bell notificationshomepageloginedit profileclubsdmBox

Read Ebook: Gesichte: Essays und andere Geschichten by Lasker Sch Ler Else

More about this book

Font size:

Background color:

Text color:

Add to tbrJar First Page Next Page

Ebook has 274 lines and 36187 words, and 6 pages

ge sich der Menschplanet erh?lt. Die meisten Menschen werden nicht ?lter und nicht j?nger als sechzig Jahre. Jesus von Nazareth ist gottalt wie die Ewigkeit. Moses war zehntausend Jahre, als die Tochter Pharaos ihn im Korbe fand. Und von dem Propheten St. Peter Hille m?chte ich sagen: Niemand wusste um seinen Geburtstag. Meine Mutter war dreimal sechzehn Jahre alt, mein Vater erlebte sechsmal seine tollsten Knabenstreiche. Wie sch?tzen Sie mich ein? Ich bin David und tue Simsontaten, ich bin Jakob und deute die Tr?ume der K?he und ?hren. So verwirrt sich die Zeit der Vergangenheit im Menschen. Heute bin ich eine Dichterin, und ich bitte Sie, mir zu verzeihen, dass meine Dichtung keine Gehirnkarte geworden ist mit Farben, lila, gr?n, rot gef?rbt. Meine Bekenntnisse nehmen Sie als ein Luxusgeschenk hin, denn ich bin verschwenderisch, das liegt in meinem Sternsystem. Es kommt mir selbst nicht darauf an, einige Monde meines Planeten fallen zu lassen. Auch mit meinem Chaos, ohne das Chaos kommt kein Mensch davon, hat es eine besondere Bewandtnis. Dar?ber m?chte ich schweigen, aber eines kann ich Ihnen sagen, wir K?nstler sind einmal bis ins tiefste Mark und Bein Aristokraten. Wir sind die Lieblinge Gottes, die Kinder der Marien aller Lande. Wir spielen mit seinen erhabensten Sch?pfungen und kramen in seinem bunten Morgen und goldenen Abend. Aber der B?rger bleibt Gottes Stiefsohn, unser vern?nftiger Bruder, der St?renfried. Er kann nicht heimisch werden mit uns, er und seine Schwester nicht. Verwechselt die l?rmende B?rgerin oder die zur Hure gewordene Magd nicht mit dem spielenden Sternenm?dchen, die den Tanz aus nackter Scham tanzt! -- --

Wohin mir doch heute alle meine Sterne geleuchtet haben! Immer muss ich wiederholen, der Arzt sollte sich auf die Astronomie des Menschen verstehen. Welcher von Ihren Haus?rzten w?re imstande, eine Sonnenfinsternis in Ihnen herbeizuf?hren, geschweige den Stillstand Ihres Planeten?

Ich sehe Ihre Kan?le, Ihre Berge auf Ihren Sternen und Ihren Mond aufgehen hinter Ihrer Stirn. Jeder Schmerz und jedes Freudegef?hl, Vernichtung oder Erhebung ist ein neues Bild Ihres Sternensystems. Sie sterben eigentlich an zerborstenen Sternen oder Erkaltung Ihrer Sonne oder an Finsternis. Wenn nur Ihr Leben den H?hepunkt erreicht hat vor dem Zerfall Ihres Chaos: den Himmel. Aber wenn er Ihnen nicht auf den Kopf passte? Vom Blitzstrahl getroffen, das Chaos gespaltet, einzugehen in die Allmacht ist Seligkeit. So lausche ich auf mich. Aber der B?rger belauert sich, der Kranke in Arzthand betrauert sich, weil er keine Achtung vor dem Schmerz hat. Ich bin m?de -- wie ich mir entkomme, ein Schatten aus Mond und Sternen, riesengross fiel ich um Mittag und sinke nun ein in meinen eigenen Planeten. Ich habe einen kritischen Tag hinter mir, manche Menschen wichen mir furchtsam mit den Augen aus. Einem kleinen M?dchen bohrte ich im Anblicken ein Loch in die Brust. Solche Kraft macht traurig. Ich sehne mich nach Gl?ck, nach ihm, nach Hascha-Nid, dem goldh?utigen Sohn des H?uptlings. Der spielt mit sich, treibt und lockt die Sterne ?ber seine Grenzen, ein g?ttliches Spiel, Wirbel und W?stenwind. Ich liebe ihn, weil er so reich und rein an Sternen ist, und ich staune vor solch verschwenderischen Launen ... Aber das geht Sie nichts an. Gern h?tte ich Ihnen noch vom Himmel erz?hlt. Sp?ter, wenn ich ihn erreiche und Gott --

Gott, wo bist du? Ich m?chte nah an deinem Herzen lauschen, Mit deiner fernsten N?he mich vertauschen, Wenn goldverkl?rt in deinem Reich Aus tausendseligem Licht Alle die fr?hen und die sp?ten Brunnen rauschen.

Handschrift

F?r den K?nstler der Handschrift ist der Inhalt seines Schreibens nur ein Vorwand, wie f?r den Maler das Motiv seines Bildes.

Das Manuskript liegt dem interessierten Leser zur Verf?gung in der Direktion.

Johann Hansen und Ingeborg Coldstrup

Zur Kindertrag?die in Kopenhagen

K?nstler

Herr von Kuckuck sitzt immer auf dem Fenstersims und schnappt mit seinem zugespitzten Mund alle meine todtraurigen Worte auf, die sonst im Zimmer liegen blieben, und ich w?rde schliesslich in der ?berschwemmung von Todtrauer ertrinken. Auch sieht er so spassig bei der F?tterung aus, ich muss manchmal hell auflachen. Mein Mann kann von Kuckuck nicht ausstehen. >>Er ist eine Beleidigung neben dir.<< Aber ich muss immer einen Hofnarr haben, das ist so ein uraltes, erb?bertragenes Gel?ste. Er folgt mir ?berall hin -- auf dem Salzfass sitzt er in der K?che, wenn ich am Herd stehe und mit dem Quirl dem Feuer behilflich bin -- ich meine wegen des Weichwerdens der Erbsen -- -- ich trage goldene Pantoffel, aber in meinen seidenen Str?mpfen sind schon L?cher. Herr von Kuckuck wird merkw?rdig d?ster, immer wenn er auf dem Salzfass sitzt und meinem Kochen zusieht. Er erz?hlt von Prinzessinnen, die in Goldpantoffeln und Seidenstr?mpfen kochen und scheuern m?ssen und sich die H?nde blutig reiben und aber der Himmel ihnen alle Sterne schulde. Ich glaube, ich bin im Anfang aus einem goldenen Stern, aus einem funkelnden Riesenpalast auf die sch?bige Erde gefallen -- meine leuchtenden Blutstropfen k?nnen vor Durst nicht ausbl?hen, sie verk?mmern immer vor dem Tage der Pracht, und mein Mann erz?hlte mir dasselbe, und darum haben wir uns geheiratet. >>Wenn sich mein Budget besser gestaltet,<< sagt Herr von Kuckuck, >>so braucht Prinzessin keine Erbsen mehr zu kochen.<< Er verspricht es feierlich, zwei grosse Tropfen fallen aus seinen Augen, die sind lila, und die Feierlichkeit kleidet ihn so: eine Burleske, die pl?tzlich auf geraden, rabenschwarzen Beinen steht. Ich rieche zu gern Ananas -- ich glaube, wenn ich mir t?glich eine Ananas kaufen k?nnte, ich w?rde die hervorragendste Dichterin sein. Alles h?ngt von Kuckucks Budget ab. Mein Mann der w?nscht sich gar nichts mehr, er denkt morgens schon heimlich an seine Zigarette, die er im Bett rauchen wird. Die Lampe zuckt, es ist alles so d?nn im Zimmer. >>Herein!<< Eine Erbse klopft an meinen Magen. Kleine Beinchen bekommen die Erbsen und wackeln mit ihren dicken Wasserk?pfen -- eine plumpst den Berg herunter. >>Bist du aufgewacht?<< Mein Mann fragt und hebt den Zigarrenbecher vom Boden auf -- dann streichelt seine Ananashand mein Gesicht -- die Finger tragen alle Notenk?pfe -- sie singen -- und immer, wenn das hohe C kommt, s?gt mein Arm ?ber seine Brust und seinen Leib -- ich nehme die Ged?rme hervor -- eine Schlangenb?ndigerin bin ich -- dudelsack Ladudel ludelli liii!!!! Ich schiebe die Schlangen vorsichtig wieder in seinen K?rper, die kleinste hat sich fest um meinen Finger gesogen, aber sie ist die haupts?chlichste Schlange, sonst kann er keine indischen Vogelnester mehr essen. Ich gleite die Kissen herab, mein Kopf liegt in einem weissen Bach, alle Fische tragen Ketten von Erbsen um den Hals und schwimmen hinter mir ?ber die flaue Matratze. Mein Mann wartet schon im Sessel. Im Rahmen ?ber dem Schrank h?ngt von Kuckuck und ?ber ihm sein Onkel Pankratius, einer der gestrengen drei Herren, und z?hlt -- Budget lauter goldene Schn?bel. Es wird alles so grau -- ich habe solche Angst, ich verkrieche mich in die Achselh?hle meines Mannes. Auf dem Sofa sitzt ein J?ngling, er hat grosse, braune, sp?ttische Augen, die l?cheln sch?chtern. >>Wer bist du!<< ruft mein Mann. >>Ich bin der Schatten Ihrer Frau und habe Theologie studiert.<<

In der Morgenfr?he

Ich gehe an Mandelb?umen vorbei, aber die bl?hen in den G?rten fremder H?user, und die Fenster sind noch geschlossen hinter Spitzengeweben. Ich bin unendlich m?de, gewohnheitsm?ssig bewegen sich meine F?sse vorw?rts, Maschinen sind es, und sie m?ssten eigentlich unverh?llt in blauen Sandalen gehen, denn sie sind von goldzagem Wandel, wie die Sonne, die aufstieg. Ich kenne die Menschen nicht, die mir begegnen, ich weiche ihrem D?nkel aus, und ich brauche nur meinen grauen Mantel abzulegen, um K?nig zu sein. Ich bin unendlich m?de, ich glaube, ich bin im tiefsten Leben erkrankt, aber die Vor?bergehenden merken es nicht, sie heben auf, was l?rmend auf den Strassen liegt, aber sie h?ren nicht das schmerzliche Murmeln, das t?dliche Verrauschen einer Seele. Da liegt ein Nachtfalter vor mir -- er stirbt -- wie d?rftig seine Fl?gel sind, ein Lumpenh?ndler war es, ein Vagabund, der sich nachts auf den Strassen herumtrieb und am Feuerrausch der Lampen endete. Er stirbt -- ich trete ihn tot. Ich denke an ihn -- wenn es f?r ihn doch einen Himmel, einen blauen Strand g?be -- er w?rde dort ein sch?ner Schmetterling sein. Ich bin unendlich m?de -- wenn ich nun auch eines Morgens so daliege, wie der graubraune Strolch -- welcher Fuss w?rde mich zertreten. Es kommen M?nner an mir vorbei in weissen Sportschuhen und Frauen schreiten hastig ?ber den Damm. Ich mag diese Frauen nicht im Ornat, derbgewordene Philisterinnen sind sie -- was wissen sie von der Knabenzeit. Aber das kleine M?dchen mit der Bubenbluse, es wird mich ?berm?tig zertreten im Scherzwort, im Fr?hlingslachen. Ich bin unendlich m?de und es beginnt der r?cksichtslose Tag. Der Mann aus Glas mit der Vollstreckungsmappe unterm Arm wartet vor der Haust?r auf mich, heute klebt er die Siegel. Ich muss ihn zart am Henkel fassen -- so ganz vorsichtig, liebevoll, dass er nur keinen Sprung bekommt. Draussen an dem fremden Hause bl?hen die Mandelb?ume: der Falter ist tot, ich vergass, ihn vom Weg in einen der G?rten zu werfen.

Elberfeld im dreihundertj?hrigen Jubil?umsschmuck

>>Lott es doot, Lott es doot, Liesken leegt om Sterwen, dat es god, dat es god, g?wt et wat tu erwen!<< Ich bin verliebt in meine buntgeschm?ckte Jubil?umsstadt; das rosenbl?hende Willkomm gilt mir, denn ich bin ihr Kind, die flatternden Fahnen auf den D?chern, aus den Fenstern winken mir zu, lange Rotschwarzweiss-Arme, die mich umfangen wollen. Ich soll ?berall hereinkommen. Ich bin in Elberfeld an der Wupper in der Stadt der Schieferd?cher. Hohe Ziegelschornsteine steigen, rote Schlangen herrisch zur H?he, ihr Hauch vergiftet die Luft. Den Atem mussten wir einhalten, kamen wir an den chemischen Fabriken vorbei, allerlei scharfe Arzeneien und Farbstoffe f?rben die Wasser, eine Sauce f?r den Teufel. Aber nach Newiges zu, wo die Maschinen ruhen, wie frische Drillingsb?che fliesst die Wupper zwischen Wiesen und Waldalleen. Aber ich bin verliebt in meine zahnbr?ckelnde Stadt, wo br?chige Treppen so hoch aufsteigen, unvermutet in einen s?ssen Garten, oder geheimnisvoll in ein dunkleres Viertel der Stadt. Ich mag die neuen Bauten nicht -- wer aber war die Urpatrizierin des Rokokohauses aus der friderizianischen Zeit? Es lebt noch einbalsamiert zwischen j?ngst zur Welt gekommenen Fabrikanten- und Doktorh?usern. Denn jeder etwas wohlhabende B?rger der Stadt besitzt ein Wohnhaus, wor?ber er Herr ist. Portiersleute gibt es in Elberfeld nicht, frech gewordene Sklaven, die nach Belieben ein- und herauslassen. Selbst viele Arbeiter leben im Eigentum ihrer M?tter. Gequacksalbert hat die Alte an der gr?nen Pumpe, noch heute heilt sie Krampfadern und Beingeschw?re. Und das ber?hmte Geheimmittel gegen die Cholera hat der sterbende Grossvater Willig dem Vater ins Ohr gelallt, und der hat es wieder dem Sohn anvertraut, und nun weiss es der Enkel, der wahrscheinlich seiner gespr?chigen Mutter wegen taubstumm zur Welt kam. Und ?berhaupt so seltsame Dinge gingen in der Stadt vor; -- immer tr?umte ich davon auf dem Schulweg ?ber die Au. Manchmal lief ich durch graue, lose Schleier, Nebel war ?berall; hinter mir kamen schauerliche M?nner mit einem Auge oder loser Nacktheit; auch an Ziethens H?uschen musste ich vorbei, der seine Frau erschlagen haben sollte, >>ewwer en doller Gesell wors gew?sen.<< Oft liess ich vor Angst die B?cher fallen oder der Ranzen hing mir nur noch halb auf der Schulter. Nun gr?nt nicht mehr die von Z?unen umgrenzte Au; Tore verschliessen H?user; kein Schulkind kann mehr auf dem Wege zur Schule tr?umen, jedes Fenster zur Rechten und zur Linken weckt es auf. Lebt der greise Direktor Schornstein noch, der nicht wie die roten Schornsteine rauchte, aber vor Zorn so oft fauchte? Ich bin verliebt in meine Stadt und bin stolz auf seine Schwebebahn, ein Eisengewinde, ein stahlharter Drachen, wendet und legt er sich mit vielen Bahnhofk?pfen und spr?henden Augen ?ber den schwarzgef?rbten Fluss. Immer fliegt mit Tausendget?se das Bahnschiff durch die L?fte ?ber das Wasser auf schweren Ringf?ssen durch Elberfeld, weiter ?ber Barmen zur?ck nach Sonnborn-Rittershausen am Zoologischen Garten vorbei. Mein Vater musste an den Sonntagen mit mir dorthin gehen, der bemerkte nicht den Sekundaner mit der bunten M?tze. Auf dem H?gel im Tannenw?ldchen am B?renk?fig versprachen wir uns zu heiraten. -- Ich muss an alles denken und stehe pl?tzlich wie hingehext vor meinem Elternhaus; unser langer Turm hat mich gestern schon ankommen sehen; ich fall' ihm um den Hals wahrhaftig. Leute am Fenster des Hauses bemerken, dass ich weine -- sie laden mich ein auf meine Bitte, einzutreten. Schwerm?tig erkenne ich die vielen Zimmer und Flure wieder. Auf einmal bin ich ja das kleine M?dchen, das immer rote Kleider tr?gt. Fremd f?hlte ich mich in den hellen Kleidern unter den andern Kindern, aber ich liebte die Stadt, weil ich sie vom Schoss meiner Mutter aus sah. Von jeder H?he der vielen H?gel schwebt noch ihr stolzer Blick wie ein Adler; und meines Vaters lustige Streiche st?rmen eben um die Ecke der Stadt. >>Wat wollt ?hr van meck, eck sie jo sing Doochter.<< Das rettet mich vor der schon erhobenen Faust eines besoffenen Herumtreibers. Das verwilderte Jahrmarktgesindel rings um mich schwenkt meine Kindheit immer wieder von neuem wie in einer vielseitigen Luftschaukel auf und nieder. Das Geklingel der Karussellmusik, begleitet von Fl?chen rauher M?uler und Kreischen frivoler Weibsbilder ist z?rtlich meinem Ohr. Denn ich bin verliebt in die Stadt der Messen und Karussells. Mein Begleiter versucht mich zu ?berreden, mit ihm den Riesenjahrmarktplatz zu verlassen. Aber ich muss noch einige Male Karussell fahren. >>Lott es doot, Lott es doot<<, ich fahr f?r mein Leben gern; gerade die altmodischen Holztiere sind am fr?hlichsten und drehlichsten. Mein Leopard springt auf Raub. Zwischen Aujust und Aujuste die Bewusste, hinter Caal und Caaroline, Alma, Luischen, Amanda. Gar nicht stolz bin ich -- sie beginnen mich zu lieben. Ich bin verliebt in meine Stadt, manchmal schrei' ich ganz laut auf, das ?berzeugt das rohe, arme Gesindel. Den H?rrn Sch?ler haben viele gekannt, er hat sie umsonst wohnen lassen in seinen H?usern. -- Wir gehen durch das Tor ins Elberfeld vor >>dreihundert<< Jahren. Mina singt gerade im Tingeltangel ihre Liebeslieder. In rosanen Atlaspantoffeln stecken ihre Klumpf?sse, ein knappes R?ckchen bedeckt ihren Allerweltsleib. Diese Undame charakterisiert das Chantant einer ganzen Zeit. Ich entgehe ihrem Spotte nicht, aber ich weiss ihr Achtung einzufl?ssen. Ist ihr Hals etwa nicht wie Milch? Und zu guter Letzt erkundige ich mich angelegentlich, wo man genau solche Pantoffeln bekommt in der Stadt, wie die ihren sind. >>Die sinn ut Engeland bei Paris.<< -- Nun hinein ins K?lner H?nnesken! Gewaltsam zerre ich den Dichter zwischen die Clowns ins Innere des Brettertheaters. >>Sie werden noch gestochen werden, wie Ihr Vater einmal.<< Durch seine Uhr ging die Spitze des Metzgermessers. Am anderen Morgen f?hrten die jammernden Eltern den heulenden Sohn vor das fieberknarrende Bett meines Vaters. Er wusste, dass sie kommen w?rden, und drei Gl?ser und eine Flasche Rotwein standen zum Empfang auf dem Nachttisch. Aber er ?chzte vor Schmerz, namentlich, als die fette Metzgersmutter begann, dat et d?r wackere H?r Sch?ler verzeehen m?dd ... Ich bin verliebt in meine Stadt, aber schon muss ich Abschied nehmen wie von einem alten, d?steren Bilderbuch mit lauter Sagen. Niemand hat mich wiedererkannt, auch in Weidenhof der Wirt nicht, der immer einen ganz kleinen Kellner f?r mich herbeischaffen musste am Festtag, wenn wir dort Forellen assen. Und die Einkehr in meine Heimat habe ich einem Dichter in Elberfeld zu verdanken, der kam dorthin lange nach mir. Paul Zechs feine k?nstlerische Gedichte duften morsch und gr?n nach der Seele des Wuppertals.

Arme Kinder reicher Leute

Und wo die ganze Erde im gr?nen Lachen steht und ein grosser Spielplatz ist, fallen mir die vielen lieblichen Kindergesichtchen um so schmerzlicher auf, die da weinen im Sonnenschein. Ihre L?ckchen flattern zwar lustig aus den feinen Spitzenh?ubchen hervor, und viele von den Kleinen stecken in seidenen Tanzkleidchen. Aber sie d?rfen sich an der Hand ihrer Begleiterinnen nicht recht freuen, und ihre runden Herzchen m?chten h?pfen. Baby hat ein Kn?pfchen von seinem Schuh abgerissen, es hat sich so gelangweilt -- aber Detta muss ihn am Abend wieder ann?hen, daf?r gibt's eine Saftige. Auf dieselbe Bank setzt sich ein sogenanntes Fr?ulein, allerdings, sie tr?gt einen Federhut und hat die All?ren ihrer Dame abgesehen ... Sie r?ckt, den Abstand zwischen ihrer Person und ihren dienenden Kolleginnen zu wahren, vorsichtig an das ?usserste Ende der Bank. Wie schon angedeutet, ist sie nicht aus der Gattung der gemeinen Kuhblume , sie straft gebildeter. Mit einem Roman von Emile Zola schl?gt sie ihre kleine Schutzbefohlene auf den Mund, auf die weissen Zuckerz?hnchen. Und nur selten r?gen Vor?bergehende die brutale Eigenm?chtigkeit dieser Donnas.

Lottchen wird ?ber die Strasse geschleift, es ist so heiss, seine zweij?hrigen Beinchen k?nnen nicht mehr ausschreiten. >>Ick soll dir woll tragen, olle Pute.<< Keine der M?tter erbarmt sich seiner, und nur einige M?dchen mit der Schulmappe am Arm oder dem Ranzen auf dem R?cken bleiben entr?stet stehen und versuchen, die Kleine von der Hand ihrer Peinigerin zu befreien, die aber schl?gt kreischend um sich -- ein Volksauflauf entsteht und nimmt sich der armen dienenden Person an -- ich und meine kleinen Verb?ndeten sind das Gesp?tte der Strasse.

Am Nachmittag begegnen mir die tapferen Schulm?dchen wieder, sie f?hren ihre kleinsten Geschwister spazieren und tummeln sich mit ihnen ?ber die Wiesen; wie z?rtlich sie mit den langen Z?pfen ihrem Br?derchen die Patschklatschh?ndchen und das bestaubte Gesichtchen s?ubert! Und welche Wonne, durch den k?hlen Wiesenbach zu waten! Viele von ihnen brauchen nicht erst ihre F?sse entbl?ssen -- heirassassa wie das Wasser aufspritzt. >>Dass nur nicht die neuen Kleider nass werden!<< erinnert die ?lteste mit den langen Z?pfen. Sie steht noch im Pflichtgef?hl zur Puppe. Vierzehn Jahre wird sie n?chsten Monat; >>ich komme<<, erz?hlt sie mir, >>in den Dienst nach der Einsegnung.<< Sie hat keine Erfahrungen gemacht, und was sie von H?rensagen getr?bt weiss, ist noch zu verwischen. Ich habe immer solch eine Puppenmutter bei meinem Bengel, f?r seine sechs Jahre weiss er genug Streiche, ich lache ob seiner Ausgelassenheit, die auch von seiner Kameradin ungez?chtigt bleibt. Sie balgen sich und springen miteinander ?ber die Wege, mutwillige Ziegenb?cke. Aber auch besonnen kann seine junge Begleiterin sein. Auf jeden Fall befolgt sie noch schulgewohnt meine Worte und streikt nicht heimlich wie manche ausgewachsene Personen, die schon aus Oppositionslust das Gegenteil ausf?hren.

Ja, diese Allzufreien. Arm machen sie manchmal die Kinder der reichen Leute mit ihren geh?ssigen Launen und niederen Liebeleien. Allerdings gibt es auch noch musterhafte P?dagoginnen unter den Kinderm?dchen oder >>Fr?uleins<< -- ich meine nicht solche, die unter jeden Schritt des Kindes ein Rechenexempel oder ein Abc legen, nein, ich meine jene, die zu spielen verstehen, und die m?ssten doppelt besoldet werden -- welche ungeheuren Summen werden f?r den Magen ausgegeben, warum nicht f?r die Seele seines Kindes? Nichts fordert Technik in solch feinem Masse wie die Kunst des Kindes, >>das Spiel<< -- die bunten Gedanken zu drehen im Krausk?pfchen, wie in einem Kaleidoskop. Ja, es gibt vortreffliche >>Bonnen<<, besorgte und doch heitere Freundinnen der Kinder. Aber w?re es nicht ratsam, weibliche Detektivs anzustellen, verheiratete Frauen, die die ?berschreitungen der -- minder Trefflichen draussen auf den Wegen beurteilen k?nnten? M?tter und V?ter, sucht einmal euer Kind draussen in der sorglosen Natur statt nur im Spielzimmer auf, dort werdet ihr die H?terinnen eurer Kleinen ungeschminkt kennen lernen.

Am Kurf?rstendamm

Was mich im vorigen Winter traurig machte

Blumen werden bald bl?hen an beiden Seiten des Reitwegs am Kurf?rstendamm. Wenn die lieblichen Reiterinnen an all dem Duft vorbeigaloppieren werden, dann ist es zu sp?t, ihnen zu sagen, dass die buntlachende Allee gesprengt wurde mit Schweiss und Blut Peitschender und Gepeitschter. Die Pferde vornehmer Landauer tanzen, ihre schwarzen Augen z?nden vor Leuchten. Ich beginne sie mit ihren geplagten, wiehernden Br?dern zu beneiden. Die k?nnen nicht weiter durch den H?gel an H?gel aufgeworfenen Erdboden; ihre Hufe mussten sich selbst den Schmerzensweg bereiten. Da gibt es kein Pardon! Auch kein Mitleid der Spazierg?nger, niemand will was mit den Fuhrleuten zu schaffen haben; in den neumodischen, wogenden Busen der Damen pocht kein Herz. Sie verhindern sogar ihre M?nner, sich in Strassenangelegenheiten zu mischen. Manchmal stellen sich Kinder auf zur rechten und linken Seite des Dammes. F?r sie ist es eine Unterhaltung, ein wirklicher Kientopp. Heute besah sich ein Schutzmann den unerh?rten Vorgang. Aus einem B?ckerladen schickte eine K?uferin f?r die Pferde alte Semmeln. Ich sah ?ber dem Gesicht des uniformierten Mannes eine kr?ftige Freude marschieren. Und ich bat ihn, ob er nicht eingreifen wollte. Er erkl?rte mir, die Fuhrleute sind nicht so schlimm wie ihre Brotgeber. Weigert sich einer der Angestellten, wegen der nicht gen?genden Anzahl Pferde an seinem Karren loszufahren, verliert er seine zwanzig Mark per Woche. >>Da lauern schon immer genug Brotlose vor der T?re.<< F?r die zwanzig Mark. -- Sie leben, sie peitschen, sie fluchen daf?r. Ihre Roheit besteht das Examen. >>D?mlich Vieh, windelweich hau ick dir, faulet Luder!<< Die Wut rinnt den Unmenschen ?ber die Backen, den entbl?ssten Hals hinab. Die R?cken der Tiere bluten vor Hieben. Wie sollen sie es anders machen? Verteidigt sie der Schutzmann. Denn es dauern ihn die Treiber ebenso wie die Pferde. Die Treiber, die nur zwanzig Mark verdienen pro Woche und sich so plagen m?ssen mit dem Vieh. >>Es ist doch mal Vieh, es ist doch zum Ziehen da!<< Ein paar B?rger stimmen ein in den bequemen Sang. R?hren sollen gelegt werden zum Ablauf des Wassers. Die Blumen, die bald auf beiden Seiten der Allee wachsen, m?ssen bew?ssert werden. Gibt es denn keine Maschinen, die die Erde schliesslich aufw?lzen k?nnen? meint ein sechsj?hriger kleiner altkluger Ingenieur. Er h?lt auch eine Maschine im kleinen aus einem Spielwarengesch?ft in der Hand. Die M?nner toben. Wilde Australneger sind Engel dagegen mit ihrem Schlachtgeschrei. Ich aber f?hle ebenfalls die schwere Schuld, die die Besitzer dieser Fuhrunternehmen trifft. Vorwurfsvoll schielen seine Knechte ?ber die gefr?ssigen Pferde auf uns: Sie h?tten selbst Hunger. Endlich aber entschliessen sie sich, nach all den vergeblichen Peitschenhieben, die Pferde umzuspannen. Zu sechsen geht es doch besser ?ber die holprige Strecke. >>Ich hab das gleich gedacht,<< gesteht der Schutzmann. >>Aber sagen Sie mal was zu den Leuten!<< Wenn die lieblichen Reiterinnen im Sommer auf ihren verw?hnten Schimmeln durch die Allee des Kurf?rstendamms reiten, wird der Geranium zu ihren Seiten rot wie die vergossenen Blutstropfen der armen Pferde bl?hen. Sie hatten alle traurige Augen und liessen die K?pfe h?ngen.

Die beiden weissen B?nke vom Kurf?rstendamm

Morgens standen sie pl?tzlich auf dem Kurf?rstendamm wie vom Himmel gefallen in Mondsichelfasson. Die eine weisse Bank winkte den Leuten, die aus der Friedrich-Wilhelm-Ged?chtniskirche kamen, freundlich zu, die andere weisse Bank lud eine blonde Sch?ne ein in aschgr?nem Samt. Ich bin seitdem ?fters an den weissen B?nken vorbeigegangen; gestern setzte ich mich zum erstenmal auf die eine, den Damm weiter, auf die andere. Guckte ich geradeaus, bot sich mir ein Kreuz- und Querbild. Man sieht es vielen Vorbeieilenden an am Operngucker in ihrer Hand, wohin sie wollen -- zur Hochbahn --, in einer halben Stunde fangen die Theater an. Andere kommen aus der Stadt, biegen um die Joachimsthaler Strasse und kehren ein in das heimatliche Caf? des Westens. Kommen da zwei kleine, arme M?dchen; in ihrer Mitte ihren lebendigen, rotb?ckigen Hampelmann, der sprechen kann. >>Zwei Jahre ist er,<< erz?hlen sie mir und streiten sich, wer ihn aufwarten, das heisst, wer mir von ihnen seine Kunstst?cke zeigen wird. >>Wir sind keine Schwestern,<< antworten die beiden gernegrossen M?tter, sie lassen schon beh?big das Kinn h?ngen, f?rsorglich sind sie um ihren kleinen Kasperle. >>Wir sind jede f?r uns allein.<< Sie meinten damit, sie sind nicht einmal verwandt. Lieschen ist in Pflege, ihr Pflegevater ist Nachtw?chter -- manchmal legt er sich vor M?digkeit, wenn er morgens nach Haus kommt, mit dem Bund Schl?sseln und der Laterne ins Bette. Das andere Lieschen, sie heissen beide ganz gleich, erz?hlt: Sein Vater helfe einem Zauberer. >>Ein schwarzer Neger ist sein Papa!<< Es ruft mich jemand von der Haltestelle der Elektrischen, ein Dichter im Florentiner, er will in die Kolonie fahren. >>Reisen Sie alleine, Torquato Tasso, ich will mich noch auf die weisse Schwesternbank setzen.<< Ich sehe mich nach ihr um, sie gl?nzt viel br?utlicher wie diese, von der ich mich erhebe; und ich z?gere, mich auf die myrtenweisse niederzusetzen. Aber die beiden Verliebten da bemerken es nicht. Aus der Kirche treten schon die ersten Sonntaglinge, die Sonne spielt Orgel um das Haus mit ihren schlanken Strahlen. Ich verstecke mein Gesicht in dem grossen Glockenturm -- sehe, h?re und denke nichts, und doch findet man sich auf den weissen B?nken wieder, wenn man sich verloren hat.

Die Odenwaldschule

In den Bergen zwischen Laub und Wiesen stehen f?nf bemalte Waldschl?sschen: jedes ist einem Dichter gewidmet, und drinnen lachen Knaben und M?dchen mit ihren Lehrern und Lehrerinnen. Und unter ihnen lebt der R?bezahl mit seinen g?tigen nussbraunen Augen und dem langen Weihnachtsbart. Paul Geheeb, der Sch?pfer der Odenwaldschule, ist ein R?bezahl, er zaubert Freude durch die Hallen und S?le seiner Gnomenh?user, und ?berall ist es hell, wohin seine sonnigen Augen scheinen. Immer steigt sein Fuss, ob er auf die Gipfel will oder ?ber die Ebene schreitet. Von R?bezahl sprechen die Bauern im Tal, wenn sie den Direktor oben meinen, den die Kinder alle so lieb haben. Jedem M?dchen schenkt er ein tr?stendes Wort, und den verirrten Wanderer beherbergt er und seine Gnomen f?r die Nacht: die sitzen in bunten Spielreihen beim Vesper und trinken Milch aus grossen Kannen.

Heute macht die blonde Adi den Vorschlag, alle Jungen m?ssen einen Stoffaffen und alle M?dchen einen Stoffb?ren mit zum Sonntagsmahl bringen: die zwei vorhandenen hat die Schelmin dem lieben R?bezahl in die Brusttaschen seines Rockes gesteckt, dass die beiden wulstigen Tierk?pfe zur Belustigung aller Kinder hervorgucken zur Rechten und zur Linken.

Paul Geheeb versteht das junge Herz des Kindes wie einen Kaleidoskop zu drehen, er weiss die bunten Bilder zu w?rdigen. Aber auch seine Lehrer sind K?nstler: sie haben alle noch Knabenherzen wie ihre Z?glinge und f?hren mit ihnen manchen Indianerstreich aus. Die Knaben tragen alle Sweater, und die Kleider der M?dchen sind durch B?nder ?ber der Achsel gehalten, echte Kindertracht: sie passt zu roten Backen und leuchtenden Augen. Und alle haben gesunde Lungen, die atmen wie die starken B?ume das Leben ein und aus. In der Fr?he m?ssen die Odenwaldkinder ins Luftbad, sich viel, viel Luft holen, und es gibt keinen S?dwind und keinen Nordsturm, dem die R?bezahlbande nicht gewachsen w?re. Die verz?rteltsten Kleinen trotzen dort der Welt mit den allerhand Erk?ltungen. Aber Vernunft liegt in jeder Anordnung Paul Geheebs: seine ihm anvertrauten Lieblinge bewegen sich in wohlgew?rmten R?umen in der Winterzeit. Die Korridore, die Lesehallen, die Schlafgem?cher sind mollig temperiert.

Jedes Kind besitzt sein Heim, oder es m?sste dicke Freundschaft geschlossen haben und den Wunsch aussprechen, sein Eigentum mit irgendeinem Spielgef?hrten zu teilen. Mein Paul und der Bruno Tillehsen; was der Torquato Tasso dichtet, illustriert mein Junge. Auch das Burgfr?ulein Irmgard und der kleine Landwirt Bubi, die Kinder von Wilhelm von Scholz, sind Z?glinge der Odenwaldschule. Auch der Peter ist oben beim R?bezahl, vom Bildhauer Gaul der kleine Sohn: der isst so gern N?sse: ?berall kracht es nur so zwischen den Z?hnen. --

Nachmittags ist immer frei: die saftigen ?pfel werden von den ?sten gesch?ttelt, oder die kleinen Gnomen helfen den Bauern in den Scheunen, in der Zeit, da die emsigen Gnominnen Blumen pfl?cken oder Himbeeren und Brombeeren sammeln f?r den Tisch ihrer grossen Freundinnen. Liebe, erwachsene Schulm?dchen sind die Lehrerinnen: in den Fr?hstunden lauschen die Kinder mit offenem Munde ihren Lehrwundern. Jede Lehrerin und jeder Lehrer verstehen es, auf spannende Art die jungen Zuh?rer zu fesseln. Die freuen sich auf jeden Morgen wie auf den Geburtstagstisch, immer bietet der Unterricht neue, ?berraschende Gaben.

Pl?tschernde B?che, goldene G?rten begleiten den Ank?mmling die Bergstrasse hinauf von Heppenheim bis oben ins Gnomenst?dtchen; holde Landschaft, befreite Erde -- kommt man aus der Grossstadt dorthin, wo R?bezahl seine Odenwaldschule erbaut hat!

Lasker-Sch?ler contra B. und Genossen

Seitdem einige Tageszeitungen um mein lyrisches Gedicht: >>Leise sagen<<, soviel L?rm geschlagen und mich f?r geisteskrank erkl?rt haben, hat sich eine Partei um mich erhoben, die es sich zum Lebenszweck angedeihen l?sst, diese gef?hrliche Behauptung mit allen gerichtlichen Gegenbeweisen aus der Welt zu schaffen. Das Resultat ist: Ich werde beobachtet, nicht allein von einem Psychiater, auch von mir selbst -- . Ich kann den ganzen Tag nicht auf einen Namen kommen, auf den Namen meines Urgrossvaters, der Scheik in Bagdad war. Dieser Zustand ist uns?glich unertr?glich, als ob man g?hnen muss und kann nicht, als ob man in eine Posaune blasen muss und findet die ?ffnung nicht. Ich war heute schon ?berall, wo irgend etwas von Asien zu sp?ren ist. Auch im orientalischen Seminar war ich beim Rektor, der dachte freundlich ?ber den Namen meines ehrw?rdigen Urherrn nach, und alle seine Sch?ler taten das, und Sch?lersch?ler, Muselm?nner, Chinesen, Japaner, Studenten aus Vampur, Koreaner, Sudanesen; es dachten Siamesen, Indier, Serben, T?rken, Montenegriner, Talmudisten, Zionisten, auch die beiden S?hne einer Kaffernfamilie dachten, und denken wahrscheinlich jetzt noch nach. Ich habe kein Ged?chtnis mehr, seitdem bei mir Gehirnerweichung in Frage genommen ist. Rechts vom Gehirn steht mein Heer -- links der Feind. Ich f?hle seitdem auch nicht mehr richtig, ich taste; die Sternwarte meines Herzens ist getr?bt -- und mein Horizont liegt hinter dem Rubikon -- und der Sturm -- verweht meinen Geist. Wie soll ich mich besch?ftigen? Ist mein Psychiater nicht bei mir, fahr' ich zu ihm heraus und bringe ihm einen Kloss meines Gehirns. Ich muss immer meckern, wenn ich bei ihm bin; er hat einen roten Ziegenbart. Ich konnte mich schon als Kind nicht besch?ftigen, meist habe ich mit Kn?pfen gespielt, aber ich habe alle verloren oder wo angen?ht, und wenn der Psychiater nicht eindringlicher mich beobachtet, werde ich es den Redaktionen der Zeitungen mitteilen, die mich bei der Gehirnerweichung ertappten; sie haben ihn doch f?r mich engagiert, und er muss seine Pflicht tun.

Ich laufe jetzt so gern ?ber Wiesen; Knaben gew?hre ich mit Vorliebe mein Gehirn, solange es noch einigermassen hartk?pfig ist, zur Zielscheibe ihrer Gewehre. Das Sprechen wird mir schwer; wenn ich singen k?nnte! Dann k?nnte ich viel besser alles sagen. Aber ich habe zu jung gesungen, die fr?he Bl?te meines Kehlkopfs war noch nicht befestigt. Sprechen lernte ich schon beim Milchtrinken, aber das Singen h?tte ich unterdr?cken m?ssen, Talente sollte man mindestens f?nfzehn Jahre im Steckkissen herumtragen. Dabei wird man immer kleiner und schl?friger. Ich bat heute den Psychiater, er solle mich ein bisschen in seinem Kinderwagen herumfahren. Er hat n?mlich einen im Nebenzimmer stehen, darin seine Frau ihre Hoffnungen spazierenf?hrt, schon zwei Jahre, damit er sie nicht verst?sst. Von seinem zuk?nftigen Sohne lasse er sich die Fesseln der Ehe gefallen, aber nicht von seiner Frau, die geht immer in blau, weil sie den Himmel auf Erden vermisst. Er aber hat mir ein Rasselchen geschenkt, ich h?tte viel lieber die Gummipuppe gehabt, f?r in den Mund zu nehmen. Ich habe einen Brief von mir selbst von fr?her gefunden, an meine britische Busenfreundin, den lese ich dem Psychiater vor. Seitdem ich diesen Brief geschrieben habe, ist mein Herz graumeliert, und Dr. Ziegenbart sagt: >>Lesen Sie!<< Dear Mabel! Manchmal hab ich so Sehnsucht, ich s?ss wieder nachmittags an einem grossen, runden Tisch neben meiner Mama und so zwischen meinen Schwestern und Br?dern, und oben sitzt mein Papa, und wir trinken zusammen um vier Uhr Kaffee aus der silbernen Kaffeemaschine durch Filtrierpapier -- und so ganz zusammenger?ckt sitzen wir, wie eine Insel, aus einem St?ck. Nichts Fremdes mehr, aber wir fliessen ineinander, trotzdem wir Geschwister alle anders waren, und f?rchten uns nicht vor dem Tode, weil einer den andern ersetzt. Das ist lange her, ich weiss auch nicht, warum ich daran so oft denke, zumal ich doch Robinson wurde, durchbrannte in die Welt, weil ich dem Robinson auf dem Deckel seiner Geschichte so ?hnlich sah. Und ich liebte das Abenteuer, das hat nichts mit der Stube zu tun, und wenn es auch eine herrliche ist. Aber dreimal im Leben hatte ich eine grosse Sehnsucht, wieder in einer Stube neben Mama und Papa und Geschwistern zu sitzen. Als ich mich zum ersten Male verm?hlte. Aber ich fiel ins Haus und verletzte mir die Knie, die bluten seitdem. Und das zweitemal, das war noch trauriger; da folgte ich meinem Verlobten in seine Heimatstube. Ich sass neben seiner Schwester; mein Verlobter sass neben seiner Mama, und oben am Tischanfang trank sein Papa den Nachmittagskaffee, und auf einmal sah ich, dass die fremde Mama meinem Verlobten ein grosses St?ck Kuchen auf den Teller legte, ein St?ck Torte mit einer Frucht darauf; und ich bekam ein schmales St?ck Torte ohne eine rote Kirsche; da war ich pl?tzlich ganz klein wie zu Haus und weinte. Und zum dritten Male ?berkam mich die Sehnsucht, mit meinen Verehrern in ihr Haus zu gehen. Das erinnerte mich am wirklichsten an zu Haus. So viel Geschwister, die sprachen wie meine Schwestern und Br?der und waren sch?n, aber dann kam ein grosser Hund und schn?ffelte um den Tisch herum, bis er mich fand; denn einem von den drei Br?dern hatte ich das Herz gefressen. Ich sehne mich nun nicht mehr nach einer Stube, wo eine Mama und ein Papa und Geschwister um den Tisch sitzen und eine Insel sind. Mein Angebeteter verspottet mich und meint, ich ziere mich wie ein Backfisch. Ich habe kein Verlangen mehr nach der heiligen Nachmittagsstube, und ich bin wirklich der Robinson auf dem Deckel seiner Abenteuer. Aber ich m?chte noch die ganze Nacht so traurig erz?hlen. Many greetings, dein Robinson. -- Wer mich alles in die drei ersten Stuben gef?hrt habe, meint der Psychiater, sei f?r ihn nicht schwer zu entr?tseln, aber den Angebeteten m?chte er kennen lernen, der eine Ausnahme bilde, da ich seiner Eltern Stube nicht heimsuchte. Ich verstehe; des Doktors ironische Weise ist mir sympathisch. Der Psychiater nickt mit dem Kopf; er ist Schriftsteller nebenbei, und hat Momente der Psyche aufzuweisen, die bei Doktoren ohne Drum und Dran nicht vorhanden sind. Sein Ton ist mitleidig, w?re er eine Frau, spr?che er wehleidig. Ich habe das Gl?ck, dass er keine Frau ist. Zwischen ihm und seiner Frau f?llt ein schwarzer Vorhang, aber ?ber seinem Schreibtisch h?ngt unverschleiert, aber zahm verbl?mt, ein deutscher Gelehrter mit einem Bart aus Eichenlaub; sein fr?herer Universit?tsprofessor; den muss er zum Aufreizen seiner Nerven haben. Auch steht in seinem Sprechzimmer eine Lampe, deren Birne streikt, weil sie kein Apfel ist. Der Waschtisch seiner medizinischen H?nde l?uft nicht, er steht auf Plattf?ssen. Mein Zimmer funktioniert viel besser, es liegt am See, an der Waschsch?ssel. Und dabei spreche ich immer vom Tigris, nicht wahr? Verh?hnt mich nur, liebwerte, wahrhafte Leser; oh, diese Welt mit ihren Fl?ssen, Nebenfl?ssen und ?berfl?ssen! Es hat jemand dem Psychiater gesagt, ich sei abnorm eifers?chtig. Das k?nnte allenfalls ein Symptom von Gehirnerweichung sein. Aber was soll ich mit meinem Mann sprechen, wenn er in der Nacht nach Haus kommt, als Eifersucht. Der Leser soll mir die Frage ganz aufrichtig beantworten, bitte. Ich lehne an seinem R?cken wie vor einem blinden Fenster. ?brigens ist meine Eifersucht nicht subjektiv, sie ist eine Landeigenschaft, ein Kost?m, eine Nationaltracht der Seele. Meinem Psychiater leuchtet die landl?ufige Logik wirklich ein; ich bin ein f?r allemal von ihm als gesund entlassen, und brauche mich nicht mehr seinen Beobachtungen zu unterziehen. Der Feind ist verurteilt vom hohen Gerichtshof zu zehn Mark Schadenersatz; h?tte er nicht schon Berufung eingelegt, so h?tte ich es ihm geraten, denn er soll in schlechten Verh?ltnissen sein -- ich bin zu weich ...! Was soll ich nun tun, als ?ber den Namen meines Urgrossvaters nachdenken? Im Augenblick, wo ich glaube, ich habe ihn, kugelt er noch schwerer als Blei in meinen Rachen zur?ck. Wie ein einbalsamierter Leib. Dabei h?re ich den Namen meines Urgrossvaters auf meiner Zunge, eine Melodie, einen Psalm. Ich muss mich zerstreuen, ich werde die Redaktionen, die so lange nun mit mir in Konnex standen, um Verzeihung bitten; ich kann doch nicht daf?r, dass ich keine Gehirnerweichung habe! Der Psychiater glaubt doch nicht daran! Das Leben ist was furchtbar Schmerzliches; alle meinen, dass es nur was Entt?uschendes ist. Ich meine beides und gaukle mit Geschicken. Und wie das Leben vom Milieu abh?ngt, wenigstens meins. L?ge zum Beispiel das Fenster meines Zimmers statt nach gegen?ber, seitw?rts mit dem Blick nach dem Westhimmel, wo abends der Mars aufmarschiert, h?tte ich Freude am Leben gehabt und w?sste, warum ich lebe -- aber so! Ich kann mich nicht mehr sehen, ich ertrage in den Spiegeln mein Gem?lde nicht mehr, wenn nun mein Angebeteter kommt und hat meine Augen? Und darum gerade, wegen seiner hellen Lichter liebe ich ihn, gelbe Rosen, und wenn sie traurig sind, fallen sie wie Goldregen. Er ist ein Sonntagskind, ich bin ein Feiertagskind, das nicht gehalten wird; er findet keine Ruhe in mir. Wir lieben uns, wie die verschiedenen Liebenden auf Erden und im Himmel. Wie selige Engel mit der Pose des Fl?gels, wie die ersten Menschen, die noch gl?hend waren, wie zwei grosse Blumen hinter der Hecke, die nichts wiedersagt, wie zwei Rubinen im Reichsring eines Kaisers und manchmal fr?h am Morgen wie zwei Schakale. Ich mache mir gar kein Gewissen daraus; alle Romane der Ehe sind Unwahrheiten! In Wirklichkeit gibt es kein Gewissen. Aber, dass ich den Namen meines Blutp?chters, meines Urgrossvaters, vergessen habe, dar?ber mache ich mir heftige Gewissensbisse.

Coranna

Eine Indianergeschichte gestaltet von Slevogt

Mein Junge tr?gt einen Indianerschmuck in den Haaren, gr?ne, gelbe, blaue, lila und rote Federn, und um seine Lenden einen Gurt aus Vogelbeeren und harten Muscheln. Aber er weiss nichts von den Menschen in Wild-West. Ich kaufe ihm aus Furcht, er k?nne eines Tages nach dr?ben durchbrennen, keine Indianergeschichten. Der kupferrote Gott ist der Fanatismus der Knaben. Seine Legenden sind gef?hrlich, sie kommen ?ber einen, ihre Bilder machen Mut, st?hlern. Gr?ngelbblaulilarot! Meine Br?der machten sich in n?chtlicher Fr?he mit ihren Freunden auf und davon -- der Skalpgott rief sie aus dem Elternhaus. Sie hatten sich schon Wochen vorher f?r ihr Sonntagsgeld Pfeifchen, Tabak, Zigarren und dergleichen mehr f?r den Tausch am Lande besorgt. Manche von ihnen stahlen ihren Schwestern Ohrringe, Broschen, Ketten f?r die H?uptlingsfrauen und Indianerm?dchen. Aber die Reise ging nur bis Bremen, die strafenden V?ter liessen die Durchbrenner grausam wieder in die Heimat transportieren. Mein Vater jedoch war im Grunde seines Herzens stolz darauf; er liess meinen Br?dern im Garten ein Indianerzelt aufschlagen, kaufte Speere und andere Mordwaffen und G?rtel, deren Skalpflachshaare fast bis zur Erde reichten ... Es ist schon lange, lange her, ich habe seit Indianerjahren kein Indianerbuch mehr aufgeschlagen. Nun liegt ein grosses in den Farben der Kupferhaut auf meinem Schoss. Slevogt hat gezaubert, als er die Gestalten des Werkes erschuf n?chtlich auf weisser Pr?rie; seine schwarze Feder zeichnete kupferrotes Leben. Ich muss die wilden Wildwestmenschen festhalten, sie laufen, galoppieren meinen Blick entlang, ?ber meine H?nde hinweg in die Freiheit. T?nze, K?mpfe, Ritte f?hren sie auf, ich vernehme Pferdegetrampel, h?re Kriegsrufe, werde eingeh?llt vom aufwirbelnden Nebel fl?chtender, feindlicher St?mme. Mich ergreift die Sehnsucht meiner Br?der.

Die schwere Stunde

Ich wollte ein Schmerzen rege sich Und st?rze mich grausam nieder Und riss mich je an mich! Und es lege eine Sch?pferlust Mich wieder in meine Heimat Unter der Mutterbrust.

Ein sorglos abgetanes Urteil las ich dieser Tage ?ber die ungeheure Sch?pfung: Die schwere Stunde von Charlotte Berend. Die Wirkung des Bildes auf den Kritiker hat mich zwar nicht ?berrascht; viele seiner kritisierenden Vorfahren verwechselten schon die Erzkraft eines Kunstwerks mit der entbl?ssten Brutalit?t. Es geh?rt schon ein Jahrtausendblick dazu, gerade den Wert dieses gottalten Bildes der Charlotte Berend zu erkennen -- sein Allvatername heisst das Gesetz. Ich hoffe nicht, dass die K?nstlerin aus Bescheidenheit den k?niglichen Namen f?lschte. Sie hat ihre Sch?pfung aus dem Mark aller Farben erschaffen. Es nahte ihre selige, schwere Stunde selbst. Das Wunder der Inspiration schlug sie zur Riesin.

Ich sehe zun?chst k?hl und sachlich eine Mutter, die ein Kind zur Welt bringt. Die weise Frau am Fussende des Bettes wartet hilfebereit. >>Herr, gestehen Sie es, und auch Sie, Frau Ehegattin. Sie vermissten den besorgten Hausvater zwischen dem Spalt der T?re vorsichtig lauschend. Das w?re wenigstens noch gef?hlvoll gewesen<< ... gerade das Nichtfamili?re verleiht dem Bild das Unpers?nliche, baut das Werk mit kosmischen Knochen auf. -- Was soll das kleine M?dchen am Bett der Mutter? >>Es ist ja erst zw?lf Jahre alt.<< Es ist vielleicht noch j?nger, und es tat mir wirklich furchtbar leid, wenn beim Betrachten der kleinen Gegenwart des unschuldigen Wesens, gef?hlvollen Damen eine schmerzhafte Entr?stung anging, aber ich sage: die Kleine geh?rt zu der ungeheuren Landschaft des Leibes; auf dem Rand des Lebenskelches sitzt sie, das schwebende Auge zur?ckgelehnt, voll Grauen und Wunder gel?hmt. Ein Seraph -- aber gleich wird er seine Lippen ?ffnen und die ernste Melodie der Dichtung ?ber den sich b?umenden, felsge?ffneten Leib der Mutter singen. -- Und die Vorsehung, wie man die Wartende am Fussende des Lagers nennen k?nnte, wendet die letzte N?chternheit des Vorganges mit einem Tuch, wie mit einer Wolke ab. -- Eine Heilige h?tte nicht keuscher gedichtet, das Problem des Odems gestaltet. Ich habe nie in Wirklichkeit ein kindtragendes Weib mit solcher Ehrfurcht betrachtet, wie diese Riesenmutter, von einer Riesin gemalt, auf ihrem Riesenbilde. Sie hauchte nicht nur ?ber den lebenge?ffneten Vorgang die Scham, sie nahm dem Prangen auch jede Fessel der Sklaverei, die mich anwidert beim Anblick einer begnadeten Frau.

Charlotte Berend hat ein Historienbild des Naturgesetzes gemalt; es m?sste neben Michelangelos Moses im Tempel der Galerien h?ngen.

Peter Hille

Meiner teuren Mutter in Liebe und Ehrfurcht

>>Es dauert h?chstens zwanzig Minuten, Peter!<< Er nickte l?chelnd -- aber er vergass auch sofort wieder, dass er den Kopf nicht hin- und zur?ckbiegen durfte, von der Zeitung auf und nieder, und so kam 's, dass ich entweder das rechte oder das linke Auge nicht an seinem Platz oder die Nase zu lang im Verh?ltnis zur Stirn zeichnete. Und manchmal nahm er noch seinen Bleistift und beschrieb and?chtig den weissen Rand des Zeitungsblattes.

>>Du kannst gleich weiterzeichnen, schrecklicher Tyrann du!<< sagte er und las m?hsam entziffernd sein eigenes Schreiben.

Es waren einige steinige Einf?lle, die er seinem Myrdin und seiner Viviane ferner vermachen wollte. Und er zog die grosse vergilbte Papierrolle aus seiner Manteltasche und las von den beiden Menschen, die ?lter waren als Adam und Eva, von seinem Menschenpaar Myrdin und Viviane. Die sprachen eine Sprache, mit der am ersten Sch?pfungstage sich Himmel und Erde erz?hlten -- -- sie waren mit der Erde zugleich erschaffen -- gewachsen mit der Erde -- aus der Erde; ja, das fand auch Peter ...

>>Da magst du recht haben!<<

Und er sass, den Kopf herabgesenkt auf den grossen Lehnstuhl nahe dem Ofen in seinem olivenfarbigen Mantel, als ob er die W?rme mit sich nach Hause nehmen wollte.

Eines Abends klingelte es um halber Mitternacht -- das sah Peter ?hnlich. Seine Augen lachten mutwillig wie Knabenaugen, die einen Streich hinter sich hatten. >>Der Verleger hat mir Vorschuss gegeben -- Tino, toller Kerl, komm mit! Wir sitzen alle in der Weinrebe.<<

Add to tbrJar First Page Next Page

 

Back to top