Read Ebook: Der letzte Zentaur by Heyse Paul
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Ebook has 87 lines and 13327 words, and 2 pages
Der letzte Zentaur
Paul Heyse
Novelle
Vom Turm der Frauenkirche schlug es Mitternacht.
Ich kam aus einer Gesellschaft, in der man sich vergebens bem?ht hatte, eine sehr lahme und trockene Unterhaltung mit gutem Wein in Fluss zu bringen. Der Kopf war mir immer heisser geworden und das Herz immer k?hler. Endlich hatte ich mich weggestohlen in den sommerwarmen Mondschein hinaus und schlenderte ziellos durch die totenstille, taghelle Stadt, um den Unmut ?ber die verlorenen Stunden verdampfen zu lassen. Als ich an der ehrw?rdigen Marienkirche vorbei durch das Fraueng?sschen in die Kaufingergasse trat, blieb ich pl?tzlich stehen.
Mir gegen?ber lag, seine drei Stockwerke mit den dunklen Fenstern gegen Mitternacht erhebend, ein wohlbekanntes Haus mit vorspringender Ecke und einem blauen Laternchen ?ber dem Eingang, in dem ich vor mehr als einem Jahrzehnt manche unvergessliche Nacht bei schlechterem Getr?nk als heute, aber unter feurigeren Gespr?chen zugebracht hatte. Ich las die Inschrift ?ber der zierlich geschnitzten, von zwei Karyatiden gest?tzten Holzumrahmung des Torwegs: "Weinhandlung von August Schimon".
Jawohl, sagte ich vor mich hin, die Zeiten wandeln sich und wir mit ihnen! Das ist noch derselbe Name, der damals in jeder Woche unsre Losung war. Aber der ihn trug, der beh?bige Mann mit dem schwarzen Kraushaar und den verschmitzten kleinen Augen,--wo ist er hingekommen? Sein Gl?cksstern hatte nur ?ber diesem Hause leuchten wollen. Als er es verliess, um in einem prachtvollen Hotel den Wirt zu machen, war es mit ihm r?ckw?rts gegangen, bis zu einem traurigen Ende. Seine Gutm?tigkeit soll ihn in ungl?ckliche Spekulationen anderer verwickelt haben, vielleicht auch ein phantastischer Zug zum Grossen und Gewagten, den er mit einigen seiner G?ste gemein hatte. Er war eben ein Idealist unter den Gastwirten, und sein Andenken ist mir teuer geblieben, trotz seiner Weine, auf die Freund Emanuel damals nach der Melodie des Dies irae die sch?ne Strophe dichtete:
Sed post Schimonense vinum Malum venit matutinum, Luctum quod vocant felinum!
Heutzutage, da die Erben das Gesch?ft fortsetzen, sollen die Weine sich bedeutend gebessert haben und der alten Firma Ehre machen. Aber k?nnen die besten neuen Weine f?r die gute alte Gesellschaft entsch?digen, die nun nicht mehr von ihnen trinkt und den tr?ben Lethetrank oder selbst den Nektar der Unsterblichkeit gern hing?be um ein paar Flaschen jenes dunkelroten Ungarweines, den wir mit Todesverachtung und "festlich hoher Seele" so manchmal hier "dem Morgen zugebracht"? Wie gern liess' ich alles morgendliche Nachweh ?ber mich ergehen, k?nnt' ich noch einmal dich, teurer Genelli, hinter dem Tische in dem niedrigen leichtangerauchten Weinst?bchen sitzen sehen, die volle Unterlippe halb freudig, halb trotzig aufgeworfen, w?hrend eine g?ttliche Kinderfr?hlichkeit dir aus den Augen blitzte! Damals warst du noch nicht Grossherzoglich Weimarischer Professor und Falkenritter; du hattest noch nicht in dem Freiherrn von Schack den M?zen gefunden, der dich in den Stand setzte, die Entw?rfe deiner Jugend endlich nach jahrzehntelangem Hoffen und Harren in Farben auszuf?hren. Oben in deinem bescheidenen Quartier am Stadtgarten sassest du, und die Gesellschaft deiner G?tter und Heroen liess dich die Welt vergessen, die dich vergass. Aber wenn du auch oft zu warm warst, um die Bleistifte zu bezahlen, mit denen du, in zarten Linien leicht umrissen, deine Tr?ume von den G?ttern Griechenlands auf reinliche Bl?tter schriebst: nie sah ich den Schatten von Erdennot und Sorge auf deiner olympischen Stirn, die wie ein Berggipfel ?ber allem Gew?lk sich im ewigen ?ther sonnte. Und wie auch die Sorge an deinem Herde die Rolle des Heimchens spielen mochte--einmal in jeder Woche lenktest du den Schritt zu diesem Hause, um den Anflug von Staub und Moder, der sich etwa an deine Seele zu setzen versucht, im Weine wegzusp?len. Ob der wackere Schimon die Ehre zu sch?tzen wusste, die du ihm antatest? Ich entsinne mich kaum, dass ich dich deinen Wein h?tte bezahlen sehen, wie andere Erdens?hne. Freilich warst du auch stets der Letzte, der ging, noch ganz aufrechten Hauptes und festen Ganges, gefeit gegen das vielberufene malum matutinum, und auch darum vielleicht unserm Wirt so teuer, weil du den Glauben an die Unverf?lschtheit seines roten Ungar mit der Macht deiner Rede und deines Beispiels verteidigtest.
Sch?ne, ambrosische Mittern?chte, wenn der zweifelhafte Nektar seine Kraft bewies und den Meister ?ber alle Not der Gegenwart hinweg in seine r?mische Jugend zur?ckf?hrte! Dann wurden, w?hrend Dichtung und Wahrheit sich traulich in eins verschlangen, die Schatten der wackeren Vorfahren heraufbeschworen, die in Rom zuerst, nach Winckelmanns und Carstens Heimgange, der deutschen Kunst eine Freist?tte bereitet hatten. Der seltsame Poet und seltsamere Maler, der als Maler M?ller dem heutigen Geschlecht trotz neuer Ausgaben seiner Schriften nur noch dem Namen nach bekannt ist, und von dem Genelli gern eine Strophe anf?hrte, die er sehr bewunderte, eine Inschrift auf einem Trinkgef?ss, folgender Fassung:
Trinke, Freund, aus dieser Schale, Die der Gott der Lust Einst geformt bei einem G?ttermahle Auf Cytherens Brust.
Als zweiter dann, der nicht minder wunderliche Tiroler Koch, von dessen trefflichen Landschaften jedoch weniger gesprochen wurde, als von seiner "Rumfordschen Suppe", jener mit derbem Witz und bitterem Hohn reichlich ?berpfefferten Herzensergiessung ?ber den Verfall der Kunst, deren Kraftstellen unser Freund mit schmunzelndem Behagen zu zitieren liebte. Endlich der alte Reinhard, ein wackerer Meister in seiner Art, und doch minder gross und gl?cklich als K?nstler, denn als J?ger. Noch h?r' ich Genelli die ber?hmte Geschichte erz?hlen, wie der alte Nimrod eines Tages im Zwielicht mit leerer Jagdtasche und dem Schuss noch in der Flinte in sein d?mmriges Zimmer trat, unwirsch ?ber den verlorenen Tag. Da sieht er auf seinem Tisch etwas sich regen, als ob es davon laufen wolle, und in ungek?hlten Jagdtriebe reisst er, ohne sich zu besinnen, das Gewehr von der Schulter, legt an und schiesst. Als er hinzutritt, zu sehen, was er geschossen, findet er einen alten K?se, den die Kugel glatt durchbohrt hat, ohne doch das tausendf?ltige Leben in ihm zu t?ten.
Das ist eine von den sogenannten Jagdgeschichten! erlaubte sich, w?hrend die anderen lachten, ein kleiner d?rrer Mann zu bemerken, der den Kunstkritiker machte, f?r den Realismus schw?rmte, dennoch aber sich h?ufig an diesem Tisch einfand, wo die idealistischen Sp?tter sassen. Sie wollen uns doch nicht zumuten, Genelli, an diese K?sejagd zu glauben?
Der Meister blitzte ihn mit seinem gutm?tigsten Jupiterblicke an.
Ihnen mute ich ?berhaupt nicht zu, etwas zu glauben, was Sie nicht sehen, sagte er. Aber wenn diese Geschichte nicht wahr ist, so ist auch die folgende erlogen, die ich doch selbst erlebt habe. Es war in Leipzig; ich stehe eines Abends am Fenster meiner Wohnung und blicke auf den Markt hinunter. Da sehe ich ein kleines altes Weibchen, das langsam mit trippelnden Schritten ihres Weges geht und mit einem St?ckchen auf dem Pflaster etwas vor sich her zu treiben scheint, was ich nicht erkenne. Ich gehe endlich hinunter, um zu sehen, was es ist. Was war es? Eine Herde kleiner alter Handk?se, die das Weibchen auf diese Art zu Markte trieb.
Nun fand es auch der kleine Kritiker geraten, mitzulachen. Er wusste, er durfte die Langmut des Olympiers nicht zu sehr auf die Probe stellen, wenn er nicht mit einer vollen Ladung Rumfordscher Suppe ?bersch?ttet sein wollte. Denn als der einzige Realist unter uns Idealisten h?tte er, trotz seiner zweischneidigen Zunge, den k?rzeren gezogen.
Nur einer lachte nicht mit, dessen aschfarbenes, schlechtrasiertes Gesicht ich ?berhaupt nie habe lachen sehen, obwohl ihm bei allem, was Genelli tat und sagte, in heimlicher Bewunderung das Herz im Leibe lachte: ein langer, hagerer, scheublickender Mann, in sehr sch?bigem Rock, von veraltetem Schnitt, der in einem kahlen Zimmerchen, wie es hiess, von der Luft lebte und nie etwas anderes tat, als dass er, wenn ein tollk?hner Kunsth?ndler sich zu einem solchen Unternehmen aufschwang, Genellis Entw?rfe in leichter Umrissmanier in Kupfer stach. Dies, und das Bewusstsein, Platens Freundschaft besessen zu haben, waren deine einzigen Lebensfreuden, ehrlicher Sch?tz. "Die Treue, sie ist kein leerer Wahn!" Und du hast sie redlich bis ans Ende bew?hrt. Als dein Meister zu den Schatten hinabstieg, um sich auf der Asphodeloswiese zu seinen homerischen Helden, seiner Hexe und seinem W?stling zu gesellen, litt es auch dich nicht l?nger hier oben in der Sonne. Ein Schatten eines Schattens zu sein, schien die r?hmlicher, als hier noch l?nger k?rperlos herumzuwanken.
Ein anderer der Getreuen war schon vorausgegangen: der edle, hochsinnige Holsteiner Charles Ross, dessen Landschaften mit Verschm?hung der modernen Virtuosenk?nste jener certa idea nachstrebten, die einst einen Poussin und Claude begeistert hatte. An seiner st?hlernen Mannesseele, der es an schneidigen Ecken und Kanten nicht fehlte, hatte die weiblich zarte H?lle vor der Zeit sich zerrieben. Denn ausser dem Schmerz, in einer Epoche zu leben, die in der Kunst ganz andere G?tter verehrte, als die ihm die wahren schienen, dr?ckte auf ihn der Lebenskummer um die gefesselte und geknechtete Heimat, deren Befreiung und Heimkehr zu den deutschen Stammesgenossen er nicht mehr erleben sollte. Auch ihn, wie Genelli, habe ich nie klagen h?ren, wohl aber z?rnen und spotten h?ren, wobei dann seine sanften blauen Augen unter der weissen, von blondem Haar ?berwallten Stirn seltsam leuchteten wie vom Widerschein seiner st?hlernen Seele. An Genelli hat er in dessen sorgenvollster Zeit mehr getan als irgend ein anderer seiner Freunde; er war es auch, der ihm in Baron Schack den hilfreichen G?nner und Freund zuf?hrte und die Bestellung seines Raubes der Europa vermittelte, wodurch dem Einsamen auf der Schwelle des Alters noch einmal die Genugtuung wurde, sein bestes Wollen und K?nnen in einer Reihe grosser Sch?pfungen auszusprechen, freilich nicht ganz ohne Spuren der langen Vereinsamung, in der er seine kraftvollsten Jahre hingefristet hatte.
Soll ich die anderen noch aufz?hlen, die J?ngeren, die sich an jenen Abenden um den Meister scharten? Sie leben und schaffen noch, und nicht alle sind dem Bekenntnis jener stillen Gemeinde treugeblieben, deren Stolz es war, eine ecclesia pressa zu sein und allem schw?chlich d?rren und seelenlosen Unwesen des modernen k?nstlerischen Rationalismus den R?cken zu kehren. Einer aber, der es ?usserlich am weitesten gebracht und die Genusskraft des alten Heidentums nicht bloss darum besass, um desto schmerzlicher zu entbehren, sondern in vollen Z?gen Lebensfreuden schl?rfte, Karl Rahl,--auch er ist schon zu jener stillen Schar versammelt, die er auf Erden nur dann und wann besuchte, aus Italien oder von Wien her?berreisend, um dem alten Freunde die Hand zu sch?tteln und ein paar Tage aus dem vollen mit ihm zu leben.
Ich sehe ihn noch, wie er bei einem dieser Besuche auch abends zu Schimon kam und alle, die ihn noch nicht kannten in Erstaunen setzte durch die unerh?rten Massen Fleisches, die er ruhig, ohne viel Aufhebens von seinem Appetit oder der Zubereitung zu machen, rein zur Stillung des dringendsten Bed?rfnisses zu sich nahm. Er hatte etwas vom L?wen, der mit gleicher W?rde und Kraft, ohne Gier und Feinschmeckerei seine Kost zermalmt. Da begreift man, sagte der Kunstkritiker mir ins Ohr, dass das Fleischmalen seine Force ist, bei solchen Naturstudien!--Aber als er dann satt war und sich nun in die Unterhaltung mischte, konnte man merken, dass der Leib sich nicht auf Kosten des Geistes so heroisch n?hrte. Denn unmerklich ohne rhetorische K?nste, mit der unscheinbaren Gewalt eines reichen Wissens und eines hellen Verstandes, der allen Ideenstoff sofort in Saft und Blut verwandelte, fing er an das Gespr?ch zu beherrschen, dass wir alle an seinen Lippen hingen, w?hrend es von der kahlen Stirn des geistreichen Satyrgesichts wie eine prophetische Flamme leuchtete. Genelli sass schweigsam neben ihm, verkl?rt von dem br?derlichen Stolz, seinen Freund aus allen Wortk?mpfen als Sieger hervorgehen zu sehen. Er trank an dem Abend f?r zwei, w?hrend Rahl kaum einmal vom Ungar nippte. So sassen sie wie die Dioskuren beisammen, jeder auf seinen Stern vertrauend, den Stern der Sch?nheit, der in die dampfumw?lkte Gegenwart nur tr?be hereinleuchtete, in solchen N?chten aber den Eingeweihten im alten hellenischen Glanz erschien.
Solche N?chte! Wie lange schon waren sie vergl?ht und verglommen, und wie hell leuchteten sie beim Anblick jenes Hauses in der Erinnerung auf. Vieles hatten die Jahre seitdem gebracht, redliche K?mpfe und fr?hliche Siege, heitere Tage und N?chte genug mit alt' und jungen Freunden--solche N?chte nicht wieder!
Eine feierliche Wehmut ?berkam mich; ich liess den Kopf auf die Brust sinken und vertiefte mich eine Weile in den Abgrund dieses geheimnisvollen Erdendaseins. In die T?r mir gegen?ber war ich, seitdem die stille Gemeinde in alle Winde zerstreut war, nie wieder eingetreten. Was hatte ich dort auch zu suchen? Heute f?hlte ich einen unwiderstehlichen Trieb, wenigstens in den langen Flur hineinzusp?hen, durch den uns sonst der kleine schwinds?chtige Kellner, Karl, der nun auch l?ngst einen besseren Schlaf geniesst, hinauszuleuchten pflegte, um das Haustor hinter uns zu schliessen. Ich versuchte den T?rgriff, und obwohl die Polizeistunde schon l?ngst vor?ber war, gab die T?r dennoch willig und ger?uschlos nach. Es mussten noch G?ste drin beim Weine sitzen.
Aber um keinen Preis der Welt h?tte ich's ?bers Herz gebracht, fremde Gesichter an der geweihten St?tte zu sehen.
Ich setzte mich, um nur noch einen Augenblick in der Stille meinen Erinnerungen nachzuh?ngen, auf eines der leeren F?sser, die an der Wand standen, und sah den tiefen Hausgang hinunter, aus dessen Hintergrunde eine schl?frig rote Laterne mich vertraulich anblinzte. Es war im Hause totenstill, und eine seltsame Moderk?hle, mit Weingeruch vermischt, wehte mich aus Flur und Kellertreppe an. Dann und wann h?rte ich draussen einen Nachtschw?rmer vorbeitrappen und konnte an seinem gleichen oder ungleichen Schritt erkennen, ob es ihm k?hl oder schw?l unterm Hute war. Durch die halboffene T?r fiel ein armsdicker gleissender Strahl des Mondlichtes herein, auf den ich unverwandt starren musste, als sollte mir von daher, wie weiland Jakob B?hme durch den Sonnenstrahl auf einer zinnernen Sch?ssel, eine mystische Offenbarung zuteil werden. Ich wartete aber umsonst--und ?ber dem Harren und Sinnen wollten mir endlich eben die Augen zufallen-Da kam ein schlurfender Schritt aus der Tiefe des Hausgangs auf mich zu, jener bekannte schlaftrunkene Kellnerschritt in ausgetretenen Hausschuhen. Ich dachte, man komme mich hier wegzuweisen, damit das Haus geschlossen werden k?nnte, und fuhr in die H?he. Erschrocken sah ich die wohlbekannte Gestalt des kleinen Karl vor mir stehen.
Sie sind es? sagte ich. Wie kommen Sie denn wieder hierher? Sind sie denn nicht l?ngst-Er sah mich aus seinen m?den, ger?teten Augen so wunderlich an, dass mir das Wort in der Kehle stecken blieb.
Die Herren schicken mich, sagte er in schl?frig-leisem Ton, um zu sehen, ob Sie denn noch nicht kommen. Es sei schon sehr sp?t, und sie w?rden nicht mehr lange bleiben.
Welche Herren? fragte ich, w?hrend ich von meiner Tonne herunterstieg.
Sie kennen sie ja wohl, erwiderte der Kleine und wendete sich schon, um wieder hineinzugehen. ?brigens wie sie wollen. Die Herren meinten nur-Damit ging er mir voran, und ich besann mich nicht l?nger, der seltsamen Einladung zu folgen. Auch f?hlte ich, wunderbarerweise, nicht den leisesten unheimlichen Schauer. Ich k?nnte fast glauben, dies sei ein Traum, sagte ich so f?r mich hin; aber ich habe doch die Augen weit offen und sehe die rote Laterne und h?re das H?steln des kleinen Karl. Nun, was es auch sei und wen ich auch sehen werde,--in diesem Haus und unter so guten Freunden brauche ich mich nicht zu f?rchten.
Und doch, als wir uns der T?r der Weinstube n?herten, musste ich pl?tzlich stehen bleiben. Das Herz klopfte mir heftig, und eine tiefe R?hrung ?berschauerte mich. Denn aus dem Innern h?rte ich nun deutlich eine unvergessliche Stimme, die mir zum letzten Male so wehm?tig Lebewohl zugerufen hatte auf dem verschneiten Schiller-und- Goethe-Platz zu Weimar.
Er soll nur hereinkommen, erscholl die Stimme wieder, mit der alten freudigen Kraft und Frische. Per Bacco! er wird doch dem Wein nicht abgeschworen haben und unter die Wasserdichter oder Bierphilister gegangen sein? Guten Abend, Freund! Setzen Sie sich zu uns. Der Sch?tz wird ein wenig Platz machen. Oder wollen Sie sich lieber bei Charles Ross niederlassen? Karl, noch einen Spitz! Man lebt nur einmal--h?tt ich beinah gesagt.
Ich war eingetreten, und ein rascher Blick hatte mir gezeigt, dass ich unter lauter Bekannten war. Auf seinem gew?hnlichem Platz an der Wand mein alter Genelli, neben ihm, etwas magerer und blasser und, wie es schien, in tr?bseliger Laune sein Dioskurenzwilling, gegen?ber die beiden schon genannten, die auseinanderr?ckten, um mir einen Platz in ihrer Mitte freizumachen. Sie nickten mir alle zu, und Freund Ross murmelte etwas, das ich nicht verstand. Keiner aber bot mir die Hand, und auch sonst war ein Zug von Fremdheit, Ernst und Kummer in ihren Mienen, der mich nachdenklich machte. Vor einem jeden stand eine halbvolle Flasche und ein Glas mit rotem Wein, aus dem sie dann und wann in bed?chtiger Stille einen langen Zug tranken. Dann gl?hten f?r einen Augenblick die bleichen Wangen und matten Augen, und es fuhr ein Zucken durch ihren K?rper, als wollten sie eine Last absch?tteln. Gleich darauf sassen sie wieder starr und stumm und senkten die Blicke ins Glas.
Ich konnte, obwohl keine Gasflamme brannte, jede Miene in diesen vertrauten Gesichtern deutlich erkennen, denn der Mond schien mit blendender Klarheit durch ein Seitenfenster herein und erleuchtete gerade unseren Tisch, w?hrend die Winkel des Gemachs dunkel blieben. Nun regte sich dahinten noch eine Gestalt und n?herte sich mir, mich zu begr?ssen. Ich erkannte den schwarzen, schon etwas mit Silber angesprengten Krauskopf unseres Wirts und wunderte mich ?ber mich selbst, dass mich dieses Wiedersehen fast lebhafter ersch?tterte als das der trefflichen Freunde.
Sie bem?hen sich in Person, Herr Schimon, rief ich, als ich ihn Glas und Flasche vor mich hinstellen sah. Wahrhaftig, ich h?tte mir nicht tr?umen lassen, dass ich noch einmal das Vergn?gen haben w?rde--Wieder brachte ich den Satz nicht zu Ende, denn ich sah pl?tzlich alle Blicke auf mich gerichtet, als f?rchte man, dass ich etwas Ungeschicktes sagen m?chte.
Unser Herr Wirt darf doch nicht fehlen, wenn wir uns einmal wieder eine gute Stunde g?nnen! fiel mir Genelli ins Wort. Setzen Sie sich zu uns, Herr Schimon. Ihr Wein will heute nicht recht w?rmen. Und was haben Sie sich f?r eine sparsame Gasbeleuchtung angeschafft? Gleichviel! wo solche Leute beisammen sitzen, k?nnen sie ihr eigenes Licht leuchten lassen. Aber mit dem Rahl ist nichts anzufangen. Celesti dei! wie kann man sich gewisse unvermeidliche Dinge dermassen zu Herzen nehmen! Der Mensch lebt nicht von Fleisch allein, und der ganze ?brige Bettel--pah!
Er r?mpfte, wie er es gern tat, wenn ihm wohl war von trotzigem Selbstgef?hl, die volle Unterlippe und leerte sein Glas auf einen Zug. --Niemand sprach ein Wort; der kleine Karl schlich mit einer vollen Flasche heran und setzte sie vor den Meister hin. Ich sah jetzt, dass Genelli der einzige war, dessen Augen kein Hauch von Tr?bsinn und M?digkeit verschleierte, und dass der m?chtige Kopf auf dem Stiernacken noch so ungebeugt sich bewegte wie je in seinen lebensfrohesten Tagen.
Nun sagen Sie, wandte er sich wieder zu mir, wie l?uft die Welt? Was treiben Sie? Was macht das grosse Irrlicht? N?hrt es sein windiges Fl?mmchen noch immer aus dem Sumpfboden der faulen Zeit und seiner eigenen Nichtsnutzigkeit? Ich habe Ihnen einmal die Karikaturen gezeigt, die ich auf diesen grossen Impostor gemacht habe; sie sind freilich noch nicht zeitgem?ss, aber auch ihre Zeit wird kommen, wenn ?berhaupt noch ein Hahn nach ihm kr?ht, sobald er das Zeitliche gesegnet hat. Pah! der wird sich wundern, wenn er an einen gewissen Fluss kommt und ?bergesetzt sein will und der alte F?hrmann ihm erst den Pass revidiert. Aber wir wollen uns den Wein nicht verderben. Es lebe, wer's ehrlich meint!
Jeder erhob sein Glas, ich wollte mit Charles Ross anklingen, merkte aber, dass es nicht angebracht war. Er trank stillschweigend, nickte mir schwerm?tig zu und setzte das Glas lautlos wieder hin.
A proposito "wer's ehrlich meint!" fing Genelli wieder an, was macht denn unser Kunstvogt, der Kritikus? Warum haben Sie ihn heute nicht mitgebracht? Wissen Sie, so recht konnte ich eigentlich nie ein Herz zu ihm fassen, aber ein ehrlicher Kerl ist er doch. Er streckte sich eben nach seiner Decke, die manchmal verdammt kurz war. Davon bekam er dann selbst eine Ahnung, wenn ihm die Zehen froren, und dann sah er sich nach was Besserem, Gr?sserem und Breiterem um, und in solchen Stunden verstanden wir uns ganz gut. Hernach aber kroch er doch wieder ins Enge zur?ck, da das nun einmal Mode ist in dieser bettelhaften, pauvren Zeit. Haben Sie ihn lange nicht gesehen?
Das letzte Mal, erwiderte ich, haben Sie uns wieder zusammengef?hrt. Ich traf ihn vor Ihrer Omphale in der Schackschen Galerie. Er wusste nicht genug den Bacchantenzug unten in der Predelle zu loben. Solche Zentauren, sagte er, haben selbst die Alten nicht zu stande gebracht, solch verw?nscht leibhaftiges, liederliches Gesindel von Manng?ulen oder Rossmenschen, und nun erst die Weiberstuten, zumal die eine da oben, die an der Rose riecht, die sind so mit H?nden zu greifen, dass keinem einf?llt zu fragen, ob man mit zwei M?gen, zwei Herzen und sechs Gliedmassen auch vor der gestrengen Wissenschaft der Anatomie bestehen k?nne. Sie wissen, setzte er hinzu, ich bin sonst ein Anh?nger des entschiedensten Realismus und glaube, dass die Zeit der G?tter, Helden und Zentauren vorbei ist. Aber vor diesen Genellischen Fabelwesen muss man den Hut abziehen, die haben Rasse; es kommt mir manchmal vor, als m?sse er dabei gewesen sein, als k?nne kein Mensch sich solch verteufeltes Heidenzeug aus den Fingern saugen.
Er ist auch dabei gewesen! sagte der Meister nun, und sein fr?hlicher Blick wurde fast feierlich. Und was insbesondere die Zentauren betrifft, warum soll ich es leugnen, dass ich wirklich diese merkw?rdige Schicht der antiken Gesellschaft in einem Musterexemplar studiert habe, dass ich so gl?cklich gewesen bin, den letzten der Zentauren pers?nlich kennen zu lernen?
Alle Augen richteten sich jetzt auf ihn, der die seinigen aber durchaus nicht niederschlug, wie man sonst wohl zu tun pflegt, wenn man auf einer M?nchhausiade nicht gleich ertappt zu werden w?nscht.
Ich will Ihnen die Geschichte erz?hlen, fuhr er fort, sich heiter im Kreise umblickend. Es scheint ohnehin heute kein rechter Diskurs zustande kommen zu wollen. Der Rahl, seitdem er vom Fleisch gefallen, ist unter die Trappisten gegangen; seine jetzige Di?t--sie ist freilich miserabel genug--schl?gt ihm weder geistig noch leiblich an. Freund Ross, glaub' ich, denkt an Weib und Kind, und der Sch?tz war nie ein grosser Redner. Abgedankte Leute wie wir sollten allerdings stille liegen und den Mund nur auftun zu einem Kyrie oder Peccavi. Aber wie sagt Falstaff? Hol die Pest alle feigen Memmen! Karl, noch einen Spitz! Und nun will ich euch sagen, wie das mit dem Zentauren sich ereignet hat.
Es war im ersten Sommer, als ich mich in M?nchen niedergelassen hatte, das Jahr hab' ich vergessen. Juni und Juli waren k?hl gewesen, daf?r brach im August eine solche Mordhitze herein, dass man hier in der Stadt wie im Fegefeuer nach Luft schnappte und ich's wahrhaftig bei der Arbeit nicht aushielt, ausser in dem paradiesischen Kost?m, in dem Freund Rahl damals in Rom in seinem Atelier herumging, zum Staunen der sch?nen Nachbarinnen gegen?ber, die durchs offene Fenster hereinsahen, und zu grossem ?rgernis ihrer signori mariti, die endlich den Hern Pfarrer des Viertels an ihn abschickten, um ihn zu christlich ehrbarer Zucht und Bekleidung zu ermahnen. Wie der Schalk da dem Biedermann um den Bart gegangen, ihm mit gutem Schinken aufgewartet und mit Orvieto so lange eingeheizt hat, dass auch dem Pfarrer endlich die Glut zum Dach herausschlug und er sich zureden liess, eines seiner Gew?nder nach dem anderen abzulegen, bis er in derselben einfachen Sommertracht wie sein Wirt auf den k?hlen Fliesen herumspazierte,--das habt ihr, denk' ich, noch in guter Erinnerung. Genug, ich hielt es zuletzt nicht l?nger aus und beschloss, mir im Gebirge einen besser gel?fteten Schattenwinkel zu suchen, als meine Dachkammer war. So fuhr ich mit dem Stellwagen eine Strecke ins Land hinein gegen den Inn zu und wanderte dann von der ersten Station, wo mir die Gegend gefiel, mit meinem leichten R?nzel bergan.
Obwohl aber dort das Flusstal hinunter "ein guter Luft" ging, wie die Tiroler sagen, merkte ich doch bald, dass ich des Steigens in der Mittagssonne ungewohnt war, und war froh, nach zwei sauren Stunden ein grosses Dorf aus dichtem Walnusslaub mir zuwinken zu sehen, recht fett und bequem auf der sanftansteigenden Halde hingelagert. Gegen Westen stieg der Berg j?hlings in die H?he, bis endlich auch den Tannen und F?hren der Atem ausging und sie ihm nicht mehr nachklettern konnten. Da oben hinter den kahlen Gipfeln musste die Sonne selbst im Hochsommer fr?hzeitig verschwinden und der Bergesschatten eine angenehme K?hle ?ber den Abhang ergiessen.
Also war ich rasch entschlossen, hier Rast zu machen, obwohl es f?r heute nicht sehr ruhig herzugehen versprach. Es war eben Kirchweih und das einzige Wirtshaus gestopft voll von trinkenden, kegelnden und juhschreienden Bauern. ?berdies waren ein paar Kauf- und Schaubuden dicht neben dem Wirtsgarten aufgeschlagen, zwischen denen sich ein buntes Gedr?nge hin und her trieb, besonders vor der Bude eines Italieners, der ein ausgestopftes Kalb mit zwei K?pfen und f?nf F?ssen f?r ein paar Kreuzer sehen liess. Ich versparte mir diesen Genuss f?r den Abend, da ich vor allem nach einem k?hlen Trunk lechzte, schlug mich auch endlich durch Flur und Treppe durch bis auf die obere Laube, wo ich hinter dem Gel?nder des Altans ganz in der Ecke einen Sitz auf der Bank und ein Seidel roten Tiroler eroberte. Den Wein stellte ich vor mich auf die h?lzerne Brustwehr, streckte mich nach Herzenslust aus und sah, w?hrend ich langsam mich verk?hlte, ?ber das Bauerngew?hl unten um die Tische ?ber den Gartenzaun und die n?chsten H?tten hinweg in die prachtvolle Gebirglandschaft hinaus.
Kaum eine halbe Stunde mochte ich so geruht haben, da sah ich auf dem breiten Feldwege, der zu dem n?chsten, h?her gelegenen D?rfchen f?hrte, einen ganz seltsamen Schwarm sich heranbewegen.
Ich glaubte im ersten Augenblicke, der Wein, den ich etwas hastig getrunken, werfe so wunderliche Blasen in meiner Phantasie, dass ich am hellen Tage einen fabelhaften Traum tr?umte. Auch war die wunderliche Gruppe noch so ferne, wohl drei B?chsensch?sse von meinem Luginsland, dass ich meinen Augen wohl misstrauen durfte. Aber obwohl sich's in ruhigem Schritt fortbewegte, kam es doch unaufhaltsam n?her, und nun konnte ich endlich nicht mehr zweifeln, dass ich in Wirklichkeit "sah, was ich sah, und h?rte, was ich h?rte".
Stellt euch vor, in der goldigsten Herbstsonne kam auf der weissen staubenden Bergstrasse ein riesenhafter Zentaur dahergetrabt, in einem w?rdevollen beschaulichen Viervierteltakt, wie der alte Schimmel, der im Wilhelm Tell mitspielt und den Landvogt in die hohle Gasse tragen muss. Hinter ihm drein, aber in scheuer Entfernung, etwa um einige Pferdel?ngen, zottelte und trottelte ein lautloser Haufen alter M?tterchen, lahmer und presshafter M?nnlein und ganz junger Kinder, alles n?mlich, was von jenem abgelegenen Dorfe entweder zu alt oder zu jung gewesen war, um die nachbarliche Kirchweih mitzufeiern. Der riesige fremde Gast mochte sich mit Gutem oder B?sem so in Respekt gesetzt haben, dass man ihm ohne jede Anfechtung, weder durch Geschrei, noch t?tliche Neckereien, das Geleit gab. Aber je n?her der abenteuerliche Zug dem Kirchweihdorfe kam, desto deutlicher sah ich besonders die Weiblein bem?ht, die Aufmerksamkeit der noch ahnungslosen Nachbarn schon von weitem zu erregen, durch Winke mit den d?rren Armen, Kr?ckst?cken und Kopft?chern, auf die freilich ?ber der Tanzmusik und dem Festtreiben rings um mich her keine Menschenseele aufmerksam wurde.
So konnte sich das heidnische Unget?m unbeschrien der Dorfmark n?hern, und erst, als es bei den letzten H?tten vorbeitrabte und nun gerade auf das Wirtshaus lossteuerte, wurden die Bauern inne, dass sich etwas ganz Unerh?rtes begab. Nun war freilich der Effekt, den dies Intermezzo machte, um so gewaltiger. Im Nu stob alles auseinander, was unten im Wirtsgarten und um die Schaubuden sich zusammengedr?ngt hatte. Wie Ameisen durcheinander wimmeln, wenn man mit dem Stock in ihren Bau st?sst, so st?rzten M?nner und Weiber in wilder Flucht vom Wirtshaus weg, und jedes suchte eine T?r, einen Zaun oder einen Baum zu erreichen, hinter denen man vor dem ungef?gen vierbeinigen Mirakel auf den ersten Anlauf sicher w?re. Ebenso hastig aber fuhren alle, die in den H?usern und oberen R?umen der Schenke waren, an die Fenster und starrten entsetzt nach dem Scheuel und Greuel hinaus. Auf den L?rm des ersten Aufruhrs folgte eine tiefe Stille; selbst die Hunde, die erst w?tend losgebellt hatten, zogen sich, als sie die m?chtigen Hufe des Ank?mmlings gewahrten, vorsichtig mit bangem Winseln zur?ck, und nur die kleinen Bauernpferde, die an ihren Krippen schmausten, begr?ssten ihn mit zutraulich gastfreundlichem Wiehern, da er ja jedenfalls, soweit er zu ihnen geh?rte, ihrem Geschlecht alle Ehre machte.
Ich war vielleicht der einzige, der nicht den Kopf verlor, zun?chst als ein alter eingeteufelter Heide, der ich war, und in der ganzen fabelhaften Naturgeschichte wohlbewandert, dann aber auch, weil das Entz?cken ?ber die ungemeine Sch?nheit des Fremdlings keine Furcht aufkommen liess.
Was ich selber hernach an solchen Zwiegesch?pfen gemalt, oder Freund H?hnel in seinem Dresdener Theaterfries gemeisselt hat, w?rde sich gegen diesen g?ttlichen Burschen in Fleisch und Bein ausgenommen haben wie Halbblut gegen Vollblut.
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