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Words: 21604 in 3 pages
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: Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter by Brentano Clemens - Europe Eastern Fiction DE Prosa
Die mehreren Wehm?ller und ungarischen Nationalgesichter
Clemens Brentano
Gegen Ende des Sommers, w?hrend der Pest in Kroatien, hatte Herr Wehm?ller, ein reisender Maler, von Wien aus einen Freund besucht, der in dieser ?streichischen Provinz als Erzieher auf dem Schlosse eines Grafen Giulowitsch lebte. Die Zeit, welche ihm seine Gesch?fte zu dem Besuche erlaubten, war vor?ber. Er hatte von seiner jungen Frau, welche ihm nach Siebenb?rgen vorausgereist war, einen Brief aus Stuhlweissenburg erhalten, dass er sie nicht mehr l?nger allein lassen m?ge; es erwarte ihn das Offizierkorps des dort liegenden hochl?blichen ungarischen Grenadier--und Husarenregiments sehns?chtig, um, von seiner Meisterhand gemalt, sich in dem Andenken mannigfaltiger sch?ner Freundinnen zu erhalten, da ein naher Garnisonswechsel manches engverkn?pfte Liebes--und Freundschaftsband zu zerreissen drohte. Dieser Brief brachte den Herrn Wehm?ller in grosse Unruhe, denn er war viermal so lange unterwegs geblieben als gew?hnlich und dermassen durch die Quarant?ne zerstochen und durchr?uchert worden, dass er die ohnedies nicht allzu leserliche Hand seiner guten Frau, die mit oft gew?sserter Dinte geschrieben hatte, nur mit M?he lesen konnte. Er eilte in die Stube seines Freundes Lury und sagte zu ihm: "Ich muss gleich auf der Stelle fort nach Stuhlweissenburg, denn die hochl?blichen Grenadier--und Husarenregimenter sind im Begriff, von dort abzuziehen; lesen Sie, der Brief ist an f?nf Wochen alt." Der Freund verstand ihn nicht, nahm aber den Brief und las. Wehm?ller lief sogleich zur Stube hinaus und die Treppe hinab in die Hauskapelle, um zu sehen, ob er die 39 Nationalgesichter, welche er in ?l gemalt und dort zum Trocknen aufgeh?ngt hatte, schon ohne grosse Gefahr des Verwischens zusammenrollen k?nne. Ihre Trockenheit ?bertraf alle seine Erwartung, denn er malte mit Terpentinfirnis, welcher trocken wird, ehe man sich umsieht. Was ?brigens diese 39 Nationalgesichter betrifft, hatte es mit ihnen folgende Bewandtnis: Sie waren nichts mehr und nichts weniger als 39 Portr?ts von Ungaren, welche Herr Wehm?ller gemalt hatte, ehe er sie gesehen. Er pflegte solcher Nationalgesichter immer ein halb Hundert fertig bei sich zu f?hren. Kam er in einer Stadt an, wo er Gewinn durch seine Kunst erwartete, so pflegte er ?ffentlich ausschellen oder austrommeln zu lassen: der bekannte K?nstler, Herr Wehm?ller, sei mit einem reichassortierten Lager wohlgetroffener Nationalgesichter angelangt und lade diejenigen unter einem hochedlen Publikum, welche ihr Portr?t w?nschten, untert?nigst ein, sich dasselbe, St?ck vor St?ck zu einem Dukaten in Gold, selbst auszusuchen. Er f?gte sodann noch, durch wenige Meisterstriche, einige pers?nliche Z?ge und Ehrennarben oder die Individualit?t des Schnurrbartes des K?ufers unentgeltlich bei; f?r die Uniform aber, welche er immer ausgelassen hatte, musste nach Massgabe ihres Reichtums nachgezahlt werden. Er hatte diese Verfahrungsart auf seinen Kunstreisen als die befriedigendste f?r sich und die K?ufer gefunden. Er malte die Leute nach Belieben im Winter mit aller Bequemlichkeit zu Haus und brachte sie in der sch?nen Jahreszeit zu Markte. So genoss er des grossen Trostes, dass keiner ?ber Un?hnlichkeit oder langes Sitzen klagen konnte, weil sich jeder sein Bildnis fertig nach bestimmtem Preise, wie einen Weck auf dem Laden, selbst aussuchte. Wehm?ller hatte seine Gattin vorausgeschickt, um seine Ankunft in Stuhlweissenburg vorzubereiten, w?hrend er seinen Vorrat von Portr?ts bei seinem Freunde Lury zu der geh?rigen Menge brachte; er musste diesmal in vollem Glanze auftreten, weil er in einer Zeitung gelesen. Ein Maler Froschauer aus Klagenfurt habe dieselbe Kunstreise vor. Dieser aber war bisher sein Antagonist und Nebenbuhler gewesen, wenn sie sich gleich nicht kannten, denn Froschauer war von der entgegengesetzten Schule; er hatte n?mlich immer alle Uniformen voraus fertig und liess sich f?r die Gesichter extra bezahlen.
Schon hatte Wehm?ller die 39 Nationalgesichter zusammengerollt in eine grosse, weite Blechb?chse gesteckt, in welcher auch seine Farben und Pinsel, ein paar Hemden, ein Paar gelbe Stiefelstulpen und eine Haarlocke seiner Frau Platz fanden; schon schnallte er sich diese B?chse mit zwei Riemen wie einen Tornister auf den R?cken, als sein Freund Lury hereintrat und ihm den Brief mit den Worten zur?ckgab: "Du kannst nicht reisen; soeben hat ein Bauer hier auf dem Hofe erz?hlt, dass er vor einigen Tagen einen Fussreisenden begleitet habe, und dass dieser der letzte Mensch gewesen sei, der ?ber die Grenze gekommen, denn auf seinem R?ckwege hierher habe er, der Bote, schon alle Wege vom Pestkordon besetzt gefunden." Wehm?ller aber liess sich nicht mehr zur?ckhalten, er schob seine Palette unter den Wachstuch?berzug auf seinen runden Hut, wie die B?cker in den Zipfel ihrer gestrickten spitzen M?tzen eine Semmel zu stecken pflegen, und begann seinen Reisestab zusammenzurichten, der ein wahres Wunder der Mechanik, wenn ich mich nicht irre, von der Erfindung des Mechanikus Eckler in Berlin, war; denn er enthielt erstens: sich selbst, n?mlich einen Reisestock; zweitens: nochmals sich selbst, einen Malerstock; drittens: nochmals sich selbst, einen Messstock; viertens: nochmals sich selbst, ein Richtscheit; f?nftens: nochmals sich selbst, ein Blaserohr; sechstens: nochmals sich selbst, ein Tabakspfeifenrohr; siebentens: nochmals sich selbst, einen Angelstock; darin aber waren noch ein Stiefelknecht, ein Barometer, ein Thermometer, ein Perspektiv, ein Zeichenstuhl, ein chemisches Feuerzeug, ein Reisszeug, ein Bleistift und das Brauchbarste von allem, eine approbierte h?lzerne H?hneraugenfeile, angebracht; das Ganze aber war so eingerichtet, dass man die Masse des Inhalts durch den Druck einer Feder aus diesem Stocke, wie aus einer Windb?chse, seinem Feind auf den Leib schiessen konnte. W?hrend Wehm?ller diesen Stock zusammenrichtete, machte Lury ihm die lebhaftesten Vorstellungen wegen der Gefahr seiner Reise, aber er liess sich nicht halten. "So rede wenigstens mit dem Bauer selbst", sprach Lury; das war Wehm?ller zufrieden und ging, ganz zum Abmarsche fertig, hinab. Kaum aber waren sie in die Schenke getreten, als der Bauer zu ihm trat und, ihm den ?rmel k?ssend, sagte: "Nu, gn?diger Herr, wie kommen wir schon wieder zusammen? Sie hatten ja eine solche Eile nach Stuhlweissenburg, dass ich glaubte, Euer Gnaden m?ssten bald dort sein." Wehm?ller verstand den Bauer nicht, der ihm versicherte, dass er ihn, mit derselben blechernen B?chse auf dem R?cken und demselben langen Stocke in der Hand, nach der ungarischen Grenze gef?hrt habe, und zwar zu rechter Zeit, weil kurz nachher der Weg vom Pestkordon geschlossen worden sei, wobei der Mann ihm eine Menge einzelne Vorf?lle der Reise erz?hlte, von welchen, wie vom ganzen, Wehm?ller nichts begriff. Da aber endlich der Bauer ein kleines Bild hervorzog mit den Worten: "Haben Euer Gnaden mir dieses Bildchen, das in Ihrer B?chse keinen Platz fand, nicht zu tragen gegeben, und haben es Euer Gnaden nicht in der Eile der Reise vergessen?"--ergriff Wehm?ller das Bild mit Heftigkeit. Es war das Bild seiner Frau, ganz wie von ihm selbst gemalt, ja der Name Wehm?ller war unterzeichnet. Er wusste nicht, wo ihm der Kopf stand. Bald sah er den Bauer, bald Lury, bald das Bild an, "Wer gab dir das Bild?" fuhr er den Bauer an. "Euer Gnaden selbst", sagte dieser; "Sie wollten nach Stuhlweissenburg zu Ihrer Liebsten, sagten Euer Gnaden, und das Botenlohn sind mir Euer Gnaden auch schuldig geblieben."--"Das ist erlogen!" schrie Wehm?ller. "Es ist die Wahrheit!" sagte der Bauer. "Es ist nicht die Wahrheit!" sagte Lury, "denn dieser Herr ist seit vier Wochen nicht hier weggekommen und hat mit mir in einer Stube geschlafen." Der Bauer aber wollte von seiner Behauptung nicht abgehen und drang auf die Bezahlung des Botenlohns oder auf die R?ckgabe des Portr?ts, welches sein Pfand sei, und dem er, wenn er nicht bezahle, einen Schimpf antun wolle. Wehm?ller ward ausser sich.
"Was?" schrie er, "ich soll f?r einen andern das Botenlohn zahlen oder das Portr?t meiner Frau beschimpfen lassen? Das ist entsetzlich!" Lury machte endlich den Schiedsrichter und sagte zu dem Bauer: "Habt Ihr diesen Herrn ?ber die Grenze gebracht?"--"Ja!" sagte der Bauer. "Wie kommt er dann wieder hierher, und wie war er die ganze Zeit hier?" erwiderte Lury. "Ihr m?sst ihn daher nicht recht t?chtig hin?ber gebracht haben und k?nnt f?r so schlechte Arbeit kein Botenlohn begehren; bringt ihn heute nochmals hin?ber, aber dermassen, dass auch kein St?mpfchen hier in Kroatien bleibt, und lasst Euch doppelt bezahlen." Der Bauer sagte: "Ich bin es zufrieden, aber es ist doch eine sehr heillose Sache; wer von den beiden ist nun der Teufel, dieser gn?dige Herr oder der andre? Es k?nnte mich dieser, der viel widerspenstiger scheint, vielleicht gar mit ?ber die Grenze holen, auch ist der Weg jetzt gesperrt, und der andre war der letzte; ich glaube doch, er muss der Teufel gewesen sein, der bei der Pest zu tun hat."--"Was", schrie Wehm?ller, "der Teufel mit dem Portr?t meiner Frau! Ich werde verr?ckt; gesperrt oder nicht gesperrt, ich muss fort, der scheusslichste Betrug muss entdeckt werden. Ach, meine arme Frau, wie kann sie get?uscht werden! Adie, Lury, ich brauche keinen Boten, ich will schon allein finden." Und somit lief er zum offnen Hoftore mit solcher Schnelligkeit hinaus, dass ihn weder der nachlaufende Bauer noch das Geschrei Lurys einholen konnte.
Nach dieser Szene trat der Graf Giulowitsch, der Prinzipal Lurys, aus dem Schlosse, um auf seinen Finkenherd zu fahren. Lury erz?hlte ihm die Geschichte, und der Graf, neugierig, mehr von der Sache zu h?ren, bestieg seinen Wurstwagen und fuhr dem Maler in vollem Trabe nach; das leichte Fuhrwerk, mit zwei raschen Pferden bespannt, flog ?ber die Stoppelfelder, welche einen festeren Boden als die moorichte Landstrasse darboten. Bald war der Maler eingeholt, der Graf bat ihn, aufzusitzen, mit dem Anerbieten, ihn einige Meilen bis an die Grenze seiner G?ter zu bringen, wo er noch eine halbe Stunde nach dem letzten Grenzdorf habe. Wehm?ller, der schon viel Grund und Boden an seinen Stiefeln h?ngen hatte, nahm den Vorschlag mit untert?nigstem Dank an. Er musste einige Z?ge alten Slibowitz aus des Grafen Jagdflasche tun und fand dadurch schon etwas mehr Mut, sich selbst auf der eignen F?hrte zu seiner Frau nachzueilen. Der Graf fragte ihn, ob er denn niemand kenne, der ihm so ?hnlich sei und so malen k?nne wie er. Wehm?ller sagte nein, und das Portr?t ?ngstige ihn am meisten, denn dadurch zeige sich eine Beziehung des falschen Wehm?llers auf seine Frau, welche ihm besonders fatal werden k?nne. Der Graf sagte ihm, der falsche Wehm?ller sei wohl nur eine Strafe Gottes f?r den echten Wehm?ller, weil dieser alle Ungarn ?ber einen Leisten male; so g?be es jetzt auch mehrere Wehm?ller ?ber einen Leisten. Wehm?ller meinte, alles sei ihm einerlei, aber seine Frau, seine Frau, wenn die sich nur nicht irre. Der Graf stellte ihm nochmals vor, er m?ge lieber mit ihm auf seinen Finkenherd und dann zur?ckfahren; er gef?hrde, wenn er auch h?chst unwahrscheinlich den Pestkordon durchschleichen sollte, jenseits an der Pest zu sterben. Wehm?ller aber meinte: "Ein zweiter Wehm?ller, der zu meiner Frau reist, ist auch eine Pest, an der man sterben kann", und er wolle so wenig als die Schneeg?nse, welche schreiend ?ber ihnen hinstrichen, den Pestkordon respektieren; er habe keine Ruhe, bis er bei seiner Tonerl sei. So kamen sie bis auf die Grenze der Giulowitschschen G?ter, und der Graf schenkte Wehm?llern noch eine Flasche Tokaier mit den Worten: "Wenn Sie diese ausstechen, lieber Wehm?ller, werden Sie sich nicht wundern, dass man Sie doppelt gesehn, denn Sie selbst werden alles doppelt sehn; geben Sie uns so bald als m?glich Bericht von Ihrem Abenteuer, und m?ge Ihre Gemahlin anders sehen, als der Bauer gesehen hat. Leben Sie wohl!"
Nun eilte Wehm?ller, so schnell er konnte, nach dem n?chsten Dorf, und kaum war er in die kleine, dumpfichte Schenke eingetreten, als die alte Wirtin, in Husarenuniform, ihm entgegenschrie: "Ha, ha! da sind der Herr wieder zur?ck, ich hab es gleich gesagt, dass Sie nicht durch den Kordon w?rden hin?bergelassen werden." Wehm?ller sagte, dass er hier niemals gewesen, und dass er gleich jetzt erst versuchen wolle, durch den Kordon zu kommen. Da lachte Frau Tschermack und ihr Gesinde ihm ins Gesicht und behaupteten steif und fest, er sei vor einigen Tagen hier durchpassiert, von einem Giulowitscher Bauer begleitet, dem er das Botenlohn zu zahlen vergessen; er habe ja hier gefr?hst?ckt und erz?hlt, dass er nach Stuhlweissenburg zu seiner Frau Tonerl wolle, um dort das hochl?bliche Offizierkorps zu malen. Wehm?ller kam durch diese neue Best?tigung, dass er doppelt in der Welt herumreise, beinahe in Verzweiflung. Er sagte der Wirtin mit kurzen Worten seine ganze Lage, sie wusste nicht, was sie glauben sollte, und sah ihn sehr kurios an. Es war ihr nicht allzu heimlich bei ihm. Aber er wartete alle ihre Skrupel nicht ab und lief wie toll und blind zum Dorfe hinaus und dem Pestkordon zu. Als er eine Viertelmeile auf der Landstrasse gelaufen war, sah er auf dem Stoppelfeld eine Reihe von Rauchs?ulen aufsteigen, und ein angenehmer Wacholdergeruch dampfte ihm entgegen. Er sah bald eine Reihe von Erdh?tten und Soldaten, welche kochten und sangen; es war ein Hauptbivouac des Pestkordons. Als er sich der Schildwache n?herte, rief sie ihm ein schreckliches "Halt!" entgegen und schlug sogleich ihr Gewehr auf ihn an. Wehm?ller stand wie angewurzelt. Die Schildwache rief den Unteroffizier, und nach einigen Minuten sprengte ein Szekler-Husar gegen ihn heran und schrie aus der Ferne: "Wos willstu, quid vis? Wo kommst her, unde venis? An welchen Ort willst du, ad quem locum vis? Bist du nicht vorige Woche hier durchpassiert, es tu non altera hebdomada hic perpassatus?" Er fragte ihn so auf deutsch und husarenlateinisch zugleich, weil er nicht wusste, ob er ein Deutscher oder ein Ungar sei. Wehm?ller musste aus den letzten Worten des Husaren abermals h?ren, dass er hier schon durchgereist sei, welche Nachricht ihm eiskalt ?ber den R?cken lief. Er schrie sich beinah die Kehle aus, dass er grade von dem Grafen Giulowitsch komme, dass er in seinem Leben nicht hier gewesen. Der Husar aber lachte und sprach: "Du l?gst, mentiris! Hast du nicht dem Herrn Chirurg sein Bild gegeben, non dedidisti Domino Chirurgo suam imaginem!--dass er durch die Finger gesehen und dich passieren lassen, ut vidit per digitos et te fecit passare! Du bist zur?ckgekehrt aus den Pest?rtern, es returnatus ex pestiferatis locis!" Wehm?ller sank auf die Knie nieder und bat, man m?ge den Chirurgen doch herbeirufen.
W?hrend diesem Gespr?ch waren mehrere Soldaten um den Husaren herum getreten, zuzuh?ren; endlich kam der Chirurg auch, und nachdem er Wehm?llers Klagen angeh?rt, der sich die Lunge fast weggeschrien, befahl er ihm, sich einem der Feuer von Wacholderholz zu n?hern, so dass es zwischen ihnen beiden sei, dann wolle er mit ihm reden. Wehm?ller tat dies und erz?hlte ihm die ganze Aussage ?ber einen zweiten Wehm?ller, der hier durchgereist sei, und seine grosse Sorge, dass ihn dieser um all sein Gl?ck betr?gen k?nne, und bot dem Chirurgen alles an, was er besitze, er m?ge ihm nur durchhelfen. Der Chirurg holte nun eine Rolle Wachsleinwand aus seiner Erdh?tte, und Wehm?ller erblickte auf derselben eines der ungarischen Nationalgesichter, grade wie er sie selbst zu malen pflegte, auch sein Name stand drunter, und da der Chirurg sagte, ob er dies Bild nicht gemalt und ihm neulich geschenkt habe, weil er ihn passieren lassen, gestand Wehm?ller, er w?rde nie dies Bild von den seinigen unterscheiden k?nnen, aber durchpassiert sei er hier nie und habe nie die Gelegenheit gehabt, den Herren Chirurgen zu sprechen. Da sagte der Chirurg: "Hatten Sie nicht heftiges Zahnweh? Habe ich Ihnen nicht noch einen Zahn ausgezogen f?r das Bild?"--"Nein, Herr Chirurg", erwiderte Wehm?ller, "ich habe alle meine Z?hne frisch und gesund, wenn Sie zuschauen wollen." Nun fasste der Feldscher einigen Mut; Wehm?ller sperrte das Maul auf, er sah nach und gestand ihm zu, dass er ganz ein andrer Mensch sei; denn jetzt, da er ihn weder aus der Ferne noch von Rauch getr?bt ansehe, m?sse er ihm gestehen, dass der andre Wehm?ller viel glatter und auch etwas fetter sei, ja dass sie beide, wenn sie nebeneinander st?nden, kaum verwechselt werden k?nnten; aber durchpassieren lassen k?nne er ihn jetzt doch nicht. Es habe zuviel Aufsehens bei der Wache gemacht, und er k?nne Verdruss haben; morgen fr?h werde aber der Kordonkommandant mit einer Patrouille bei der Visitation hieher kommen, und da liesse sich sehen, was er f?r ihn tun k?nne; er m?ge bis dahin nach der Schenke des Dorfs zur?ckkehren, er wolle ihn rufen lassen, wenn es Zeit sei; er solle auch das Bild mitnehmen und ihm den Schnauzbart etwas spitzer malen, damit es ganz ?hnlich werde. Wehm?ller bat, in seiner Erdh?tte einen Brief an sein Tonerl schreiben zu d?rfen und ihm den Brief hin?ber zu besorgen. Der Chirurg war es zufrieden. Wehm?ller schrieb seiner Frau, erz?hlte ihr sein Ungl?ck, bat sie um Gottes willen, nicht den falschen Wehm?ller mit ihm zu verwechseln und lieber sogleich ihm entgegen zu reisen. Der Chirurg besorgte den Brief und gab Wehm?llern noch ein Attestat, dass seine Person eine ganz andre sei als die des ersten Wehm?llers, und nun kehrte unser Maler, durchger?uchert wie ein Quarant?nebrief, nach der Dorfschenke zur?ck.
Hier war die Gesellschaft vermehrt, die Erz?hlung von dem doppelten Wehm?ller hatte sich im Dorfe und auf einem benachbarten Edelhof ausgebreitet, und es waren allerlei Leute bei der Wirtin zusammengekommen, um sich wegen der Geschichte zu befragen. Unter dieser Gesellschaft waren ein alter invalider Feuerwerker und ein Franzose die Hauptpersonen. Der Feuerwerker, ein Venetianer von Geburt, hiess Baciochi und war ein Allesinallem bei dem Edelmanne, der einen B?chsenschuss von dem Dorfe wohnte. Der Franzose war ein Monsieur Devillier, der, von einer alten reichen Ungarin gefesselt, in Ungarn sitzen geblieben war; seine G?nnerin starb und hinterliess ihm ein kleines G?tchen, auf welchem er lebte und sich bei seinen Nachbarn umher mit der Jagd und allerlei Liebesh?ndeln die Zeit vertrieb. Er hatte gerade eine Kammerjungfer auf dem Edelhofe besucht, der er Sprachunterricht gab, und diese hatte ihn mit dem Hofmeister des jungen Edelmanns auf seinem R?ckwege in die Schenke begleitet, um ihrer Herrschaft von dem doppelten Wehm?ller Bericht zu erstatten. Die Kammerjungfer hiess Nanny, und der Hofmeister war ein geborner Wiener mit Namen Lindpeindler, ein zartf?hlender Dichter, der oft verkannt worden ist. Die ber?hmteste Person von allen war aber der Violinspieler Michaly, ein Zigeuner von etwa dreissig Jahren, von eigent?mlicher Sch?nheit und K?hnheit, der wegen seinem grossen Talent, alle m?glichen T?nze ununterbrochen auf seiner Violine zu erfinden und zu variieren, bei allen grossen Hochzeiten im Lande allein spielen musste. Er war hieher gereist, um seine Schwester zu erwarten, die bis jetzt bei einer verstorbenen Grossmutter gelebt und nun auf der Reise zu ihm durch den Pestkordon von ihm getrennt war. Zu diesen Personen f?gte sich noch ein alter kroatischer Edelmann, der einen einsamen Hof in der N?he der t?rkischen Grenze besass; er ?bernachtete hier, von einem Kreistage zur?ckkehrend. Ein Tiroler Teppichkr?mer und sein Reisegeselle, ein Savoyardenjunge, dem sein Murmeltier gestorben war, und der sich nach Hause bettelte, machten die Gesellschaft voll, ausser der alten Wirtin, die Tabak rauchte und in ihrer Jugend als Amazone unter den Wurmserschen Husaren gedient hatte. Sie trug noch den Dolman und die M?tze, die Haare in einen Zopf am Nacken und zwei kleine Z?pfe an den Schl?fen gekn?pft, und hatte hinter ihrem Spinnrad ein martialisches Ansehen. Diese bunte Versammlung sass in der Stube, welche zugleich die K?che und der Stall f?r zwei B?ffelk?he war, um den lodernden, niedern Feuerherd und war im vollen Gespr?ch ?ber den doppelten Wehm?ller, als dieser in der D?mmerung an der verschlossenen Haust?re pochte. Die Wirtin fragte zum Fenster hinaus, und als sie Wehm?ller sah, rief sie: "Gott steh uns bei! Da ist noch ein dritter Wehm?ller; ich mache die T?re nicht eher auf, bis sie alle drei zusammen kommen!"
Ein lautes Gel?chter und Geschrei des Verwunderns aus der Stube unterbrach des armen Malers Bitte um Einlass. Er nahte sich dem Fenster und h?rte eine lebhafte Beratschlagung ?ber sich an. Der kroatische Edelmann behauptete, er k?nne sehr leicht ein Vampyr sein oder die Leiche des ersten an der Pest verstorbenen Wehm?llers, die hier den Leuten das Blut aussaugen wolle; der Feuerwerker meinte, er k?nne die Pest bringen, er habe wahrscheinlich den Kordon ?berschritten und sei wieder zur?ckgeschlichen; der Tiroler bewies, er w?rde niemand fressen; die Kammerjungfer verkroch sich hinter dem Franzosen, der, nebst dem Hofmeister, die Gastfreiheit und Menschlichkeit verteidigte. Devillier sagte, er k?nne nicht erwarten, dass eine so auserw?hlte Gesellschaft, in der er sich bef?nde, jemals aus Furcht und Aberglauben die Rechte der Menschheit so sehr verletzen werde, einen Fremden wegen einer blossen Grille auszusperren, er wolle mit dem Manne reden; der Zigeuner aber ergriff in dem allgemeinen, ziemlich lauten Wortwechsel seine Violine und machte ein wunderbares Schariwari dazu, und da die ungarischen Bauern nicht leicht eine Fiedel h?ren, ohne den Tanzkrampf in den F?ssen zu f?hlen, so versammelte sich bald Horia und Klotzka vor der Schenke--was so viel heisst als Hinz und Kunz bei uns zulande--die M?dchen wurden aus den Betten getrieben und vor die Schenke gezogen, und sie begannen zu jauchzen und zu tanzen.
Durch den L?rm ward der Vizegespan, des Orts Obrigkeit, herbeigelockt, und Wehm?ller brachte ihm seine Klagen und das Attestat des Chirurgen vor, versprach ihm auch, sein Portr?t unter den Nationalgesichtern sich aussuchen zu lassen, wenn er ihm ein ruhiges Nachtquartier verschaffe und seine Pers?nlichkeit in der Schenke attestiere. Der Vizegespan liess sich nun die Schenke ?ffnen und las drinnen das Attestat des Herren Chirurgen, das er allen Anwesenden zur Beruhigung mitteilte. Durch seine Autorit?t brachte er es dahin, dass Wehm?ller endlich hereingelassen wurde, und er nahm, um der Sache mehr Ansehen zu geben, ein Protokoll ?ber ihn auf, an dem nichts merkw?rdig war, als dass es mit dem Worte "sondern" anfing. Indessen hatten die Bauern den musikalischen Zigeuner herausgezerrt und waren mit ihm unter die Linde des Dorfs gezogen, der Tiroler zog hintendrein und joudelte aus der Fistel, der Savoyarde gurgelte sein "Escoutta Gianetta" und klapperte mit dem Deckel seines leeren Kastens den Takt dazu bis unter die Linde. Monsieur Devillier forderte die Kammerjungfer zu einem T?nzchen auf, und Herr Lindpeindler gab der sch?nen Herbstnacht und dem romantischen Eindruck nach. So war die Stube ziemlich leer geworden; Wehm?ller holte seine Nationalgesichter aus der Blechb?chse, und der Vizegespan hatte bald sein Portr?t gefunden, versprach auch dem Maler ins Ohr, dass er ihm morgen ?ber den Kordon helfen wolle, wenn er ihm heute nacht noch eine Reihe Kn?pfe mehr auf die Jacke male. Wehm?ller dankte ihm herzlich und begann sogleich bei einer Kienfackel seine Arbeit. Der Feuerwerker und der kroatische Edelmann r?ckten zu dem Tisch, auf welchem Wehm?ller seine Flasche Tokaier preisgab; die Herren drehten sich die Schnauzb?rte, steckten sich die Pfeifen an und liessen es sich wohlschmecken. Der Vizegespan sprach von der Jagdzeit, die am St. Egiditag, da der Hirsch in die Brunst gehe, begonnen habe, und dass er morgen fr?h nach einem Vierzehnender ausgehen wolle, der ihm grossen Schaden in seinem Weinberge getan; zugleich lud er Herrn Wehm?ller ein, mitzugehen, wobei er ihm auf den Fuss trat. Wehm?ller verstand, dass dies ein Wink sei, wie er ihm ?ber den Kordon helfen wolle, und wenn ihm gleich nicht so zumute war, gern von Hirschgeweihen zu h?ren, nahm er doch das Anerbieten mit Dank an, nur bat er sich die Erlaubnis aus, nach der R?ckkehr das Bild des Herrn Vizegespans in seinem Hause fertig malen zu d?rfen. Der kroatische Edelmann und der Feuerwerker sprachen nun noch mancherlei von der Jagd, und wie der Wein so vortrefflich stehe, darum sei das Volk auch so lustig; wenn der unbequeme Pestkordon nur erst aufgel?st sei; aller Verkehr sei durch ihn gest?rt, und der Kordon sei eigentlich ?rger als die Pest selbst. "Es wird bald aus sein mit dem Kordon", sagte der Kroate, "die K?lte ist der beste Doktor, und ich habe heute an den Eicheln gesehen, dass es einen strengen Winter geben wird; denn die Eicheln kamen heuer fr?h und viel, und es heisst von den Eicheln im September:
Haben sie Spinnen, so k?mmt ein b?s Jahr, Haben sie Fliegen, k?mmt Mittelzeit zwar, Haben sie Maden, so wird das Jahr gut, Ist nichts darin, so h?lt der Tod die Hut, Sind die Eicheln fr?h und sehr viel, So schau, was der Winter anrichten will: Mit vielem Schnee k?mmt er vor Weihnachten, Darnach magst du grosse K?lte betrachten. Sind die Eicheln sch?n innerlich, Folgt ein sch?ner Sommer, glaub sicherlich; Auch wird dieselbe Zeit wachsen sch?n Korn, Also ist M?h und Arbeit nicht verlorn. Werden sie innerlich nass befunden, Tuts uns einen nassen Sommer bekunden; Sind sie mager, wird der Sommer heiss, Das sei dir gesagt mit allem Fleiss.
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