur der Umstand, dass er in seinem Freimut nicht immer gen?gend nach seinen Worten sah und vor ?berm?ssig guter Laune hie und da Geschichten vorbrachte, die nicht ganz am Platze waren. Eine Anekdote zum Beispiel, die er erz?hlte, handelte von einer Amme, welche die Gesundheit des ihr anvertrauten Kindes dadurch beeintr?chtigt hatte, dass sie an Bl?hungen litt; in einer Weise, die er ohne Zweifel f?r humoristisch hielt, ahmte er den Hausarzt nach, der gerufen hatte: >>Wer stinkt hier so! Wer ist es, der hier so stinkt!<< und sp?t oder nie bemerkte er, dass seine Gattin heftig err?tet war, dass die Konsulin, Thomas und Gerda unbewegt dasassen, die Damen Buddenbrook durchbohrende Blicke tauschten, selbst Riekchen Severin am unteren Tischende beleidigt dareinblickte und h?chstens der alte Konsul Kr?ger leise pruschte ...

>>Thomas<<, sagte die Konsulin unter vier Augen zu ihrem Sohne, >>ich bitte dich ... ich verstehe nichts. Was soll ich von der Sache halten!<<

Und er antwortete: >>Ja, meine liebe Mutter ... Was l?sst sich da sagen! Dass alles ganz in Ordnung ist, muss man leider bezweifeln. Aber dass Weinschenk in dem Umfange schuldig ist, wie gewisse Leute es wollen, halte ich ebenfalls f?r unwahrscheinlich. Es gibt im Gesch?ftsleben moderneren Stiles etwas, was man Usance nennt ... Eine Usance, verstehst du, das ist ein Man?ver, das nicht ganz einwandfrei ist, sich nicht ganz mit dem geschriebenen Gesetze vertr?gt und f?r den Laienverstand schon unredlich aussieht, das aber dennoch nach stillschweigender ?bereinkunft in der Gesch?ftswelt gang und g?be ist. Die Grenzlinie zwischen Usance und Schlimmerem ist sehr schwer zu ziehen ... Einerlei ... Wenn Weinschenk sich vergangen hat, so hat er es h?chstwahrscheinlich nicht ?rger getrieben als viele seiner Kollegen, die ungestraft davongekommen sind. Aber ... f?r einen g?nstigen Ausgang des Prozesses stehe ich deshalb durchaus nicht. Vielleicht w?rde er in einer grossen Stadt freigesprochen werden; aber hier, wo alles auf Cliquenwesen und pers?nliche Motive hinausl?uft ... Das h?tte er bei der Wahl seines Verteidigers besser bedenken sollen. Wir haben hier in der Stadt keinen hervorragenden Anwalt, keinen eminenten Kopf mit ?berlegenem und ?berzeugendem Rednertalent, der mit allen Hunden gehetzt und in den bedenklichsten Sachen versiert w?re. Daf?r aber h?ngen unsere Herren Juristen untereinander zusammen, sie sind einander verbunden durch gemeinsame Interessen, durch Mittagessen, wom?glich durch Verwandtschaft, und haben aufeinander R?cksicht zu nehmen. Meiner Ansicht nach w?re es klug gewesen, wenn Weinschenk einen hier ans?ssigen Advokaten genommen h?tte. Aber was hat er getan? Er hat es f?r n?tig befunden -- ich sage f?r n?tig befunden, und das gibt zuletzt ?ber sein gutes Gewissen zu denken --, sich einen Verteidiger aus Berlin zu verschreiben, den Doktor Breslauer, einen rechten Teufelsbraten, einen geriebenen Redner, einen raffinierten Rechtsvirtuosen, dem der Ruhm vorangeht, soundso vielen betr?gerischen Bankerottiers am Zuchthause vorbeigeholfen zu haben. Der wird nun ohne Zweifel die Sache gegen ein sehr grosses Honorar mit ebenso grosser Schlauheit f?hren ... Aber ob das von Nutzen sein wird? Ich sehe es kommen, dass unsere wackeren Rechtsgelehrten sich mit H?nden und F?ssen dagegen str?uben werden, sich von dem fremden Herrn imponieren zu lassen, und dass der Gerichtshof f?r Doktor Hagenstr?ms Plaidoyer ein sehr viel willigeres Ohr haben wird ... Und die Zeugen? Was sein eigenes Gesch?ftspersonal betrifft, so glaube ich nicht, dass es ihm besonders liebevoll zur Seite stehen wird. Das, was wir Wohlwollenden -- und, ich glaube, auch er selbst -- seine rauhe Aussenseite nennen, hat ihm nicht viel Freunde gemacht ... Kurz, Mutter, mir ahnt Arges. Es w?re ja schlimm f?r Erika, wenn es ein Ungl?ck g?be, aber am wehesten sollte es mir um Tony tun. Siehst du, sie hat ja recht, wenn sie sagt, dass Hagenstr?m die Sache mit Genugtuung in die Hand genommen hat. Sie geht uns alle an, und ein schm?hlicher Ausgang w?rde uns insgesamt betreffen, denn Weinschenk geh?rt einmal zur Familie und sitzt an unserem Tische. Was mich angeht, ich komme dar?ber hinweg. Ich weiss, wie ich mich zu benehmen habe. Ich muss in der ?ffentlichkeit der Sache ganz fremd gegen?berstehen, darf nicht die Verhandlungen besuchen -- obgleich Breslauer mich interessieren w?rde -- und darf mich, schon um mich vor dem Vorwurf irgendwelcher Beeinflussungsgel?ste zu wahren, ?berhaupt um nichts bek?mmern. Aber Tony? Ich mag nicht ausdenken, wie traurig eine Verurteilung f?r sie w?re. Man muss h?ren, wie aus ihren lauten Protesten gegen Verleumdung und neidische Intrigen die Angst herausklingt ... die Angst, nach allem Malheur, das sie erduldet, auch dieser letzten, ehrenvollen Position, des w?rdigen Hausstandes ihrer Tochter noch verlustig zu gehen. Ach, pass auf, sie wird immer lauter Weinschenks Unschuld beteuern, je mehr sie zu Zweifeln daran gedr?ngt werden wird ... Aber er kann ja auch unschuldig sein, gewiss, ganz unschuldig sein ... Wir m?ssen es abwarten, Mutter, und ihn und Tony und Erika taktvoll behandeln. Aber mir ahnt nichts Gutes ...<<

Unter solchen Umst?nden kam diesmal das Weihnachtsfest heran, und der kleine Johann verfolgte mit Hilfe des Abreisskalenders, den Ida ihm angefertigt, und auf dessen letztem Blatte ein Tannenbaum gezeichnet war, pochenden Herzens das Nahen der unvergleichlichen Zeit.

Es setzten die Ferien ein, und der Augenblick ging ziemlich gl?cklich vor?ber, da Papa das Zeugnis las, das auch in der Weihnachtszeit notwendig ausgestellt werden musste ... Schon war der grosse Saal geheimnisvoll verschlossen, schon waren Marzipan und braune Kuchen auf den Tisch gekommen, schon war es Weihnacht draussen in der Stadt. Schnee fiel, es kam Frost, und in der scharfen, klaren Luft erklangen durch die Strassen die gel?ufigen oder wehm?tigen Melodien der italienischen Drehorgelm?nner, die mit ihren Sammetjacken und schwarzen Schnurrb?rten zum Feste herbeigekommen waren. In den Schaufenstern prangten die Weihnachtsausstellungen. Um den hohen gotischen Brunnen auf dem Marktplatze waren die bunten Belustigungen des Weihnachtsmarktes aufgeschlagen. Und wo man ging, atmete man mit dem Duft der zum Kauf gebotenen Tannenb?ume das Aroma des Festes ein.

Dann endlich kam der Abend des dreiundzwanzigsten Dezembers heran und mit ihm die Bescherung im Saale zu Haus, in der Fischergrube, eine Bescherung im engsten Kreise, die nur ein Anfang, eine Er?ffnung, ein Vorspiel war, denn den Heiligen Abend hielt die Konsulin fest in Besitz, und zwar f?r die ganze Familie, so dass am Sp?tnachmittage des Vierundzwanzigsten die gesamte Donnerstagstafelrunde, und dazu noch J?rgen Kr?ger aus Wismar, sowie Therese Weichbrodt mit Madame Kethelsen, im Landschaftszimmer zusammentrat.

In schwerer, grau und schwarz gestreifter Seide, mit ger?teten Wangen und erhitzten Augen, in einem zarten Duft von Patschuli, empfing die alte Dame die nach und nach eintretenden G?ste, und bei den wortlosen Umarmungen klirrten ihre goldenen Armb?nder leise. Sie war in unaussprechlicher stummer und zitternder Erregung an diesem Abend. >>Mein Gott, du fieberst ja, Mutter!<< sagte der Senator, als er mit Gerda und Hanno eintraf ... >>Alles kann doch ganz gem?tlich vonstatten gehen.<< Aber sie fl?sterte, indem sie alle drei k?sste: >>Zu Jesu Ehren ... Und dann mein lieber seliger Jean ...<<

In der Tat, das weihevolle Programm, das der verstorbene Konsul f?r die Feierlichkeit festgesetzt hatte, musste aufrechterhalten werden, und das Gef?hl ihrer Verantwortung f?r den w?rdigen Verlauf des Abends, der von der Stimmung einer tiefen, ernsten und inbr?nstigen Fr?hlichkeit erf?llt sein musste, trieb sie rastlos hin und her -- von der S?ulenhalle, wo schon die Marien-Chorknaben sich versammelten, in den Esssaal, wo Riekchen Severin letzte Hand an den Baum und die Geschenktafel legte, hinaus auf den Korridor, wo scheu und verlegen einige fremde alte Leutchen umherstanden, Hausarme, die ebenfalls an der Bescherung teilnehmen sollten, und wieder ins Landschaftszimmer, wo sie mit einem stummen Seitenblick jedes ?berfl?ssige Wort und Ger?usch strafte. Es war so still, dass man die Kl?nge einer entfernten Drehorgel vernahm, die zart und klar wie die einer Spieluhr aus irgendeiner beschneiten Strasse den Weg hierher fanden. Denn obgleich nun an zwanzig Menschen im Zimmer sassen und standen, war die Ruhe gr?sser als in einer Kirche, und die Stimmung gemahnte, wie der Senator ganz vorsichtig seinem Onkel Justus zufl?sterte, ein wenig an die eines Leichenbeg?ngnisses.

?brigens war kaum Gefahr vorhanden, diese Stimmung m?chte durch einen Laut jugendlichen ?bermutes zerrissen werden. Ein Blick h?tte gen?gt, zu bemerken, dass fast alle Glieder der hier versammelten Familie in einem Alter standen, in welchem die Lebens?usserungen l?ngst gesetzte Formen angenommen haben. Senator Thomas Buddenbrook, dessen Bl?sse den wachen, energischen und sogar humoristischen Ausdruck seines Gesichtes L?gen strafte; Gerda, seine Gattin, welche, unbeweglich in einem Sessel zur?ckgelehnt und das sch?ne, weisse Gesicht nach oben gewandt, ihre nahe beieinanderliegenden, bl?ulich umschatteten, seltsam schimmernden Augen von den flimmernden Glasprismen des Kronleuchters bannen liess; seine Schwester, Frau Permaneder; J?rgen Kr?ger, sein Kousin, der stille, schlicht gekleidete Beamte; seine Kusinen Friederike, Henriette und Pfiffi, von denen die beiden ersteren noch magerer und l?nger geworden waren und die letztere noch kleiner und beleibter erschien als fr?her, denen aber ein stereotyper Gesichtsausdruck durchaus gemeinsam war, ein spitziges und ?belwollendes L?cheln, das gegen alle Personen und Dinge mit einer allgemeinen medisanten Skepsis gerichtet war, als sagten sie best?ndig: >>Wirklich? Das m?chten wir denn doch f?rs erste noch bezweifeln<< ...; schliesslich die arme, aschgraue Klothilde, deren Gedanken wohl direkt auf das Abendessen gerichtet waren: -- sie alle hatten die Vierzig ?berschritten, w?hrend die Hausherrin mit ihrem Bruder Justus und seiner Frau gleich der kleinen Therese Weichbrodt schon ziemlich weit ?ber die Sechzig hinaus war, und die alte Konsulin Buddenbrook, geborene St?wing, sowie die g?nzlich taube Madame Kethelsen, sich schon in den Siebzigern befanden.

In der Bl?te ihrer Jugend stand eigentlich nur Erika Weinschenk; aber wenn ihre hellblauen Augen -- die Augen Herrn Gr?nlichs -- zu ihrem Manne, dem Direktor, hin?berglitten, dessen geschorener, an den Schl?fen ergrauter Kopf mit dem schmalen, in die Mundwinkel hineingewachsenen Schnurrbart sich dort neben dem Sofa von der idyllischen Tapetenlandschaft abhob, so konnte man bemerken, dass ihr voller Busen sich in lautlosem aber schwerem Atemzuge hob ... ?ngstliche und wirre Gedanken an Usancen, Buchf?hrung, Zeugen, Staatsanwalt, Verteidiger und Richter mochten sie bedr?ngen, ja, es war wohl keiner im Zimmer, dem diese unweihnachtlichen Gedanken nicht im Sinne gelegen h?tten. Der angeklagte Zustand von Frau Permaneders Schwiegersohn, das Bewusstsein der gesamten Familie von der Gegenwart eines Mitgliedes, das eines Verbrechens gegen die Gesetze, die b?rgerliche Ordnung und die gesch?ftliche Ehrenhaftigkeit geziehen und vielleicht der Schande und dem Gef?ngnis verfallen war, gab der Versammlung ein vollst?ndig fremdes, ungeheuerliches Gepr?ge. Ein Weihnachtsabend der Familie Buddenbrook mit einem Angeklagten in ihrer Mitte! Frau Permaneder lehnte sich mit strengerer Majest?t in ihren Sessel zur?ck, das L?cheln der Damen Buddenbrook aus der Breiten Strasse ward um noch eine N?ance spitziger ...

Und die Kinder? Der ein wenig sp?rliche Nachwuchs? War auch er f?r das leis Schauerliche dieses so ganz neuen und ungekannten Umstandes empf?nglich? Was die kleine Elisabeth betraf, so war es unm?glich, ?ber ihren Gem?tszustand zu urteilen. In einem Kleidchen, an dessen reichlicher Garnitur mit Atlasschleifen man Frau Permaneders Geschmack erkannte, sass das Kind auf dem Arm seiner Bonne, hielt seine Daumen in die winzigen F?uste geklemmt, sog an seiner Zunge, blickte mit etwas hervortretenden Augen starr vor sich hin und liess dann und wann einen kurzen, knarrenden Laut vernehmen, worauf das M?dchen es ein wenig schaukeln liess. Hanno aber sass still auf seinem Schemel zu den F?ssen seiner Mutter und blickte gerade wie sie zu einem Prisma des Kronleuchters empor ...

Christian fehlte! Wo war Christian? Erst jetzt im letzten Augenblick bemerkte man, dass er noch nicht anwesend sei. Die Bewegungen der Konsulin, die eigent?mliche Manipulation, mit der sie vom Mundwinkel zur Frisur hinaufzustreichen pflegte, als br?chte sie ein hinabgefallenes Haar an seine Stelle zur?ck, wurden noch fieberhafter ... Sie instruierte eilig Mamsell Severin, und die Jungfer begab sich an den Chorknaben vorbei durch die S?ulenhalle, zwischen den Hausarmen hin ?ber den Korridor und pochte an Herrn Buddenbrooks T?r.

Gleich darauf erschien Christian. Er kam mit seinen mageren, krummen Beinen, die seit dem Gelenkrheumatismus etwas lahmten, ganz gem?chlich ins Landschaftszimmer, indem er sich mit der Hand die kahle Stirne rieb.

>>Donnerwetter, Kinder<<, sagte er, >>das h?tte ich beinahe vergessen!<<

>>Du h?ttest es ...<< wiederholte seine Mutter und erstarrte ...

>>Ja, beinah vergessen, dass heut Weihnacht ist ... Ich sass und las ... in einem Buch, einem Reisebuch ?ber S?damerika ... Du lieber Gott, ich habe schon andere Weihnachten gehabt ...<< f?gte er hinzu und war soeben im Begriff, mit der Erz?hlung von einem Heiligen Abend anzufangen, den er zu London in einem Tingeltangel f?nfter Ordnung verlebt, als pl?tzlich die im Zimmer herrschende Kirchenstille auf ihn zu wirken begann, so dass er mit krausgezogener Nase und auf den Zehenspitzen zu seinem Platze ging.

>>Tochter Zion, freue dich!<< sangen die Chorknaben, und sie, die eben noch da draussen so h?rbare Allotria getrieben, dass der Senator sich einen Augenblick an die T?r hatte stellen m?ssen, um ihnen Respekt einzufl?ssen, -- sie sangen nun ganz wundersch?n. Diese hellen Stimmen, die sich, getragen von den tieferen Organen, rein, jubelnd und lobpreisend aufschwangen, zogen aller Herzen mit sich empor, liessen das L?cheln der alten Jungfern milder werden und machten, dass die alten Leute in sich hineinsahen und ihr Leben ?berdachten, w?hrend die, welche mitten im Leben standen, ein Weilchen ihrer Sorgen vergassen.

Ja, als Entsch?digung und Belohnung f?r einen Besuch bei Herrn Brecht hatte Hanno k?rzlich zum ersten Male das Theater besucht, das Stadttheater, wo er im ersten Range an der Seite seiner Mutter atemlos den Kl?ngen und Vorg?ngen des >>Fidelio<< hatte folgen d?rfen. Seitdem tr?umte er nichts als Opernszenen, und eine Leidenschaft f?r die B?hne erf?llte ihn, die ihn kaum schlafen liess. Mit unaussprechlichem Neide betrachtete er auf der Strasse die Leute, die, wie ja auch sein Onkel Christian, als Theaterhabitu?s bekannt waren, Konsul D?hlmann, Makler Gosch ... War das Gl?ck ertragbar, wie sie fast jeden Abend dort anwesend sein zu d?rfen? K?nnte er nur einmal in der Woche vor Beginn der Auff?hrung einen Blick in den Saal tun, das Stimmen der Instrumente h?ren und ein wenig den geschlossenen Vorhang ansehen! Denn er liebte alles im Theater: den Gasgeruch, die Sitze, die Musiker, den Vorhang ...

Wird sein Puppentheater gross sein? Gross und breit? Wie wird der Vorhang aussehen? Man muss baldm?glichst ein kleines Loch hineinschneiden, denn auch im Vorhang des Stadttheaters war ein Guckloch ... Ob Grossmama oder Mamsell Severin -- denn Grossmama konnte nicht alles besorgen -- die n?tigen Dekorationen zum >>Fidelio<< gefunden hatte? Gleich morgen wird er sich irgendwo einschliessen und ganz allein eine Vorstellung geben ... Und schon liess er seine Figuren im Geiste singen; denn die Musik hatte sich ihm mit dem Theater sofort aufs engste verbunden ...

>>Jauchze laut, Jerusalem!<< schlossen die Chorknaben, und die Stimmen, die fugenartig nebeneinander hergegangen waren, fanden sich in der letzten Silbe friedlich und freudig zusammen. Der klare Akkord verhallte, und tiefe Stille legte sich ?ber S?ulenhalle und Landschaftszimmer. Die Mitglieder der Familie blickten unter dem Drucke der Pause vor sich nieder; nur Direktor Weinschenks Augen schweiften keck und unbefangen umher, und Frau Permaneder liess ihr trocknes R?uspern vernehmen, das ununterdr?ckbar war. Die Konsulin aber schritt langsam zum Tische und setzte sich inmitten ihrer Angeh?rigen auf das Sofa, das nun nicht mehr wie in alter Zeit unabh?ngig und abgesondert vom Tische dastand. Sie r?ckte die Lampe zurecht und zog die grosse Bibel heran, deren altersbleiche Goldschnittfl?che ungeheuerlich breit war. Dann schob sie die Brille auf die Nase, ?ffnete die beiden ledernen Spangen, mit denen das kolossale Buch geschlossen war, schlug dort auf, wo das Zeichen lag, dass das dicke, rauhe, gelbliche Papier mit dem ?bergrossen Druck zum Vorschein kam, nahm einen Schluck Zuckerwasser und begann, das Weihnachtskapitel zu lesen.

Sie las die altvertrauten Worte langsam und mit einfacher, zu Herzen gehender Betonung, mit einer Stimme, die sich klar, bewegt und heiter von der and?chtigen Stille abhob. >>Und den Menschen ein Wohlgefallen!<< sagte sie. Kaum aber schwieg sie, so erklang in der S?ulenhalle dreistimmig das >>Stille Nacht, heilige Nacht<<, in das die Familie im Landschaftszimmer einstimmte. Man ging ein wenig vorsichtig zu Werke dabei, denn die meisten der Anwesenden waren unmusikalisch, und hie und da vernahm man in dem Ensemble einen tiefen und ganz ungeh?rigen Ton ... Aber das beeintr?chtigte nicht die Wirkung dieses Liedes ... Frau Permaneder sang es mit bebenden Lippen, denn am s?ssesten und schmerzlichsten r?hrt es an dessen Herz, der ein bewegtes Leben hinter sich hat und im kurzen Frieden der Feierstunde R?ckblick h?lt ... Madame Kethelsen weinte still und bitterlich, obgleich sie von allem fast nichts vernahm.

Und dann erhob sich die Konsulin. Sie ergriff die Hand ihres Enkels Johann und die ihrer Urenkelin Elisabeth und schritt durch das Zimmer. Die alten Herrschaften schlossen sich an, die j?ngeren folgten, in der S?ulenhalle gesellten sich die Dienstboten und die Hausarmen hinzu, und w?hrend alles einm?tig >>O Tannebaum<< anstimmte und Onkel Christian vorn die Kinder zum Lachen brachte, indem er beim Marschieren die Beine hob wie ein Hampelmann und albernerweise >>O Tantebaum<< sang, zog man mit geblendeten Augen und ein L?cheln auf dem Gesicht durch die weitge?ffnete hohe Fl?gelt?r direkt in den Himmel hinein.

Der ganze Saal, erf?llt von dem Dufte angesengter Tannenzweige, leuchtete und glitzerte von unz?hligen kleinen Flammen, und das Himmelblau der Tapete mit ihren weissen G?tterstatuen liess den grossen Raum noch heller erscheinen. Die Fl?mmchen der Kerzen, die dort hinten zwischen den dunkelrot verh?ngten Fenstern den gewaltigen Tannenbaum bedeckten, welcher, geschm?ckt mit Silberflittern und grossen, weissen Lilien, einen schimmernden Engel an seiner Spitze und ein plastisches Krippenarrangement zu seinen F?ssen, fast bis zur Decke emporragte, flimmerten in der allgemeinen Lichtflut wie ferne Sterne. Denn auf der weissgedeckten Tafel, die sich lang und breit, mit den Geschenken beladen, von den Fenstern fast bis zur T?re zog, setzte sich eine Reihe kleinerer, mit Konfekt beh?ngter B?ume fort, die ebenfalls von brennenden Wachslichtchen erstrahlten. Und es brannten die Gasarme, die aus den W?nden hervorkamen, und es brannten die dicken Kerzen auf den vergoldeten Kandelabern in allen vier Winkeln. Grosse Gegenst?nde, Geschenke, die auf der Tafel nicht Platz hatten, standen nebeneinander auf dem Fussboden. Kleinere Tische, ebenfalls weiss gedeckt, mit Gaben belegt und mit brennenden B?umchen geschm?ckt, befanden sich zu den Seiten der beiden T?ren: Das waren die Bescherungen der Dienstboten und der Hausarmen.

Singend, geblendet und dem altvertrauten Raume ganz entfremdet umschritt man einmal den Saal, defilierte an der Krippe vorbei, in der ein w?chsernes Jesuskind das Kreuzeszeichen zu machen schien, und blieb dann, nachdem man Blick f?r die einzelnen Gegenst?nde bekommen hatte, verstummend an seinem Platze stehen.

Hanno war vollst?ndig verwirrt. Bald nach dem Eintritt hatten seine fieberhaft suchenden Augen das Theater erblickt ... ein Theater, das, wie es dort oben auf dem Tische prangte, von so extremer Gr?sse und Breite erschien, wie er es sich vorzustellen niemals erk?hnt hatte. Aber sein Platz hatte gewechselt, er befand sich an einer der vorj?hrigen entgegengesetzten Stelle, und dies bewirkte, dass Hanno in seiner Verbl?ffung ernstlich daran zweifelte, ob dies fabelhafte Theater f?r ihn bestimmt sei. Hinzu kam, dass zu den F?ssen der B?hne, auf dem Boden, etwas Grosses, Fremdes aufgestellt war, etwas, was nicht auf seinem Wunschzettel gestanden hatte, ein M?bel, ein kommodenartiger Gegenstand ... war er f?r ihn?

Es war ein Harmonium, ein kleines, h?bsches Harmonium, braun poliert, mit Metallgriffen an beiden Seiten, bunten Tretb?lgen und einem zierlichen Drehsessel. Hanno griff einen Akkord ... ein sanfter Orgelklang l?ste sich los und liess die Umstehenden von ihren Geschenken aufblicken ... Hanno umarmte seine Grossmutter, die ihn z?rtlich an sich presste und ihn dann verliess, um die Danksagungen der anderen entgegenzunehmen.

Er wandte sich dem Theater zu. Das Harmonium war ein ?berw?ltigender Traum, aber er hatte doch f?rs erste noch keine Zeit, sich n?her damit zu besch?ftigen. Es war der ?berfluss des Gl?ckes, in dem man, undankbar gegen das Einzelne, alles nur fl?chtig ber?hrt, um erst einmal das Ganze ?bersehen zu lernen ... Oh, ein Souffleurkasten war da, ein muschelf?rmiger Souffleurkasten, hinter dem breit und majest?tisch in Rot und Gold der Vorhang emporrollte. Auf der B?hne war die Dekoration des letzten Fidelio-Aktes aufgestellt. Die armen Gefangenen falteten die H?nde. Don Pizarro, mit gewaltig gepufften ?rmeln, verharrte irgendwo in f?rchterlicher Attit?de. Und von hinten nahte im Geschwindschritt und ganz in schwarzem Sammet der Minister, um alles zum Besten zu kehren. Es war wie im Stadttheater und beinahe noch sch?ner. In Hannos Ohren widerhallte der Jubelchor, das Finale, und er setzte sich vor das Harmonium, um ein St?ckchen daraus, das er behalten, zum Erklingen zu bringen ... Aber er stand wieder auf, um das Buch zur Hand zu nehmen, das erw?nschte Buch der griechischen Mythologie, das ganz rot gebunden war und eine goldene Pallas Athene auf dem Deckel trug. Er ass von seinem Teller mit Konfekt, Marzipan und Braunen Kuchen, musterte die kleineren Dinge, die Schreibutensilien und Schulhefte und vergass einen Augenblick alles ?brige ?ber einem Federhalter, an dem sich irgendwo ein winziges Glask?rnchen befand, das man nur vors Auge zu halten brauchte, um wie durch Zauberspiel eine weite Schweizerlandschaft vor sich zu sehen ...

Jetzt gingen Mamsell Severin und das Folgm?dchen mit Tee und Biskuits umher, und w?hrend Hanno eintauchte, fand er ein wenig Musse, von seinem Platze aufzusehen. Man stand an der Tafel oder ging daran hin und her, plauderte und lachte, indem man einander die Geschenke zeigte und die des anderen bewunderte. Es gab da Gegenst?nde aus allen Stoffen: aus Porzellan, aus Nickel, aus Silber, aus Gold, aus Holz, Seide und Tuch. Grosse mit Mandeln und Suckade symmetrisch besetzte Braune Kuchen lagen abwechselnd mit massiven Marzipanbroten, die innen nass waren vor Frische, in langer Reihe auf dem Tische. Diejenigen Geschenke, die Frau Permaneder angefertigt oder dekoriert hatte, ein Arbeitsbeutel, ein Untersatz f?r Blattpflanzen, ein Fusskissen, waren mit grossen Atlasschleifen geziert.

Dann und wann besuchte man den kleinen Johann, legte den Arm um seinen Matrosenkragen und nahm seine Geschenke mit der ironisch ?bertriebenen Bewunderung in Augenschein, mit der man die Herrlichkeiten der Kinder zu bestaunen pflegt. Nur Onkel Christian wusste nichts von diesem Erwachsenenhochmut, und seine Freude an dem Puppentheater, als er, einen Brillantring am Finger, den er von seiner Mutter beschert bekommen hatte, an Hannos Platz vor?berschlenderte, unterschied sich gar nicht von der seines Neffen.

>>Donnerwetter, das ist drollig!<< sagte er, indem er den Vorhang auf- und niederzog und einen Schritt zur?cktrat, um das szenische Bild zu betrachten. >>Hast du dir das gew?nscht? -- So, das hast du dir also gew?nscht<<, sagte er pl?tzlich, nachdem er eine Weile mit sonderbarem Ernst und voll unruhiger Gedanken seine Augen hatte wandern lassen. >>Warum? Wie kommst du auf den Gedanken? Bist du schon mal im Theater gewesen?... Im Fidelio? Ja, das wird gut gegeben ... Und nun willst du das nachmachen, wie? nachahmen, selbst Opern auff?hren?... Hat es solchen Eindruck auf dich gemacht?... H?r' mal, Kind, lass dir raten, h?nge deine Gedanken nur nicht zu sehr an solche Sachen ... Theater ... und sowas ... Das taugt nichts, glaube deinem Onkel. Ich habe mich auch immer viel zu sehr f?r diese Dinge interessiert, und darum ist auch nicht viel aus mir geworden. Ich habe grosse Fehler begangen, musst du wissen ...<<

Er hielt das seinem Neffen ernst und eindringlich vor, w?hrend Hanno neugierig zu ihm aufsah. Dann jedoch, nach einer Pause, w?hrend welcher in Betrachtung des Theaters sein knochiges und verfallenes Gesicht sich aufhellte, liess er pl?tzlich eine Figur sich auf der B?hne vorw?rts bewegen und sang mit hohl kr?chzender und tremolierender Stimme: >>Ha, welch gr?ssliches Verbrechen!<< worauf er den Sessel des Harmoniums vor das Theater schob, sich setzte und eine Oper aufzuf?hren begann, indem er, singend und gestikulierend, abwechselnd die Bewegungen des Kapellmeisters und der agierenden Personen vollf?hrte. Hinter seinem R?cken versammelten sich mehrere Familienglieder, lachten, sch?ttelten den Kopf und am?sierten sich. Hanno sah ihm mit aufrichtigem Vergn?gen zu. Nach einer Weile aber, ganz ?berraschend, brach Christian ab. Er verstummte, ein unruhiger Ernst ?berflog sein Gesicht, er strich mit der Hand ?ber seinen Sch?del und an seiner linken Seite hinab und wandte sich dann mit krauser Nase und sorgenvoller Miene zum Publikum.

>>Ja, seht ihr, nun ist es wieder aus<<, sagte er; >>nun kommt wieder die Strafe. Es r?cht sich immer gleich, wenn ich mir mal einen Spass erlaube. Es ist kein Schmerz, wisst ihr, es ist eine Qual ... eine unbestimmte Qual, weil hier alle Nerven zu kurz sind. Sie sind ganz einfach alle zu kurz ...<<

Aber die Verwandten nahmen diese Klagen ebensowenig ernst wie seine Sp?sse und antworteten kaum. Sie zerstreuten sich gleichg?ltig, und so sass denn Christian noch eine Zeitlang stumm vor dem Theater, betrachtete es mit schnellem und gedankenvollem Blinzeln und erhob sich dann.

>>Na, Kind, am?siere dich damit<<, sagte er, indem er ?ber Hannos Haar strich. >>Aber nicht zu viel ... und vergiss deine ernsten Arbeiten nicht dar?ber, h?rst du? Ich habe viele Fehler gemacht ... Jetzt will ich aber in den Klub ... Ich gehe ein bisschen in den Klub!<< rief er den Erwachsenen zu. >>Da feiern sie auch Weihnachten heut. Auf Wiedersehn.<< Und mit steifen, krummen Beinen ging er durch die S?ulenhalle von dannen.

Alle hatten heute fr?her als sonst zu Mittag gegessen und sich daher mit Tee und Biskuits ausgiebig bedient. Aber man war kaum damit fertig, als grosse Kristallsch?sseln mit einem gelben, k?rnigen Brei zum Imbiss herumgereicht wurden. Es war Mandelcreme, ein Gemisch aus Eiern, geriebenen Mandeln und Rosenwasser, das ganz wundervoll schmeckte, das aber, nahm man ein L?ffelchen zuviel, die furchtbarsten Magenbeschwerden verursachte. Dennoch, und obgleich die Konsulin bat, f?r das Abendbrot >>ein kleines Loch offen zu lassen<<, tat man sich keinen Zwang an. Was Klothilde betraf, so vollf?hrte sie Wunderdinge. Still und dankbar l?ffelte sie die Mandelcreme, als w?re es Buchweizengr?tze. Zur Erfrischung gab es auch Weingelee in Gl?sern, wozu englischer Plumkake gegessen wurde. Nach und nach zog man sich ins Landschaftszimmer hin?ber und gruppierte sich mit den Tellern um den Tisch.

Hanno blieb allein im Saale zur?ck, denn die kleine Elisabeth Weinschenk war nach Hause gebracht worden, w?hrend er dieses Jahr zum ersten Male zum Abendessen in der Mengstrasse bleiben durfte, die Dienstm?dchen und die Hausarmen hatten sich mit ihren Geschenken zur?ckgezogen, und Ida Jungmann plauderte in der S?ulenhalle mit Riekchen Severin, obgleich sie, als Erzieherin, der Jungfer gegen?ber gew?hnlich eine strenge gesellschaftliche Distanz innehielt. Die Lichte des grossen Baumes waren herabgebrannt und ausgel?scht, so dass die Krippe nun im Dunkel lag; aber einzelne Kerzen an den kleinen B?umen auf der Tafel brannten noch, und hie und da geriet ein Zweig in den Bereich eines Fl?mmchens, sengte knisternd an und verst?rkte den Duft, der im Saale herrschte. Jeder Lufthauch, der die B?ume ber?hrte, liess die St?cke Flittergoldes, die daran befestigt waren, mit einem zart metallischen Ger?usch erschauern. Es war nun wieder still genug, die leisen Drehorgelkl?nge zu vernehmen, die von einer fernen Strasse durch den kalten Abend daherkamen.

Hanno genoss die weihnachtlichen D?fte und Laute mit Hingebung. Er las, den Kopf in die Hand gest?tzt, in seinem Mythologiebuch, ass mechanisch und weil es zur Sache geh?rte, Konfekt, Marzipan, Mandelcreme und Plumkake, und die ?ngstliche Beklommenheit, die ein ?berf?llter Magen verursacht, vermischte sich mit der s?ssen Erregung des Abends zu einer wehm?tigen Gl?ckseligkeit. Er las von den K?mpfen, die Zeus zu bestehen hatte, um zur Herrschaft zu gelangen, und horchte dann und wann einen Augenblick ins Wohnzimmer hin?ber, wo man Tante Klothildens Zukunft eingehend besprach.

Klothilde war weitaus die Gl?cklichste von allen an diesem Abend und nahm die Gratulationen und Neckereien, die ihr von allen Seiten zuteil wurden, mit einem L?cheln entgegen, das ihr aschgraues Gesicht verkl?rte; ihre Stimme brach sich beim Sprechen vor freudiger Bewegung. -- Sie war in das >>Johanniskloster<< aufgenommen worden. Der Senator hatte ihr die Aufnahme unter der Hand im Verwaltungsrat erwirkt, obgleich gewisse Herren heimlich ?ber Nepotismus gemurrt hatten. Man unterhielt sich ?ber diese dankenswerte Institution, die den adeligen Damenkl?stern in Mecklenburg, Dobberthien und Ribnitz entsprach und die w?rdige Altersversorgung mittelloser M?dchen aus verdienter und alteingesessener Familie bezweckte. Der armen Klothilde war nun zu einer kleinen, aber sicheren Rente verholfen, die sich mit den Jahren steigern w?rde, und f?r ihr Alter, wenn sie in die h?chste Klasse aufger?ckt sein w?rde, sogar zu einer friedlichen und reinlichen Wohnung im Kloster selbst ...

Der kleine Johann verweilte ein wenig bei den Erwachsenen, aber er kehrte bald in den Saal zur?ck, der nun, da er weniger licht erstrahlte und mit seiner Herrlichkeit keine so verbl?ffte Scheu mehr hervorrief wie anfangs, einen Reiz von neuer Art aus?bte. Es war ein ganz seltsames Vergn?gen, wie auf einer halbdunklen B?hne nach Schluss der Vorstellung darin umherzustreifen und ein wenig hinter die Kulissen zu sehen: die Lilien des grossen Tannenbaumes mit ihren goldnen Staubf?den aus der N?he zu betrachten, die Tier- und Menschenfiguren des Krippenaufbaus in die Hand zu nehmen, die Kerze ausfindig zu machen, die den transparenten Stern ?ber Bethlehems Stall hatte leuchten lassen, und das lang herabh?ngende Tafeltuch zu l?ften, um der Menge von Kartons und Packpapieren gewahr zu werden, die unter dem Tisch aufgestapelt waren.

Auch gestaltete sich die Unterhaltung im Landschaftszimmer immer weniger anziehend. Mit unentrinnbarer Notwendigkeit war allm?hlich die eine, unheimliche Angelegenheit Gegenstand des Gespr?ches geworden, ?ber die man bislang dem festlichen Abend zu Ehren geschwiegen, die aber fast keinen Augenblick aufgeh?rt hatte, alle Gem?ter zu besch?ftigen: Direktor Weinschenks Prozess. Hugo Weinschenk selbst hielt Vortrag dar?ber, mit einer gewissen wilden Munterkeit in Miene und Bewegungen. Er berichtete ?ber Einzelheiten der nun durch das Fest unterbrochenen Zeugenvernehmung, tadelte lebhaft die allzu bemerkbare Voreingenommenheit des Pr?sidenten Doktor Philander und kritisierte mit souver?nem Spott den h?hnischen Ton, den der Staatsanwalt Doktor Hagenstr?m gegen ihn und die Entlastungszeugen anzuwenden f?r passend erachte. ?brigens habe Breslauer verschiedene belastende Aussagen sehr witzig entkr?ftet und ihn aufs bestimmteste versichert, dass an eine Verurteilung vorl?ufig gar nicht zu denken sei. -- Der Senator warf hie und da aus H?flichkeit eine Frage ein, und Frau Permaneder, die mit emporgezogenen Schultern auf dem Sofa sass, murmelte manchmal einen furchtbaren Fluch gegen Moritz Hagenstr?m. Die ?brigen aber schwiegen. Sie schwiegen so tief, dass auch der Direktor allm?hlich verstummte; und w?hrend dr?ben im Saale dem kleinen Hanno die Zeit schnell wie im Himmelreiche verging, lagerte im Landschaftszimmer eine schwere, beklommene, ?ngstliche Stille, die noch fortherrschte, als um halb 9 Uhr Christian aus dem Klub, von der Weihnachtsfeier der Junggesellen und Suitiers zur?ckkehrte.

Ein erkalteter Zigarrenstummel stak zwischen seinen Lippen, und seine hageren Wangen waren ger?tet. Er kam durch den Saal und sagte, als er ins Landschaftszimmer trat: >>Kinder, der Saal ist doch wunderh?bsch! Weinschenk, wir h?tten heute eigentlich Breslauer mitbringen sollen; so was hat er sicher noch gar nicht gesehen.<<

Ein stiller, strafender Seitenblick traf ihn aus den Augen der Konsulin. Er erwiderte ihn mit unbefangener und verst?ndnislos fragender Miene. -- Um neun Uhr ging man zu Tische.

Wie allj?hrlich an diesem Abend war in der S?ulenhalle gedeckt worden. Die Konsulin sprach mit herzlichem Ausdruck das hergebrachte Tischgebet:

>>Komm, Herr Jesus, sei unser Gast Und segne, was du uns bescheret hast.<<

woran sie, wie an diesem Abend ebenfalls ?blich, eine kleine, mahnende Ansprache schloss, die haupts?chlich aufforderte, aller derer zu gedenken, die es an diesem heiligen Abend nicht so gut h?tten, wie die Familie Buddenbrook ... Und als dies erledigt war, setzte man sich mit gutem Gewissen zu einer nachhaltigen Mahlzeit nieder, die alsbald mit Karpfen in aufgel?ster Butter und mit altem Rheinwein ihren Anfang nahm.

Der Senator schob ein paar Schuppen des Fisches in sein Portemonnaie, damit w?hrend des ganzen Jahres das Geld nicht darin ausgehe; Christian aber bemerkte tr?be, das helfe ja doch nichts, und Konsul Kr?ger entschlug sich solcher Vorsichtsmassregeln, da er ja keine Kursschwankungen mehr zu f?rchten habe und mit seinen anderthalb Schillingen l?ngst im Hafen sei. Der alte Herr sass m?glichst weit entfernt von seiner Frau, mit der er seit Jahr und Tag beinahe kein Wort mehr sprach, weil sie nicht aufh?rte, dem enterbten Jakob, der in London, Paris oder Amerika -- nur sie wusste das bestimmt -- sein entwurzeltes Abenteurerleben f?hrte, heimlich Geld zufliessen zu lassen. Er runzelte finster die Stirn, als beim zweiten Gange sich das Gespr?ch den abwesenden Familienmitgliedern zuwandte und als er sah, wie die schwache Mutter sich die Augen trocknete. Man erw?hnte die in Frankfurt und die in Hamburg, man gedachte auch ohne ?belwollen des Pastors Tiburtius in Riga, und der Senator stiess in aller Stille mit seiner Schwester Tony auf die Gesundheit der Herren Gr?nlich und Permaneder an, die in gewissem Sinne doch auch dazu geh?rten ...

Der Puter, gef?llt mit einem Brei von Maronen, Rosinen und ?pfeln fand das allgemeine Lob. Vergleiche mit denen fr?herer Jahre wurden angestellt, und es ergab sich, dass dieser seit langer Zeit der gr?sste war. Es gab gebratene Kartoffeln, zweierlei Gem?se und zweierlei Kompott dazu, und die kreisenden Sch?sseln enthielten Portionen, als ob es sich bei jeder einzelnen von ihnen nicht um eine Beigabe und Zutat, sondern um das Hauptgericht handelte, an dem alle sich s?ttigen sollten. Es wurde alter Rotwein von der Firma M?llendorpf getrunken.

Er erz?hlte von der Weihnachtsfeier im Klub, die sehr fidel gewesen sei. >>Du lieber Gott!<< sagte er in jenem Tone, in dem er von Johnny Thunderstorm zu sprechen pflegte. >>Die Kerls tranken Schwedischen Punsch wie Wasser!<<

>>Pfui<<, bemerkte die Konsulin kurz und schlug die Augen nieder.

Aber er beachtete das nicht. Seine Augen begannen zu wandern, und Gedanken und Erinnerungen waren so lebendig in ihm, dass sie wie Schatten ?ber sein hageres Gesicht huschten.

>>Weiss jemand von euch<<, fragte er, >>wie es ist, wenn man zu viel Schwedenpunsch getrunken hat? Ich meine nicht die Betrunkenheit, sondern das, was am n?chsten Tage kommt, die Folgen ... sie sind sonderbar und widerlich ... ja, sonderbar und widerlich zu gleicher Zeit.<<

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