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Read Ebook: Heiraten: Zwanzig Ehegeschichten by Strindberg August Schering Emil Translator

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Ebook has 2385 lines and 82509 words, and 48 pages

bei t?tet. Und keine Pr?derie, keine Bedenken, keine Furcht vor den Folgen, denn die Natur gibt allen zu essen - nur dem Menschen nicht.

Er ging in den Garten, als das Abendessen zu Ende war, w?hrend sich der Vater ans Fenster der Schlafstube setzte, um eine Pfeife zu rauchen und die Abendzeitungen zu lesen. Er ging durch die Wege und f?hlte alle diese D?fte, welche die Pflanze nur verbreitet, wenn sie in Bl?te steht; das feinste und st?rkste Destillat ?therischer ?le, die in sich die ganze Kraft des Individuums verdichten sollen, um sich zum Vertreter der Art zu erheben. Er h?rte, wie die M?cken ?ber den Linden ihr Hochzeitslied sangen, das unserm Ohr wie eine Trauerklage lautet; er h?rte die spinnenden Lockt?ne der Nachtschwalbe; das br?nstige Schreien der Katzen, das klingt als zeuge der Tod und nicht das Leben; das Summen des Mistk?fers, das Flattern des Nachtschmetterlings, das Pipsen der Flederm?use.

Er blieb vor einem Narzissenbeet stehen, brach eine Bl?te ab und roch daran, bis ihm die Schl?fen klopften. Noch nie hatte er sich diese Bl?te genauer angesehen. Aber im letzten Schuljahr hatte er in Ovid gelesen, wie der sch?ne J?ngling in eine Narzisse verwandelt wurde. Einen weiteren Sinn hatte er in dieser Mythe nicht gefunden. Ein J?ngling, der aus unbeantworteter Liebe diese Brunst gegen sich selbst wenden muss und schliesslich von der Flamme verzehrt wird, als er sich in sein eigenes Bild verliebt, das er in der Quelle sieht! Wie er jetzt diese weissen Kelchbl?tter betrachtet, diese Becherbl?tter, wachsgelb wie die Wangen eines Kranken, mit diesen feinen roten Streifen, wie man sie bei einem Lungenkranken sieht, bei dem das Blut unter dem Druck eines wiederholten Hustens in die ?ussersten feinsten Gef?sse der Haut getrieben wird, denkt er an einen Schulkameraden, einen jungen Edelmann, der im Sommer Seekadett war: der hatte dieses Aussehen.

Als er lange an der Blume gerochen hatte, verschwand der starke Nelkengeruch und hinterliess einen ekligen, seifenartigen Gestank, der ihm ?belkeit verursachte.

Er wanderte weiter, bis der Weg nach rechts unter eine gew?lbte Allee einbog, die aus Ulmen ausgehauen war. In dem Halbdunkel sah er ganz hinten in der Perspektive die grosse gr?ne Strickschaukel sich auf und ab bewegen. Auf dem hinteren Brett stand ein M?dchen und setzte die Schaukel in Gang, indem sie die Knie beugte und den K?rper nach vorne warf, w?hrend sie sich mit hochgehobenen Armen an den Seitenstangen hielt. Das war die Tochter des G?rtners, die Ostern konfirmiert worden war und eben lange Kleider bekommen hatte. Heute abend aber hatte ihre Mutter sie ein halblanges anziehen lassen, das sie zu Hause auftragen sollte.

Als sie den jungen Herrn erblickte, wurde sie zuerst verlegen, dass ihre Str?mpfe zu sehen waren, aber sie blieb doch stehen. Herr Theodor trat vor und sah sie an.

- Stellen Sie sich nicht dorthin, Herr Theodor, sagte das M?dchen, indem es die Schaukel in vollen Schwung brachte.

- Warum denn nicht, antwortete der J?ngling, der den Zug von ihren flatternden R?cken um seine heissen Schl?fen wehen f?hlte.

- Pfui nein, sagte das M?dchen.

- Lass mich einsteigen, so werde ich dich schaukeln, Auguste, sagte Herr Theodor und warf sich schnell in die Schaukel.

So stand er in der Schaukel ihr gegen?ber. Und wenn die Schaukel in die H?he ging, schlug ihr Kleid um seine Beine; und wenn die Schaukel in die Tiefe ging, stand er ?ber sie gebeugt und sah ihr gerade in die Augen, die von Bangigkeit und Behagen leuchteten. Ihre d?nne baumwollene Jacke schloss sich dicht um die jungen Br?ste, die sich unter dem gestreiften Kattun scharf abzeichneten; ihr Mund stand halb offen und die weissen gesunden Z?hne l?chelten ihm zu, als wollten sie ihn beissen oder ihn k?ssen.

Immer h?her ging die Schaukel, bis sie gegen die h?chsten Zweige des Ahorns schlug. Da stiess das M?dchen einen Schrei aus und fiel in seine Arme; er musste sich auf die Bank setzen. Als er den weichen warmen K?rper zucken und sich zugleich gegen seinen dr?cken f?hlte, ging es wie ein elektrischer Schlag durch sein ganzes Nervensystem; ihm wurde schwarz vor den Augen, und er h?tte sie losgelassen, wenn er nicht ihre linke Brust an seinem rechten Oberarm gef?hlt h?tte.

Die Schaukel ging langsamer. Sie sprang auf und setzte sich auf die andere Bank, ihm gegen?ber. Und sie sassen da und sahen auf die Erde nieder und wagten einander nicht ins Gesicht zu sehen.

Als die Schaukel anhielt, stieg das M?dchen aus und stellte sich, als antworte sie jemand, der sie gerufen. Herr Theodor blieb allein. Das Blut lief durch seine Adern. Er f?hlte seine Lebenskraft verdoppelt. Aber er wusste nicht klar, was geschehen war. Er stellte sich dunkel vor, er sei ein Elektrophor, dessen positive Elektrizit?t sich bei einer Entladung mit der negativen vereinigt habe. Und zwar w?hrend einer geringen, ?usserlich keuschen Ber?hrung mit einem jungen Weib. ?hnliches hatte er nicht empfunden, wenn er zum Beispiel beim Ringen auf dem Turnplatz Kameraden fest umschlungen gehalten. Er hatte also die entgegengesetzte Polarit?t des Weiblichen gesp?rt, und er f?hlte nun, was es heisst, Mann zu sein. Und er war Mann. Nicht ein Fr?hreifer, der durch Vergewaltigung der Natur vor der Zeit ausschlug, denn er war ein starker, abgeh?rteter, gesunder J?ngling.

Als er jetzt durch die Wege wanderte, stiegen neue Gedanken in ihm auf. Das Leben schien ihm ernster zu werden, das Gef?hl der Pflicht trat an ihn heran. Aber er war erst f?nfzehn Jahre alt. Er war noch nicht konfirmiert, konnte erst nach vielen Jahren in die Gesellschaft eintreten, also nicht daran denken, sich selber zu ern?hren, geschweige denn Weib und Kind. Sein ernster Sinn liess ihn n?mlich nicht an ein lockeres Leben denken, sondern das Weib war ihm etwas f?rs Leben, sein anderer Pol, seine Erg?nzung. Jetzt war er geistig und k?rperlich reif, um in die Welt hinauszutreten und sich Brot zu schaffen. Was hinderte ihn daran? Seine Erziehung, die ihn nichts N?tzliches gelehrt; seine soziale Stellung, die ihm verbot, ein Handwerk zu betreiben. Die Kirche, die seinen Eid nicht darauf bekommen, der Priesterschaft treu zu sein; der Staat, der seinen Eid nicht darauf erhalten, Bernadotte und Nassau treu zu sein; die Schule, die ihn noch nicht soweit dressiert hatte, dass er f?r die Universit?t reif war; der geheime Ordensbund, den die Oberklasse gegen die Unterklasse geschlossen. Ein ganzer Berg von Albernheiten lag auf ihm und seiner Jugend. Jetzt da er f?hlte, dass er ein Mann war, schien ihm die ganze Erziehung eine Anstalt zu sein, in der er erst kastriert werden sollte, ehe man ihn in den Harem zu lassen wagte, wo eine Mannbarkeit gef?hrlich sein konnte; einen anderen Sinn konnte er in all dem nicht entdecken. So versank er wieder in seinen jetzigen Zustand der Unm?ndigkeit. Er glaubte eine Pflanze Bleichsellerie zu sein, die man zusammenbindet und unter einen Blumentopf legt, damit sie so weiss und m?rbe wie m?glich wird, damit sie im Sonnenlicht keine gr?nen Bl?tter treibt, nicht in Bl?ten ausschl?gt, noch, am wenigsten von allem, Samen ansetzt.

W?hrend er diesen Gedanken nachhing, wanderte er auf den Gartenwegen hin und her, bis die Uhr der n?chsten Kirche zehn schlug. Da wollte er ins Haus gehen, um sich schlafen zu legen. Aber die Haust?r war schon geschlossen. Er musste ans Fenster der M?dchenstube klopfen. Das Hausm?dchen kam im Unterrock, um zu ?ffnen, und er konnte ?ber dem Hemd, das herabgeglitten war, ihre blossen Schultern sehen. Alle Schw?rmerei verschwand in einem Nu, er wollte sie festhalten, ihre Br?ste dr?cken, sich paaren mit einem Wort, denn jetzt war das Weib nur Weibchen f?r ihn. Aber das M?dchen war schon wieder hineingehuscht und schlug die T?r hinter sich zu. Da sch?mte er sich und ging in seine Kammer hinauf.

Als er gl?cklich oben war, ?ffnete er die Fenster, tauchte den Kopf ins Waschbecken und steckte seine Lampe an.

Als er im Bett lag, griff er zu Arndts ,,Geistlichen Morgenstimmen", die er von seiner Mutter geerbt hatte und von denen er abends immer ein St?ck las, mehr der Sicherheit wegen, denn morgens war die Zeit knapp. Das Buch erinnerte ihn an das Versprechen der Keuschheit, das er der Mutter gegeben, und er hatte ein b?ses Gewissen. Eine Fliege, die ans Lampenglas kam und mit verbrannten Fl?geln um den Nachttisch summte, brachte seine Gedanken auf etwas anderes, Unbestimmtes; er legte Arndt fort und steckte sich eine Zigarre an. Er h?rte, wie sich unter ihm im Erdgeschoss der Vater die Stiefel auszog; wie er am Kranz des Kachelofens die Pfeife ausklopfte; ein Glas Wasser aus der Karaffe eingoss und sich bereit machte, ins Bett zu gehen. Er dachte, wie einsam dieser Mann jetzt sein m?sse, da seine Frau fort sei. Fr?her hatte er durch die Zwischendecke h?ren k?nnen, wie sie mit halber Stimme vertraulich plauderten, von Dingen, ?ber die sie immer einig waren; jetzt aber war keine Stimme mehr zu h?ren, nur die toten Laute, wie ein Mensch seine Person bedient und besorgt; Laute, die wie die Figuren in einem Rebus zusammengestellt werden m?ssen, um etwas Lebendiges aus ihnen zu machen.

Schliesslich legte er die Zigarre fort, l?schte die Lampe und betete leise das Vaterunser, kam aber nicht weiter als bis zur f?nften Bitte: da schlief er ein.

Mitten in der Nacht erwachte er aus einem Traum. Er hatte das M?dchen des G?rtners in seinen Armen gehabt. Wo und wann, daran erinnerte er sich nicht, denn er war ganz bet?ubt, und er schlief sofort wieder ein.

Am n?chsten Morgen war er schwerm?tig und hatte Kopfschmerzen. Dachte wieder an die Zukunft, die schwer auf ihm lag und sein ganzes Dasein bedr?ckte. Mit Bangen sah er, wie der Sommer verging, denn das Ende der Ferien brachte ihn wieder in den Erniedrigungszustand, den die Schule ihm bot: jeder seiner Gedanken sollte da von fremden Gedanken get?tet werden; die Selbst?ndigkeit half nichts, da nur eine bestimmte Anzahl Jahre ihn ans Ziel f?hren konnten. Es war wie eine Reise auf einem G?terzug; die Lokomotive musste so und so lange auf der Station stehen, und wenn der Dampfdruck aus Mangel an Kraftverbrauch zu stark wurde, musste man das Sicherheitsventil ?ffnen. Das Betriebsamt hatte den Fahrplan aufgestellt, und man durfte nicht zu fr?h nach den Stationen kommen. Das war die Hauptsache!

Der Vater sah, dass der Sohn blass und mager wurde, glaubte aber, er trauere um die Mutter.

Der Herbst kam. Zuerst mit der Schule. Theodor hatte w?hrend des Sommers, als er durch die Romane mit erwachsenen Menschen verkehrte und ihr Leben und ihre K?mpfe kennen lernte, sich daran gew?hnt, sich als Erwachsenen zu betrachten. Jetzt kamen die Lehrer und duzten ihn. Kameraden, Jungen, welche die k?rperliche Freiheit noch nicht achteten, erlaubten sich Handgreiflichkeiten, die ihn zu ?hnlichen n?tigten. Und diese Bildungsanstalt, die ihn f?r die Gesellschaft veredeln sollte, was lehrte sie und wie veredelte sie? Die Lehrb?cher waren ja samt und sonders unter der Kontrolle der Oberklasse geschrieben und liefen alle darauf hinaus, die Unterklasse dazu zu bringen, die Oberklasse zu verehren. Die Lehrer sprachen oft mit Erregung zu den Sch?lern, wie undankbar sie seien; sie w?ssten nicht, welche Vorteile ihre Eltern ihnen gew?hrten, indem sie ihnen diese Bildung schenkten, die so viele Arme entbehren m?ssten. Nein, wahrhaftig, die Jungen waren noch nicht verdorben genug, um diese grenzenlose Betr?gerei und deren Vorteile zu durchschauen.

Gab der Unterricht den Sch?lern irgend ein Mal eine reine Freude durch den Lehrstoff selber? Nein! Darum mussten die Lehrer unaufh?rlich an die niedrigen Leidenschaften der Sch?ler appellieren: an die Ambition , an das Interesse, an die Vorteile.

Welch elende Maskerade diese Schule! Nicht ein einziger von den J?nglingen glaubte an den Segen, der darin lag, verhasste K?nige aufzuz?hlen, unbrauchbare Sprachen zu lernen, Axiome zu beweisen, Selbstverst?ndlichkeit zu definieren, die Staubbeutel der Pflanzen und die Gelenke an den Hinterbeinen der Insekten zu z?hlen, um schliesslich nicht mehr zu wissen, als dass sie so und so auf lateinisch heissen. Wieviel lange Stunden wurden nicht darauf verwandt, um vergeblich einen Winkel in drei gleiche Teile zu teilen, w?hrend es ,,unwissenschaftlich" in einer Minute mit einem Gradmesser gemacht wird.

Wie verachtet wurde alles, was n?tzlich war! Die Schwestern, die Ollendorffs franz?sische Grammatik lernten, konnten nach zwei Jahren franz?sisch sprechen; die Gymnasiasten konnten nach sechs Jahren noch nicht ein Wort sagen. Und mit welchem Mitleid sprachen sie den Namen Ollendorff aus! Das war der Inbegriff alles Dummen, das man verbrochen hatte, seit die Welt erschaffen worden.

Wenn aber die Schwestern eine Erkl?rung verlangten und fragten, ob die Sprache nicht dazu da sei, die Gedanken des Menschen auszudr?cken, so antwortete der junge Sophist mit einer Phrase, die er von einem Lehrer borgte, der sie wieder als Talleyrands Worte zitiert gesehen: Nein, die Sprache ist dazu da, die Gedanken des Menschen zu verbergen. Das konnte ein junges M?dchen nat?rlich nicht begreifen, denn die M?nner verstehen ihre Infamien zu verbergen, sondern glaubte, der Bruder sei furchtbar gelehrt, und disputierte nicht weiter.

Und dann die verf?lschende ?sthetik, die ihren Schleier aus geborgtem Glanz und falscher Sch?nheit ?ber alles warf. Man lernte von der ,,Ritterwache des Lichtes" singen! Welche Ritterwache? Mit Adelsbriefen, Studentenzeugnissen; falschen Attesten, wie sie selber einsehen konnten. Des Lichtes? Das heisst der Oberklasse, die ihr gr?sstes Interesse daran hatte, die Unterklasse durch Schule und Religion in der Dunkelheit zu halten. ,,Und vorw?rts, vorw?rts auf der Bahn des Lichts!"

Immer wurde das Ding bei verkehrtem Namen genannt! Kam dann einer aus der Unterklasse mit Licht, so war alles vorbereitet, um es zu Dunkelheit machen zu k?nnen. Du junge, ,,gesunde" K?mpferschar! Wie gesund sie waren, alle diese J?nglinge, die von Besch?ftigungslosigkeit, unbefriedigten Trieben, Ehrgeiz entnervt waren, die jeden verachteten, der nicht die Mittel hatte, Student zu werden! O die Poeten der Oberklasse, wie haben sie so sch?n gelogen! Waren sie Betr?ger oder Betrogene?

Wovon sprachen alle diese J?nglinge gew?hnlich? Von ihren Studien? Niemals! H?chstens von einem Zeugnis! Sie sprachen von Liederlichkeit. Vom Morgen bis zum Abend! Von Verabredungen mit M?dchen; von Billardspiel und Punsch; von Geschlechtskrankheiten, ?ber die sie ?ltere Br?der hatten sprechen h?ren. Sie gingen mittags los und ,,nahmen die Parade ab", und wer am weitesten gekommen war, konnte den Namen des Leutnants nennen und erz?hlen, wo dessen M?dchen wohnte.

Einmal waren zwei von der ,,Ritterwache des Lichtes" ganz naiv mit zwei prostituierten M?dchen an einem Sommertag in das vornehme Restaurant ,,Haselh?he" im Tiergarten gegangen, um dort in der offenen Veranda zu Mittag zu essen. Wegen dieser Naivit?t wurden sie von der Anstalt gejagt. Wegen ihrer Naivit?t, nicht wegen ihrer Lasterhaftigkeit, denn ein Jahr sp?ter bestanden sie ihr Examen f?r die Universit?t, gewannen also ein ganzes Jahr; und als sie ihre Studien in Uppsala beendet hatten, wurden sie in eine Hauptstadt von Europa geschickt, um dort in der Gesandtschaft die vereinigten K?nigreiche Schweden und Norwegen zu vertreten.

In einer solchen Umgebung verbrachte Herr Theodor seine beste Jugend. Er hatte den Betrug durchschaut, konnte aber nicht mit ihm brechen! Wie soll ich das machen? fragte er sich oft, erhielt aber keine Antwort. Er wurde nat?rlich mitschuldig und lernte schweigen.

Die Konfirmation wurde f?r ihn ein Spektakel, wie die Schule es gewesen. Ein junger Hilfsprediger, der Pietist war, sollte ihn in vier Monaten Luthers Kathechismus lehren, ihn, der Theologie, Exegetik, Dogmatik gehabt und das Neue Testament auf Griechisch gelesen hatte! Aber der strenge Pietismus, der Wahrheit in Handel und Wandel forderte, musste auf ihn Eindruck machen.

Es war ein Novembermorgen, als sie in den Kirchensaal gerufen wurden, um eingeschrieben zu werden. Herr Theodor befand sich ganz unerwartet in einem ganz andern Kreis, als er t?glich in der Schule um sich hatte. Wie er in das Versammlungszimmer eintrat, begegnete er den Blicken von wohl hundert Augen, die ihn alle wie einen Feind ansahen. Da waren Tabaksbinder, Schornsteinfegerjungen, Lehrlinge von allen Handwerken. Sie schienen auch Feinde unter einander zu sein, denn sie warfen sich gegenseitig Schimpfnamen zu; aber diese Feindschaft zwischen den Handwerken war mehr gelegentlich; und wie sie sich auch zankten, sie hingen doch zusammen. Eine seltsame erstickende Luft schlug ihm entgegen, und in dem Hass, mit dem er sich begr?sst f?hlte, lag auch eine Verachtung, die Kehrseite eines gewissen Respektes oder Neides. Er sah sich vergebens nach einem Kameraden um, einem Gleichgesinnten, einem Gleichgekleideten. Es war keiner da. Die Gemeinde war arm, und die Reichen sandten ihre Kinder in die Deutsche Kirche, die damals in Mode war. Es waren Kinder des Volkes; es war die Unterklasse, mit der er jetzt vor den Altar des Herrn als Gleich und Gleich treten sollte. Er fragte sich, welcher Abgrund ihn eigentlich von diesen Kindern trenne? Waren sie k?rperlich nicht ebenso begabt wie er? Ja, besser vielleicht, denn alle verdienten bereits ihr Brot, und einige konnten sogar ihren alten Eltern helfen. Waren sie schlechter ausger?stet in der Intelligenz? Das konnte er nicht behaupten, denn er h?rte, wie sie bei ihren Stichelreden mit den sch?rfsten Beobachtungen um sich warfen; sie konnten radikale Witze aussprechen, die er gern mit einem Lachen belohnt h?tte, w?re er dazu nicht zu hochm?tig gewesen. Wenn er an all die Dummk?pfe dachte, die er zu Kameraden in der Schule hatte, konnte er keinen bestimmten Strich zwischen sich und ihnen ziehen. Der war aber vorhanden! Waren es die sch?bigen Kleider, die h?sslichen Gesichter, die groben H?nde? Ja, zum Teil war es wohl das! Besonders f?hlte er sich von ihrer H?sslichkeit abgestossen! Aber waren sie deshalb schlechter, weil sie h?sslich waren?

Er hatte ein Florett bei sich, da er nachher in die Fechtstunde wollte. Er stellte es in eine Ecke, damit es sich keine unangenehme Aufmerksamkeit zuzog. Aber es war schon bemerkt werden. Niemand wusste eigentlich, was es f?r ein Ding sei, aber sie verstanden, dass es eine Waffe vorstellte. Einige der K?hnsten machten sich in der Ecke zu schaffen, um es zu untersuchen. Sie befingerten die Umwindung des Heftes, kratzten mit den N?geln auf dem Stichblatt, bogen die Klinge, bef?hlten den kleinen Ball aus Handschuhleder. Es war, als schn?ffelten Hasen an einer Flinte, die sie im Walde gefunden. Sie verstanden nicht, wozu es anzuwenden sei, aber sie f?hlten, es war etwas Feindliches, das einen verborgenen Zweck hatte. Schliesslich trat ein G?rtlerlehrling, dessen Bruder zur Leibgarde geh?rte, an die Neugierigen heran und entschied die Frage sofort: K?nnt ihr nicht sehen, dass es ein S?bel ist, ihr Kaulbarsche! Und damit warf er einen respektvollen Blick auf Herrn Theodor; doch lag in diesem Blick auch ein geheimes Einverst?ndnis, das bedeutete: Wir verstehen das! Aber ein Seilerjunge, der einmal bei der Artillerie gewesen war, um Trompeter zu werden, hielt sich beim F?llen des Urteils f?r ?bergangen, konnte den Mund nicht halten, sondern erkl?rte: man k?nne ihn in den R?cken beissen, wenn das nicht ein Degen sei! Die Folge war eine Schl?gerei, die den ganzen Kirchensaal in einen einzigen grossen Hundehof verwandelte, der von Staub rauchte und mit Geheul erf?llt war.

Da wird die T?r ge?ffnet und der Hilfsprediger steht da. Ein junger, blasser, magerer Mann, der Ausschlag im Gesicht und w?sserige blaue Augen hat. Er schrie die Jungen zuerst an. Die wilden Tiere h?rten auf, sich zu schlagen. Darauf liess er sich aus ?ber Jesu teueres Blut und die Macht, die das B?se ?ber die Herzen hat. Schliesslich brachte er die hundert Jungen dazu, sich auf B?nke und St?hle zu setzen. Bis dahin war er aber ganz ausser Atem gekommen und das Zimmer war voll von aufgewirbeltem Staub. Er warf einen Blick nach dem Fensterventil und sagte mit matter Stimme: ?ffnet die Klappe! Damit weckte er aber den Sturm wieder. F?nfundzwanzig Knaben st?rzten hin und stiessen beim Fenster auf einen Haufen zusammen, um die Schnur zum Ventil zu fassen.

- Geht und setzt euch! schrie der Geistliche von neuem und lief nach dem Stock.

F?r einen Augenblick herrschte Ruhe. Der Geistliche dachte sich eine praktischere Art aus, um ohne Schlacht die Klappe zu ?ffnen.

- Du, sagte er und zeigt auf einen eingesch?chterten armen Teufel, geh und ?ffne die Klappe.

Der Kleine trat ans Fenster und suchte die zusammengezogene Schnur zu l?sen. In atemlosen Schweigen warteten die versammelte Schar das Ergebnis ab, als ein grosser Bursche im Seemannsanzug, der eben mit der Brigg Carl Johan heimgekehrt war, die Geduld verlor:

- Nun sollt ihr mal sehen, hol mich der Teufel, was ein Junge kann, sagte er; im Nu hatte er den Rock abgeworfen, das Fensterbrett geentert, sein Messer gezogen und die Schnur durchgeschnitten.

- Kappen Bakstag! konnte er noch sagen, als der Geistliche einen neuen Schrei ausstiess, wie ein hysterisches Weib, und damit den Seemann buchst?blich hinunterscheuchte. Der beteuerte:

- Das Fall hatte sich so vert?dert, dass nichts anderes zu machen war, als kappen.

Der Pastor war ganz ausser sich. Er kam aus einer stillen Provinz und h?tte nicht geglaubt, dass eine Jugend so tief verdorben sein k?nnte, so in Unsittlichkeit und S?nde versunken, so weit vorgeschritten auf dem Weg der Verdammnis. Und er erz?hlte ihnen lang und breit von Jesu teuerm Blut.

Keiner verstand, was er sagte, denn sie hatten keinen Begriff davon, dass sie gesunken seien, da sie nie oben gewesen. Die Jungen zeigten daher eine gleichg?ltige K?lte.

Der Geistliche sprach weiter von Jesu teuern Wunden; aber niemand bezog es auf sich, denn niemand hatte einen Jesus verwundet. Da versuchte er es mit dem Teufel; der war aber so in ihre t?gliche Sprache eingegangen, dass er auch keinen Eindruck machte. Schliesslich kam er auf das Rechte! Er sprach von der auf den Fr?hling festgesetzten Konfirmation. Er erinnerte sie an die Eltern, die ihre Kinder ins Leben hinausf?hren wollten; und als er auf die Brotherren zu sprechen kam, die niemand anstellten, der nicht konfirmiert sei, da wurde er unwiderstehlich, und alle verstanden die tiefe Bedeutung der Konfirmation. Jetzt war er aufrichtig, und da begriffen ihn alle die jungen Gem?ter; sogar die Wildesten wurden zahm.

Die Einschreibung begann! Wie viele Kirchenscheine waren mangelhaft! Wie sollten sie zu Jesus kommen, wenn ihre Eltern nicht getraut waren? Wie sollten sie an den Gnadentisch des S?nders gelangen, wenn der Vater schon bestraft war? Was f?r S?nder!

Herr Theodor wurde tief ersch?ttert von all diesem ?ffentlichen Schimpf, der ausgeteilt wurde. Er wollte ein Auge zudr?cken, konnte es aber nicht. Als er schliesslich selber mit seinem Kirchenschein vortrat und der Prediger las: Sohn Theodor, an dem und dem Tage geboren; Eltern: Professor und Ritter ... da fuhr ein schwacher Sonnenschein ?ber das Gesicht des Geistlichen, und er nickte ihm freundlich zu, als er fragte: Wie geht es dem Herrn Papa? Und dann zog ein Schleier von Wehmut ?ber seine weissgelben Z?ge, als er sah, dass die Mutter gestorben war : Sie war ein Kind Gottes, sagte er, wie zu sich selber, mit ?berfreundlicher, beklagender, weinerlicher Stimme, mit einem gewissen Vorwurf gegen den Herrn Papa, der nur Professor und Ritter war. Dann konnte Herr Theodor gehen.

Als er hinauskam, meinte er etwas erlebt zu haben, das er nicht f?r m?glich gehalten h?tte. Waren diese J?nglinge so tief gesunken, weil sie Fl?che und grobe Worte benutzten, wie alle seine Kameraden, sein Vater, sein Oheim und die ganze Oberklasse sie zuweilen benutzten! Von was f?r einer Sittenverderbnis war hier die Rede? Sie waren wilder als andere verw?hnte Kinder, weil sie st?rker waren. Dass ihre Kirchenscheine M?ngel hatten, war nicht die Schuld der Kinder. Sein Vater hatte nicht gestohlen, aber man braucht auch nicht zu stehlen, wenn man sechstausend Kronen Gehalt hat und tun und lassen kann, was man will. Es w?re ja l?cherlich oder abnorm gewesen, wenn er gestohlen h?tte.

Und Herr Theodor ging wieder in die Schule und da f?hlte er, was es heisst, eine Erziehung erhalten zu haben: hier wurde niemand wegen eines kleinen Schnitzers schikaniert, hier wurden die eigenen Schw?chen wie die der Eltern ziemlich in Frieden gelassen, hier war man unter seinesgleichen und hier verstanden alle einander.

Nach der Schule ,,nahm man die Parade ab"; schlich in ein Caf?, um einen Lik?r zu trinken; schliesslich ging man in den Fechtsaal. Und wenn er hier vom Leutnant mit Herr angeredet wurde, alle diese J?nglinge mit geschmeidigen Gliedern, freiem Benehmen und heiteren Mienen sah, alle sicher, dass zu Hause ein gutes Mittagessen auf sie warte, f?hlte er, dass es zwei Welten gibt, eine obere und eine untere. Dann packte es ihn wie ein b?ses Gewissen, wenn er an den dunkeln Kirchensaal und die tristen Menschenkinder dachte; deren s?mtliche Wunden und heimliche M?ngel wurden unbarmherzig mit dem Vergr?sserungsglas gemustert, damit die Unterklasse der wahren Demut teilhaftig w?rde, ohne welche die Oberklasse ihre liebensw?rdigen Schw?chen nicht in Frieden geniessen konnte. Damit war etwas Unharmonisches in sein Leben gekommen.

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