Read Ebook: Gesichte: Essays und andere Geschichten by Lasker Sch Ler Else
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Ebook has 274 lines and 36187 words, and 6 pages
Eines Abends klingelte es um halber Mitternacht -- das sah Peter ?hnlich. Seine Augen lachten mutwillig wie Knabenaugen, die einen Streich hinter sich hatten. >>Der Verleger hat mir Vorschuss gegeben -- Tino, toller Kerl, komm mit! Wir sitzen alle in der Weinrebe.<<
Und Peter sah aus wie ein Bacchus, seine Seele war aufgebl?ht wie einer der Weinberge in Alt-Athen. Und wir sassen um ihn im Kreise und sangen: fahrende Sch?ler, wie die J?nger des Weins aus der bacchantischen Szene seines Werkes >>Des Platonikers Sohn<<. Wir waren der Most, der Lenz des Weines, das Leben, das wilds?sse Auf- und Niederbrausen.
>>O Wein, du lieber, dummer Wein, Was willst du da im Kerker sein? Hervor du rieselnde Sonne, Und lass die alberne Tonne.
Weisst du denn nicht, du dummer Wein, Bin Bruder Lustig, frisch vom Rhein, Ein Kenner erlesener Tropfen, So lass mich nicht harren und klopfen!<<
Am Morgen in meinem Halbschlaf sah ich Peter; durch seinen langen Bart guckten blaue und gelbe Weinaugen mutwilliger kleiner Dionysinnen mit roten Pausb?ckchen und kecker Faunbuben mit frechen Schw?nzchen. Und die neckten ihn und zupften ihn an seinen langen Kraushaaren, jauchzten und sprangen um den grossen Bacchus, und ein ganz kleines, ?ngstliches Bacch?schen kroch in seine weite, weite Ohrmuschel. Und wir alle sassen zu seinen F?ssen, und er erz?hlte von seiner Fr?hjugend, von seinen vielen Liebchen -- ja, ja, Bacchus musste verliebt sein.
Einmal an einem Wintermorgen kam Hugo, der Landsknecht, wie ihn Peter seines rauhen Organs und seiner kecken Launen wegen nannte. >>Kommen Sie mit, Prinzessin! Peter ist krank, wir wollen ihn besuchen!<< >>Und wissen Sie auch, Hugo, dass heute sein Geburtstag ist?<<
Davon wusste er nichts, der Ungl?ubige. Und wir zogen gen Norden, und als wir durch das Tor seines Hauses traten, lagen vor uns Treppen, zu besteigen wie k?nstliche Gebirge aus Brettern. >>Na, det is man scheene, dat Se sich bis her verstiegen han -- -- denken Se so wat, er is mir jestern dot in de Arme jeblieben! ...<< Und Peters gem?tliche Wirtin dr?ckte mich an ihren Busen, aus dem der dicke Atem jammerte. Und sie geleitete uns durch die K?che bis an Peters Kammert?r, dr?ckte diese behutsam auf und blickte zun?chst vorsichtig durch die Spalte. >>Nu kommen Se sachte rin!<< -- -- Und da lag der Peter wirklich in seinem Nest halb aufgerichtet: ein kranker grimmiger Geier. Der Kragen seines Mantels hing wie ein dunkler Fittich ?ber dem Bettgestell, und einer der F?sse, mit dem Stiefel angetan, scharrte ungeduldig an der senfgelben tapezierten Wand. Als er uns sah, war es, als ob er uns nach und nach erst erkannte, und er fuhr durch seinen Bart wie ein reissender Herbststurm. >>Setzt euch, wenn ihr Platz findet, ihr Einbrecher, ihr St?renfriede, setzt euch!<< Aber nicht allein der Boden, sondern auch das tausendj?hrige Sofa waren begraben unter grossen, gelben Papierflocken. Wir setzten uns auf das kleine Fensterbrett und stellten unsere F?sse s?ndhaft auf die grossen S?cke, die, wie wir sp?ter h?rten, die Manuskripte der Dramen Peters enthielten. >>Du, Peter, ich will dir den Doktor holen,<< sagte der Landsknecht besorgt. Oh, und das klang so l?cherlich, und die dicke Wirtin hatte et ooch jewollt, >>er will aber nich.<< >>Der Doktor soll mir wohl Sonne oder Mairegen f?r meinen Katarrh verschreiben?<< Und Peter l?chelte wieder wie Fr?hlingsanfang, und auf einmal begann er laut zu reden: >>Heute abend muss ich noch ins Theater.<< Da fiel seine alte dicke Wirtin vor Schreck auf das tausendj?hrige Sofa. >>Sie wollen im Thiater jehn, Sie?<< >>Na gewiss,<< antwortete Peter und machte die Bewegung, aus dem Nest zu fliegen. In der K?che seufzte die Gute und meinte: >>Na, so n?tig hat er det Schreiben doch ooch nich, wo er bei uns is!<< Und sie brachte ihm zur F?rsorge die dampfende Hafergr?tze und zwei Schmalzstullen ins Zimmer. Und dann sich vor uns entschuldigend, sagte sie: >>Er ist so reene wie eene Jungfer, ick seh schon, wie se ihm sp?ter in de Kirche uffbahren als Heiligen.<<
Es war ein kalter Nachmittag; der Mond bl?hte sich auf zwischen seinen Sternen wie ein goldener Bauch, ein wohlbeleibter Dukatenmillion?r. Peter und ich wanderten wohl schon stundenlang durch die Strassen Berlins, durch die Bleiluftgegenden mit den kahlen, grauen H?usern, in denen der Hunger mit seinen tausenden Kindern wohnt. Und ?ber dieser Gegend spazierte behaglich durch das weite Land der Wolken der fette Mond, der satt an Gold getrunkene Mond. >>Aber, Tino, ich wusste ja gar nicht, dass du ein kleiner Bebel bist.<< >>Ja, ich denke an die armen, blassen Kinder, die nie in die Sonne sehen, und an dich, Peter, an dich, dem die Welt ihr jubelndstes, tiefstes Spiel schenkte und das Leben eine Stiefmutter ist.<< >>O du Fromme,<< sagte Peter leise zu mir. Nach einer Weile blieb er unter einer Laterne stehen, nahm ein kleines schwarzes Heftchen aus der grossen Manteltasche und schrieb.
Das tat er oft, und ich ging gem?chlich des Weges weiter.
Wir kamen ?ber einen grossen Platz. Vielleicht gaben die schlossartigen Bauten mit den gegossenen Toren, die eisernen H?ter der k?niglichen G?rten, Peter den Anlass, mir zu erz?hlen, dass sein Vater der F?rst S. aus Westfalen sei und seine Mutter eine Leibeigene. Ich war gar nicht verwundert dar?ber, als ich seine schlanken H?nde betrachtete.
>>Meine Mutter<<, erz?hlte er weiter, >>war eine stille, blasse Frau. Ich kann mich kaum an den Ton ihrer Stimme erinnern; aber als ich meine >Brautseele< dichtete, h?rte ich ihr Blut aus meinem Herzen singen, sanft und dann sehnsuchtswild, wie eine einsame Sp?therbstblume.<< Wir schwiegen beide lange Zeit, ?ber Erinnerungen wandelnd, bis es Abend l?utete und die Glocken uns erweckten.
Wir fragten einen Mann, der an uns vor?bereilte: >>Wie kommen wir aus dem Tiergarten wieder auf die Strasse?<<
Und wir bogen und wendeten uns, bis wir gl?cklich den Weg wiederfanden. >>Sieh, Tino, hier tief im Dickicht habe ich Wochen zugebracht und Dunkelheiten getrunken! Oh, das waren einzige Gottn?chte!<<
Aber ich sah schmerzlich auf seine eingefallenen Wangen.
Ich ging, meiner Ahnung vertrauend, voraus. Peter studierte indessen noch die Hausnummern gegen?ber dem grossen Geb?ude, in das ich eintrat. Und wirklich, hier wohnte Gerhart Hauptmann. Er kam mir schon im Treppenflur entgegen, ja, er war es. >>Herr Hauptmann, ich bringe Ihnen den Peter Hille lebendig hier; er h?tte sicherlich wieder die verabredete Stunde vers?umt.<< >>Sah ihn schon von meinem Fenster aus,<< rief Gerhart Hauptmann, er war n?mlich schon unten, den Peter selbst heraufzuholen. Als die beiden kamen, sagte der Herrliche zu Hauptmann, mir schelmisch zunickend, >>Dies ist mein Kamerad, Tino nenne ich sie. Es ist der Name ihres Blutes, die gr?nrote Ausstrahlung ihrer Seele.<< Wir setzten uns, nachdem Hauptmann z?rtlich den Mantel von Peter Hilles Schulter genommen hatte. Auf den Tischen lagen ?berall Journale, die meines Propheten Dichtungen enthielten, auch des Platonikers Sohn fehlte nicht, das wundergrosse Schauspiel. Hauptmann schwang es triumphierend in die H?he. Und ich h?rte lauter Melodien; der Dichter Worte wurden Lieder. Und Hauptmanns stolzes Gesicht neigte sich seinem hohen Gaste zu, die Quelle seines Herzens zu erreichen, denn wie aus Leben gehauen sass Peter Hille in dem weiten, klaren Raum, sein Bart wallte ungeheuer.
Karl Kraus
Im Zimmer meiner Mutter h?ngt an der Wand ein Brief unter Glas im goldenen Rahmen. Oft stand ich als Kind vor den feinen piet?tvollen Buchstaben wie vor Hieroglyphen und dachte mir ein Gesicht dazu, eine Hand, die diesen wertvollen Brief wohl geschrieben haben k?nnte. Darum auch war ich Karl Kraus schon wo begegnet -- -- in meinen Heimatjahren, beim Betrachten der kostbaren Zeilen unter Glas im goldenen Rahmen. Den Brief hatte ein Bischof geschrieben an meiner Mutter Mutter, ein Dichter. Blau und mild waren seine Augen, und sanftbewegt seine schmalen Lippen und sein Stirnschatz wohlbewahrt, wie bei Karl Kraus; der tr?gt frauenhaft das Haar ?ber die Stirn gek?mmt. Und immer empfangen seine Augen wie des Priesterdichters Augen gastlich den Tr?umenden. Immer schenken Karl Kraus' Augen Audienz. Ich sitze so gerne neben ihm, ich denke dann an die Zeit, da ich den Schreiber des Briefes hinter Glas aus seinem goldenen Rahmen beschwor. Heute spricht er mit mir. Ich bewundere die goldgelbe Blume ?ber seinem Herzen, die er mir mit feierlicher H?flichkeit ?berreicht. Ich glaube, sie war bestimmt f?r eine blonde Lady; als sie an unseren Tisch trat, begannen seine Lippen zu spielen. Karl Kraus kennt die Frauen, er beschaut durch sie zum Denkvertreib die Welt. Bunte Gl?ser, ob sie fein get?nt oder vom einfachsten Farbenblut sind, behutsam beh?tend, feiert er die Frau. Verk?ndet er auch ihre Sch?den dem Leser seiner Aphorismen -- wie der wahre Don Juan, der nicht ohne Frauen leben kann, sie darum hasst -- im Grunde aber nur die Eine sucht. Ich begegne Karl Kraus am liebsten unter >>kriegsberatenen M?nnern<<. Seine dichterische Strategie sind Strophen feinster Absch?tzung. Ein g?tiger Pater mit Pranken, ein grosser Kater, gestiefelte Papstf?sse, die den Kuss erwarten. Manchmal nimmt sein Gesicht die Katzenform eines Dalai-Lama an, dann weht pl?tzlich eine K?hle ?ber den Raum -- Allerleifurcht. Die grosse chinesische Mauer trennt ihn von den Anwesenden. Seine chinesische Mauer, ein historisches Wortgem?lde, o, plastischer noch, denn alle seine Werke treten hervor, Reliefs in der Haut des Vorgangs. Er bohrt H?hlen in den Samt des Vorhangs, der die Sch?den verschleiert schwer. Es ist geschmacklos, einen Papst zu hassen, weil sein Raunen Fl?sternde st?rt, weil sein Wetterleuchten Kerzenflackernden heimleuchtet. Karl Kraus ist ein Papst. Von seiner Gerechtigkeit bekommt der Salon Frost, die Gesellschaft Unlustseuche.
Ich liebe Karl Kraus, ich liebe diese P?pste, die aus dem Zusammenhang getreten sind, auf ihrem Stuhl sitzen, ihre abgestreifte Schar, flucht und sucht sie. -- M?nner und J?nglinge schleichen um seinen Beichtstuhl und beraten heimlich, wie sie den grandiosen Zynismussch?del zu Zucker reiben k?nnen. O, diese Not, heute rot -- -- morgen tot! Unentwendbar inmitten seiner Werkestadt ragt Karl Kraus ein lebendiges, ?berschauendes Denkmal. Er bl?st die Luftt?rme um und hemmt die Schnell?ufer, den K?niginnen mit gewinnendem L?cheln den Vortritt lassend. Er kennt die schwarzen und weissen Figuren von fr?her her von neuem hin. Mit ruhiger Papsthand klappt er das Schachbrett zusammen, mit dem die Welt zugenagelt ist.
Loos
Von der Seite betrachtet, erinnert sein Kopf an den Totensch?del eines Gorillas; wendet mir Loos langsam das Gesicht zu, pr?fen mich scharf des Gorillas runde, hellbraune Augen. Die sind gef?hrlich, greifen aus einem andern Denken, aus einem fremden, geschwinden Grund. Die Blicke der G?ste strafen mich f?r meinen Ausspruch, Loos selbst aber scheint nichts geh?rt zu haben. Ist er schwerh?rig? Auf mich wirkt sein Unvernehmen geisterhaft, wundersam wund; f?r den unverstandenen Sprecher -- unverst?ndlich. Senkt Loos den Kopf, neigen sich seinem Ohre die Lippen zu; o, wie sanft er die Lider h?ngen l?sst -- man hat ihn dann lieb, die Lotosseele unter den Gorillen. Schielende, deren Z?ge etwas R?hrendes erhalten, und Hinkende, die im verlorenen Gleichgang s?sse Interessantheit hinschaukeln -- zehnfach t?nt Loos das Wort wieder, ruft man es in ihn hinein. Dann wird er ein reissender Geist, den man im Echo heraufbeschwor, ein affenb?ser K?nstler, reisst er dem die Per?cke vom Kopf, setzt ihm den Skalp wieder an, dass er mit seiner Person vernarbe. Ein handgreiflicher Philosoph ist er, dem die Verschn?rkelung der Architektur ein eitler Greuel, ein verwirrtes Kn?uel ist, den er r?cksichtslos l?st. Loos will Ordnung schaffen in den Welten hier unten, in der Welt, die sich der von sich abstrebende Mensch erschaffen l?sst vom Architektenmenschen und nicht hineinpasst. Wie viele sitzen und schwitzen in fremden vier H?uten, denn die W?nde unseres Gemaches sollen unser passendstes Kleid sein, sie sollen die Schrift unseres Atems tragen. Die Seuche der Einrichtung hat sich schon in die Schl?sser der F?rsten begeben, auf Alt?ren liegen >>stilvolle<< Decken, und durch die Tempel der K?nstler flutet das elektrische Licht der Birnen aus neuerfundenen Kelchen. Wollte man mir sogar auf den R?cken meines Zigeunerkarrens, meines gr?nen Holzvogels, die sogenannte aufsteigende Kurve und langweilige k?hle Linien ziehen, die grosse Klassikerlinie Weimarer Sp?tgeburt van de Veldisch architektiert. Man sehnt sich rein nach dem Buckel. Die W?nde meiner Rast sind auch die W?nde meiner Last, sind mit mir verwachsen, aufgewachsen. Meine Behausung gleicht mir auf ein Haar. Darum springe ich gerne aus meiner Haut mal, am liebsten in das mir verm?hlte Zimmer. Ist sein Bewohner auch meist nicht in seiner Hauptperson anwesend, sein Heim aber spricht f?r ihn. K?hlritterblau empf?ngt mich das Tapetengesicht; ich setze mich vor den Schreibtisch, vor Rhodopes farbige Statuette, meines auserw?hlten Zimmers heimliche Liebe. ?ber den Fl?geldeckel kehren Lieder heim und legen sich auf die Tasten -- schlummern und tr?umen laut; hingezaubert sitzt ja ihr Sch?pfer auf dem runden Stuhl und spielt. Ich denke an meine Prinzessinnenzeit ... Wer salbt meine toten Pal?ste, sie trugen alle die Kronen meiner V?ter. -- Ich hasse die Tische, St?hle, Sessel und so weiter, die sich verkuppeln liessen, mit ihrem Plebejerbesitzer; das sind Mesallianzen, Sessel, deren Lehne sich beugte immer tiefer ihrem Sitz zu. Ich denke an einen wie ein Melancholischer. -- Ich helfe dir r?umen, Loos, aber wehe dir, wenn ich nach Wien komme, und du sitzt nicht auf einem australischen Urwaldast zur?ckgezogen hinter Gedanken tausendgitterig.
Oskar Kokoschka
Wir schreiten sofort durch den grossen in den kleinen Zeichensaal, einen Zwinger von B?rinnen, tappischt?nzelnde Weibsk?rper aus einem altgermanischen Festzuge; Met fliesst unter ihren Fellh?uten. Mein Begleiter fl?chtet in den grossen Saal zur?ck, er ist ein Troubadour; die Herzogin von Montesqiou Rohan ist lauschender nach seinem Liede als das B?renweib auf plumpen Knollensohlen. Denn Treibhauswunder sind Kokoschkas Prinzessinnen, man kann ihre feinen Staub- und Raubf?den z?hlen. Blutsaugende Pflanzlichkeiten alle seine atmenden Sch?pfungen; ihre ersch?tternde ?hnlichkeitswahrheit verschleiert ein Duft, aus H?flichkeit gewonnen. Warum denke ich pl?tzlich an Klimt? Er ist Botaniker, Kokoschka Pflanzer. Wo Klimt pfl?ckt, gr?bt Kokoschka die Wurzel aus -- wo Klimt den Menschen entfaltet, gedeiht eine Farm Gesch?pfe aus Kokoschkas Farben. Ich schaudere vor den rissig gewordenen spitzen Fangz?hnen dort im bl?ulichen Fleisch des Greisenmundes, aber auf dem Bilde der lachende Italiener zerrt gierig am Genuss des prangenden Lebens. Kokoschka wie Klimt oder Klimt wie Kokoschka sehen und s?en das Tier im Menschen und ernten es nach ihrer Farbe. Liebesm?de l?sst die Dame den schmeichelnden Leib aus grausamen Tr?umen zur Erde gleiten, immer wird sie sanft auf ihren rosenweissen Krallen fallen. Das Gerippe der m?nnlichen Hand gegen?ber dem Frauenbilde ist ein zeitloses Blatt, seine gewaltige Blume ist des Dalai-Lamas Haupt. Auch den bekannten Wiener Architekten erkenne ich am Lauschen seiner b?sen Gorillenpupillen und seiner stummen Affengeschwindigkeit wieder, ein Tanz ohne Musik. Mein Begleiter weist mit einer Troubadourgeste auf meinen blonden Hamlet; in ironischer Kriegshaltung k?mpft Herwarth Walden gegen den kargen argen Geist. Auf allen Bildern Kokoschkas steht ein Strahl. Aus der Schwermutfarbe des Bethlehemhimmels reichen zwei Marienh?nde das Kind. Viele Wolken und Sonnen und Welten nahen, Blau tritt aus Blau. Der Schnee brennt auf seiner Schneelandschaft. Sie ist ehrw?rdig wie eine Jubil?umsvergangenheit: D?rer, Gr?newald.
Oskar Kokoschka ist eine junge Priestergestalt, himmelnd seine blauerf?llten Augen und z?gernd und hochm?tig. Er ber?hrt die Menschen wie Dinge und stellt sie, barmherzige Fig?rchen, l?chelnd auf seine Hand. Immer sehe ich ihn wie durch eine Lupe, ich glaube, er ist ein Riese. Breite Schultern ruhen auf seinem schlanken Stamm, seine doppelt gew?lbte Stirn denkt zweifach. Ein schweigender Hindu, erw?hlt und geweiht -- seine Zunge ungel?st.
Peter Baum
Er vers?umt den Tag, und die Dunkelheit erreicht er, wenn es zu sp?t ist. Aber er tr?umt noch schnell unter dem verschwindenden Mond. Einmal kam Peter Baum barh?uptig im Januar ins Theater gegangen, draussen waren 15 Grad Zerfahrenheit. Einmal steckte er seine brennende Zigarre in die Hosentasche, sp?ter meinte Peter Baum -- dass es nicht die Kartoffeln auf dem Feld gegen?ber w?ren, aber dass seine Lende versenge. Und doch hat St. Peter Hille einmal gesagt: Peter Baum sei der sensibelste Mensch, den er je kennen gelernt habe. Peter Baum ist ganz blau. Das heisst ?bersetzt: Er ist ein Dichter. Sternenpsalme hat er gedichtet f?r die Harfe Davids, f?r das Herz Salomos, des Dichterk?nigs von Juda. Und doch ist Peter Baum der leibliche Sohn und Erbe des Evangeliums. Seine V?ter waren die Herren von Elberfeld im Wupper-Muckertale. Sie beteten zu Luther und wachten auf in Sonntagsfr?he beim ersten Schrei des Kirchenhahns. Manchmal erscheinen sie ihrem Urenkel im Schlafe, weniger der j?dischen Psalme, aber seines abtr?nnigen Romans >>Spuk<< wegen. Es ist ein Roman im Kaleidoskop; die Bilder kommen buntartig und schwinden blendend wie teuflische Spiegel. Ein flackerndes Fleckenspiel hinter geschlossenen Augen. O, und seine wundervollen Novellen >>Im alten Schloss<< brachte er mir eines Abends; seine grosse Tannengestalt erschien mir noch eine Krone h?her, so aufw?rts wie der Graf seines Buches, ein wetternder Weihnachtsbaum, der seinen Schmuck abgesch?ttelt hat. Die Wochenschrift >>Sturm<< wird Peter Baums neuestes Werk bringen, das spielt zur Rokokozeit und ist in gebl?mter Seidensprache geschrieben. Wie tief seine Dichtungen doch ihn erleben und er sich an ihnen verwandelt!
Franz Werfel
Ein entz?ckender Schuljunge ist er. Lauter Lehrer spuken in seinem Lockenkopf.
Sein Name ist so mutwillig: Franz Werfel.
Immer schreib' ich ihm gl?hende Liebesbriefe, Die unbeantwortet bleiben.
Aber wir lieben ihn alle Seines zarten, z?rtlichen Herzens wegen.
Sein Herz hat Echo, Pocht verwundert.
Und fromm werden seine Lippen Im Gedicht.
Manches tr?gt einen staubigen Turban. Er ist der Enkel seiner eigenen Verse.
Doch auf seiner Lippe Ist eine Nachtigall gemalt.
Mein Garten singt, Wenn er ihn verl?sst.
Immerblau streut seine Stimme ?ber den Weg.
S. Lublinski
S. Lublinski ist von Geburt Ostpreusse. Er hat mir oft von seiner Heimat erz?hlt: dort sind noch die W?lder so finster und verwachsen wie kleine Urw?lder. Zwischen knolligen Wurzeln und St?mmen ist sein Nest; knollig ist auch er an Leib und Seele, ein Knollengew?chs, aus dem j?h eine leuchtende Bl?te aufsteigt. Zusammengekauert in seinem Korbstuhl sitzt er, wie in einem grossen Pflanzenk?bel, und gr?belt, ob er den Entschluss, den er zun?chst erst in einiger Perspektive wohlwollend betrachtet, wirklich fassen soll oder nicht ... Wir beide haben manchen Abend bei schweigender Dunkelheit zusammen auf der Veranda des Kaffeehauses gesessen. Die G?ste sehen nach der Richtung unsers Tisches und lachen ?ber das Holpern seiner Stimme; jedoch die Kellner, vom allerdicksten bis zum blasswangigen Groom, haben sich schon an die eigent?mliche, stossende Hornsprache S. Lublinskis gew?hnt; sie harren aufmerksam seinem Wink und entreissen raubtierartig den lesenden G?sten Journale und Zeitschriften, die er verlangt. S. Lublinski schiebt seine Brille vorsichtig h?her auf den Nasenr?cken -- der kleine Literat und der phlegmatische Baccalaureus-Referendarius n?hern sich unserm Tisch. Mit aussergew?hnlicher, liebensw?rdiger Handgeb?rde fordert er die beiden jugendlichen Opfer auf, sich an unsrer Seite niederzulassen. Ich weiss: S. Lublinski ist in Kampfstimmung, er hat tags?ber Aufs?tze schreiben m?ssen, und ihn ?rgert die Erde mit den vielen Tintenf?ssern; und ohne jede Veranlassung, oder auf eine geringf?gige Bemerkung hin, ?berf?llt er den Nachbar -- sein Herz jedoch schl?gt Kobolz dazu. Mich interessiert die Strategie seines Angriffs -- der arme Gegner, der an den Zorn seiner rollenden Augen glaubt und ihn gutm?tig bes?nftigen will. Ihn reizt der bequeme Widerstand. Worte werden Kugeln, Bomben explodieren, der Kampf wird ernst. S. Lublinski schl?gt mit der Faust dr?hnend auf den Tisch; seine Augen bluten ... Gold hat sein Vater in der Jugend aus Kanadas Gefilden gegraben ... und die Lust nach Abenteuern hat sich in S. Lublinski vergeistigt. Aber der Freund kennt ihn auch im Zelt; er hat seine tr?umende Stirn gesehen mit dem poetischen Schneehauch. Und jauchzen m?chte S. Lublinski! -- Selten sehnte sich ein zweiter tiefer nach dem b?bischen Lenztag, hinter dem Horizont auf der blauen Wiese nach dem fr?hlichen Ringelrangelspiel, wie er. Aber der grosse Ungeschickte f?rchtet, zu stolpern; und es ist ihm nichts besch?mender, als l?cherlich zu wirken -- er w?rde eher mit einem G?nsekiel Verse schreiben. Unsch?nheit ist S. Lublinskis Kinderkrankheit ... Wie auf gerosteten Geleisen bewegt er sich vorw?rts; seine Arme schleudern beim geringsten Aussertaktkommen. So ist auch der Rhythmus seiner Seele, seiner Novellen und Dramen. Ich w?rde jede andre Fassung f?r unecht betrachten ... Aber da steht kein Tor, daran er nicht r?ttelt. >>Ich habe Prinzessin mein neues Buch: >Gescheitert< mitgebracht<< ... S. Lublinski beobachtet mich misstrauisch unter seiner Brille -- er weiss, mich interessieren eigentlich nur meine eigenen Dichtungen; aber ich bitte ihn auf seine stumme Voraussetzung, mir selbst eine Novelle seines Buches vorzulesen. Er liest die Geschichte des geh?nselten Knaben -- er ?ffnet seine Seele. Schwerer als jedes Kind, dessen Eigenart sich abhebt vom Durchschnitt, hat er gelitten -- aber aus der dumpfen, beklemmenden Nacht seiner Leiden recken sich eiserne, kleine F?uste, grauenhaft verzerrte Fratzen, aus denen klagende Kinderaugen blicken. Endlich von seinen peinigenden Altersgenossen befreit, den folgenden Schultag vergessend, f?hrt er Kriegsspiele auf, allein, hinter den Hecken seines Gartens. In Reih und Glied tausend gehorchende Soldaten --: >>Vorw?rts marsch!<< Und er an ihrer Spitze, als Befehlshaber, als Feldherr! Aus kleinen Steinen besteht in Wirklichkeit das tapfere Heer ...
Wieder angelehnt im Sofapolster, das Buch zugeklappt auf dem Tisch, beginnt S. Lublinski in zynischster Weise seine Nachteulen?hnlichkeit zu verspotten. Selten sehnte sich ein Zweiter schmerzlicher und unerf?llter nach Liebe wie der da ... Hannibal , der schwerm?tige, schwerw?tige Krieger, der erwachsene Feldherr seiner Spiele hinter den Hecken seines Gartens. Peter Hille sagte einmal: >>Den Hannibal hat er aus gerostetem Eisen geschmiedet.<< Aber nicht minder hart ist der zweite Akt seines K?niginnendramas: Elisabeth und Essex. Ich habe oft S. Lublinski durch die durchsichtigen, grossblumigen Gardinen seiner Fenster dichten sehen und h?ren. Die Kissen fliegen von den Sesseln, die Beine der St?hle und Tische knaxen, und ein Ertappter sitzt er nun wieder vor seinem Schreibtisch, die reine Stirn in die Hand gest?tzt. Leise f?llt vom Himmel ein feiner Regen -- gesponnenes Weinen --, mir ist, als ob auch seine Seele weine ... S. Lublinski aber gibt sich nicht lange weichen Stimmungen hin -- er rafft sich auf: >>Frau Thormann, ich will noch fortjehen, ich habe ein wenig Kopfdruck.<< >>Aber Herr Lublinski, bei dem Regen?<< ... >>Da ist mir nicht bange; aber ich f?rchte, der letzte Akt des Zaren ist mir was in die Breite jejangen<< ... Frau Thormann, seine h?bsche, muntere Wirtin, hat mir mal ganz vertraulich gesagt: >>Mucken haben sie ja alle; aber er sieht immer wieder sein Unrecht ein, das muss man ihm lassen.<< Und sie w?rde mich wahrscheinlich f?r eine Verleumderin halten, wenn ich ihr erz?hlen w?rde, dass ihr grosser Pflegling gestern auf dem R?cken der Sphinx, am Eingang des Caf?s, gesessen hat und den Vor?bergehenden, im jubelnden und schw?rzesten Pathos, den Schiller deklamierte: >>Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen!<< Aber in der Fr?he brachte mir die Post einen Brief von ihm: die gotischen, get?rmten Buchstaben seiner Schrift drohten ?ber meine erschreckten Augen zu fallen: >>Prinzessin, ich habe von meinem Freund, nachdem wir uns von Ihnen gestern abend verabschiedet hatten, erfahren, dass Sie noch immer mit dem Schw?tzer nachmittags im Caf? sitzen -- ich fordere Sie zum wiederholten Male auf, den Verkehr abzubrechen, andernfalls ich meine Freundschaft zur?ckziehen werde. Ausserdem weiss ich, dass mein Freund unter Ihrer neuen Akquisition leidet. S. Lublinski.<< Noch am selben Tag begegnen wir uns. S. Lublinski will an mir in zierlichem Bogen vorbeischl?rfen -- wir lachen -- ich bem?he mich, ihm die Schweigsamkeit des Kaukasiers zu beweisen: >>Ich rieche zu gerne Steppe, Herr Lublinski; aber Sie wissen doch, nichtsdestoweniger liebe ich Ihren Freund, den prinzlichen Tondichter; -- und bringen Sie ihm meine tiefblonde Verehrung.<< -- S. Lublinski: >>Scheusal!!<< --
Alle Passanten haben es geh?rt -- bis nach Hause haben mich die Strassenjungen begleitet. S. Lublinski muss sterben! ... Ich trage meinen siebenl?ufigen, ungeladenen Revolver unter dem Mantel versteckt, und der Mond am Himmel ist wie eine brennende Kanonenkugel. Die Mamsell hinter dem Bufett ruft, als sie mich erblickt, Moloch, den Oberkellner, den uners?ttlichen G?tzen . >>Wo ist S., der Lublinski?!<< >>Herr Doktor sind soeben fortgegangen, haben aber f?r Sie einen Brief hinterlassen.<< Und seine Aussage noch best?tigend, weist er auf den Tisch hin, an dem Herr Doktor zu sitzen pflegt: etliche Z?ndh?lzer schwimmen, zerbrochen im Wasserbad auf dem Silbertablett ... >>Sehr geehrte Frau, ich gebe zu, dass ich mich in der Erregung heute morgen im Ausdruck hinreissen liess, und ich sehe es gern ein und bitte Sie um Entschuldigung; jedoch die Tatsache selbst bleibt trotzdem unver?ndert bestehen. S. Lublinski.<<
Zwei Jahre sind's nun her, als ich vor dem Riesenfenster des Kaffeehauses sass und S. Lublinski in grossen, feierlichen Buchstaben antwortete:
>>Sire, ich erkl?re hiermit unsere freundschaftlichen sowie diplomatischen Beziehungen f?r aufgehoben<< ...
Paul Leppin
Ein grosser kantiger Vampirfl?gel mit Apostelaugen schwebt Paul Leppins Roman >>Daniel Jesus<< vor mir auf. Hier wandelt nicht das Werk auf F?ssen, und ich suche nicht nach seiner Erde. Paul Leppins Roman ist eine Fl?gelgestalt, Himmel und H?lle sch?pfen aus ihrem rauschenden Brunnen. Hat Paul Leppin >>Daniel Jesus<< oder hat Daniel Jesus >>Paul Leppin<< erschaffen? Die Vieraugen des grossen kantigen Romans sind vom gleichen, tiefen Wachen. Aber Paul Leppin ist gewachsen, ungekr?mmt, eine Linde, und sein Haar duftet nach dem sanften Blond ihrer Bl?ten, und Daniel Jesus hat einen Buckel, und uners?ttlich ist sein fahler Durst. Auf deine m?de Hand, Daniel Jesus, tropft traumleise ein Goldtr?pfchen; Martha Bianca tritt barfuss aus dem Herzen durch die Paulpforte. Voll Sonnenbangen ist Paul Leppin wie der Gipfel goldbedr?ngt, und er formt schwerm?tig aus goldenen Tr?umen, die bis in die Wolken ragen, bleierne Buckel. Mit gl?ubiger Geb?rde aber schaufelt die Frau des Schusters das Martyrium von Daniels Jesus R?cken ... >>Prinzessin,<< sagt Paul Leppin zu mir, >>wir wollen auf einen wilden Ball gehen<<; wir finden nur klingelbehangene Tanzb?den. Paul Leppin sehnt sich nach der Orgie seines Romans; die drehte sich hinter Sternenvorzeiten seiner Dichtung, sp?ttisch hisste sie Satan auf Babelh?he, Satan Daniel Jesus, Paul Leppins Gesch?pf, von dem er sich lostr?umte. Inmitten der Tanzenden sitzt Daniel Jesus Paul zwischen nackten Eingeweiden, die sich verwickeln, verknoten nach seinem Szepter. Rasende Weiber taumeln sich im weichen, pochenden Raume und wachsen zu Lawinen ?ber l?sterne R?cken. Und auf dem brandigen Haupt der Schusterfrau steht eine Mauer auf, eine leuchtende Krone, wie die des heiligen Landes -- in ihrem Riesenleib tanzen alle die blutzerrissenen Leiber und ihre Teufel, wie in einer weissen H?lle; denn Daniel Jesus hat sie erhoben zu seiner Rechten. Es heisst im Buche: >>And?chtig k?sst sie seinen Buckel, wie ein Kruzifix.<< Paul Leppin, ich gr?sse dich.
Richard Dehmel
Aderlass und Transfusion zugleich; Blutgabe deinem Herzen geschenkt.
Ein finsterer Pflanzer ist er, Dunkel f?llt sein Korn und br?llt auf.
Immer Zickzack durch sein Gesicht, Schwarzer Blitz.
?ber ihm steht der Mond doppelt vergr?ssert.
Max Brod
Das Volk wird nie nach ihm schreien; er s?ttigt nicht, er ist ?berhaupt nicht zum essen, man kann h?chstens eine seiner H?nde streicheln oder seinen Mund k?ssen -- er hat einen sch?chternen Kindermund. Der erz?hlt immer von sich, immer so h?bsche Geschichten, die sich am Ende des Pfades reimen und viele, viele Wege geht er mit den M?dchen in seinen Gedichten. In Grimms M?rchen ist er gemalt, wie er als Kind aussah, in H?nsel und Gretel. Ich hatte Max Brod eine Nelke mitgebracht, die trug er in der Hand, als er in den Saal kam, und ich bildete mir ein, er lese mir ganz alleine vor inmitten der k?niglichen Gem?lde; ringsum an den W?nden: Van Gogh. Ich weiss den Namen seines Schauspiels nicht, aus dem er erz?hlte. Aber immer war es die Liebe, die ?ber seine Lippen kam -- mein Herz ging blau auf unter den vielen lauschenden Herzen. Max Brod ist ein Liebesdichter. Auch der andere Aufzug seines Schauspiels war ein Liebesgedicht, ein vielstimmiges, ein streitendes. Ich glaube, man kann nur Liebesgedichte in >>Prag<< schreiben, wo so viele B?gen und W?lle sind; und lauter graue Figuren treten aus den alten H?usern hervor -- die Steingespenster f?hren die Herzen bange zusammen. Ich habe manchmal Sehnsucht nach Prag, schon um mit Max Brod durch die Gew?lbe seiner Heimat zu wandeln, wo die alten H?user wie Mumien stehn, zur Rechten und Linken.
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