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Read Ebook: Die Steinbergs: Eine Erzählung aus der Zeit der Befreiungskriege by Siebe Josephine Roegge Wilhelm Illustrator

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Ebook has 768 lines and 47532 words, and 16 pages

gte sie nach dieser harten Abweisung des einzigen Bruders gar nicht mehr, dazu war sie zu scheu und zaghaft, so nahm sie tapfer allein den Kampf mit dem Leben auf. Sie blieb in Leipzig, bezog mit ihrem Sohne eine Mansardenstube im Hause des B?ckermeisters K?smodel und versuchte sich mit feinen Putzarbeiten zu ern?hren. Es w?re ihr wohl auch ganz gut gegangen, denn sie war geschickt und erwarb sich bald einige Kunden, doch die Zeiten waren schlecht, und dazu kamen wochenlange Krankheiten, die sie oft arbeitsunf?hig machten. Das wenige Geld, das sie besass, musste nach und nach verbraucht werden, und mit heisser Angst dachte sie manchmal an die Zukunft. Was sollte aus ihrem Sohn werden? Sie erzog den Knaben, dem Wort getreu, das sie ihrem sterbenden Manne gegeben hatte, im Sinne seines Vaters. Sie selbst besass nur noch eine blasse Erinnerung an ihr sch?nes Heimatland, an das Schloss ihres Vaters an den Ufern der Loire und das Palais in Paris. Die neue Herrschaft in Frankreich, Napoleons Eroberungsz?ge erf?llten ihre sanfte Seele mit Schrecken. Ihr Mann war im Kampf gegen den uners?ttlichen Eroberer gefallen, sie sah, welch namenloses Leid dieser gewissenlose Empork?mmling ?ber die L?nder brachte, und ihr Herz blutete vor Mitgef?hl mit den gepeinigten, zertretenen V?lkern. Napoleon war f?r sie nicht der Kaiser von Frankreich, dieses sch?nen, anmutigen Landes, das ihr wie ein M?rchenland in der Erinnerung lebte, er war ihr ein b?ser D?mon, der Not, namenloses Leiden ?ber die Menschen brachte. In dieser Anschauung wuchs Raoul auf; ein tiefer Hass gegen den V?lkervernichter, ein heisses Mitleid mit denen, die unter seiner Tyrannei litten, wurde gross in dem Herzen des Knaben. --

Die D?mmerung hatte nach und nach das Mansardenzimmer Frau von Steinbergs in Dunkel geh?llt, nur am Fenster hing noch ein matter Lichtschein, zu schwach aber, um bei ihm weiter arbeiten zu k?nnen. Ersch?pft liess die Frau die Arbeit sinken; Brust und R?cken taten ihr weh, und fr?stelnd zog sie das d?nne Tuch um ihre Schultern. Es war kalt im Zimmer, in dem ?fchen war das Feuer ausgegangen, und draussen wehte ein scharfer, harter Nordwind. Doch Brennholz kostete Geld, Nahrung, Kleidung, alles kostete Geld, und der Verdienst war gering. Ein paar Goldst?cke lagen freilich noch in dem Kasten, in dem Frau Madeleine den Trauring ihres Mannes, sein Bild, eine Haarlocke von ihm und ?hnliche Erinnerungen aufbewahrte, aber dieser Notgroschen sollte, musste f?r Raoul bleiben. >>Wenn ich nicht mehr lebe,<< dachte die Frau m?de.

Draussen polterte wieder jemand die Stiegen herauf, es klopfte, und einen Augenblick sp?ter trat breit und behaglich, ein bammelndes Laternchen in der Hand, die B?ckermeisterin K?smodel in das Zimmer. >>Nichts f?r ungut, wenn ich st?re,<< sagte sie freundlich, >>ich wollte nur sagen, dass es in unserer Backstube kuchenwarm ist, und dass es eigentlich jammerschade ist, dass Feuer und Licht nicht genug ausgenutzt werden. Na, und dann, Frau von Steinberg wissen, wie himmelgern ich so 'n kleinen Tratsch mache. 'n bisschen was von Dresden h?ren, dar?ber geht nur nichts. W?r's gar so unbescheiden, wenn ich bitten t?t, auf ein St?ndchen herunterzukommen?<<

Madeleine von Steinberg sah die B?ckermeisterin dankbar an, die im Lichtschein ihres Laternchens an der T?re stand und die blasse Frau anschaute, just als m?chte sie sagen: Komm, du armes, krankes Menschenkind, lass dich lieb haben von mir und dir was Gutes tun!

Diese Szene wiederholte sich allabendlich: immer wenn es dunkel und kalt in der Kammer wurde, holte die Meisterin ihre Hausgenossin in die warme Stube hinab, in der es so kr?ftig nach Mehl und nach frischem Brot roch. Dann sassen die Frauen bis zum Nachtmahl zusammen, wohl noch dar?ber hinaus, denn oft baten die B?ckersleute, es sei doch gerade so gem?tlich, da k?nnte Frau von Steinberg doch ein H?ppchen mitessen, es sei ihnen dies eine besondere Ehre. Anfangs hatte sich die Frau gegen diese stille, versteckte Wohlt?tigkeit gewehrt, hatte nichts, auch gar nichts annehmen wollen, aber jetzt war sie so m?de und niedergeschlagen; die Einsamkeit lastete so schwer auf ihr, dass sie aufatmete, wenn die Meisterin K?smodel mit ihrem Laternchen erschien.

Auch heute raffte Madeleine von Steinberg hastig ihre N?herei zusammen und folgte der freundlichen Hausgenossin die steilen Treppen hinab in das durch das Ofenfeuer und eine Unschlittkerze traulich erhellte St?bchen. Die Meisterin strickte und bewunderte dazwischen h?chlichst die F?ltchen, Tollen und Schleifen, die unter Frau von Steinbergs geschickten H?nden entstanden. >>'s ist wirklich zum Anbeissen adrett, was Sie da n?hen, aber freilich, die Lust vergeht einem schon an solchen Dingen, eine gar so b?se Zeit ist's.<< Die B?ckermeisterin seufzte tief. >>Wohin man h?rt, gibt's Kummer. Draussen auf den Landstrassen soll man seines Lebens nicht mehr sicher sein.<<

Am Schiebefensterchen nach dem Hausflur hin bimmelte die Klingel, und ein von der Luft ger?tetes M?dchengesicht erschien daran. Ein Brot wurde verlangt, die Meisterin reichte es hinaus und erkundigte sich dabei gleich, ob die Madame Preusser wieder wohlauf sei.

>>Die Madame ist wieder beisammen,<< erz?hlte die Magd, >>aber der Herr, der Herr! Gestern hab' ich ihn sagen h?ren, an nichts h?tt' er mehr Freude, seit die Franzosenbagasch<< --

>>Halt Sie das Maul,<< fuhr die sonst so sanftm?tige Meisterin K?smodel die Magd heftig an, >>so was h?rt mer nicht, und wenn mer's h?rt, sagt mersch nicht! Verstanden?<<

Die Magd riss ihre grossen wasserblauen Augen weit auf vor Schreck, und ganz kleinlaut versicherte sie: >>Ich sag nischte mehr, nie nich.<<

>>Das ist auch am besten,<< brummte die B?ckermeisterin und wandte sich einer neuen Kundin zu, einem schm?chtigen, verhutzelten Weiblein, das ganz scheu in eine Ecke gedr?ckt im dunklen Flur stand und kaum an das Schiebefensterchen zu treten wagte. >>Na, was gibt's, Schmidten, soll's ein Brot sein?<<

Die Frau wartete erst, bis die stattliche Magd gegangen war, dann trat sie vor und fl?sterte mit heiserer, ?ngstlicher Stimme: >>Wenn Se mer's borgen t?ten, Frau Meistern, nich en Groschen hab' ich im Haus!<<

Die B?ckerin seufzte, und ihr Blick ?berflog die auf den St?ndern aufgereihten Brote. Wie manches ging davon weg ohne Bezahlung. Ihr Mann schalt oft, sie sei zu weichherzig, bringe sie alle noch an den Bettelstab, aber was sollte sie tun? Die Frau dort am Schiebefensterchen hatte f?nf Kinder daheim. Wo ihr Mann geblieben war, wusste niemand; er war in die Fremde gezogen, um einen Verdienst zu finden, als die harten Zeiten anfingen, und dort war er verschollen, vielleicht gestorben.

>>Da, Schmidten, Gott segne es ihr und den Kindern,<< sagte die Meisterin und legte rasch eins der Brote in die verlangend ausgestreckte Hand der Frau. Dann schloss sie, da keine Kunden mehr draussen standen, geschwind das Schiebefensterchen und kehrte zu ihrem Gast zur?ck.

Die beiden Frauen waren nach Stand und Bildung sehr verschieden voneinander, denn als Madeleine von Steinberg noch in Dresden die gl?nzenden Feste der Hofgesellschaft mitgemacht hatte, war Frau K?smodel eine flinke, fr?hliche Magd im Pfarrhause an der Kirche von St. Thom? gewesen, aber trotzdem verstanden sie sich gut mitsammen. Frau von Steinberg kannte Not und Entbehrung aus Erfahrung. Die B?ckermeisterin hatte zwar noch nie um ihr t?gliches Brot gebangt, aber sie sah, wie ringsum die Armut wuchs, wie die Zeiten schlechter und schlechter wurden. Sie hatte auch tiefes Mutterleid erfahren: zwei Kinder waren ihr gestorben, und so wussten sich die beiden Frauen mancherlei zu sagen. Der Meisterin K?smodel konnte die zarte, langsam dahinsiechende Bewohnerin aus der Mansarde auch von ihrer Sorge um ihres einzigen Kindes Zukunft sprechen.

W?hrend die M?tter mal wieder ?ber ihre Kinder sprachen, -- die B?ckersleute besassen noch zwei dralle runde M?dels von drei und vier Jahren, -- sassen die beiden Buben zusammen auf einem B?nkchen im Backofenwinkel und lernten, dass ihnen die K?pfe rauchten. Seit einem Jahre besuchte Gottlieb das Gymnasium. Meister K?smodel wollte seinem Buben eine gute Bildung geben lassen, er pflegte zu sagen: >>Du musst ebenso gescheit werden wie drei!<< Zu dieser grossen Gescheitheit versp?rte Gottlieb nun freilich keine allzu grosse Lust, und er w?re vielleicht etwas schwer ?ber die Anf?nge der lateinischen Sprache hinweggekommen, wenn Raoul nicht gewesen w?re. Frau von Steinberg, die selbst eine sehr gute Bildung genossen hatte, unterrichtete ihren Sohn selbst; es war ihr unm?glich, ihn auf eine h?here Schule zu schicken. Als der Sohn heranwuchs, sah sie freilich, dass es zu wenig war, was sie den gl?nzend begabten Knaben lehren konnte, allein Raoul war so lerneifrig, dass er selbst voll Eifer aus den wenigen B?chern, die er besass, lernte, was er vermochte. >>Ich wollte, du k?nntest statt meiner dies alberne Latein lernen!<< murrte Gottlieb einmal, als er seufzend und st?hnend die ersten Gymnasiumstage hinter sich hatte.

>>Ich will mit dir lernen,<< sagte Raoul dienstwillig, >>vielleicht wird es dir dann leichter!<<

Gottlieb hatte das Anerbieten gern angenommen, und seitdem arbeiteten die Knaben zusammen und merkten bald, dass sie beide Vorteil davon hatten. Was der B?ckerssohn in der Schule gelernt hatte, teilte er dem Freunde mit. Dabei wurde ihm selbst manchmal erst klar, was er nicht verstanden hatte; er passte auch besser auf, um sich seiner Dummheit nicht sch?men zu m?ssen, und wusste er einmal gar nicht weiter, dann fand sicher Raoul aus den B?chern den richtigen Weg, und so umschifften beide gemeinsam manche Klippe der lateinischen Grammatik und der andern Lehrb?cher. Raoul sagte oft sehr vergn?gt zu seiner Mutter: >>Es ist beinahe so gut, als ob ich selbst auf das Gymnasium ginge.<<

An diesem Abend hatten sich die Buben beide in die Geheimnisse der r?mischen Geschichte vertieft. Gottlieb ein wenig unlustig, er sah n?mlich nicht ein, warum ein zuk?nftiger ehrsamer B?ckermeister die r?mischen K?nige, Volkstribunen und Kaiser mit Namen kennen musste, und dass er einmal Vater K?smodels Beruf ergreifen w?rde, stand bei ihm fest. >>Du,<< brummte er und stiess den Kameraden an, >>die kaufen doch mal keine Brote und Wecken bei mir, warum soll ich sie nun alle kennen?<<

Raoul sah mit seinen ernsten Augen nachdenklich auf den Freund und sagte tr?umerisch: >>Ich wollte, ich w?r' ein R?mer!<<

>>Nee,<< rief Gottlieb verdutzt, >>das hab' ich mir noch nie gew?nscht, aber weisste, Soldat m?chte ich werden und dem Napoljong feste de Jacke verhauen; dazu brauch' ich doch aber nicht alle diese eklichen Namen zu wissen.<<

Das stimmte nun freilich, und der sonst so lerneifrige Raoul liess auch f?r ein Weilchen das Buch sinken, denn jetzt waren die Knaben wieder mal bei dem allerbeliebtesten Gespr?ch angelangt: Napoleon und seine Kriege. Im Hause Meister K?smodels war man alleweg gut deutsch gesinnt. Das Kriechen und Katzbuckeln vor Frankreich, das Verherrlichen des gewissenlosen Eroberers, das auch in Leipzig leider in manchen guten B?rgersfamilien ge?bt wurde, war dem ehrlichen, aufrichtigen B?ckermeister in der Seele zuwider. Er war zwar ein schlichter, ungelehrter Mann, aber er hatte einen hellen, klaren Verstand, und voll Schmerz sah er, wie tief der deutsche Stolz, das deutsche Vaterlandsgef?hl am Boden lag; nach den Reden mancher B?rger h?tte man meinen m?ssen, Sachsen geh?re von Gottes und Rechts wegen zu Frankreich. In widerlich schmeichelnden Lobeshymnen sang man Bonapartes Lob, und man hatte ganz vergessen, dass es Deutsche waren, Stammesgenossen, die von Napoleon geknechtet wurden. Der Kaiserhass, der Abscheu vor dem franz?sischen ?bermut hinderte dabei die B?ckersleute nicht, ihrer Hausgenossin, der Franz?sin, in Treue hilfreich beizustehen. >>Denn,<< pflegte der Meister K?smodel zu sagen, >>der einzelne Mensch, der meine Hilfe braucht, ist alleweil mein N?chster, und wenn man ?ber ein Volk auch gerade vor Wut bersten m?chte, kommt uns einer davon in die Quere, so ist es eben Christenpflicht zu helfen, wenn man kann. Na, und so'n armes Weiberseelchen hat in der lieben Gotteswelt noch keinem ein Unrecht getan. Pfui Teufel, w?re das ruppig, der nicht beizustehen!<<

In diesem Geist wuchsen die Kinder auf, und sie vertrugen sich so gut zusammen, dass nie ein Streit die Freundschaft tr?bte. Gottlieb bewunderte Raoul restlos. Der war ein Idealist, ein Feuerkopf, der von hohen Taten tr?umte, und manchmal staunte der praktische, ein bisschen schwerf?llige B?ckerssohn ?ber des Freundes k?hne, hochfliegende Zukunftspl?ne.

>>Warum ist man nur noch so jung!<< schrie Raoul pl?tzlich in hellflammender Tatensehnsucht auf.

>>Allweil nu m?cht ich wissen, warum der Musjeh zu jung ist?<< fragte Meister K?smodel, der gerade wieder eintrat. >>Jugend ist alleweil der einzige Fehler, von dem man jeden Tag 'n Linschen ablegt.<<

>>Ich m?chte gross sein, Soldat sein und in den Kampf gegen Napoleon ziehen k?nnen!<< rief Raoul.

>>Jetzt ist Frieden,<< brummte der Meister, >>Frieden, ihr Bengels, aber merkt's: alleweil ist's mit dem Frieden jetzt so wie mit meiner Backofenglut. Wenn ich nicht backe, decke ich Asche drauf, viel Asche, und nachher, wenn ich wieder Feuer brauche, st?bere ich die Asche weg, ein paar Scheite drauf, und heissa, das Feuer brennt!<<

>>Das Feuer brennt!<< schrieen die Knaben unwillk?rlich mit, die Frauen aber schraken zusammen, und die B?ckermeisterin bat ?ngstlich: >>Mann, K?smodel, setz den Jungens doch nicht solche Gedanken in'n Kopf, man weiss heute nie, was draus wird.<< Sie sah sich scheu um. >>Man muss vorsichtig sein.<<

>>Ih was,<< knurrte der Meister, >>Glut muss bleiben -- bis die Zeit zum Backen kommt! Hab' ich nicht recht, Frau Nachbarin?<<

Frau von Steinberg schloss sekundenlang die Augen; sie sah sich wieder am Sterbebett ihres Mannes stehen und h?rte ihn mit versagender Stimme rufen: >>Die Schmach muss ausgewetzt werden, vergiss es nicht, vergiss es nie!<< -- und ganz leise sagte sie: >>Sie haben recht, Meister, die Glut muss bleiben -- bis die Zeit kommt.<<

Dann legte sie ihre Arbeit zusammen und nahm Abschied von ihren freundlichen Wirtsleuten, es war Zeit zur Nachtruhe. Raoul folgte bereitwillig der Mutter. Er hoffte noch auf ein Plauderst?ndchen, um ihr von allem zu erz?hlen, was er auf seinem Botengange gesehen und was er mit Gottlieb gelernt hatte, aber oben sagte die Mutter sanft, und ihre Stimme klang unendlich m?de: >>Erz?hl mir morgen alles, Raoul, ich brauche heute Ruhe.<<

Es dauerte nicht lange, und der Bube lag im Bett und schlief auf dem harten Strohsack fest wie ein Murmeltier. Seine Mutter aber fand keinen Schlaf. Brust und R?cken schmerzten, sie fror, und qu?lender noch als Schmerzen und K?lte peinigte sie der Gedanke an die Zukunft. Wieder wie so oft in den langen Wochen, da sie f?hlte, dass ihre Kr?fte mehr und mehr abnahmen, dachte sie an die Verwandten ihres Mannes, an seinen Bruder auf Hohensteinberg und -- an seine Mutter. Sie hatte, seit sie selbst Mutter war, oft gedacht, dass sie und ihr Mann damals wohl zu rasch das Werben um die Verzeihung der alten Frau aufgegeben. Die hatte sie ja nicht gekannt, nichts von ihr gewusst, fremd war sie ihr, -- wie durfte sie da gleich Liebe fordern! Vielleicht h?tte die Mutter ihr gern geholfen, sie verstanden. Und wieder rang sie mit ihrem Stolz und nahm sich vor, an die Mutter, den Schwager zu schreiben und um Hilfe zu bitten, nicht mehr f?r sich, aber f?r ihren Sohn, damit er nicht verlassen und schutzlos war, wenn sie von ihm gehen musste -- vielleicht w?rde das bald sein, sehr bald.

Ein tiefes St?hnen entrang sich der schmerzenden Brust der armen Frau, und Raoul, der im Winkel unter dem schr?gen Dach schlief, wachte auf. >>Riefst du mich, Mama?<< Doch alles blieb still, vom Bett der Mutter kam keine Antwort, und so huschelte sich Raoul beruhigt wieder in seine Decke ein und schlief seinen festen, gesunden Jugendschlaf weiter.

Die Frau presste die Lippen fest zusammen, damit kein Klagelaut wieder den Schlaf ihres Kindes st?ren sollte, ?ber ihr Gesicht aber rannen Tr?nen, bittere, schwere Tr?nen. Draussen hatte sich der Wind erhoben, er sauste und brauste um die hohen, spitzgiebligen H?user herum, drehte knarrend die Wetterfahne auf dem Dach und klapperte an der Dachrinne. Die Frau h?rte das wilde Lied und dachte an den Sturm, der ihr Gl?ck vernichtet hatte. Jetzt schwieg er, Friede herrschte, aber wie lange noch? Erst gegen Morgen, als sich auch draussen der Sturm legte, schloss der Schlaf f?r wenige Stunden die m?den Augen, und ein heiterer Traum entf?hrte ihre Seele f?r kurze Zeit der tr?ben, schweren Gegenwart.

Zweites Kapitel.

Das Schreiberlein des Herrn Advokaten Schnabel.

>>Mit der Frau von Steinberg steht's nicht gut, Mann,<< sagte die Meisterin ein paar Tage sp?ter, als ihre Hausgenossin gerade von einem Ausgang zur?ckkehrte und langsam, die schlanke Gestalt vorn?bergeneigt, den d?mmrigen, schmalen Flur durchschritt.

>>Ach, Unsinn! Weiberleut m?ssen sich allweil ?ngstigen,<< knurrte der beh?bige B?cker, aber auch er sah der bleichen Frau ernst nach. Stufe auf Stufe stieg diese die Treppe empor. So himmelhoch und endlos wie heut waren sie ihr noch nie erschienen. Sie hatte an diesem Tage selbst eine Haube forttragen m?ssen zu einer wohlhabenden Kaufmannsfrau, die verlangt hatte, sie solle ihr das Kunstwerk gleich einmal aufsetzen.

Der Weg bei dem rauhen, unwirtlichen Wetter war Madeleine von Steinberg sehr schwer geworden, und als sie auf der zweiten Treppe angelangt war, musste sie sich einen Augenblick an die Wand lehnen; fast unm?glich erschien es ihr, hinaufzukommen, noch so viele Stufen, noch die m?hsame Leiter gab es zu erklimmen.

>>Mama, was fehlt dir?<< Raoul von Steinberg fuhr ein paar Minuten sp?ter erschrocken auf und liess das Buch, in dem er gelernt hatte, zu Boden fallen. >>Um Gotteswillen, Mama, Mutter!<<

>>Ich -- es ist nichts, mein Junge, mein -- armer Junge!<< Die Frau taumelte und w?re zu Boden gefallen, wenn nicht des Knaben starke junge Arme sie gehalten h?tten.

Ein Hilferuf gellte durch das Haus, ein weher, verzweifelter Angstruf. Er drang auch hinunter in das warme B?ckerl?dchen, schreckte die Meisterin auf und trieb Gottlieb aus seinem Ofenwinkel heraus. Der Meister kam auch, die Magd mit den beiden Kleinen lief herzu, oben im Hause, in dem ein Warenlager untergebracht war, wurden T?ren geschlagen, man h?rte rufen, und dann stand von allen Hausgenossen doch die rundliche B?ckermeisterin zuerst oben im Mansardenst?bchen, hinter ihr tauchte Gottlieb auf, und beide sahen Frau von Steinberg wachsbleich, mit blutbeflecktem Kleid in Raouls Armen liegen.

>>Die Mutter stirbt,<< schrie der Knabe verzweifelt, und seine heissen Tr?nen mischten sich mit dem roten Blut der Mutter, das tropfenweise dem blassen Munde entstr?mte.

Die Meisterin griff herzhaft zu, und als nach wenigen Minuten auch die andern Hausgenossen im Zimmer erschienen, trieb sie alle hinaus, nur die Magd durfte bleiben und die Kranke in ihr Bett legen helfen. Gottlieb rannte zu einem Arzt, der in der nahen Nikolaistrasse wohnte, und Raoul sass im Winkel und sah mit heisser Angst zu, wie die Meisterin die Mutter bettete, sie rieb und mit warmen T?chern umwickelte. Auf seinem Herzen lag dumpf und schwer die Ahnung kommenden Leides.

Bange Tage folgten, lange Wochen des Leidens kamen, Frau von Steinberg siechte langsam dahin. Wohl stand sie nach etlichen Tagen wieder auf und machte den Versuch, wenigstens die bestellten Arbeiten zu vollenden, aber es war nur ein m?hsames Ringen mit versagenden Kr?ften. Immer wieder entsank die Nadel ihren m?den H?nden, immer wieder musste sie stundenlang still auf ihrem Lager ruhen, unf?hig, auch nur etwas zu tun.

Raoul pflegte, von der Meisterin K?smodel tatkr?ftig unterst?tzt, seine Mutter, so gut er nur konnte. >>Du musst ihr eine St?tze sein, darfst selbst nicht klagen und nicht tr?bselig dreinschauen,<< hatte die Meisterin zu ihm am ersten Tage der Krankheit gesagt, und danach richtete sich der Knabe, wenn es ihm auch noch so schwer fiel. Er nahm seiner Mutter alle Arbeit in der kleinen Wirtschaft ab, er kehrte, wusch und kochte wie eine Dienstmagd, und dann rannte er draussen noch stundenlang herum und tat Boteng?nge f?r kargen Lohn. Die Gesch?fte gingen schlecht, die Not der Zeit dr?ckte alles nieder, jeder sparte, wo er konnte, und recht gering war das, was da ein halbw?chsiger Junge verdienen konnte. Er brachte jeden Pfennig mit strahlendem Gesicht heim, noch ahnte er ja nicht, wie schwer die Sorge auf der Mutter lag. Aber dann, an einem hellen, sonnigen Februartag war es, der wie ein erster heiterer Fr?hlingsgruss ?ber die Erde ging, musste Frau von Steinberg doch das erste Goldst?ck ihres heimlichen kleinen Schatzes nehmen. Sie konnte ihren Sohn nicht hungern lassen, sie wollte aber auch nicht von den gutherzig gegebenen Gaben der B?ckersleute leben, dazu war sie zu stolz.

>>Zahl' unten die Miete und das Brotgeld! K?smodels wollen es nicht, ich will aber nichts schuldig bleiben, Raoul,<< sagte sie leise, und eine Tr?ne fiel brennend auf die ausgestreckte Hand des Sohnes.

Tief erschrocken sah der Knabe aus, und in diesem Augenblick verstand er voll die Sorge der Mutter. In wild ausbrechendem Schmerz schlang er seine Arme um sie und flehte: >>Weine nicht, ach, weine nicht! Im Fr?hling wird alles gut, du wirst gesund, und ich finde schon einen Verdienst.<<

>>Im Fr?hling -- ja,<< fl?sterte die Mutter und k?sste z?rtlich ihr Kind, >>du hast recht, dann wird alles gut.<<

Ach, sie f?hlte es ja gerade an diesem sonnigen Tage, der von dem kommenden Lenz zu erz?hlen wusste, dass ihre Stunden auf der Erde gez?hlt waren, und dass sie nicht mehr lange ?ber ihrem Kinde wachen konnte. Und als Raoul gegangen war, ?berwand sie endlich ihren Stolz und schrieb an den Bruder ihres Mannes, an den Freiherrn Wolf-Friedrich von Steinberg auf Hohensteinberg, schilderte ihm ihre Lage und bat ihn, sich ihres Kindes anzunehmen, wenn sie tot sei. Sie schloss auch ein Brieflein f?r die Mutter mit ein. F?r sich bat sie um nichts, nur Hilfe f?r den Sohn wollte sie. Den Brief trug die Meisterin K?smodel selbst auf die Post, zahlte das Porto und sandte dem Schreiben ihre guten W?nsche nach, denn sie billigte im innersten Herzen den Schritt, den ihre Mieterin getan hatte. Sie ahnte nicht, dass ein b?ses Geschick den Brief tief im Grunde eines Postsackes festhielt, viele, viele Wochen lang.

Ein paar Tage sp?ter st?rmte Raoul am Nachmittag hastig und aufgeregt in das Zimmer. >>Mama,<< rief er, >>Herzensmama, denke doch, ach denke doch, welch ein Gl?ck mir widerfahren ist!<< Er umschlang st?rmisch die bleiche Mutter, und an ihr vorbeisehend, damit sie ihm nicht in die Augen blicken konnte, denn die sahen gar nicht gl?cklich aus, erz?hlte er hastig: >>Der Meister war mit mir beim Advokaten Schnabel in der Burgstrasse; dem ist sein junger Schreiber davongelaufen, und der Meister meinte, schreiben k?nnte ich so gut wie er backen. Wir sind also hingegangen, und der Herr Advokat hat uns vorgelassen. Der hat gleich geschrieen: >Das ist ein Kind, der ist zu jung, zu jung, zu jung, 's ist nichts damit!<<<

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