Read Ebook: Heiraten: Zwanzig Ehegeschichten by Strindberg August Schering Emil Translator
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Ebook has 2385 lines and 82509 words, and 48 pages
Nach der Schule ,,nahm man die Parade ab"; schlich in ein Caf?, um einen Lik?r zu trinken; schliesslich ging man in den Fechtsaal. Und wenn er hier vom Leutnant mit Herr angeredet wurde, alle diese J?nglinge mit geschmeidigen Gliedern, freiem Benehmen und heiteren Mienen sah, alle sicher, dass zu Hause ein gutes Mittagessen auf sie warte, f?hlte er, dass es zwei Welten gibt, eine obere und eine untere. Dann packte es ihn wie ein b?ses Gewissen, wenn er an den dunkeln Kirchensaal und die tristen Menschenkinder dachte; deren s?mtliche Wunden und heimliche M?ngel wurden unbarmherzig mit dem Vergr?sserungsglas gemustert, damit die Unterklasse der wahren Demut teilhaftig w?rde, ohne welche die Oberklasse ihre liebensw?rdigen Schw?chen nicht in Frieden geniessen konnte. Damit war etwas Unharmonisches in sein Leben gekommen.
Wie auch Herr Theodor zwischen seinem nat?rlichen Verlangen nach den halbbekannten Lockungen des Lebens und seiner neuerworbenen Lust, dem ganzen Leben den R?cken zu kehren und seinen Sinn auf den Himmel zu richten, hin und her geworfen wurde, das Gel?bde, das er der Mutter gegeben, brach er nicht. Die h?ufigen Konfirmationsstunden in der Kirche, mit den Kameraden und unter dem Geistlichen, verfehlten nicht, auf ihn Eindruck zu machen. Er war oft d?ster und gr?belte, hatte ein Gef?hl, das Leben sei nicht so, wie es sein m?sse. Es war ihm, als sei einmal ein unerh?rtes Verbrechen begangen werden, das jetzt durch massenhafte Betr?gereien verh?llt werde; er glaubte eine Fliege zu sein, die in das Netz der Spinne geraten war und sich bei jedem Versuch, ein Loch zu reissen, immer mehr verwickelte, um schliesslich erstickt zu werden.
Eines Abends, denn der Geistliche benutzte alle Effekte, um den harten K?pfen der jungen Burschen zu imponieren, hatten sie im Chor der Kirche Unterricht gehabt. Es war im Januar. Zwei Gasflammen erleuchteten das Chor und zeigten die Marmorfiguren des Altars in verzerrten Proportionen. Die ganze grosse Kirche mit ihren beiden einander kreuzenden Tonnengew?lben lag im Halbdunkel. Im Hintergrund sah man die blanken Zinnpfeifen der Orgel, welche die Gasflammen des Chores schwach reflektierten; dar?ber bliesen die Engel zum j?ngsten Gericht ihre Posaunen, sahen jetzt aber nur wie finstere, drohende, ?bernat?rlich grosse Menschenfiguren aus. Die Kreuzg?nge endeten in vollst?ndiger Dunkelheit.
Der Geistliche hatte das sechste Gebot ausgelegt. Er hatte von Unzucht in und ausserhalb der Ehe gesprochen. Wie Unzucht zwischen Ehegatten getrieben wird, das konnte er nicht auseinandersetzen, trotzdem er selber verheiratet war; aber ausserhalb der Ehe, da wusste er Bescheid. Dann kam er zum Kapitel der Selbstbefleckung. Als er das Wort nannte, ging es wie ein Rauschen durch die J?nglingsschar, und mit weissen Wangen und hohlen Augen starrten sie ihn an, als s?hen sie ein Gespenst. Solange er von den Strafen der H?lle sprach, waren sie ziemlich ruhig; als er aber aus einem Buch Berichte vorlas, wie J?nglinge im Alter von f?nfundzwanzig Jahren an R?ckenmarkschwindsucht gestorben waren, da sanken sie auf den B?nken zusammen und f?hlten den Boden unter sich wanken! Schliesslich erz?hlte er die Geschichte von einem Jungen, der im Alter von zw?lf Jahren in ein Irrenhaus kam, um mit vierzehn Jahren zu sterben, im Glauben an seinen Erl?ser. Da war es ihnen, als s?hen sie hundert gewaschene Leichen an Stangen aufgestellt. Nur ein Heilmittel gegen dieses ?bel gebe es: Jesu teure Wunden. Doch wie die gegen zu fr?he Mannbarkeit anzuwenden seien, das zeigte er nicht. Aber man solle weder tanzen noch ins Theater gehen noch Spielstuben besuchen, vor allem aber sich des Weibes enthalten: das heisst das Gegenteil tun von dem, was man in Wirklichkeit tun m?sste. Dass dieses Laster dem sozialen Gesetz, der Mann sei erst mit einundzwanzig Jahren mannbar, bis zur Vernichtung widerspricht, wurde mit Schweigen ?bergangen. Ob dieses Laster durch fr?he Ehen verhindert werden kann, indem man allen ein notd?rftiges Essen verschafft, statt wenigen Schm?use, wurde dahingestellt. Das Resultat war: man solle sich Jesu in die Arme werfen, das heisst in die Kirche gehen und die Sorge um die Welt der Oberklasse ?berlassen.
Nach dieser Zurechtweisung bat der Geistliche die f?nf Ersten auf der ersten Bank, dazubleiben; er wolle mit ihnen allein sprechen; nach und nach werde er es mit allen so machen. Die f?nf Ersten sahen aus, als seien sie zum Tode verurteilt. Ihre Brust fiel in den R?cken, weil sie nicht Atem holen konnten; und wenn man genauer nachgesehen, h?tte man gefunden, dass sich ihr Haar einige Zentimeter auf den Wurzeln in die H?he gerichtet und feucht ?ber den Sch?del einer Leiche lag. Alles Blut war aus den Augenbetten gewichen; wie zwei runde Glaskugeln, in Handschuhleder eingen?ht, sahen die Augen aus, unbeweglich, nicht wissend, ob sie zu einem Bekenntnis herauskriechen oder sich mit einer k?hnen L?ge verbergen sollten.
Das Gebet wurde gesprochen und das Lied von Jesu Wunden gesungen; heute abend aber wurde es von Lungenkranken angestimmt und h?rte zuweilen ganz auf oder wurde von einem trocknen Husten, gleich dem von Durstigen, unterbrochen. Dann begannen sie zu gehen. Einer von den f?nf versuchte hinauszuschleichen, wurde aber vom Geistlichen zur?ckgerufen.
- Kommen Sie, Wennerstr?m, sagte der Geistliche, der das Gas in der Sakristei angesteckt hatte.
Wennerstr?m ging und die T?r wurde geschlossen. Die vier sassen da, jeder auf seiner Bank, und versuchten alle m?glichen Stellungen, um den K?rper zur Ruhe zu bringen; aber es ging nicht.
Schliesslich kam Wennerstr?m wieder heraus, verweint, aufgeregt, und ging sofort durch den Korridor davon.
Als er auf den Kirchhof, der ganz eingeschneit war, hinauskam, nahm er schnell noch ein Mal durch, was drinnen vorgefallen war. Der Geistliche hatte gefragt, ob er ges?ndigt habe. Nein, das habe er nicht. Habe er Tr?ume? Ja! Tr?ume sind ebenso s?ndig, denn sie zeigen, dass unser Herz b?se ist, und Gott sieht auf das Herz. Er pr?ft die Nieren und wird uns ein Mal f?r jeden s?ndhaften Gedanken verurteilen, und die Tr?ume sind Gedanken. Gib mir, mein Sohn, dein Herz, sagt Jesus. Geh zu Jesus, bete, bete, bete. Was keusch, was rein, was lieblich ist, das ist Jesus! Jesus von Anfang bis zum Ende, Jesus mein Alles, mein Leben, meine Seligkeit! Kasteiet das Fleisch und seid fest im Gebet, sagt Jesus! Geh in Jesu Namen und s?ndige hinfort nicht mehr!
Er war emp?rt, aber auch vernichtet. Er konnte es nicht ?ndern, dass er vernichtet war, und in der Schule hatte er noch nicht soviel gesunde Vernunft gelernt, um sie gegen die jesuitische Sophistik anzuwenden. Den Satz, dass die Tr?ume Gedanken sind, musste er allerdings, mit der Psychologie, die er gelernt, dahin modifizieren, dass sie Phantasien sind; aber Gott sieht nicht auf Worte! Seine Logik sagte ihm, es liege etwas Naturwidriges in dieser fr?hen Brunst. Mit sechzehn Jahren konnte er sich nicht verheiraten, da er keine Frau versorgen konnte. Aber den n?chsten Gedanken, warum er keine Frau versorgen k?nne, obwohl er mannbar war, konnte er nicht zu Ende denken; wenn er es auch wollte, so h?tte er doch vor dem Gesellschaftsgesetz, das von der Oberklasse gemacht war und von Bajonetten besch?tzt wurde, Halt machen m?ssen. Also war die Natur auf irgend eine Art verletzt worden, da die Mannbarkeit fr?her eintrat als die F?higkeit, Brot zu schaffen. Das war Entartung! Seine Phantasie war entartet, und er wollte sie reinigen durch Entsagungen, Gebet, Kampf.
Als er nach Hause kam, sass der Vater mit den Geschwistern bei Tisch. Theodor sch?mte sich vor ihnen, als sei er unrein. Der Vater fragte wie gew?hnlich, wann sie konfirmiert w?rden. Das wusste Theodor nicht. Er ass nichts und sch?tzte Unwohlsein vor; die Wahrheit aber war, dass er abends nicht zu essen wagte. Er ging auf seine Kammer und setzte sich hin, um eine Schrift von Schartau zu lesen, die er vom Geistlichen erhalten hatte. Sie handelte von der Eitelkeit der Vernunft. Hier, gerade an dem letzten Punkt, wo er aus dem Unklaren herauszukommen glaubte, da erlosch das Licht. Die Vernunft, die ihm zuweilen die schwache Hoffnung gab, sich aus den dunkeln Bergen herausfinden zu k?nnen, auch die war S?nde; mehr S?nde als alles andere, denn sie erhob sich gegen Gott, wollte begreifen, was man nicht begreifen sollte! Warum man ,,es" nicht begreifen sollte, stand nicht da; aber es war wohl darum: sobald man ,,es" begriffen, war der Betrug entdeckt.
Er emp?rte sich nicht l?nger, sondern ergab sich! Ehe er zu Bett ging, las er zwei Morgenstimmen aus Arndt, das ganze S?ndenbekenntnis, das Vaterunser und ,,Der Herr segne uns". Er war sehr hungrig, das empfand er aber mit einer gewissen Schadenfreude, als leide sein Feind etwas B?ses.
So schlief er ein. In der Nacht erwachte er. Er hatte getr?umt, er sei ausgewesen, habe f?r zwei Reichstaler zu Abend gegessen und Champagner getrunken und schliesslich sei er mit einem M?dchen in ein besonderes Zimmer gegangen. So stand der ganze furchtbare Abend wieder vor ihm!
Er sprang aus dem Bett, warf Laken und Unterbett auf den Boden, legte sich auf die blosse Rosshaarmatratze und deckte sich nur mit einer d?nnen Decke zu. Er fror und war hungrig, aber der Teufel musste get?tet werden. Er betete noch ein Mal das Vaterunser, indem er auf eigene Hand einige Zus?tze machte. Das Gehirn wird nach und nach umnebelt, die strengen Z?ge in seinem Gesicht lassen nach, der Mund l?chelt: liebliche, heitere Gestalten, leichtes Gemurmel, ersticktes Lachen, Takte aus einem Walzer, funkelnde Gl?ser und offne, lebenslustige Gesichter mit freien Blicken, die seinen begegnen; da ?ffnet sich eine T?rgardine: zwischen rotseidenen Vorh?ngen blickt ein K?pfchen, der Mund l?chelt und die Augen leben, bloss ist der Hals bis zu den Steigungen der Br?ste, die Schultern rund wie von einer weichen Hand modelliert; die Kleider fallen ab vor seinen Blicken und er hat das Weib in seinen Armen.
Als er erwachte, schlug die Uhr drei. Er war wiederum besiegt. Jetzt riss er auch noch die Matratze aus dem Bett. Auf die Steine vorm Kachelofen fiel er auf die Knie und betete mit eigenen Worten ein brennendes Gebet zu Gott um Rettung; denn jetzt f?hlte er, dass er mit dem Teufel selber im Kampf lag. Er legte sich dann auf den blossen Bettboden und empfand mit einem eigenartigen Genuss, wie die Gurte in Arme und Schienbeine schnitten.
Am Morgen erwachte er in vollem Fieber.
Sechs Wochen lag er zu Bett. Als er endlich wieder aufstand, war er gesunder als er je gewesen. Die Ruhe, die ausgew?hlte Kost, die Medizin hatten seine Kr?fte gesteigert, und daher wurde der Kampf nun doppelt so stark. Aber er k?mpfte.
Im Fr?hling wurde er konfirmiert. Der ersch?tternde Auftritt, in dem die Oberklasse der Unterklasse auf Christi Leib und Blut den Eid abnimmt, dass die letzte sich nie mit dem befasse, was die erste tut, blieb lange in ihm haften. Dass des Weinh?ndlers H?gstedts Piccardon ? 65 ?re die Kanne und des B?ckers Lettstr?ms Maisoblaten ? 1 Krone das Pfund vom Geistlichen f?lschlich f?r das Fleisch und Blut des vor 1800 Jahren hingerichteten Volksaufwieglers Jesus von Nazareth ausgegeben wurden, dar?ber dachte er nicht nach, denn man dachte damals nicht nach, sondern man bekam ,,Stimmungen".
Ein Jahr sp?ter machte er sein Abiturientenexamen. Die Studentenm?tze war ihm eine grosse Freude; ohne sich dessen bewusst zu werden, f?hlte er, dass er als Oberklasse einen Freibrief erhalten habe. Etwas bildeten sich er und seine Kameraden auch auf ihr Wissen ein, und die Lehrer hatten sie darin f?r ,,reif" erkl?rt. Wenn alle diese hochm?tigen J?nglinge wenigstens den Unsinn gekonnt h?tten, mit dem sie prahlten! H?tte man sie auf dem Studentenschmaus geh?rt, wie sie beteuerten, sie k?nnten nicht f?nf Prozent von jedem Lehrbuch, in dem sie das Zeugnis erhalten; wie sie versicherten, es sei ein Wunder, dass sie die Pr?fung bestanden: ein Uneingeweihter h?tte es ihnen kaum geglaubt. Auf demselben Studentenkommers h?rte man einige der j?ngeren Lehrer jetzt, da der Zunftunterschied aufgehoben und keine Verstellung mehr n?tig war, offen mit halbberauschten Geb?rden darauf schw?ren, im ganzen Kollegium sei kein Lehrer, der im Examen nicht durchfallen w?rde. Ein N?chterner musste glauben, das Studentenexamen sei eine Schnur, die man nach Belieben zwischen Oberklasse und Unterklasse spannen k?nne; dann kam ihm das Wunder wie ein grosser Betrug vor.
Ja, es war ein Lehrer, der bei der Bowle behauptete, man m?sste ein Idiot sein, um sich einzubilden, ein Gehirn k?nne gleichzeitig auffassen: die dreitausend Jahreszahlen, welche die Geschichte enth?lt; die Namen der f?nftausend St?dte, die es auf der Erde gibt, die Namen von sechshundert Pflanzen und siebenhundert Tieren; die Knochen im menschlichen K?rper, die Steine in der Erde, alle theologischen Lehrk?mpfe, eintausend franz?sische Vokabeln, eintausend englische, eintausend deutsche, eintausend lateinische, eintausend griechische, eine halbe Million Regeln und Ausnahmen; f?nfhundert mathematische, physikalische, geometrische, chemische Formeln. Er wolle nachweisen, das Gehirn m?sse, um das zu k?nnen, so gross sein wie die Kuppel der Sternwarte von Uppsala. Humboldt habe schliesslich nicht mehr das Einmaleins gekonnt, und der Professor der Astronomie in Lund habe zwei sechsstellige ganze Zahlen nicht dividieren k?nnen. Die neuen Studenten glaubten sechs Sprachen zu k?nnen, und doch k?nnten sie nicht mehr als f?nftausend Worte h?chstens von den zwanzigtausend, die ihre eigene Sprache enthalte. Und er habe ja gesehen, wie sie mogelten. Oh, er kenne alle Kniffe! Er habe gesehen, wie sie Jahreszahlen auf die N?gel geschrieben, wie sie die B?cher unter dem Tisch gehabt, und wie sich zugefl?stert! Aber, schloss er, was soll man machen? Wenn man nicht ein Auge zudr?ckt, bekommt man ?berhaupt keine Studenten mehr.
W?hrend des Sommers blieb Theodor zu Hause im Garten. Er dachte viel an seine Zukunft; was er werden solle. In die grosse Jesuitenkongregation, die unter dem Namen der Oberklasse die Gesellschaft gestiftet, deren Geheimnisse er nicht durchschauen konnte, hatte er soviel Einblick gewonnen, dass er mit dem Leben unzufrieden war und Geistlicher werden wollte, um sich vor der Verzweiflung zu retten. Aber die Welt lockte ihn. Sie lag so hell und klar vor ihm, und sein starkes g?rendes Blut rief nach Leben. Er rieb sich auf in seinem Kampf, und die Besch?ftigungslosigkeit qu?lte ihn noch mehr.
Theodors zunehmende D?sterkeit und abnehmende Gesundheit begannen den Vater zu beunruhigen. Der sah wohl ein, wie es um ihn stand, konnte es aber nicht ?ber sich gewinnen, mit dem Sohn in einer so delikaten Sache zu sprechen.
An einem Sonntagnachmittag hatte der Professor seinen Bruder, den Pionieroffizier, bei sich. Sie sassen im Garten und tranken Kaffee.
- Hast du gesehen, wie ver?ndert Theodor ist? fragte der Professor.
- Ja, seine Zeit ist gekommen, antwortete der Hauptmann; ich glaube, sie ist es l?ngst.
- Willst du nicht mit ihm sprechen; ich kann es nicht.
- Wenn ich Junggeselle w?re, w?rde ich die Rolle des Oheims spielen, sagte der Hauptmann; aber ich werde Gustav zu ihm schicken! Der Junge muss M?dchen haben, sonst verkommt er. Starke Rasse, diese Wennerstr?msche. Was?
- Ja, sagte der Vater, ich war mit f?nfzehn Jahren soweit; aber ich hatte einen Kameraden, der nicht konfirmiert wurde, weil er mit dreizehn Jahren einer Konfirmandin ein Kind gemacht hatte.
- Sieh Gustav an: das ist ein Kerl! Der Teufel soll mich holen, wenn er nicht so breit ?ber die Lenden ist und solche Schenkel hat wie ein alter Hauptmann! Er macht sich!
- Ja, ich weiss wohl, was es kostet, aber das ist immer noch besser, als sich anstecken, sagte der Vater. Willst du Gustav bitten, Theodor mitzunehmen, um ihn etwas aufzur?tteln.
- Ja, das will ich tun, sagte der Hauptmann.
Und damit war die Sache klar.
Eines Abends im Juli, als es am allerw?rmsten war und alles im h?chsten Flor stand; w?hrend der Schwangerschaft der Natur, als alles, das im Fr?hling befruchtet war, Frucht werden wollte, sass Herr Theodor auf seiner Kammer und wartete. Er hatte an die Wand ein ,,Komm zu Jesus" angeschlagen, das ,,Lass uns nicht disputieren" bedeuten sollte, dem Bruder Leutnant gegen?ber, der dann und wann aus der Kaserne f?r einen Augenblick nach Hause kam. Gustav war ein heiteres Gem?t, das sich immer ,,machte", wie der Onkel sagte; er dachte nicht daran, an den Lauf der Welt Gr?beleien zu verschwenden. F?r heute abend hatte er Theodor versprochen, ihn um sieben Uhr abzuholen; sie wollten dann besprechen, wie des Vaters Geburtstag zu feiern sei. Theodors geheimer Plan war, den Bruder zu ?berrumpeln, um ihn auf bessere Gedanken zu bringen. Aber Gustavs geheimer Plan war, Theodor zur Vernunft zu bringen.
Punkt sieben hielt eine Droschke vorm Hause, und gleich darauf h?rte Theodor auf der Treppe Sporen klirren und einen S?bel rasseln.
- Guten Tag, alter Maulwurf, gr?sste der ?ltere Bruder.
Es war eine junge kr?ftige Gestalt. Man sah die pr?chtigsten Waden unter den blanken Sch?ften seiner Stiefel; und unter dem langen Schoss des ?berrocks zeichneten sich die Lenden eines Percheronpferdes ab. Das goldene Kartuschenbandelier machte die Brust breiter und das S?belkoppel hing an einem Paar H?ften, auf denen man sitzen konnte!
Er warf einen Blick auf ,,Komm zu Jesus", grinste, sagte aber nichts dar?ber.
- Komm, Theodor, wir fahren nach Bellevue zum G?rtner und bestellen alles f?r den Geburtstag des Alten. Zieh dich an und komm, alter Baruch.
Theodor wollte Einwendungen machen, aber der Bruder nahm ihn unterm Arm, setzte ihm die M?tze verkehrt auf den Kopf, steckte ihm eine Zigarre in den Mund und ?ffnete die T?r. Theodor f?hlte sich l?cherlich und aus seiner Rolle gerissen, ging aber mit.
- Jetzt f?hrst du nach Bellevue, sagte der Leutnant zum Kutscher, aber fahr so, dass deine Vollblut wie Riemen auf den Strassensteinen liegen.
Theodor musste ?ber die Sicherheit des Bruders lachen. Niemals w?re es ihm in den Sinn gekommen, einen Kutscher, einen ?ltern verheirateten Mann, du zu nennen.
Auf dem Wege plauderte und schwatzte der Leutnant von allem M?glichen, und alle M?dchen, die er traf, sah er an.
Sie kamen an einem heimkehrenden Leichenzug vorbei.
- Hast du gesehen, sagte Gustav, was f?r ein verflucht h?bsches M?dchen im letzten Wagen sass.
Nein, Theodor hatte es nicht gesehen und wollte es nicht sehen.
Und dann begegneten sie einem Omnibus, in dem lauter Kellnerinnen sassen. Da stand der Leutnant in der Droschke auf und warf ihnen Kussh?nde zu, mitten auf der Strasse. Er war zu verr?ckt.
Sie richteten ihre Sache in Bellevue aus. Auf dem Heimweg bog der Kutscher ohne weitere Ordre nach der Gastwirtschaft ,,Stallmeisterhof" ab.
- Wir wollen etwas essen, sagte Gustav und stiess den Bruder aus der Droschke.
Theodor war wie bet?rt. Ein Gel?bde der N?chternheit hatte er nie abgelegt und er sah nichts S?ndhaftes darin, in ein Wirtshaus zu gehen, wenn er es auch nicht von selber tat. Er folgte, allerdings mit dem Atem im Halse.
Im Flur wurde der Leutnant von zwei M?dchen empfangen, die im n?chsten Augenblick an seiner Brust lagen.
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